Examensstunde im Fach Sport zum Thema "Einfallswinkel (un)gleich Ausfallswinkel – Wie erwidere ich einen unterschnittenen Ball? – Erarbeitung und Analyse des Rückhand-Schupf unter dem Aspekt der Einschätzung des Ballabsprungverhaltens", wobei der Schupfball induktiv erarbeitet und erprobt wird.
Leitende pädagogische Perspektive:
(A) Wahrnehmungsfähigkeit verbessern, Bewegungserfahrungen erweitern
Weitere pädagogische Perspektive:
(E) Kooperieren, wettkämpfen und sich verständigen
Inhaltsbereich:
(7) Spielen in und mit Regelstrukturen – Sportspiele
Thema der Unterrichtsstunde:
Einfallswinkel (un)gleich Ausfallswinkel?! – Wie erwidere ich einen unterschnittenen Ball? – Erarbeitung und Analyse des Rückhand-Schupf unter dem Aspekt der Einschätzung des Ballabsprungverhaltens.
Unterrichtsziel:
Die SuS sollen den Rückhand-Schupf in der Grobform erlernen, indem sie in Einzelarbeit Techniken erarbeiten um unterschnittene Bälle zu returnieren, im Unterrichtsgespräch invariante Bewegungsmerkmale herausarbeiten und erörtern und die Zieltechnik in der Übungsform 2 und 2 anwenden.
Teillernziele:
Im motorischen Bereich sollen die SuS
- erste praktische Erfahrungen mit unterschnittenen bzw. rotierenden Bällen machen.
- den Winkel ihres Schlägerblattes situationsangemessen variieren, indem sie an den einzelnen Tischen mit unterschiedlich stark rotierenden Bällen konfrontiert werden.
- ihre Ballkontrolle verbessern, indem sie für ihre relativen Krafteinsätze sowie die Wahrnehmung der Schlägerblattstellung sensibilisiert werden.
- die Zieltechnik spielgemäß anwenden, indem sie im Abschlussdoppel den Rückhand-Schupf möglichst sicher und flach spielen.
Im kognitiven Bereich sollen die SuS
- anhand von Schülerdemonstrationen die invarianten Bewegungsmerkmale des Rückhand-Schupf herausarbeiten und benennen.
- im Unterrichtsgespräch theoretische Kenntnisse über die Rotationsbewegungen zugrunde liegenden physikalischen Zusammenhänge erwerben.
- die praktischen Konsequenzen für die Bewegungsausführung bzw. den Schlägerblattwinkel in der Reflexionsphase benennen.
Im sozial-affektiven Bereich sollen die SuS
- in Kleingruppen kooperieren und sich gegenseitig helfen, indem sie versuchen in der Übungsform 2 und 2 möglichst lange Ballwechsel nur Rückhand-Schupf zu spielen.
- Freude am spielen zeigen, indem sie intrinsisch motiviert sind, ein Abschlussspiel nach der Initiierung durch den Lehrer selbstverantwortlich aufrecht zu erhalten.
- anhand einer Evaluationszielscheibe ihren subjektiven Stundeneindrücken einen qualitativen Wert beimessen, indem sie zu jedem Item einen Klebepunkt setzen.
