Die Konzepte der Erziehungspsychologie nach Tausch und Tausch und der Ermutigungspädagogik nach Dreikurs und Adler zeigen konkrete Umsetzungsmöglichkeiten von wertschätzender Kommunikation auf. Das Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, vor dem (theoretischen) Vergleich beider Konzepte zu untersuchen, wie Grundschullehrer wertschätzende Kommunikation im Anfangsunterricht umsetzen.
Im Rahmen der INTAKT-Studien wurde beobachtet, dass durchschnittlich ein Viertel der pädagogischen Interaktionen in Klassenzimmern verletzend und jede sechzehnte Interaktion sogar missachtend sei. Beschämungen können psychische Folgeschäden hinterlassen und sich lernhinderlich auswirken. Lehrer haben daher die Verantwortung präventiv dazu beizutragen, dass Schüler sich gesund entwickeln können. Sie erreichen Schüler in einer frühen Lebensphase unter konstanten Rahmenbedingungen. Dabei treffen sie auf Individuen, die, familiär und kulturell bedingt, unterschiedlich vorbereitet am Unterricht teilnehmen. Vor der systemischen Bedingung der Selektion und Bewertung, stellt sich die Herausforderung, Schüler wertzuschätzen: ihnen zu verdeutlichen, dass jeder Mensch gleichwertig ist, unabhängig von seiner Leistung.
Die Thematik der wertschätzenden Kommunikation erfordert eine stark interdisziplinäre Ausrichtung im Rahmen der Psychologie, Soziologie, Sozialphilosophie, Pädagogik und Neurobiologie. Aktuell liegen leider nur wenige Publikationen zu wertschätzender Kommunikation in pädagogischen Beziehungen vor. Die vorliegende Studie stellt den Anspruch, einen Beitrag zu leisten, um diese Forschungslücke zu ergänzen.
Das Konzept der Erziehungspsychologie nach Reinhard und Anne-Marie Tausch basiert auf dem Menschenbild der humanistischen Psychologie. Sie entwickelten die klientenzentrierte Gesprächsführung nach Carl Rogers weiter unter anderem als Konzept zur Umsetzung wertschätzender Kommunikation. Das Konzept der Ermutigungspädagogik basiert auf dem Menschenbild der Individualpsychologie. Alfred Adlers und Rudolf Dreikurs Konzept der wertschätzenden Kommunikation folgt dem Prinzip, dass Lehrer ihre Schüler ermutigen und sie dadurch ihren Selbstwert erfahren.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Begrifflichkeiten als zentrale Grundlage pädagogischen Handelns
2.1 Wertschätzung aus anerkennungstheoretischer Perspektive
2.2 Wertschätzung im Kontext inklusiver Pädagogik
2.3 Wertschätzung und ihre Auswirkung auf Persönlichkeitsentwicklung
2.4 Kommunikation im Kontext der Untersuchung
3. Gestaltung der Lehrer-Schüler-Beziehung
3.1 Bedeutung und Qualität von Beziehung
3.2 systemische Bedingungen der Lehrer-Schüler-Beziehungen
4. Konzepte zur Umsetzung wertschätzenden Kommunikation
4.1 humanistische Psychologie
4.1.1 Konzept der Erziehungspsychologie nach Tausch und 19 Tausch
4.1.2 Wertschätzung im Kontext der Erziehungspsychologie 20 nach Tausch und Tausch
4.1.3 Erziehungsstile im Kontext von Wertschätzung
4.2 Individualpsychologie
4.2.1 Konzept der Ermutigungspädagogik nach Dreikurs und Adler
4.2.2 Lob im Kontext der Ermutigungspädagogik
4.2.3 Wertschätzung im Kontext der Ermutigungspädagogik
4.3 Vergleich der Konzepte im Kontext wertschätzender Kommunikation
4.3.1 Kategorien für wertschätzende Kommunikation
4.3.2 Kategorien für nicht-wertschätzende Kommunikation
5. empirische Untersuchung
5.1 Darstellung der Untersuchungsmethode
5.2 Darstellung der Ergebnisse
5.3 Zusammenfassung
6. Schlussbetrachtung
6.1 methodische Diskussion
6.2 Fazit
6.3 Ausblick
Kurzbeschreibung:
Wertschätzende Kommunikation hat positive Auswirkungen auf die Persönlichkeitsentwicklung von Schülern. Doch die systemischen Bedingungen, in welchen sich Lehrer-Schüler-Beziehungen bewegen, erschweren die Umsetzung wertschätzender Kommunikation.
Da gegenwärtig keine allgemeingültige Definition von Wertschätzung vorliegt, wurde die Thematik aus anerkennungstheoretischer Perspektive und im Kontext inklusiver Pädagogik diskutiert. Vor diesem Hintergrund wurde festgelegt, dass Wertschätzung im Rahmen der vorliegenden Studie bedeutet, dass jeder Mensch gleichwertig ist und als solches auch wahrgenommen wird. Wertschätzung stellt keine Belohnung für eine erbrachte Leistung dar. Sie steht jedem Menschen von Geburt an zuunabhängig seines Verhaltens, seines Aussehens oder seiner Nationalität. Die Konzepte der Erziehungspsychologie nach Tausch und Tausch und der Ermutigungspädagogik nach Dreikurs und Adler zeigen konkrete Umsetzungsmöglichkeiten von wertschätzender Kommunikation auf. Das Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, vor dem (theoretischen) Vergleich beider Konzepte zu untersuchen, wie Grundschullehrer wertschätzende Kommunikation im schulischen
Anfangsunterricht umsetzen.
Hierzu wurden beide Konzepte explizit im Kontext wertschätzender Kommunikation miteinander verglichen. Anschließend erfolgte die Erstellung theoriegeleiteter Kategorien für wertschätzende Kommunikation auf Basis beider Konzepte. Im Rahmen der Untersuchung wurde schulischer Anfangsunterricht beobachtet und anhand einer qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring analysiert. Die Auswertung zeigt, dass die Umsetzung von wertschätzender Kommunikation verstärkt Ambivalenzen aufweist. Darüber hinaus setzen die Lehrer nur einen geringen Teil der Umsetzungsmöglichkeiten um, was darauf schließen lässt, dass ihnen die jeweiligen Konzepte nicht bekannt sind oder, dass sie sich generell nur wenig mit der Umsetzung von wertschätzender Kommunikation und ihrer Bedeutung auseinandersetzen.
