Diese Analyse von Hartmut Rosas Konzept der "Bildung als Resonanzprozess" zielt darauf ab, die Dynamik zwischen Bildung und individueller Persönlichkeitsentwicklung zu untersuchen.
Die These hinter diesem Konzept ist, dass Bildung mehr als nur die Übertragung von Wissen ist - sie ist ein dynamischer Resonanzprozess, der dazu beiträgt, das Individuum mit der Welt in Beziehung zu setzen.
Inhaltsverzeichnis
EINLEITUNG
EINFÜHRUNG ZUR RESONANZTHEORIE
SCHULE ALS RESONANZRAUM
KRITIK AM BILDUNGSSYSTEM
FAZIT
LITERATURVERZEICHNIS
Einleitung
Im Seminar zur transformativen Bildung wurden drei Bildungskonzepte präsentiert, worunter in dieser Ausarbeitung eine genauere Betrachtung auf die Resonanztheorie von Hartmut Rosa (2016) gelegt wird. Als Informationsgrundlage dient der Podcast von Ebasa (2019) „was ist transportative Bildung?“, indessen elf Personen ihr Kontextwissen zu diesem Themenfeld benennen. Resümierend daraus kann festgehalten werden, dass Bildung die Möglichkeit bietet eine kritische und analytische Betrachtung von Problemlagen und Krisen zu kreieren, womit Werkzeuge entwickelt werden können, welche zu Veränderungsschritten und damit Transformation beitragen. Beispielhaft kann Bildung dazu beitragen eine Sensibilisierung gegenüber den utilitaristischen Verhältnissen zur Natur und Umwelt auszubilden, was die sozialökologischen Transformation vorantreibt (vgl. Ebasa 2019, Steffen Kühne). Mandy Singer-Brodowski ist Akteurin des Konzeptwerks Neue Ökonomie und versteht in dem Begriff Bildung stehts einen transformativen Charakter, welcher u.a. aber auch hegemoniale Strukturen reproduziert, wovon sie sich jedoch klar abgrenzt. Aus diesem Grund spricht sie von einem transformativen Lernen, welcher den Lernprozess in den Vordergrund rückt und nicht den generellen Wandlungsprozess. Nach ihrem Verständnis von Transformation enthält dieser Lernprozess das kritische Hinterfragen von Ideologien, mentalen Infrastrukturen und Hegemonien (vgl. Ebasa 2019, Singer- Brodowski). Singer-Brodowski bezieht sich auf Humboldt und benennt, dass eine reflektierende Positionierung zum Selbstbild und der Weltverhältnisse entstehen soll. Übergehend lässt sich eine Verbindung zu Hartmut Rosa erkennen, welcher mit seiner Resonanztheorie auch Rückbezüge zu Humboldt, Herder und Schiller schließt, denn der Bildungsprozess enthält ein wechselseitiges Durchdringen und Berühren vom Selbst und der Welt (vgl. Rosa 2016). Der folgende Absatz bietet eine theoretische Einführung.
Einführung zur Resonanztheorie
Resonanz zu definieren ist kein einfaches Unterfangen. Der deutsche Soziologe Hartmut Rosa (2016) gilt als Vorreiter und hat in seinem Werk „Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehung“ auf über 800 Seiten seine Theorie präsentiert, welche grundlegend darauf basiert, dass Menschen in Kontakt treten und somit mit der Welt in Berührung kommen. Dies führt zu Vibrationen, welche in dem Individuum eine Weltbeziehung entstehen lassen. Resonanz ist unter anderem ein „spezifischer Modus der Weltbeziehung, als eine besondere Art des In-Beziehung-Tretens zwischen Subjekt und Welt.“ (Rosa 2020: 331). Resonanz meint für Rosa nicht nur das Erfahren von Dingen, sondern einen Beziehungsmodus. Dabei bekommt es der Mensch oft mit Resonanz zu tun: Sei es in Gesprächen, beim Medienkonsum oder auch bei dem Fallenlassen einer Gabel. Es entsteht eine Beziehung zwischen Objekt und Subjekt, die für eine Resonanz sorgt. Um die, eben genannte, Beziehung näher einzukreisen, nennt Rosa insgesamt vier Merkmale der Resonanz, beginnend mit dem Moment der Berührung, auch als Affizierung bezeichnet.
