André Malraux (1901 – 1976) zählt zu den wichtigsten französischen Autoren des 20. Jahrhunderts. Seine formal vielseitige Gestaltung folgt der inhaltlichen Zielsetzung. Malraux widmet sich in seinen Romanen, Essays und ästhetischen Untersuchungen stets der Kantischen Frage: Was ist der Mensch?
Von dieser Frage ausgehend sind es die großen philosophischen Themen, die ihn beschäftigen und die er im Rahmen zeitgeschichtlicher Erfahrungen diskutiert. Der Umgang des Menschen mit existenziellen Fragen steht im Mittelpunkt. Vor allem die Problematik des Todes, die Herausforderung des Schicksals und die Möglichkeiten von tatsächlicher Freiheit sind es, die dem Leser begegnen. Dabei trägt der Schriftsteller aktuellen politischen Umständen und persönlichen Erlebnissen Rechnung, transformiert sie in literarische Aktivität und erschafft, in Verbindung mit jenen genannten Problemfeldern, einen ganz eigenen Diskurs, der später Autoren wie Sartre oder Camus inspiriert und durch sie in ähnlicher Weise fortgeführt wird.
Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit Malraux´ Überlegungen zur menschlichen Existenz. Diese Überlegungen widerspiegeln sich in seinen Werken. Hier geht es dabei allerdings nicht um die Einordnung des Autors und seiner Schriften in die recht bald nach Heideggers Sein und Zeit (1927) auch in Frankreich entstehende philosophische Strömung des Existenzialismus. Vielmehr soll anhand zweier ausgewählter Schriften, La voie royale (1930) und La condition humaine (1933), untersucht werden, welche speziellen Fragen zur Existenz Malraux literarisch stellt und welche Formen der Auseinandersetzung bzw. des Umgangs mit diesen Fragen er vorschlägt.
[...]
Schematisch verfährt die Arbeit wie folgt [...].
Zum Abschluss erfolgen eine Zusammenfassung und ein Ausblick auf weitere Fragen, die im Hauptteil nicht behandelt werden konnten.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Inhalt der Romane
3. Hinweise zur Gestaltung der Romane
4. Erfahrungen und Kennzeichen von Existenz
5. Das Dilemma der Existenz – Mögliche Auswege
5.1 Das Problem der Tat in La Voie Royale
5.2 Fragen der Existenz in La Condition Humaine
5.2.1 Die Tat
5.2.2 Brüderlichkeit
5.2.3. Exil
5.2.4. Individualität und Marxismus
5.2.5. Liebe
6. Schlussfolgerung
7. Literatur
1. Einleitung
André Malraux (1901 – 1976) zählt zu den wichtigsten französischen Autoren des 20. Jahrhunderts. Seine formal vielseitige Gestaltung folgt der inhaltlichen Zielsetzung. Malraux widmet sich in seinen Romanen, Essays und ästhetischen Untersuchungen stets der Kantischen Frage: Was ist der Mensch?
Von dieser Frage ausgehend sind es die großen philosophischen Themen, die ihn beschäftigen und die er im Rahmen zeitgeschichtlicher Erfahrungen diskutiert. Der Umgang des Menschen mit existenziellen Fragen steht im Mittelpunkt. Vor allem die Problematik des Todes, die Herausforderung des Schicksals und die Möglichkeiten von tatsächlicher Freiheit sind es, die dem Leser begegnen. Dabei trägt der Schriftsteller aktuellen politischen Umständen und persönlichen Erlebnissen Rechnung, transformiert sie in literarische Aktivität und erschafft, in Verbindung mit jenen genannten Problemfeldern, einen ganz eigenen Diskurs, der später Autoren wie Sartre oder Camus inspiriert und durch sie in ähnlicher Weise fortgeführt wird.
Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit Malraux´ Überlegungen zur menschlichen Existenz. Diese Überlegungen widerspiegeln sich in seinen Werken. Hier geht es dabei allerdings nicht um die Einordnung des Autors und seiner Schriften in die recht bald nach Heideggers Sein und Zeit (1927) auch in Frankreich entstehende philosophische Strömung des Existenzialismus. Vielmehr soll anhand zweier ausgewählter Schriften, La voie royale (1930) und La condition humaine (1933), untersucht werden, welche speziellen Fragen zur Existenz Malraux literarisch stellt und welche Formen der Auseinandersetzung bzw. des Umgangs mit diesen Fragen er vorschlägt.
Aufgrund des recht umfangreichen Themas erscheint eine Beschränkung auf die beiden genannten Texte sinnvoll. Als Werke des frühen Malraux zielen die Romane auf die gleichen Fragen ab, ihre Antworten jedoch unterscheiden sich.
