Inwiefern bietet sich für Genossenschaftsbanken eine Übertragung von ESG-Investmentstrategien auf die Vergabeverfahren des Neukreditgeschäfts mit Firmenkunden an, um Nachhaltigkeitsrisiken in ihrem Firmenkundenkreditportfolio zu begrenzen?
Das Ziel der Forschung ist, zu ermitteln, ob und wenn ja welche ESG-Anlagestrategien auch für die Neukreditvergabe im Firmenkundenkreditgeschäft von Genossenschaftsbanken geeignet erscheinen, um das Kreditportfolio unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit zu gestalten und somit etwaige Nachhaltigkeitsrisiken im Vorfeld zu begrenzen. Das bereits bestehende Kreditportfolio bleibt von der Forschungsfrage unberührt. Die Beantwortung der Forschungsfrage der Thesis erfolgt im Rahmen einer Literaturarbeit, in der vorhandene Literatur und Daten zum Thema systematisch zusammengetragen und in Bezug auf die Forschungsfrage analysiert werden.
Um das Thema der Nachhaltigkeit und die damit verbundenen Risiken in Bezug auf das Kreditgeschäft mit Firmenkunden von Genossenschaftsbanken betrachten zu können, ist zunächst in Erfahrung zu bringen, wie der genossenschaftliche Bankensektor organisiert ist und welche Prinzipien und Eigenschaften dem Geschäftsmodell sowie der Ausrichtung der Genossenschaftsbanken zugrunde liegen. Für den Begriff der Nachhaltigkeit existiert derzeit noch keine allgemeingültige Definition. Daher wird im zweiten Teil das Prinzip der Nachhaltigkeit hinsichtlich anerkannter Kernelemente charakterisiert, um eine grundlegende Einordnung des Begriffs zu ermöglichen. In diesem Zusammenhang wird auch das verbreitete und für den weiteren Inhalt der Arbeit zentrale ESG-Konzept beschrieben. Auf dieser Basis erfolgt die Erläuterung des Begriffs der Nachhaltigkeitsrisiken sowie deren Charakteristika in Bezug auf den Bankensektor aus regulatorischer und aufsichtsrechtlicher Perspektive der BaFin und der EBA. Das letzte Hauptkapitel betrachtet die ESG-Anlagestrategien sowie eine mögliche Anwendung im Rahmen der Kreditvergabe. Zunächst werden die zentralen ESG-Strategien vorgestellt und deren Bedeutung im Rahmen des Marktes nachhaltiger Geldanlagen in Deutschland verglichen. Anhand der nachhaltigen Kreditvergabe der DZ BANK wird ein Praxisbeispiel für Prozesse zur nachhaltigeren Ausrichtung des Firmenkundenkreditportfolios unter Anwendung von ESG-Strategien gegeben. Das letzte Teilkapitel bewertet die bedeutendsten ESG Strategien hinsichtlich etwaiger Vor- und Nachteile sowie deren Eignung zum Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken.
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
1 Einleitung
2 Charakterisierung von Genossenschaftsbanken
2.1 Genossenschaftliches Grundprinzip
2.1.1 Genossenschaftliche Idee, Werte und Prinzipien
2.1.2 Historische Grundlage
2.1.3 Rechtsform der Genossenschaft
2.2 Genossenschaftlicher Bankensektor
3 Nachhaltigkeit und Nachhaltigkeitsrisiken
3.1 Prinzip der Nachhaltigkeit
3.1.1 Drei-Dimensionen-Konzept
3.1.2 Prinzipien eines Nachhaltigkeitsleitbildes
3.2 ESG-Konzept
3.3 Nachhaltigkeitsrisiken
3.3.1 Begriff
3.3.2 Klima- und Umweltrisiken
3.3.3 Soziale Risiken
3.3.4 Governance-Risiken
3.3.5 Herausforderungen bei der Integration von ESG-Risiken
3.3.6 Übersetzung in bekannte Risikoarten
4 ESG-(Investment-)Strategien im Kreditgeschäft mit Firmenkunden
4.1 Zentrale ESG-(Investment-)Strategien im Überblick
4.1.1 Negatives, positives und normbasiertes Screening
4.1.2 Best-in-Class-Ansatz
4.1.3 Themenansatz
4.1.4 Impact Investing
4.1.5 ESG-Integration
4.1.6 Engagement und Stimmrechtsausübung
4.1.7 Volumen nachhaltiger Anlagestrategien in Deutschland
4.2 Praxisbeispiel: Nachhaltige Kreditvergabe der DZ BANK
4.3 Kritische Betrachtung des Screening-Ansatzes
4.3.1 Grundlegende Vor- und Nachteile
4.3.2 Eignung für eine Begrenzung von ESG-Risiken
5 Fazit
Literaturverzeichnis
Anlagenverzeichnis
Anlagen
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Die genossenschaftliche Idee
Abbildung 2: Die genossenschaftlichen Prinzipien
Abbildung 3: Unternehmen der Genossenschaftlichen FinanzGruppe
Abbildung 4: Schnittmengenmodell der Nachhaltigkeit
Abbildung 5: Wesentliche Prinzipien eines Nachhaltigkeitsleitbildes
Abbildung 6: Environment- und Governance-Kriterien nach der BaFin
Abbildung 7: Social-Kriterien nach der BaFin
Abbildung 8: Gemeinsamkeiten von ESG-Faktoren
Abbildung 9: Beziehung zwischen Instituten und ESG-Faktoren
Abbildung 10: ESG-Risikotreiber, Übertragungskanäle und finanzielle Risikokategorien
Abbildung 11: Herausforderungen bei der Integration von ESG-Risiken
Abbildung 12: Zentrale ESG-Strategien
Abbildung 13: Die zehn bedeutendsten Ausschlusskriterien in Deutschland 2020
Abbildung 14: Volumen nachhaltiger Anlagestrategien bei nachhaltigen Fonds und Mandaten in Deutschland im Vergleich
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1 Einleitung