Abstract
Appriciative communication positively effects the personality development of pupils, but the systemic conditions where the relationship between teacher and pupil are hindered, complicates the implementation of appreciative communication. As there is no accepted universal definition of appreciation at present, it is discussed based on the recognition theory and in the context of an educational integration concept. Based on these discussions, appreciation gets defined in this study recognising, as every human having the same value. Appreciation is not an award based on performance, but is present from birth , and not depending on behaviour , appearance or nationality.
This thesis analyses how primary teachers recognise appreciative communication in the first stages of primary school , whilst comparing education psychology by Tausch and Tausch with the concept of encouraging1 by Dreikurs and Adler, within the context of appreciative communication . Therefore both concepts are compared to each other in the context of appreciative communication
Within the study framework based on Mayring, observations were made in early stage teaching lessons of primary pupils, the following results being compiled into a qualitative report containing the most relevant content.
The results show, that the use of appreciative communication strengthens ambivalence. The outcome is that certain concepts remain unexplored or in other words generally use small amounts of the avaliable appreciative communication, and thus little of the full potential is achieved.
1. Einleitung
Im Rahmen der INTAKT-Studien1 wurde beobachtet, dass durchschnittlich ein Viertel der pädagogischen Interaktionen in Klassenzimmern verletzend und jede sechzehnte Interaktion sogar missachtend sei (vgl. Prengel 2013:114). Beschämungen2 können psychische Folgeschäden hinterlassen (vgl. Marks 2013:70) und sich lernhinderlich auswirken (vgl. Prengel 2013:115). Lehrer haben daher die Verantwortung präventiv dazu beizutragen, dass Schüler sich gesund entwickeln können. Sie erreichen Schüler in einer frühen Lebensphase unter konstanten Rahmenbedingungen. Dabei treffen sie auf Individuen, die, familiär und kulturell bedingt, unterschiedlich vorbereitet am Unterricht teilnehmen. Vor der systemischen Bedingung der Selektion und Bewertung (vgl. Prengel 2013:87), stellt sich die Herausforderung, Schüler wertzuschätzen: ihnen zu verdeutlichen, dass jeder Mensch gleichwertig ist, unabhängig von seiner Leistung.
Die Thematik der wertschätzenden Kommunikation erfordert eine stark interdisziplinäre Ausrichtung im Rahmen der Psychologie, Soziologie, Sozialphilosophie (vgl. Prengel 2013:25), Pädagogik und Neurobiologie. Aktuell liegen leider nur wenige Publikationen zu wertschätzender Kommunikation in pädagogischen Beziehungen vor (vgl. Osburg 2015:4). Die vorliegende Studie stellt den Anspruch, einen Beitrag zu leisten, um diese Forschungslücke zu ergänzen.
Das Konzept der Erziehungspsychologie nach Reinhard und Anne-Marie Tausch basiert auf dem Menschenbild der humanistischen Psychologie. Sie entwickelten die klientenzentrierte Gesprächsführung nach Carl Rogers weiter unter anderem als Konzept zur Umsetzung wertschätzender Kommunikation. Das Konzept der Ermutigungspädagogik basiert auf dem Menschenbild der Individualpsychologie. Alfred Adlers und Rudolf Dreikurs Konzept der wertschätzenden Kommunikation folgt dem Prinzip, dass Lehrer ihre Schüler ermutigen und sie dadurch ihren Selbstwert erfahren.3
Darüber hinaus liegen andere Konzepte zur Umsetzung von wertschätzender Kommunikation4 vor. Die Erziehungspsychologie und die Ermutigungspädagogik wurden explizit ausgewählt, da sie neben ihrer immensen Bedeutung für die pädagogische Psychologie, beide auf einem positiven Menschenbild basieren. Beide Konzepte beziehen sich insbesondere auf den schulischen Kontext der Umsetzung von wertschätzender Kommunikation.
Vor dem (theoretischen) Vergleich der Konzepte der Erziehungspsychologie und der Ermutigungspädagogik untersucht die vorliegende Studie, wie Grundschullehrer wertschätzende Kommunikation umsetzen. Die Untersuchung bezieht sich ausschließlich auf die ersten beiden Schuljahre, da die Lehrer-Schüler-Beziehung hier einer besonders starken Bedeutung unterliegt (vgl. Gabriel 2014:74)5.
Als Grundlage für pädagogisches Handeln gilt es zunächst die Begrifflichkeiten zu diskutieren. In Kapitel 2 wird sich daher dem Begriff Wertschätzung aus anerkennungstheoretischer Perspektive und im Kontext inklusiver Pädagogik angenähert. Darüber hinaus werden die Auswirkungen, die Wertschätzung auf die Persönlichkeitsentwicklung hat, erörtert. Des Weiteren wird der Begriff Kommunikation explizit im Kontext der vorliegenden Untersuchung definiert. Im weiteren Schritt werden in Kapitel 3 die systemischen Bedingungen, unter denen sich Lehrer-Schüler-Beziehungen entwickeln, diskutiert, um sowohl ihre Bedeutung und Qualität als auch ihre Grenzen im Kontext wertschätzender Kommunikation zu erfassen.
In Kapitel 4 werden die Erziehungspsychologie und die Ermutigungspädagogik als zentrale Konzepte zur Umsetzung von wertschätzender Kommunikation diskutiert und theoriegeleitet Kategorien für die Untersuchung erstellt.
Der empirische Teil der Arbeit stellt in Kapitel 5 die Untersuchungsmethode dar. Im Rahmen einer qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring wird beobachteter Anfangsunterricht theoriegeleitet analysiert und die Ergebnisse dargestellt.
Abschließend werden die neuen Erkenntnisse in Kapitel 6 zusammengefasst, methodisch diskutiert und ein Ausblick aufgezeigt.
Aus Gründen der Übersichtlichkeit verzichtet die vorliegende Arbeit auf eine geschlechtergerechte Sprache. Dies soll in keiner Weise zu einer Benachteiligung für eines der Geschlechter führen.