Üblicherweise stellt man La Condition Humaine in eine fortlaufende Reihe von jenen Romanen Malraux´, die allesamt einen politischen Hintergrund haben und die sich deshalb für eine entwicklungsgeschichtliche, textimmanente Untersuchung und damit für einen Vergleich untereinander anbieten. La Voie Royale erscheint demgegenüber inhaltlich als Sonderfall, was allerdings einer Untersuchung zur Existenz nicht entgegensteht, im Gegenteil, die gesonderte und doch augenfällige Behandlung der typischen Fragen weist den Roman als gewichtig für das Thema aus.[1] Aufgrund der unterschiedlichen Gestaltung beider Schriften wird hier nun auch kein Vergleich angestrebt. Vielmehr geht es darum, die Merkmale von Existenz nach Malraux anhand ausgewählter Textstellen darzustellen und davon ausgehend Möglichkeiten des Umgangs mit diesen Merkmalen herauszuarbeiten.
Schematisch verfährt die Arbeit wie folgt: zunächst werden kurz Inhalt und Thema beider Schriften angegeben. Anschließend folgt eine Darlegung formaler Mittel, die Malraux verwendet, um möglichst deutlich der jeweiligen Problematik Ausdruck zu verleihen. Im vierten Teil folgt die Darstellung der Themen Absurdität, Schicksal und Tod als jene grundsätzlichen existenziellen Erfahrungen, die eine Bewältigung menschlicher Seite erforderlich machen, selbst wenn sie vergeblich erscheint. Darauf schließlich geht der nachfolgende Abschnitt ein, indem die Möglichkeiten der Tat, der Brüderlichkeit, des Exils und der Liebe besprochen werden. Ebenso behandelt das Kapitel Malraux´ Umgang mit dem Marxismus. Zum Abschluss erfolgen eine Zusammenfassung und ein Ausblick auf weitere Fragen, die im Hauptteil nicht behandelt werden konnten.
2. Inhalt der Romane
Beide Schriften reflektieren Malraux´ Erfahrungen mit dem asiatischen Kontinent und dessen spezifischer Lebenswelt. Die zeittypischen Konstellationen werden aufgenommen und Malraux´ eigenen literarischen Zielsetzungen angepasst. Dabei wählt der Schriftsteller in La Voie Royale (erschienen 1930) die Herausforderung des Einzelnen zum Thema, welcher in Auseinandersetzung mit den urwüchsigen, unerschlossenen und gefährlichen Gebieten Indochinas die eigene Existenz besser zu verstehen lernt. La Condition Humaine (erschienen 1933) erweitert demgegenüber das Spektrum der Individualität hin zu einer ästhetisch – metaphysischen Reflektion des jeweilig Einzelnen gegenüber möglichen Formen des menschlichen Verhaltens angesichts eines bestimmten politischen Ereignisses.
In La Voie Royale ziehen die beiden europäischen Desperados Claude und Perken auf der Suche nach ansässigen Kunstschätzen, welche sie zu rauben gedenken, durch den kambodschanischen Dschungel.[2] Dabei sind die beiden keine gewöhnlichen Diebe, sondern Abenteurer, die auf der Suche nach einem Sinn ihrer Existenz bereitwillig und herausfordernd alle Widrigkeiten in Kauf nehmen. Beide sind unkonventionelle Einzelgänger, die jeglicher bürgerlichen Moral entfliehen wollen und die schlicht die Gegebenheiten der Zeit nutzen, um ihre eigenen Ziele verfolgen zu können. Perken bezahlt diesen Wagemut schließlich mit seinem Leben, nicht ohne jedoch über das eigene Dasein und die eigene Tragik Erkenntnisse gewonnen zu haben.
Die Ereignisse während der chinesischen Revolution 1927 behandelt La Condition Humaine.[3] Einige kommunistische Führer diskutieren über mögliche Formen des Umgangs mit problematischen Ereignissen, ziehen ihrem Charakter gemäß entsprechende Schlüsse und setzen diese in die Tat um. Die Kommunisten haben sich vor allem mit dem Widerstreit zwischen Hoffnung auf echte, schnellstmögliche Veränderung auf der einen und taktisch – ideologischen Überlegungen auf der anderen Seite auseinanderzusetzen. Ihr gemeinsames Ziel ist die Verbesserung gesellschaftlicher Umstände. Fraglich ist nur die Art und Weise, wie diese erreicht werden können. Im Augenblick einer Krise entschließen sie sich zu unterschiedlichen, individuellen Aktionen, verweigern der offiziellen Doktrin die Gefolgschaft und müssen schließlich ihr Leben lassen.