Die Begrenzung des Klimawandels sowie das Ziel einer nachhaltigen Entwicklung stellen zwei der großen und miteinander in Verbindung stehenden Herausforderungen des 21. Jahrhunderts dar.1 Einen wesentlichen Meilenstein für die Begrenzung des Klimawandels und im Zusammenhang mit einer nachhaltigen Entwicklung kennzeichnete im Dezember 2015 die Verabschiedung des Übereinkommens von Paris2 auf der Klimakonferenz der Vereinten Nationen in Paris durch 195 Vertragsparteien, zu denen auch die Europäische Union (EU) und ihre Mitgliedsstaaten zählten.3 Das Übereinkommen stellt „[...] die erste umfassende und rechtsverbindliche weltweite Klimaschutzvereinbarung [. ]“4 dar, auf die sich die Weltgemeinschaft verständigt hat. In dem Übereinkommen wurde in dem Artikel 2 (1) a) das Ziel vereinbart, den Anstieg der durchschnittlichen Temperatur auf der Erde deutlich unterhalb von 2°C im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter zu begrenzen. Gleichzeitig wurde das Bekenntnis zu einem 1,5°C-Szenario festgehalten, das die Risiken und Auswirkungen von Klimaveränderungen deutlich reduzieren würde.5 Der Finanzmarkt wird als wesentlicher Stellhebel zur Erreichung der internationalen Klima- und Nachhaltigkeitsziele angesehen. So verfolgt das Übereinkommen von Paris mit dem Artikel 2 (1) c) des Weiteren das Ziel, dass „[.] die Finanzmittelflüsse in Einklang gebracht werden mit einem Weg hin zu einer hinsichtlich der Treibhausgase emissionsarmen und gegenüber Klimaänderungen widerstandsfähigen Ent- wicklung.“6
In Verbindung mit den internationalen Klima- und Nachhaltigkeitszielen schreibt auf europäischer Ebene auch der im März 2018 veröffentliche Aktionsplan der EU zur Finanzierung nachhaltigen Wachstums7 dem Finanzsystem eine Schlüsselrolle in der Bekämpfung des Klimawandels und der Ausrichtung auf eine nachhaltige Entwicklung zu. Das Finanzsystem wird als Teil der Lösung betrachtet, um eine nachhaltigere und umweltverträglichere Wirtschaft zu gestalten. Eines der wesentlichen Ziele des Aktionsplanes ist, dass Kapitalströme in nachhaltige Investitionen, Anlagen und Finanzierungen umgelenkt werden. In diesem Zusammenhang arbeitet die Europäische Kommission an einer einheitlichen Taxonomie8 für nachhaltige Wirtschaftstätigkeiten, die Informationen über Branchen und Aktivitäten liefern soll, die als nachhaltig gewertet werden können. Dieses Klassifikationssystem soll künftig der Unterstützung der angestrebten Lenkung der Kapitalflüsse in nachhaltige Sektoren dienen.9
Banken und anderen institutionellen Finanzmarktakteuren wird im Rahmen ihrer Stellung als Finanzintermediäre, Kapitalsammelstellen und Risikokapitalgeber eine besondere Rolle beigemessen. In dem Aktionsplan der EU wird in der Tätigkeit der angesprochenen Akteure die Möglichkeit gesehen, die für den Übergang in eine nachhaltigere Wirtschaft notwendigen Finanzquellen bereitzustellen. Gleichzeitig wird hervorgehoben, dass Banken und andere institutionelle Finanzmarktakteure Risiken ausgesetzt sein können, die aus einer nicht-nachhaltigen Entwicklung der Wirtschaft resultieren. Aus diesem Grund sollen unter anderem Klima- und Umweltrisiken künftig in den Aufsichtsvorschriften Einfluss finden, um die langfristige Finanzmarktstabilität zu gewährleisten.10 In diesem Zusammenhang haben die Europäische Zentralbank (EZB)11, die Europäische Bankenaufsichtsbehörde (EBA)12 sowie auf nationaler Ebene die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin)13 einen Leitfaden, Aktionsplan beziehungsweise ein Merkblatt veröffentlicht. In diesen Dokumenten wird die aufsichtsrechtliche Erwartung formuliert, dass Kreditinstitute dem Thema der Nachhaltigkeit sowie den verbundenen Risiken Aufmerksamkeit zu widmen haben. Die formulierten Erwartungen sind derzeit noch nicht bindend und zunächst noch nicht prüfungsrelevant. Allerdings werden entsprechende prüfungsrelevante Vorgaben im Rahmen der Umsetzung europäischer Verordnungen, Richtlinien sowie Leitlinien in zeitnaher Zukunft auf die beaufsichtigten Unternehmen zukommen.14
Im Rahmen des einheitlichen Aufsichtsmechanismus, Single Supervisory Mechanism (SSM), der EU werden in Deutschland bedeutende Kreditinstitute, Significant Institutions (SIs), direkt von der EZB beaufsichtigt und weniger bedeutende Kreditinstitute, Less Significant Institutions (LSIs), werden durch die Zusammenarbeit der BaFin und der Deutschen Bundesbank beaufsichtigt. Die Ausführungen und Erwartungen in dem Merkblatt zum Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken der BaFin als nationale Aufsichtsbehörde stellen somit die primären Vorgaben für die von ihr beaufsichtigten Banken dar, zu denen auch die allermeisten Genossenschaftsbanken in Deutschland zählen.15
Dass die Berücksichtigung von Nachhaltigkeit und damit verbundener Risiken auch insbesondere im Kreditgeschäft in Zukunft von Bedeutung sein wird, belegen unter anderem die ab dem 30. Juni 2021 geltenden Leitlinien für die Kreditvergabe und Überwachung16 der EBA. In diesen wurde die Erwartung geäußert, dass Banken ihm Rahmen des Kreditgeschäfts mit Kleinst- und Kleinunternehmen sowie mittleren und großen Unternehmen Nachhaltigkeitsfaktoren und -risiken in der Kreditvergabe und -überwachung miteinbeziehen sollten.17 Die entsprechenden Leitlinien sind von den jeweils zuständigen Aufsichtsbehörden in geeigneter Form in die Aufsichtspraktiken zu integrieren.18 Die Leitlinien werden künftig prinzipiell auch für die von der BaFin beaufsichtigten Genossenschaftsbanken gelten, da die BaFin grundsätzlich die Leitlinien der EBA übernimmt.19 Noch gelten diese für die LSIs allerdings nicht. Nach Ankündigung der BaFin werden die Leitlinien unter Berücksichtigung des Proportionalitätsprin- zips20 in der 7. Novelle der Mindestanforderungen an das Risikomanagement (MaRisk) eingearbeitet, deren Veröffentlichung für das vierte Quartal 2022 angestrebt wird.21
