Diese Bachelorarbeit bietet eine eingehende Untersuchung zur Berichterstattung über sexuellen Missbrauch von Minderjährigen und Jugendlichen (SMKJ) und Kinderpornografie (KP) in deutschen Tageszeitungen zwischen 2018 und 2022. Sie untersucht, wie die Berichterstattung durch die steigende Prävalenz dieser Verbrechen, die Corona-Pandemie und den Krieg in der Ukraine beeinflusst wurde.
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Gender Disclaimer
1 Einleitung
1.1 RelevanzdesThemas
1.2 Stand der Forschung
1.3 Forschungsfrage und Ziel der Arbeit
1.4 Methodik und Aufbau der Arbeit
2 Definitionen, Sachlage und theoretische Hintergründe
2.1 Gesetze und Definitionen
2.1.1 Sexueller Missbrauch von Kindern im Strafrecht
2.1.2 Sexueller Missbrauch von Jugendlichen im Strafrecht
2.1.3 Kinderpornografie im Strafrecht
2.1.4 Gesetz zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder
2.2 Sachlage zu SMKJ und KP
2.2.1 Polizeiliche erfasste Fälle zwischen 2018 und 2022
2.2.2 Chronologie medial bedeutungsvoller Missbrauchskomplexe
2.2.3 Kirchliche Missbrauchsstudien zwischen 2018 und 2022
2.3 TheoretischeHintergründe
2.3.1 Agenda-Setting-Theorie
2.3.2 Framing-Theorie
2.3.3 Nachrichtenwert-Theorie
2.3.4 Normative Medientheorie
3 Gesamtanlage der Untersuchung
3.1 Quantitative Medieninhaltsanalyse
3.1.1 Untersuchungsobjekte
3.1.2 Untersuchungszeitraum
3.1.3 Stichprobe
3.1.4 KategorienundCodebücher
3.1.5 Datenerhebung
3.1.6 Datenbereinigung, -aufbereitung und Datensicherung
3.1.7 Auswertung
3.2 Unstrukturierte Experteninterviews
3.2.1 Leitfaden
3.2.2 Expertenauswahl
3.2.3 Durchführung, Transkription und Datensicherung
3.2.4 Qualitative Inhaltsanalyse
4 Ergebnisse der Forschungsarbeit
4.1 Ergebnissederquantitativen Inhaltsanalyse
4.1.1 Ergebnisse zur Häufigkeit der Artikel
4.1.2 Ergebnissezu Umfang und Positionierung derArtikel
4.1.3 Ergebnisse zur Häufigkeit bestimmter Hauptpersonen
4.1.4 Ergebnisse zur Häufigkeit bestimmter Themenbereiche
4.1.5 Krisen und Berichterstattung über SMKJ und KP
4.2 Ergebnisse der unstrukturierte Experteninterviews
4.2.1 Positive Aspekte der Berichterstattung über SMKJ und KP
4.2.2 Negative Aspekte der Berichterstattung über SMKJ und KP
4.2.3 Wünsche zur Berichterstattung über SMKJ und KP
4.2.4 WeitereHintergründe
5 Diskussion der Ergebnisse 35
5.1 Häufigkeit von Artikeln und Fallzahlen zu SMKJ und KP
5.2 Gewichtung von Artikeln und Fallzahlen zu SMKJ und KP
5.3 Häufigkeit bestimmter Personen und Themenbereiche
5.4 Krisen und Berichterstattung über SMKJ und KP
5.5 Qualität der Berichterstattung über SMKJ und KP
5.6 Verbesserungspotenzial in der Berichterstattung über SMKJ und KP
5.7 Weitere Erkenntnisse und Implikationen
6 Fazit
Literaturverzeichnis
Anhangsverzeichnis
Zusammenfassung
Diese Bachelor-Arbeit untersucht die Berichterstattung über sexuellen Missbrauch von Minderjährigen und Jugendlichen (SMKJ) und Kinderpornografie (KP) in deutschen Tageszeitungen zwischen 2018 und 2022. Es wird analysiert, ob die zunehmende Prävalenz dieser Verbrechen die Quantität und Qualität der Berichterstattung vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie und des UkraineKrieges beeinflusste. Die Forschung zielt darauf ab, eine Lücke in der aktuellen Literatur zu schließen und weitere Fragen zu generieren.
Die Resultate der Studie zeigen, dass die untersuchten Zeitungen das Thema trotz des Ausbruchs von Pandemie und Kriege in gleichbleibender Häufigkeit abdeckten. Es konnte festgestellt werden, dass Anstiege der Fallzahlen die Häufigkeit von Artikeln zu SMKJ und KP nicht beeinflussten. Auch Einflüsse auf die Gewichtung der Artikel, also deren Umfang und Positionierung, konnten nicht festgestellt werden. Zentrale Perspektiven und Themenbereiche der Artikel wurden durch die Fallzahlen ebenso wenig beeinflusst. Dagegen fiel auf, dass sich die Rangfolge derzentralen Themenschwerpunkte und Perspektiven in den Artikeln kaum änderte und sich bei allen untersuchten Zeitungen ähnelte.
Schlussfolgernd konnte festgestellt werden, dass es zu einer Überbetonung bestimmter Sichtweisen und einer Vernachlässigung anderer kam. Außerdem weisen die Resultate daraufhin, dass besonders häufig über sensationelle und schwere Einzelfälle berichtet wurde und damit ein verzerrtes Bild derRealität vermittelt wird.
Abstract
This bachelor’s thesis examines the coverage of sexual abuse of minors and adolescents (SMAM) and child pornography (CP) in German newspapers between 2018 and 2022. It analyzes whether the increasing prevalence of these crimes influenced the quantity and quality of media reporting against the backdrop of the COVID-19 pandemic and the Ukraine conflict. The research aims to fill a gap in the current literature and generate furtherquestions.
The results of the study indicate that the examined newspapers consistently covered the topic, despite the outbreak of the pandemic and the conflict, with no significant changes in frequency. It was found that increases in the number of cases did not affect the frequency of articles on SMAM and CP. Similarly, there were no discernible effects on the weighting of articles in terms of their length and placement. Central perspectives and thematic focuses of the articles were also unaffected by the case numbers. However, it was observed that the ranking of central themes and perspectives in the articles remained relatively stable and exhibited similarities across all newspapers examined.
In conclusion, it was determined that certain perspectives were overemphasized while others where neglected. Additionally, the results indicate that there was a tendency to report fequently on sensational and severe individual cases, potentially resulting in a distorted portrayal ofreality.
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Ablaufderquantitativen Inhaltsanalyse
Abbildung 2: Schritte zur Durchführung von Experteninterviews
Abbildung 3: Ablaufderqualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring
Abbildung 4: Häufigkeit von Artikeln über SMKJ und KP
Abbildung 5: Vergleich derAnzahl von Artikeln über Kindesmissbrauch und KP
Abbildung 6: Artikel über Kindesmissbrauch
Abbildung 7: Artikel über KP
Abbildung 8: Umfang aller untersuchten Artikel im Untersuchungszeitraum
Abbildung 9: Häufigkeit verschiedener Hauptpersonen
Abbildung 10: Häufigkeit bestimmterThemenbereiche
Abbildung 11: Häufigkeit von Themen im Untersuchungszeitraum
Abbildung 12: Fallzahlen und Aufklärungsquote SMK
Abbildung 13: Fallzahlen und Aufklärungsquote KP
Abbildung 14: Fallzahlen Bayern
Abbildung 15: Fallzahlen Baden-Württemberg
Abbildung 16: Fallzahlen Sachsen
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Missbrauchsgutachten im Zeitraum 2018 bis 2022
Tabelle 2: Agenda-Setting-Modelle
Tabelle 3: Framing-Elemente
Tabelle 4: Zwei-Komponenten-Modell der Nachrichtenwert-Theorie
Tabelle 5: Public-Interest-Modell und Qualitätskriterien
Tabelle 6: Untersuchte deutsche Tageszeitungen
Tabelle 7: Keyword-Suche in wiso Datenbank
Tabelle 8: Rangfolge der Hauptpersonen in Artikeln über SMKJ und KP
Tabelle 9: Rangfolge der Themen in den Artikeln über SMKJ und KP
Tabelle 10: Suchergebnisse zu Krisen im Untersuchungszeitraum
Tabelle 11: Codebuch 3 - Experteninterviews
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Gender Disclaimer
Zur besseren Lesbarkeit wird in dieser Arbeit das generische Maskulinum verwendet. Die verwendeten Personenbezeichnungen beziehen sich immer gleichermaßen auf weibliche und männliche Personen. Auf eine Doppelbenennung und gegenderte Bezeichnung wird zugunsten einer besseren Lesbarkeit verzichtet.
