Ebbo Demant: Auschwitz – „Direkt von der Rampe weg…“. Kaduk, Erber, Klehr: Drei Täter geben zu Protokoll
„Wenn die letzten Überlebenden der Hölle von Auschwitz nicht mehr Zeugnis ablegen könnten […] dann wird Auschwitz in nicht zu ferner Zeit nur noch eine Legende sein.“ Diese Befürchtung, ausgesprochen 1965 im Frankfurter Auschwitz- Prozess vom Vertreter der Nebenklage, Henry Ormond, sollte in unserer heutigen Zeit unbegründet sein - so möchte man meinen. Denn unzählige Dokumente, Bücher, Reportagen, ja sogar Spielfilme sind erschienen, die den Holocaust in all seinen Facetten thematisieren, mit all seinen katastrophalen Auswirkungen verdeutlichen - als Beweis dienen, dem Vergessen entgegenwirken sollen. Und trotzdem existieren auch heute noch Versuche, die Shoa zu verharmlosen oder gar offen als historische Tatsache zu bestreiten, so dass eine UN-Resolution im Januar 2007 verabschiedet wurde, um die Leugnung des Holocaust international zu ächten. Erst seit 1996 gibt es in Deutschland einen offiziellen Gedenktag, der, vom damaligen Bundespräsidenten Roman Herzog ins Leben gerufen, am 27. Januar anlässlich der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz zum Gedenken an die NS-Opfer, seit 2005 erstmals auch international erinnert.
Ebbo Demant: Auschwitz – „Direkt von der Rampe weg...“. Kaduk, Erber, Klehr: Drei Täter geben zu Protokoll
„Wenn die letzten Überlebenden der Hölle von Auschwitz nicht mehr Zeugnis ablegen könnten [...] dann wird Auschwitz in nicht zu ferner Zeit nur noch eine Legende sein.“
Diese Befürchtung, ausgesprochen 1965 im Frankfurter Auschwitz- Prozess vom Vertreter der Nebenklage, Henry Ormond, sollte in unserer heutigen Zeit unbegründet sein - so möchte man meinen. Denn unzählige Dokumente, Bücher, Reportagen, ja sogar Spielfilme sind erschienen, die den Holocaust in all seinen Facetten thematisieren, mit all seinen katastrophalen Auswirkungen verdeutlichen - als Beweis dienen, dem Vergessen entgegenwirken sollen.
Und trotzdem existieren auch heute noch Versuche, die Shoa zu verharmlosen oder gar offen als historische Tatsache zu bestreiten, so dass eine UN-Resolution im Januar 2007 verabschiedet wurde, um die Leugnung des Holocaust international zu ächten.
Erst seit 1996 gibt es in Deutschland einen offiziellen Gedenktag, der, vom damaligen Bundespräsidenten Roman Herzog ins Leben gerufen, am 27. Januar anlässlich der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz zum Gedenken an die NS-Opfer, seit 2005 erstmals auch international erinnert.
Gegen dieses Vergessen einerseits und um andererseits den beschönigenden Umgang mit dem dunkelsten Kapitel deutscher Geschichte zu kritisieren, entstand im Herbst 1978 im Auftrag des Südwestfunks, eine 60minütige Fernseh-Reportage des Autors Ebbo Demant. Dessen Lagerstraße Auschwitz, innerhalb der Sendereihe Menschen und Straßen im April 1979 von der ARD ausgestrahlt, thematisiert durch die subjektive Sicht des Autors, die Ausmaße des Holocaust anhand des Einzelbeispiels einer Straße und den mit ihr verbundenen Schicksalen im KZ Auschwitz. Dabei zeigt Demant eine gesellschaftspolitische Tendenz auf, bei der dieser Teil der deutschen Geschichte aus dem gesellschaftlichen Gedächtnis zu verschwinden droht, gar verleugnet wird. Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken, vergegenwärtigt Demant dem Zuschauer die Vergangenheit, indem er Geschichte anhand visueller Aufbereitung von historischen Dokumenten darstellt und mit Zeugenberichten an diese Taten erinnert. Dazu befragte er - neben überlebenden Opfern des ehemaligen Konzentrationslagers und Besuchern der heutigen Gedenkstätte - auch drei, im Frankfurter Auschwitz-Prozess lebenslänglich verurteilte Mörder. Jene Täterinterviews, die während der Aufnahmen zur Dokumentation 14 Jahre nach dem Prozess in Haft entstanden und welche innerhalb der Reportage nur auf wesentliche Aussagen reduziert in Ausschnitten gezeigt wurden, veröffentlichte Ebbo Demant einen Monat vor Ausstrahlung seiner Reportage vollständig in dem von ihm herausgegebenen Buch Auschwitz – „Direkt von der Rampe weg...“. Kaduk, Erber, Klehr: Drei Täter geben zu Protokoll.