Die Ausführungen und Erwartungen des BaFin-Merkblattes sowie die zu erwartende Vielzahl europäischer und nationaler Regularien der Aufsichtsbehörden hinsichtlich dem Thema der Nachhaltigkeit und den damit verbundenen Risiken stellt insbesondere die kleinen und mittleren Institute mit ihren begrenzten Ressourcen vor anspruchsvolle Herausforderungen. Diesen hat unter Anwendung praktikabler Methoden und dem Proportionalitätsprinzip begegnet zu werden.22
Die BaFin bestimmt den Begriff der Nachhaltigkeit in ihrem Merkblatt nach dem verbreiteten ESG-Ansatz, der Faktoren aus den Bereichen Umwelt sowie Klima, Soziales und Unternehmensführung berücksichtigt.23 Im Zusammenhang mit dem ESG-Ansatz existieren nachhaltige Anlagestrategien, die dem Aufbau und der Steuerung eines Investmentportfolios anhand vorab definierter Nachhaltigkeitskriterien dienen.24 Anlagestrategien, die ermitteln, ob unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit in ein Unternehmen oder Objekt investiert werden kann, sollten perspektivisch auch geeignet sein, um die Möglichkeiten einer Finanzierung von Unternehmen oder Objekten unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten zu beurteilen.25 Genossenschaftsbanken könnten diese Strategien im Rahmen ihres Neukreditgeschäfts mit Firmenkunden als eine mögliche Handlungsoption aufgreifen, um das Kreditportfolio sukzessive entsprechend den aufsichtsrechtlichen Erwartungen auszurichten. Aus diesen Überlegungen wurde die folgende Forschungsfrage abgeleitet:
Inwiefern bietet sich für Genossenschaftsbanken eine Übertragung von ESG-Investmentstra- tegien auf die Vergabeverfahren des Neukreditgeschäfts mit Firmenkunden an, um Nachhaltigkeitsrisiken in ihrem Firmenkundenkreditportfolio zu begrenzen?
Das Ziel der Forschung ist, zu ermitteln, ob und wenn ja welche ESG-Anlagestrategien auch für die Neukreditvergabe im Firmenkundenkreditgeschäft von Genossenschaftsbanken geeignet erscheinen, um das Kreditportfolio unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit zu gestalten und somit etwaige Nachhaltigkeitsrisiken im Vorfeld zu begrenzen. Das bereits bestehende Kreditportfolio bleibt von der Forschungsfrage unberührt. Die Beantwortung der Forschungsfrage der Thesis erfolgt im Rahmen einer Literaturarbeit, in der vorhandene Literatur und Daten zum Thema systematisch zusammengetragen und in Bezug auf die Forschungsfrage analysiert werden.
Um das Thema der Nachhaltigkeit und die damit verbundenen Risiken in Bezug auf das Kreditgeschäft mit Firmenkunden von Genossenschaftsbanken betrachten zu können, ist zunächst in Erfahrung zu bringen, wie der genossenschaftliche Bankensektor organisiert ist und welche Prinzipien und Eigenschaften dem Geschäftsmodell sowie der Ausrichtung der Genossenschaftsbanken zugrunde liegen. Für den Begriff der Nachhaltigkeit existiert derzeit noch keine allgemeingültige Definition. Daher wird im zweiten Teil das Prinzip der Nachhaltigkeit hinsichtlich anerkannter Kernelemente charakterisiert, um eine grundlegende Einordnung des Begriffs zu ermöglichen. In diesem Zusammenhang wird auch das verbreitete und für den weiteren Inhalt der Arbeit zentrale ESG-Konzept beschrieben. Auf dieser Basis erfolgt die Erläuterung des Begriffs der Nachhaltigkeitsrisiken sowie deren Charakteristika in Bezug auf den Bankensektor aus regulatorischer und aufsichtsrechtlicher Perspektive der BaFin und der EBA. Das letzte Hauptkapitel betrachtet die ESG-Anlagestrategien sowie eine mögliche Anwendung im Rahmen der Kreditvergabe. Zunächst werden die zentralen ESG-Strategien vorgestellt und deren Bedeutung im Rahmen des Marktes nachhaltiger Geldanlagen in Deutschland verglichen. Anhand der nachhaltigen Kreditvergabe der DZ BANK wird ein Praxisbeispiel für Prozesse zur nachhaltigeren Ausrichtung des Firmenkundenkreditportfolios unter Anwendung von ESG-Strategien gegeben. Das letzte Teilkapitel bewertet die bedeutendsten ESG-Strategien hinsichtlich etwaiger Vor- und Nachteile sowie deren Eignung zum Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken nach dem aufsichtsrechtlichen Verständnis. Im Fazit werden die wesentlichen Ergebnisse zusammengefasst und kritisch interpretiert.
2 Charakterisierung von Genossenschaftsbanken
Im Folgenden wird zunächst das genossenschaftliche Grundprinzip vorgestellt, das die Basis der Geschäftsmodelle der Unternehmen des genossenschaftlichen Bankensektors bildet und an dessen Bestimmungen die Geschäftsaktivitäten der Genossenschaftsbanken orientiert sind. Anschließend erfolgt die Charakterisierung des genossenschaftlichen Bankensektors in Deutschland.
2.1 Genossenschaftliches Grundprinzip
Genossenschaften orientieren das Handeln und die Verfolgung von Zielen an Prinzipien, die über das Streben ausschließlich profitorientierter Unternehmen hinaus gehen sollen.26 Im Folgenden werden diese Ideen, Werte und Prinzipien vorgestellt und anschließend wird beschrieben, in welchem historischen Kontext die Idee der Genossenschaften entstand. Die Charakterisierung der Rechtsform der Genossenschaft bildet den Abschluss des Teilkapitels.
