In der vorliegenden Diplomarbeit werde ich die wichtigsten Aspekte der psychosozialen Beratung von Migranten in schwierigen Lebenssituationen darstellen. Diese Diplomarbeit ist dabei in sechs Kapitel aufgeteilt.
Nach der kurzen Einführung in die Thematik und Information zu meiner Motivation werde ich im Kapitel zwei die wichtigsten Migrationsströme des 20.Jahrhunderts und die heutige Migrantenvielfalt in Deutschland beschreiben. Hierbei werden auch die Ursachen von Migrationsbewegungen dargestellt.
Im dritten Kapitel werde ich ein besonderes Augenmerk auf psychische Belastungen in der Migration richten und psychischen und psychosoziale Folgen der Migration benennen.
Das vierte Kapitel ist den theoretischen Grundlagen der interkulturellen Beratung gewidmet. Nach der Diskussion über den Begriff des „Interkulturellen“ werde ich die wichtigsten Ansätze der interkulturellen Beratung und die Anforderungen an die beraterischen Institutionen vorstellen. Eine bedeutende Rolle spielt dabei die Frage der interkulturellen Kompetenz des Beraters
Obwohl diese Fragen für alle Bereiche der sozialpädagogischen Arbeit von der Bedeutung sind, befasse ich mich im fünften Kapitel mit ausgewählten Arbeitsfeldern der pädagogischen Beratung. Ich werde den Therapie-/Beratungsablauf und Besonderheiten bei der Behandlung von suchtabhängigen Migranten, bei den Flüchtlingen und in der Erziehungsberatung beschreiben.
Die Diplomarbeit wird mit einer Zusammenfassung abgeschlossen.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Migration als politisches und soziales Phänomen
2.1 Migration in der Bundesrepublik Deutschland:
ein Blick in die Geschichte der deutschen Nachkriegszeit
2.1.1 Ausländische Arbeitskräfte
2.1.2 Aussiedler
2.1.3 Flüchtlinge und Asylbewerber
2.2 Ursachen von Migration
2.3 Zusammenfassung
3. Migration und ihre Auswirkung auf das psychische Befinden der Migranten
3.1 Phasen von Migrationsprozessen
3.2 Psychische und psychosoziale Folgen der Migration
3.3 Zusammenfassung
4. Interkulturelle Beratung von Migranten – konzeptionelle Grundlagen und methodische Ansätze
4.1 Zum Begriff des „Interkulturellen“
4.2 Systemtherapeutische Ansätze in der interkulturellen Beratung
4.2.1 Strukturelle Familientherapie
4.2.2 Lösungsorientierte Kurzzeittherapie
4.2.3 Narrative Therapie
4.2.4 Das Reflektierende Team als Methode der Systemtherapie
4.3 Bedeutung der Sprache in der Beratung
4.4 Interkulturelle Kompetenz des Beraters
4.5 Netzwerkarbeit
4.5.1 Fallbezogene Netzwerkarbeit
4.5.2 Programmatische Netzwerkarbeit
4.6 Interkulturelle Teamarbeit
4.7 Zusammenfassung
5. Arbeitsbereiche der interkulturellen Beratung
5.1 Beratung und Therapie von Suchtstörungen bei Migranten
5.2 Beratung und Therapie von Flüchtlingen
5.3 Erziehungsberatung mit Migranten
5.4. Zusammenfassung
6. Schlusswort
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Jedes Jahr verlassen Millionen Menschen auf der ganzen Welt ihren festen Wohnsitz und suchen eine bessere Zukunft an einem anderen Ort. Solche Wanderungen werden mit dem Begriff „Migration“ bezeichnet. Wanderungen über die Staatsgrenzen werden “internationale Migration“ genannt. Konkret versteht man unter Migration „die Bewegung von Individuen oder Gruppen im geographischen oder sozialen Raum ohne sichere und planbare Rückkehr oder die Gewissheit einer sicheren Ankunft bzw. eines bestimmten Ankunftsortes“ (vgl. Wagner, S. 1151). Die Gründe der Migration sind unterschiedlich. Einige Menschen wollen von dem wirtschaftlichen Aufschwung in anderen Ländern profitieren und suchen berufliche Herausforderung im Ausland. Andere verlassen ihre Heimat plötzlich in der Nacht um politischer oder religiöser Verfolgung zu entkommen. Alle diese Menschen verbindet der Wunsch, sich aus ihrer politischen, sozialen und ökonomischen Not zu befreien und bessere Chancen und sichere Lebensbedingungen für sich und ihre Kinder zu schaffen.
Da die Bundesrepublik Deutschland sich in Mitteleuropa befindet und eines der reichsten Länder der westlichen Welt ist, war sie schon immer ein beliebtes Ziel der Migranten. Im Jahr 2007, nach Angaben der Bundesregierung, sind 680.766 Menschen nach Deutschland gezogen, davon 574.752 Ausländer. Zurzeit leben in Deutschland ca. 7,3 Millionen Ausländer, was einem Einteil von 8,8% der Gesamtbevölkerung entspricht (Statistisches Bundesamt). In Bielefeld leben laut einer Statistik des Landesamtes für Datenverarbeitung NRW 38 931Menschen, die keinen deutschen Pass besitzen (Stand: 31. Dezember 2007). Diese Zahl entspricht 12 Prozent der Gesamtbevölkerung in Bielefeld.
