Im Film „...Remote, Remote...“ demonstriert die Künstlerin autoaggressives Verhalten am eigenen Leib. Valie Export ist Täterin und Opfer gleichzeitig. Sie ist nicht nur die, der Schmerz zugefügt wird, sondern auch diejenige, die Verletzungen mit dem Messer in der Hand verursacht. Die Künstlerin gestaltet Selbstverletzung in einer sehr bewussten und effektvollen Weise.
In acht Minuten transportiert Export ihre Idee einer subjektiven "Para-Zeit", die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in einem einzigen Gleichnis vereint. Die psychologische Erkundung des Körpers, die Externalisierung eines inneren Zustandes, vollzieht Valie Export in dieser Filmaktion in zum Teil schmerzhafter Direktheit.
Valie Export verbindet in ihrem Film Materialität und Körper. Dies findet auf verschiedene Arten Ausdruck, sei es durch die Untersuchung des Filmmaterials (Leinwand, Projektor, etc.) und allenfalls durch dessen Austausch gegen andere analoge Prozesse und Materialien, sei es dadurch, dass die Beziehung zwischen Film und Akteur/Publikum im Sinne der Interaktion/Rezeption in den Mittelpunkt gestellt wird.
Inhaltsverzeichnis
1 „...Remote ... Remote“
1.1 Filminhalt
1.2 Expanded Cinema: „Remote, Remote...“
2 Inszenierung vom Schmerz
2.1 Der inszenierte Schmerz
2.2 Die Selbstverletzung
3 Die Aktionselemente
3.1 Das Schwarzweißfoto
3.2 Die Hände
3.3 Das Messer
4 Zusammenfassung
5 Literaturverzeichnis
1 „...Remote ... Remote“
1.1 Filminhalt
Wie ein Erinnerungsbild dreht sich ein riesig vergrößertes Kinderbild um die Vertikalache. Der Titel erscheint: „...Remote ... Remote“.
Neben einem ein- bis zweijährigen Jungen, der in einem Gitterbett steht, sieht man ein dunkelhaariges Mädchen, das sich von außen an das Bett anlehnt. Mit weit aufgerissenen, verletzten Augen und offenen Mündern kommen zwei Kinder auf einem Schwarzweißfoto zum Vorschein. Der Fotohintergrund lässt vermuten, dass es sich um zwei Waisenkinder aus einem Heim handelt. Das Foto stammt aus einem Polizeiarchiv und steht in Zusammenhang mit einem Fall von Kindesmisshandlung. Für den Film wurde es auf Posterformat vergrößert, wobei die Vergrößerung aus vier zusammengefugten Fotopapieren besteht (Roswitha Müller, 1994, S. 44).
Erst danach wird der Drehort vorgestellt: Ein Fotostudio bzw. ein als Studio eingerichteter schmuckloser Raum, dem als Rückwand ein breiter, am Boden aufliegender, heller Hintergrundkarton dient, auf dem das Kinderfoto angebracht ist.
Durch einen Filmschnitt erscheint plötzlich die Hauptfigur der Performance Valie Export im Bild, die renommierteste internationale Medienkünstlerinnen aus Österreich. Sie trägt einen schwarzen enganliegenden Rollkragenpullover und blaue Jeans. Ihr rot gefärbtes, schulterlanges Haar sieht strapaziert und ungepflegt aus. Der Augenblick mündet in Unbekanntes. Mit ihren Utensilien sitzt Valie Export auf einem Stuhl vor dem Kinderbild, hält eine Glasschale mit Milch im Schoss und ein Teppichmesser in ihren Händen. Für die gesamte Dauer des Films verlässt sie nicht ihren Platz.
Ein schleifendes, gleichförmiges rasselndes Geräusch, das die ganze Performance konstant und ohne Höhepunkte begleitet, hat eingesetzt und wird nie aufhören. Außer dem regelmäßigen Trommeln gibt es keinen Ton und keine Dialoge.
