Bildungs- und Berufsberatung erhält vor dem Hintergrund des Lebenslangen Lernens eine zunehmende Bedeutung für den einzelnen Menschen zur Verwirklichung seiner individuellen Laufbahngestaltung. Historisch kommen Bildungsberatung und Berufsberatung aus unterschiedlichen Kontexten. Diese Arbeit zeichnet Entwicklungslinien, Herausforderungen und Aufgabenstellungen von Bildungs- und Berufsberatung nach.
In diesem Sinne werden Berufsberatung und Bildungsberatung in ihrer bisherigen Entwicklung getrennt betrachtet (Kapitel 2 und 3), hinsichtlich ihrer aktuellen und künftigen Bedeutung jedoch als Bildungs- und Berufsberatung zusammen gefasst (Kapitel 4 und 5); die Berechtigung hierzu wird aus der international angestoßenen Betrachtung von „Beratung in Bildung, Beruf und Beschäftigung“ abgeleitet, mögliche bildungspolitische Schlussfolgerungen für Bildungs- und Berufsberatung werden in Kapitel 6 beleuchtet.
GLIEDERUNG
1. Annäherung an das Thema
1.1 Mein persönlicher Bezug zum Thema
1.2 Begriffliche Annäherungen
1.2.1 Begriff der Berufsberatung
1.2.2 Begriff der Bildungsberatung
1.2.3 Beratung in Bildung, Beruf und Beschäftigung
2. Entwicklungen der Berufsberatung in Deutschland
2.1 Entwicklung der Berufsberatung bis 1997
2.2 Entwicklung der Berufsberatung seit 1998
2.2.1 Entwicklung der öffentlichen Berufsberatung seit 1998
2.2.2 Entwicklung nicht-öffentlicher Beratungsangebote
3. Entwicklungen der Bildungsberatung in Deutschland
3.1 Entwicklungen in der Bildungsberatung bis in die 1980er Jahre
3.2. Entwicklungen in der Bildungsberatung ab den 1990er Jahren
4. Lebenslanges Lernen und Individualisierung als Herausforderung für Gesellschaft und den einzelnen Menschen
4.1. Lernen - von einer Lebensabschnittsaufgabe zur Lebensaufgabe
4.2. Von der "Normalbiografie" zur - "Patchwork-Biografie" - zur Individualisierung der Lebensläufe
4.3. Rolle von Bildungsberatung und Berufsberatung bei der Bewältigung gesellschaftlicher und individueller Herausforderungen
5. Aktuelle Diskussion zur Aufgabenstellung an Berufsberatung und Bildungsberatung aus bildungspolitischer Sicht
5.1. Die EU-Entschließung vom 28.05.2004
5.2. Empfehlungen des Innovationskreises Weiterbildung bezüglich „Bildungsberatung einschließlich Berufsberatung“, 2008
6. Fazit und Ausblick: Bildungs- und Berufsberatung als bildungspolitische Aufgabenstellung zur Förderung des Lernens im Lebenslauf
Literaturverzeichnis
1. Annäherung an das Thema
1.1 Mein persönlicher Bezug zum Thema
In meiner elfjährigen Tätigkeit als Berufsberater (1994-2005) habe ich die Bedeutung, Möglichkeit und Grenzen von Berufsberatung für berufliche Entscheidungen junger Menschen kennen gelernt. Die Bedeutung von Bildungsberatung im Kontext von Bildung, insbesondere von Weiterbildung, hat sich mir durch Durcharbeiten entsprechender Studienbriefe erschlossen (insb. Tippelt 2006, Gieseke 2004a, Gieseke 2004b). In den Empfehlungen des Innovationskreises Weiterbildung, eingesetzt vom Bundesministerium für Bildung und Forschung, an denen u.a. auch Prof. Dr. Arnold mitgewirkt hat, war u.a. von erforderlichen Weiterentwicklungen der „Bildungsberatung einschließlich Berufsberatung“ die Rede (BMBF 2008, Seite 17). Meine inhaltliche Befassung mit den Themen Bildungsberatung und Berufsberatung einerseits wie die gemeinsame Erwähnung beider Begriffe in einer bildungspolitisch wichtigen Expertise andererseits war für mich Motiv, Bildungsberatung und Berufsberatung zum Thema meiner Hausarbeit zu machen.