2.1.1 Genossenschaftliche Idee, Werte und Prinzipien
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1 : Die genossenschaftliche Idee
(Quellen: BVR, o. J. a; BVR, o. J. b [eigene Darstellung])
Diesen Gedanken der Gründungsväter Hermann Schulze-Delitzsch und Friedrich Wilhelm Raiffeisen sind die Genossenschaftsbanken seit 170 Jahren verbunden und diese bilden den Kerngedanken des genossenschaftlichen Geschäftsmodells. Die Volksbanken Raiffeisenbanken können derzeit über 30 Millionen Kunden sowie mehr als 18,4 Millionen Mitglieder verzeichnen und bilden damit die größte genossenschaftliche Gruppe Deutschlands. Alle diese Menschen können gemeinsam ihre Kräfte bündeln und so als Verbund stärker sein, als dem Einzelnen dies möglich wäre. Diese Erkenntnis stellt den Kern der genossenschaftlichen Idee und die Kraft der Genossenschaft dar.27
Die Genossenschaftsbanken agieren auf Basis prinzipieller Werte und Ziele, die Leitlinien für das Handeln sowie die Beratung setzen und über das Streben reiner Wirtschaftsbetriebe hinaus gehen sollen. Damit wird angestrebt, wirtschaftlichen Erfolg mit gesellschaftlich verantwortlichem Handeln zu verknüpfen, das Menschen und die Region achtet.28 „Zu den traditionellen genossenschaftlichen Werten zählen Partnerschaftlichkeit, Transparenz, Solidarität, Vertrauen, Fairness und Verantwortung.“29 Weiterhin stellen die drei genossenschaftlichen Prinzipien der Selbsthilfe, demokratischen Selbstverwaltung sowie Selbstverantwortung den Rahmen des Genossenschaftsmodells auf.30 Die folgende Abbildung führt die drei genannten Grundsätze sowie zwei weitere, elementare genossenschaftliche Prinzipien in kurzer Form aus.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2: Die genossenschaftlichen Prinzipien
(Quelle: BVR, 2021, S. 2f. [eigene Darstellung])
2.1.2 Historische Grundlage
Der Ursprung der Genossenschaftsbanken ist im 19. Jahrhundert verordnet. Zu dieser Zeit prägten Missernten und Hungersnöte das Leben der Bevölkerung und betrafen dabei insbesondere Handwerker, Bauern sowie kleine Unternehmen. Da diese keinen Zugang zu den damaligen Banken hatten, waren sie von der Gunst privater Geldverleiher abhängig. Die Menschen verschuldeten sich und verloren aufgrund der angesprochenen zeitgenössischen Probleme oftmals ihre wirtschaftliche Existenz. Um dem Mittelstand aus dieser Existenzkrise herauszuhelfen, entwickelten Friedrich Wilhelm Raiffeisen und Hermann Schulze-Delitzsch nahezu zeitgleich, aber unabhängig voneinander, die Idee der Selbsthilfe durch freiwillige Kooperation. Den Menschen sollte Unterstützung zukommen, um sich selbst zu helfen und das eigene Schicksal selbst zu bestimmen.31 Daher stammt auch der genossenschaftliche Ausdruck der „Hilfe zur Selbsthilfe“32. Um dies zu realisieren, regten Raiffeisen und Delitzsch in ihren jeweiligen Regionen die Gründung von Kredit-beziehungsweise Darlehenskassenvereinen an und entwickelten im Zuge dessen unabhängig voneinander auf Basis erlangter Erfahrungen Anleitungen zur Gründung genossenschaftlicher Banken. Als Reichstagsabgeordneter setzte Delitzsch die gesetzliche Grundlage für Genossenschaften und somit auch Kreditgenossenschaften durch. So prägte er auch beispielsweise das Prinzip, dass ein Mensch nur eine Stimme zu haben hat, das er bereits 1849 bei seiner ersten Genossenschaft für Schuhmacher einführte.33 Die wirtschaftliche Förderung der Mitglieder sollte dabei aus eigener Kraft aus der Genossenschaft heraus und ohne Unterstützung Dritter beziehungsweise des Staates gelingen.34 Die Idee war, dass ein Teil der Mitglieder derzeit nicht benötigte Gelder bei der Bank anspart und somit einem anderen Teil die Aufnahme von Krediten zur Finanzierung etwaiger Vorhaben ermöglicht. Heutzutage ist die Förderung allerdings nicht mehr nur noch auf Mitglieder beschränkt. Während Einlagen von Nichtmitgliedern bereits auch zuvor schon angenommen wurden, ist seit 1974 auch die Vergabe von Krediten an Nichtmitglieder mög- lich.35
2.1.3 Rechtsform der Genossenschaft
Die Rechtsform liegt in der eingetragenen Genossenschaft (eG) vor, deren Basis die Mitgliedschaft bildet. Die Mitglieder der Genossenschaftsbanken sind nicht nur Kunden, sondern auch Teilhaber. Diese Identität von Eigentümer und Kunden wird auch als Identitätsprinzip bezeich- net.36 So hat die Genossenschaftsbank im Rahmen der Geschäftspolitik die Belange der Mitglieder als Maßstab zu nehmen und nicht die Gewinnmaximierung an erste Stelle zu setzen.37 Vielmehr sind Genossenschaftsbanken im Zuge der Gründung der Förderung des Erwerbs und der Wirtschaft ihrer Mitglieder verpflichtet.38 Gesetzliche Regelungen zum sogenannten Förderprinzip und zur Rechtsform der Genossenschaft sind im ,Gesetz betreffend die Erwerbsund Wirtschaftsgenossenschaften‘ zu finden, das prägnanter auch als Genossenschaftsgesetz (GenG) bezeichnet wird. In diesem wird der genossenschaftliche Förderzweck bereits im § 1 Absatz 1 mit den Worten „Gesellschaften von nicht geschlossener Mitgliederzahl, deren Zweck darauf gerichtet ist, den Erwerb oder die Wirtschaft ihrer Mitglieder oder deren soziale oder kulturelle Belange durch gemeinschaftlichen Geschäftsbetrieb zu fördern [,..]“39 festgeschrieben.
