„Was wäre geschehen, wenn die Griechen 490 bei Marathon den Persern unterlegen wären? Was wäre geschehen, wenn Pontius Pilatus im Jahre 33 Jesus begnadigt hätte? Was wäre geschehen, wenn Hitler 1938 gestorben wäre?“ Dies sind typische Fragestellungen der alternativen Geschichtsschreibung. Beinahe jeder Mensch hat sich ebenfalls schon einmal in den verschiedensten Situationen die Frage gestellt: „Was wäre geschehen, wenn…?“ Die Konstruktion alternativer Geschehensabläufe ist längst kein überflüssiges Gedankenspiel mehr, sondern „ein unentbehrliches Geschäft der Geschichtswissenschaft“. Macht virtuelle, ungeschehene oder kontrafaktische Geschichtsschreibung überhaupt einen Sinn? Wo findet sie Verwendung?
Ich möchte nun im Rahmen meiner Seminararbeit mit dem Titel „Die virtuelle Antike- was wäre geschehen, wenn…?“ zunächst den Urspung der virtuellen Geschichte, sowie die Begriffe und Merkmale alternativer Geschichte erläutern und anschließend die Kritik an der virtuellen Geschichtsschreibung etwas genauer betrachten.
Inhaltsverzeichnis
1 Einführung
2 Die Anfänge der virtuellen Antike
3 Erklärung
3.1 Problemstellung
3.2 Kontrafaktische Geschichte
3.3 Alternative Geschichte
3.4 Ungeschehene Geschichte
4 Kritik
4.1 Die drei Schlüsselkategorien nach Demandt:
4.1.1 Plausibilitätsstufen
4.1.2 Knotenstruktur
4.1.3 Fließgleichgewicht
4.2 Für Demandt ist das Konzept der „ungeschehenen Geschichte“ wichtig:
4.2.1 für ein Verständnis von Entscheidungssituationen
4.2.2 für die Gewichtung von Kausalfaktoren
4.2.3 für die Begründung von Werturteilen
4.2.4 dann, wenn wir die unterschiedlichen Wahrscheinlichkeiten im Geschehen
5 Zusammenfassung
6 Literaturverzeichnis
1 Einführung
„Was wäre geschehen, wenn die Griechen 490 bei Marathon den Persern unterlegen wären? Was wäre geschehen, wenn Pontius Pilatus im Jahre 33 Jesus begnadigt hätte? Was wäre geschehen, wenn Hitler 1938 gestorben wäre?“ Dies sind typische Fragestellungen der alternativen Geschichtsschreibung. Beinahe jeder Mensch hat sich ebenfalls schon einmal in den verschiedensten Situationen die Frage gestellt: „Was wäre geschehen, wenn…?“ Die Konstruktion alternativer Geschehensabläufe ist längst kein überflüssiges Gedankenspiel mehr, sondern „ein unentbehrliches Geschäft der Geschichtswissenschaft“.[1] Macht virtuelle, ungeschehene oder kontrafaktische Geschichtsschreibung überhaupt einen Sinn? Wo findet sie Verwendung?
Ich möchte nun im Rahmen meiner Seminararbeit mit dem Titel „Die virtuelle Antike- was wäre geschehen, wenn…?“ zunächst den Urspung der virtuellen Geschichte, sowie die Begriffe und Merkmale alternativer Geschichte erläutern und anschließend die Kritik an der virtuellen Geschichtsschreibung etwas genauer betrachten.
2 Die Anfänge der virtuellen Antike
„Ich kann jetzt nicht umhin, hier eine Ansicht zu äußern, die freilich den meisten Menschen tadelnswert erscheinen mag; dennoch will ich damit nicht hinter dem Berg halten, soweit es mir wahr zu sein scheint. Wären die Athener aus Furcht vor der Gefahr aus ihrer Heimat abgezogen oder hätten sie sich, wenn sie da geblieben, Xerxes ergeben, so hätte niemand gewagt, dem König zur See entgegenzutreten. Hätte es aber zur See niemand mit Xerxes aufgenommen, was wäre dann zu Lande geworden! Hätten die Peloponnesier auf dem Isthmos auch noch so viele Brustwehren von Mauern gebaut, so hätte die Flotte der Barbaren doch eine Stadt nach der anderen genommen, und die Lakedaimonier wären von den Bundesgenossen zwar ungern, aber notgedrungen im Stich gelassen worden und nach tapferer Gegenwehr mit Ehren untergegangen. Entweder wäre es ihnen so ergangen, oder vielleicht hätten sie sich mit Xerxes verständigt, wenn sie vorher gesehen hätten, dass auch die anderen Griechen persisch gesinnt waren. Griechenlang wäre also in beiden Fällen unter persische Herrschaft geraten. Denn ich sehe nicht ein, was die Mauern auf dem Isthmos nützen konnten. wenn der König das Meer beherrschte. Wenn aber jetzt einer behauptet, die Athener hätten Griechenland gerettet, gibt er der Wahrheit nur die Ehre.“[2]
Dieses Zitat stammt von Herodot von Halikanassos. Auffällig in diesem Text ist, dass der Verfasser alternative Geschehensverläufe konstruiert: „so hätte niemand gewagt..“, „Hätten die Peloponnesier…“ oder „…wenn sie sich vorher gesehen hätten“. Mit Herodot von Halikarnassos wurde der erste Historiker gefunden, bei dem man das Verfahren der virtuellen Geschichtsschreibung in der Historiographie nachweisen kann.