Der 140seitige Band dokumentiert Demants Fragen an die SS-Männer Josef Erber, Oswald Kaduk und Josef Klehr und die Antworten der jeweils einzeln Befragten zu Arbeits- und Tagesabläufen innerhalb des Lagers Auschwitz protokollartig. Eingebettet sind diese Interviews in eine Einführung von Axel Eggebrecht, der zwei der Täter während des Frankfurter-Prozesses kennenlernte, eine Vorbemerkung Ebbo Demants, in welcher er seine Beweggründe für die Reportage, ebenso wie seine Bedenken vor der Begegnung mit den drei Tätern schildert, aber vor allem seine zeitgenössische Kritik an mangelnder Aufklärung und verantwortungslosem Umgang mit deutscher Geschichte äußert, sowie einem, den Frankfurter Prozess abschließend reflektierenden Essay von Gerhard Mauz. Ein kurzes, den Interviews vorangestelltes Kapitel über den Lagerkomplex Auschwitz liefert notwendige Zahlen und Fakten und gestattet dem interessierten Leser anhand von Standortgrafiken eine Orientierung.
Dem Interview des Einzelnen geht eine Vorstellung seiner Person mit kurzen biografischen Daten, den nachweislich begangenen Straftaten sowie dem dafür erhaltenen Strafmaß voraus, um dem Leser einen ersten Eindruck zu vermitteln und ihn auf die folgenden Aussagen vorzubereiten. Von den Interviews abgesetzte Bemerkungen ergänzen und kommentieren Sachverhalte, die bei der Befragung nicht oder nur tangierend angesprochen werden konnten. Auffallend ist Demants zögerlicher und zurückhaltender Stil, der jegliche Fragen nach persönlicher Verantwortung oder gar Schuldempfinden vermeidet und aus heutiger Sicht zu unkritisch und zu wenig provokativ erscheint. Doch macht man sich die schwierige Interviewsituation bewusst, so wird jene vermeintliche Neutralität - um die Aussage-bereitschaft der Täter nicht zu unterbinden – nachvollziehbar. Demant begründet dies selbst: „ich [...] musste sie klinisch über ihre Taten befragen, durfte keine Vorwürfe machen, konnte kaum widersprechen. Sie wären sonst aufgestanden und hätten sich in ihre Zelle zurückbringen lassen.“1
Dabei wird für den Leser ersichtlich, dass es sich hier um bereits zu lebenslänglicher Haft verurteilte Täter handelt, die „sich nicht mehr mit Falschaussagen vor einer juristischen Strafverfolgung schützen“2 müssen und deren unbefangene Äußerungen deshalb umso erschreckend authentischer wirken. Oder wie es Axel Eggebrecht in seiner Einführung zu diesem Buch formuliert: „Zwei [sic.] arme Teufel sprechen, die einst mörderische Teufel waren. Das macht sie zu glaubhaften Zeugen. Ungern füge ich hinzu: Es macht sie glaubhafter als überlebende Opfer, hinter deren Aussagen die ahnungslose Nachwelt allzu rasch Rachebedürfnis vermutet. Den Zeugen Kaduk und Klehr muss die Nachwelt glauben“.