1 Einleitung
„Schweigen hilft nur den Tätern“ - ein Satz von Johannes-Willhelm Rörig, dem ehemaligen Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM), der wohl nicht nur gilt wenn es um sexualisierte Gewalt gegen Kinder geht. „Die Dimension von Kindesmissbrauch in Deutschland ist enorm“, schrieb Rörig im Jahr 2017 (S. 58), und: „Schutz vor sexueller Gewalt ist eine echte Daueraufgabe“ (S. 62). Doch trotz der Kampfansage Rörigs kam es ein paar Jahre später zu starken Anstiegen der Fallzahlen: „Mehr Missbrauch im Netz durch die Pandemie“ titelte die Tagesschau zum Ende des ersten Jahres der Corona-Pandemie (2020). Und polizeiliche Zahlen belegen den Anstieg: Zwischen 2019 und 2021 war die Zahl der Kinder, die Opfer sexuellen Missbrauchs geworden waren, um 1.797 angewachsen (BKA, 2023a). 2021 fiel außerdem ein rasanter Anstieg der Verbreitung, des Erwerbs und der Herstellung von Kinderpornografie (KP) auf (BKA, 2023b). Auf dem Nährboden der Pandemie schien aber nicht nur der sexuelle Missbrauch von Kindern und Jugendlichen (SMKJ) und Kinderpornografie (KP) zu wachsen, es drängten sich auch viele weitere pandemiebedingte Probleme in den Vordergrund. Und als Putin am 24. Februar 2022 seinen Angriffskrieg auf die Ukraine startete, brach wohl das größte aktuelle Übel über Europa herein.
Die Redaktionen deutscher Medienhäuser hatten also alle Hände voll zu tun - und das, obwohl die Branche selbst an mehreren Fronten zu kämpfen hatte: Beispielsweise die durch die Digitale Disruption1 ausgelösten Transformationsprozesse, die Effekte der Printkrise2 und dann noch der zunehmende Fachkräftemangel3. Corona stellte die Branche vor weitere Herausforderung wie Lockdowns, Isolation und erhöhte Krankmeldungen. Und dann noch die Unmenge von Fake News, Hacker-Angriffen und Hetz-Kampagnen gegen die Medien während des Ukraine-Kriegs. Vor diesem Hintergrund drängt sich die Frage auf, ob die Medien trotz all dieser neuen und enormen Herausforderungen ihre gesellschaftlichen Funktionen noch erfüllen konnten.
Jeden Tag werden 48 Minderjährige Opfer sexualisierter Gewalt, meldete die Tagesschau im Jahr 2022. Konnten die Medien durch Meldungen wie dieser den zunehmenden sexuellen Missbrauch von Kindern dem Ausmaß dieses gesellschaftlichen Problems entsprechend thematisieren? Konnten die Medien die Zunahme der Fallzahlen durch Häufigkeit, Umfang und Positionierung von Artikeln über SMKJ und KP abbilden, trotz Pandemie und Krieg? Und wie gestaltete sich die Berichtserstattung? Wurde das Problem aus verschiedenen Perspektiven und Blickwinkeln beleuchtet? Hielt man sich an bestimmte Qualitätskriterien? All diesen Fragen möchte sich die vorliegende Arbeit widmen.
1.1 RelevanzdesThemas
Laut der Bundeszentrale für politische Bildung (BpB) leisten Medien einen unverzichtbaren Beitrag zum Funktionieren der Demokratie und erfüllen sowohl eine Informations- als auch Meinungsbil- dungs- und Kontrollfunktion (BpB, 2016). Gerade in der Berichterstattung über Straftaten finden sich diese drei essenziellen Funktionen der Medien in vereinter Form wieder: Sie informieren und üben Kontrolle über legislative, exekutive und judikative Gewalt aus und schaffen eine Grundlage für Meinungsbildung. Luhmanns Ansicht nach erzeugen Massenmedien insbesondere mit der Berichterstattung über Normverstöße „ein Gefühl der gemeinsamen Betroffenheit und Entrüstung“ (2017, S. 44-45). Der deutsche Soziologe schreibt:
Normverstöße werden vor allem dann zur Berichterstattung ausgewählt, wenn ihnen moralische Bewertungen beigemischt werden können; wenn sie also einen Anlaß zur Achtung oder Mißachtung von Personen beigen können. Insofern haben die Massenmedien eine wichtige Funktion in der Erhaltung und Reproduktion von Moral. (S. 46).
Luhmann schreibt: „Was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir durch die Massenmedien“ (S. 9). Und dabei geht es nicht nur um Information: es geht um Rollenwissen, Vermittlung von Leitbildern und Werten (Beck, 2020, S. 107). Medien sollten soziale Orientierung schaffen, beraten und Hilfestellung bei der Bewältigung von Problemen leisten (S. 108). Die Aufgabe der Medien in Bezug auf SMKJ und KP ist also eine verantwortungsvolle. Dem Prinzip der thematischen Universalität folgend, sollten insbesondere Tageszeitungen diesem wachsenden Problem Aufmerksamkeit schenken und es von allen Seiten beleuchten, um ihre gesellschaftlichen Funktionen auszuüben Eine kritische Reflektion, ob und wie dies geschieht ist sowohl aus Sicht der Rezipienten als auch aus dervon Medienschaffenden sinnvoll.
1.2 StandderForschung
Eine aktuelle Analyse der Berichterstattung deutscher Tageszeitungen über SMKJ und KP in den Jahren 2018 bis 2022 gibt es nach Kenntnis der Autorin nicht (Stand Juni 2023). Auch vor 2018 war das Feld wenig erforscht. Eine besonders umfassende Analyse der Berichterstattung über sexuellen Missbrauch von Kindern (SMK) stellt Bertram Scheufeles „Sexueller Missbrauch - Mediendarstellung und Medienwirkung“ aus dem Jahr 2005 dar. Scheufele analysierte die massenmediale Problemkonstruktion und deren Wirkungen auf Rezipienten. Die Fragestellung der Untersuchung ist zwischen Rezeptionsstudie und systemtheoretischer Forschung angesiedelt. Zur Beantwortung nutzte Scheufele mehrere Methoden, darunter Inhaltsanalyse, Bevölkerungsbefragung und ein Quasi-Experiment (S. 10). Bei letzterem wurden Merkmale in Zeitungsartikeln manipuliert, um mehr über die Vorstellungen der Leser zu erfahren (S. 141-144). Scheufelezog in Bezug auf die Thematisierungsund Informationsfunktion der Medien das Fazit, dass „die Zeitungen immer wieder, aber auf mäßigem Niveau berichteten“ (S. 163). Die Berichterstattung fokussiere sich vor allem auf schwere Fälle, während über Ursache und Folgen des Missbrauchs kaum berichtet werde. Allein die Strafmaßnahmen für Täter stünden regelmäßig im Vordergrund (S. 166). Laut Scheufele sollten Medien in Bezug auf ihre Artikulations- und Meinungsbildungsfunktion sowie ihre Kritik- und Kontrollfunktion verschiedene Sichtweisen zu Wort kommen lassen, um das Problem kritisch reflektierbar zu machen. Dem seien die Medien jedoch nicht gerecht geworden (S. 214).
In den auf seine Studie folgenden Jahren beschäftigten sich mehrere Arbeiten mit Art und Weise der Darstellung von SMK. So untersuchte Döring im Jahr 2018, wie das Thema Kindesmissbrauch auf YouTube thematisiert wird und bezog sich dabei auf den Agenda-Setting-4 als auch auf den Framing Ansatz5. Sie schlussfolgerte, dass es in Bezug auf die Thematisierung von SMK noch viele Forschungslücken zu schließen gelte (S. 333). In „Medienberichterstattung über sexuellen Kindesmissbrauch: Ein Modell themenspezifischer Qualitätskriterien“ entwickelten Döring und Walter ein Modell, anhand dessen die mediale Berichterstattung qualitativ erforscht werden kann. Die Arbeit ist Teil des Forschungsprojektes „Qualität der medialen Berichterstattung über sexuellen Kindesmissbrauch: Beurteilungskriterien für Forschung und Praxis“ und wurde von der UBSKM gefördert. Die Autoren vertreten die Ansicht Denis McQuails (1992): „Gemäß dem Public-Interest-Modell der normativen Medientheorie soll das Wirken der Medien über ein Eigeninteresse (z.B. wirtschaftlicher Erfolg) hinausgehen und der Verantwortung gegenüber der Gesellschaft gerecht werden“ (Döring & Walter, 2020, S. 4).
