Diese Arbeit beschäftigt sich mit Paul Watzlawicks Verständnis von menschlicher Kommunikation und ihren Mechanismen, wie er es in seiner Veröffentlichung „Menschliche Kommunikation. Formen, Störungen, Paradoxien.“ (”Pragmatics of Human Communication: A Study of Interactional Patterns, Pathologies and Paradoxes” ) darlegt.
Es soll in Kapitel 1 zunächst der aus Watzlawicks psychologischem Erkenntnisinteresse resultierende, systemtheoretisch ausgerichtete Forschungsansatz knapp beleuchtet werden. In einem weiteren Schritt (Kapitel 2) werden grundlegende Inhalte seiner Kommunikationstheorie, geordnet nach den von Watzlawick formulierten „pragmatischen Axiomen“, vorgestellt.
Das 3. Kapitel ergänzt diese Erläuterungen um die des Prinzips der Rekalibrierung, ein im Zusammenhang des systemorientierten Ansatzes relevantes Phänomen.
Die Arbeit schließt mit einer kritischen Betrachtung des vorgestellten Forschungsansatzes an (Kapitel 4 u. 5), in welcher die Frage untersucht wird, welche Aussichten auf der Grundlage von Watzlawicks Arbeit zu einer tatsächlichen Systematisierung der Pragmatik bestehen.
Inhalt
Einleitung
1 Der Forschungsansatz
2 Die fünf „pragmatischen Axiome“
2.1 Kommunikation; Mitteilung; Nachricht; Interaktion – Eine Begriffsklärung
2.2 Das 2. Axiom
2.3 Das 1. Axiom
2.4 Das 3. Axiom
2.5 Das 4. Axiom
2.6 Das 5. Axiom
3 Rekalibrierung
4 Kritische Betrachtung
4.1 Zur Ordnung der Systeme
4.2 Faktorenbestimmung
5 Abschließende Betrachtung
Literaturverzeichnis
Einleitung
Nicht nur in der Sprachwissenschaft ist man seit langem bemüht, Kommunikation durch die Bestimmung struktureller Merkmale und die Entwicklung von Modellen als Untersuchungsgegenstand greifbar zu machen. Einen solchen Beitrag lieferte in den 1960er und 70er Jahren der Psychologe Paul Watzlawick durch seinen Versuch, Gesetzmäßigkeiten menschlicher Kommunikation zu benennen.
In dem 1969 erstmals erschienenem Buch „Menschliche Kommunikation. Formen, Störungen, Paradoxien.“ (” Pragmatics of Human Communication: A Study of Interactional Patterns, Pathologies and Paradoxes”), das er gemeinsam mit seinen Kollegen Janet H. Beavin und Don D. Jackson verfasste, stellt Watzlawick die interessante Idee einer Systematisierbarkeit der Pragmatik in den Raum. Wie es im Bereich der Syntatik und Semantik bereits möglich ist, Regeln zu formulieren und Aussagen über die Wahrscheinlichkeit im Auftreten bestimmter Satzkonstruktionen oder Wortverwendungen zu treffen, soll es auch auf pragmatischer Ebene gelingen können, Gesetzmäßigkeiten zu erkennen und systematisch aufzuschlüsseln, welche kommunikativen Handlungen einander bedingen.
Ziel dieser Arbeit ist es, den theoretischen Ansatz Watzlawicks übersichtlich vorzustellen und kritisch in den Blick zu nehmen.
Es soll in Kapitel 1 zunächst der aus Watzlawicks psychologischem Erkenntnisinteresse resultierende, systemtheoretisch ausgerichtete Forschungsansatz knapp beleuchtet werden. In einem weiteren Schritt (Kapitel 2) werden grundlegende Inhalte seiner Kommunikationstheorie, geordnet nach den von Watzlawick formulierten „pragmatischen Axiomen“, vorgestellt.
Das 3. Kapitel ergänzt diese Erläuterungen um die des Prinzips der Rekalibrierung, ein im Zusammenhang des systemorientierten Ansatzes relevantes Phänomen.
