Gegenstand der vorliegenden Arbeit ist der Widerstand im Nationalsozialismus in Karlsruhe in den Anfangsjahren der NS-Herrschaft, also vor allem in den Jahren 1933 und 1934. Aus historischer Sicht ist es interessant zu untersuchen, welche verschiedenen Formen von oppositionellen Aktivitäten es gerade in der Zeit der Umwälzung und der Gleichschaltung gegeben hat.
Gegen den Nationalsozialismus wurde bereits vor 1933 auf politischer Ebene durch die Arbeiterparteien (SPD, KPD) vorgegangen, sei es in Versammlungssälen, in der Presse, vor ordentlichen Gerichten oder auf der Straße. Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten setzte sich ihr Kampf fort, erfolgte jedoch unter völlig anderen Voraussetzungen. Als Reaktion auf den Berliner Reichstagsbrand wurde am 28. Februar 1933 die sog. „Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat“ offiziell zur „Abwehr kommunistischer staatsgefährdender Gewaltakte“ verabschiedet, welche später von den Nationalsozialisten jedoch als „Generalpräventivmaßnahme gegen jegliche oppositionellen Bewegungen“ eingesetzt wurde. Wer gegen diese Anordnungen verstieß, musste nach §4 mit einer Gefängnisstrafe „nicht unter einem Monat oder mit Geldstrafe von 150 bis zu 15.000 Reichsmark“ rechnen.
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
1. Einleitung
2. Begriffsbestimmung: Widerstand
3. Widerstand aus dem Glauben: Die Zeugen Jehovas
Emil Rössler
Emilie Wickert
Adolf Wilhelm Mühlhäuser
Willi Seitz
4. Kirchlicher Widerstand
5. Kommunistischer Widerstand
Karl Friedrich Frei / Karoline Frei / Richard Albert Goldschmidt
Justus Leitz
Eugen Eckerlin
Karl Strober
Arthur Wiesemann
August Dosenbach
Otto Schneider / Adolf Schuler / Oskar Burgstahler
Albert Leopold und Max Leopold
Alwin Kutterer und Artur Perino
Karl Seib
Albert Brussel
Oskar Beneter
Ludwig Heinrich Friedrich Brieskorn / Elise Brieskorn / Karl Georg Ernst
Wilhelm Kunle
Johann Heinrich Wagenblaß
Karl Friedrich Wankmüller
Ernst Wunderle
Otto August Preiß / Erich Weingärtner
Gustav Kappler
Friedrich Karl Hans Dietz
6. Sozialdemokratischer Widerstand 50
Eugen Kern
Hermann Walter / Karl Konz / Hellmuth Stutz
Wilhelm Jakob Knobloch
Richard Zöller / Theodor Kunz
Friedrich Weick
Michael Lampert
7. Sonstiger Widerstand
Otto Hafner
8. Didaktische Umsetzung in der Sekundarstufe 1
9. Fazit
Literaturverzeichnis
Sonstige Quellen
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: In der Wohnung Adolf Mühlhäusers gefundener Versammlungsplan (Quelle: GLA 507 2115)
Abbildung 2: Pressemitteilung des Staatsministeriums am Sondergericht Mannheim (Quelle: GLA 507 11942)
Abbildung 3: Zeitungsartikel: „Hakenkreuzbanner“, Dienstag, 17. April 1934, Frühausgabe (Quelle: GLA 507 11936)
Abbildung 4: „Der Führer“, Karlsruhe, Nr. 573 vom 12.12.1934 (Quelle: GLA 507 12056)
Abbildung 5: Tarnschrift „Die Kunst des Selbstrasierens“ (Quelle: Metzeler, Dirk et. al. (1996):Widerstand und Verfolgung in Südbaden. Waldkirch: Selbstverlag, S. 145)
Abbildung 6: „Neuer Vorwärts“, Ausgabe vom 18. Juni 1933 (Quelle: http://library.fes.de/fulltext/sozmit/abb-03-big.jpg, aufgerufen am 24.04.2013)
Abbildung 7: Zeitungsartikel über die Verurteilung Weicks (Quelle: Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen (ASF) Karlsruhe (Hrsg.) (1983): Erlebte Geschichte. Karlsruher Frauen berichten aus der Zeit des Nationalsozialismus, S. 81)
Abbildung 8: Urteilsschrift der Staatsanwaltschaft Mannheim in Sachen Friedrich Weick (Quelle: GLA 507 11961)
Abbildung 9: Otto Hafner (Quelle: Werner, Josef (1988): Hakenkreuz und Judenstern. Das Schicksal der Karlsruher Juden im Dritten Reich. Karlsruhe. Badenia Verlag, S. 427)..