Die hervorgehobene Stellung der Mitglieder wird auch in der grundlegenden strukturellen Gestaltung der Genossenschaft ersichtlich. Die rechtlichen Organe und Gremien der Genossenschaft sind durch Mitglieder zu besetzen. Dazu zählen die Generalversammlung, der Aufsichtsrat sowie der Vorstand.40 Deren Rechte und Pflichten sind sowohl im Genossenschaftsgesetz als auch ergänzend in der Satzung der jeweiligen Genossenschaft geregelt.41 Komprimiert auf den Kern umfassen die Aufgaben des Vorstandes die eigenständige Führung der Geschäfte im Alltag sowie die Vertretung der Interessen der Genossenschaft in der Öffentlichkeit und vor Gericht.42 Der Vorstand hat aus mindestens zwei Personen zu bestehen, wobei im Falle von weniger als 20 Mitgliedern auch eine Person hinreichend sein kann, wenn die Satzung dies bestimmt. Grundsätzlich ist der Vorstand von der Generalversammlung zu bestellen und abzuberufen, wenn die Satzung nicht eine andere Regelung vor- schreibt.43 Der Vorstand ist dem Aufsichtsrat sowie im Rahmen der Generalversammlung allen Mitgliedern der Bank zur Rechenschaft verpflichtet.44
Der Aufsichtsrat wird von der Generalversammlung aus der Mitte der Mitglieder gewählt. Zu dessen Aufgaben zählen die Überwachung der Geschäftsführung des Vorstandes, die Kontrolle der Geschäftsergebnisse sowie die Prüfung des Jahresabschlusses. Einmal jährlich hat der Aufsichtsrat die Generalversammlung über die Ergebnisse der Kontrolle und Prüfung zu informieren.45 Die Satzung kann weitere Aufgaben bestimmen.46 Der Aufsichtsrat hat aus mindestens drei Personen zu bestehen.47 Im Falle von weniger als 20 Mitgliedern kann nach Bestimmung der Satzung auch auf einen Aufsichtsrat verzichtet werden, dessen Rechte und Pflichten dann von der Generalversammlung übernommen werden.48 Gemäß § 37 GenG dürfen Mitglieder des Aufsichtsrats nicht zugleich auch Vorstandsmitglieder sein.49
Mitglieder haben das Recht auf Information und Transparenz. Zusätzlich können sie als Teilhaber die Ausrichtung der Bank im Rahmen der demokratischen Entscheidungsprozesse aktiv gestalten.50 Die Generalversammlung der Mitglieder stellt das zentrale Willensbildungsorgan der Bank dar, in der jedes Mitglied unabhängig von der Anzahl der Geschäftsanteile nach dem Demokratieprinzip genau eine Stimme hat. Eine Stimmenmehrheit und Einfluss können nicht gekauft werden. Dies schützt die Genossenschaft vor der Dominanz einzelner Mehrheitseigner und verhindert somit auch die Durchführung feindlicher Übernahmen'.51 Der Vorstand und der Aufsichtsrat haben vor der Generalversammlung Rechenschaft über ihre Tätigkeit abzulegen und diese entscheidet im Zuge dessen über die Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat. Im Rahmen der jährlichen Generalversammlung stellt diese den Jahresabschluss fest und bestimmt über die Verwendung des Jahresüberschusses.52 So können die Mitglieder vom wirtschaftlichen Erfolg der Genossenschaftsbank profitieren, da auf ihre Geschäftsanteile in der Regel eine jährliche Dividende ausgezahlt wird.53
Das haftende Eigenkapital besteht vor allem aus den eingezahlten Geschäftsguthaben der Mitglieder, Ergebnisrücklagen sowie einem über das Geschäftsguthaben der Mitglieder hinausgehenden Haftungssummenzuschlag. Letzterer ist im Insolvenzfall von den Mitgliedern zu leisten und auf einen im Genossenschaftsstatut festgelegten Wert begrenzt.54 Für die Genossenschaft ist das Beschaffen von Eigenkapital nur aus dem Kreise der Mitglieder möglich. Externe Eigenkapitalgeber außerhalb des Mitgliederkreises sind nicht zulässig.55
2.2 Genossenschaftlicher Bankensektor
Historisch gewachsen hat in Deutschland der Universalbankentypus die dominante Position eingenommen, sodass hierzulande von einem Universalbankensystem gesprochen wird. Zu der Geschäftstätigkeit von Universalbanken gehören alle Geschäfte, die im Kreditwesengesetz unter § 1 Absatz 1 aufgeführt werden. Spezialbanken wie beispielsweise die Bausparkassen oder Kapitalanlagegesellschaften sind dagegen auf einige wenige Geschäfte spezialisiert. Das deutsche Universalbankensystem ist in drei Bankengruppen gegliedert. Die erste Gruppe bilden die Kreditbanken, zu denen alle privatrechtlich organisierten Universalbanken zählen, die nicht den anderen beiden Säulen angehören und denen keine Sonderfunktionen aufgetragen sind. Die zweite Gruppe bilden die in der Rechtsform einer Genossenschaft organisierten Genossenschaftsbanken mit einer genossenschaftlichen Zentralbank. Die dritte Säule umfasst den Sparkassensektor mit den Sparkassen und jeweils zugehörigen Landesbanken beziehungsweise Girozentralen, die allesamt in der Hand öffentlich-rechtlicher Eigentümer liegen.56 Rechtlich und wirtschaftlich ist jede Genossenschaftsbank selbstständig.57 So existierten zum Ende des Jahres 2021 in Deutschland 772Kreditgenossenschaften mit 8.074 Bankstellen und somit einem der dichtesten Bankenservicenetze Europas. Die Genossenschaftsbanken verwalteten Ende 2021 insgesamt eine Bilanzsumme von ungefähr 1.145 Mrd. Euro.58 Genossenschaftsbanken sind hauptsächlich im Retail-Banking und im Firmenkundengeschäft mit vornehmlich mittelständischen Unternehmen tätig. Dabei liegt das Hauptgeschäft in der Vergabe von Krediten, die durch einen hohen Anteil an Spareinlagen refinanziert werden.59 Die Gruppe der Genossenschaftsbanken weist vergleichbar mit den Sparkassen einen sehr regionalen Bezug auf. Während die Kreditbanken deutlich weniger rechtlich selbstständige Institute und Bankstellen aufweisen und vornehmlich in den Städten zugegen sind, können die Genossenschaftsbanken mit denüber 8.000 Bankstellen in fast jeder Gemeinde des Bundesgebiets zumindest eine Zweigstelle vorweisen, sodass im ländlicheren Raum vornehmlich letztere beiden in Konkurrenz stehen.60
Die Volks- und Raiffeisenbanken sind Allfinanzinstitute. Das bedeutet, dass die Häuser den Kunden eine breite Palette an Finanzdienstleistungen aus einer Hand anbieten können. Dies wird durch die enge Zusammenarbeit mit den Spezialinstituten der Genossenschaftlichen FinanzGruppe umgesetzt, zu denen beispielsweise Union Investment, die R+V Versicherung oder die Bausparkasse Schwäbisch Hall zählen.61
Anm. der Red.: Diese Abb. wurde aus urheberrechtlichen Gründen entfernt.
