Dass deskriptive Akkuratesse und leicht rekonstruierbare
Handlungsstränge in keiner Weise auf das Werk „Bebuquin – und die Dilettanten des Wunders“ von Carl Einstein zureffen, bemerkte bereits Franz Blei, der das Geleitwort zur Veröffentlichung in Form eines öffentlichen Briefes an den Autor schrieb. Das Werk
widerspricht jeglicher Konvention und wirft in diesem Zusammenhang die Frage auf: „Geht es auch anders?“.
Man muss nicht lange suchen, um den Text selber antworten zu lassen: „Das Künstlerische beginnt mit dem Wort anders.“ Um diese These weiter zu bekräftigen, konstatiert die Figur Bebuquin: „Ich lebe nur noch vom Wort anders. Ich kann die Gleichheit nicht gebrauchen.“ Durchaus lebt dieser Text von seiner Andersheit und seiner experimentellen Komposition. Allerdings resultieren aus diesen Aspekten verschiedene Vorurteile, welche es zu dementieren gilt. Dazu gehört beispielsweise die Annahme, dass das Werk nicht als ein Ganzes zu bezeichnen ist und aus einzelnen eigenständigen Fragmenten besteht. Weiterhin wird den Teilen eine übergreifende Handlung und somit ein „roter Faden“ im Gesamtwerk abgesprochen. Ziel dieser Untersuchung ist es, Indizien für das Vorhandensein
kapitelübergreifender Handlungsstränge innerhalb des Werkes zu finden und an einem Beispiel zu exerzieren. Methodentechnisch ist dabei festzuhalten, dass der Text von innen beleuchtet wird, um somit eindeutige Hinweise einer möglichen Antwort finden zu können.
Inhalt
1. Einleitung
2. Analyse zur Ganzheit des Textes
2.1 Äußere Verbindung: Realität und Textrealität
2.2 Innere Verbindung: episodenübergreifende Prozessualität
3. Prozessualität: Das Ableben Nebukadnezar Böhms
4. Schluss
5. Bibliografie
1. Einleitung
„Lieber Herr Einstein, der Verlag ersucht mich, Ihrem Buch der höchstkonsolidierten Intellektualität, diesem Logbuch einer Seefahrt um alle Kape einer zu Schanden gewordenen Hoffnung auf die Restitution eines wirklich gebildeten Lesers, diesem Buche, das wahrhaft ein Buch, aber keine Unterhaltung, keine Bestätigung des Lesers in seiner verrottetsten und albernsten Gewöhnung, keine akurate Beschreiberei des allen Geläufigen ist und darin mit Brillanz excelliert, diesem mathematischen Buche geistigen Verhaltens und Ver-Haltens, --diesem Buche eine Einführung zu schreiben ersucht mich Ihr Verlag. . .“1
Dass deskriptive Akkuratesse und leicht rekonstruierbare Handlungsstränge in keiner Weise auf das Werk „Bebuquin – und die Dilettanten des Wunders“ von Carl Einstein zutreffen, bemerkte bereits Franz Blei, der das Geleitwort zur Veröffentlichung in Form eines öffentlichen Briefes an den Autor schrieb. Das Werk widerspricht jeglicher Konvention und wirft in diesem Zusammenhang die Frage auf: „Geht es auch anders?“. Man muss nicht lange suchen, um den Text selber antworten zu lassen: „Das Künstlerische beginnt mit dem Wort anders.“2 Um diese These weiter zu bekräftigen, konstatiert die Figur Bebuquin: „Ich lebe nur noch vom Wort anders. Ich kann die Gleichheit nicht gebrauchen.“3 Durchaus lebt dieser Text von seiner Andersheit und seiner experimentellen Komposition. Allerdings resultieren aus diesen Aspekten verschiedene Vorurteile, welche es zu dementieren gilt. Dazu gehört beispielsweise die Annahme, dass das Werk nicht als ein Ganzes zu bezeichnen ist und aus einzelnen eigenständigen Fragmenten besteht. Weiterhin wird den Teilen eine übergreifende Handlung und somit ein „roter Faden“ im Gesamtwerk abgesprochen. Ziel dieser Untersuchung ist es, Indizien für das Vorhandensein kapitelübergreifender Handlungsstränge innerhalb des Werkes zu finden und an einem Beispiel zu exerzieren. Methodentechnisch ist dabei festzuhalten, dass der Text von innen beleuchtet wird, um somit eindeutige Hinweise einer möglichen Antwort finden zu können.