Just in dem Moment, in dem Menschen etwas erreichen, berühren oder bewegen gewinnt das Objekt an Bedeutung. Erkennbar durch eine Veränderung in der Mimik oder den Gefühlen. Der Mensch verlässt den, von Rosa beschriebenen, andauernden Schutzpanzer gegenüber der „auf Steigerung und Optimierung, auf Berechnen und Beherrschen ausgerichteten [Welt]“ (Rosa 2020: 39). Der Beziehungsmoment zwischen Subjekt und Welt sorgt für eine Bewegung, weg von der Entfremdung. Affizierung allein ist für Rosa allerdings noch keine Resonanz. Dafür bedarf es den Moment der Selbstwirksamkeit - Merkmal Nummer zwei. Denn erst, wenn auf die Berührung auch eine aktive, eigene Antwort erfolgt, lässt sich von Resonanz sprechen. So z.B. auch eine Emotion, die eine Reaktion des Körpers, wie beispielsweise Gänsehaut oder eine erhöhte Atemfrequenz, sein kann. Der Begriff der Selbstwirksamkeit kommt daher, dass es bei der genannten Reaktion einer gewissen Offenheit gegenüber der Welt bedarf, um sich mit ihr „wirksam und lebendig“ verbunden zu fühlen (Rosa 2020: 40). Zeitlich gesehen meint der Moment der Selbstwirksamkeit dabei nicht automatisch auch den Zeitpunkt der Empfängnis. So kann Resonanz beispielsweise auch weit nach dem Konsum eines Buches erfolgen, wenn der Mensch zu verarbeiten beginnt. Unabhängig des Zeitpunktes verändert sich der Mensch in jedem Moment der Resonanz durch eben jene Begegnung. Es entsteht das dritte Merkmal, der Moment der Anverwandlung bzw. der Transformation. Sei es ein grundlegender Wandel des Charakters oder beispielsweise auch nur eine vorübergehende Umstellung der Stimmung. Die Veränderung der Weltbeziehung ist bei Rosa in jedem Falle „ein konstitutives Element der Resonanzerfahrung.“ (Rosa 2020: 41). Dabei ist eine Offenheit vorausgesetzt. Befindet sich die zu empfangene Person beispielsweise in einer Depression oder einem anderen resonanzunfähigen Zustand, indessen sich die Welt verschließt ist es weder möglich, mit der Welt in Berührung zu treten, noch Resonanz zu erfahren und somit kann folglich keine Transformation stattfinden. Wenngleich eine Offenheit erforderlich ist, so gibt dies dennoch keine Garantie, automatisch mit Menschen oder Dingen in Resonanz zu treten. Im Gegenteil: Es gibt weder Methoden noch Ratgeber, die ein Resonanzerlebnis ermöglichen. Und so kommt Rosa zu Merkmal Nummer Vier: Dem Moment der Unverfügbarkeit. Kein Resonanzmoment kann erzwungen werden, im Gegenteil: Ein Versuch dessen kann gar zu einer Entfremdung führen. Weder Dauer noch Intensität einer Resonanzerfahrung können vorhergesagt werden. So sorgt ein intensives Wollen dafür, dass etwas eher weniger gelingt. Dies meint auch, dass sich Resonanz nicht erzwingen, sondern auch nicht verhindern lässt. Resonanz ist unverfügbar und sorgt nur so für eine authentische Erfahrung zwischen dem Selbst und der Welt. Der Körper gilt dabei als Vermittler. Die Resonanzbeziehung divergiert dabei je nach Weltausschnitt. Dabei unterscheidet Rosa zwischen drei verschiedenen Dimensionen. Neben einer horizontalen -, nennt er auch eine diagonale - und eine vertikale Dimension. Die horizontale Dimension meint im Resonanzgedanken die sozialen Beziehungen zu anderen Menschen sowie politische Beziehungen. Eine Welt, die auf den ersten Blick, auf Grund von Konkurrenzdenken und einer Steigerungsmaxime, eher wenig Platz für Resonanz bietet - wäre da nicht die Familie. Diese dient nach Rosa als „(vielleicht letzter) ‘Resonanzhafen‘ in einer ansonsten indifferenten oder sogar feindlichen Welt des Kampfes und der Konkurrenz.