Abbildung 3: Unternehmen der Genossenschaftlichen FinanzGruppe
(Quelle: BVR, o. J. d)
Diese Kooperation ermöglicht die Nutzung von Synergieeffekten und über den Verbund werden die einzelnen Genossenschaftsbanken in die Lage versetzt, ein breites Spektrum an Finanzdienstleistungen für die Kunden zu wettbewerbsfähigen Konditionen anzubieten. Die Zusammenarbeit ist dabei durch Dezentralität sowie das Subsidiaritätsprinzip gekennzeichnet. Ersteres bedeutet, dass die Genossenschaftsbanken auf eigener Verantwortung und selbstständig agieren. Zweiteres bedeutet, dass gewisse Aufgaben erst dann von zentralen Stellen übernommen werden, wenn die einzelnen Institute die jeweilige Funktion nicht effizient bewerkstelligen können.62
Alle Genossenschaften müssen nach §54 GenG einem gesetzlichen Prüfungsverband angehören, der in regelmäßigen Abständen eine Jahresabschlussprüfung vornimmt. Neben den wirtschaftlichen Verhältnissen wird dabei auch die Ordnungsmäßigkeit der Geschäftsführung kontrolliert. Darüber hinaus betreut dieser die Mitgliedsgenossenschaften in rechtlichen, steuerlichen und betriebswirtschaftlichen Fragen. Die regelmäßige Prüfung dient dem Schutz verbundener Geschäftspartner und der Mitglieder vor finanziellem Schaden.63
Den Spitzenverband der genossenschaftlichen Kreditwirtschaft in Deutschland stellt der Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken (BVR) dar, dem die regionalen Genossenschaftsverbände untergeordnet sind und dessen Mitglieder alle genossenschaftlichen Institute sind. Dazu gehören die Volksbanken Raiffeisenbanken, PSD Banken, SpardaBanken, Kirchenbanken, genossenschaftlichen Sonderinstitute, die genossenschaftliche Zentralbank, Unternehmen der Genossenschaftlichen FinanzGruppe sowie genossenschaftliche Prüfungsverbände. Zu den Aufgaben des BVR zählen die Vertretung der Interessen der Genossenschaftlichen FinanzGruppe auf nationaler und internationaler Ebene, die Koordination und Entwicklung einer gemeinsamen Strategie, die Beratung und Unterstützung der Mitglieder in rechtlichen, steuerlichen und betriebswirtschaftlichen Fragen sowie die Information über wirtschaftliche, politische und bankfachliche Entwicklungen. Außerdem sind beim BVR die Sicherungseinrichtung der genossenschaftlichen Finanzgruppe sowie die BVR Institutssicherung GmbH angesiedelt, die die Einlagen der Kunden absichern.64
Das Zentralinstitut der Genossenschaftsbanken bildet seit der Fusion mit der WGZ BANK im Jahre 2016 alleinig die DZ BANK. Über diese wird unter anderem der Zahlungsverkehr zwischen den Banken abgewickelt und das Anlegen oder Aufnehmen von Geldern innerhalb des Verbundes ermöglicht. Außerdem bietet die DZ BANK Geschäfte an, die aufgrund der geringen Größe für die einzelnen Genossenschaftsbanken nicht möglich wären und unterstützt letztere im Falle höherer Kreditnachfrage oder überschüssiger Liquidität.65
3 Nachhaltigkeit und Nachhaltigkeitsrisiken
Das folgende Kapitel charakterisiert zunächst wesentliche Elemente des Prinzips der Nachhaltigkeit, die auch ohne allgemeingültige Definition von Nachhaltigkeit als anerkannte Kernelemente verstanden werden können. Das zweite Teilkapitel beschreibt das in der Finanzwirtschaft verbreitete ESG-Konzept für nichtfinanzielle Nachhaltigkeitsaspekte, das für den weiteren Inhalt der Arbeit von zentraler Bedeutung ist. Abschließend wird auf Basis des ESG-Konzeptes und dem aufsichtsrechtlichen Nachhaltigkeitsverständnis der BaFin sowie der EBA der Begriff der Nachhaltigkeitsrisiken, deren Charakteristika und Herausforderungen in Bezug auf den Bankensektor dargestellt.
3.1 Prinzip der Nachhaltigkeit
Das Teilkapitel verfolgt das Ziel, den grundsätzlichen Kern der Nachhaltigkeitsdebatte wiederzugeben und die im gesellschaftlichen Diskurs am weitesten verbreiteten Elemente des Verständnisses von Nachhaltigkeit aufzugreifen.
3.1.1 Drei-Dimensionen-Konzept
Nachhaltigkeit wird in verschiedene Problemdimensionen unterteilt. Den größten Konsens und die häufigste Anwendung findet die dreigeteilte Gliederung in eine ökologische, ökonomische sowie soziale Dimension.66 Neben der weitverbreiteten Dreidimensionalität existieren auch Theorien und Modelle mit vier und mehr Dimensionen der Nachhaltigkeit. Diese beruhen auf der Annahme, dass die drei eingangs genannten Dimensionen die Thematik der nachhaltigen Entwicklung nicht ausreichend abbilden.67 Aufgrund der Dominanz des dreidimensionalen Konzepts wird dieses als aktueller Stand der Debatte angenommen.