Abbildung 10: Straßenschild August-Dosenbach-Str. in Karlsruhe (Quelle: http://www.ns- in-ka.de/de/startseite/stationen/stationen-liste/august-dosenbach-strasse.html, aufgerufen am 25.04.2013)
Abbildung 11: „Multimedialer Parcours“: Wege des Widerstandes (Quelle: LernOrt Kislau. Grundzüge eines Nutzungskonzepts. LernOrt Zivilcourage e.V, S. 4)
1. Einleitung
Mit der Machtübernahme Hitlers am 30.01.1933 begann in Deutschland die endgültige Herrschaft des NS-Regimes. Gleichwohl war es auch der Beginn von zahlreichen Aktionen verschiedener Einzelpersonen und Gruppen, die nicht hinnahmen, sich der Herrschaft der Nationalsozialisten widerstandslos unterzuordnen.
Gegenstand der vorliegenden Arbeit ist der Widerstand im Nationalsozialismus in Karlsruhe in den Anfangsjahren der NS-Herrschaft, also vor allem in den Jahren 1933 und 1934. Aus historischer Sicht ist es interessant zu untersuchen, welche verschiedenen Formen von oppositionellen Aktivitäten es gerade in der Zeit der Umwälzung und der Gleichschaltung gegeben hat.
Gegen den Nationalsozialismus wurde bereits vor 1933 auf politischer Ebene durch die Arbeiterparteien (SPD, KPD) vorgegangen, sei es in Versammlungssälen, in der Presse, vor ordentlichen Gerichten oder auf der Straße. Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten setzte sich ihr Kampf fort, erfolgte jedoch unter völlig anderen Voraussetzungen. Als Reaktion auf den Berliner Reichstagsbrand wurde am 28. Februar 1933 die sog. „Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat“ offiziell zur „Abwehr kommunistischer staatsgefährdender Gewaltakte“ verabschiedet, welche später von den Nationalsozialisten jedoch als „Generalpräventivmaßnahme gegen jegliche oppositionellen Bewegungen“ eingesetzt wurde.1 Wer gegen diese Anordnungen verstieß, musste nach §4 mit einer Gefängnisstrafe „nicht unter einem Monat oder mit Geldstrafe von 150 bis zu 15.000 Reichsmark“ rechnen.2 3
Kommunisten, Sozialdemokraten und Gewerkschafter waren die ersten Gruppen in Karlsruhe, „die nach der Machtergreifung zu spüren bekamen, wie die Nationalsozialisten mit ihren Gegnern umzuspringen gedachten“ und die „eine Welle der Verhaftungen - „Schutzhaftmaßnahmen“ genannt - im März 1933 (...) traf“.4 Innerhalb einer Märzwoche wurden über einhundert Festnahmen laut einem Polizeibericht für Karlsruhe vermeldet.5
Mit dem Verbot der Parteizeitungen und der Schließung der Parteibüros waren die Arbeiterparteien praktisch schon im März, ein Vierteljahr vor dem gesetzlichen Verbot, aktionsunfähig. Die Verbote der parteinahen Vereine oder ihre Fusionierung mit bürgerlichen Vereinen folgten ebenfalls noch 1933.6
Unter Anordnung der - durch Verordnung des badischen Ministers des Innern vom 26.8.1933 gebildeten - Geheimen Staatspolizeiamtes in Karlsruhe wurden während des Jahres 1933 504 Funktionäre der KPD und ihrer Unterorganisationen sowie 324 Funktionäre der SPD in Schutzhaft genommen.7
Laut einem Schreiben des badischen Innenministers an den Karlsruher Polizeipräsidenten vom 31.07.1933, befanden sich 314 Personen in Konzentrationslagern, darunter 29 Karlsruher, wie aus einem „Verzeichnis der durch Schub nach Konzentrationslagern verbrachten Schutzhäftlinge“ hervorgeht.8 In Pressemitteilungen berichteten die Nationalsozialisten stolz von Verhaftungen und Verurteilungen von Karlsruher Widerstandskämpfern. Um die als gefährlich angesehenen Schutzhäftlinge abgeschieden von der Umwelt kontrollieren zu können, wurde am 20.04.1933 in Kislau ein Konzentrationslager errichtet. Nach Kislau kamen überwiegend KPD-Funktionäre.9
