Die vorliegende Arbeit hat das Ziel, einen landschaftsplanerischen Beitrag zu liefern, der räumliche Qualitäten der Ostseeinseln Rügen, Hiddensee und Vilm aufzeigt, die für ihre Bewohner und Gäste Identität bildend und geistig erbaulich sind.
Es konnten Eigenarten von Landschaftsräumen ermittelt werden, welche der Landschaftsmalerei zur geistigen Wertschöpfung dienen. Die Identifikation dieser landschaftlichen Qualitäten gelang mit Hilfe räumlicher Analysen wie sie die historische Geographie nutzt und kunsthistorischer Auswertungen. Für planerische Zwecke konnten sie räumlich eingegrenzt werden.
Diese als spirituell zu bezeichnenden Landschaften stellen sich als Teile von Rügen und Hiddensee dar, während Vilm in seinem außergewöhnlichen Gesamteindruck als spirituelle Landschaft gelten kann. In diesen Inselräumen haben Generationen an Landschaftsmalern ihre geistige Nahrung gefunden und ein reichhaltiges Kolorit an Bildern hinterlassen.
Der Landschaftscharakter dieser Gebiete ist an Außenküstenlagen gebunden, an sandige und kuppige Hügellandschaften, die Blicke auf das Wasser zulassen, an hohe Dichten kulturhistorischen Erbes oder kontrastreiche Wechsel von Wald zu Offenland und/oder Wasserflächen. Es sind Spirituelle Landschaften, die sowohl durch naturräumliche Dynamiken gekennzeichnet sein können als auch durch anthropogene Gestaltungen.
Diese Landschaften bewahren ihren Reiz für die Landschaftsmalerei kulturepochal übergreifend und überdauern damit politische Systeme. Sie werden kulturell tradiert und in Gruppen gleichsam an Landschaft Interessierter aufgesucht und dass seit knapp 200 Jahren.
Diese Landschaften sind heute rechtlich durch Naturschutzgebiete gesichert, doch sie sind ebenso für die Kultur herausragende Beispiele immaterial-geistiger Wertschätzung durch den Menschen.
Inhaltsverzeichnis
1. Einführung
1.1. Zielsetzung und Fragestellungen
1.2. Methoden und Material
2. Landschaft und kulturelles Erbe
2.1. Vom Begriff der Landschaft
2.2. Kulturlandschaft und Transformationen
2.2.1. UNESCO Cultural landscapes
2.2.2. Cultural landscape studies
2.2.3. Future landscapes
2.3. Projektionen auf Landschaften
2.3.1. Spirituelle Landschaften
2.3.2. Politische Landschaften
2.4. Vom Begriff des kulturellen Erbes
2.4.1. Materielles Kulturerbe
2.4.2. Immaterielles Kulturerbe
2.5. Spirituelle Landschaften als Kulturerbe
3. Die Kulturlandschaften Rügen, Hiddensee und Vilm
3.1. Lage und naturräumliche Gliederung im Ostseeraum
3.1.1. Die naturräumliche Gliederung der Inseln
3.1.2. Naturraumtypen und aktuelle Landnutzungen
3.2. Insellandschaften
3.2.1. Das materielle Kulturerbe der Inseln
3.2.1.1. Funktionsgruppe Siedlung
3.2.1.2. Funktionsgruppe Gewerbe
3.2.1.3. Funktionsgruppe Verkehr
3.2.1.4. Funktionsgruppe Kultur und Erholung
3.2.1.5. Funktionsgruppe Kult und Religion
3.2.2. Räumliche Verteilung kulturhistorischer Landschaftselemente
3.2.3. Dichte kulturhistorischer Landschaftselemente
3.2.4. Das immaterielle Kulturerbe der Inseln
3.2.5. Landschaftsstruktur
4. Spirituelle Landschaften auf Rügen, Hiddensee und Vilm
4.1. Hauptareale künstlerischer Aktivität
4.2. Qualifizierung spiritueller Landschaften
4.2.1. Ahemerobe Sukzession
4.2.2. Abiotische Dynamik
4.2.3. Animistische Projektionen
4.3. Landschaftsprozesse und Ressourcen
5.Zusammenfassung
Literatur
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildungsverzeichnis
Abb.1. Mensch- Landschaftsmodell
Abb.2. Korrespondenz und normativer Charakter von Kulturlandschaftsbegriffen in Planung und Wissenschaft
Abb.3. Beispiele für Kulturlandschaften in Australien nach den Heritage Victoria Landscape Assessment Guidelines
Abb.4. Modellvorstellung zu den Kompartimentsphären der Landschaft
Abb.5. Kulturlandschaftskategorien
Abb.6. Schema des empirischen Feldes des Landschaftsbewusstseins
Abb.7: Dimensionen der Kulturlandschaft
Abb.8. Prozesse zur Bildung Raum- und Wertmustern in der Kulturlandschaft
Abb.9. Der Fujiyama mit der großen Welle von Kanagawa
Abb.10. Regionslandschaft
Abb.11. Strandpredigt auf Rügen
Abb.12. Zu Beginn des Ufergottesdienstes
Abb.13. Geographische Gliederung der Ostsee
Abb.14. Lage der Inseln Rügen, Hiddensee u. Vilm im Ostseeraum
Abb.15. Die Inseln Rügen, Hiddensee u. Vilm mit Ortschaften
Abb.16. Flächenanteile von Naturraumtypen auf Rügen, Hiddensee u. Vilm
Abb.17. Flächenanteile von Naturraumtypen auf Hiddensee
Abb.18. Flächenanteile von Naturraumtypen auf Vilm
Abb.19. Ebene Grundmoränen auf Wittow/ Nordrügen
Abb.20. Kuppige Endmoräne bei Wobbanz / Südrügen
Abb.21. Sandige Hügellandschaft/ Südostrügen
Abb.22. Küstendünenlandschaft/ Hiddensee
Abb.23. Kreidelandschaft in der Stubnitz/ Nordostrügen
Abb.24. Kreidelandschaft in Gummanz/ Nordostrügen
Abb.25. KHLE 0 Siedlung/ 01 Allgemein
Abb.26. Niederdt. Bauerhaus im Weilerdorf Nistelitz/ Rügen
Abb.27. KHLE 0 Siedlung/ 02 Herrensitze
Abb.28. Herrenhaus Boldevitz
Abb.29 Schloss Spyker
Abb.30. KHLE 0 Siedlung/ 03 Gebäude
Abb.31. KHLE 0 Siedlung/ 05 Technische Anlagen
Abb.32. KHLE 1 Gewerbe/ 11 Rohstoffgewinnung
Abb.33. Kreideabbau im Tagebau Klementelvitz / Rügen
Abb.34. KHLE 2 Verkehr/ 21 Straßen und Wege
Abb.35. Kastanienallee bei Lancken- Granitz
Abb.36. KHLE 2 Verkehr/ 22 Eisenbahn
Abb.37. KHLE 2 Verkehr/ 23 Wasserstrassen
Abb.38. KHLE 6 Kultur und Erholung/ 64 Landschaftsgestaltung
Abb.39. Park Putbus
Abb.40. Süntelbuchen im Waldpark Semper
Abb.41. Das Waldgebiet Granitz
Abb.42. Turm von Schloss Lietzow