Der Alltag von Menschen, die einen Migrationsakt in Deutschland durchlebt haben, ist von unterschiedlichen Problemen geprägt. Sie fühlen sich fremd in der deutschen Gesellschaft, sie beherrschen die deutsche Sprache nur wenig. Sie kennen sich nicht im deutschen Sozialhilfesystem aus und können oft nur unqualifizierte, wenig bezahlte Arbeit annehmen. Ihre Kinder haben Probleme in der Schule und mit den Gleichaltrigen. Unter der Last von vielen Problemen und Spannungen zerbrechen oft die Familien. Aus diesen Gründen stehen viele Migranten unter Stress, sind Überfordert mit den Kindern, leiden an Depressionen oder greifen zu Rauschmitteln.
Probleme der Migranten, ihre Schwierigkeiten bei der Integration in die deutsche Gesellschaft wurden in der Politik lange Zeit verschwiegen. Zahlreiche Untersuchungen haben schon vor langer Zeit auf die psychischen und sozialen Folgen der Migration hingewiesen. Erst nach dem Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes 2005 wurden die Weichen für eine neue Integrationspolitik gestellt. Probleme von Migranten wurden anerkannt, die auslösenden Faktoren untersucht und fördernde Maßnahmen eingeleitet. Eine wichtige Rolle bei der Durchführung von fördernden und unterstützenden Angeboten haben soziale Einrichtungen des Staates, der Wohlfahrtsverbände und Kirche.
Aktuell ist unterstützende Arbeit in Beratungseinrichtungen oft durch folgende Probleme erschwert:
- Durch fehlende interkulturelle Kompetenz können die Mitarbeiter der sozialen Einrichtungen ihren Klienten beim Problemlösen wenig helfen. Es fehlt das Wissen über die kulturellen oder religiösen Hintergründe oder Vorstellungen bestimmter Bevölkerungsgruppen.
- Migranten sind nicht ausreichend informiert über die Angebote der Beratungsstellen.
- Migranten haben kein Vertrauen gegenüber den deutschen Institutionen oder den nur ausschließlich deutschsprachigen Beratern.
Mein Interesse an dieser Thematik wurde im Verlauf meines erziehungswissen-schaftlichen Studiums an der Universität Bielefeld geweckt und während meines Praxissemesters weiter entwickelt. Mein Praktikum habe ich in der Migrationsabteilung des Deutschen Roten Kreuzes absolviert. Zu meinen Aufgaben gehörte die pädagogische Arbeit mit Menschen mit Migrationshintergrund. Klienten der Beratungsstelle kamen überwiegend aus der ehemaligen Sowjetunion, aus Sri-Lanka und dem Iran. Da die russische Sprache meine Muttersprache ist, habe ich überwiegend mit russischsprechenden Klienten gearbeitet. Anfangs habe ich die Beratungsgespräche zwischen russischsprechenden Migranten und der Beraterin übersetzt. Später übernahm ich die Beratung und Begleitung von einigen Klienten. Die Thematik der Beratungsgespräche lag in den Bereichen Arbeitsplatzsuche, soziale Leistungen, familiäre und Erziehungsprobleme. Außerdem hebe ich während meiner Praktikumszeit an der von der Migrationsabteilung vorbereiteten Fortbildung „Sucht und Migration“ teilgenommen.
Während meines Praktikums habe ich viele Menschen mit unterschiedlichen Migrationserfahrungen kennengelernt und vieles über deren Probleme, ihre Schwierigkeiten und Hindernisse in der Migration erfahren. Auf diesem Hintergrund ist die Idee für das Thema meiner Diplomarbeit entstanden.
In der vorliegenden Diplomarbeit werde ich die wichtigsten Aspekte der psychosozialen Beratung von Migranten in schwierigen Lebenssituationen darstellen. Diese Diplomarbeit ist dabei in sechs Kapitel aufgeteilt.
Nach der kurzen Einführung in die Thematik und Information zu meiner Motivation werde ich im Kapitel zwei die wichtigsten Migrationsströme des 20.Jahrhunderts und die heutige Migrantenvielfalt in Deutschland beschreiben. Hierbei werden auch die Ursachen von Migrationsbewegungen dargestellt.
Im dritten Kapitel werde ich ein besonderes Augenmerk auf psychische Belastungen in der Migration richten und psychischen und psychosoziale Folgen der Migration benennen.
Das vierte Kapitel ist den theoretischen Grundlagen der interkulturellen Beratung gewidmet. Nach der Diskussion über den Begriff des „Interkulturellen“ werde ich die wichtigsten Ansätze der interkulturellen Beratung und die Anforderungen an die beraterischen Institutionen vorstellen. Eine bedeutende Rolle spielt dabei die Frage der interkulturellen Kompetenz des Beraters.
Obwohl diese Fragen für alle Bereiche der sozialpädagogischen Arbeit von der Bedeutung sind, befasse ich mich im fünften Kapitel mit ausgewählten Arbeitsfeldern der pädagogischen Beratung. Ich werde den Therapie-/Beratungsablauf und Besonderheiten bei der Behandlung von suchtabhängigen Migranten, bei den Flüchtlingen und in der Erziehungsberatung beschreiben.
Die Diplomarbeit wird mit einer Zusammenfassung abgeschlossen.