Baugut und Neumann untersuchten die Berichterstattung über SMK in Bezug auf die Journalistische Verantwortungsethik (2020). Sie stützten sich auf das Modell reziproker Effekte6, welches aus der Medien- und Kommunikationspsychologie stammt, und analysierten den Einfluss der Mediendarstellung auf Opfer, Täter und Angehörige (S. 363). In „Ikonografien des sexuellen Kindesmissbrauchs“ (2021) analysieren Döring und Walter Bilddarstellungen in Medienberichten und stützen sich auch dabei erneut aufden Framing-Ansatz (S. 366).
Die vorliegende Arbeit knüpft an Scheufeles Arbeit an und analysiert den Status der Berichterstattung über SMKJ und KP 20 Jahre nach seiner Untersuchung. Auch die Qualitätskriterien Dörings und Walters liegen dieser Arbeit zu Grunde. Sie soll die Forschungslücken zur aktuellen Berichterstattung über SMKJ und KP verkleinern und weiterführende Fragen generieren.
1.3 Forschungsfrage und Ziel der Arbeit
Sexualisierte Gewalt gegen Kinder ist ein gesellschaftlich relevantes Thema. Deswegen ist das Ziel der vorliegenden Arbeit, herauszufinden, ob und wie die Zunahme dieses Problems - vor allem vor dem Hintergrund anderer großen Krisen - durch die Berichterstattung deutscher Tageszeitungen abgebildet wurde. Für diesen Zweck soll eine quantitative Inhaltsanalyse an einer Stichprobe von deutschen Tageszeitungsartikeln durchgeführt werden. Anschließend werden in unstrukturierten Experteninterviews weitere Informationen zur Qualität der Berichterstattung über dieses sensible Thema gesammelt. Die Untersuchung stützt sich auf mehrere theoretischen Ansätze:
- Massenmedien können den Menschen zwar nicht vorgeben, was sie denken - doch sie können ihnen vorgeben, worüber sie nachdenken (Cohen, 1963, S. 13). Auf dieser Annahme basierend untersuchten McCombs und Shaw im Jahr 1972 erstmals, ob die durch die Themenrangfolge der Medien die Themenrangfolge der Rezipienten beeinflusst wird. Sie stellten dabei eine Überstimmung zwischen Medien- und Publikumsagenda fest (S.184) und begründeten den Agenda-Setting-Ansatz. Demnach beeinflusst die Häufigkeit der Berichterstattung überein Thema, fürwiewichtig die Rezipienten es halten (Maurer, 2022, S. 190).
- Dem Framing-Ansatz zufolge spielt die Einrahmung eines Themas eine entscheidende Rolle für die Einordnung und Verarbeitung neuer Informationen. Frames definieren Probleme, diagnostizieren Ursachen, fällen moralische Urteile und schlagen Lösungen vor (Entman, 1993, S. 52). „Texts can make bits of information more salient by placement or repetition, or by associating them with culturally familiar symbols”7 (S. 53). Hier wird also die Hervorhebung bestimmter Perspektiven und Teilbereiche eines Themas bedeutsam.
- Die Nachrichtenwerttheorie fokussiert sich als Selektionstheorie auf die Kriterien der Journalisten bei der Themenauswahl. Kepplinger geht in seinem Zweikomponenten-Modell davon aus, dass eine Veränderung der Ereignishäufigkeit sich auf die Häufigkeit der Berichterstattung niederschlägt-aber nur wenn die Selektionskriterien der Journalisten gleichbleiben (Kepplinger, 2011a, S. 62). Verändern sich diese, bildet die Häufigkeit der Artikel die Ereignishäufigkeit nicht mehr ab.
- Nach dem Public-Interest-Modell der normativen Medientheorie wiederum, sollten Medien über ihr eigenes Interesse hinauswachsen und ihrer Verantwortung der Gesellschaft gegenüber nachkommen (McQuail, 1992). Auch Dörings und Walters Erweiterung des Modells betrachtet das thematische Framing als gesellschaftliches Problem als wichtiges Qualitätskriterium, ebenso die Einbindung von Prävention, Intervention und den ethischen Umgang mit Betroffenen in Interviews.
Die Forschungsfrage der vorliegenden Arbeit lautet:
Wie hat sich der Anstieg der Fallzahlen von SMKJ und KP in den Jahren 2018 bis 2022 - und damit vor dem Hintergrund von Pandemie und Krieg - auf die Quantität und Qualität der Berichterstattung deutscherTageszeitungen überdieses Thema ausgewirkt?
Folgende Teilfragen sollen zur Beantwortung der Forschungsfrage untersucht werden:
a. Wie häufig haben deutsche Tageszeitungen SMKJ und KP thematisiert und wird die Zunahme der Fallzahlen durch eine Zunahme derArtikel abgebildet?
Hypothese H1:
Wenn die Ereignishäufigkeit zunimmt, nimmt die Häufigkeit von Artikeln darüber zu.
b. Wie wurden die Artikel in Bezug auf Umfang und Positionierung gewichtet und kam es dabei zu Veränderungen?
Hypothese H2:
Wenn die Ereignishäufigkeit zunimmt, dann nimmt die Gewichtung derArtikel überdie Ereignisse durch Umfang und Positionierung zu.
c. Wie häufig wurden bestimmte Personen und Themenbereiche ins Zentrum eines Artikels gerückt und kam es dabei zu Veränderungen?
Hypothese H3:
Wenn die Ereignishäufigkeit zunimmt, dann nimmt die Themenvielfalt und die Vielfalt der zentralen Personen in Artikeln überdas Ereignis zu.
d. Kam es bei Ausbruch der Corona-Pandemie und des Ukraine-Krieges zu einem Rückgang der Häufigkeit, des Umfang und der Prominenz von Artikeln über SMKJ und KP?
Hypothese H4:
Wenn die Ereignishäufigkeit steigt und schwere akute Probleme oderKrisen auftreten, dann steigt die Anzahl von Artikeln über das Ereignis nicht
e. Wie ist die Qualität der Berichterstattung über SMKJ und KP zu bewerten?
f. Inwieweit könnte die Berichterstattung über SMKJ und KP verbessert werden?
1.4 Methodik und Aufbau der Arbeit
Für die Untersuchung zur Beantwortung der Forschungsfrage wurde das „Sequential Mixed Methods“- Design nach John W. Creswell gewählt (2009, S. 28). Zuerst soll an einer repräsentativen Stichprobe eine quantitative Inhaltsanalyse an Artikeln deutscherTageszeitungen durchgeführt werden. Diese Ergebnisse werden dann durch unstrukturierte Experteninterviews ergänzt, die einer qualitativen Inhaltsanalyse unterzogen werden. Die Resultate beider Methoden sollen die Forschungsfrage und ihre Teilfragen ineinandergreifend und sich gegenseitig ergänzend beantworten.
Die vorliegende Arbeit beginnt mit einer Darstellung des Problems, dem aktuellen Stand der Forschung und einer Erläuterung zur Zielsetzung und Fragestellung in Kapitel eins. In Kapitel zwei wird auf die aktuelle Sachlage und die wichtigsten Begriffe und Hintergründe eingegangen. Anschließend folgt in Kapitel drei eine Erläuterung der methodischen Vorgehensweise, beginnend mit der quantitativen Inhaltsanalyse. Dann folgen Erläuterungen zur Methodik der unstrukturierten Experteninterviews und der qualitativen Inhaltsanalyse. In Kapitel vier werden die Ergebnisse dargestellt, und interpretiert. Es folgt die Diskussion der Ergebnisse und Handlungsempfehlungen. Abschließend zieht die Autorin in Kapitel fünf ein Fazit und gibt einen Ausblick auf weitere Forschungsmöglichkeiten.
2 Definitionen, Sachlage und theoretische Hintergründe
Die Autorin dieserArbeit bezieht sich bei derAnzahl der Fälle von SMKJ und KP ausschließlich auf die Datenerhebungen des BKA. Aus diesem Grund hält sich die vorliegende Arbeit bei der Definition von SMKJ und KP an das deutsche Strafgesetzbuch (StgB). Auf die Erhebung von Fallzahlen der Jugendämter wurde verzichtet, da das Begriffsverständnis von SMK und sexuellem Missbrauch von Jugendlichen (SMJ) in sozialwissenschaftlichen Disziplinen etwas breiter ausfällt und auch nicht strafbare Handlungen umfasst. Weil sich die mediale Berichterstattung vorrangig an polizeilichen Zahlen orientiert und inhaltlich den Fokus auf Ermittlungen, Gerichtsprozesse oder Strafen zu SMKJ und KP richtet, spielen auch für sie die Gesetze des StgB eine begriffsbestimmende Rolle.