Abb.43. KHLE 7 Kult u. Religion/ 73 Friedhöfe
Abb.44. KHLE 7 Kult u. Religion/ 74 Prähistorische Gräber
Abb.45. Das Hügelgräberfeld Woorke/ Rügen
Abb.46. Bergen
Abb.47. Schloss Putbus
Abb.48. Großer Vilm
Abb.49. Seedorf mit Granitz
Abb.50. Stubbenkammer
Abb.51. Inselweg (Hiddensee)
Abb.52. Spirituelle Landschaft Vilm
Abb.53. Spirituelle Landschaft Stubnitzer Küstenrandzone
Abb.54. Spirituelle Landschaft Ostwittower Küstenrandhöhen
Tabellenverzeichnis
Tab.1. Flächenanteile von Naturraumtypen auf Rügen, Hiddensee u. Vilm
Tab.2. Flächenanteile von Naturraumtypen auf Vilm
Tab.3. Dichteklassen kulturhistorischer Landschaftselemente auf Rügen, Hiddensee u. Vilm
Tab.4. Dichteklassen von Ökotonen auf Rügen, Hiddensee u. Vilm
Tab.5. Malerische Landschaften mit einer hohen Dichte an kulturhistorischen Landschaftselementen
Tab.6. Malerische Landschaften mit einer mittleren Dichte an kulturhistorischen Landschaftselementen
Tab.7. Malerische Landschaften mit einer geringen u sehr geringen Dichte an kulturhistorischen Landschaftselementen
Tab.8. Malerische Landschaften mit einer sehr hohen u hoher Dichte an Ökotonen
Tab.9. Malerische Landschaften mit einer mittleren Dichte an Ökotonen
Tab.10. Malerische Landschaften mit einer geringen u. sehr geringen Dichte an Ökotonen
1. Einführung
Das aus der französischen Sprache kommende Wort spirituell ist als geistig oder geistlich zu übersetzen und wird umgangssprachlich oftmals in einen Zusammenhang mit Religiosität gestellt. In der vorliegenden Arbeit wird es in seiner ursprünglichen Bedeutung verwandt und dient zur Qualifizierung von Landschaft. Spirituelle Landschaften sind demnach Geistige Landschaften, die durch Wahrnehmung der Umwelt im Kopf der Menschen entstehen. Wir machen uns eine Vorstellung, ein Bild von dem, was uns umgibt. Diese Vorstellung bestimmt unser Handeln im Raum. Dieser Raum ist die Kulturlandschaft, in der wir leben. Durch unser Handeln in der Kulturlandschaft verändern wir diesen Raum und dieser prägt wiederum unsere Vorstellung.
Die Eigenart einer Kulturlandschaft hat demnach Einfluss auf unser Handeln. Dieses Handeln zielt vorrangig auf die Befriedigung materieller Bedürfnisse ab, eine im Wesentlichen ökonomisch- materielle Wertschöpfung aus der Landschaft. Doch worin bestünde ein Handeln, dass nicht auf materielle Ressourcennutzung ausgerichtet ist? Es wäre auf eine spirituelle, d.h. immaterielle- geistige Wertschöpfung der Landschaft bezogen und manifestierte sich in einer Heimatverbundenheit, in geistiger Inspiration und Wertschätzung der Landschaft.
Ein Handeln, was dieses zum Ausdruck bringt, ist die Landschaftsmalerei. Die Malenden schöpfen Eindrücke aus der Landschaft und bringen im Malen ihre innere Landschaft zum Vorschein. Doch nicht jede Landschaft ist inspirierende und geistige Nahrung für die Künstler. Die Typik und Eigenart der Landschaft bestimmt ihren geistigen Wert. Deshalb macht sich diese Arbeit auf die Suche nach den spirituellen Landschaften. Die Suche resultiert aus dem Bedürfnis landschaftliche Qualitäten offen zulegen, die der geistigen Erbaulichkeit ihrer Bewohner dienen.
Diese landschaftlichen Qualitäten sind auch an das kulturhistorische Erbe gebunden, weshalb es in dieser Arbeit auch um eine Quantifizierung und Qualifizierung desselbigen gehen wird.
Als Untersuchungsgebiet wird der südliche Ostseeraum mit den Inseln Rügen, Hiddensee und Vilm gewählt, weil zum Einen die Inseln in einer Tradition der Landschaftsmalerei stehen, was auf eine gute Quellenlage hoffen lässt und zum Anderen der Verfasser diese Inseln in ihren Qualitäten schätzt und für ihre Entwicklung einen konstruktiven Beitrag leisten möchte.
1.1. Zielsetzung und Fragestellungen
Die Zielsetzung dieser Arbeit ist ein landschaftsplanerischer Beitrag, der räumliche Qualitäten der Inseln Rügen, Hiddensee und Vilm aufzeigt, die für ihre Bewohner und Gäste Identität bildend und geistig erbaulich sind. Konkret sollen die Eigenarten von Landschaftsräumen ermittelt werden, welche der Landschaftsmalerei zur geistigen Wertschöpfung dienen und in planerischen Prozessen Berücksichtigung finden könnten. Daran sind bestimmte Fragen geknüpft:
1. Gibt es bestimmte Eigenarten der Kulturlandschaft, die bevorzugt gemalt werden?
2. Welchen Einfluss haben kulturhistorische Landschaftselemente und die Struktur der Landschaft auf das Vorkommen kunsthistorischer Werke?
3. Ist die Bevorzugung landschaftlicher Eigenart, wenn sie existiert, an bestimmte Kulturepochen gebunden oder epochal unabhängig?
4. Ist eine landschaftliche Wertschätzung kulturell tradiert?
5. Existieren spirituelle Landschaften auf Rügen, Hiddensee und Vilm?
1.2. Methoden und Material
Diese Arbeit nährt sich im ersten Teil (Kapitel 2) den theoretischen Konzepten von Kulturlandschaften. Dazu werden Kategorien der UNESCO ebenso benannt wie Ansätze aus der amerikanischen Schule der „cultural landscapes studies“. Damit soll verdeutlicht werden, dass über Kulturlandschaften durchaus unterschiedliche Interpretationen existieren. Der Begriff der spirituellen Landschaft wird anhand einer eigenen Arbeitsdefinition erklärt. Auch die Rolle von Kulturlandschaften im politischen Kontext wird erläutert. Das Verständnis von Kulturerbe wird dargelegt und anhand internationaler Literatur differenziert in materielle und immaterielle Dimensionen gegliedert, um am Ende von Kapitel 2 eine Gesamtdarstellung von spirituellen Landschaften als kulturelles Erbe darzulegen.