Am 16.05.1933 wurden sieben Karlsruher SPD-Politiker nach einer offenen Zurschaustellung auf einem offenen Lastkraftwagen und unter Hohn und Spott Tausender dort inhaftiert. Neben Ludwig Marum, waren dies Adam Remmele, Hermann Stenz, Sally Grünebaum, Erwin Sammet, August Furrer und Gustav Heller. Der ein Jahr später im KZ ermordete Ludwig Marum, gilt im Allgemeinen als Verfolgter und wird in der Literatur eher nicht dem Widerstand gegen das NS-Regimes zugeordnet, obwohl Marum ein eifriger Wahlkämpfer war und in seinen Reden als Politiker entschieden gegen die Nationalsozialisten vorging .10 Bei den Wahlreden zum 5. März 1933 griff der Sozialdemokrat die Nationalsozialisten massiv an, indem er die wahren Ursachen der Arbeitslosigkeit und der Weltwirtschaftskrise analysierte und sich „gegen die erwartete Überflutung allen staatlichen Lebens durch die Machthaber der Partei“ aussprach.11 Der Politiker zog sich deshalb - bestärkt durch die Tatsache, dass Marum Jude war und in seinen zahlreichen Gerichtsverfahren seine politische Überzeugung offenlegte - bereits früh den Hass der leitenden Persönlichkeiten der badischen Gauleitung der NSDAP auf sich.12 13 In einem Flugblatt mittel- und südbadischer Widerstandsgruppen von Januar 1935 wurden die offiziellen Berichte über die inhaftierten Politiker kritisiert. Die Todesursache Marums wurde offen angezweifelt: „Wir denken bei uns in Baden immer an den Fall des sozialdemokratischen Staatsrates Marum, den man im Konzentrationslager Kislau nach den unmenschlichsten Quälereien zum „Selbstmord“ getrieben hat.“14
Manfred Koch beziffert die Opfer des Nationalsozialismus aus Karlsruhe, die dem Widertand aus politischen oder religiösen Motiven zugerechnet werden können, auf 40 bis 70 und nennt prominente Namen wie Ludwig Marum, August Dosenbach, Theodor Knobloch sowie Reinhold Frank.15 Viele der Opfer wurden jedoch erst in den späten 30er Jahren denunziert und verhaftet und starben in den 40er Jahren in Konzentrationslagern.
Nach den prominenten Opfern (Frank, Dosenbach, Marum) wurden bereits im Jahr 1946 Straßen benannt. „Der weitaus größte Teil der Karlsruher und Karlsruherinnen, die im Dritten Reich Widerstand geleistet und dafür mit ihrem Leben bezahlt haben, ist dagegen bis heute nahezu unbekannt geblieben. Dies gilt noch mehr für die etwa 600 bis 700 Karlsruher und Karlsruherinnen, die für ihre Überzeugung ins Gefängnis, Zuchthaus oder Konzentrationslager wanderten.“16 Nach Angaben des Statistischen Amtes der Stadt Karlsruhe wurden die inhaftierten Gegner des Nationalsozialismus im Jahr 1959 auf 601, im heimatgeschichtlichen Wegweiser auf 719 beziffert.17
Dennoch ist der Widerstand in Karlsruhe - vor allem in den Anfangsjahren des Nationalsozialismus - noch nicht dezidiert aufgearbeitet. Da der Widerstand nur in geheimen, und organisierten Gruppen möglich war, sind Dokumente aus dieser Zeit rar. Zeitzeugen sind im Jahr 2013 so gut wie ausgeschlossen, weshalb vor allem auf Dokumente der Nationalsozialisten zurückgegriffen werden muss. Dies sind zum einen die regelmäßigen Lageberichte der Geheimen Staatspolizei und zum anderen die Akten der Staatsanwaltschaften der Gerichte, hauptsächlich die Dokumente des Sondergerichts Mannheim, das im März 1933 dort gebildet wurde und für das gesamte Land Baden zuständig war. Dem Oberlandesgericht Karlsruhe wurden dadurch zahlreiche Verfahren wegen politischer Straftaten abgenommen. Die Bilanz des Sondergerichts bis 1936 dokumentiert zugleich den Umfang des Widerstands gegen die nationalsozialistischen Machthaber: Im Jahr 1933 verkündete das badische Sondergericht 167 Urteile. 