In der hier vorgelegten Hausarbeit werden Berufsberatung und Bildungsberatung in ihrer bisherigen Entwicklung getrennt betrachtet (Kapitel 2 und 3), hinsichtlich ihrer aktuellen und künftigen Bedeutung jedoch als Bildungs- und Berufsberatung zusammen gefasst (Kapitel 4 und 5); die Berechtigung hierzu wird aus der international angestoßenen Betrachtung von „Beratung in Bildung, Beruf und Beschäftigung“ abgeleitet, mögliche bildungspolitische Schlussfolgerungen für Bildungs- und Berufsberatung werden in Kapitel 6 beleuchtet.
1.2 Begriffliche Annäherungen
1.2.1 Begriff der Berufsberatung
Berufsberatung wurde in Deutschland geschichtlich als staatliche Aufgabe betrachtet (siehe unten Abschnitt 2.1.) und zu diesem Zweck auch gesetzlich definiert. Die gesetzliche Definition von Berufsberatung als „Erteilung als Auskunft und Rat“ geht auf 1927 zurück und hat sich trotz verschiedener Gesetzesnovellen seitdem nicht wesentlich verändert (Thiel 2004, Seite 909). Diese gesetzliche Betrachtungsweise geht davon aus, dass Beratung durch einen Beratungsexperten an einen Menschen durch „Erteilung eines Ratschlages“ erfolgt und impliziert, dass dieser Beratungsexperte „die beste Lösung weiß“ und sich anweisend/ unterrichtend verhält, und das „ratsuchende“ Individuum diesem Vorschlag am besten folgt. Beratung erfolgt hier durch einmalige Intervention. Diese Denkweise, die aus einer juristischen Definition folgt, wird in Fachkreisen kritisiert. Zum Verhältnis der Begriffe „Rat“ und Beratung postuliert Wilhelm Mader, Professor in der Erwachsenenbildung: „Beratung dient letztlich einer günstigeren Entscheidungssituation für den Ratsuchenden und nicht der Erarbeitung eines Rates, wie er sich entscheiden solle“ (Mader 1999, Seite 325, zitiert nach Höffer-Mehlmer 2004, Seite 78). Zur Interpretation des Beratungsbegriffs in der Berufsberatung werden weitere Ausführungen unten in Abschnitt 2.1 folgen.
In der internationalen Diskussion steht die juristische Definition von Berufsberatung als „Erteilung von Auskunft und Rat“ an einem Ende eines Kontinuums denkbarer Beratungsverständnisse - andere Überlegungen betrachten den Beratenden eher als Begleiter oder Entwickler, der den Klienten auf seinen Erkenntnisprozessen professionell zur Seite steht, davon ausgeht, dass die „beste Lösung“ der Klient weiß und die Verantwortung für das Beratungsergebnis demzufolge beim Klienten liegt, die Verantwortung für den professionellen Beratungsprozess allerdings beim Berater bleibt. So verstandene Beratung findet als Prozess statt. (Haas 2004, Seite 926)
1.2.2 Begriff der Bildungsberatung
Der Begriff der Bildungsberatung wurde in Zusammenhang mit der Einrichtung von Bildungsberatungsstellen in Baden-Württemberg in die Diskussion eingeführt (Tippelt 2006, Seite 5)
In der Literatur überwiegt die Betrachtung von Bildungsberatung im Kontext von Schullaufbahnberatung und Lernberatung im Schulsystem. (Gieseke 2004b, Seite 17). Bildungsberatung für Erwachsene wird unter dem Begriff Weiterbildungsberatung betrachtet. Für Weiterbildungsberatung im Besonderen wie für Bildungsberatung im Ganzen gilt hierbei, dass sie analog zu anderen Feldern psychologisch/pädagogischer Beratung ausschließlich dem Interesse der Klienten verpflichtet sein soll (Gieseke 2004b, Seite 15)
Weiterbildungsberatung soll insbesondere helfen, pädagogische und bildungspolitische Ziele der Weiterbildung zu erreichen. (Tippelt 2006, Seite 1).