2. Migration als politisches und soziales Phänomen
Migration ist eine der stärksten Kräfte sozialen Wandelns. Sie hat einen wirksamen Einfluss auf soziale, demographische und ökonomische Transformationsprozesse. Durch Migration werden politische Grenzen übertreten, die Arbeitskräfte in unterschiedlichen Regionen und Staaten neu zusammengesetzt, das Gesicht der Städte nachhaltig und unumkehrbar verändert. Außerdem stellt Migration eine Triebkraft von kultureller und ökonomischer Entwicklung dar. Menschen, die in einem Land ihre neue Heimat gefunden haben, bringen Wissen, Erfahrungen und Kultur mit und bereichern damit ihre Aufnahmeland. Düvell beschreibt Migration nicht als isoliertes soziales Phänomen, sondern als einen integralen Bestandteil der Entwicklung der Menschheit (vgl. Düvell, S.164).
Die Migrationsbewegungen spielten schon immer eine bedeutende Rolle für die Bundesrepublik Deutschland.
2.1 Migration in der Bundesrepublik Deutschland: ein Blick in die Geschichte der deutschen Nachkriegszeit
Zurzeit leben in Deutschland laut einer Statistik des Bundesamtes vom 31.12.2008 7.246.558 Ausländer, das sind 8,8% der Gesamtbevölkerung. Schon seit Jahrhunderten zeichnete sich das deutsche Territorium durch Menschenwanderungen aus. Die heutige Migrationsrealität in Deutschland ist weitgehend durch die Migrationsvorgänge geprägt, die nach dem Zweiten Weltkrieg eingetreten sind. Sie sind komplex und facettenreich. Die wichtigsten Migrantengruppen in Deutschland sind:
- ausländische Arbeitnehmer, vor allem aus südeuropäischen Ländern,
- Aussiedler
- Flüchtlinge/Asylbewerber.
2.1.1 Ausländische Arbeitskräfte
"Wir riefen Arbeitskräfte und es kamen Menschen."
Max Frisch
Eine der zentralen Bestimmungsfaktoren der heutigen Migrationsrealität stellt die Anwerbung der Arbeitskräfte aus den südeuropäischen Ländern in der wirtschaftlichen Aufbau- und Wachstumsphase unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg dar. Am 20. Dezember 1955 schloss die Bundesrepublik mit Italien ein erstes Anwerbeabkommen zur Rekrutierung von Arbeitskräften ab. Weitere solcher Abkommen folgten unter anderem mit Spanien (1960), Griechenland (1960), Türkei (1961) und Jugoslawien (1968) (vgl. Han, S. 23).
Die Gründe für die Anwerbung von ausländischen Arbeitskräften in Westdeutschland waren:
- anhaltender Boom der deutschen Exportwirtschaft;
- die Anzahl der offenen Stellen 1960 war höher als die Zahl der Arbeitslosen;
- Bildungsexpansion und verlängerte Bildungszeiten;
- sinkendes Rentenalter;
- Babyboom und verringerte Erwerbsbeteiligung von Frauen auf dem Arbeitsmarkt (vgl. Münz u.a. S. 44).
Gesucht und ins Land geholt wurden Personen, für die es auch Arbeit gab, überwiegend schlecht bezahlte und unattraktive Arbeit, für die sich deutsche Bürger nicht interessierten. Die Arbeits- und Aufenthaltserlaubnisse für die ausländischen Arbeitnehmer wurden zunächst nur für ein Jahr ausgestellt. Nach einem Jahr mussten die Arbeiter das Land verlassen, als Ersatz kamen immer wieder neue ausländische Arbeitssuchende nach Deutschland. In den ersten Jahren der Gastarbeitermigration wurde das Rotationsmodell von der deutschen Wirtschaft und Öffentlichkeit und auch von den Gastarbeitern und ihren Herkunftsländern akzeptiert. In dieser Zeit kamen bis zum Anwerbestopp 1973 insgesamt 2,6 Mio. Erwerbstätige nach Deutschland. Die größten Gruppen unter den Beschäftigten waren zum damaligen Zeitpunkt 605.000 Türken, 535.000 Jugoslawen, gefolgt von 450.000 Italienern, 250.000 Griechen und 190.000 Spaniern (vgl. Länderprofil S. 2).
Die ersten Gastarbeiter wurden in Deutschland herzlich empfangen, weil i n der Öffentlichkeit diese Anwerbemaßnahme als kurzzeitige Deckung des Spitzenbedarfs dargestellt wurde. So hatte die Frankfurter Allgemeine 1959 den wesentlichen Vorteil der Ausländerbeschäftigung darin gesehen, dass „bei eventueller Arbeitslosigkeit in Deutschland die ausländischen Arbeitnehmer wieder zurückgeschickt werden können“(vgl. Mukazhanov, S. 32). 1964 wurde der millionste Gastarbeiter – Armando Rodriguez aus Portugal - feierlich vom damaligen Bundesinnenminister begrüßt. Er bekam zur Begrüßung ein Moped geschenkt. Die meisten Gastarbeiter kamen aus konservativen ländlichen Gebieten, viele unter ihnen waren Analphabeten. Die Verständigung am Arbeitsplatz war vielenorts zunächst nur nonverbal möglich. Die Lebensbedingungen der ausländischen Arbeitnehmer in Deutschland waren sehr bescheiden. Sie wurden in Holzbaracken oder in firmeneigenen Wohnheimen untergebracht.