1935 wurden 197 und 1936 sogar 382 Urteile ausgesprochen. Aufgrund der vielen „politischen“ Prozesse ordnete der Karlsruher Generalstaatsanwalt im März 1936 an, dass über Hochverrats- und Sondergerichtsurteile nur noch in Ausnahmefällen in der Presse berichtet werden dürfe. In einem „Lagebericht“ vom 30.07.1936 an den Reichsminister der Justiz bestätigte der Karlsruher Generalstaatsanwalt die von der breiten Öffentlichkeit damals nur wenig bemerkte Aktivität politischer Gegner mit dem Hinweis, „bei der großen Zahl der dauernd in Untersuchungshaft befindlichen Hochverräter . (trifft) die Raumnot in Badischen Gefängnissen täglich neu zum Bewusstsein.“18
Mit der im Jahr 1947 geschaffenen Landesbezirksstelle für Widergutmachung für Nordbaden - später Landesamt für Wiedergutmachung - kommt eine weitere Quelle in Betracht, die mitunter Aussagen von Zeitzeugen beinhalten.
Die in dieser Arbeit vorgestellten Einzelpersonen und Widerstandsgruppen können trotz der dezidierten Recherchen keine Vollständigkeit beanspruchen. Personen können bislang unbekannt, oder das Handeln bekannter Personen nicht im gesamten Umfang bekannt sein.
2. Begriffsbestimmung: Widerstand
Wer an Widerstand im Nationalsozialismus denkt, dem fallen die „großen“ und durch den Geschichtsunterricht bekannten Widerstandskämpfer Claus Schenk Graf von Stauffenberg, die Geschwister Scholl und womöglich noch Georg Elser ein. Stauffenberg, seine Unterstützer und Elser waren die einzigen Personen dieser Zeit, die ein Attentat auf Adolf Hitler planten und durchführten.
Schulbücher konzentrieren sich ebenfalls auf die Darstellung des „militärischen und zivilen Widerstandes organisierter Gruppen bzw. auf Formen des Widerstandes aus der Institution Kircher heraus.“19 Die regionalgeschichtliche Betrachtung und Aufarbeitung von Widerstand im Nationalsozialismus fand anfänglich keine Anwendung.
Hinsichtlich des Geschichtsunterrichts ergeben sich gar neue Chancen. Die aktive und stark schülerzentrierte Auseinandersetzung mit Orts- und Stadtgeschichte ist sicherlich motivierender auf Schülerinnen und Schüler im jugendlichen Alter, als das Lernen mit dem Schulbuch. Die Arbeit im Archiv und das Suchen nach Widerstandskämpfern im eigenen Ort / in der eigenen Stadt kann die Neugierde der Lernenden wecken.
Beschäftigt man sich näher mit Widerstand im Nationalsozialismus in Deutschland, entnimmt man den Veröffentlichungen, dass es weit mehr Beispiele von Widerstand in Deutschland gab, wenn auch - in den meisten Fällen - auf gewaltsame Methoden wie Aufstände oder Attentate verzichtet wurde. Daraus folgert schlussendlich, dass Widerstand nicht ausschließlich gewaltsame Aktionen wie die von Graf von Stauffenberg und Elser gegen den Nationalsozialismus beinhaltet. Vor allem wird klar, dass es in der Fachliteratur verschiedene Auffassungen und Definitionsversuche von Widerstand im Dritten Reich gibt. Da sich Widerstand im Nationalsozialismus auf so vielfältige Weise zeigte, ist eine Begriffsbestimmung nicht einfach. Vor allem in den 50er Jahren, infolge der Rezeption des Stauffenberg-Attentats auf Hitler, ging die Wissenschaft von einem engeren Widerstandsbegriff aus. Widerstand verstand man als aktive Maßnahme das NS-Regime zu stürzen. Dies würde den Begriff auf den Widerstand des Militärs einschränken. Seit der zweiten Hälfte der 1960er Jahre kann man von einer kritischen und kontroversen Widerstandsforschung sprechen, die den Widerstandsbegriff sehr viel weiter und differenzierter betrachtet.