Die Arbeit wird mit einer kritischen Betrachtung des vorgestellten Forschungsansatzes abschließen (Kapitel 4 u. 5), in welcher die Frage untersucht wird, welche Aussichten auf der Grundlage von Watzlawicks Arbeit zu einer tatsächlichen Systematisierung der Pragmatik bestehen.
1 Der Forschungsansatz
Paul Watzlawicks Forschungsinteresse auf dem Gebiet der menschlichen Kommunikation resultiert aus seiner berufspraktischen Erfahrung als Psychotherapeut, ein Beruf, der ihn vor die Herausforderung stellte, sogenanntes gestörtes (psychopathologisches) Verhalten[1] seiner Klienten oder Patienten zu erklären, um Handlungsanregungen geben zu können. Watzlawicks Herangehensweise ist dabei durch zwei Ansätze im Besonderen gekennzeichnet.
Der erste besteht in seiner systemtheoretischen Orientierung. Egal ob es sich um vereinzelte Begegnungen einander fremder Personen handelt oder um dauerhafte Familienverbände, Freundschaften oder auch gemeinsame Arbeitsverhältnisse etc., Watzlawick betrachtet jegliche dieser „Beziehungen“ als komplexe, sich selbst regulierende und offene Systeme, in denen allgemein systemimmanente Regeln Geltung haben.[2] Da diesen folgend jede Veränderung eines Einzelelementes sich auf das Gesamtsystem auswirken kann, verneint Watzlawick die Erfolgsaussicht therapeutischer Bemühungen, deren Diagnosen sich nur auf Einzelindividuen beziehen, denn Schizophrenie und andere Pathologien stellen für ihn Störungen des zwischenmenschlichen Beziehungssystems dar, in dem sie auftreten, und können dementsprechend erst über eine Betrachtung des Gesamtsystems und seiner Umwelt erklärt werden.[3]
Der zweite wesentliche Ansatz Watzlawicks resultiert aus der Feststellung eines Problems, das in der fehlenden Möglichkeit besteht, intrapsychische Vorgänge objektiv zu untersuchen.[4] Psychologie und Psychiatrie sind darauf angewiesen, Verhalten zu beobachten und rückschließend unbeweisbare Vermutungen über die innerseelischen Prozesse anzustellen, die dem Verhalten vermeintlich zugrunde liegen. Aus dieser „Unmöglichkeit, die Seele an der Arbeit zu sehen“ zieht Watzlawick die Konsequenz, seine Forschung allein auf beobachtbare Phänomene, auf die „Ein- und Ausgaberelationen menschlicher Beziehungen“, auszurichten.[5] Damit gerät die Frage nach dem ‚Warum’ zugunsten der Bemühungen, das ‚Wie’ zu verstehen in den Hintergrund.
Beide Untersuchungsansätze, sowohl die Konzentration auf menschliche Beziehungen als auf beobachtbare Phänomene, führen Watzlawick zum Forschungsfeld der menschlichen Kommunikation, die er als Medium der beobachtbaren Manifestationen menschlicher Beziehungen sieht. Es ist die Frage, wie die menschliche Kommunikation das Verhalten der Teilnehmer beeinflusst und damit ihr pragmatischer Aspekt, dem Watzlawicks Aufmerksamkeit gilt.[6]
Kommunikation als System
Die Orientierung am Beobachtbaren hat zur Folge, dass Intentionalität oder Nichtintentionalität menschlichen Verhaltens keine relevanten Untersuchungskriterien darstellen können. Ob Person A Person B unabsichtlich oder absichtlich mit einem falschen Namen anspricht, ist für die Forschung ebenso wenig überprüfbar, wie für Person B, die jedoch in irgendeiner Weise darauf reagieren wird. Die Reaktion der Person B findet statt und gründet sich wahrscheinlich auf ebenfalls nicht beobachtbare Vermutungen hinsichtlich der Intentionalität A’s, erweist sich aber als unabhängig von der tatsächlichen Motivation der Person A.
Das System präsentiert sich als eine Gleichung mit vielen Unbekannten im intrapsychischen Bereich, selbst unter Einbezug von Erkenntnissen der Neuropsychologie lassen sich die Prozesse nicht vollständig erklären. Das System ist nicht in dem Maße durchschaubar, dass eine theoretische Rekonstruktion, die Abbildung eines vollständigen Bauplans möglich wäre, was aber untersuchbar wird, ist seine praktische Funktionalität.