Herodot wurde etwa 484 v. Chr. in Halikarnassos (heute: Bordrum/Türkei) in einer wohlhabenden, aristokratischen Familie geboren, die aber durch die Tyrannen Lygdamis vertrieben wurden. Durch eine Übereinkunft kehrte Herodot aus dem Exil zurück nach Halikarnassos, das er nach erfolgreichem Sturz der Tyrannen Lygdamis für immer verließ. 444 v. Chr. ließ er sich in der griechischen Kolonie Thurioi in Süditalien nieder, an dessen Gründung er vermutlich beteiligt war. Drei Jahre später kam er nach Athen, wo er sich offenbar mit dem Dichter Sophokles anfreundete. Auch mit dem Staatsmann Perikes soll er in Kontakt getreten sein. Herodot unternahm viele Reisen zu den unterschiedlichsten Orten, wie beispielsweise nach Ägypten, in das Schwarzmeergebiet oder Babylon, wo er Informationen über Land und Leute sammelte. 425 v. Chr. verstarb Herodot vermutlich in Athen.
3 Erklärung
3.1 Problemstellung
Die Beschäftigung mit der virtuellen, kontrafaktischen, ungeschehenen, alternativen Geschichte ist Neuland für die alte Geschichtswissenschaft, mit Ausnahme von Alexander Demandt, der 1986 ein ganzes Buch über die Problemstellung der ungeschehenen Geschichte verfasst. Er schreibt:
„Die Besinnung auf ungeschehene Geschichte ist trotz begreiflicher Bedenken notwendig, trotz beträchtlicher Schwierigkeiten möglich und findet ihren Lehrwert in der Erkenntnis geschehener Geschichte. Die durch die Regeln der Wahrscheinlichkeit gezügelte historische Phantasie könnte ein Novum Organon der Wissenschaft werden. Sie geht von der Geschichte aus und geht zur Geschichte zurück.“[3]
Im Bezug auf die Frage nach der virtuellen Geschichte gibt es 3 fundamentale Probleme.
1. Es wurde sich kaum bis gar nicht mit den Ansätzen zur virtuellen Geschichte von prominenten Vertretern der entsprechenden Konzepte auseinandergesetzt
2. Die vorhandenen Ansätze unterscheiden sich erheblich sowie in den erkenntnisleitenden Fragestellungen, als auch in der Terminologie.
3. Außerdem sind keine kritischen Auseinandersetzungen mit den Ansätzen vorhanden
3.2 Kontrafaktische Geschichte
„Den Begriff ‚kontrafaktisch’ kann man als Oberbegriff für jegliche Beschäftigung mit Geschichte nehmen, die sich punktuell oder generell von dem entfernt, was als rekonstruierter Geschehensverlauf akzeptiert ist, und statt dessen anders oder neu konstruiert wird.“[4]
„Bei der Beschreibung von kontrafaktischer Geschichte müssen nicht nur die Grundregeln der Naturwissenschaft eingehalten werden und Fakten für eine kontrafaktische Gegenrechnung zu Grunde gelegt werden, zusätzlich muß der Verfasser planen, einen kontrafaktischen Roman zu schreiben (und dies auch kenntlich machen), in dem die von ihm geschilderten Veränderungen nicht ohne Außenwirkung bleiben.“[5]
3.3 Alternative Geschichte
In diesem Kontext kann man in 2 Erscheinungsformen unterscheiden:
a) Antike Autoren berichten selbst Alternativen für ihre Protagonisten und
diskutieren über sie, dennoch kommt hier das Problem der Historizität auf.
Dennoch kann diese Form von moderner Geschichtsschreibung zu einer
Erweiterung des Wissens eines Historikers dienen, schließlich stößt man trotz
aller Einwände immer wieder auf neue Facetten. Man muss sich auf
Alternativen nur noch „sachlich und sprachlich sensibilisieren.“[6]
b) „Moderne Historiker fragen bei der Behandlung antiker Ereignisse oder
Sachverhalte nach realen Alternativen, die für bestimmte Autoren aber nicht
thematisiert wurden.“[7] Die Methoden zur alternativen Geschichtsschreibung
nicht anders, man muss nur den Umgang mit Quellen und Hypothesen kennen.