Im zweiten Teil der Arbeit (Kapitel 3) wird das Untersuchungsgebiet mit den Inseln Rügen, Hiddensee und Vilm vorgestellt. Besonderer Fokus liegt auf der natur-räumlichen Gliederung, da sie Grundlage für räumliche Berechnungen ist. Dazu wird eine analoge, naturräumliche Kartierung digitalisiert und georeferenziert in ein GIS eingespeist.
Die naturräumlichen Einheiten werden sodann mit kulturhistorischen Landschafts-elementen verschnitten, die aus einer externen Datenbank (KLEKs) importiert und zu Funktionsgruppen aggregiert werden. Auf Grundlage der naturräumlichen Einheiten werden dann Dichten an kulturhistorischen Landschaftselementen (KHLE) berechnet. Auf gleicher räumlicher Ebene wird mit einem Landschaftsstruktur-Indize eine aktuelle räumliche Dichte von Landschaftsrändern (Ökotone) berechnet.
Im dritten Teil (Kapitel 4) dient eine kunsthistorische Analyse zu Kennzeichnung von Flächen, in denen es eine historische Kontinuität an Landschaftsmalerei gibt. Die Areale werden dann mit den aus Kapitel 3 gewonnenen Daten verschnitten, um Qualitäten und Prozesse der Landschaft zu benennen, die in von Künstlern bevorzugten Landschaften auftreten. Zum Ende des vierten Kapitels werden spirituelle Landschaften benannt. Wichtige Zwischen- und Endergebnisse werden kartografisch dargestellt und sind als Karten am Ende der schriftlichen Arbeit beigelegt.
2. Landschaft und kulturelles Erbe
Landschaft und das kulturelle Erbe sind Begriffe, die eng miteinander verknüpft sind und durch das Verschwinden der letzten vom Menschen unberührten Naturlandschaften nicht getrennt gedacht werden können: „Die Kulturlandschaft wird von einer kulturellen Gruppe aus der Naturlandschaft heraus gestaltet. Kultur ist die treibende Kraft, der natürliche Raum das Medium und die Kulturlandschaft ist das Ergebnis“ (SAUER 2005: 103). Die Menschen verändern dabei den vorgefundenen Naturraum, wodurch im Ergebnis eine Veränderung der Oberflächengestalt und der Vegetation resultiert. Mit dem Beginn der Sesshaftigkeit von Menschen im südlichen Ostseeraum seit der neolithischen Revolution vor 5000 Jahren (KNAPP 2008: 123) entstanden in den folgenden Jahrtausenden Spuren der Kulturtätigkeit in Form von Grabanlagen und Sakralbauten, Handelswegen, Siedlungen und Städten. Diese Spuren sind das kulturelle Erbe. Jede neue Generation erbt dabei nicht nur die Überlieferungen, Schriften Erfindungen und Erzählungen der vergangenen Kulturschaffenden, sondern auch die Überprägungen- und Umformungen der Landschaft und der gebauten Artefakte, insofern sie sich als zeitlich beständig, persistent, erwiesen.
Die Beschreibung des vorgefundenen kulturlandschaftlichen Gefüges kann jedoch nur eine Momentaufnahme darstellen und ist stark von der Perspektive des Betrachters abhängig. Das kulturelle Erbe in der Landschaft macht sie zur Kulturlandschaft, die wiederum im Auge bzw. Kopf des Betrachters entsteht: „Die Kulturlandschaft als solche existiert also nicht. Sie ist immer ein Unterwegs, unterwegs von der Vergangenheit in die Zukunft und damit die Momentaufnahme der Gegenwart- und unterwegs von der Stadt zum Urwald als ein intermediärer Zustand der Land-schaftspflege oder Landschaftsausbeutung. Die Wiederherstellung der Kulturlandschaft ist also die Erzeugung ihrer Wahrnehmung durch die Anlage von Wegen durch die Zeiten, ist also Spaziergangswissenschaft“(BURCKHARDT 1994: 43). Seit der Benutzung des Wortes Landschaft im 9. Jh. als politische Körperschaften (LORBERG 2007: 34) bis zu Fragen nach der Landschaft in einer Kultur der Nachhaltigkeit (EISEL 2009: 200) haben etliche Theorien und Schulen sich mit dem Begriff der Landschaft, der Genese oder ihrer Erhaltung auseinandergesetzt: „Kann man also Kulturlandschaften erhalten?-Sicherlich nicht, wenn man nicht einmal genau weiß, worin sie bestehen.
Und diese Frage, worin sie bestehen, ist keine faktische oder historische, sondern eine ästhetische. Es ist die Frage, als was wir sie wahrnehmen. Ich halte die Landschaft für ein Konstrukt der Wahrnehmung, das durch Vergleiche, also zeitlich durch die Diachronie, räumlich durch den Spaziergang entsteht “(BURCKHARDT 1994: 43). Die aus den verschiedenen Wahrnehmungen resultierenden Konstrukte müssen also erst benannt werden, um sie als Arbeitsbegriff zu gebrauchen.
2.1. Vom Begriff der Landschaft
Landschaft als Begriff ist unterschiedlich kontextualisiert. Wurde die Landschaft im 8./9. Jh. als eine Vertretung politischer Repräsentanten verstanden (HARD 1977: 14) konnten sich erst ab dem 15. Jh. die damit verbundenen räumlichen Gebiete über den Begriff deuten lassen. Die „personenkollektive Bedeutung“ (ebd., 14) wandelte sich und Landschaft etablierte sich als terminus technicus der Malerei im 16./17. Jh. und war die malerische Darstellung eines Naturausschnittes (GUNZELMANN 2005: 20-21). Erst zu Beginn des 19. Jh. wurde von Landschaft in einer geographischen Bedeutung gesprochen. In dieser ist Landschaft ein „durch einheitliche Struktur (Naturausstattung und Landnutzung) und gleiches Muster von Wirkungsgefügen (Funktionsweise) geprägter Teil der Erdhülle“ (BASTIAN U. SCHREIBER 1999: 551). Wenn auch WÖBSE (2002: 14) Landschaft aus natürlichen und anthropogenen Elementen bestehend sieht, wird der Begriff der Landschaft oftmals in Naturlandschaft und Kulturlandschaft differenziert. Wie STEINHARDT ET AL. (2005: 31,32) am Beispiel der Fernwirkung von Emissionen ausführen, besitzt eine Differenzierung nur hypothetischen Charakter, da nahezu alle Teile der Erdoberfläche menschlichem Einfluss unterliegen. Jedoch räumen die Autoren, wie auch das Konzept der Hemerobiestufen (MARKS U. SCHULTE 1988: 214) zeigt, eine Skalierung menschlicher Überprägung auf den Standort ein, die wiederum eine Differenzierung legitimiert: „Auch wenn Landschaft nur als Manifestation menschlicher Werthaltung existiert: Eine Unterscheidung in Naturlandschaften als Gebiete, in denen menschliches Wirken nicht zu einer substanziellen Veränderung der Landschaftseigenschaften geführt hat und Kulturlandschaften als Landschaften, die in ihren Eigenschaften maßgeblich durch menschliches Wirken gestaltet worden sind, ist dann offensichtlich sinnvoll (STEINHARDT ET AL. 2005: 32).
