Das 19. Jahrhundert stand im Zeichen des Fortschritts, wie das 18. im Zeichen der Aufklärung gestanden hatte. In diesen 200 Jahren wurden die eigentlichen Grundfeste unserer Gesellschaft festgeschrieben: Demokratie, Menschenrechte, persönliche Freiheit und soziale Gleichheit. Der Schlachtruf der französischen Revolution klingt uns auch heute noch in den Ohren. Es war eine Zeit des Aufbruchs, die Menschen wurden vom Sog der Moderne überschwemmt und mitgerissen, alles war in Bewegung. Langsame Umstrukturierungen waren mittelalterlich geworden, jetzt herrschte der Geist der Neuzeit, welcher in alle Bereiche des Seins, ja sogar in das Bewusstsein hinein strömte. Die soziale Dimension des Wandels im 19. Jahrhunderts wird mein Leitfaden sein, auf dem ich eigentlich aber erst im letzten Kapitel, bei der Behandlung der Tuberkulose, zu sprechen kommen werde. In diesem Sinne ist es auch natürlich, dass sich der Grundtenor dieser Arbeit vor allem an Michel Foucault orientieren wird. Seine Idee der Medikalisierung als einen sozialen Prozess, einer „Sozialdisziplinierung“, deren Ursprung im 18. Jahrhundert liegt und die eng mit der Entwicklung der großen Medizin zusammenhängt, ja sie vielleicht sogar bedingt, war mir ein Leitgedanke. Beginnen werde ich mit einer Darstellung des 19. Jahrhunderts, wobei aber auch die Bewegung der Aufklärung im 18. Jahrhunderts zur Sprache kommen wird. Bevor ich dann auf die wesentlichen Änderungen im medizinischen Bereich zu sprechen komme, sollen auch noch kurz die alten Ideen und Methoden Erwähnung finden. Danach wird kurz auf die wichtigsten Krankheiten Bezug genommen, bevor ich mich dann, wie bereits erwähnte, der Tuberkulose zuwenden werde. Ich werde zeigen, dass sie eine soziale Krankheit ist, die der Mensch mit zunehmenden Grad der Industrialisierung aus sich selbst heraus überwinden konnte.
Inhaltsverzeichnis
Der Schritt in die Moderne
1. Das 19. Jahrhundert als Jahrhundert des medizinischen Fortschritts
1.1. Die Medizin vor dem 19. Jahrhundert
1.2. Der Aufschwung im 19. Jahrhundert
1.3. Neue Techniken in der Medizin
2. Welche Krankheiten prägten die Landschaft des 19. Jh?
2.1. Magen-Darm Krankheiten
2.2. Pocken
2.3. Geschlechtskrankheiten
3. Tuberkulose im sozialen Wandel
Nachwort
Literaturverzeichnis
Der Schritt in die Moderne
Das 19. Jahrhundert stand im Zeichen des Fortschritts, wie das 18. im Zeichen der Aufklärung gestanden hatte. In diesen 200 Jahren wurden die eigentlichen Grundfeste unserer Gesellschaft festgeschrieben: Demokratie, Menschenrechte, persönliche Freiheit und soziale Gleichheit. Der Schlachtruf der französischen Revolution klingt uns auch heute noch in den Ohren. Es war eine Zeit des Aufbruchs, die Menschen wurden vom Sog der Moderne überschwemmt und mitgerissen, alles war in Bewegung. Langsame Umstrukturierungen waren mittelalterlich geworden, jetzt herrschte der Geist der Neuzeit, welcher in alle Bereiche des Seins, ja sogar in das Bewusstsein hinein strömte.
Die soziale Dimension des Wandels im 19. Jahrhunderts wird mein Leitfaden sein, auf dem ich eigentlich aber erst im letzten Kapitel, bei der Behandlung der Tuberkulose, zu sprechen kommen werde. In diesem Sinne ist es auch natürlich, dass sich der Grundtenor dieser Arbeit vor allem an Michel Foucault orientieren wird. Seine Idee der Medikalisierung als einen sozialen Prozess, einer „Sozialdisziplinierung“, deren Ursprung im 18. Jahrhundert liegt und die eng mit der Entwicklung der großen Medizin zusammenhängt, ja sie vielleicht sogar bedingt,[1] war mir ein Leitgedanke.
Beginnen werde ich mit einer Darstellung des 19. Jahrhunderts, wobei aber auch die Bewegung der Aufklärung im 18. Jahrhunderts zur Sprache kommen wird. Bevor ich dann auf die wesentlichen Änderungen im medizinischen Bereich zu sprechen komme, sollen auch noch kurz die alten Ideen und Methoden Erwähnung finden.