Weitere Figuren in CH verharren in der Reflexivität oder versuchen das Geschehen egoistisch auszunutzen. Sie resignieren, flüchten oder sind bestrebt, die Ereignisse im eigenen Interesse auszunutzen.
3. Hinweise zur Gestaltung der Romane
Es ist nicht einfach, Malraux in eine bestimmte Romanrichtung einzuordnen, da der Stil seiner Erzählungen teilweise sehr variiert.[4] Da er generell, gerade aber auch in seinen hier zu besprechenden Werken die Frage nach der menschlichen Existenz stellt, muss er sich angemessener und variabler Mittel bedienen. In diesem Zusammenhang zeichnet er zum einen den Abenteurer (VR), zum anderen den politisch aktiven Revolutionär (CH), um sein schriftstellerisches Thema klar herausstellen zu können. Beide Romane bilden ein Zusammenspiel von philosophischen Gedanken und erzählerischen Elementen:
„Nicht die Geschichte eines Menschen, der sich seiner Andersartigkeit bewußt geworden ist, sondern die Beschreibung der Lage des Menschen, seines Verhältnisses zum Dasein, zum Universum und zur äußeren Wirklichkeit wird gegeben.“[5]
Um diesem Anspruch gerecht zu werden, verwendet der Autor zuweilen eine pathetische, eindringliche Sprache, die schildert und zugleich reflektiert, nur selten bleibt er in seinem Ausdruck nüchtern und sachlich.[6]
Durch die Hervorhebung besonders markanter, bildhafter Szenen versucht er, die besondere Problematik der menschlichen Existenz aufzuzeigen. Die immer wieder anzutreffende Übertreibung zeigt drastisch die Schwierigkeiten, das Elend, die Hilflosigkeit gegenüber dem oft so grausamen, unvorhersehbaren Schicksal auf. So ist beispielsweise Ferrals irrsinnige Aktion zu verstehen, als er Valeries Hotelzimmer völlig überzogen mit allerlei exotischen Vögeln ausstaffiert, nur um seine Wut irgendwie zu kompensieren (CH S. 267f., 673f.). Nicht die eigenen Vorhaben und Wünsche entscheiden über das Gelingen, vielmehr sind es durch das Individuum nicht beherrschbare Umstände, die eine Existenz bestimmen.
Gelegentlich wählt Malraux auch filmtechnische Elemente, um bestimmte Schlüsselmomente zu verdeutlichen und um den Leser dafür besonders zu sensibilisieren.[7] Exemplarisch für diese formale Gestaltung kann die Szene in VR gelten, in welcher Perken auf den feindlichen Stamm der Mois zuläuft, um sich und seine Begleiter zu retten (VR 466-470). Die Schilderung dieser riskanten Aktion erreicht durch das ständige, geradezu hektische Wechseln der Perspektive zwischen Perken, Claude und den Mois einen rasanten Aufbau von Spannung. Eine besondere, existenzielle Gefährdung wird deutlich.
Besonders fallen zudem die immer wiederkehrenden Exzesse auf. Obszöne oder brutale Beschreibungen bestimmter Geschehnisse betonen die Situation des Menschen. Dieser ist in seiner Existenz überhaupt nicht unproblematisch, sondert erfährt ständig Schmähungen, Niederlagen, Gewalt. Dagegen äußert sich bei mancher Figur die blinde Wut. So versucht Ferral seine Geliebte Valerie sexuell zu erniedrigen (CH S. 596ff.) und Hemmelrich ermordet einen Gegner, der allerdings völlig gesichtlos bleibt, auf besonders barbarische Weise (CH S. 698).
Da der Mensch im Mittelpunkt steht, fehlt in der Regel auch eine Beschreibung alltäglicher, banaler Dinge.[8] Lediglich wenn es dem Gesamtzusammenhang dient, wird näher auf Gegenstände eingegangen. Beispielsweise erklärt Claude Perken, was er für Werkzeuge mit sich führt, um die erhofften Reliefs aus den Tempelmauern schneiden zu können (VR S. 390). Auch Geographische Hintergründe, bei vielen anderen Schriftstellern oftmals Gegenstand vielfältiger Berichte, werden nur wenig erklärt. CH gibt keinen ausführlichen Bericht über Shanghai, nur gelegentlich werden einzelne Objekte wie Straßen und Häuser kurz beschrieben, da sie eine Verbindung zum Geschehen, zum Handeln der Menschen, haben. Gleiches gilt in diesem Roman für Hinweise auf andere Orte Chinas, die nur erwähnt werden, um Zusammenhänge mit der Revolution im Allgemeinen herzustellen.