2. Analyse zur Ganzheit des Textes
Bei der Untersuchung der Textkohärenz finden sich zwei verschiedene Analyseansätze, welche das Werk als ein Ganzes aus zusammengehörigen Teilen definieren. Einerseits ist der Text dadurch verbunden, dass die Textrealität zur Realität nicht genau abgegrenzt wird. Diese äußere Verbundenheit ist eine wichtige Komponente des Textes, welche zusammen mit dem zweiten Analyseansatz, dem Aufzeigen einer episodenübergreifenden Handlung inform einer inneren Verbundenheit den Text als ein Ganzes repräsentiert. Das Letztere soll hierbei den Schwerpunkt der Analyse bilden, da in diesem Zusammenhang der Sterbevorgang der Figur Böhm ein prädestiniertes Beispiel für diese Verbundenheit darstellt.
2.1 Äußere Verbindung: Realität und Textrealität
Die schwache Grenzziehung von der Textrealität zur Realität kann den Eindruck erwecken, dass eine Ganzheit des Textes nicht besteht und dieser demzufolge einen fragmentarischen Charakter trägt. Diesem Einwurf möchte ich widersprechen, denn ich behaupte, dass gerade durch das explizite Aufzeigen zweier Realitäten eine Grenze zwischen beiden deutlich wird. Um den daraus resultierenden scheinbar paradoxalen Tatbestand zu erläutern, sollte im Voraus eine kurze triviale Vorbemerkung anklingen: Durch bestimmte Aussagen und Wörter im Text, welche sich auf die Realität außerhalb des Textes beziehen, sieht sich der Rezipient stärker einen eigenständigen Text gegenübergestellt und die Betrachtung seiner Ganzheit bekommt in diesem Sinne das Prädikat der Unterschwelligkeit. Die Bezüge zur Außertextrealität sollen im Folgenden erläutert werden.
Bereits im Untertitel des ersten Kapitels markiert das Wort „Vorspiel“ einen besonderen Textmodus. Statt einer Betitelung mit den Worten Einleitung, Prolog oder Anfang kann aus dem Wort „Vorspiel“ geschlossen werden, dass es auf den Charakter einer theatralen Inszenierung des Nachfolgenden hinweist.4 Ein weiteres Indiz dieser Theatralität findet sich am Ende des ersten Kapitels. Statt einer Überleitung zum nächsten Kapitel endet dieses nach dem Ausspruch Bebuquins mit folgendem Satz: „Spitzengardinen werden zugezogen“5. Dadurch klingt „die Vorstellung eines Theatervorhangs an“6. Das Motiv des Vorgangs erscheint abermals an einer anderen Stelle im Text, als die Figur Heinrich Lippenknabe ein Lied beginnt, „das der bleiche lange Piccolo mit dem Rauschen der Vorhänge und dem Klingen der metallenen Schnürgriffe accentuierte“7. Diese geräuschvolle Gesangsbegleitung besitzt einige Komponenten, die nicht im inhaltlichen Zusammenhang des fünftes Kapitels stehen: Einerseits ist dies die Figur des Piccolos, welche nur einmalig für ihre Aufgabe auftaucht und keine weitere Rolle mehr im Kapitel spielt. Andererseits existiert der Eindruck von Theatervorgängen zum wiederholten Mal, obwohl diese Szene in einem Café spielt. Des Weiteren besitzt der ganze Satz eher den Charakter eines Berichtes eins Theaterbesuchers. Dies ist auch an der Stelle zu beobachten, als Nebukadnezar Böhm bei Bebuquin im zweiten Kapitel auftaucht. Dort ist sein Auftreten nach einem kurzen Ausruf folgendermaßen untermalert: „Leuchtende kleine Wolken glühten auf, und ein Vorhang aus Mull mit zarten Blumen überdeckt, wurde auseinandergezogen.“8 Neben der Nennung von Vorhängen und des Vorhandenseins eines Vorspiels reiht sich ein weiterer Begriff zum Assoziationsspektrum des Theaters ein: die Bühne. So besitzt der Ausruf der Schauspielerin Fredegonde Perlenblick „Drehbühne!“9 Regieanweisungsäquivalenz. Anbei kann bemerkt werden, dass die Nennung der Figur als Schauspielerin ein weiteres Indiz für die theatrale Inszenierung des Textes sein könnte. Dies wird dadurch zementiert, dass sie in diesem Stück zwar den Namen Fredegonde Perlenblick trägt, in anderen Stücken jedoch „auf den Namen Mah bei jüngeren Liebhabern, Lou, wenn sie dämonisch war, und Bea, wenn sie eine Familie zu ersetzen suchte“10 hörte.