Danach wird kurz auf die wichtigsten Krankheiten Bezug genommen, bevor ich mich dann, wie bereits erwähnte, der Tuberkulose zuwenden werde. Ich werde zeigen, dass sie eine soziale Krankheit ist, die der Mensch mit zunehmenden Grad der Industrialisierung aus sich selbst heraus überwinden konnte.
1. Das 19. Jahrhundert als Jahrhundert des medizinischen Fortschritts
Heute ist uns allgemein bekannt, dass das 19. Jahrhundert in beinahe allen Bereichen ein sehr fortschrittliches Jahrhundert war. Auf dem Gebiet der Technik, der Fortbewegung oder auch nur des häuslichen Komforts wurden in Windeseile neue Apparaturen entwickelt. Die Menschen wollten an diesen großartigen Ereignissen teilhaben und strömten zu Tausenden auf die Weltausstellungen, die diesen Fortschritt dokumentieren sollten. Telefon, Fotoapparat, Nähmaschinen, elektrisches Licht, etc. wurden bewundert, und auch gefürchtet. Erste Fahrten mit Dampflokomotiven erleichterten das Kommen von A bis B und die Erfindung des Automobils leitete schließlich die Verkehrsrevolution ein.
Abseits von diesen „wunderlichen“ Dingen erzielte man aber auch in einem Bereich große Fortschritte, welcher oft vergessen wird: die Medizin. Seien es neue Praktiken, neue Untersuchungsmethoden, neue Geräte,… das komplette medizinische Bild wurde umgeworfen und ein neues installiert. Doch um das Neue zu verstehen, lohnt es sich zuerst, das Alte kennen zu lernen.
1.1. Die Medizin vor dem 19. Jahrhundert
Vor dem 19. Jahrhundert wurden in der Medizingeschichte viele Theorien aus der Antike angewendet. Besonderes Beispiel ist hierbei die Viersäftelehre, die bereits auf die ionischen Naturphilosophen zurückgeht und von Hippokrates in seiner Schrift „Über die Natur des Menschen“ (um 400 v. Chr) erstmals niedergeschrieben wurde. Diese ging davon aus, dass die Ausgeglichenheit der vier Säfte (Blut, Schleim, gelbe und schwarze Galle) entscheidend ist für die Gesundheit des Menschen.[2] Gibt es eine Disharmonie wird der Mensch in Folge davon krank. Besonderes Augenmerk legte man hierbei auf das Blut, das durch den Aderlass vom alten, schlechten Blut gereinigt werden sollte. Interessanterweise feiert der Aderlass heutzutage in der Alternativen Medizin gewissermaßen eine Renaissance,[3] in der Schulmedizin ist er aber bereits seit Beginn des 20. Jahrhunderts beinahe schon zur Gänze verschwunden.
Abgesehen von der Viersäftelehre, hielt man sich auch an die „Constitutionslehre“.[4] Diät in Verbindung mit dem Aderlass gehörte ebenfalls zum Standardrepertoire eines Arztes.
Was war aber nun ein Arzt? Wer konnte bzw. durfte behandeln?
Bader und Barbiere standen vor allem dem gewöhnlichen Volk zu Verfügung, während hingegen der Arzt zur Elite gehörte und sogar relativ weit aufsteigen konnte. Arzt war also immer schon ein angesehener Beruf.
Seit dem Mittelalter schon hat sich der Arzt von den übrigen Heilern Bader, Barbier und Hebamme abgesondert. Diese begannen aber bald darauf, ihre Arbeitsweise in Zünften zu regeln. Da wurden Arbeitsterrains abgesteckt und Ausbildungen vereinheitlicht,[5] so sollte man Gewissheit haben, dass niemand sich in die Quere kommt.
Aber auch Kurpfuscher, Starstecher, Zahnbrecher, Harnbeschauer etc., die ebenfalls die medizinische Landschaft bis hin ins späte 18. und frühe 19. Jahrhundert prägten, sollten hier Erwähnung finden.[6] Trotz Barbiere und Bader konnte kaum einer vom Lande es sich leisten, behandelt zu werden. Geschweige denn, meist wurde es gar nicht für notwendig befunden. Denn, was ihnen allen gemeinsam war, vom wichtigen Elitearzt bis zum kleinen Jahrmarktstarstecher, war die Tatsache, dass man den Krankheiten der Menschen relativ hilflos gegenüber stand und die bereits erwähnten Behandlungsmethoden für unsere heutige Begriffe sehr rudimentär waren.