Neben der Debatte um die zu berücksichtigen Dimensionen ist das Verhältnis und die Gewichtung der unterschiedlichen Dimensionen zu klären. Vor allem in früheren Konzepten dominierten vorrangig Ein-Säulen-Modelle, die zumeist der Natur und den Ökosystemen den zentralen Stellenwert einräumten, da diese die elementare Lebens- und Wirtschaftsgrundlage der Menschheit bilden würden. Nach diesem Verständnis erhielt die Umwelt als tragende Säule beziehungsweise Dimension den Vorrang und die beiden anderen Dimensionen wurden nicht eigenständig berücksichtigt oder nur in dem Maße beachtet, dass der Umweltschutz wirtschafts- und sozialverträglich zu erfolgen hat. Deshalb wird der Begriff Nachhaltigkeit häufig auch noch mit Umweltschutz und Umweltverträglichkeit verbunden.68
Ökologisch fokussierte Nachhaltigkeitskonzepte können allerdings viele Bereiche der Nachhaltigkeit nicht hinreichend abdecken. So werden beispielsweise Gerechtigkeitsfragen, Entwicklungsprobleme oder Fragen bezüglich der Weitergabe sozialer Ressourcen an künftige Generationen nicht ausreichend abgedeckt. Vertreter dieser Sichtweise argumentieren mit der Vordinglichkeit von Umweltfragen im Zusammenhang mit der Zukunftsverantwortung. Dies wird jedoch im Rahmen mehrdimensionaler Konzepte bestritten. Hierbei wird ein genereller Vorrang der ökologischen Dimension abgelehnt und stattdessen die Erforderlichkeit der Gleichrangigkeit betont. Dies kann unter anderem anhand folgender wesentlicher Argumente begründet werden: Um inter- und intragenerative Gerechtigkeit umzusetzen, Verantwortung wahrzunehmen und eine weitgehende Akzeptanz in allen gesellschaftlichen Gruppen und über alle Interessen hinweg sicherzustellen, ist das Einbeziehen aller Dimensionen der gesellschaftlichen Entwicklung erforderlich. Zweites kann die ethische Frage nach dem Anspruch kommender Generationen hinsichtlich der Hinterlassenschaft nicht nur ökologisch beantwortet werden. Neben den natürlichen Lebensgrundlagen zählen auch ökonomische und soziale Werte zu Ressourcen, die in ihrem Zusammenspiel die Grundlage für die Befriedigung menschlicher Bedürfnisse bilden.69 Des Weiteren stellen Umwelt, Wirtschaft und Gesellschaft eigenständigeundzugleich ineinander verwobene Systeme dar, deren dauerhafte Funktionsfähigkeit nur gesichert werden kann, wenn der langfristige Gesamtsystemerhalt gewährleistet ist.70
In der heutigen Debatte ist der Punkt erreicht, an dem die Dreidimensionalität den Ausgangspunkt der weiteren inhaltlichen und praktischen Konkretisierung sowie theoretischer Weiterentwicklung einnimmt. Der Dreiklang betont die Gleichrangigkeit der Dimensionen und damit die Ganzheitlichkeit der nachhaltigen Entwicklung als Ganzes. So ist Nachhaltigkeit nur bei gleichberechtigter Berücksichtigung aller Dimensionen gegeben. Beispielsweise darf eine Entwicklung der Wirtschaft nicht zuLasten von Umwelt und Gesellschaft erfolgen und die Lösung umwelttechnischer Probleme darf keine wirtschaftlichen und sozialen Risiken und Verwerfungen hervorrufen.71 Eine vielfach verbreitete und integrative Darstellungsweisevon Nachhaltigkeit zeigt die folgende Abbildung.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 4: Schnittmengenmodell der Nachhaltigkeit
(Quelle: Pufé, I., 2017, S. 100 [eigene Darstellung, in Anlehnung an Quelle])
Die drei Kreise bilden die Dreidimensionalität der Nachhaltigkeit ab und verdeutlichen mit der Überlappung die Verknüpfungen sowie gegenseitigen Abhängigkeiten der drei Dimensionen. Die Schnittmenge wird dabei als Nachhaltigkeit verstanden. Hieraus ist die Bezeichnung als Schnittmengenmodell der Nachhaltigkeit abgeleitet.72 Die ineinander verschmolzenen Kreise bringen die Integration aller Dimensionen sowie die notwendige ganzheitliche Betrachtungsweise zum Ausdruck.
Die gleichsame Verfolgung der drei Dimensionen der Nachhaltigkeit kann zu Zielkonflikten führen. Wird von einer Gleichberechtigung der Teilbereiche ausgegangen, kann dennoch ein Abwägen und Setzen von Prioritäten erforderlichwerden. Unter Umständen hat einer Perspektive im Rahmen gewisser Problemstellungen der Vorrang eingeräumt zu werden oder in mehreren Perspektiven müssen im Rahmen einer Kompromisslösung gleichgewichtige Abschläge akzeptiert werden.73
3.1.2 Prinzipien eines Nachhaltigkeitsleitbildes
Die wesentlichen Prinzipien, die dem Konzept und Leitbild der Nachhaltigkeit zugrunde liegen, hat Dr. Iris Pufé, wie inAbbildung 5ersichtlich, zusammengefasst. Die aufgeführten Prinzipien bilden Rahmenbedingungen zur Überprüfung direkter Maßnahmen und Handlungen in Bezug auf ihren Beitrag zum Ziel der Nachhaltigkeit.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 5: Wesentliche Prinzipien eines Nachhaltigkeitsleitbildes
(Quelle: Pufé, I., 2014 [eigene Darstellung])
3.2 ESG-Konzept
Klassische Investitions- und Finanzierungsentscheidungen beruhen auf dem sogenannten ,magischen Dreieck' mit den Dimensionen Rentabilität, Liquidität und Sicherheit beziehungsweise Risiko.74 Konzepte der Nachhaltigkeit beachten zusätzlich weitere, nichtfinanzielle Aspekte, die allerdings in der langen Frist auch eine Auswirkung auf die drei genannten, klassischen Kriterien haben. Um nichtfinanzielle Aspekte zu beschreiben, stellt das ESG-Konzept einen etablierten Standard für Nachhaltigkeit in der Finanzwirtschaft dar. Die drei Buchstaben ,ESG' bilden die drei nachhaltigkeitsbezogenen Verantwortungsbereiche ,Environmental, Social und Governance' ab, denen jeweils nachprüfbare Kriterien zugeordnet werden.75 Nachhaltigkeit im Finanzsystem wird zumeist unter dem Oberbegriff ,sustainable finance' zusammengefasst, der darauf abzielt ESG-Aspekte in die Entscheidungen von Finanzmarktakteuren und Finanzdienstleistungen miteinzubeziehen und somit ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum zu unterstützen.76 Des Weiteren umfasst der Begriff die Schaffung von Transparenz in Bezug auf Risiken in Verbindung mit ESG-Faktoren, die einen Einfluss auf das Finanzsystem haben könnten, sowie die Milderung dieser Risiken durch ein angemessenes Manage- ment.77
Erstere Faktoren umfassen Aspekte und Kriterien der ökologischen Nachhaltigkeit, die auf den Klimaschutz, die Anpassung an den Klimawandel oder im weiteren Sinne die Umwelt bezogen sind.78 Zweiterer Bereich ist auf die soziale Verantwortung des Unternehmens beziehungsweise der Institution gegenüber den verbundenen Menschen, Unternehmen, Institutionen sowie der Gesellschaft im Allgemeinen bezogen. Aus der Perspektive eines Unternehmens zählen dazu beispielsweise der Gesundheitsschutz der Mitarbeiter, Maßnahmen der Arbeitssicherheit oder das Engagement gegenüber der Gesellschaft.79 Die Kriterien für die Governance zielen auf eine nachhaltige Führung privater sowie öffentlicher Unternehmen und Institutionen ab, die beispielsweise anhand der etablierten Steuerungs- und Kontrollprozesse, der gelebten Werte und Kultur oder den Vergütungsstrukturen beurteilt werden kann.80
Die beiden Abbildungen auf der folgenden Seite verdeutlichen beispielhaft ESG-Faktoren, die die BaFin in ihrem Merkblatt zum Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken aufgegriffen hat, um den beaufsichtigten Unternehmen Ansatzpunkte für die Beschäftigung mit dem Thema der Nachhaltigkeit zu liefern.81
[...]