Weiterbildungsberatung stellt darüber hinaus auch ein Scharnier zwischen Angebot und Nachfrage auf dem Weiterbildungsmarkt dar und hat somit die Aufgabe einer aktiven Vermittlung zwischen Institution und Individuum. (Tippelt 2006, Seite 2)
Der Definition von Uta Klevenov folgend, ist Weiterbildungsberatung „... eine Kommunikationssituation mit einem Berater, in die die Persönlichkeit des Ratsuchenden und seine Lebenssituation einbezogen werden. Anlass der Kommunikation ist das Interesse des Ratsuchenden an einer Unterstützung für die Lösung einer Entscheidungs- und Problemsituation. Gegenstand der Beratung können Fragen der Wahl von Bildungswegen sein, aber auch solche, die eher als Lernberatung bezeichnet werden.“ (Klevenov 1980, Seite 8, zitiert nach Gieseke 2004b, Seite 17)
Weiterbildungsberatung wird zum einen als personenorientierte Beratung, zum anderen als organisationsbezogene Beratung beschrieben. Personenbezogene Beratung unterscheidet sich in Lernberatung und in Bildungslaufbahn- oder Kompetenzentwicklungsberatung. Organisationsbezogene Beratung findet zum einen als Qualifizierungsberatung für Betriebe, zum anderen als Organisationsberatung für Weiterbildungseinrichtungen statt. (Schiersmann & Thiel 2004, Seite 893)
1.2.3 Beratung in Bildung, Beruf und Beschäftigung
Eine einheitliche Definition von Bildungs-, Berufs- und Beschäftigungsberatung existiert nicht, jedoch wird in Europa dieser Begriff meist auf „eine Reihe miteinander verzahnter Dienstleistungen bezogen, die ... zum Ziel haben, ... Einzelpersonen und Gruppen zu befähigen, unabhängig von ihrem Alter und dem jeweiligen Zeitpunkt in ihrem Leben Entscheidungen in Bezug auf ihre Bildungs-, Ausbildungs- und Berufslaufbahn (zu) treffen und ihren Lebensweg effektiv steuern zu können.“ (Ramboll-Studie 2007, Seite 7)
In der Definition von Bildungs-, Berufs- und Beschäftigungsberatung, die die Ramboll-Studie zugrunde legt, wird von einer interpersonalen Dienstleistung ausgegangen, womit u.a. die zur Bildungsberatung gehörende Qualifizierungsberatung (siehe oben 1.2.2.) ausgegrenzt wird (Ramboll-Studie 2007, Seite 10)
Die durch internationale Studien induzierte und durch die Ramboll-Studie 2007 zusammen gefasste Entwicklung um die so bezeichnete Beratung in Bildung, Beruf und Beschäftigung ist noch recht neu. Semantisch scheint sich eine Verkürzung dieses recht sperrigen Begriffs zu dem der „Bildungs- und Berufsberatung“ anzudeuten (vgl. Schiersmann 2008 – Titel: „Qualität und Professionalität in Bildungs- und Berufsberatung“).
2. Entwicklungen der Berufsberatung in Deutschland
2.1 Entwicklung der Berufsberatung bis 1997
Industrialisierung und Diversifizierung der Produktionsabläufe hatten zu Beginn des 20.Jahrhunderts u.a. zur Folge, dass sich eine unübersichtliche Vielzahl an Berufen entwickelte, mit der Folge, dass ein zunehmender Bedarf an Beruflicher Beratung entstand. Initiativen, diesen Bedarf zu decken, entstanden zunächst in den Schulen durch die Lehrerschaft, im Rahmen der Frauenbewegung, durch Innungen und Handwerkskammern, durch Gewerkschaften und Verbände sowie durch öffentliche Arbeitsnachweise. (Hartwig 1959, Seite 29-33). In mehreren Schritten ab 1922 wurde dann die öffentliche Berufsberatung bei der Arbeitsverwaltung angesiedelt. (Hartwig 1959, Seite 46 bis 58).