Die unverhüllte, emotionslose Alltagssprache von Oswald, Kaduk und Klehr liest sich bedrückend und stockend, fordert zum wiederholten Lesen einiger Passagen auf, um mit zunehmender Beklemmung den schockierenden, sich darin bergenden Inhalt zu erschließen. Ebenso erschütternd, wie jene drei Männer dabei mit ihrer persönlichen Schuld mehr als dreißig Jahre nach Kriegsende umgehen. Ebbo Demant beschreibt es im Vorwort seiner Veröffentlichung: „Dieser Mangel an Zivilcourage, diese Feigheit, dieser Opportunismus, diese Rücksichtslosigkeit [...], diese absolute Bereitschaft zur Unterordnung, diese dumpfe Kritiklosigkeit - da wurde Auschwitz mit einemmal für mich ganz aktuell.“ Gerade darin lag und liegt die Aktualität dieses Buches, dass die bereits seit langem bekannten Fakten von den Tätern, die bestätigend als Stellvertreter für eine Wissensinstanz stehen, selbst erzählt werden, damit dient es gleichsam der Aufklärung und Wissensvermittlung, wodurch ein Leugnen dieser Taten unmöglich wird.
Buch und Reportage, deren Rezeption gleichermaßen zu empfehlen ist, erschienen in einem innenpolitisch angespannten Klima, verursacht durch linksgerichteten Terrorismus. In dieser Zeit, vierzehn Jahre nach den Frankfurter Auschwitz-Prozessen, wurde immer noch um die Verjährung von Nazistraftaten diskutiert, in jener Zeit, da ehemalige Täter sich unerkannt oder wissentlich zu integrierten Gesellschaftsmitgliedern entwickelten, eine offene Leugnung des Holocaust keine strafrechtlichen Konsequenzen hatte und Lehrbücher mit entstellter Geschichtsdarstellung veröffentlicht wurden. Demzufolge muss der Aufklärungsbedarf enorm gewesen sein, was auch die Zuschauerreaktionen auf die parallel erscheinende amerikanische Sendung Holocaust zeigten.
Auch aus heutiger Sicht, sind diese Täterinterviews, zur Aufklärung und Erinnerung ebenso von Bedeutung. Wenn zentrale Gedenkstätten zum öffentlichen Diskurs werden und die von Martin Walser angesprochene „Instrumentalisierung“ von Auschwitz ein Abstumpfen und Wegschauen bewirke3. Ebbo Demant, Chefreporter Kultur beim SWF und Dozent der Filmakademie in Baden-Württemberg wurde sowohl für seine gesellschaftspolitischen Dokumentarfilme und Reportagen als auch für seine politischen Porträts unter anderem mit dem Grimme-Preis geehrt. Mit „ Drei deutsche Mörder “ (SWF, 1998) veröffentlichte er dazu einen weiteren Film, in welchem er die Interviews der Täter neu aufgriff, um dem gesellschaftlichen Gedächtnisverlust entgegenzuwirken.
Denn wie Bundespräsident Horst Köhler 2005 in seiner Ansprache vor der Knesset in Jerusalem betonte, ist „[d]ie Verantwortung für die Shoa [...] Teil der deutschen Identität.
Auch die Generationen, die nach dem Krieg geboren sind, wissen, dass die Jahre der Naziherrschaft ein nie auslöschbarer Teil der deutschen Geschichte sind. Sie haben selbst keine Schuld auf sich geladen. Aber sie wissen, dass sie Verantwortung tragen für die Bewahrung der Erinnerung und die Gestaltung der Zukunft.“
[...]
1 Demant, Ebbo: Anmerkungen zu einem Film. In: Schnackenberg, Anke: Dokumentarfilm und Geschichte. Untersuchung ausgewählter Filme der SWF-Sendereihe „Menschen und Straßen“. Marburg 1992, S.104.
2 Keilbach, Judith: Zeugen der Vernichtung. Zur Inszenierung von Zeitzeugen in bundesdeutschen Fernsehdokumentationen. In: Die Gegenwart der Vergangenheit. Dokumentarfilm, Fernsehen und Geschichte. Berlin: Vorwerk 2003, S.165.
3 Martin Walser, Dankesrede anlässlich der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels, 1998
- Arbeit zitieren
- BA Mireille Murkowski (Autor:in), 2007, Essay zu Auschwitz – „Direkt von der Rampe weg…“. Kaduk, Erber, Klehr: Drei Täter geben zu Protokoll, von Ebbo Demant (1979), München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/138465