2. Begrifflichkeiten als zentrale Grundlage pädagogischen Handelns
Gegenwärtig liegt keine allgemein anerkannte Definition von Wertschätzung vor. Dem im deutschsprachigen Raum anerkannten Nachschlagewerk, Duden, zufolge deckt sich der Begriff Wertschätzung semantisch mit den Begriffen „Ansehen, Achtung; Anerkennung; hohe Einschätzung“ (Duden). Ähnlich verhält es sich in der Wissenschaft. Einige Autoren wie zum Beispiel Tausch und Tausch, dessen Konzept in Kapitel 4.1 näher betrachtet wird, verwenden ebenfalls die Begriffe Achtung und hohe Einschätzung anstelle von Wertschätzung. Dennoch wird im Rahmen der vorliegenden Arbeit einheitlich der Begriff Wertschätzung verwendet.
Wertschätzung spricht interdisziplinär vielschichtige Aspekte an. Die vorliegende Arbeit kann es nicht leisten, alle zu berücksichtigen. Aus diesem Grund gilt es, ausgewählte Aspekte zu diskutieren.
Die Annäherung der Begrifflichkeit erfolgt interdisziplinär über den sozialphilosophischen Diskurs, da dieser sowohl diskutiert, was unter Wertschätzung verstanden werden kann als auch warum der Mensch auf sie angewiesen ist. Darüber hinaus wird auch der erziehungswissenschaftliche Diskurs miteinbezogen, da hier die Anerkennungstheorie explizit im schulischen Kontext betrachtet wird.
Ebenfalls wird Wertschätzung im Kontext inklusiver Pädagogik diskutiert, da einige Befürworter inklusiver Pädagogik Wertschätzung eine hohe Bedeutung für die Umsetzung inklusiver Pädagogik zuweisen. Darüber hinaus gilt es zu diskutieren, welche Auswirkungen Wertschätzung auf die Persönlichkeitsentwicklung von Schülern hat, um die Bedeutung der Umsetzung der wertschätzenden Kommunikation herauszustellen.
Für die in Kapitel 5 folgende Untersuchung ist es ebenfalls bedeutsam, den Begriff Kommunikation explizit in diesem Kontext zu definieren.
2.1 Wertschätzung aus anerkennungstheoretischer Perspektive
Die anerkennungstheoretische Perspektive wird in der Sozialphilosophie mit interdisziplinärer Ausstrahlung seit Anfang der 1990er Jahre thematisiert (vgl. Himmelmann 2013:65). In diesem Kontext werden auch in der Erziehungswissenschaft Anerkennungstheorien im pädagogischen Kontext untersucht.
Die anerkennungstheoretische Perspektive versteht Anerkennung als grundlegende Voraussetzung für das Zusammenleben mit anderen Menschen. Der Sozialphilosoph Axel Honneth sieht den Menschen in Anlehnung an Hobbes in einem permanenten Kampf um Selbstbehauptung und Anerkennung (vgl. Himmelmann 2013:65).
Aus anerkennungstheoretischer Perspektive liegen unterschiedliche Formen von Anerkennung vor.
Hierunter fallen zum Beispiel die von Honneth entwickelten drei Formen von Anerkennung: Liebe, Recht, Wertschätzung (vgl. Honneth 1992:148).
Vor dem Hintergrund, dass Honneth in seinen Anerkennungsformen die Sphäre Bildung vernachlässigt habe (vgl. Prengel 2013:32), hat Prengel die drei Anerkennungsformen im Kontext pädagogischer Beziehungen neu interpretiert. Liebe als erste Anerkennungsform setzt Prengel mit Solidarität in pädagogischen Beziehungen gleich (vgl. Prengel 2013:61).
Achtung als zweite Anerkennungsform überträgt sie als gleiche Freiheit in pädagogischen Beziehungen (vgl. ebd.).6 Wertschätzung als dritte Anerkennungsform interpretiert Prengel im schulischen Kontext als soziale Wertschätzung von Lernleistungen (vgl. Prengel 2013:86).
Prengel zeigt diverse Vorkehrungen für das Unterrichten auf, welche eine soziale Wertschätzung von Lernleistungen ermöglichen sollen. Hierzu zählt sie didaktische Individualisierungen im Unterricht (vgl. Prengel 2013: 88 f.). Darüber hinaus sei es für jeden Schüler entscheidend, eine leistungsunabhängige Achtung als Grundlage zu erfahren (vgl. Prengel 2013:88). Dies setze eine Trennung der Situation des Lernens und der Leistungsüberprüfung voraus (vgl. ebd.). Der Schüler werde hierdurch entlastet und ihm die Möglichkeit gegeben, sich vollkommen auf das Lernen zu konzentrieren (vgl. ebd.). Ebenfalls sei das diskursive Nachdenken über Lösungswege wertschätzend im Gegensatz zu negativen Lehrerrückmeldungen (vgl. Prengel 2013:89). Darüber hinaus empfiehlt sie die Anwendung der kriterialen und individuellen Bezugsnorm als Würdigung des erreichten Kompetenzstandes sowie des individuellen Lernfortschrittes (vgl. ebd.). Sie hält auch das Miteinbeziehen der relationalen Bedingungen des Lernens im Rahmen einer diagnostischen Kind-Umfeld-Analyse für bedeutsam (vgl. ebd.). Verkürzt dargestellt werden die Peer-Groups und die Familie des Schülers als gegenwärtige Bestandsaufnahme im Rahmen einer Kind-Umfeld-Analyse diagnostisch erschlossen (vgl. Carle 2001:4f.).
Prengel stellt die Bedeutung der Wertschätzung des Individuums in den Vordergrund. So zeigt sie unterschiedliche Methoden auf, welche den Schülern die Möglichkeit geben sollen, ihr Potential zu entfalten, ohne sich durch die selektive Perspektive des Vergleiches von Lernleistungen, blockieren zu lassen. Um dem Begriff des Vergleiches seine lernbehindernde Perspektive zu nehmen, sei neben der universellen leistungsunabhängige Anerkennung folgendes entscheidend: die individuelle Anerkennung der persönlichen Leistung bei vollkommener Zugehörigkeit zur Gruppe (vgl. Prengel 2013:89.).
Die Erziehungswissenschaftlerin Christine Wiezorek untersucht ebenfalls die anerkennungstheoretische Perspektive im schulischen Kontext.
Sie erkennt, dass Schüler ihrer familiären beziehungsweise kulturellmilieuspezifischen Haltung7 verhaftet seien (vgl. Wiezorek 2014:14). Lehrer könnten aus anerkennungstheoretischer Perspektive daher nur bewerten, ob
die Haltung der Umgebung des Schülers der mittelschichtorientierten schulischen Erwartungshaltung entspräche (vgl. Wiezorek 2014:14) .