Der systemtheoretische Ansatz beinhaltet eine Analyse der menschlichen Kommunikation, die sich nicht auf die Sender-Zeichen- oder Empfänger-Zeichen-, sondern auf die Sender-Empfänger-Relation richtet, der Zeichenbegriff wird „eliminiert.“[7] Jeder kommunikative Akt bewirkt eine Reaktion beim Empfänger, die wiederum Auswirkungen auf das Verhalten des Senders hat; es besteht eine sich fortsetzende „Rückkopplung“.[8] Hinsichtlich kurzer und in ihrer Teilnehmerkonstellation einmaliger Kommunikationsabläufe, wie etwa gegenseitigem Grüßen einander fremder Personen, kann diese Feststellung kaum von Belang sein, denn die Kommunikation bricht rasch ab.[9] In dauerhafteren zwischenmenschlichen Beziehungen bauen sich jedoch aufgrund der Rückkopplungsdynamik komplexe Kommunikationsstrukturen auf. Innerhalb dieses Systems sei letztendlich kein kommunikatives Ereignis, abgesehen von der allerersten Mitteilung, unabhängig von den übrigen. Watzlawick spricht hierbei von der „Kreisförmigkeit der Kommunikationsabläufe“.[10]
Eine Konsequenz dieser Betrachtungsweise ist, dass Watzlawick sämtliche Versuche einer Trennung von Ursache und Wirkung zumeist als zum Scheitern verurteilt und für die Überwindung pathologischer Verhaltensweisen als wenig hilfreich ansieht. Der historische Anfang des Kommunikationsverlaufs fällt nach Watzlawicks Verständnis mit dem Beginn der Beziehung zusammen und ist dementsprechend meist weder erinnerbar noch der Schlüssel zur Durchbrechung etablierter Kommunikationsstrukturen.[11] Watzlawick vermutet aber eine Regelmäßigkeit der Kommunikationsabläufe, die sich in Wiederholungsprozessen abbildet. Bedingt seien diese durch die Ausrichtung der Systemfunktionen auf das Ziel innerer Stabilität.
Wenn ein System mit der Fähigkeit ausgestattet ist, einmal geleistete Anpassungen für künftige Anwendungen zu speichern, so bringt dies eine drastische Veränderung in der Wahrscheinlichkeit seiner Verhaltensabläufe mit sich [...] in dem Sinn, daß gewisse Verhaltensformen häufiger auftreten und damit wahrscheinlicher werden als andere.[12]
Eine Mutter, die lernt, dass es ihr Kind beruhigt, diesem etwas vorzusingen, wird dieses Verhalten bei kommunizierter Unruhe häufiger an den Tag legen. Im Laufe der Entwicklung jener Beziehung, werden sowohl die Mutter als auch das Kind bewusste und unbewusste Verhaltenstrategien entwickeln, um typischen Verhaltensmustern des Kommunikationspartners zu begegnen. Wechselseitige Verhaltensformen schleifen sich ein.[13]
Theoretisch könnte diese Regelmäßigkeit hinsichtlich der Kommunikationsabläufe Wahrscheinlichkeitsprognosen erlauben. Es ließe sich feststellen, dass Verhaltensweise a als Reaktion die Verhaltensweisen b, c, h, oder r zulassen würde nicht aber d, g oder i. Es ließen sich theoretisch Angaben darüber machen, mit welcher Wahrscheinlichkeit Verhaltensweise b im Gegensatz zu c zu erwarten wäre.[14] Dies kann mehr oder weniger davon abhängig sein, ob Verhaltensweise a ihrerseits eventuell in Kombination mit j oder y auftrat und sich als eine Reaktion auf Verhaltensweise q oder gar z ausnahm. Beachtet man Watzlawicks Hinweis darauf, dass in offenen Systemen auch der Kontext die kommunikativen Abläufe mitbestimmt[15], ergibt sich, dass auch Umweltfaktoren in der Rechnung berücksichtigt werden müssten. Diese kombinatorischen Gesetze sind jedoch nicht nur wandelbar[16], sondern müssten auch, da durch die Struktur des Systems bedingt, demnach in jeder zwischenmenschlichen Beziehung andere sein. Die Komplexität zwischenmenschlicher Beziehungssysteme macht derartige Prognosen in der Praxis so überaus schwierig.