Ab den späten 60-er Jahren verlor die Rotationsmodell an Akzeptanz. Viele Gastarbeiter konnten nicht innerhalb von ein oder zwei Jahren ihre selbstgesetzten Sparziele erreichen. Auch die Arbeitgeber wollten nicht ständig neue Arbeitskräfte anstellen und einschulen, nur weil bei den anderen die Aufenthaltserlaubnis abgelaufen war. Kritik wurde damals auch von den Regierungen einiger Herkunftsländer und den deutschen Gewerkschaften formuliert. Daraufhin reagierte die Bundesregierung 1971 mit einer Erleichterung der Verlängerung von Aufenthaltsgenehmigungen. Damit begann für viele ausländische Arbeitnehmer die Verfestigung ihres Status in der Bundesrepublik. In der Folge kam es in stärkerem Maße zum Nachzug von Familienangehörigen (vgl. Münz u.a. S. 48).
Als Auswirkung der„Ölpreiskrise“ verkündete die Bundesregierung am 21. November 1973 die Beendigung der Anwerbung von Gastarbeitern (Anwerbestopp).
Der Anwerbestopp senkte aber nur kurzfristig die Ausländerzahlen. Die ausländischen Arbeitnehmer, die nicht getrennt mit ihren Familien leben wollten, entschlossen sich vermehrt zum Daueraufenthalt in Deutschland und zogen ihre Familien nach. Der genaue Anteil der Familienzusammenführungen an der gesamten Zuwanderung von Ausländern nach Deutschland ist nicht bekannt. Schätzungsweise hat der Nachzug von Familienangehörigen in den 70-er und 80-er Jahren mehr als die Hälfte der Zuwanderung von Ausländern ausgemacht (vgl. Münz u.a. S. 76). Die Entwicklung der Ausländerbeschäftigung in Bundesrepublik Deutschland ist in der Abbildung 1 dargestellt.
Abbildung 1. Entwicklung der Ausländerbeschäftigung 1954 – 2003
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Bundesanstalt für Arbeit/Statistik
Ähnlich wie die Bundesrepublik handelte auch die DDR. Wegen des chronischen Arbeitskräftemangels in den 60-er Jahren engagierte sie die Vertragsarbeiter aus sozialistischen Ländern Mitteleuropas, später auch aus Kuba, Mosambik und Vietnam. Dabei hielt die DDR-Regierung konsequent am Rotationsprinzip fest. Fast alle Migranten mussten nach Ablauf der vereinbarten Frist in ihre Heimatländer zurückkehren. Für die DDR spielte die Ausländerbeschäftigung nicht eine so wichtige Rolle wie für die Bundesrepublik (vgl. Münz u.a. S. 47).
Da es sich in der Bundesrepublik in den 50er Jahren um eine rein ökonomische und zeitlich limitierte Anwerbung ausländischer Arbeitskräfte handelte, dachte niemand an Integration. Es wurden auch in den Jahren danach keine Integrationsmaßnahmen vorgesehen für Menschen, die in Bundesrepublik bleiben wollten. Erst nach Jahrzehnten kamen Politiker und andere Gruppen in der Gesellschaft zu der Erkenntnis, dass gezielte Maßnahmen ergriffen werden müssen, um deren Eingliederung in die deutsche Gesellschaft zu unterstützen. Fakt war, dass in Familien von Arbeitsmigranten, die bereits mehrere Jahre in Deutschland lebten, kein Wort Deutsch gesprochen wurde und dass Migrantenkinder ohne jegliche Sprachkenntnisse in die Grundschule kamen. Viele Familien lebten und leben immer noch in „Paralellgesellschaften“.
Eine der wichtigsten Ursachen dafür war eine regionale Konzentration der ausländischen Bevölkerung. Schon mit der Anwerbung gingen die ausländischen Arbeitnehmer in die Regionen mit dem größten Beschäftigungsbedarf. So wurden zum Beispiel italienische Gastarbeiter verstärkt nach Baden-Württemberg, türkische Gastarbeiter hingegen in großer Zahl ins Ruhrgebiet und nach Westberlin angeworben. Die ausländischen Arbeitsmigranten unterschiedlicher Nationalitäten zogen es vor, unter sich zu bleiben. Auch die Arbeitgeber haben Arbeiter vorwiegend gleicher Nationalität eingestellt. Die Auslandsbevölkerung konzentrierte sich auf die großen Städte, in denen die Industrien Beschäftigung boten. Innerhalb der Städte weisen heute bestimme Bezirke eine besondere Ausländerverdichtung auf. Späterer Familiennachzug hat diese Tendenz noch verstärkt. In diesem Fall spricht man von Gettoisierung der ausländischen Wohnbevölkerung (vgl. Ronneberger, S. 35). In solcher sozialen Isolation beherrschen oft auch Kinder kein Deutsch, die in Deutschland geboren wurden.