2.1 Gesetze und Definitionen
2.1.1 Sexueller Missbrauch von Kindern im Strafrecht
§176 des StGB, welcher wie auch §176a bis §176d am 1. Juli 2021 in Kraft trat, legt eine Freiheitsstrafe von nicht unter einem Jahr fest, für Personen, welche
1. sexuelle Handlungen an einer Person unter vierzehn Jahren (Kind) vornimmt oder an sich von dem Kind vornehmen lässt,
2. ein Kind dazu bestimmt, dass es sexuelle Handlungen an einer dritten Person vornimmt odervon einerdritten Person an sich vornehmen lässt,
3. ein Kind für eine Tat nach Nummer 1 oder Nummer 2 anbietet oder nachzuweisen verspricht (§176, Abs. 1 StGB).
An dieser Stelle wird festgelegt, wann es sich um Kinder handelt, wann SMK vorliegt und wie das Delikt grundsätzlich zu bestrafen ist. Genauer definiert, was unter SMK zu verstehen ist, wird an dieser Stelle nicht. In Absatz 2 ist aber gesetzt, wann von der Strafe abgesehen werden kann, nämlich dann, „wenn zwischen Täter und Kind die sexuelle Handlung einvernehmlich erfolgt und der Unterschied sowohl im Alter als auch im Entwicklungsstand oder Reifegrad gering ist“. Eine Ausnahme davon besteht wiederum dann, wenn der Täter die fehlende Fähigkeit des Kindes zur sexuellen Selbstbestimmung ausnutzt (§176 Abs.2 StGB).
§176a StGB regelt, dass es nicht zu Körperkontakt zwischen Täter und Kind kommen muss, damit SMK vorliegt. Es reicht aus, wenn man sexuelle Handlungen vor einem Kind vornimmt oder vornehmen lässt, das Kind zu sexuellen Handlungen bestimmt, anbietet, oder durch pornografische Inhalte oder Reden auf das Kind einwirkt. Auch die Verabredung zu einer solchen Tat und der Versuch ist strafbar. Der Strafrahmen für eine vorbereitende Handlung wird wiederum in §176b StGB festgelegt.
Eine Definition, wann schwerer SMK vorliegt, liefert §176c StGB. Hier handelt es sich nicht mehr um ein Vergehen, sondern um ein Verbrechen8. Der Paragrafgreift, wenn derTäter bereits einschlägig vorbestraft, oder mindestens 18 Jahre alt ist und entweder selbst oder von bzw. an einem Dritten oder gemeinschaftlich sexuelle Handlungen an dem Kind vornimmt bzw. von dem Kind an sich oder dem Dritten vornehmen lässt, welche mit dem Eindringen in den Körper verbunden sind. Außerdem liegt schwerer SMK vor, wenn das Kind durch die Tat gefährdet wird, eine schwere physische oder psychische Schädigung zu erleben. Wird das Kind schwer misshandelt oder in Lebensgefahr gebracht, ist die Tat mit einer Freiheitsstrafe von mindestens fünf Jahren zu bestrafen.
SMKmit Todesfolge wird dagegen durch §176d StGB mit einer Freiheitsstrafevon nichtunterzehn Jahren belegt. Als maximale Strafe ist hier die lebenslange Haft vorgesehen. In §176e, welcher am 22. September 2021 in Kraft trat, wird der Strafrahmen für die Verbreitung und den Besitz von Anleitungen für SMK festgesetzt.
2.1.2 Sexueller Missbrauch von Jugendlichen im Strafrecht
In Bezug auf Jugendliche geht der Gesetzgeber davon aus, dass sich Jugendliche „sexuell entwickeln und ausprobieren dürfen und sollen.“ Entscheidend für die Strafbarkeit von Handlungen ist hier, ob zwischen den Jugendlichen und der anderen Person ein „Obhutsverhältnis“ bestehe, oder „die Jugendlichen wirklich freiwillig und selbstbestimmt gehandelt haben“ (UBSKM, 2023b).
§1 Abs. 2 des Jugendgerichtsgesetzes (JGG) definiert „Jugendliche“: Nämlich, wer 14 aber noch nicht 18 Jahre alt ist. Im StGB regelt §182 (in Kraft getreten am 27. Januar2015), wann es sich um SMJ handelt: Wenn eine Person unter Ausnutzung einer Zwangslage sexuelle Handlungen an einer Person unter 18 Jahren vornimmt oder vornehmen lässt oder diese dazu bestimmt die Handlungen an sich oder einem Dritten vorzunehmen. Dies ist auch der Fall, wenn es gegen Entgelt geschieht, und wird mit einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe belegt.
In §182 Absatz 3 ist der Strafrahmen für Fälle gesetzt, bei denen Personen über 21 Jahre Personen unter 16 Jahren sexuell missbrauchen, missbrauchen lassen, oder zu sexuellen Handlungen bestimmen. Diese Tat wird nur auf Antrag verfolgt, es sei denn es liegt ein besonderes öffentliches Interesse vor. Auch der Versuch von SMJ ist strafbar, doch in allen Fällen kann das Gericht von Strafe absehen, wenn „bei Berücksichtigung des Verhaltens der Person, gegen die sich die Tat richtet, das Unrecht derTat gering ist“ (§182 Abs.6 StGB).
2.1.3 Kinderpornografie im Strafrecht
Am 1. Januar 2021 trat §184 des StGB in Kraft, welcher die Verbreitung pornografischer Inhalte im Allgemeinen regelt. Absatz 1 bezieht sich hierauf die Überlassung und Zugänglichmachung derselben an Personen unter 18 Jahren. Ansonsten wird in dem Gesetz die allgemeine Verbreitung von Pornografie im In- und Ausland, im Handel, an öffentlichen Orten, per Versand oder durch private Weitergabe unter Strafe gestellt.
Auf Kinderpornografie insbesondere geht §184b des StGB ein, welcher am 1. Juli 2021 in Kraft trat. Dieser bestimmt insbesondere, wann es sich um Kinderpornografie handelt, nämlich wenn die Inhalte folgendes darstellen:
a) Sexuelle Handlungen von, an oder vor einer Person unter vierzehn Jahren (Kind),
b) Die Wiedergabe eines ganz oder teilweise unbekleideten Kindes in aufreizend geschlechtsbetonter Körperhaltung oder
c) Die sexuell aufreizende Wiedergabe der unbekleideten Genitalien oder des unbekleideten Gesäßes eines Kindes (§184bAbs.1 StGB).
Das Gesetz belegt Besitz, Verbreitung, Herstellung, Lieferung, Lagerung und Zugänglichmachung von kinderpornografischen Inhalten mit ein bis zehn Jahren Freiheitsstrafe. Absatz 2 des Paragrafen stellt auch die gewerbs- oder bandenmäßige Begehung einer solchen Tat unter Strafe und Absatz 4 den bloßen Versuch. Unter Absatz 5 und 6 sind Ausnahmen geregelt, beispielsweise für Personen, die sich im Auftrag des Staates in Besitz solcher Darstellungen befinden.
2.1.4 Gesetz zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder
Wie aus den vorangegangenen Kapiteln ersichtlich, traten mehrere Gesetze in Bezug auf SMKJ und KP erst am 21. Juli 2021 in Kraft. Dies ist auf die Verabschiedung des „Gesetzes zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder“ am 25. März 2021 durch den Deutschen Bundestag zurückzuführen, welches im Juli 2021 wirksam wurde. Es handelt sich dabei um ein Änderungsgesetz, welches das Strafrecht bezüglich sexualisierterGewalt gegen Kinder verschärfte.
Der §176 des StGB stuft erst seit dem Inkrafttreten dieser Regelung SMK als Verbrechen ein und belegt dieses mit ein bis 15 Jahren Freiheitsstrafe. Neben SMK wurde auch die Verbreitung, der Besitz und die Beschaffung von KP zum Verbrechen hochgestuft. Außerdem wurde die Altersschutzgrenze für den Tatbestand des sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen auf 18 Jahre neu gefasst und um Handlungen mit Dritten erweitert. Auch die Herstellung, das Inverkehrbringen, der Erwerb und Besitz von kindlichen Sexpuppen wird seither durch §1841 mit Geld- oder Freiheitsstrafe belegt. Eine besonders wichtige Änderung betrifft die Verjährungsfrist für diese Straftaten: Sie beginnt seither erst mit der Vollendung des 30. Lebensjahres der Betroffenen (BMJ, 2021).