Für diese durch die Abhängigkeiten ihrer Einzelelemente bestimmte Struktur gebraucht Watzlawick den Begriff der „Redundanz“.[17] Wenngleich die kombinatorischen Gesetze schwer erkennbar und formulierbar seien, seien sie doch wirksam und die Redundanz vorhanden.
Mit Bezug auf die von Charles W. Morris in der Semiotik vorgenommene Dreiteilung nach Syntaktik, Semantik und Pragmatik, hebt Watzlawick hervor, dass bereits aufschlussreiche Untersuchungen zur Redundanz in den Bereichen der Syntaktik und Semantik angestellt worden seien und der Sprachwissenschaft erlaubten, etwa die „Wahrscheinlichkeit des Auftretens oder die Rangordnung von Buchstaben oder Wörtern in einer bestimmten Sprache an[zu]geben.“[18]
Bei jedem Menschen sei eine, wenn auch meist unbewusste, doch umfangreiche Kenntnis der syntaktischen, semantischen und pragmatischen Regeln, die durch die Struktur der Systeme bedingt sind, vorhanden.[19] Im Deutschen beispielsweise sind wir in der Lage, die syntaktische Fehlerhaftigkeit des Satzes „großer ein Napoleon war Mann“ oder die semantische Unzulänglichkeit der Aussage „Mann war ein großer Napoleon“ zu erkennen, und auch auf pragmatischer Ebene wissen wir, dass auf die Frage „wie geht es dir?“ eine Antwort wie „danke, gut“ angemessen ist, während die mögliche Antwort „Napoleon war ein großer Mann“ zwar syntaktisch und semantisch korrekt erscheint, aber unser Empfinden darüber, was richtige Kommunikation ist, verletzt.
Auch auf pragmatischer Ebene verringert jeder Austausch von Mitteilungen die Zahl der nächstmöglichen Mitteilungen.[20] Es sind Erscheinungen jener pragmatischen Redundanz, nach denen Watzlawick forscht.
Die von Watzlawick und anderen Sprachwissenschaftlern angestellte Analysearbeit, die Auseinandersetzung und der theoretisierende Austausch über Abläufe und Regeln der Kommunikation bezeichnet er als „Metakommunikation“: die Kommunikation wird zum Gegenstand weiterer Kommunikation. Was Watzlawick hier jedoch beklagt ist, dass es, anders als in der Metamathematik, an einem metasprachlichen Begriffssystem fehle, über welches sprachwissenschaftlich-pragmatische Analyseergebnisse formuliert werden könnten, denn unsere „natürliche“ Sprache werde der Komplexität des Phänomens nicht gerecht. Ein solches Begriffssystem müsste sich jedoch komplexer ausnehmen als das System, das sie beschreibt.[21]
So sagt Watzlawick selbst, dass „jeder Versuch einer Systematisierung der Pragmatik als Ausdruck von Ignoranz und Überheblichkeit erscheinen [muß]“. Was er trotz allem beabsichtigt ist, einige erste Schritte in jenes noch weitgehend unerschlossene Forschungsgebiet zu wagen, „Denkmodelle zu formulieren und Sachverhalte zu veranschaulichen, die die Gültigkeit dieser Modelle zu unterbauen scheinen“, in der Hoffnung, dass diese Ergebnisse in der Zukunft auch im Rahmen anderer Wissenschaftszweige aufgegriffen werden könnten.[22]
2 Die fünf „pragmatischen Axiome“
Watzlawick beginnt damit, die „einfachsten Eigenschaften der Kommunikation“ festzustellen und formuliert aus seinen Untersuchungen heraus fünf „pragmatische Axiome“,[23] deren Verletzung er als Merkmal gestörter (pathologischer) Kommunikation beschreibt.[24]
Diese Axiome werden im Folgenden vorgestellt, dies jedoch in etwas veränderter Reihenfolge. Für eine detaillierte Betrachtung des 1. Axioms, erscheint der Rückgriff auf Begriffe sinnvoll, welche Watzlawick in seinem 2. Axiom einführt, weshalb das 2. hier vor dem 1. Axiom behandelt wird. Zuvor bedürfen außerdem erst einige der von Watzlawick gebrauchten Begriffe einer Klärung.