Landschaft wird im Folgenden als ein von naturräumlichen Komponenten vorgeprägter und durch anthropogene Einflüsse überprägter Teil der Erdhülle (ebd., 31) verstanden. Damit sind nach TREES (2002) Kulturlandschaften beschrieben, die in ihren naturräumlichen und landeskulturellen Ausprägungen diverse Entwicklungsstadien besitzen, also Mensch-Landschaft- Modelle, in denen Landschaft als Schnittmenge von Natur (Bios, Geos) und Kultur (Noos, griech. Geist) begriffen wird (Abb. 1).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 1.: Mensch- Landschaftsmodell (nach TREES u. TREES 2001 in STEINHARDT, U. et al. 2005: 30)
2.2. Kulturlandschaft und Transformationen
Der Terminus Kulturlandschaft wird nicht einheitlich verwandt und innerhalb des wissenschaftlichen Diskurses gibt es keine Übereinkunft, ob mit Kulturlandschaft eher der ländliche Raum zu verstehen ist oder auch urbane Landschaften, d.h. Stadtland-schaften darunter fallen. Wie KÖRNER et al. (2007: 74) feststellen, verändert sich das Verständnis von Kulturlandschaft als einen durch historische Eigenart beschriebenen Ausschnitt der Landschaft, der eine ländliche Symbiose von Kultur und Natur darstellt. Vielmehr „besteht das Bedürfnis von Kulturlandschaft, der nicht nur die vermeintlich idyllischen ländlichen Lebensverhältnisse repräsentiert, sondern auch die Realität in der postindustriellen Gesellschaft. Auch deshalb ist die Idee der Kulturlandschaft in der Diskussion“ (ebd., 74).
Der Begriff Kulturlandschaft konnte jedoch erst in der Wahrnehmung von Landschaft im Kontext kulturell geprägter und gesellschaftlich verstandener Bilder entstehen (APOLINARSKI et al. 2004). Damit ist die Kulturlandschaft auch immer eine soziale Konstruktion, abhängig von ihrem Betrachter und den Intentionen des Handelns. Daraus resultieren Definitionen und Abgrenzungen von Landschaft als „mentale Landschaft“ ihrer Einwohner, der „kognitiven Landschaft“ als ein Objekt der multidisziplinären Forschung oder „konzeptioneller Landschaft“ der Landschaftsplaner (DE JONG 2002 zit. in ARTNER et al. 2006: 4). Insofern existiert die Kulturlandschaft nicht, sondern erhält ihre Bedeutung und Gehalt aus dem wissenschaftlich, politischen Diskurs (Abb. 2).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb.2.: Korrespondenz und normativer Charakter von Kulturlandschaftsbegriffen in Planung und Wissenschaft (aus SCHENK 2008: 274).
Die Wahrnehmung und damit die Konstituierung von Kulturlandschaften kann aber von Raumstrukturen nicht getrennt werden, denn auch Landschaft als Erinnerung im Sinne einer fiktiven Landschaft erhielt ihren konstruktiven input von wahrgenommenen Raumstrukturen.
Die Rückkopplung der gesellschaftlich- kulturellen Faktoren wie z.B. Erfahrungen, Motive, Kenntnisse mit den Raumstrukturen, die über verschiedene Ebenen (kognitiv, emotional-ästhetisch) wahrgenommen werden, erzeugt nach KORFF (2005: 21) die mental map, ein gedankliches Konstrukt über Landschaft. Mit der Veränderung der sozio-ökonomischen und rechtlichen Bedingungen im Rahmen der EU und globalisierten Märkten, ist ein Wandel urbaner Prozesse als auch agrarisch-forstlicher Produktion auszumachen. Neue Landnutzungsformen (z.B. Agroforstry) transformieren die traditionellen Kulturlandschaften und ihre Raumstrukturen, in denen es z.B. noch scharfe Grenzen zwischen Wald und Äckern, Stadt und ländlichem Umfeld, Industriestandorten und Siedlungsgebieten gab: „Die Dichotomie von Stadt und Land löst sich auf. Hohe Mobilität, Erlebnisdichte und Warenverfügbarkeit sowie neue Möglichkeiten der Kommunikation, wie sie vor allem das Internet bietet, (also Globalisierung und Tertiärisierung) führen räumlich gesehen zu einem immer weiteren Verwachsen von Stadt und Land: Es entstehen vor allem in den Boomregionen „zwischenstädtische“ Gebilde (SIEVERTS), die weder einen eindeutig städtischen, noch einen klar ländlich definierten Charakter aufweisen“ (KÖRNER et al. 2007: 74).
Unterscheidungen von ländlichen Gebieten einerseits und urbanen Flächen wie sie Landnutzungskartierungen zugrunde liegen, kommen aufgrund ihrer Unschärfe in zwischenstädtischen Räumen und des traditionellen (veralterten) Ansatzes im Folgenden nicht zur Anwendung. Vielmehr sollen andere Betrachtungen als Differenzierungen zwischen ländlichen und urbanen Kulturlandschaften aufgeworfen werden. Das Verständnis von Kulturlandschaft als ein integrativer Raum von natürlichen Standortfaktoren, sozioökonomischen Funktionen und kultureller Prägung (ARTNER et al. 2006:4) soll den Rahmen für die folgenden Kapitel bilden. Drei verschiedene Betrachtungsweisen über die Kulturlandschaft werden aufgezeigt: die Klassifizierung von Kulturlandschaften nach den UNESCO (2008) Richtlinien für die Durchführung des Übereinkommens zum Schutz des Kultur- und Naturerbes der Welt, die Beschreibungen der „Landschaft Eins bis Drei“ der cultural landscape studies nach JACKSON (2005) und die Future landscapes des BUNDESMINISTERIUMS FÜR VERKEHR, BAU UND STADTENTWICKLUNG (2008).