2.2 Sachlage zu SMKJ und KP
2.2.1 Polizeiliche erfasste Fälle zwischen 2018 und 2022
Laut den Statistiken des BKA wurden in Deutschland seit 2017 stetig mehr Fälle von SMK erfasst (BKA, 2023a). Zwischen 2017 und 2021 kam es demnach zu einer Zunahme um 4.000 gemeldete Missbrauchsfälle. 2022 sanken die Fallzahlen ein wenig. Besonders auffällig ist die sprunghafte Zunahme von Verbreitung, Erwerb, Besitz und Herstellung kinderpornografischer Schriften (BKA, 2023b): Im Jahr 2021 hatten sich die polizeilich erfassten Fälle im Vergleich zum Vorjahr mehr als verdoppelt und der Anstieg setzte sich bis 2022 fort. Neben den Statistiken vom BKA wiesen auch internationale Zahlen auf eine Zunahme der sexuellen Ausbeutung von Kindern online hin: „Europa ist zum Drehkreuz bei der Verbreitung von Missbrauchsdarstellungen geworden“, so die UBSKM Kerstin Claus. Das Dunkelfeld sei enorm: „Schätzungen gehen davon aus, dass in Deutschland pro Schulklasse 1-2 Schülerinnen von sexueller Gewalt in unterschiedlichsten Lebensbereichen betroffen sind“. Kinder und Jugendliche tauchen aber nicht nur als Opfer in Erscheinung: Seit 2018 soll sich laut der UBSKM die Zahl der Kinder und Jugendlichen, welche Missbrauchsdarstellungen erwarben, besaßen oder herstellten mehr als verzehnfacht haben (2022b). Bei der Auswertung der polizeilichen Statistik führte Claus, den deutlichen Anstieg der Fälle um mehr als 108 Prozent darauf zurück, dass die Strafverfolgung bei Missbrauchsdarstellung „deutlich intensiviert“ worden seien. Nach Ansicht des BKA-Präsidenten Holger Münch sei derAnstieg auch einerengeren internationalen Zusammenarbeit der Strafbehörden zuzurechnen. Laut Münch stammen 85 Prozent der Hinweise auf Missbrauchsdarstellungen aus den USA, wo die Internetprovider gesetzlich zur Meldung verpflichtet sind (Bundesregierung, 2022). In Bezug auf SMJ lag lediglich eine Statistik zu den erfassten Fällen sexuellen Missbrauch Schutzbefohlenervor, waswohl aufdie Formulierung des Gesetzes zu SMJ (Kap. 2.1.2) zurückzuführen ist. Hier kam es nach einem Absinken der Fallzahlen im Jahr 2019 (547 Fälle) ab 2020 zu einem kontinuierlichen Anstieg. Im Jahr 2022 wurden 726 Fälle sexuellen Missbrauchs Schutzbefohlener polizeilich registriert (BKA, 2023c).
2.2.2 Chronologie medial bedeutungsvoller Missbrauchskomplexe
Werden Ermittlungen zu größeren oder besonders schweren Missbrauchsfällen bekannt, kann das national zu „Berichterstattungswellen“ führen. Die Medien begleiten solche Ereignisse oft von Ermittlungsbeginn bis hin zur Strafvollstreckung und Aufarbeitung der Taten. Gerade die Verurteilung und das Strafmaß bewirken großes öffentliches Interesse, wie schon Scheufele feststellen musste (2005, S. 166). Bei der anstehenden Untersuchung von Artikeln deutscher Tageszeitungen könnten insbesondere lokale Missbrauchskomplexe auf die Ergebnisse einwirken. Aus diesem Grund folgt ein kurzer Überblick über Missbrauchskomplexe und besonders schwere Fälle aus den Jahren 2018 bis einschließlich 2022.
2018, Staufen, Baden-Württemberg: Bundesweites Entsetzen löste ein Missbrauchsfall in Staufen aus: Eine Mutter und ihr Lebensgefährte hatten sich jahrelang an einem Jungen vergangen und ihn auch weiteren Tätern gegen Geld angeboten. Auch ein Mädchen soll Opfer geworden sein (Hunfeld, 2018). Die juristische Aufarbeitung des Falles begann im Jahr 2018 und mündete in Haftstrafen, die in Revisionsverfahren angefochten wurden (Spiegel, 2020). „Staufen“ beschäftigte die Medien bis Ende des Jahres 2020.
2018, Lüdge, Nordrhein-Westfalen: Dezember 2018 wurde ein Mann festgenommen, der mit einem weiteren Dauercamper auf einem Campingplatz in Lüdge hundertfach Kinder missbraucht hatte. Die Medien berichten noch heute (Stand Juni 2023) über diesen Fall, da Jugendamtsmitarbeiter und Polizisten „geschlampt und gepfuscht“ haben sollen (Spiegel, 2022a).
2019, Bergisch Gladbach, Nordrhein-Westfalen: Im Oktober 2019 begannen die Ermittlungen in Bergisch Gladbach. „Ermittler identifizierten 439 Verdächtige und befreiten 65 Kinder“, titelte der Spiegel im Januar 2022. „27 Tatverdächtige seien festgenommen worden. Gerichte verhängten in 13 Fällen Haftstrafen, zusammengenommen mehr als 80 Jahre“ (Spiegel, 2022b).
2020, Münster, Nordrhein-Westfalen: Im Juni 2020 machte die Staatsanwaltschaft Münster publik, dass gegen einen Mann und 51 Mittäter wegen SMK ermittelt wurde. Der Hauptverdächtige wurde im Juli 2021 zu 14 Jahren Haft wegen SMK in 29 Fällen verurteilt. „Vier weitere Angeklagte müssen für fünf bis zwölf Jahre ins Gefängnis“ (Phoenix, 2021).
2021, Wermelskirchen, Nordrhein-Westfalen: Ende 2021 wurde ein 45-jähriger Mann aus Wermelskirchen festgenommen, der im Februar 2023 wegen sexueller Gewalt gegen 13 Kinder zu 14,5 Jahren Haft verurteilt wurde. „Die Aufdeckung des Falls hatte zu zahlreichen weiteren Ermittlungsverfahren geführt“ (Spiegel, 2023).
2.2.3 Kirchliche Missbrauchsstudien zwischen 2018 und 2022
Auch die Veröffentlichung kirchlicher Missbrauchsstudien führten regional und national zu Berichterstattungswellen. Im September 2018 wurde die sogenannte MHG-Studie veröffentlicht, in welcher der sexuelle Missbrauch Minderjähriger durch kirchliche Ordensträger im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz untersucht wurde (DBK, 2018). Die Studie stieß eine Reihe von Missbrauchsgutachten in deutschen Bistümern an. Tab. 1 zeigt eine Liste der Missbrauchsgutachten, die im Zeitraum zwischen 2018 und 2022 veröffentlicht wurden.
Tabelle 1: Missbrauchsgutachten im Zeitraum 2018 bis 2022
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Eigene Darstellung.
Die Sammlung beschränkt sich auf die Bundesländer Baden-Württemberg, Bayern und NordrheinWestfalen, da bei der folgenden Untersuchung Artikel regionaler Tageszeitungen aus eben diesen Bundesländern untersucht werden. In Sachsen wurde nach Kenntnis der Autorin kein Missbrauchsgutachten im fraglichen Zeitraum publiziert.
2.3 Theoretische Hintergründe
2.3.1 Agenda-Setting-Theorie
Die Konstruktion sozialer Probleme in den Massenmedien wird im Zuge der Medienwirkungsforschung und insbesondere in der Agenda-Setting-Forschung genauer untersucht. Wie bereits in Kap. 1.3 angeschnitten, stellten McCombs und Shaw in einer Studie fest, dass die Publikumsagenda stark von der Medienagenda beeinflusst wird, was bedeutet, dass die Medien bestimmen, ob ein gesellschaftliches Problem von den Rezipienten als solches wahrgenommen wird. Dabei spielt die wiederholte Darstellung eines Themas neben den persönlichen Bedürfnissen des individuellen Rezipienten eine entscheidende Rolle (2005, S. 159). McCombs und Shaw führten nach der oben erwähnten Studie das Awareness-, Salience- und Priorities-Modell ein (Tab. 2). Ersteres besagt, dass die Rezipienten durch die Berichterstattung auf ein Thema aufmerksam machen. Das Salience-Modell stützt sich auf die Annahme, dass ein Thema Rezipienten wichtiger erscheint, wenn die Medien häufiger darüber berichten. Das Priorities-Modell wiederum besagt, dass sich die Themenrangfolge der Medien (Medienagenda) in der Themenrangfolge des Publikums (Publikumsagenda) exakt widergespiegelt (Maurer, 2022, S. 191). Die Agenda-Setting-Theorie hat sich seit der ersten Studie von McComb und Shaw stark weiterentwickelt und wurde um zahlreiche Modelle erweitert. Um Effekte des Agenda-Settings aufzudecken, wird sowohl die Medienagenda anhand von Inhaltsanalysen als auch die Publikumsagenda anhand von Befragungen analysiert (Gleich, 2019, S. 127).