Einbettung der Stunde in die Unterrichtsreihe:
1. UE: „Shake-Hand“- oder „Pen-Holder“-Griff? – Erarbeitung und Beurteilung von
unterschiedlichen Arten der Schlägerhaltung unter dem Aspekt einer
Effektivitätsanalyse
2. UE: Wer spielt wann wohin? – Erarbeitung und Analyse der tischtennisspezifischen
Aufschlagregeln und der Zählweise unter besonderer Berücksichtigung des
stationsbasierten Übens und Verbesserns der PTRF-Effekte[1]
3. UE: Wie setze ich meinen Gegenspieler effektiv unter Druck? – Erarbeitung und Anwendung des rotationsarmen Vorhand- und Rückhand-Konter anhand von
individuellem Balleimer-Technik-Training
4. UE: Wie reagiere ich bei einem harten Konter?! – Erarbeitung invarianter
Bewegungsmerkmale des Vorhand- und Rückhand-Block anhand von
Lehrer-Schülerdemonstrationen und Partnerkorrekturen
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
6. UE: Pronation und Supination – Zwei Techniken, ein Effekt?! – Erarbeitung des Vorhand-
Schupf sowie Wiederholung und Verbesserung des Rückhand-Schupf anhand von
Stationenlernen
7. UE: Wie kann ich einen unterschnittenen Ball angreifen?! – Erarbeitung und Analyse des
Vorhand- und Rückhand-Topspin anhand einer Lehrvideos unter besonderer
Berücksichtigung des Beobachtungslernens
8. UE: Wie setze ich meine Stärken am effektivsten ein? – Erarbeitung von Individual- und
Doppeltaktiken unter besonderer Berücksichtigung des optimalen Einsatzes
individueller Potenziale
9. UE: Doppelter Spaß im Doppel?! – Zielspielgemäße Anwendung der erlernten Taktiken
und Techniken in einem durch die SuS selbstorganisierten, alternativen Doppelturnier
Didaktisch-methodischer Kommentar:
Das Rückschlagspiel Tischtennis wurde – in Anbetracht seiner spezifischen pädagogischen Chancen[2] sowie meiner praktischen Erfahrung als aktiver Tischtennisspieler und Jugendtrainer – laut ausdrücklichem Wunsch der drei Jungen und achtzehn Mädchen der Klasse 9B als Gegenstand dieser Unterrichtsreihe gewählt. Im Mittelpunkt steht dabei die altersgemäße Erarbeitung wesentlicher Schlagtechniken sowie Individual- und Doppeltaktiken mit dem Ziel der Entwicklung tischtennisspezifischer Spielfähigkeit. Die zielspielspezifische Legitimation für den Schulsport liegt dabei in der Besonderheit, dass die SuS in keiner anderen Sportart derart vielfältige Erfahrungen in Bezug auf das Flug- und Absprungverhalten rotierender Bälle machen können (vgl. LSB 2000, 43 ff.). Darin liegt nicht nur ein besonderer (Motivationsan-)Reiz, sondern auch ein Beitrag zur Entwicklung allgemeiner (ball-)sportlicher Handlungsfähigkeit. Der Pädagogischen Perspektive A[3] kommt daher im Tischtennis, insbesondere aber in dieser Stunde für die durchgehend spielerisch unerfahrenen SuS ein besonderer Stellenwert zu.
Bei der Planung dieser Unterrichtseinheit verzichtete ich daher zu Gunsten einer – neue Bewegungserfahrungen ermöglichenden – zeitlich umfangreichen und bewegungsintensiven Erarbeitungsphase auf eine separate Erwärmungsphase, da weder das Zielspiel noch die Zieltechnik ein nennenswertes Verletzungsrisiko aufweist. Zu Beginn der Stunde werden die SuS im Sinne eines problemorientierten Einstiegs durch eine Lehrer-Schüler-Demonstration mit einem für sie unbekannten Phänomen konfrontiert. Betonen möchte ich in diesem Zusammenhang, dass der demonstrierende Schüler durch einen von mir provozierten Fehlschlag nicht bloßgestellt wird, sondern die SuS realisieren sollen, dass in Rotation befindliche Bälle explizit nicht nach ihren bisherigen Erfahrungswerten entsprechend der Formel „Einfallswinkel gleich Ausfallswinkel“ beim Schlägerkontakt zurückspringen. Diese Vorgehensweise orientiert sich dabei an dem in der aktuellen Fachliteratur viel diskutierten Spielvermittlungskonzept des Genetischen Lernens und Lehrens[4], dessen durch den „Doppelauftrag des Schulsports“ (vgl. MSWF 2001, 33 f.) eingeforderter hoher pädagogisch-erzieherischer Anspruch u.a. darauf beruht, dass die SuS über ein ihnen unbekanntes Phänomen (Unterschnittball mit „unberechenbaren“ Rotationseigenschaften) mit einem motorischen Problem (die bisher