2.2.1 U NESCO cultural landscapes
Mit der Nominierung und Listung von Kulturgütern und Objekten des Naturerbes durch die UNESCO wurde mit der Ausweitung der Welterbeliste durch die Kategorie der Kulturlandschaften seit 1992 ein neuer Weg beschritten. Offensichtlich konnten die bis dahin angewandten Kennzeichnungen den dynamischen Prozess der Kulturlandschafts-entwicklung nicht abbilden Das Verständnis der UNESCO von Kulturlandschaften entspricht dem in Kapitel 2.1. aufgezeigten Modell einer dynamischen und durch Rückkopplung bedingen Synthese aus naturräumlicher Vorprägung der Landschaft und kultureller Gestaltung bzw. Aktivität: „Cultural landscapes are cultural properties and represent the combined works of nature and man. They are illustrative of the evolution of human society and settlement over time, under the influence of the physical constraints and/or opportunities presented by their natural environment and of successive social, economic and cultural forces, both external and internal” (UNESCO 2008: 14). Aus dieser Definition leiten sich drei verschiedene Kulturlandschaftstypen ab, die von der UNESCO (2008: Annex 3, 86) gebraucht werden:
1. Designed landscapes
Kulturlandschaften, die vom Menschen aus ästhetischen Überlegungen absichtsvoll gestaltet und entworfenen wurden, oftmals Garten- und Parkanlagen darstellen und mit religiösen oder kulturellen Bauwerken und Monumenten vergesellschaftet sein können.
2. Organically evolved landscapes
Gewachsene Kulturlandschaften, die durch menschliche Aktivität (soziale, wirtschaft-liche, administrative, religiöse Prozesse) überprägt und sich in Anpassung an die natürliche Umwelt entwickelt haben. Die Struktur und die in der Landschaft befindlichen Elemente sind die Nachweise dieses evolutionären Prozesses. Diese gewachsenen Kulturlandschaften werden in die Subtypen der fossilen Kulturland-schaften und der gewachsenen, fortdauernden Kulturlandschaften geteilt. Die fossilen Kulturlandschaften entstanden durch gestaltende und sozio- ökonomische Prozesse der Vergangenheit, die so heute nicht mehr stattfinden und in ihrer Dimension zum Erliegen kamen.
Die fortdauernden Kulturlandschaften durchlaufen unter sich verändernden ökologischen wie auch sozio-ökonomischen Rahmenbedingungen weiterhin eine Entwicklung und sind damit ständiger Transformation unterlegen.
3. Associative landscapes
Kulturlandschaften, die als kulturelle Beziehungslandschaften verstanden werden, mit denen der Mensch religiöse, künstlerische oder kulturelle Assoziationen verbindet. Diese religiösen, künstlerischen oder kulturellen Bindungen können räumlich sowohl an naturräumlichen Objekten wie auch an kulturellen Gütern gebunden sein. Eine Modifikation dieser UNESCO Kriterien (Abb. 3) wird in Australien angewandt, wo insbesondere die Bedeutung der assoziativen Landschaften erweitert wurde (HERITAGE COUNCIL OF VICTORIA 2002).
Orte, an denen wichtige historische Ereignisse stattfanden oder Plätze, die von besonderem wissenschaftlich historischen Wert sind, fallen genauso darunter wie besonders szenisch-ästhetische Plätze, Orte, die mit bedeutsamen Personen in Verbindung stehen oder Landschaften, die sich über eine lange Zeitperiode als bevorzugte Orte der Erholung und anderer Sozialaktivitäten herausgebildet haben (HERITAGE COUNCIL OF VICTORIA 2002: 5). Mit diesem erweiterten Verständnis legitimiert schon ein besonderes historisches Ereignis (Kognitive Landschaftswahr-nehmung), eine besondere ästhetische Qualität einer Landschaft (Emotional- ästhetische Landschaftswahrnehmung) und die Häufung bestimmter sozialer Aktivitäten (Funktional- zweck-orientierte Landschaftswahrnehmung) die Kennzeichnung einer assoziativen Landschaft. Damit rezipiert insbesondere die Ausweisung assoziativer Kulturlandschaften verschiedene Wahrnehmungsebenen im Sinne von „Landschaft als ein vom Menschen als solches wahrgenommenes Gebiet“ (EUROPARAT 2000: Art. 1 a).
Designed landscapes
- Botanic gardens & landscapes created for scientific purposes (e.g. arboreta, systematic gardens, experimental plots)
- Public designed landscapes (e.g. parks & squares; e.g. Yarra Park, Exhibition Gardens, H.V. McKay Gardens)
- Residential and domestic designed landscapes, including country estates (e.g. Buda, Bickleigh Vale)
- Institutional, commercial and industrial designed landscapes
- Productive landscapes (vegetable or kitchen gardens, orchards, productive nursery sites)
- Commemorative landscapes (e.g. cemeteries, avenues of honour, memorial trees)
(these classifications derived from Aitken et al 1998).
Organically evolved or 'vernacular' landscapes
- Rural community development & land use patterns (e.g. Mornington Peninsular, Yarra Valley)
- Land units with range of use over time (e.g. Bogong High Plains)
- Productive/industrial landscapes (goldfields, mining sites, forestry sites, chicory farming)
- Linear landscapes such as irrigation systems or transport routes (e.g. coach routes, train lines, Chewton Fryerstown road and rim, mines, horse paddocks, miners' cottages)
- Fences lines and property subdivision, windbreaks and hedges
Associative landscapes
- Sites associated with historical events (e.g. Eureka Stockade Reserve, commemorative in nature and associated with an important historical event)
- Sites of historically scientific value (palaeontological, geological, etc.) sites. n.b. 'Habitat values' are considered to be predominantly 'natural' rather than cultural
- Scenic locations and elements, e.g. Hanging Rock, Mt Elephant, Mt Buffalo (e.g. the monolith, lookout, path)
- Sites associated with significant people or cultural activities (e.g. Fontainbleu at Mt Macedon, residence of artist Frederick McCubbin and location of several major artworks)
- Predominantly natural sites which over a period of time have become associated with recreational use and other social activities (e.g. picnic places, foreshore and camping areas)
Abb. 3.: Beispiele far Kulturlandschaften in Australien nach den Heritage Victoria Landscape Assessment Guidelines (HERITAGE COUNCIL OF VICTORIA 2002: 5).