In der Literatur herrschen verschiedene Begriffsbestimmungen von Widerstand vor. Die Brockhaus-Enzyklopädie definiert Widerstand ausschließlich politisch, als eine „organisierte Form der Auflehnung gegen ein Regierungs- oder Besatzungssystem, dessen Herrschaftsausübung als diktatorisch oder darüber hinaus als menschenrechtsfeindlich betrachtet wird.“20 Diese Definition ist jedoch eng gefasst und impliziert, dass Widerstand organisiert also geplant sei. Spontane und eher lose organisierte Aktionen von Einzelpersonen gegen das Regime wären somit nicht miteingeschlossen. Widerstand muss jedoch nicht zwingend eine konstante und über einen längeren Zeitraum andauernde Aktivität bedeuten.
Das Ministerium für politische Befreiung in Württemberg-Baden definierte den Begriff Widerstand im Jahr 1947 so, wodurch folgende Tatbestände miteingeschlossen waren: „Aktive Teilnahme an einer Widerstandsbewegung, aktive Maßnahme zum Schutze eines politisch, rassisch oder religiös Verfolgten, Verbreitung antifaschistischer Schriften, Beeinflussung Untergebener im antifaschistischen Sinne, Sabotage nationalsozialistischer Maßnahmen und Ziele u.ä.“21
Vor allem die neuere Forschung hat den Begriff Widerstand weiter gefasst: „Neben der auf den Umsturz des Regimes zielenden Aktivität subsumiert man heute unter Widerstand auch das breite Spektrum von nonkonformen Verhalten, über stillschweigenden Ungehorsam bis zum offenen Protest.22
Der Historiker Wolfgang Altgeld grenzt Widerstand von Resistenz, Dissidenz und Nonkonformität ab und unterscheidet fünf verschiedene Stufen:
- Aktiver Widerstand (auf den Umsturz zielend: z.B. Attentat, Putsch)
- Passiver Widerstand (Radio, Gesprächskreise, Bücher)
- Resistenz (Verneinung des Systems)
- Dissidenz (Widerspruch in Einzelfragen)
- Nonkonformität
Resistenz, Dissidenz und Nonkonformität betrachtet Altgeld demnach als Formen widerständigen Verhaltens.23 Diese verschiedenen Beispiele widerständigen Verhaltens zeigten sich z.B. in der Verweigerung des sogenannten deutschen Grußes („Heil Hitler“) oder in „defätistischen Reden, die den „Endsieg“ der deutschen Wehrmacht im Krieg in Frage stellten“.24 Es zeigt sich, dass sich oppositionelles Verhalten in verschiedenen Formen zeigen konnte, z.B. „durch Nichtanpassung an die Erfordernisse des nationalsozialistischen Alltags in Beruf und Privatleben, durch Hilfe für Verfolgte oder durch die Weigerung, an offensichtlichem Unrecht mitzuwirken, bis hin zum aktiven Widerstand, der in einem totalitären System selbst mit Lebensgefahr für den Betroffenen . aber auch für seine Familie - verbunden ist (.. ,).“25
Markmann unterscheidet differenzierter zwischen passivem und aktivem Widerstand. Er zählt Handlungsweisen wie z. B. Emigration, Desertation, Verbleiben im Amt zur Obstruktion, individueller Rücktritt vom Amt, Sabotage (militärische Obstruktion, Verrat militärischer Geheimnisse), Gehorsamsverweigerung und Streik zum passiven Widerstand. Unter aktivem Widerstand versteht er Methoden wie „geistige Waffen“ (Flugblätter, konspirative Gespräche, illegales Memorandum) und Gewaltmethoden (Überfälle, Brandstiftung, Attentat, offener Aufstand).
Trotz der sehr weiten Definition von Widerstand und den sicherlich teils fließenden Grenzen zeigte sich widerständiges Verhalten in Deutschland nur sehr wenig.26
Der Schwerpunkt der hier vorliegenden Arbeit liegt auf dem aktiven und passiven Widerstand, wenngleich auch Beispiele von resistentem Verhalten aufgeführt werden.