Das deutsche Schulsystem war auf den Ansturm der Ausländerkinder überhaupt nicht vorbereitet und mit daraus entstehenden Problemen absolut überfordert. Die Schulstatistik zeigt, dass im Schuljahr 1970/71 rund 159 000 Ausländerkinder die deutschen allgemeinbildenden Schulen besuchten, im Schuljahr 1980/81 waren es schon rund 637 000 Kinder (vgl. Ronneberger, S. 37). Viele ausländische Kinder hatten erhebliche Bildungsdefizite. Das deutsche Bildungssystem hat Jahre gebraucht, gezielte Förderungsmaßnahmen zu strukturieren und durchzuführen. Sie sind auch heute noch keineswegs flächendeckend. Das hat dazu geführt, dass 50% aller Ausländerkinder in den 80-er Jahren keinen Hauptschulabschluss erreicht haben (vgl. Ronneberger, S.37). Die Folge war und ist keine Lebensperspektive für die Betroffenen und eine zusätzliche Belastung in Form von Arbeitslosigkeit für die deutsche Wirtschaft.
Nachdem der Anwerbestopp in Kraft getreten war, konnten Ausländer nur noch im geringem Umfang zum Zwecke der Arbeitsaufnahme nach Deutschland einreisen. Ende der 1980er Jahre zeigte sich in der westdeutschen Wirtschaft, trotz hoher allgemeiner Arbeitslosigkeit, in bestimmten Sektoren (z. B. in der Landwirtschaft oder im Hotel- und Gaststättengewerbe) ein Mangel an Arbeitskräften. Dies führte zur teilweisen Lockerung des Anwerbestopps. In dem Regierungsabkommen zwischen Deutschland und den mittel- und osteuropäischen Staaten wurden die Beschäftigungsmöglichkeiten für Werkvertrags-, Gast- und Saisonarbeitnehmer sowie für Grenzgänger vereinbart. Die Einführung dieser Maßnahme hat unter anderem auch für Arbeitgeber folgende Ziele verfolgt:
- die Arbeitnehmer und Arbeitgeber der Vertragsstaaten konnten ihre Erfahrungen auf dem deutschen und damit auf einem Arbeitsmarkt der Europäischen Union erwerben und nach ihrer Rückkehr einen positiven Beitrag zum Aufbau ihrer Volkswirtschaften leisten;
- Deutschen Partnern wurden auf diese Weise Kontakte und Entwicklungs-möglichkeiten auf den Märkten der MOE-Staaten eröffnet.
(vgl. Migrationsbericht 2006, S.66).
Die Beschäftigung von Arbeitnehmern der Vertragstaaten in der Bundesrepublik wird durch jährliche Anpassung an die Lage und die Entwicklung des Arbeitsmarktes geregelt. Im Jahr 2005 wurden 320.383 Genehmigungen für Saisonarbeitnehmer erteilt. Die Zahl der Werkvertragsarbeitnehmer lag im Jahr 2005 bei 21.916 Beschäftigten (vgl. Länderprofil, S. 2). Das Hauptherkunftsland der Arbeitnehmer war Polen. Etwa 94 % der Arbeitserlaubnisse erhielten polnische Staatsangehörige. Nur 3 % gingen an Staatsangehörige aus der Slowakei, die restlichen 3% gingen an weitere Beitrittsländer (vgl.Migrationsbericht 2006, S. 69).
Ganz anders ist die Situation bei hochqualifizierten Fachkräften. Der Fachkräftemangel ist in der Bundesrepublik ein anerkanntes Problem. Durch das Zuwanderungsgesetz 2005 wurde der Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt für Hochqualifizierte erleichtert. Von Januar 2005 bis zum 31. Dezember 2006 erhielten insgesamt 1.123 hochqualifizierte Ausländer eine Niederlassungserlaubnis. Zu dieser Arbeitergruppe gehören Wissenschaftler mit besonderen fachlichen Kenntnissen, Lehrpersonen, Spezialisten und leitende Angestellten mit besonderer Berufserfahrung und IT – Spezialisten. Die größten Gruppen an Hochqualifizierten stellten Staatsangehörige aus der Türkei, der Russischen Föderation und den Vereinigten Staaten (vgl. Migrationsbericht, S. 81). Da diese Bemühungen nicht zum gewünschten Erfolg geführt haben, verabschiedete das Bundeskabinett im Juli 2008 eine „Aktionsprogramm“. Damit wurden die Anreisebestimmungen für Akademiker weiter gelockert. Ausländische Studierende können dem Programm nach im Anschluss an ihr Studium in Deutschland bleiben und ggf. eine Arbeit aufnehmen (vgl. Tenbrock 2008).
2.1.2 Aussiedler
„Wenn ich mit den Deutschen Kontakt hätte, könnte
ich die Sprache schon viel besser. Und so bin ich
überall mit den Russen zusammen: in der Schule,
zu Hause. Egal wohin man geht, überall sind Russen.
So kann man nicht schnell Deutsch lernen.“
Aus dem Interview mit einer unbekannten Spätaussiedlerin
Eine weitere bedeutende Quelle der Zuwanderung in Bundesrepublik Deutschland bilden Aussiedler. Nach dem Kriegsfolgenbereinigungsgesetz wird diese Personengruppe seit dem 1. Januar 1993 als Spätaussiedler benannt.