2.1 Kommunikation; Mitteilung; Nachricht; Interaktion – Eine Begriffsklärung
Watzlawick setzt den zentralen Begriff der ‚Kommunikation’ mit den Begriffen des „Informationsaustausches“ und, wie noch erläutert werden wird, mit dem des „Verhalten[s]“ gleich. Das Material der Kommunikation seien nicht nur Worte, sondern ebenso alle „paralinguistischen Phänomene“ sowie die „Körpersprache“.
Für den kleinsten beobachtbaren Kommunikationsprozess verwendet er den Begriff der „Mitteilung“ („einzelne Kommunikation“), die von einem Sender an einen Empfänger übermittelt wird. Der Begriff findet auf jeden kommunikativen Akt Anwendung, unabhängig davon, ob es dem Sender gelingt, sich dem Empfänger verständlich zu machen und unabhängig davon, ob der Sender sich bewusst mitteilt oder nicht. Der Begriff der ‚Mitteilung’ scheint somit für Watzlawick in Abgrenzung zur „Nachricht“ zu stehen, für die noch „ein semantisches Übereinkommen“ zwischen Sender und Empfänger vorausgesetzt ist. Sobald ein „wechselseitiger Ablauf von Mitteilungen zwischen zwei oder mehreren Personen“ stattfindet, gebraucht Watzlawick den Begriff der „Interaktion“.[25]
2.2 Das 2. Axiom
Watzlawicks Formulierung seines zweiten Axioms lautet: „Jede Kommunikation hat einen Inhalts- und einen Beziehungsaspekt, derart, daß letzterer den ersteren bestimmt und daher eine Metakommunikation ist.“[26]
Er erklärt den Inhaltsaspekt als Information, die der Empfänger der Mitteilung entnehmen kann, wobei es für die Anwendung des Begriffs ‚Inhalt’ unwichtig ist, ob die Information „wahr oder falsch, gültig oder ungültig oder unentscheidbar“ ist. Den Beziehungsaspekt beschreibt Watzlawick als einen in jeder Mitteilung gegebenen Hinweis darauf, wie ihr Sender sie vom Empfänger verstanden haben wünscht. Der Sender definiert darüber, wie er seine Beziehung zum Empfänger sieht.[27]
Das einfachste Beispiel zur Veranschaulichung liegt im Kontrast der verbalen Mitteilungen: „Hilfst du mir bitte!“ und „Helfen Sie mir bitte!“ Die Mitteilungen sind sich inhaltlich gleich, der Sender übermittelt die Information, dass er vom Empfänger Hilfe wünscht.[28] Der Unterschied hinsichtlich der Beziehungsdefinition wird hier an den Worten ‚du’ oder ‚Sie’ deutlich. In diesem Beispielen geschah die Definition über ein einzelnes Wort in einer verbalen Mitteilung, doch so wie schon eine Mitteilung in körpersprachlicher Form und vielfältigen weiteren gesendet werden kann, kann auch der Beziehungsaspekt auf vielfältige und von der Übermittlung des Inhaltsaspektes abweichende Weise übermittelt werden. Wo die gesprochenen Worte den Inhalt einer Mitteilung leicht klar machen können, könnte es erforderlich sein, so Watzlawick, auf Intonation, Körpersprache etc. des Senders zu achten, um Aufschluss über den Beziehungsaspekt zu erhalten.