2.2.2. Cultural landscape studies
In den 1960er Jahren entstand mit JOHN BRINKERHOFF JACKSON die Schule der sogenannten „Cultural landscape studies“ in den U.S.A. Die Strukturierung der nordamerikanischen Städte und Landschaft folgt vielerorts demselben gleichförmigen System von Straßen und Siedlungs- und Industrieparzellen, welches als grid - System bekannt wurde (JACKSON 1994: 151-156). Daraus resultieren schwach getönte Übergänge zwischen urbanen und ländlichen Räumen und nicht die klassisch harten Grenzen der althergebrachten, europäischen Stadt mit Stadtmauer und dem ländlichen Raum, der jenseits dieser liegt. Dadurch haben die cultural landscape studies mit der Untersuchung von suburbanen Räumen eine längere Tradition. Ein weiterer Fokus liegt auf der Anerkennung des Temporären, womit die Kulturlandschaft einen prozesshaften Charakter annimmt, die ständiger Veränderung unterworfen ist. Wie HAUSER (2006: 166) darstellt, ist die Kulturlandschaft nach den cultural landscape studies ein Konglomerat aus vielen, einzelnen individualistischen Aktivitäten ihrer Bewohner, die insofern die Aktivitäten die gleiche Handlungsrichtung aufweisen, zu speziellen, ablesbaren Strukturen in der Landschaft führen.
Damit verfolgen die cultural landscape studies gewissermaßen einen bottom up Ansatz, der Kulturlandschaften entstehen lässt, im Gegensatz zu einer stark administrativen, elitären Steuerung der Kulturlandschaftsentwicklung durch z.B. die Raumordnung und Landschaftsplanung in Deutschland (Top down). Die damit skizzierten Kulturland-schaften werden von JACKSON als vernäkulär im Sinne von traditionell, heimat-verbunden, an die Örtlichkeit angepasst, verstanden: „Diese lokale Orientierung hat allerdings nichts mit der Sesshaftigkeit zu tun, die Bewohner der vernakulären Landschaft sind jederzeit bereit, sich wieder in Bewegung zu versetzen, wenn das aus unterschiedlichen Gründen notwendig erscheint...So zeichneten sich die gegenwärtigen (Stadt-) Landschaften ab als immer wieder erneuerte Produkte einer vernäkulären Kraft, sich in den Umständen zu behaupten und ihnen das Bestmögliche abzuringen“ (HAUSER 2006: 168). Aus diesen theoretischen Grundüberlegungen formulierte JACKSON drei Landschaftstypen: Die Landschaft Eins, die Landschaft Zwei und die Landschaft Drei.
1. Landschaft Eins
In der Landschaft Eins gibt es die typische Dichotomie von Stadt und Land. Es ist der Typus der europäischen mittelalterlichen Stadt. Diese Landschaft ist gekennzeichnet durch eine hierarchische Ordnung ihrer Bewohner, einerseits durch die Aktivitäten der Lehnsherren und andererseits durch die Bauernschichten. Jackson konstatiert diesen Landschaften eine ständige Veränderung und ihren Bewohnern eine unfreiwillige Beweglichkeit. Übertragen auf heutige Landschaften mit ihren sozi- ökonomischen Systemen, hat die Landschaft Eins aufgehört zu existieren. Die Grenzen zwischen urbanen und ländlichen verschwinden zusehends und auch die Klassengesellschaft hat aufgehört zu existieren, vielmehr sind es Lebensstiltypen, die heute Landschaft gestalten und in ihnen wohnen und konsumieren (vgl. SCHUSTER 2003: 100-102).
2. Landschaft Zwei
Beständigkeit, Ordnung, sichtbare Ein- und Ausgrenzungen charakterisieren nach HAUSER (2006: 169) die Landschaft zwei, die sich seit der Renaissance entwickelt hat. Sie ist das Modell einer zentralistisch organisierten Kulturlandschaft, in der die Bauernschaft noch immer unfrei, jedoch bedingt durch Landbindungen ihre Mobilität verloren hat. Übertragen auf heutige Kulturlandschaften ist die Landschaft Zwei im Bezug auf ihr sozio- ökonomisches Gefüge in Mitteleuropa nicht mehr existent.
Im Hinblick auf die Ordnungsmuster der Kulturlandschaft finden sich das amerikanische grid - System in der Landschaft Zwei wieder, dass aber wie WALL (2007: 138-141) zeigt, in Auflösung begriffen ist.
3. Landschaft Drei
Die Kulturlandschaft, die sich aufgrund globaler Stoff- und Warenkreisläufe, in ihren Strukturen herausbildet, den Verlust regionaler Interaktion zwischen Landschaft und ihren Bewohnern in sich trägt und sich in stetiger Umwälzung und Gestaltung befindet, wird als Landschaft Drei bezeichnet. HAUSER (2006: 170) spricht in diesem Zusammen-hang von Entterritorialisierung und flüchtigen Formen der Re- Lokalisierung.
Die Landschaft Drei entspricht dem von SIEVERTS (1997) eingeführten Begriff der Zwischenstadt, in der weiniger die traditionelle Struktur die Entwicklung der Kulturlandschaft bedingt als vielmehr die Prozesse und Intentionen, welche Menschen initiieren und ihnen folgen: „ (...) the term landscape no longer refers to prospects of pastoral innocence but rather invokes the functioning matrix of connective tissue that organizes not only objects and spaces but also the dynamic processes and events that move through them. This is landscape as active surface, structuring the conditions for new relationships and interactions among the things it supports” (WALL 1999: 233 zit. in HAUSER 2006: 172). Der Gedanke des Prozesshaften in der Landschaft wird auch heute theoretisch von Teilen der Landschaftsarchitektur aufgegriffen, wo Landschaften als ein „ dynamisches System menschengemachter Räume“ (PROMINSKI 2004: 59) verstanden werden, damit jedoch eine theoretische Loslösung von Rückkopplungen naturräumlichen Prozessgeschehens und anthropogenen Handlungsmöglichkeiten vollzogen wird. Gerade Kulturlandschaften sind das Kopplungsprodukt von verschiedenen Kompartimentsphären (Abb. 4).
Insofern ist PROMINSKIS Auffassung von Landschaft allenfalls eine kultur- und technosphärische Teilmenge der Landschaftsphäre. Landschaft Drei ist aber ein Sammelbegriff für aktuelle Entwicklungen der Kulturlandschaft (vgl. KÖRNER u. MARSCHALL 2007) und den Organically evolved landscapes der UNESCO immanent.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 4.: Modellvorstellung zu den Kompartimentsphären der Landschaft (LÖFFLER 2002 in STEINHARDT et al. 2005: 31, leicht verändert).