Tabelle 2: Agenda-Setting-Modelle
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Eigene Darstellung.
In der vorliegenden Arbeit wird vor dem Hintergrund der Agenda-Setting-Theorie die Häufigkeit von Artikeln über SMKJ und KP und ihr Rang in der Medienagenda untersucht (Teilfrage a und b der Forschungsfrage).
2.3.2 Framing-Theorie
Um ein Problem zu definieren, braucht es einen Bezugsrahmen. In der Medienwirkungsforschung versteht man unter einem „Framing“ so etwas wie die Kulisse, vor der sich die „Story“ abspielt. In Bezug auf SMKJ und KP kann die Darstellung eines Missbrauchsfalls am Campingplatz von Lüdge also als ein möglicher Frame von mehreren verstanden. Die Berichterstattung über die Gerichtsverhandlung zu allen Taten der beiden Männer nutzt einen anderen Rahmen. Der Politikwissenschaftler Robert Μ. Entman versteht unter Framing, dass einige Aspekte aus der Realität herausgepickt und durch einen Medienbeitrag hervorgehoben werden. Er beschreibt vier Frame-Elemente: die Problemdefinition, die Ursacheninterpretation, die moralische Bewertung und die Lösungsempfehlung (1993, S. 52). Ihm zufolge macht der Bezugsrahmen bestimmte Teilbereiche eines Themas durch Hervorhebung auffälliger. Laut Entmans sind Frames kulturelle Vorstellungen, die im Denken von Rezipienten und Journalisten schon vorhanden sind (S. 53). Durch die Fixierung auf bestimmte Bezugsrahmen können aber auch tote Winkel entstehen, welche alternative Perspektiven oder Teilbereiche eines zentralen Themas mehr oder weniger unsichtbar machen (Entman, 1993, S. 54). Der Framing-Ansatz ist auch für die Untersuchung von Stereotypen gut geeignet (Scheufele, 2022, S. 123). In der Forschung wird gern auf Inhaltsanalysen zurückgegriffen, um die Häufigkeit der vier Framing-Elemente in Texten zu untersuchen. In Tab. 3 sind diese mit Beispielen zum untersuchten Thema dargestellt:
Tabelle 3: Framing-Elemente
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Eigene Darstellung.
Die Autorin dieser Arbeit untersucht auf Basis des Framing-Ansatzes wie häufig in Artikeln über SMKJ und KP über bestimmte Personen und Themenbereiche berichtet wird (Teilfrage c der Forschungsfrage).
2.3.3 Nachrichtenwert-Theorie
Wann wird ein Ereignis zur Nachricht? In „Public Opinion“ vertrat Walter Lippmann die Ansicht, dass Nachrichten nicht der Realität entsprechen, sondern auf Selektionsentscheidung von Journalisten beruhen. Lippmann nannte erstmals spezielle Nachrichtenfaktoren wie Sensation, Relevanz, Nähe oder Nutzen. Diese schreiben speziellen Ereignissen einen Nachrichtenwert zu (1922, S. 338-358). Ausgehend von Lippmans Werk entwickelte sich die Nachrichtenwert-Theorie weiter und die Nachrichtenfaktoren wurden in mehreren Schritten - unter anderem von Winfried Schulz - überarbeitet und ausgebaut. Schulz' Ansicht nach, sind neben den Nachrichtenfaktoren besonders die journalistischen Selektionskriterien bei der Nachrichtenauswahl entscheidend (Kepplinger, 2011a, S. 61). Kepplinger entwickelte diesem Ansatz folgend das Zwei-Komponenten-Modell der NachrichtenwertTheorie, welches besagt, dass Meldungen über Ereignisse zunehmen, wenn es bei gleichbleibenden Selektionskriterien, zu einer Zunahme der Ereignisanzahl kommt (Tab.4). Bleibt die Ereignishäufigkeit gleich und es kommt zu einer Zunahme von Meldungen, dann erscheinen die Ereignisse berichtenswerter, d.h. die Selektionskriterien haben sich geändert. Ein Rückschluss von der Berichterstattung auf das Geschehen sei also nur dann zulässig, wenn die Selektionskriterien gleichblieben (S. 62.).
Tabelle 4: Zwei-Komponenten-Modell derNachrichtenwert-Theorie
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Eigene Darstellung.
In Bezug auf die Nachrichtenwert-Theorie wurden unterschiedlichste Designs in der Forschung angewendet. Unteranderem wurden Nachrichtenfaktoren anhand von Inhaltsanalysen ermittelt. Kepp- linger betont aber, dass bisher keine empirisch gehaltvollen Analysen der Berichterstattung erfolgten. Der prognostische Gehalt und der Praktische Wert der Nachrichtenwert-Theorie sei damit unbekannt (2011b, S. 78).
Vor dem Hintergrund dieser Theorie wird in der vorliegenden Arbeit untersucht, ob sich eine Steigerung der Fallzahlen von SMKJ und KP oder die Schwere und Bedeutsamkeit bestimmter Fälle auf die Häufigkeit der Berichterstattung auswirken (Teilfrage a und b der Forschungsfrage). Außerdem wird untersucht, ob sich die Selektionskriterien vordem Hintergrund derCorona-Pandemie und des Ukraine-Krieges änderten und dies die Häufigkeit von Berichten über SMKJ und KP beeinflusste (Teilfrage d der Forschungsfrage).
2.3.4 Normative Medientheorie
In dem von der UBSKM geförderten Forschungsprojekt „Qualität der medialen Berichterstattung über sexuellen Kindesmissbrauch: Beurteilungskriterien für Forschung und Praxis“ von Döring und Walter (2020), untersuchten die Autoren auf Basis der normativen Medientheorie und des Public- Interest-Modells nach McQuail, was Journalisten und Reporter bei der Berichterstattung über SMKJ und KP beachten müssen. Vor dem Hintergrund, dass die Medien ihrer Verantwortung gegenüber der Gesellschaft gerecht werden sollten (McQuail, 1992), stützen sich die Autoren auf sieben Qualitätsdimensionen nach Jungnickel (2011, S. 361), und gründen darauf ihre Qualitätskriterien für die Berichterstattung über SMK (Tab. 5). So wird das thematische Framing als generelles gesellschaftliches Problem von den Autoren als Qualitätskriterium angesehen. Außerdem die nicht-sensationelle Berichterstattung, die Nutzung angemessener Begriffe und die Einbindung von Anspruchsgruppen. Auch eine nicht-stereotype Berichterstattung sowie die Einbindung von Prävention und Intervention, der ethische Umgang mit Betroffenen in Interviews sowie eine rechtskonforme Berichterstattung sollten als Kriterium betrachtet werden. Es sollte auch eine Interessensabwägung stattfinden und Quellen offen dargelegt werden (2020, S. 9-12).
Tabelle 5: Public-Interest-Modell und Qualitätskriterien
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Döring & Walter, 2020, S. 13.
Die Autorin untersucht auf Basis des Public-Interest-Modells wie die Qualität der Berichterstattung über SMKJ und KP zu bewerten ist und welche Aspekte zu einer Qualitätssteigerung beitragen könnten (Teilfragen e und f der Forschungsfrage).
3 Gesamtanlage der Untersuchung
Die Untersuchung dieser Arbeit wurde auf der Grundlage des Mixed Methods Designs nach John W. Creswell gestaltet. Es werden qualitative und quantitative Instrumente in einerWeise kombiniert, die mehr Erkenntnisse hervorbringt als eine qualitative oder quantitative Untersuchung allein erbringen würde (2009, S. 4). Das Mixed Methods Design basiert nach Creswell aufeiner pragmatischen Weltanschauung, und erlaubt es dem Forscher jede Technik, Prozedur oder Methode zu wählen, die ihn der Lösung seines Forschungsproblems näherbringt. Forscher können sich so darauf konzentrieren, was und wie sie erforschen und damit ein bestmögliches Ergebnis erreichen (S. 10-11). „Sequential mixed methods“ ist eine Prozedur, bei der die Erkenntnisse aus einer Methode mit denen aus einer zweiten ergänzt werden. So kann eine Theorie mit einer quantitativen Methode getestet und anschließend mit einer qualitativen Methode weiter geforscht werden (S.14). Angesichts der Forschungslücke in Bezug auf die aktuelle Berichterstattung über SMKJ und KP, handelt es sich um ein ausgezeichnetes Design: basierend auf einer quantitativen Analyse kann anhand einer folgenden qualitativen Forschung in die Tiefe des Forschungsproblems vorgedrungen und weitere Fragen generiert werden. Um die quantitativen Teile der Forschungsfrage (a-d) beantworten zu können, entschied sich die Autorin für eine quantitative Inhaltsanalyse von Zeitungsartikeln. Für Antworten auf die qualitativen Teilfragen (e-f) werden unstrukturierte Experteninterviews herangezogen. An diesen soll dann die qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring durchgeführt werden.