“ (Rosa 2020: 341). Diagonale Resonanzwelt meint die Beziehungen zur Dingwelt und folglich auch Beziehungen „zur Welt, zum Dasein oder zum Leben als ganzem“ (Rosa 2020: 331). Diese Weltbeziehungen des Menschen entstehen aus Resonanzachsen. Des Weiteren fasst die diagonale Dimension nach Rosa sowohl die Arbeit als auch die Schule, Sport und den Konsum. Schließlich ist die vertikale Resonanzwelt anzuführen. Diese zielt auf die großen Kollektivsingularen wie Natur, Kunst, Geschichte oder Religion ab. Elemente, die gegenwärtig sind und die vertikale Dimension somit zur Grundform aller Weltbeziehungen machen. In der vertikalen Dimension „erhält gewissermaßen die Welt selbst eine Stimme“ (Rosa 2020: 331). Im nächsten Kapitel wird das Bildungsverständnis nach Rosa präsentiert.
Schule als Resonanzraum
Die Bildung einer Weltbeziehung beginnt erstmals mit der Sozialisation über die eigene Familie. Werte und Normen werden vermittelt, welche beim Eintritt ins Schulsystem entweder weiter reproduziert werden oder auf Ablehnung treffen. Die Institution Schule vermittelt dementsprechend nicht nur Weltstoff, sondern kreiert gleichzeitig Weltbeziehungen. Die Weltbeziehung zeichnet sich während der Interaktionsprozesse von Mitmenschen und Dingen, im System der Schule also im Klassenzimmer, Schulhof, Schulweg, Ferienlager, ab. Die Kinder entwickeln sich und gelangen in eine pubertäre Lebensphase, welche Rosa als eine Resonanz(in)sensible Phase versteht, da familiären Strukturen hinterfragt werden und sich ggf. eine Entfremdung gegenüber den Eltern und auch Lehrenden entwickelt. Rosa bezieht sich auf den Soziologen Georg Simmel (1983), welcher den Weg zur Ausbildung einer Persönlichkeit über eine Auseinandersetzung mit den Sinn- und Stoffprovinzen der Welt versteht. Rosa skizziert zwei Wege bei der Entwicklung von Kindern, die Schaffung einer Weltbeziehung mit (1) Resonanzachsen oder (2) einer Entfremdung. Darunter fasst er drei Resonanz- bzw. Entfremdungsfaktoren - dem Stoff, die Lehrenden, die Lernenden, - welche eine Dreiecksbeziehung pflegen.
„Die Idee ist, dass der Lehrer durch seine Begeisterung den Stoff zum Sprechen bringt, und damit beginnt der Stoff auch für die Schüler zu sprechen. So öffnet sich die Resonanzachse zwischen Schüler und Gegenstand. Voraussetzung dafür, dass an dieser Stelle der Funke überspringt, ist ein Resonanzdraht zwischen Schülern und Lehrern mit wechselseitiger Wertschätzung. Hätte der Lehrer diesen Draht zur Klasse nicht, könnte er noch so begeistert vor der Klasse herumfuchteln, er würde seine Schüler nicht erreichen. Sie würden sich höchstens ,einen Ast ablachen“. Deshalb gehören zum Resonanzdreieck alle drei Seiten, die in einer Wechselbeziehung zueinanderstehen.“ (Rosa, Endres 2016: 48).