Die Vorfahren von Aussiedlern haben sich vor Jahrhunderten in osteuropäischen Ländern angesiedelt, Dörfer und Gemeinden gegründet und ihre ethnische Identität bewahrt. Im Laufe des zweiten Weltkrieges wurden die Gemeinden zerstört, die deutschstämmige Bevölkerung von ihren Territorien vertrieben, und viele wurden zu Zwangsarbeiten verurteilt. Die Wanderungsgeschichte der Deutschen nach Osteuropa geht bis in das 10. Jahrhundert zurück. Mit der Ausdehnung des „Heiligen Römischen Reiches“ siedelten sich Deutsche im Osten und auch im Baltikum an. Die Anfänge der Wanderungen nach Russland gehen bis in das 17. Jahrhundert zurück. Peter der Große (1682-1725) öffnete Russland für die Einwanderer, vor allem für Ärzte, Wissenschaftler, Handwerker und Offiziere. Folgenreicher waren die Anwerbungsversuche Katharinas II. (1762 – 1796). Um den wirtschaftlichen Aufschwung an der Wolga in Gang zu setzen, gewährte Katharina II. den Kolonisten gewisse Privilegien, wie Steuerbefreiung, Befreiung vom Militärdienst, freie Religionsausübung. Die Kolonisten verwalteten ihre Gebiete selbst, die Amtssprache war Deutsch (vgl. Mukazhanov, S. 38). Ein weiteres Aussiedlergebiet entstand nach dem Sieg der Russen gegen die Türken (1768 -1774) am Schwarzen Meer. Viele Bauern, Handwerker und Soldaten siedelten sich auf dem fruchtbaren Boden des Russischen Reiches an. Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts wurden den Deutschen viele Privilegien aberkannt. Sie wurden den russischen Bauern gleichgestellt und mussten einen fünfundzwanzigjährigen Militärdienst ableisten. Im Laufe des Ersten Weltkrieges wurden bereits erste Zwangsumsiedlungen durchgeführt. Am stärksten betroffen aber waren die Aussiedler durch die Folgen des Zweiten Weltkrieges. Viele deutschstämmige Familien wurden nach Sibirien oder in die mittelasiatischen Republiken deportiert (vgl.Mukazhanov, S. 40).
Die Zahl der Deutschen, die vor 1939 außerhalb der Grenzen des Deutschen Reiches in mittel- und osteuropäischen Ländern lebten, wird auf ca. 8,6 Millionen geschätzt.
Mit der Verabschiedung des Grundgesetzes im Jahre 1949 garantierte die Bundesrepublik Deutschland den noch im Einflussgebiet der UdSSR lebenden Deutschen das Recht auf die Zuwanderung nach Deutschland und die Aufnahme als deutsche Staatsbürger. Diese Zuwanderungspolitik verstand sich als Kompensation für die Diskriminierungen, denen die deutsche Minderheit in den östlichen Staaten und der ehemaligen Sowjetunion als Folge des Zweiten Weltkrieges ausgesetzt war. Bis in die 80er Jahre blieb die Zahl der Rückwanderungen von Aussiedlern relativ gering. Zwischen 1950 und 1987 wanderten insgesamt 1,4 Mio. Aussiedler überwiegend aus Polen, Rumänien und Ungarn in die Bundesrepublik ein (vgl. Münz u.a. S.133).
Abbildung 2
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion kam es zu einem deutlichen Anstieg der russlanddeutschen Zuwanderer. Unter dem Druck der wirtschaftlichen Umbruch-situation und ethnisch begründeter Benachteiligungen entwickelte sich ein massenhafter Aussiedlerstrom in die Bundesrepublik Deutschland.
Der Verlauf der Aussiedlerzuwanderung zwischen 1950 und 2006 wurde auf der Abbildung 2 dargestellt.
Die deutsche Gesetzgebung reagierte auf den steigenden Zustrom von Aussiedler mit gesetzlichen Veränderungen. Das Kriegsfolgenbereinigungsgesetz (KfbG), das am 1. Januar 1993 in Kraft trat, legt folgende Voraussetzungen für die Aufnahme in die Bundesrepublik Deutschland fest:
- Der Antragsteller muss vor dem 31. Dezember 1992 geboren sein. (Hierdurch wurde ein langsames Auslaufen des Spätaussiedlerzuzuges eingeleitet).
- Der Antragsteller hat an den Kriegsfolgen gelitten.
- Der Antragsteller stammt aus einem der Aussiedlungsgebieten, die im Bundesvertriebenengesetz benannt sind
- Der Antragsteller muss ein deutscher Volkszugehöriger sein. Personen, die vor dem 31.Dezember 1923 geboren wurden, müssen sich zum deutschen Volkstum in seiner bisherigen Heimat bekennen und dieses Bekenntnis durch bestimmte Merkmale, wie Abstammung, deutsche Sprache, Erziehung und Kultur nachweisen. Alle anderen Personen sind dann deutsche Volkszugehörige, wenn sie von einem Deutschen abstammen und sich bis zum Verlassen der Aussiedlungsgebiete ausschließlich zum deutschen Volkstum bekannt haben.
- Der Spätaussiedlerbewerber soll in der Lage sein, ein einfaches Gespräch auf Deutsch führen zu können. Seit 1997 werden zur Feststellung der sprachlichen Aufnahmevoraussetzungen die Anhörungen der Antragsteller durchgeführt.
- Die Ehegatten, auch wenn sie nicht deutschstämmig sind, und Abkömmlinge des Spätaussiedlers können zum Zwecke der gemeinsamen Aussiedlung in den Aufnahmebescheid einbezogen werden. Eine Generationsbegrenzung innerhalb der Kernfamilie kennt das Gesetz nicht, so dass auch Enkelkinder einbezogen werden können (vgl. Migrationsbericht 2005, S. 40).