3.1 Quantitative Medieninhaltsanalyse
In der Journalismus- und Gewaltforschung wird häufig auf quantitativen Inhaltsanalysen zurückgegriffen, um eine große Menge von Medien auf bestimmte Merkmale zu untersuchen. Gerade bei der Auswertung von Massenmedien findet diese Methode Anwendung. „Content Analysis is a research technique for the objective, systematic, and quantitative description of the manifest content of communication”9 (Berelson, 1952, S. 18). Lamnek und Krell schreiben, dass eine quantitative Inhaltsanalyse intersubjektiv und nachvollziehbar sein sollte (2016, S. 465). Bei dieser Methode seien die Einheiten, Dimensionen und Kategorien theoretisch durch den Forscher vorbestimmt, während die qualitative Inhaltsanalyse den umgekehrten Weg gehe (S. 467). Als Selektionskriterium für diese Methode, spielt nach Früh die Forschungsfrage eine entscheidende Rolle, denn: „Nicht alle, sondern nur die im Hinblick auf die jeweilige Problemstellung relevanten Kommunikationsinhalte der einzelnen Texte sollen erfasst werden“ (2017, S. 67). Den Merkmalen sind dann Zahlen zuzuordnen (S. 31), wobei das Datenmodell der Inhaltsanalyse der Forschungsfrage angepasst werden muss (S.32). „Die Inhaltsanalyse gibt als Rahmenbedingung eine bestimmte Interpretationsweise vor, die offengelegt (objektiv), d.h. nachvollziehbar und systematisch sein soll“ (S. 60). Die Befunde ergeben am Ende aber keine Aussagen über die einzelnen Texte, sondern lediglich über deren Strukturmerkmale (S. 67). Die Autorin entschied sich für diese Methode, weil sie geeignet ist, eine große Menge von Texten zu analysieren, und die Analyse personen- und zeitunabhängig beliebig oft durchgeführt werden kann. Sie wählte die einfache Form der Frequenzanalyse, anhand welcher formale oder inhaltliche Elemente ausgezählt und als Indikator erhoben werden (Lamnek & Krell, 2016, S. 474). Bei der Durchführung der Methode wird zuerst ein Untersuchungsobjekt festgelegt, das dann im Rahmen eines bestimmten Zeitraums als Grundgesamtheit gilt. Im nächsten Schritt wird eine Stichprobe bestimmt und dann ein Kategoriensystem erstellt. Anschließend werden die Daten erhoben und elektronisch gespeichert (S. 468-470), um schließlich bereinigt und ausgewertet werden zu können. Abb. 1 stellt den Ablauf der quantitativen Inhaltsanalyse in dieser Arbeit dar:
Abbildung 1:Ablaufderquantitativen Inhaltsanalyse
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Eigene Darstellung.
In den folgenden Kapiteln wird die Durchführung der einzelnen Schritte berichtet.
3.1.1 Untersuchungsobjekte
Bei der Wahl der Untersuchungsobjekte hatte die Autorin sich an einer ersten Fassung der Forschungsfrage orientiert. Diese hatte zum Ziel die Artikel der reichweitestärkten Online-Nachrichtenportale Deutschlands zum Thema SMKJ und KP zu analysieren. Bei den zuerst anvisierten Objekten handelte es sich um „FOCUS Online“, „BILD“, „DER SPIEGEL“, „Süddeutsche.de“ und „FAZ.NET“ (Agof, 2023). Während der Vorbereitungen für die Recherche stellte sich aber heraus, dass entgegen der Vermutung der Autorin, gerade die Archive dieser Online-Portale ausschließlich kostenpflichtig und für die Autorin teils schwer oder gar nicht zugänglich waren. Auf der Suche nach einer zeitlich und finanziell weniger aufwändigen Recherchequelle und stieß die Verfasserin auf die wiso Datenbank für Hochschulen. Die Online-Plattform bietet Studenten unter anderem kostenlosen Zugang zu den digitalisierten Printartikeln vieler deutscher Zeitungen. Die Datenbank machte möglich, Printmedien als Untersuchungsobjekt überhaupt in Erwägung zu ziehen. Die Autorin war vorher davon ausgegangen, dass Printarchive nur sehr schwer zugänglich sind. Gerade wegen ihres Prinzips der Universalität sind Tageszeitungen aber für eine Untersuchung von Artikeln über SMKJ und KP besonders interessant und geeignet. Sie decken nicht nur nationale Gerichtsprozesse und Missbrauchsskandale ab, sondern auch ein breites Spektrum von Ereignissen in der Region der jeweiligen Zeitung. Die auflagenstärksten Tageszeitungen der deutschen Bundesländer erreichen eine große Zahl von Lesern aus allen Schichten der Bevölkerung. Quantität und Qualität von Artikeln über ein spezielles Thema wirken hier besonders auf die Wahrnehmung der Bevölkerung ein. Die Autorin entschied also, die Artikel deutscher Tageszeitungen zum Thema SMKJ und KP zu untersuchen, was die Fokussierung der Forschungsfrage auf diese Untersuchungsobjekte nach sich zog.
3.1.2 Untersuchungszeitraum
Als Untersuchungszeitraum wurde ursprünglich der Zeitraum zwischen 2020 und 2022 anvisiert. Hintergrund dafür war die erwähnte Befürchtung der Autorin, dass die Archive der Zeitungen schwer zugänglich und eine höhere Anzahl von Untersuchungsobjekten auch höhere Kosten verursachen würde. Mit der Entscheidung für die Recherche über die wiso Datenbank10 und nach einem erfolgreichen und problemlos durchgeführten Datenerhebungstest, änderten sich die Voraussetzungen für die Forschung der Autorin grundlegend. Sie dehnte daraufhin den Untersuchungszeitraum vom 1. Januar 2018 bis zum 31. Dezember 2022 aus. Es handelt sich um einen sehr aktuellen Zeitraum und die fünfjährige Spanne umfasst sowohl die Phase des Ausbruchs und Abklingens der Corona- Pandemie als auch den Ausbruch des Ukraine-Krieges, sowie die Zeit vor diesen beiden Krisen. Das ermöglicht einen Vergleich der Daten vor und während anderer Krisen, und damit die Beantwortung derTeilfragen a bis d der Forschungsfrage.
3.1.3 Stichprobe
Als repräsentative Stichprobe der Grundgesamtheit „deutsche Tageszeitungen“ wurden zuerst drei Tageszeitungen gewählt. Nach dem bereits erwähnten Datenerhebungstest und weil bei der Suche nach Artikeln der Passauer Neuen Presse (PNP) verhältnismäßig wenig Artikel ausgeworfen wurden, erweiterte die Autorin die Untersuchung um eine Tageszeitung. Sie wollte damit die Repräsentativität der Stichprobe erhöhen und mehr Bundesländer abdecken, um den Einfluss regionaler Ereignisse auf einer solideren Basis durchführen zu können. Als repräsentative Stichprobe für die Grundgesamtheit „Artikel deutscher Tageszeitungen über SMKJ und KP“ wurden schließlich die Artikel der Freien Presse (FP) aus Sachsen, der Passauer Neuen Presse (PNP) aus Bayern, der Rheinischen Post (RP) aus Nordrhein-Westfalen und der Schwäbischen Zeitung (SchZ) aus Baden- Württemberg bestimmt. Die Kriterien für die Auswahl derTageszeitungen waren:
a) sie sollten aus einem jeweils anderen deutschen Bundesland berichten,
b) sie sollten einem jeweils anderen Verlag angehören,
c) es sollte sich um repräsentative Zeitungen für das zugehörige Bundesland handeln,
d) die gewählten Tageszeitungen sollten eine vergleichbare Auflagenstärke haben,
e) die Artikel derjeweiligen Zeitung sollten für den gesamten Untersuchungszeitraum in der wiso Datenbank vorhanden sein.