Ein Resonanzdreieck entsteht, mit einer wechselseitigen Beziehung der genannten Faktoren. Dieses kann bei einer harmonischen Klassenatmosphäre und intrinsischen Motivation der Schülerinnen und motivierenden Übermittlungsfähigkeiten der Lehrenden eine Vibration entstehen lassen. Es bilden sich Resonanzachsen aus, welche Raum schaffen für neue Betrachtungsweisen zur Weltbeziehung und zum Weltstoff (vgl. Rosa 2016). „Der Raum zwischen diesen drei Feldern lässt Möglichkeiten derTransformation entstehen.“ (Schwarz 2021: 92). Dementsprechend erhält Schule die Möglichkeit ein Resonanzraum zu werden. Im folgenden Kapitel wird Rosas Kritik gegenüber des deutschen Bildungssystems genauer beleuchtet.
Kritik am Bildungssystem
Im Seminar erfolgte die Ausarbeitung des Bildungsverständnisses unter Rosa, indessen er das aktuelle Schul- und Bildungssystem kritisiert, da keine Resonanzräume geschaffen werden und eine Entfremdung entsteht. Rosa bezieht sich auf eine Metastudie des Bildungsforschers John Hattie, welcher erkennt, dass nicht allein die Beziehung zwischen Lehrenden und Schülerinnen wichtig sei, sondern eher die gesamte Beziehungslage im Klassenzimmer, also Schülerinnen zu Schülerinnen und lehrender Person. Bei dieser Beziehung ist es wichtig, dass die Stimmen der Schülerinnen untereinander aber auch von den Lehrerinnen gehört und akzeptiert wird. Wenn dies vorliegt bilden sich Resonanzachsen aus, also einem offen stehenden Erklärungsfaktor, welcher zu freien und kritischen Meinungsäußerung führt. In diesem Prozess können sozialstrukturelle Differenzierungen hinterfragt und aufgebrochen werden, welche nachhaltig die reproduzierende Ungleichheit inkl. Ressourcenungleichheit auflösen könnte, so Rosas Verständnis. Er kritisiert explizit das deutsche Bildungs- und Schulsystem, welches weiterhin die Kinder aus bildungsfernen Schichten ihrer Selbstwirksamkeit raubt, da die Lehrenden nur stringent ihren Lernstoff vermitteln, indessen ausschließlich ein binärer Charakter mit richtigen oder falschen Antwortmöglichkeiten vorliegt. Dementsprechend besitzen lehrende Personen die Funktion des Moderator bzw. Mediators, welche den Unterrichtsstoff frontal, autoritär und uniform übermitteln. „[Einem] überzogenen Frontalunterricht, in dem es in erster Linie darum ging, die richtige Antwort auszusprechen, oder in dem Schüler oft stillgestellt oder berieselt wurden. So kann Bildung nicht gelingen.“ (Rosa, Endres 2016: 50). Die Entwicklung einer Resonanzfähigkeit wird nicht gefördert, welche Ungleichheit systematisch manifestiert. Rosa benennt diesbezüglich den Begriff der dispositionalen Entfremdung, welcher darauf abzielt, dass bei einer fehlenden Resonanzachse (verschlossenen, autoritären, machtkonstruierten Atmosphäre) neue Erfahrungen zur Weltbeziehung mit Emotionen und Affekten der Langeweile, Desinteresse oder Bedrohung verbunden werden. Zum einen entsteht eine Reduktion der intrinsisch geleiteten Interessensbildung. Zum anderen eine Aversion gegenüber den Lehrenden und Lernenden (vgl. Rosa 2016).
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- Quote paper
- Anonymous,, 2022, Hartmut Rosas "Bildung als Resonanzprozess". Ein neuer Blick auf Bildung und persönliche Entwicklung, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1370054
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