Wiezorek kritisiert hiermit das Instrument der Bewertung, da sie die Schüler nicht als allein verantwortlich für ihr Verhalten betrachtet. Dieser ganzheitliche Ansatz ähnelt Prengels Vorschlag einer Kind-Umfeld-Analyse. Beide betrachten das kulturelle und familiäre Milieu für das Verhalten des Schülers als bedeutend.
Gerade wenn das Verhalten des Schülers nicht den Erwartungen des Lehrers entspricht, reagiert dieser oftmals mit Beschämungen.
Hierdurch verletze der Lehrer die Persönlichkeit des Schülers und versage ihm die Möglichkeit der Persönlichkeitsentwicklung (vgl. Wiezorek 2014:15). Neben der Beschämung erkennt Prengel unterschiedliche Formen von mangelnder Anerkennung wie zum Beispiel Vernichtung und Entwertung (vgl. Prengel 2013:30).
Der Psychoanalytiker Donald Winnicott untersucht ausführlich die Bindung der Mutter zum Kind. Er kritisiert die idealisierte Rolle der Mutter und erkennt, dass sie es nie leisten könne, ein Kind vollkommen anzuerkennen (vgl. Winnicott 1983). Prengel knüpft an Winnicotts Theorie an. Sie ist sie grundlegend der Auffassung, dass sich pädagogische Beziehungen stets zwischen ambivalenten, anerkennenden und verletzenden Prozessen bewegten (vgl. Prengel 2013:11).
2.2 Wertschätzung im Kontext inklusiver Pädagogik
Der Erziehungswissenschaftler Benno Hafenegger betrachtet Wertschätzung als grundlegende berufsethische Haltung pädagogischer Fachkräfte (vgl. Hafenegger 2013b:133 f.). Mit Wertschätzung verbindet er unter anderem die Zielsetzung: „einer freundlichen, menschenwürdigen und Grenzen achtenden Gestaltung der pädagogischen Beziehungen.“ (Hafenegger 2013b:134). Somit stellt Wertschätzung für Hafenegger die grundlegende Voraussetzung dar, die Würde des Menschen im Rahmen von pädagogischem Handeln anzuerkennen. Lehrer drücken dies aus, in dem sie alle Menschen als gleichwertig betrachten. Hierzu zählt die Auffassung, dass Lehrer gleichwertig der Schüler sind und auch, dass Schüler untereinander gleichwertig sind.
Für die Erziehungswissenschaftlerin Katrin Gabriel steht hierbei vor allem Empathie im Vordergrund. Eine wertschätzende Beziehung des Lehrers zu seinen Schülern sei dadurch gekennzeichnet, dass sich der Lehrer bemühe, die Perspektive der Schüler einzunehmen (vgl. Gabriel 2014:75).
Gerade im Rahmen einer Einwanderungsgesellschaft sei Anerkennung und Wertschätzung der Individuen eine unabkömmliche Voraussetzung (vgl. Hafenegger 2013a:51f.).
Für viele Lehrer stelle die Umsetzung inklusiver Pädagogik eine Herausforderung dar (vgl. Osburg 2014:4), da an Strukturen, die Vergleichbarkeit ermöglichen sollen, festgehalten werde (vgl. ebd.). Die hohen Anforderungen der Formalitäten überforderten die Lehrer oftmals, da sie ihnen von einem Tag auf den anderen auferlegt würden (vgl. ebd.).
Dabei sehen einige Befürworter von inklusiver Pädagogik in ihr enormes Potenzial unter anderem für die Persönlichkeitsentwicklung der Schüler. Für die gelingende Umsetzung ist für Claudia Osburg vor allem Wertschätzung eine grundlegende Voraussetzung (vgl. Osburg 2014:5). Inklusive Pädagogik könne gelingen, wenn Lehrer ihre Schüler individuell wahrnehmen und wertschätzen statt sie miteinander zu vergleichen (vgl. Osburg 2014:4 f.). Auch für Annedore Prengel ist die Wertschätzung der Vielfalt ein wesentliches Prinzip der inklusiven Pädagogik (vgl. Prengel 2009:112).
Individualität und Vielfalt wird aus dieser Perspektive als Bereicherung und nicht als Defizit betrachtet. Es geht nicht darum, Schüler zu selektieren und eine möglichst homogene Lerngruppe zu gestalten.
Genau hierin kann das Potential von Inklusion liegen: jeder einzelne Schüler wird wertgeschätzt und als bedeutsam für die Gemeinschaft betrachtet. Für Ewald Feyerer ist daher inklusiver Unterricht der Schlüssel zu mehr Wertschätzung und weniger Beschämung (vgl. Feyerer).
Eine weitere Inklusionsbefürworterin, Maria Kron, definiert Wertschätzung wie folgt:
„Auf den pädagogischen Bereich bezogen geht es also um die Berücksichtigung der unterschiedlichen Bedürfnisse, Fähigkeiten und Interessen der Kinder, ohne sie zu hierarchisieren, d. h. um Gleichheit in der individuellen Wertschätzung.“ (Kron 2010).
Vor dieser Beschreibung steht im Vordergrund, dass Wertschätzung stets wertfrei erfolgt. Lehrer drücken in ihrer wertschätzenden Handlung aus, dass sie Schüler als individuelle Persönlichkeiten wahrnehmen, ohne dies zu werten. Der Index für Inklusion wurde als Leitfaden entwickelt, um für Schulen eine Erleichterung bei der Umsetzung von Inklusion darzustellen. Hier wurde Wertschätzung explizit als inklusiver Wert festgehalten:
„alle SchülerInnen werden in gleicher Weise wertgeschätzt“ (Booth/Ainscow 2003:17).
Zusammengefasst lässt sich erkennen, dass Wertschätzung für einige Befürworter von pädagogischer Inklusion einen hohen Stellenwert hat. In diesem Kontext wird Wertschätzung als zentrale Voraussetzung für das Konzept der pädagogischen Inklusion gesehen. Bedeutend ist, dass Lehrer Schüler unabhängig von ihrer Leistung als gleichwertig betrachten und niemanden aus der Klassengemeinschaft ausgrenzen, auch nicht durch Beschämungen.