1 Vgl. Presse- und Informationsamt der Bundesregierung, 2021.
2 Siehe: ABl L 282 vom 19.10.2016, S. 4ff.
3 Vgl. Europäische Kommission, o. J. a.
4 EUR-OP, o. J.
5 Vgl. ABl L 282 vom 19.10.2016, S. 5.
6 ABl L 282 vom 19.10.2016, S. 5.
7 Siehe: Europäische Kommission, 2018.
8 Siehe: Europäische Kommission, o. J. b.
9 Vgl. Europäische Kommission, 2018, S. 1ff.
10 Vgl. Europäische Kommission, 2018, S. 11.
11 Siehe: EZB, 2020.
12 Siehe: EBA, 2019.
13 Siehe: BaFin, 2019.
14 Vgl. BaFin, 2019, S. 9f.
15 Vgl. BaFin, 2021a, S. 14.
16 Siehe: EBA, 2020.
17 Vgl. EBA, 2020, S. 30ff.
18 Vgl. EBA, 2020, S. 2.
19 Vgl. BaFin, o. J.
20 Vgl. BaFin, 2019, S.11: Grundsatz, nach dem beispielsweise das Thema Nachhaltigkeitsrisiken ein dem Geschäftsmodell und Risikoprofil entsprechenden Umgang erfahren muss. Das bedeutet, dass die Komplexität der Strukturen, Prozesse und Methoden an dem Ausprägungsgrad der Geschäfte und Risiken orientiert werden soll.
21 Vgl. Deutsche Bundesbank, 2021, S. 1f.
22 Vgl. Hartke, V. et al., 2020, S. 3ff.
23 Vgl. BaFin, 2019, S. 9.
24 Vgl. Haberstock, P., 2019a.
25 Vgl. EBA, 2021, S. 109.
26 Vgl. Abbildung 2.
27 Vgl. BVR, o. J. a.
28 Vgl. BVR, o. J. a.
29 BVR, o. J. a.
30 Vgl. Volks- und Raiffeisenbank Prignitz eG, o. J. a.
31 Vgl. BVR, o. J. a.
32 BVR, o. J. a.
33 Vgl. BVR, o. J. b.
34 Vgl. DBRV, o. J.
35 Vgl. Hartmann-Wendels, T., 2019, S. 36f.
36 Vgl. DBRV, o. J.
37 Vgl. BVR, o. J. a.
38 Vgl. Hartmann-Wendels, T., 2019, S. 36.
39 § 1 Absatz 1 GenG.
40 Vgl. Volks- und Raiffeisenbank Prignitz eG, o. J. b.
41 Vgl. Oehlrich, M., 2019, S. 184f.
42 Vgl. BVR, o. J. a.
43 Vgl. § 24 Absatz 2 GenG.
44 Vgl. Volks- und Raiffeisenbank Prignitz eG, o. J. b.
45 Vgl. Volks- und Raiffeisenbank Prignitz eG, o. J. b.
46 Vgl. Oehlrich, M., 2019, S. 185.
47 Vgl. § 36 Absatz 1 GenG.
48 Vgl. § 9 Absatz 1 GenG.
49 Vgl. § 37 GenG.
50 Vgl. BVR, o. J. c.
51 Vgl. Volks- und Raiffeisenbank Prignitz eG, o. J. b.
52 Vgl. Volks- und Raiffeisenbank Prignitz eG, o. J. b.
53 Vgl. BVR, o. J. c.
54 Vgl. Hartmann-Wendels, T., 2019, S. 37.
55 Vgl. Oehlrich, M., 2019, S. 185.
56 Vgl. Hartmann-Wendels, T., 2019, S. 27ff.
57 Vgl. BVR, o. J. a.
58 Vgl. BVR, 2022.
59 Vgl. Hartmann-Wendels, T., 2019, S. 37.
60 Vgl. Hartmann-Wendels, T., 2019, S. 30.
61 Vgl. BVR, o. J. d.
62 Vgl. Hackethal, A.; Inderst, R., 2015, S. 33f.
63 Vgl. DBRV, o. J.
64 Vgl. BVR, o. J. e.
65 Vgl. Hartmann-Wendels, T., 2019, S. 37.
66 Vgl. Bauer, S., 2008.
67 Vgl. Batz, M., 2021, S. 31f.
68 Vgl. Pufé, I., 2017, S. 99.
69 Vgl. Grunwald, A.;Kopfmüller, J., 2012, S. 56f.
70 Vgl. Kopfmüller, J., 2007, S. 16.
71 Vgl. Pufé, I., 2017, S. 99f.
72 Vgl. Batz, M., 2021, S. 27.
73 Vgl. Kropp, A., 2019, S. 11.
74 Vgl. Ermschel, U. et al., 2016, S. 34.
75 Vgl. Haberstock, P., 2019a.
76 Vgl. EBA, o. J.
77 Vgl. Europäische Kommission, o. J. c.
78 Vgl. Europäische Kommission, o. J. c.
79 Vgl. Haberstock, P., 2019a.
80 Vgl. Europäische Kommission, o. J. c.
81 Vgl. BaFin, 2019, S. 9.
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- Arne Müller (Author), 2022, Perspektiven des Umgangs mit Nachhaltigkeitsrisiken im Kreditgeschäft mit Firmenkunden von Genossenschaftsbanken, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1368165
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