Dabei ist zu beachten, dass die vom Sender selten bewusst übermittelte Beziehungsdefinition[29] vom Empfänger weder in gleicher Weise verstanden noch akzeptiert werden muss. Jeder Beziehungspartner versucht, die Beziehung in seiner Weise zu gestalten, der andere akzeptiert oder verwirft dieses Angebot.[30] Person A kann auf ein ‚Du’ mit einem ‚Sie’ antworten, weil sie das ‚Du’ entweder nicht als Ausdruck der von Person B empfundenen Vertrautheit aufgefasst hat oder, weil sie die Einschätzung A’s nicht teilt. In der kommunikativen Interaktion findet demnach ein fortwährender und nicht zu überschauender Austausch von Beziehungsdefinitionen statt. Das auf der einfachsten Stufe übermittelte: „so sehe ich mich/ so sehe ich dich“ erhält seine Antwort: „so sehe ich dich/ so sehe ich mich“ und hat sich in der nächsten Mitteilung schon weiterentwickelt zu: „so sehe ich mich von dir gesehen/ so sehe ich dich, dass du dich von mir gesehen siehst“.[31]
Die Bestätigung der übermittelten Beziehungsdefinition durch Kommunikationspartner sei, so Watzlawick, wichtig für die geistige Stabilität und Entwicklung des Individuums. Menschliche Kommunikation erklärt sich deshalb nicht nur aus dem Drang zum Informationsaustausch sondern ebenso aus dem Bedürfnis jedes Individuums nach „Erhalt des Ichbewusstseins“.[32] Umso belastender wirkt sich eine „Entwertung“ der Kommunikation auf der Beziehungsebene aus, die dann eintreten kann, wenn übermittelte Beziehungsdefinitionen nicht als wahr angenommen oder falsch zurückgewiesen, sondern als unentscheidbar behandelt werden, wie in Watzlawicks Beispiel einer Ehefrau, deren Problem darin lag, nicht erkennen zu können, wie sie mit ihrem Mann stand, denn er pflegte sie grundsätzlich, fern jeder Differenzierung, zu loben und zu bestätigen.[33]
Praktische Relevanz kann die Unterscheidbarkeit von Inhalts- und Beziehungsaspekt insofern haben, als beide Ebenen unabhängig voneinander die Kommunikation bestimmen können. Einigkeit oder Uneinigkeit können auf einer Ebene bestehen und auf der anderen nicht. Zu Verstrickungen kann es führen, wenn auf einer Ebene vorhandene Probleme, auf der anderen zu lösen versucht werden. Ein Kind, das sein Zimmer selbst für unordentlich hält, kann dennoch inhaltlich dagegen argumentieren, es aufräumen zu müssen, nachdem es Anstoß an der vorwurfsvollen Forderung der Mutter auf der Beziehungsebene genommen hat. Andersherum könnte die Empfindung bedrohter Autorität seitens der Mutter, also ein Problem auf der Beziehungsebene, dazu führen, vom Kind Handlungen einzufordern, zu denen auf inhaltlicher Ebene kein Bedarf besteht, wie etwa ein aufgeräumtes Zimmer aufzuräumen. Die Natur der Verstrickung ist den Kommunikationspartnern meist nicht bewusst.[34]
[...]
[1] Watzlawick, Paul/ Beavin, Janet H./ Jackson, Don D.: Menschliche Kommunikation. Formen, Störungen, Paradoxien. (11. unveränderte Aufl.) Bern: Verlag Hans Huber, 2007. S. 22
[2] Ebenda. S. 116.
[3] Ebenda. S. 21 f.
[4] Zu einem geringen Grad kann die Neuropsychologie dies heutzutage aber tatsächlich leisten.
[5] Watzlawick/Beavin/ Jackson: Menschliche Kommunikation. S. 45.
[6] Watzlawick/Beavin/ Jackson: Menschliche Kommunikation. S. 22.
[7] B.-Vos erklärt Watzlawicks Herangehensweise deshalb als „apragmatisch“. Siehe: Bremerich-Vos: Warnung vor Watzlawick. In: Studium Linguistik 16 (1985), S. 62-77. S. 65.
[8] Watzlawick/Beavin/ Jackson: Menschliche Kommunikation. S. 29 f.
[9] Ebenda. S. 125.
[10] Ebenda. S. 47 f.
[11] Watzlawick/Beavin/ Jackson: Menschliche Kommunikation. S. 57 ff.
[12] Ebenda. S. 35.