Bis 1997 war Berufsberatung als alleinige Aufgabe der staatlichen Arbeitsverwaltung übertragen. Die Begründung für dieses staatliche Alleinrecht wurde seinerzeit in der herausragenden Bedeutung des Grundrechts auf freie Berufswahl nach Artikel 12 Grundgesetz gesehen, die ihrerseits einer Unterstützung durch unparteiische, unabhängige und jedermann zugängliche Beratungsstellen bedürfe. Berufswahl wurde vor allem als die erstmalige und einmalige Berufswahl junger Menschen verstanden, das staatliche Alleinrecht auf Ausübung von Berufsberatung war vor diesem Hintergrund vor allem mit den Schutzbedürfnissen jugendlicher Berufswähler begründet. (Thiel 2004, Seite 909)
Das damalige Aufgabenverständnis der öffentlichen Berufsberatung war nach Auffassung der Bundesanstalt für Arbeit (heute: Bundesagentur für Arbeit), den Menschen bei seinen eigenverantwortlichen und sachkundigen Ausbildungs-, Studien- und Berufsentscheidungen zu unterstützen und hierbei im Einzelnen bei der Entwicklung personen- und sachgerechter Entscheidungskriterien, bei der Erarbeitung beruflicher Präferenzen und den Entwurf tragfähiger Handlungsstrategien zu unterstützen. (Ertelt/Schulz 1997, Seite 5)
2.2 Entwicklung der Berufsberatung seit 1998
2.2.1 Entwicklung der öffentlichen Berufsberatung seit 1998
Mit Inkrafttreten des Sozialgesetzbuch Teil III wurde das bis dahin bestehende Alleinrecht der damaligen Bundesanstalt für Arbeit auf Ausübung von Berufsberatung ersatzlos gestrichen. Als Grund hierfür wurde die Entstehung neuer Beratungsformen und –inhalte, wie etwa Karriereberatung, Coaching oder Bildungsberatung im Alter genannt, die unter den Vorzeichen eines fortbestehenden staatlichen Monopols eine kostenintensive Ausweitung des Beratungspersonals im öffentlichen Dienst erfordert hätten. (Ramboll-Studie 2007, Seite 16)
Die Entwicklung der öffentlichen Berufsberatung seit 1998 wird kritisch diskutiert. So wird auf die Problematik hingewiesen, dass Jugendliche, in deren Familie Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) bezogen werden, von der Berufsberatung der Bundesagentur für Arbeit beraten werden, bei Vermittlung einer Ausbildungsstelle jedoch vom Träger der Dienstleistungen des SGB II (meist die Arbeitsgemeinschaften zwischen Bundesagentur und Kommunen) betreut werden, wodurch Reibungsverluste entstehen (GEW 2007, Seite 20)
Auf Kritik stieß ferner die Entscheidung der Bundesagentur für Arbeit, so genannte Handlungsprogramme in der Bundesagentur für Arbeit einzuführen, wodurch in der Beratung von Arbeits- und Ausbildungssuchende für jede Kundengruppe spezifische Beratungsziele definiert würden, was den notwendigen Subjektbezug von Beratung konterkariere (GEW 2007, Seite 21).
Insgesamt wird ein Trend der öffentlichen Hand festgestellt, sich nach Aufhebung des Berufsberatungsmonopols 1998 sukzessive aus bestimmten Beratungssegmenten zurückzuziehen, mit der Folge, dass ein begrenztes Angebot öffentlich finanzierter Beratung zur Verfügung steht, das nicht dem wachsenden Beratungsbedarf entspricht. (Ramboll-Studie 2007, Seite 332)
2.2.2 Entwicklung nicht-öffentlicher Beratungsangebote
Unter der Beratungsbezeichnung Karriereberatung, Personalberatung und Laufbahnberatung hat sich seit 1998 eine Anzahl privater Beratungsanbieter in Deutschland etabliert. Die Besonderheit privater Beratungsangebote liegt darin, dass sie durch den Klienten als Selbstzahler finanziert werden muss. Eine kostendeckende Beratungsstunde würde mindestens fünfzig Euro kosten (Ramboll-Studie 2007, Seite 99), was zur Auffassung führt, dass privat finanzierte Beratung als Karriereberatung oder Coaching nur für finanziell besser gestellte Klienten von Interesse ist, nicht aber als flächendeckendes marktfähiges Angebot (Ramboll-Studie 2007, Seite 332).
3. Entwicklungen der Bildungsberatung in Deutschland
3.1 Entwicklungen in der Bildungsberatung bis in die 1980er Jahre
Bildungsberatung ist historisch im unmittelbaren Kontext mit dem Beginn der Bildungsreform in den 1960er Jahren zu sehen – sie gehört in diesem Sinne zu den frühesten Anfängen der Bildungsreform (Gieseke 2004b, Seite 99). Die Entwicklung der Bildungsberatung nahm ihren Anfang durch die Einrichtung von Bildungsberatungsstellen in Baden-Württemberg. Der Gedanke wurde bundesweit aufgegriffen; Bildungsberatung sollte demzufolge einen Beratungsdienst für den Elementarbereich, für Schule und Weiterbildung umfassen. (Tippelt 2006, Seite 5 bis 7)
In den 1970er Jahren wurden die ersten Modellprojekte trägerübergreifender Beratung initiiert. Es handelte sich meist um kommunale Weiterbildungsberatungsstellen. (Tippelt 2006, Seite 33)
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- Arbeit zitieren
- Achim Wagner (Autor:in), 2009, Bildungs- und Berufsberatung in Deutschland , München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/137474
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