3.1.4 KategorienundCodebücher
Um untersuchen zu können, wie häufig sich Artikel der ausgewählten Zeitungen mit dem Thema SMKJ und KP befassten, in welchem Umfang und wie sie in den untersuchten Tageszeitungen positioniert wurden, wählte die Autorin vier Keywords für die Suche mit der wiso Datenbank. Mit „Kindesmissbrauch“ und „sexueller Missbrauch“ bezog sie die Suche auf Kindesmissbrauch und mit „Kinderpornografie“ und „Kinderporno“ auf KP. Die anhand der Suche gefilterten Artikel sollten für die Beantwortung der Teilfragen a bis d der Forschungsfrage kategorisiert werden. Dafür wurde Codebuch 1 angelegt (Anh. 1). Hiermit wurden Kategorien für die Urheberzeitung, das Veröffentlichungsjahr, das untersuchte Keyword, die Position des Keywords im Artikel, die Länge des Artikels und die Seite, auf der der Artikel veröffentlicht worden war, bestimmt. Den Kategorien waren jeweils vier Dimensionen zugeordnet, außer den Kategorien „Länge“ und „Seite“, bei denen 12 Dimensionen zur genaueren Abbildung von Umfang und Positionierung verwendet wurden. Bei den Codes für die Dimensionen der Kategorie „Datum“ mussten wegen der nachträglichen Erweiterung des Untersuchungszeitraums zwei Codes hinzugefügt werden: D-1 für das Veröffentlichungsjahr 2018 und DO für das Jahr 2019. Für die Festlegung von Keywords hätten prinzipiell weitere Begriffe in die Untersuchung eingeschlossen werden können, wie beispielsweise „Missbrauchsdarstellungen“ oder „sexueller Missbrauch von Jugendlichen“. Doch bereits bei den vier gewählten Keywords kam es zu vielen Doppelergebnissen, Überschneidungen oder Artikeln, die nicht dem Thema der Untersuchung zugeordnet werden konnten. Die Autorin entschied deshalb bewusst, sich bei der Untersuchung auf vier Hauptschlagworte zu beschränken: um Fehlerquellen auszuschalten und um eine klarere Grenze zwischen den Ergebnissen für SMKJ und KP ziehen zu können.
Weil sich Teilfrage c der Forschungsfrage auf zentrale Personen oder Themen in der Berichterstattung bezieht, wurden noch zwei weitere Kategorien in das Codebuch 1 aufgenommen: „Hauptperson“ und „Thema“. Als Dimensionen für die Kategorie „Hauptperson“ wurden der Täter, das Opfer, Ermittler, Angehörige, Politiker, Religionsvertreter, und Experten gewählt. Es gab außerdem eine Dimension für den Fall, dass keine oder andere Personen zentral behandelt wurden. Für die Kategorie „Thema“ wurden die Dimensionen Tat, Ermittlungen, Gerichtsverhandlung, Strafe, Prävention & Aufarbeitung, Politische Maßnahmen und Statistiken & Studien geschaffen. Für den Fall, dass andere Themen behandelt wurden, existierte noch eine weitere Dimension für die Zuordnung dieser Artikel.
Um auch Teilfrage d der Forschungsfrage mit einer quantitativen Methode untersuchen zu können, entwickelte die Autorin Codebuch 2 (Anh. 2). Hierin wurden der Corona-Pandemie die Keywords „Covid“, „Corona“, „Virus“ und „Pandemie“ zugeordnet, und dem Ukraine-Krieg „Krieg“, „Ukraine“, „Putin“ und „Russland“. Auch in diesem Fall wollte die Autorin durch eine geringe Anzahl von Keywords Fehlerquellen vermeiden und die Resultate möglichst klar eingrenzen können.
Anhand der genannten Keywords sollten alle, im Untersuchungszeitraum in der wiso Datenbank vorhandenen Artikel der ausgewählten Tageszeitungen, auf das Vorhandensein dieser Schlagworte untersucht werden. Die Ausgabe der wiso Suchmaschine zu den Keywords pro Jahr sollte dann ins Verhältnis zur Gesamtzahl an Artikeln derjeweiligen Tageszeitung gesetzt werden.
3.1.5 Datenerhebung
Anhand des Codebuchs 1 (Anh. 1) erfolgte ein Datenerhebungstest. Die Codierung verlief dabei schnell und problemlos, weshalb die erwähnten Erweiterungen der Untersuchung erfolgten. Die anschließende Datenerhebung verlieferfolgreich und ohne Probleme, kostete aberviel Zeit. Doppelte Ergebnisse, Kopien von Artikel für Regionalausgaben und solche, die nicht dem Thema SMKJ und KP zugeordnet werden konnten, sowie Inserate oderAnzeigen wurden bei der Codierung nicht miteinbezogen. Die gesammelten Daten wurden in jeweils einem Excel-Sheet pro Tageszeitung in einer Tabelle gesammelt.
Bei der Zuordnung von Artikeln zu den Kategorien „Hauptperson“ und „Thema“ musste die Autorin auf ein hermeneutisches Verfahren zurückgreifen. Eine quantitative Analyse der Einzelartikel hätte angesichts der großen Menge von Artikeln den Rahmen dieser Arbeit gesprengt. In den Berichten werden außerdem viele Synonyme und die Eigennamen oder Berufsbezeichnungen bestimmter Personen benutzt, was eine Kategorisierung deutlich erschwert. Die Autorin bemühte sich bei der hermeneutischen Zuordnung um Objektivität und intersubjektive Nachvollziehbarkeit. Die Zuordnungsmerkmale identifizierte sie in den Überschriften und den Leads11 der Artikel, wo in der Regel auch diefünfW-Fragen beantwortet werden.
[...]
1 Skog et al. schreiben von einem sich rapide entfaltendem Prozess, bei dem digitale Innovation die nachhaltigen Wertschöpfungslogik und Werterfassung grundlegend verändert indem neue Ressourcen oder Verbindungen zwischen Ressourcen entbündelt oder neu kombiniert werden (Skog et al., 2018, S. 432).
2 Eine Untersuchung des Statista Rearch Departments zeigt, dass sich die Gesamtauflage deutscher Tageszeitungen seit 1991 fast halbiert hat. Die sinkende Auflage schlägt sich auch auf die Umsätze nieder. Die Prognosen deuten auf weitere Rückgänge hin (Statista Research Department, 2023).
3 Laut einer Umfrage in der Berliner und Brandenburger Medien- Kreativ- und Digitalwirtschaft, ist die Gewinnung und Entwicklung von Fachkräften unter den drei Top Themen jedes zweiten Unternehmens (FKTG Gesellschaft für elektronische Medien, 2022).
4 Der Agenda-Setting-Ansatz unterstellt einen direkten Einfluss der Medienagenda auf die Publikumsagenda (Maurer, 2020).
5 Framing ist das „Umrahmen“ eines Sachverhaltes mit einem Bedeutungsumfeld- oder Kontext (Scheufele, 2019).
6 „Der Begriff .reziproke Effekte' bezeichnet den Einfluss der Medien auf diejenigen, über die sie berichten“ um den starken positiven, aber auch negativen Einfluss den Medien auf diejenigen haben können, über die berichtetwird“ (Kepplinger, 2020, S. 135).
7 “Texte können Teile der Information durch Platzierung, Wiederholung oder durch die Assoziation mit kulturell familiären Symbolen hervorheben“ (Übersetzung derAutorin).
8 „Verbrechen sind rechtswidrige Taten, die im Mindestmaß mit Freiheitsstrafe von einem Jahr oder darüber bedroht sind (§12 Abs.1 StGB); „Vergehen sind rechtswidrige Taten, die im Mindestmaß mit einer geringeren Freiheitsstrafe oder die mit Geldstrafe bedroht sind“ (§12 Abs.2 StGB).
9 „Die Inhaltsanalyse ist eine Forschungsmethodikfürdie objektive, systematische und quantitative Beschreibung des augenfälligen Inhalts von Kommunikation“ (Übersetzung derAutorin).
10 „wiso ist das Hochschulangebot von GBI-Genios mit einem breiten Spektrum wissenschaftlicher und studienrelevanter Inhalte. Dazu gehören hochkarätige Referenzdatenbanken sowie die Volltexte ausgewählter Fachzeitschriften und eBooks“ (WISO, 2023).
11 „Als Lead oder Leadsatz im engeren Sinn wird der Anfang einer Nachricht bezeichnet. Er besteht aus mindestens einem, höchstens drei Sätzen und fasst die Kernaussage zusammen, ohne zu sehr ins Detail zu gehen“ (Hoofacker, 2016).
- Arbeit zitieren
- Daniela Haindl (Autor:in), 2023, Sexueller Missbrauch und Kinderpornographie in deutschen Medien. Eine Analyse der Berichterstattung im Kontext globaler Krisen (2018-2022), München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1373921
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