2.3 Wertschätzung und ihre Auswirkung auf Persönlichkeitsentwicklung
Ausgehend von den bereits diskutierten Erkenntnissen über Wertschätzung, lässt sich zusammenfassen, dass Wertschätzung im Rahmen der vorliegenden Arbeit definiert wird, als dass jeder Mensch gleichwertig ist und als solches auch wahrgenommen wird. Wertschätzung stellt keine Belohnung für eine erbrachte Leistung dar. Sie steht jedem Menschen von Geburt an zuunabhängig seines Verhaltens, seines Aussehens oder seiner Nationalität. Dem Grunde nach sieht die deutsche Verfassung eine Gesellschaft vor, in welcher jedes Individuum wertgeschätzt wird:
„Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“ (Art.1 GG)
Auch die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, welcher Deutschland sich gemäß Art.1 GG verpflichtet hat, erklärt, dass jeder Mensch gleichwertig ist (vgl. Vereinte Nationen 1948: Art.1 und GG: Artikel 1).
Dennoch wird in der modernen Leistungsgesellschaft oftmals allein das Potenzial Geld zu verdienen oder Macht auszuüben mit Anerkennung belohnt (vgl. Gröschke 2011:111).
Es gilt also eine Kultur der Wertschätzung zu etablieren, welche jedes Individuum, unabhängig seines ökonomischen Beitrages, als gleichwertig betrachtet.
Die Institution Schule kann hierzu einen enormen Beitrag leisten in dem sie die Persönlichkeitsentwicklung der Schüler fördert. Dies kann gelingen, wenn Lehrer sich der Bedeutung ihrer Beziehung zu Schülern bewusst werden und Schüler wertschätzen.
Für Wiezorek hat Wertschätzung eine weitreichende Bedeutung, da sie sich nicht nur auf die schulische Leistung beziehe sondern die Eigenschaften der gesamten Person hervor hebe (vgl. Wiezorek 2014:15). Lehrer stärkten somit nachhaltig die Persönlichkeitsentwicklung der Schüler (vgl. ebd.).
Für Anita Woolfolk ist Selbstwert die Wertschätzung, die jeder für seine Eigenschaften, Fähigkeiten und Verhaltensweisen habe (vgl. Woolfolk 2008:760). Somit lässt sich hieraus ableiten, dass Wertschätzung einen wichtigen Beitrag zur Stärkung des Selbstwertgefühles8 darstellen kann.
Auch aus lernpsychologischer Perspektive ist Wertschätzung vorteilhaft. Der Neurobiologe Joachim Bauer untersucht die Bedeutung von Wertschätzung für die Motivation der Schüler und erkennt hierbei einen Zusammenhang (vgl. Bauer 2008:21 f.).
„Entscheidende Voraussetzungen für die biologische Funktionstüchtigkeit unserer Motivationssysteme sind das Interesse, die soziale Anerkennung und die persönliche Wertschätzung, die einem Menschen von anderen entgegengebracht werden. [...]“ (Bauer 2008:21 f.)
Allein die Aussicht auf Wertschätzung und Anerkennung würde Gene im Motivationssystem aktivieren (vgl. Bauer 2008:21 f.). Erhält ein Schüler die erwartete Beachtung jedoch nicht, bleibe die Motivation im Wiederholungsfall aus (vgl. Bauer 2008:22).
Soziale Ausgrenzung oder Isolation inaktiviere generell die Gene der Motivationssysteme (vgl. Bauer 2008:21 f.).
Zusammengefasst wird deutlich, dass Schule als Institution einen enormen gesellschaftlichen Beitrag zu einer Kultur der Wertschätzung leisten kann, indem sie die Persönlichkeitsentwicklung der Schüler stärkt. Wertschätzung wirkt sich positiv auf die Persönlichkeitsentwicklung der Schüler, insbesondere auf ihr Selbstwertgefühl, aus. Aus lernpsychologischer Perspektive bewirkt Wertschätzung darüber hinaus eine Steigerung der Motivation.
2.4 Kommunikation
Im Rahmen der vorliegenden Arbeit werden keine Kommunikationstheorien diskutiert. Um die Umsetzung von wertschätzender Kommunikation untersuchen zu können, ist es dennoch bedeutend, Kommunikation zunächst grundlegend zu definieren und darüber hinaus explizit im Kontext der in Kapitel 5 folgenden Untersuchung.
Kommunikation wird im Lexikon zur Pädagogischen Psychologie und Schulpädagogik definiert als:
„soziale Interaktion, bei der Informationen zwischen zwei oder mehreren Personen mit Hilfe eines Kommunikationsmittels [...] ausgetauscht werden“ (vgl. Brunner und Zeltner 1980:117).
Die Kommunikationspsychologen Ulrike Six, Uli Gleich und Roland Gimmler beschreiben Kommunikation ähnlich. Für sie stellt Kommunikation einen Prozess zwischen mindestens zwei Beteiligten dar, in welchem die Akteure direkt oder indirekt miteinander kommunizieren (vgl. Six, Gleich, Gimmler 2007:21).
Ines Vogel, ebenfalls Kommunikationspsychologin, erkennt, dass Kommunikation ein wesentlicher Bestandteil des Schulalltages und ein wichtiges Werkzeug für Lehrer ist (vgl. Vogel 2013:8).
Kommunikationsstrukturen ergeben sich unter anderem aus dem Kontext der Kommunikation (vgl. Six, Gleich, Gimmler 2007:22).
Die vorliegende Arbeit untersucht Kommunikation einzig im Kontext Schule.
Als Mittel der direkten Kommunikation im Rahmen der Untersuchung wird die verbale Kommunikation festgelegt (vgl. ebd.).
Die nonverbale Kommunikation ist dennoch gleich bedeutend. Unter anderem der Tonfall, die Gestik und Mimik sind entscheidend, wenn es darum geht, wie der Inhalt transportiert wird beziehungsweise wie er beim Zuhörer ankommt. Jedoch ist genau dieser Teil stark interpretativ, da jede Person biografisch ihre persönliche nonverbale Ausdrucksweise entwickelt hat, so dass der vorliegende Umfang eine dahingehende Untersuchung nicht leisten kann.
Die Intentionalität von Kommunikation seitens der Lehrer ist in der Regel die professionelle Kommunikation (vgl. ebd.). Sie findet in der Organisation Schule statt (vgl. Six, Gleich, Gimmler 2007:25).