[13] Der Begriff der Stabilisierung darf dabei nicht mit der Formung einer „gesunden“ Beziehung verwechselt werden. Ein Paar, das vermeidet, über Gefühle zu sprechen, vermag so emotionale Überforderung durch den jeweils anderen und daraus folgende Konflikte umgehen und die innere Stabilität der soweit funktionalen Beziehung aufrecht erhalten, diese aber gleichzeitig, aufgrund fehlender Modifizierbarkeit im Falle wechselnder Umweltbedingungen, angreifbar machen.
[14] Watzlawick/Beavin/ Jackson: Menschliche Kommunikation. S. 43.
[15] Ebenda. S. 23 / 117f.
[16] Siehe Kapitel 3. Rekalibrierung u. Kapitel 4.1. Zur Ordnung der Systeme !
[17] Watzlawick/Beavin/ Jackson: Menschliche Kommunikation. S. 34 ff.
[18] Ebenda. S. 36. Watzlawick verweist hierbei auf Untersuchungen durch Claude E. Shannon, Rudolph Carnap und Y. Bar-Hillel.
[19] Ebenda.. S. 36.
[20] Ebenda. S. 126.
[21] Ebenda. S. 41 ff.
[22] Watzlawick/Beavin/ Jackson: Menschliche Kommunikation. S. 13.
[23] Ebenda. S. 50 ff.
[24] Ebenda. S. 44
[25] Watzlawick/Beavin/ Jackson: Menschliche Kommunikation. S. 22, S. 23, S. 30, S. 50 ff.
Da die Intention des Senders, aufgrund ihrer fehlenden objektiven Überprüfbarkeit, in Watzlawicks Untersuchungen unberücksichtigt bleibt, erscheint auch eine Begriffsdifferenzierung zwischen ‚Mitteilung’ und ‚Nachricht’ in seinen Ausführungen als nicht relevant.
[26] Watzlawick/Beavin/ Jackson: Menschliche Kommunikation. S. 56.
[27] Ebenda. S. 53.
[28] Die auch bei Bremerich-Vos vorgenommene Darstellung des Inhaltsaspektes in Form eines Satzes wie „ich möchte, dass du mir hilfst“, kann nur eine Veranschaulichung sein. Die Information muss im Gehirn des Empfängers keineswegs in Form eines Satzes aufgenommen und verarbeitet werden, denn auch jenseits der natürlichen Sprache ist Informationsverarbeitung möglich. Hinsichtlich der verbalen Mitteilung „hilfst du mir bitte“ ist es nicht möglich eine strukturell korrekte Darstellung dessen zu geben, wie der Inhaltsaspekt aussieht. Ähnlich verhält es sich mit dem Beziehungsaspekt; zum Problem der Struktur tritt hier noch das der Komplexität.
[29] Watzlawick/Beavin/ Jackson: Menschliche Kommunikation. S. 55.
Die Beziehungsdefinition kann sogar von einem Empfänger aufgenommen werden, ohne dass der Sender zuvor selbst die Möglichkeit hatte, eine eigene Einschätzung der Beziehung zum Empfänger zu treffen, wie im nächsten Kapitel gezeigt werden wird.
[30] Vgl. Watzlawick/Beavin/ Jackson: Menschliche Kommunikation. S. 127.
[31] Watzlawick/Beavin/ Jackson: Menschliche Kommunikation. S. 89. Es wird in dieser Darstellung die Komplexität einer Beziehungskonstellation verdeutlicht. Wenn bei Watzlawick und in dieser Arbeit Beziehungen thematisiert werden, so lassen sich diese nicht adäquat in einem Wort wie ‚Liebesbeziehung’ oder mit Hilfe von Begriffen wie ‚dominant’ oder ‚untergeben’ abbilden. Beziehungen sind definiert durch die Gesamtheit unzähliger implizierter und voneinander abhängiger Verhaltensmuster.
[32] Watzlawick/Beavin/ Jackson: Menschliche Kommunikation. S. 84.
[33] Ebenda. S. 86 f.
[34] Watzlawick/Beavin/ Jackson: Menschliche Kommunikation. S. 79 ff.
- Arbeit zitieren
- Toni Ziemer (Autor:in), 2008, Die Kommunikationstheorie Paul Watzlawicks, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/137319
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