2.2.3 Future landscapes
Der Begriff future landscapes resultiert aus einem gleichnamigen Forschungsprojekts des Bundesamtes für Bauwesen und Raumordnung (BBR) in Zusammenarbeit mit dem Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS). Dabei ging es um „entwicklungsorientierte Strategien, die die Perspektive ´Kulturlandschaft´ nicht auf denkmalpflegerische Aspekte verengen“ (ARTNER et al. 2008: 1). Grundlage zur Verortung der verschiedenen Kulturlandschaftsszenarien bildet ein Quadrantenmodell, dass Einflussfaktoren wie Wirtschaftsentwicklung und gesellschaftliche Steuerungsin-tensität miteinander kombiniert und verschiedene Betrachtungsräume ableitet, die sich als urban, semi- urban, rural und ubiquitär klassifizieren. Insgesamt werden auf dieser Grundlage 19 verschiedenen Landschaftsszenarien entwickelt. Bei genauerer Analyse zeigt sich jedoch, dass hier Tendenzen der aktuellen Landnutzung wie z.B. Intensivie-rung auf Agrarflächen bei verstärktem Anbau von Energiepflanzen (Agrarproduktions-landschaften und Energieproduktionslandschaften) in die Landschaft extrapoliert werden. Auch sind Kulturlandschaften entlang größerer Flüsse (Flusslandschaften) wie z.B. der Elbe und auch historische Industrielandschaften wie z.B. in Duisburg oder Bochum existente Kulturlandschaften, denen eine neue Nutzung zugedacht wird. Die future landscapes zeigen damit eher neue Verhandlungsmöglichkeiten und strategische Ausrichtungen gewachsener und existenter Kulturlandschaften, anstatt neue Kulturlandschaftsmodelle zu entwerfen. Auffällig ist dabei, dass auch die future landscapes einer funktionsräumlichen Betrachtungsweise (BASTIAN U. SCHREIBER 1999: 38) folgen und im Gegensatz zu einer multifunktionalen Landschaft separierenden Charakter besitzen.
Die future landscapes sind Entwicklungsszenarien, in denen sich die Zwischenstadt von SIEVERTS (1997) und die Landschaft Drei von JACKSON (1994) ebenso wiederfinden wie die gewachsenen und gestalteten Kulturlandschaften der UNESCO (2008). Anknüpfungen an geistige, assoziative und spirituelle Landschaften bleiben aus. Abbildung 5 gibt einen Überblick zu den verschiedenen Kulturlandschaftskategorien und ihrer konzeptionellen Parallelität zur UNESCO (2008), die Kulturlandschaften dagegen einen assoziativen Wert beimisst.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 5.: Kulturlandschaftskategorien ( nach ARTNER et al. 2006, JACKSON 1994, UNESCO 2008, eigene Zusammenstellung)
2.3. Projektionen auf Landschaften
Die Wahrnehmung und darauf folgende Beschreibungen von Landschaften entstammen einer Korrespondenz der räumlichen Struktur und der durch Wahrnehmung und Wertekategorien abstrahierten Ebene geistiger Landschaft. Die Beschreibung von Landschaften folgt damit den Möglichkeiten der Wahrnehmung und ist vom jeweiligen persönlichen Modus der Landschaftskategorisierung abhängig, weil „(...) Landschaft ein Konstrukt ist, das nur dadurch entsteht, dass von der Vielfalt der materiellen Elemente, die einen abgrenzbaren geographischen Raum bestimmen, abstrahiert wird. Unsere Wahrnehmung folgt Gestaltbildungsprozessen, durch die die Komplexität der Welt reduziert wird“ (IPSEN et al. 2003: 21). Diese soziale Konstruiertheit von Kulturlandschaften resultiert aus den verschiedenen Feldern des Landschafts-bewusstseins (Abb. 6).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 6.: Schema des empirischen Feldes des Landschaftsbewusstseins (aus: IPSEN et al. 2003: 24).
Wie in Abbildung 6 deutlich wird, gibt es im Landschaftsbewusstsein diverse Beziehungen des Menschen zur Landschaft, aus denen auch verschiedenen Intentionen im Umgang mit der Landschaft und ihrer Bedeutung resultieren.
Mit der Annahme, dass Landschaften aus kognitiven, ästhetischen und emotionalen Konstrukten heraus beschrieben werden, wird ein transdisziplinärer Weg beschrieben, der aktuell auch in der Kulturgeographie diskutiert wird: „Die geographische Betrachtungsweise, insbesondere so, wie sie sich in den Raumwissenschaften entwickelt hat, ist nach wie vor durch ein Denken in Dualismen, durch eine binäre Logik, gekennzeichnet. Sie hat dazu geführt, das raumbezogene Denken zu polarisieren, und zwar entlang solch fundamentaler Gegensätze wie Objektivität vs. Subjektivität, materielle vs. mentale Welt, reale vs. vorgestellte konstruierte Welt, Dinge im Raum vs. Gedanken über den Raum. Wer den geographischen Blick zu einer ähnlichen Tiefe und Breite erweitern will, wie er bereits für die historische und gesellschaftliche Dimension existiert, um damit auch ein ähnliches Potential zu erreichen, der muss diese Dualität räumlichen Denkens und Analysierens kreativ dekonstruieren und neu konzipieren“ (SOJA 2003: 273).
Insofern werden Ansätze der Kulturlandschaftsbeschreibung, die ausschließlich kognitive Bezüge herstellen und Raummuster (objektiv) analysieren der Mehrdimensionalität von Landschaften nicht gerecht. Die kulturelle Bedeutung der Wissensbeziehung zur Landschaft sehen IPSEN et al. (2003: 24) in der Literatur und Malerei. Die kulturelle Bedeutung der ästhetischen Beziehung schlägt sich in der symbolischen Bedeutung besonderer Orte nieder. Wenn es demnach gelänge, diese Beziehungsgeflechte zu konkreten räumlichen Strukturen herzustellen, wären die von SOJA (2003: 273) beschriebenen Dualismen teilweise aufgehoben. Der mentale oder auch vorgestellte Raum, der aus dieser Depolarisierung resultierte, wäre eine spirituelle Landschaft mit realem Raumbezug. Der Terminus „spirituell“ wird hier im Sinne von „ (franz.) geistig“ verstanden (WISSENSCHAFTLICHER RAT DER DUDENREDAKTION 2006: 954). Die Kulturlandschaft würde dann nicht mehr auf eine materielle Dimension reduziert bleiben, sondern hätte ebenso eine immaterielle Dimension (vgl. THASSLER 2007: 129). Die von der Kulturgeographie als „trialectics of spatiality“ (SOJA 2003: 274) bezeichneten Konzepte versuchen den Raum mit den Attributen „perceived, conceived, lived“ zu beschreiben, was zu den Raumodellen „Firstspace, Secondspace und Thirdspace“ führte (ebd.: 274).
Während mit Firstspace (perceived spatiality) der wahrgenommene Raum beschrieben wird, der messbar und kartographisch erfassbar ist, beschreibt Secondspace (conceived spatiality) eher den mentalen Raum: „(...) der Secondspace ist stärker auf räumliche Images und Repräsentationen, sowie auf die kognitiven Prozesse und Konstruktions-weisen ausgerichtet. (...) Anstatt sich ausschließlich auf materiell wahrnehmbare räumliche Strukturen zu beziehen, konzentriert sich der Secondspace stärker auf kognitive, konstruierte und symbolische Welten. Man könnte ihn daher eher als idealistisch denn als materialistisch bezeichnen“ (ebd.: 275). Die Synthese beider Ansätze mündet in den Thirdspace (lived spatiality), der als gelebter Raum bezeichnet wird.