3. Gestaltung der Lehrer-Schüler-Beziehung
Benno Hafenegger stellt fest, dass die drei berufsethischen Kategorien Anerkennung, Respekt und Achtung an interaktive Prozesse, im Rahmen der Lehrer-Schüler-Beziehung, gebunden seien (vgl. Hafeneger 2013a:45).9 Hier sei die personale Ebene des Lehrers bedeutsam (vgl. ebd.) sowie die Form der kommunikativen Umsetzung (vgl. ebd.).
Lehrer gestalten wertschätzende Kommunikation im Rahmen ihrer Beziehung zu Schülern. Vor diesem Hintergrund ist es wichtig, die Bedeutung der LehrerSchüler-Beziehung zu diskutieren sowie die Auswirkungen ihrer unterschiedlichen Qualität.
Lehrer arbeiten an einer Schule, in welcher eine spezifische Schulkultur vorherrscht, welche reziprok für die Rolle des Lehrers von Bedeutung ist. Darüber hinaus ist die Einzelschule eingebettet in ein Schulsystem, welches vor allem durch politische Entscheidungen und politisch-wirtschaftliche Interessen beeinflusst wird. Diese Aspekte umfassend zu untersuchen, sprengen den Rahmen der vorliegenden Arbeit.
Dennoch gilt es wesentliche soziologische und erziehungswissenschaftliche Erkenntnisse zu diskutieren, da die systemischen Bedingungen die Gestaltungsmöglichkeiten der Lehrer-Schüler-Beziehung begrenzen.
3.1 Bedeutung und Qualität von Beziehungen
Die grundlegende Bedeutung von Beziehungen scheint offensichtlich bei der Vergegenwärtigung, dass jeder Mensch aus Beziehungen entstehe und sie gestalte (vgl. Prengel 2013:26).
Die Erziehungswissenschaftler Alfred und Christiane Thompson verweisen auf die Kritik am subjektzentrierten Denken und stellen zur Diskussion, ob nicht gerade Sozialität die Voraussetzung darstelle, durch die Einzelne zu Individuen würden (vgl. Schäfer/Thompson 2010:9). Vor dem Hintergrund, dass jeder Mensch als Individuum zur Welt kommt, irritiert Schäfers und Thompsons Wortwahl zunächst. Sie argumentieren jedoch, dass Einzelwesen zunächst in einem symbiotischen Zustand zu ihren Bezugspersonen auf die Welt kommen (vgl. Schäfer/Thompson 2010:7). Erst im Zuge dieses Abhängigkeitsverhältnisses entwickle sich das Verhältnis des Menschen zu sich selbst und zu anderen (vgl. ebd.). Im Kontext Schule wird hier deutlich, warum gerade die persönliche Beziehung zwischen Schüler und Lehrer so bedeutsam ist.
Gerade im schulischen Anfangsunterricht kommt der, von starker Nähe geprägten, Beziehung des Lehrers zu seinen Schülern eine enorm bedeutende Bedeutung zu (vgl. Gabriel 2014:74). Während die Lehrer-Schüler-Beziehung primär für Schüler eine hohe persönliche Bedeutung habe, da Lehrer neben Verwandten und Peer Groups lebensgeschichtlich bedeutsam seien (vgl. Prengel 2013:10), wird sie in erster Linie vom Lehrer gestaltet (vgl. Prengel 2013:9). Entscheidend sei vor allem die Qualität pädagogischer Beziehungen (vgl. Prengel 2013:29). Sie habe unterschiedliche Auswirkungen auf die langfristige biografische Entwicklung des Kindes (vgl. Prengel 2013:9 f.). Für den Menschen sei es lebensnotwendig, dass ihm psychisch Nährendes wechselseitig zufließe (vgl. Prengel 2013:29). Während anerkennende Beziehungen zu nachhaltigem Wohlbefinden und Lernerfolg beitragen, behinderten verletzende Beziehungen dies (vgl. Prengel 2013:9 und 11). Somit seien Schüler gerade auch in riskanten Lebenslagen ganz besonders von guten pädagogischen Beziehungen abhängig (vgl. Prengel 2013:10). Dennoch seien gute Bildungsprozesse auch auf didaktische und sozialpädagogische Fachkompetenzen angewiesen (vgl. Prengel 2013:122).
Die Qualität pädagogischer Beziehungen habe sowohl für den Schüler persönliche als auch gesellschaftlich folgenreiche Auswirkungen (vgl. Prengel 2013:13). Hieraus ließe sich die immense Bedeutung für eine menschenrechtlich begründete Pädagogik und Demokratieerziehung ableiten (vgl. ebd.). Die professionelle Beziehung als wertschätzende Beziehung zu entwickeln, sei daher eine persönliche und gesellschaftliche Gestaltungsaufgabe des Lehrers (vgl. ebd.).
Die gesellschaftliche Ebene profitiere von gelungenen pädagogischen Beziehungen, da Gewohnheiten, Einstellungen und Fähigkeiten durch Beziehungserfahrungen erschaffen würden (vgl. Prengel 2013:10).
3.2 systemische Bedingungen der Lehrer-SchülerBeziehung
Der Sozialwissenschaftler Stephan Marks untersucht aus soziologischer Perspektive, welche Komponenten eine Kultur der Wertschätzung blockieren. Hierbei fokussiert er sich insbesondere auf die gesellschaftliche Bedeutung der Rolle des Lehrers.
Lehrer beschämten Schüler häufig und behinderten somit eine Kultur der Wertschätzung (vgl. Marks 2005:6). Die Berufsgruppe der Lehrer würde jedoch in der deutschen Gesellschaft selber regelmäßig öffentlich beschämt (Marks 2013:129). Seiner These zufolge wehrten Lehrer oftmals ihre eigene Scham ab und reproduzierten auf diese Weise Beschämungen (vgl. Marks 2005:8). Die Gründe warum ein Mensch sich schäme oder beschäme sei von den jeweiligen kulturellen Normen abhängig (vgl. Hafenegger 2013b:64). Während sich die moderne deutsche Gesellschaft als Gewissens-Kultur verstehe, sei der Nationalsozialismus eine Scham-Kultur gewesen (vgl. Marks 2005:7). Marks fordert eine gesellschaftliche Diskussion und Reflexion der historisch verwurzelten Scham, welche gegenwärtig immer noch präsent sei und an künftige Generationen weitergegeben werde (vgl. Marks 2013:120 f. und 156). Die Reproduktion von Scham könne nur durchbrochen werden, in dem sich die Gesellschaftsmitglieder und insbesondere die Berufsgruppe der Lehrer mit Scham auseinandersetze und wertschätzende Kommunikation erlerne (vgl. Marks 2005:9 f.). Scham sei ein unerträglich schmerzhaftes Gefühl, welches selten verbalisiert werde (vgl. Marks 2005:6). Die beschämten Lehrer würden oftmals ihre eigene Scham abwehren, indem sie selber beschämten (vgl. Marks 2005:8). Dies könne sich zum Beispiel durch verachtende, zynische oder negativistische Kommunikation äußern oder gar durch Perfektionismus (vgl. ebd.). Marks warnt davor, dass Beschämungen und mangelnde Anerkennung gravierende gesundheitliche Folgen hervorrufen können, wie zum Beispiel ein erhöhtes Risiko an Diabetes und Depressionen zu erkranken (vgl. Marks 2013:69 f.).