Die Frau schnitzt an ihrer Hände: die eine Hand hält das Werkzeug und bearbeitet die andere. Mit einem stumpfen Gerät wird die Nagelhaut zurückgeschoben, wird ein Stück Körpergrenze nach hinten verrückt, bis der Halbmond sichtbar ist. Es ist weniger das Teppichmesser zu sehen als die abgekauten Fingernägel und nackten Fingerkuppen. Valie Export geht souverän mit dem Messer um – sie schabt, schnippst Fetzchen weg mit ungeheuerer Sicherheit. Ihr Körper bleibt statisch, ihre Bewegungen reduzieren sich auf die Hände. Die Nagelhaut, ein Millimeter nicht durchblutete Haut, die Fleisch und Nägel trennt, wird nicht nach hinten verschoben und gedehnt, sondern aufgeschnitten. Das Blut tritt aus den kleinen, vor unseren tagen angebrachten Wunden. Ihre Gesichtszüge bleiben dabei regungslos, unbeweglich konzentriert arbeitet sie weiter.
Die Frau taucht die Finger mehrmals in eine Schüssel mit Milch, die sie sich zwischen die Schenkel geklemmt hat. Zitternd tauchen die abgearbeiteten Finger in die Milch und verweilen dort. Auf der weißen Oberfläche der Milch bleiben kleine Blutspuren zurück. Dann saugt und lutscht sie am Nägel, reißt an der Haut und beginnt selbstvergessen zu zerbeißen, hungrig, gierig, ohne Emotionen
Es folgen die Großaufnahmen der Münder der Kinder in der Fotografie: stumme, bedürftige Gesichter, ein schwarzes Loch zwischen den geöffneten Lippen des Kleinkindes. Zurück bleibt das Foto der Kinder, deren Hände erst in der letzten Einstellung erkennbar werden. Sie halten sich an der Hand, klammern sich aneinander fest (Renate Lippert, 1985, S. 74).
So unvermittelt wie die Künstlerin im Film erschienen ist, wird sie mitsamt dem Stuhl mittels eines harten Schnitts verschwinden.
In dem zehnminütigen Film demonstriert die Künstlerin autoaggressives Verhalten am eigenen Leib. Zu der Film – Aktion »Remote« verfasste Valie Export einen Begleittext: „Menschliches Verhalten wird durch Ereignisse in der Vergangenheit beeinflusst, so weil diese Erfahrungen auch zurückliegen mögen. Dadurch gibt es eine zur objektiven Zeit parallel laufende seelische Para-Zeit, wo die Gebete der Angst und der Schuld, Deformierungen, die die Haut aufreißen, ihre konstante Wirkung haben. In den Schnitten in der Haut spielt sich das Drama der menschlichen Selbstdarstellung. Sichtbarmachungen zeigen auf, was Vergangenheit in der Gegenwart und Gegenwart in der Vergangenheit sind. Meine Außenseite zeigt den Innenraum, indem ich mich nach innen bewege, das Innere stülpt sich nach außen, klafft nach außen“ (www.medienkunstnetz.de).
1.2 Expanded Cinema: „Remote, Remote...“
Charakteristisch für die Film-Aktion „...Remote, Remote“ ist das Expanded Cinema, eine flexible Form der Filmpräsentation, zu der Mehrfachprojektionen ebenso gehören wie Live-Performances und Film - Environments.
Als „Expanded Cinema“ beziehungsweise „Erweitertes Kino“ werden Werke bezeichnet, die nicht dem herkömmlichen, auf eine einzelne Leinwand beschränkten Kinoformat entsprechen (Mark Webber, www.hartware-projekte.de/programm/inhalt/ex_file/hinter.htm). Das Expanded Cinema "erweitert" den Begriff und die Praxis des Filmischen und ermöglicht Mehrfachprojektionen mit mehreren Leinwänden, Lightshows oder auch Multimedia-Aktionen, dabei wird das Publikum vielfach in das Ereignis eingebunden.
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- Quote paper
- Marina Lindekrin (Author), 2008, Valie Export „...Remote, Remote...“, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/136729
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