Zurzeit sind die Zuzüge nach Deutschland und die Neuanträge auf Anerkennung als Spätaussiedler rückläufig. Von 1993 bis 2004 sank der Anteil der rein deutschstämmigen Spätaussiedler in Familienverbänden kontinuierlich von knapp 75% auf 19%. Gleichzeitig wuchs der Anteil der in den Aufnahmebescheid einbezogenen Ehegatten und Abkömmlinge von Spätaussiedlern im Zeitraum von 1993 bis 2005 von 22 % auf etwa 65 %. Damit hat sich das Anteilsverhältnis zwischen deutschstämmigen Migranten und ihren nichtdeutschstämmigen Angehörigen innerhalb eines Jahrzehnts umgekehrt. Auf diese Entwicklung reagierte der Gesetzgeber mit dem Zuwanderungsgesetz, das zum 1. Januar 2005 in Kraft getreten ist, mit weiteren Einschränkungen bei den Einbeziehungsvoraussetzungen von Familienangehörigen des Spätaussiedlers. Laut dem Gesetz ist eine Einbeziehung nur dann möglich, wenn:
- der Spätaussiedlerbewerber sie selbst ausdrücklich beantragt,
- die Ehe seit mindestens drei Jahren besteht,
- die Ehegatten und Abkömmlinge die Grundkenntnisse der deutschen Sprache nachweisen können.
Im Jahr 2005 lag der Anteil solcher Familienangehörigen bei den Zuzügen der Spätaussiedler dann nur bei 13% und betrug im Jahr 2006 nur 8% (vgl. Migrationsbericht 2006, S. 48).
Im Zeitraum von 1990 bis 2006 wanderten insgesamt fast zweieinhalb Millionen Menschen im Rahmen des Aussiedlerzuzugs nach Deutschland ein. Im Jahr 2006 wurde mit 7.747 Personen der niedrigste Spätaussiedlerzuzug seit Beginn der Aussiedleraufnahme im Jahr 1950 registriert (vgl.Migrationsbericht 2006, S. 50).
Aussiedler, die nach Deutschland kamen, haben Integrationshilfen bekommen, wie sie keiner anderen Zuwanderungsgruppe zustanden. Da die Aussiedler bei der Einreise als deutsche Staatsbürger aufgenommen wurden, konnten sie sofort sozialstaatliche Leistungen in Anspruch nehmen. Auch ohne in die Rentenkassen und die Arbeitslosenversicherung eingezahlt zu haben, konnten die Aussiedler deren Leistungen in Anspruch nehmen. Seit 1990 wird an Aussiedler jedoch kein Arbeitslosengeld mehr bezahlt, sie bekommen ein pauschaliertes Eingliederungsgeld. Auch die Rentenansprüche wurden gemindert. Ab 1996 wird an Aussiedler nur noch eine Mindestrente gezahlt, falls sie in Deutschland nicht erwerbstätig waren.
Ein großer Wert wurde auf Sprach- und Beschäftigungsförderung gelegt. Trotz der Förderung haben Aussiedler eine Reihe von Problemen. Die Aussiedler aus der ehemaligen Sowjetunion haben einige Charakteristika mitgebracht, die ihre Integration in Deutschland deutlich erschweren.
- Sie reisen in den meisten Fällen im Familienverband ein. Dadurch wird die Eingliederung in die deutsche Gesellschaft durch das Festhalten an Sprache und Sitte eher erschwert.
- In Deutschland treffen die neuzugewanderten Aussiedler oft bereits Verwandte und Bekannte an, in deren Nähe sie sich ansiedeln wollen. Dies führte zur Bildung regionaler Ballungszentren, die für davon betroffene Gemeinden eine überdurchschnittlich starke Belastung an Integrationsaufgaben darstellen. Darauf antwortete der Gesetzgeber 1996 mit dem Wohnraumzuweisungsgesetz. Seitdem werden die Spätaussiedler nach einer gesetzlich festgelegten Quote auf alle Bundesländer verteilt. Nur am zugewiesenen Wohnort können sie die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts erhalten. Die Bindung an den Wohnort ist auf drei Jahre begrenzt (vgl. Migrationsbericht 2006, S. 49).
- Die mitgebrachten Berufsausbildungen der Aussiedler stammten in den 90er Jahren überwiegend aus den industriellen und handwerklichen Bereichen. Später wuchs der Anteil der Dienstleistungsberufe, was eher Nachteile für die Integration am Arbeitsmarkt mitgebracht hat, weil der Bedarf dafür nicht immer entsprechend vorhanden war.
- Die ethnische Zusammensetzung der Aussiedlerzuwanderung hat sich in den letzten Jahren wesentlich gewandelt. Die Zahl der binationalen, meistens russisch-deutschen Familien stieg in den neunziger Jahren deutlich an (vgl. Mukazhanov, S. 44).
Spätaussiedler und deren Familienangehörige bleiben oft nur unter sich und führen weiter einen „russischen“ Lebensstil. Wegen mangelnder Kontakte zur einheimischen Bevölkerung verbessern sich die Sprachkenntnisse kaum. Anderseits werden sie von den Deutschen als fremd empfunden. Wegen ihrer Gewohnheiten und Bräuche, ihres Akzents und mangelnder Sprachkenntnisse werden sie häufig für „Polen“ oder „Russen“ gehalten. Oft entwickeln sich bei den Aussiedlern und deren Familienangehörigen aus diesen Gründen psychische und gesundheitliche Störungen.