Neben der theatralen Grenzziehung der beiden Realitäten arbeitet der Text auch mit dem Aspekt, dass er die außertextliche Realität thematisiert bzw. sich selbst als geschriebener oder gerade zu schreibender Text sieht. Dies wird als erstes an der Stelle bewusst, als Bebuquin selbst äußert, „welch schlechter Romanstoff“11 er sei. An einer anderen Stelle erscheint sogar der Text nicht nur als Geschichte, sondern auch als verfasstes Manuskript mit der Kennzeichnung „Sic“12. Sic ist nicht nur der lateinische Ausruf „so!“13, sondern „dient auch zur Bezeichnung besonderer Textstellen“14. Im neunten Kapitel spricht der Text gewissermaßen den Wunsch bzw. die Empfehlung aus, den Autor zu wechseln. Durch diese Bemerkung wird vor allem das Vorhandensein einer innertextlichen Realität und die Eigenständigkeit des Textes konstatiert, da diese Bemerkung zu dem Autorenwechsel nicht gerade als konventionelle Äußerung in einem Text zu betrachten ist: „Jetzt mag d’Annunzio weiterschreiben.“15 Ein weiterer Punkt, an dem eine Trennung der beiden Realitäten schwer möglich ist, ist im 15. Kapitel zu erfahren. Es ist historisch korrekt, dass Carl Einstein sein Werk „Bebuquin“ nachträglich André Gide gewidmet hat16. Nicht deutlich ist aber die Widmung bzw. Adressierung an die Künstlerin Anita Rée. Von wem und weshalb das 15. Kapitel mit „Für Frl. Anita Rée“17 überschrieben ist, kann nicht geklärt werden und ist ein weiterer Beweis für die weiche Grenzziehung zwischen den beiden Realitäten. Ein letzt zu nennender Übergriff der innertextlichen Realität auf das Werk an sich inform einer Reflexion auf ein vorheriges Kapitel als Zeitangabe wird durch folgenden Ausspruch Bebuquins dargestellt: „Herr, gib mir ein Wunder, wir suchen es seit Kapitel eins.“18
2.2 Innere Verbindung: episodenübergreifende Prozessualität
Matthias Luserke-Jaqui vertrat die Ansicht, dass Carl Einstein in Bebuquin auf chronologische Muster und die Entwicklung einer Handlung verzichtet. Des Weiteren konstatiert er, dass Einstein lediglich handlungsähnliche Episoden aneinanderfügt hat, bei denen die Zuordnung von Handlungselementen und Figuren
[...]
1 Joseph L. Brockington: Vier Pole expressionistischer Prosa. Kasmir Edschmid, Carl Einstein, Alfred Döblin, August Stramm., New York: Peter Lang Publishing, 1987, S. 83
2 BEB S. 15
3 ebd. S. 38
4 vgl. Matthias Luserke-Jaqui: Carl Einstein: Bebuquin (1912) als Anti-Prometheus oder Plädoyer für das »zerschlagene Wort«. In: Deutschsprachige Romane der klassischen Moderne, hgg. von Matthias Luserke-Jaqui, Berlin: Walter de Gruyer GmbH, 2008, S. 118
5 BEB S. 6
6 Thomas Krämer: Carl Einsteins „Bebuquin“: Romantheorie und Textkonstitution, Würzburg: Königshausen & Neumann, 1991, S. 118
7 BEB S. 14
8 ebd. S. 8
9 ebd. S. 24
10 ebd. S. 22
11 BEB S. 8
12 ebd. S. 18
13 vgl. Duden. Die neue deutsche Rechtschreibung, 24., völlig neu bearbeitete und erweiterte Auflage, Mannheim: Brockhaus, 2006, S. 931
14 http://www.dwds.de/?kompakt=1&qu=sic (12.07.09, 15:50)
15 BEB S. 25
16 vgl. Matthias Luserke-Jaqui: Carl Einstein: Bebuquin (1912) als Anti-Prometheus oder Plädoyer für das »zerschlagene Wort«. In: Deutschsprachige Romane der klassischen Moderne, hgg. von Matthias Luserke-Jaqui, Berlin: Walter de Gruyer GmbH, 2008, S. 114
17 BEB S. 41
18 ebd. S. 34
- Quote paper
- Sebastian Nentwich (Author), 2009, Das Ableben Nebukadnezar Böhms, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/137403
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