Darüber hinaus verzichtet Malraux auf eine allzu deutliche Beschreibung der Feinde, denen die Protagonisten in VR und in CH gegenüberstehen. Von der grundsätzlich schwierigen Situation, dem unerforschten Gebiet in VR, dem Klima der Revolution in CH, einmal abgesehen, sind es nicht die Feinde der Helden, die eine echte Reflexion über den Sinn des Lebens auszulösen vermögen. Sie bleiben nur äußere Bedrohung. Vielmehr liegt das Hauptaugenmerk auf den Protagonisten selbst, die in Zweifel und Hoffnungslosigkeit vor die Aufgabe gestellt werden, eine Bedeutung der eigenen Existenz herauszufinden. Deshalb erscheint Malraux nicht die Ausgestaltung der Feinde wichtig, sondern die Illustration komplexer Gedankengänge, die sich oftmals in Gesprächen offenbaren. In diesen Gesprächen tauschen die Figuren Ansichten über die Fragen der Existenz aus. Nicht der Konflikt zwischen den Menschen steht im Vordergrund, sondern der Dialog. Ein Dialog, der allerdings oftmals scheitert, wie beispielsweise das Gespräch zwischen Gisors und Tschen zeigt (CH, S. 560-563).
In diesem Zusammenhang soll hier noch auf die unterschiedlichen Typen von Menschen eingegangen werden, die Malraux in den beiden Romanen heranzieht. Durch die Darstellung von Beziehungen, von Selbstreflexionen und von Taten versucht der Schriftsteller aufzuzeigen, wie der Mensch sich mit seiner Existenz auseinandersetzt. Malraux’ literarisches Augenmerk richtet sich beinahe ausschließlich auf Ausnahmepersonen, nicht auf gewöhnliche Vertreter etwa der unteren Gesellschaftsschichten. Die einzige echte Ausnahme ist der Proletarier Hemmelrich in CH.
Die zentralen Figuren verfügen über die Fähigkeit der Selbstreflexion und stehen außerhalb der üblichen bürgerlichen Konventionen. Sie befinden sich in Extremsituationen und versuchen, sich mit diesen gestalterisch auseinanderzusetzen. Nicht die Unterwerfung, sondern die Veränderung von Umständen ist ihr Programm.
In VR steht der Abenteurer im Mittelpunkt.[9] Perken als erfahrener, vor allem aber erfolgreicher Draufgänger zieht den jüngeren Claude in seinen Bann, der völlig blauäuig eine gefährliche Expedition plant.[10] Es entsteht ein freundschaftliches Verhältnis zwischen beiden, wobei Perken, seiner Natur und seinen Fähigkeiten gemäß, die Dominanz ausübt und Claude in den entsprechenden Situationen auch mit Rat und vor allem Tat zur Seite steht. Ihm fällt auch der Hauptteil der Reflexionen zu, da er als Mensch der Tat, aber auch der Klarsicht die Ereignisse im Roman entscheidend prägt, sie bewerteten kann und er deshalb auch die Widrigkeiten des Schicksals in voller Gewalt ertragen muss.
[...]
[1] Dies ist auch der Grund, warum La Voie Royale gelegentlich in seiner Entstehungsgeschichte vor 1928 (Veröffentlichung von Les Conquerants) und damit vor der Periode der politischen Romane gesetzt wird. Vgl. Deichsel (1971), S. 242
[2] Verwendete Ausgabe: Malraux (1989), hier nachfolgend im Text VR.
[3] Hier verwendete Ausgabe: Malraux (1989), hier nachfolgend im Text CH.
[4] Vgl dazu: Schmah (1967), S. 67 -95. Außerdem: del Maestre (1961), S. 14.
[5] Schmah (1967), S. 69.
[6] Ebd., S. 74f.
[7] Ebd. (1967), S. 91f. Außerdem: del Maestre (1971), S. 14f.
[8] Vgl. Schmah (1967), S. 87f.
[9] Ebd. S. 96.
[10] Lyotard und andere weisen auf Malraux´eigenen Ausflug nach Indochina hin, der katastrophal verlief und in seinen Grundzügen wohl die Vorlage für VR bildete. Allerdings erscheint in diesem Blickwinkel, Malraux hatte schließlich keinen erfahrenen Haudegen an seiner Seite, Perken als Idealfigur des Schriftstellers, möglicherweise sogar als Ideal seiner selbst – zumindest zu dieser Zeit, Anfang der 20er Jahre. Vgl. Lyotard (1999), S. 1119-144: Vorstoß nach Asien.
- Citation du texte
- Alice Rücknagel (Auteur), 2009, Zur Frage der Existenz bei André Malraux, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/136876
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