Da gelingendes Lehren und Lernen eine Kultur der Wertschätzung erfordere, blockiere Scham und Beschämung diese Prozesse (vgl. Marks 2005:6). Hilfreich für die Umsetzung einer Kultur der Wertschätzung sei die Wertschätzung des Berufes Lehrer (vgl. Marks 2005:8). Darüber hinaus sollten auch Lehrer lernen sich selber wert zu schätzen (vgl. ebd.).
Prengel wiederum untersucht die Auswirkungen der selektiven Maßnahmen des Bildungssystems auf Wertschätzung. Der selektiven Verteilung, nach Beendigung der Grundschule, auf unterschiedliche Schulformen sowie unterschiedliche Sonderschularten steht sie kritisch gegenüber (vgl. Prengel 2013:87). Sie verweist auf den Soziologen Justin Powell, der erkennt, dass in Deutschland das binäre System beibehalten wird, während viele Staaten in Nordamerika und Europa ihr Schulsystem bereits in ein inklusives System reformiert hätten (vgl. Powell 2013:14). Das deutsche Schulsystem lasse somit keine Integration aller Schichten und Individuen zu (vgl. Prengel 2013:87). Zudem reproduziere das System durch „[.] Ziffernoten eine Dominanz von Hierarchisierungen [.]“ (Prengel 2013:87). Die Voraussetzung für Anerkennung sei daher systemisch bedingt die Verpflichtung gute Schulleistungen zu produzieren (vgl. ebd.) unabhängig der Herkunft und der unterschiedlich zu bewältigenden Herausforderungen. Schüler würden stereotypisiert, anstatt wertgeschätzt zu werden, in dem sie in schlechtere und bessere Schüler unterschieden würden (vgl. ebd.). Prengel weist auf wenige Ausnahmen von Einzelschulen hin, die die individuelle Leistung der Schüler wertschätzten (vgl. Prengel 2013:88).
Nach Auswertung der INTAKT-Studien fiel jedoch auf, dass verletzendes und anerkennendes Handeln nicht schulkulturell konform stattfinde, sondern stark von der jeweiligen Lehrerperson abhängig sei (vgl. Prengel 2013:105 f.). Daher werde vermutet, dass die institutionellen Strukturen nicht den ausschlaggebenden Einfluss auf pädagogisches Handeln erwirkten (vgl. Prengel 2013:116 f.). Gerade bei Schulen, die offensichtlich sehr gegensätzliche Handlungsmuster in der Umsetzung pädagogischen Handelns aufzeigten, werde vermutet, dass oftmals eine schulkulturelle Spaltung vorherrsche (vgl. Prengel 2013:117).
Auch Hafenegger betrachtet die Rolle der Lehrkraft als sich ambivalent bewegend zwischen den Antinomien Kontrolle und Unterstützung (vgl.
Hafeneger et al. 2013a:45). Die antinomisch strukturellen Herausforderungen ließen sich nicht auflösen und seien daher final nur durch die Lehrkraft zu bewältigen (vgl. Hafenegger 2013a:52).
Hier bietet sich die Reflektion pädagogischen Handelns im Rahmen von Fortbildungen und schulinternen Workshops an. Das KUR-Projekt des Landesinstituts Hamburgs10 richtet zum Beispiel Projektgruppen zur kollegialen Unterrichtsreflexion ein. Darüber hinaus kann das Ergreifen von teambildenden Maßnahmen innerhalb des Kollegiums unterstützen, Spannungen abzubauen und langfristig Spaltungen aufzulösen.
Um die personale Ebene der Lehrer frühzeitig zu erreichen, müssen bereits im Studium Angebote eröffnet werden, die sich verstärkt mit der Thematik der wertschätzenden Kommunikation auseinander zusetzen. Die Thematik sollte auch im Referendariat Beachtung finden. Angehende Lehrer sollten die systemischen Bedingungen, welche eine Kultur der Wertschätzung blockieren untersuchen und diskutieren. Darüber hinaus scheint vor allem auch der Bedarf nach konkreten Umsetzungsmöglichkeiten der wertschätzenden Kommunikation vorhanden.
4. Konzepte zur Umsetzung wertschätzender Kommunikation
Nach dem die Bedeutung der wertschätzenden Kommunikation herausgearbeitet wurde, gilt es die unterschiedlichen Konzepte zu ihrer Umsetzung zu vergleichen. Hierzu wird sowohl die Erziehungspsychologie, aus der humanistischen Psychologie, ausgewählt als auch die Ermutigungspädagogik, aus der Individualpsychologie. Da beide Konzepte konkrete Umsetzungsmöglichkeiten zu wertschätzender Kommunikation im Kontext Schule aufzeigen und damit enorm Einfluss auf die pädagogische Psychologie genommen haben.
Es nicht das Ziel der vorliegenden Arbeit die theoretischen Grundlagen der Strömungen der Psychologie vollständig darzustellen. Dennoch wird sowohl die humanistische Psychologie als auch die Individualpsychologie in ihren groben Zügen zur besseren Verständlichkeit kurz aufgezeigt. Darüber hinaus kann die Arbeit, aufgrund ihres Umfanges, es ebenfalls nicht leisten, die Konzepte der Erziehungspsychologie und der ermutigenden Pädagogik vollständig darzustellen und zu vergleichen. Aus diesem Grund werden beide Konzepte primär im Kontext der wertschätzenden Kommunikation dargestellt und verglichen. In diesem Rahmen erfolgt auch die theoriegeleitete Auswahl der Kategorien für die folgende Untersuchung, welche in Kapitel 5 vollständig aufgezeigt werden.