2.1.3 Flüchtlinge und Asylbewerber
„Lieber den Tod, ja den Tod, als den Tag der Verstoßung!
Kein anderes Leid ist so groß als Heimaterde verlassen“
Euripides
Einen dritten Bereich der Migrationsrealität in Bundesrepublik Deutschland stellt die Zuwanderung von Flüchtlingen und Asylbewerbern dar.
Flüchtlingsbewegungen gibt es in der Menschengeschichte, seit sich Menschen in Gesellschaften organisieren. Schon in der Antike war die Flucht ein Rechtsmittel. Die Rechtsbrecher konnten durch die von den Behörden zugelassene Flucht aus dem römischen Gebiet einer Bestrafung ausweichen. Später führten die Herrscher Kriege um fremde Territorien oder Kolonialgebiete, verfolgten wegen religiöser Überzeugungen, so dass Millionen Menschen immer auf der Flucht waren. Auch Bodenknappheit, Ernährungskrisen und Naturkatastrophen setzten ganze Völkerwanderungen in Gang (vgl. Nuscheler, 1988, S. 3).
Im 20. Jahrhundert steigerte sich das Flüchtlingsproblem zu nie gekannten Ausmaßen. Zwischen 1890 und 1919 flüchteten rund 1 Mio. Armenier vor den Türken, nach der Oktoberrevolution 1917 rund 1,5 Mio. russische Flüchtlinge in westeuropäische Staaten. In Deutschland war der Flüchtlingsstrom als Folge des Zweiten Weltkrieges besonders groß. Die Aufspaltung des indischen Subkontinents 1947 in die beiden Staaten Indien und Pakistan führte dazu, dass rund 8,8 Mio. Hindus und 8,6 Mio. Muslime ihre Heimat verloren haben. Aus Palästina flohen fast 1 Mio. Araber. Während des Koreakrieges 1950-1953 waren etwa 5 Mio. Koreaner auf der Flucht. Auch die Entkolonialisierung Afrikas verstärkte das Flüchtlingsproblem. In Asien bewirkten die politischen Krisen in Afghanistan, Iran, Kambodscha, Sri Lanka und Vietnam seit den 1970er Jahren enorme Flüchtlingsbewegungen. In den 1990er Jahren wurden in Europa neue Flüchtlingsströme durch den Zerfall Jugoslawiens ausgelöst (vgl. www.wissen.de/fluechtling).
1951 wurde die Genfer Flüchtlingskonvention mit dem Ziel der Sicherung des Vertriebenenrechtes gegründet. Die beigetretenen 118 Staaten, darunter auch Deutschland, verpflichten sich zum Schutz der Flüchtlinge.
Nach der Genfer Flüchtlingskonvention bezeichnet man eine Person als Flüchtling, die
„…aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Befürchtungen nicht in Anspruch nehmen will…“ (vgl. Müller, S. 59).
Die wichtigsten Grundsätze der Genfer Flüchtlingskonvention sind:
- die Menschenrechte von Flüchtlingen müssen respektiert werden,
- die Flüchtlinge haben das Recht, Asyl zu suchen,
- kein Flüchtling wird zur Rückkehr in ein Land gezwungen, wo er Verfolgung befürchten muss (vgl. unhcr.de/grundsätze/genfer- fluechtlingskonvention).
Bis Flüchtlinge einen offiziellen Flüchtlingsstatus erhalten haben, gelten sie als Asylsuchende oder Asylbewerber. Der Begriff „Asyl“ stammt aus dem Griechischen "Asylon" und bedeutet Zufluchtstätte, wo ein Flüchtling nicht ergriffen werden kann. In früheren Zeiten waren Asyle meist geheiligte Orte, die den Flüchtenden vor dem Zugriff der weltlichen Macht schützten (vgl. Nuscheler, 1995, S. 18).
Nach Art. 16a Abs. 1 Grundgesetz wird politisch verfolgten Ausländern das Recht auf Asyl in Deutschland gewährt. Damit ist das Asylrecht in Deutschland als individuell einklagbarer Rechtsanspruch mit Verfassungsrang ausgestaltet. Für die Prüfung der Asylanträge ist das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) zuständig. Ein Asylantragsteller kann eine ablehnende Entscheidung des BAMF durch ein Verwaltungsgericht überprüfen lassen.
Das Grundrecht auf Asyl gilt für politisch Verfolgte, für Personen, die staatliche Verfolgung erlitten haben oder eine solche nach einer Rückkehr in das Herkunftsland konkret droht (vgl. Migrationsbericht 2006, S. 87).
Neben dem Recht auf politisches Asyl nach Art. 16a Grundgesetz existiert die Möglichkeit der Gewährung des so genannten „kleinen Asyls“, das sich an die Genfer Flüchtlingskonvention anlehnt. Diesem Gesetz nach darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden „in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist“. Dabei kann eine Verfolgung vom Staat, von staatsähnlichen Akteuren wie Parteien und Organisationen ausgehen. Auch die Verfolgung durch nichtstaatliche Organisationen ist relevant, sobald die staatlichen oder staatsähnlichen Organisationen keinen Schutz vor der Verfolgung gewähren können (vgl. Migrationsbericht 2006, S. 87).
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- Natalija Kuch (Autor), 2009, Beratung von Migranten unter besonderer Berücksichtigung psychosozialer Aspekte der Migration, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/137156
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