Niall Ferguson schreibt in seinem Buch „Virtuelle Geschichte“ folgendes im Bezug auf die Alternativgeschichte:
„Es gibt grundsätzlich zwei verschiedene Möglichkeiten der alternativen Geschichtsschreibung, die von den Historikern angewandt werden: zum einen solche, die im wesentlichen das Produkt einer einfallsreichen Phantasie sind und (im allgemeinen) erhebliche Defizite ihrer empirischen Verifizierbarkeit besitzen; zum anderen jene, deren Theoriemodelle mit Hilfe von (mutmaßlichen) empirischen Durchschnittswerten bestimmte Hypothesen auf ihre Wahrscheinlichkeit hin überprüfen und allzu „phantastische“ Werte zugunsten einer angestrebten Berechnung vermeiden. Im ersteren Falle ist es tendenziell so, dass man sich auf seinen Einfallsreichtum aus der Erkenntnis im Rückblick verlässt oder reduktionistische Erklärungen zu Rate zieht, die dann aber die Geschichtsprojektion unwahrscheinlich werden lassen. Im zweiten Fall dagegen nimmt man in der Regel anachronistische Prämissen an.“[8]
3.4 Ungeschehene Geschichte
„Wenn wir ungeschehene Möglichkeiten nicht konstruieren dürfen, können wir geschichtliche Wirklichkeiten nicht rekonstruieren.“[9]
Salewski beschreibt die Befassung mit ungeschehener Geschichte folgendermaßen:
Die Historiker sind neugierig, auch wenn es unsinnige oder unmögliche Fragen gibt, sie gehen das Risiko gerne ein, die Geschichte von der Kehrseite zu betrachten und alternative Abläufe zu konstruieren. Außerdem sei es die Aufgabe der Fachhistorie sich mit dem Phänomen ungeschehene Geschichte auseinanderzusetzen, den schließlich ist schon ein Forschungsstand in den Anfängen und es müssen demnach Verbindungen geschaffen werden. Es ist durchaus sinnvoll Alternativ- und Parallelgeschichte zu betreiben, denn es erleichtert dem Historiker den Blick nach vorne, der sonst nur nach hinten in Vergangenes gerichtet ist. „Und letztens: Historiker sind Menschen, Menschen spielen gerne. Müssen wir uns vor der Historie immer soviel Ehrfurcht haben, daß uns die Spiellust vergeht? Warum eigentlich? Und wer will hier etwas verbieten? Historicus ludens – schon dies wäre Legitimation genug.“[10]
4 Kritik
Nun möchte ich die Wissenschaft der virtuellen Geschichte etwas genauer betrachten und zunächst auf die von den Kritikern erhobenen Einwände ihr gegenüber eingehen. Der Historiker Alexander Demandt unterscheidet in drei verschiedene Kritikpunkte, die die alternative Geschichtsschreibung als unnütze Spielerei verurteilen. „Zum einen die „Plausibilitätsstufen“, die zwischen nicht verwirklichten Möglichkeiten angenommen werden; zum anderen die „Knotenstruktur“ von Geschichte, daß es nämlich immer wieder Wendepunkte gibt, an denen sich der historische Verlauf einschneidend verändert; schließlich die Vorstellung von Geschichte als „Fließgleichgewicht“, das alle Extreme, Regel und Zufall, gewissermaßen ausgleicht und in einem Mittelweg fortführt.“[11]
[...]
[1] Demandt, Alexander: Ungeschehene Geschichte, Göttingen, 1986, S. 38
[2] Herodot von Halikanassos in: Demandt, Alexander: Ungeschehene Geschichte, Göttingen 1986,
S. 11
[3] Alexander Demandt: Ungeschehene Geschichte, Göttingen 1986, Seite 10
[4] Ritter in: Salewski: Was wäre wenn – Alternativ- und Parallelgeschichte: Brücken zwischen
Phantasie und Wirklichkeit, Historische Mitteilungen Beiheft 36, Stuttgart 1999
[5] Ritter in: Salewski: Was wäre wenn – Alternativ- und Parallelgeschichte: Brücken zwischen
Phantasie und Wirklichkeit, Historische Mitteilungen Beiheft 36, Stuttgart 1999, S. 16
[6] Suerbaum, Werner in: Brodersen: Virtuelle Antike, Darmstadt 2000, S. 15
[7] Brodersen, Kai: Virtuelle Antike, Darmstadt, 2000, S. 16
[8] Ferguson, Niall: Virtuelle Geschichte, S. 30
[9] Demandt, Alexander: Ungeschehene Geschichte, Göttingen, 1986, S. 38
[10] Ritter in: Salewski: Was wäre wenn – Alternativ- und Parallelgeschichte: Brücken zwischen
Phantasie und Wirklichkeit, Historische Mitteilungen Beiheft 36, Stuttgart 1999, S. 9f
[11] Brodersen, Kai: Virtuelle Antike – Wendepunkte der alten Geschichte, Darmstadt, 2000, S. 16
- Arbeit zitieren
- Stephanie Schneider (Autor:in), 2007, Die virtuelle Antike - was wäre geschehen, wenn..?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/136520
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