1.2. Der Aufschwung im 19. Jahrhundert
Im 19. Jahrhundert hat sich in der medizinischen Versorgung sehr viel geändert. Fragt man nach dem warum, könnte man weit ausholen. Die nötigen Impulse kamen von der Aufklärung, die eine der wichtigsten Bewegungen der Geschichte wurde und unsere Gesellschaft auf dem Weg brachte, auf dem wir uns auch noch heute befinden. Sich der eigenen Vernunft bedienen und sich aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit befreien war laut Kant, der der größte Verfechter der Aufklärung war, oberstes Ziel. Doch nicht nur Kant prägte seine Zeit, auch die französischen Aufklärer, allem voran Rousseau und Voltaire bereiteten ihr den Weg.
Nun, was hat das mit Medizin zu tun? Vor allem, dass die Aufklärer die menschliche Wahrnehmung veränderten. Bestehende Muster wurden hinterfragt, und in dieses Feld fiel auch die Medizin. Anerkannte Praktiken wurden verworfen. Man begann nun selbst, Krankheiten zu beobachten und anfallende Ergebnisse aufzuzeichnen. Solche empirische Untersuchungen ermöglichten später auch medizinische Durchbrüche, wie zum Beispiel etwa in der Bakteriologie.
Aber auch speziell für die soziale Situation leisteten die Aufklärer Vorarbeit, bekamen doch die Menschen im 19. Jahrhundert erstmals eine Sozialgesetzgebung. (Ich betone, dass ich in dieser Hinsicht eine eurozentristische Sichtweise vertrete und ich somit immer und allein von West- bzw. Mitteleuropa ausgehe.)
Am Ende des 18. Jahrhunderts und zu Beginn des 19. Jahrhundert kam es also zu einem vielschichtigen Wandel in der Gesellschaft, der sowohl eine soziale, wie aber auch – um Max Weber komplett zu machen – eine politische, kulturelle und wirtschaftliche Dimension hatte.
Diese Änderungen gipfelten schließlich in einem Prozess der Medikalisierung,
„die im Sinne einer Verbreitung rationalistischer Wertsysteme und Verhaltensweisen, besonders im Bereich der privaten Lebensführung, eine Ablösung traditionaler, subkulturell verfestigter Verhaltensorientierungen und eine Verallgemeinerung bürgerlicher Normen in Bezug auf eine Einstellung zu Gesundheit, Krankheit und wissenschaftlich orientierter Medizin begünstigten.“[7]
In den Menschen wuchs nun verstärkt das Bedürfnis, sich medizinische Versorgung zukommen zu lassen. Aber gleichzeitig entwickelten sie auch das Bewusstsein, dass ihnen im Idealfall diese Versorgung ohne Einschränkungen zusteht.[8] Sie hatten ein Anrecht darauf, und das war das Entscheidende.
[...]
[1] Vgl. Michel Foucault, Die Geburt der Klinik. Eine Archäologie des ärztlichen Blicks, München 1973, S.9.
[2] Antje Krug, Heilkunst und Heilkult. Medizin in der Antike, München 1985, S.47f.
[3] Nachzulesen zum Beispiel in dem Buch: Gertrude Messner, Gesund durchs Jahr mit der Kräuterbäuerin, Innsbruck 2006, S. 57. Hier werden anlehnend an Hildegard von Bingen die reinigenden Kräfte des Aderlasses gepriesen.
[4] Elisabeth Dietrich-Daum, Tuberkulose und Tuberkulosefürsorge in Österreich (Tiroler Heimat, Jahrbuch für Geschichte und Volkskunde 65) Innsbruck 2001, S. 160.
[5] Michael Stolberg, Heilkundige: Professionalisierung und Medikalisierung, in: Norbert Paul/Thomas Schlich (Hrsg), Medizingeschichte: Aufgaben, Probleme Perspektiven, Frankfurt/New York 1998, S. 71f.
[6] Heinz Flamm/Karl Mazakarini (Hrsg), Bader Wundarzt Medicus. Heilkunst in Klosterneuburg, Klosterneuburg 1996, S. 8-11.
[7] Reinhard Spree, Soziale Ungleichheit vor Krankheit und Tod. Zur Sozialgeschichte des Gesundheitsbereichs im Deutschen Kaiserreich, Göttingen 1981, S. 156.
[8] Ebd., S. 155.
- Citar trabajo
- Elisabeth Mayr (Autor), 2005, Medikalisierung im 19. Jahrhundert, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/137933
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