In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass diese Ansätze aus der nordamerikanischen Kulturgeographie nicht mit neueren Ansätzen wie der Europäischen Landschaftskonvention kongruent sind: „Der Begriff ´as perceived by people´ beinhaltet in den verbindlichen englisch- und französischsprachigen Versionen das Wahrnehmen, Erkennen und Verstehen von Landschaft mit allen Sinnen, bis hin zur Formung mentaler Bilder und Konzepte, die unter anderem durch Erfahrungseinflüsse zustande kommen“ (BRUNS 2007: 189). Der Terminus „perceived“ entspricht deshalb inhaltlich nicht der Lesart der nordamerikanischen Kulturgeographie, sondern ist dort inhaltlich mit dem Terminus „conceived“ verbunden.
Dieser erweitere Landschaftsbegriff wird auch praktisch in der Beschreibung von Landschaften angewandt, wenn es darum geht, die verschiedenen Aspekte (elements, characteristics, character) von Landschaften zu fassen: „ Character. The distinct and recognisable pattern of elements that occurs consistently in a particular type of landscape, and how this is perceived by people. (...) It creates the particular sense of place of different areas of the landscape” (THE LANDSCAPE INSTITUTE & INSTITUTE OF ENVIRONMENTAL MANAGEMENT AND ASSESSMENT 2002: 12). Der Aspekt der Land-schaftswahrnehmung gewinnt hier wiederum an Gewicht. Die Bedeutung, die Landschaften beigemessen werden, muss deshalb nicht aus einem naturwissen-schaftlichen Kontext kommen, ebenso können in einer emotionalen Beziehung Identitäts- und Heimatgefühle an einen Ort geknüpft werden.
Landschaft wird damit auch zu einer spirituellen Ressource: „ In both urban and rural contexts, the landscape is important because it is a resource that evokes sensual, cultural and spiritual responses and contributes to our urban and rural quality of life“(ebd.: 9). Im Sinne der Europäischen Landschaftskonvention (ELK, Art. 1a.) ist der Dualismus zwischen materieller und immaterieller Landschaft überwunden: „Landscape means an area, as perceived by people, whose character is the result of the action and interaction of natural and/or human factors“. Das Verständnis von Landschaft nach der Europäischen Landschaftskonvention (Abb. 7) entspricht damit dem Raummodell des Thirdspace , berücksichtigt die empirischen Felder des Landschaftsbewusstsein und behandelt die Aspekte von Landschaft, um den speziellen Charakter einer Landschaft (genius loci) zu identifizieren.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 7: Dimensionen der Kulturlandschaft (nach IPSEN et al. 2003, SOJA 2003, THE LANDSCAPE INSTITUTE & INSTITUTE OF ENVIRONMENTAL MANAGEMENT AND ASSESSMENT 2002; eigene Zusammenstellung).
Landschaftsexkurs I
Chief Tumu Te Heuheu: Culture, landscapes and the principle of guardianship, 2006.
Ko Taup j5 -nui-a-Tia te moana (Taup j5 is the sea)
My Inland Sea,
my medicinal waters offered as a gift by My
Mountain Tongariro
the foam and spray maker of the wake of Te
Reporepo, the emblem canoe of our tribe
Our spiritual womb, the cherishing waters of our
embryo life – giving, cherishing, fundamental
the seat of my emotions that ripple and wave in the
ceaseless lapping tides of survival
the mirror of my soul upon which I reflect
my waterpool that carves the face of the earth;
renews me, restores me, rebirths me
my lake that represents the pool of life, and I but one
drop, enjoined forever.
2.3.1. Spirituelle Landschaften
Die Konstituierung einer Kulturlandschaft erfolgt auf der kognitiven, ästhetischen und emotionalen Bewusstwerdung über einen physischen Raum. Die geistige Auseinander-setzung mit einer Landschaft schafft eine Vorstellung über diese im Kopf: „Damit ist die spirituelle Landschaft gemeint. Sie ist ein gedankliches Abbild unserer Umweltwahrnehmung. Sie ist das Bild, das wir gemacht haben, indem wir uns als Wesen in Bezug zur umgebenden realen Landschaft wahrgenommen haben. Die spirituelle Landschaft zeigt uns auch, wie wir diese reale Landschaft „erobern“ und in Besitz nehmen wollen. Unter welchem Aspekt wir dieses Handeln, das urbar machen von Landschaft sehen. Eine spirituelle Landschaft besitzt nämlich immer Ordnungssysteme und Strukturen, je nach Entwicklungsstand (dieser Begriff soll hier wertfrei gelesen werden!) des Menschen. Einmal ist die Struktur schamanistisch geprägt, einmal ist sie aufklärerisch geprägt. Das hat Einfluss darauf, wie wir unserer Natur- und Kulturlandschaft begegnen und diese gestalten“ (WOHOFSKY 2008: 10-11).
Nun könnte angenommen werden, dass Menschen sich immer ein Bild über eine Landschaft machen, egal wo sie sind und aus welchem Lebensmilieu sie kommen und deshalb per se alle Landschaften spirituell sind. Auf der Suche nach den spirituellen Landschaften der Insel Rügen wird der Begriff abweichend von dieser allgemeinen Schlussfolgerung aber in einem engeren, hier eigens definierten Sinne gebraucht:
Die spirituelle Landschaft ist und/oder war für mindestens eine Kulturepoche ein physischer Raum (Thirdspace, Kulturlandschaft) und aufgrund seiner Eigenart (Sense of place/ genius loci) für mehrere Menschen inspirierende und dauerhafte Quelle für eine geistige Tätigkeit (input der Landschaftswahrnehmung), die eine auf die Landschaft bezogene und/oder nur in ihr praktizierbare Handlung evoziert (output der Landschaftswahrnehmung), welche nicht auf eine materielle Wertschöpfung, sondern eine geistige Wertschätzung der Landschaft abzielt Das Ergebnis dieser Landschafts-reflektion kann sich sowohl in Ritualen, Traditionen und Bräuchen niederschlagen (immateriell), als auch in Werken der Kunst und Literatur, sowie in Architektur und Bauten (materiell), die nachweislich und vorrangig als Austragungsort von Spiritualität und damit verknüpfter Handlungen im Bezug auf die sie umgebende Landschaft dienen/ dienten.
[...]
- Quote paper
- Oliver Thaßler (Author), 2009, Spirituelle Landschaften, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/136484
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