Darüber hinaus werden ebenfalls Kategorien für nicht-wertschätzende Kommunikation aufgezeigt, um in Anlehnung an Prengel (siehe Kapitel 2.1) auch die mögliche Ambivalenz der jeweiligen Situation zu erfassen. Da die Thematik der vorliegenden Untersuchung jedoch wertschätzende Kommunikation ist, wird die Herleitung der Kategorien für nicht-wertschätzende Kommunikation nicht detailliert erfasst. Sie lässt sich größten Teils aus der dargestellten Theorie beider Konzepte ableiten. Zudem werden alle Kategorien mit entsprechenden Literaturquellen belegt.
4.1 humanistische Psychologie
Die Strömung der humanistischen Psychologie entwickelte sich ursprünglich in den Vereinigten Staaten von Amerika als Gegenbewegung zum Behaviorismus und zur Psychoanalyse (vgl. Simon 2010:33).
Sie umfasst unterschiedliche Konzepte, welche auf einem positiv-optimistischen Menschenbild basieren. Ihre Vertreter heben die „schöpferische, freiheitsfähige und wertsetzende Potenz“ (Finke 2010:1) des Menschen hervor und gehen davon aus, dass jeder Mensch nach Selbstverwirklichung strebt (vgl. Butcher, James N./Mineka, Susan/Hooley, Jill M. 2009:94). Die intensive Beschäftigung mit der Entwicklung des Selbst, des Selbstkonzeptes und des Selbstwertgefühles steht dabei im Vordergrund (vgl. Heimlich 2016:65).
Aus der humanistischen Psychologie geht unter anderem Carls Rogers personenzentrierte Psychotherapie hervor11 (vgl. Simon 2010:33 und Finke 2010:1). Gekennzeichnet durch eine personenzentrierte Gesprächsführung basiert sie auf den Grundsätzen: unbedingte Wertschätzung, Authentizität und Empathie (vgl. Greuel 2016:52 und Plate 2015:52).
Rogers geht davon aus, dass Veränderung durch bedingungslose Annahme hervorgerufen werde (vgl. Pabst-Weinschenk 2016:35 und Finke 2010:3) Wenn ein Mensch so angenommen werde, wie er sei, entstünden Möglichkeiten zur Persönlichkeitsentwicklung und zum Lernen (vgl. Pabst-Weinschenk 2016:35). Diese Komponente weise Ähnlichkeiten mit dem Ansatz der Individualpsychologie auf (vgl. Finke 2010:3).
Auf Basis der personenzentrierten Psychotherapie entwickelte sich die gesamte Richtung der nichtdirektiven Gesprächsführung (vgl. Pabst-Weinschenk 2016:78). Sie zielt im schulischen Kontext darauf ab, dass das Selbstverstehen des Schülers durch das Verständnis des Lehrers entwickelt werde (vgl. Finke 2010:1). Daher bedarf sie keiner Lenkung, Bewertung oder Ratschläge (vgl. Finke 2010:2).
[...]
1 Both concepts were developed in Germany and are known as: ,Erziehungspsychologie' and ,Ermutigungspädagogik'.
2 Das interdisziplinäre Projektnetz INTAKT steht für Soziale Interaktionen in pädagogischen Arbeitsfeldern (vgl. Prengel 2013:93). 5917 alltägliche Lehrer-Schüler-Interaktionen wurden in den Jahren 2010-2013 beobachtet und anschließend aus anerkennungstheoretischer Perspektive interpretiert (vgl. Prengel 2013:93 und 102 f.).
3 Pädagogische Alltagssituationen enthalten oftmals Beschämungen. Beschämungen können gezielt oder ungezielt stattfinden (vgl. Hafenegger 2013b:72 f.) Sie produzieren Scham beziehungsweise verletzen indem sie dem Schüler vorübergehend das Gefühl des Andersseins und Ausgeschlossenseins vermitteln (vgl. Hafenegger 2013b:72). Im Rahmen der vorliegenden Arbeit kann die Thematik Scham und Beschämungen nicht umfassend aufgefasst werden, da es hier primär um wertschätzende Kommunikation geht.
4 Hierzu zählen zum Beispiel die gewaltfreie Kommunikation nach Rosenberg sowie das Gordon-Modell.
5 Hier wird begründet, warum die vorliegende Untersuchung sich auf bestimmte Klassenstufen bezieht. Dennoch gilt es anzumerken, dass wertschätzende Kommunikation durchgehend in allen Klassenstufen von hoher Bedeutung ist.
6 Der Umfang der Arbeit und die Zielsetzung der Thematik wertschätzende Kommunikation können es nicht leisten an dieser Stelle näher auf die ersten beiden Anerkennungsformen einzugehen.
7 Eine pädagogische Haltung setzt sich aus komplexen Komponenten zusammen. Eine Definition kann die vorliegende Thematik der Arbeit nicht leisten. Stark verkürzt betrachtet, stellt eine pädagogische Haltung „ein hoch individualisiertes Muster von Einstellungen, Werten, Überzeugungen [...]" (Herrman/Solzbacher o. Jg.) dar.
8 Das Selbstwertgefühl ist nicht identisch mit Banduras Selbstfähigkeitskonzept. Die vorliegende Arbeit kann im Rahmen ihres Umfangs nicht auf die Bedeutung der Wertschätzung für das Selbstfähigkeitskonzept eingehen.
9 In diesem Kontext sind die Begriffe Achtung und Anerkennung, wie bereits in Kapitel 2 aufgezeigt, als Synonyme für Wertschätzung zu verstehen.
10 Weitere Informationen hierzu auf der Homepage des Landesinstituts für Lehrerbildung und Schulentwicklung Hamburg (vgl. Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung Hamburg).
11 Die personenzentrierte Psychotherapie wird auch klientenzentrierte Psychotherapie oder Gesprächspsychotherapie genannt. Die vorliegende Arbeit beschränkt sich auf den Begriff personenzentrierte Psychotherapie, da Tausch und Tausch den Begriff personenzentriert verwenden (vgl. Tausch und Tausch 1998:11) .
- Citar trabajo
- Tasja Schwormstedt (Autor), 2017, Wertschätzende Kommunikation im schulischen Anfangsunterricht. Eine kritische Studie, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1369699
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