erlernten rotationsarmen Schlagtechniken sind als Return ungeeignet) konfrontiert werden, die dieses dann nach dem Prinzip des entdeckenden Lernens (vgl. Lange 2006, 6f.) möglichst selbstständig lösen möchten (Erarbeitung einer neuen Technik). Dabei gehe ich davon aus, dass die SuS in der Erarbeitungsphase aufgrund der hohen Programmbreitenkomplexität noch nicht den Rh-Topspin oder den Vh-Topspin nach Umlaufen der Rückhand als Lösungsmöglichkeiten entwickeln, wohl aber die invarianten Bewegungsparameter des technisch einfacheren Rh-Schupf (geöffnetes Schlägerblatt und Bewegungsrichtung nach vorn-unten) praktisch erarbeiten. Wichtig ist mir in diesem Zusammenhang, dass die SuS nicht nur erlernen, wie eine Bewegung auszuführen ist, sondern auch warum es effektiv ist, die Technik so und nicht anders zu spielen. Diese Sichtweise deckt sich mit den in den Richtlinien formulierten Aufgaben und Zielen des Gymnasiums in der Sekundarstufe I, wonach „der Wechselbezug von Theorie und Praxis […] ein wesentliches Merkmal eines Unterrichts [ist], der wissenschaftspropädeutisches Arbeiten vorbereiten soll“ (MSWF 2001, 19). Für den Rückhand-Schupf bedeutet dies, dass die SuS in der kognitiven Phase anhand eines praktischen „Experiments“ Kenntnisse über die physikalischen Gesetzmäßigkeiten erwerben, die erklären, warum sich ein in Rotation befindlicher (Tischtennis-)Ball beim Auftreffen auf den Schläger „komisch“ und scheinbar unberechenbar verhält. Diese reflexiven Prozesse fördern zudem ein schnelleres Bewegungslernen, da die SuS in der Übungsphase den Winkel ihres Schlägerblattes nicht mehr nach dem Prinzip „Versuch und Irrtum“ variieren müssen, bis sie eine günstige Schlägerblattstellung gefunden haben, sondern anhand ihres theoretischen Vorwissens für ihre Bewegungsausführung sofort praktische Schlüsse aus dem Absprungverhalten des Balles vom Schläger ziehen können (vgl. DTTB 2003, 7). Zudem lässt sich ebenfalls davon ausgehen, dass es durch diese theoretisch untermauerten Erkenntnisstrukturen zu einem Transfereffekt und somit zu einem schnelleren Erarbeitungs- und Vermittlungserfolg kommt, wenn in weiteren Unterrichtseinheiten Topspin-Schläge mit Vorwärts-Drall eingeführt werden. Das Genetische Prinzip entspricht damit ebenfalls dem exemplarischen Lernen, da die SuS durch die induktive „Fallanalyse“ von Unterschnittbällen besonders anschaulich und prägnant auf das Allgemeine bzw. Elementare, sprich Effetbälle jeglicher Art schließen können.
Der für die Erreichung dieser anspruchsvollen kognitiven Lernziele erforderliche umfangreiche Theorieanteil wirkt sich natürlich zwangsläufig negativ auf die Bewegungs- bzw. Übungszeit aus. Daher erwarte ich, dass die Mehrzahl der SuS am Stundenende lediglich in der Lage sein werden, den Schupf in einer für das Zielspiel noch ungeeigneten Grobform halbhoch mit geringer Eigenrotation auszuführen. Diese vorhersehbaren – übungszeitbedingten – technischen Ausführungsmängel werden daher in der folgenden (fast) reinen Übungsstunde erneut aufgegriffen und die Technik unter binnendifferenzierenden Gesichtspunkten möglichst bis hin zur Feinform verbessert.
[...]
[1] Unter PTRF-Effekten versteht man die Parameter Platzierungs-, Tempo-, Rotations- und Flughöhenentscheid.
[2] So ist im Tischtennis nicht wie in den meisten anderen Sportarten das Geschlecht die leistungsbestimmende
Determinante, entscheidender ist vielmehr die individuelle Spielerfahrung. Aus koedukativer bzw.
erzieherischer Sicht eröffnet sich daher für die körperlich schwächeren Mädchen als auch für retardierte
Jungen die Möglichkeit, sich selbst als sportlich leistungs- und konkurrenzfähig zu erfahren.
[3] Pädagogische Perspektive A: „Wahrnehmungsfähigkeit verbessern, Bewegungserfahrungen erweitern“ (vgl.
MSWF 2001, 35).
[4] Der Ablauf eines Genetischen Lehrgangs ist nach Wagenschein durch die Struktur Phänomen → Problem →
Lösung(en) → Üben gekennzeichnet (vgl. Loibl 2001, 20).
- Citar trabajo
- Wolfgang Holste (Autor), 2007, Schlagtechniken im Tischtennis, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/137889