3. Widerstand aus dem Glauben: Die Zeugen Jehovas
Als erste religiöse Vereinigung wurden Jehovas Zeugen im Mai 1933 verboten. Keine andere Religionsgemeinschaft ist von den Nationalsozialisten so unerbittlich verfolgt worden.27 Dies zeigt zum einen die Vielzahl der Erscheinungen in den Lageberichten der Gestapo Karlsruhe und die zahlreichen Akten beim Sondergericht Mannheim.
Neben bekannten Personen des Widerstands aus dem religiösen Umfeld wie Julius Engelhard, gibt es auch Zeugnisse von weniger großen Formen des Widerstandes in Karlsruhe.
Julius Engelhard, der als Drucker, Kurier und Organisator der Zeugen Jehovas arbeitete, war in Karlsruhe aktiv, jedoch erst ab 1939. Weshalb Engelhard daher in dieser Arbeit keine Rolle spielen soll. Ohnehin wurde seine Lebensgeschichte bereits ausführlich in dem von Bosch und Niess herausgebrachten Werk „Der Widerstand im deutschen Südwesten 1933-1945“ durch Manfred Koch beschrieben.
In Baden wurde die Internationale Bibelforscher-Vereinigung durch ministerielle Verordnung am 15. Mai 1933 aufgelöst. Der vorhandene Besitz und das Vermögen wurden beschlagnahmt.28 Doch schon im Frühjahr - mit der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten - wurden erste Verfolgungsmaßnahmen gegen die Bibelforscher dokumentiert.29 Erste Absprachen über illegale Tätigkeiten der Bibelforscher wurden auf dem Kongress der Zeugen Jehovas vom 7. bis 9. September 1934 beschlossen: die Wideraufnahme des „Predigtdienstes“ und die Unterbreitung eines Protestschreibens an den Reichskanzler, welches am 7. Oktober 1934 an die Reichsregierung verschickt wurde. Es folgten weitere Protesttelegramme aus Deutschland, u.a. auch aus Karlsruhe. Dort hatte der illegale Dienstleiter der Zeugen Jehovas Adolf Mühlhäuser (1882-1940) das Schreiben von Otto Schwarz (1892 - 1956) erhalten. Mühlhäuser verlas das Schreiben noch am selben Abend vor „mehreren in seiner Wohnung versammelten Glaubensanhängern“30
In dem Telegramm-Schreiben war u.a. folgendes zu lesen: „Ihre schlechte Behandlung der Zeugen Jehovas empört alle guten Menschen und entehrt Gottes Namen. Hören Sie auf, Jehovas Zeugen weiterhin zu verfolgen, sonst wird Gott Sie und Ihre nationale Partei vernichten“31 Jene Versammlung am 07.10.1934 galt bei den Nationalsozialisten als eine „Protestkundgebung gegen das Verbot der „Ernsten Bibelforscher“ (.), [in der] zum weiteren Zusammenhalt innerhalb der Sekte aufgefordert wurde.“32 Ihre Teilnahme an dieser Versammlung und weitere Aktivitäten (Besuch von Versammlungen und Kongressen, Bezug des „Wachtturms“, Aufbewahrung von Druckschriften) wurde bspw. den Karlsruherinnen Klara Thekla Janzer, geb. Hilberer (wohnhaft in der Kirchfeldsiedlung, Neureut) und Emma Vieser (wohnhaft in der Bismarckstraße) zum Verhängnis.33 Sie wurden wie viele andere Zeugen Jehovas vor dem Sondergericht angeklagt.
Nach dem 7.10.1934 trafen sich viele der Karlsruher Zeugen Jehovas in kleinen Gruppen. Damit verstießen die Zeugen Jehovas gegen die Bestimmungen der Nationalsozialisten, die ihre Aktivitäten als politischen Widerstand auslegten, wenn auch die meisten der Zeugen Jehovas keineswegs politisch motiviert waren. Viele von ihnen gaben an, politisch oder gewerkschaftlich nicht organisiert gewesen zu sein. In einer Urteilsschrift des Sondergericht Mannheims heißt es: „Der Ernste Bibelforscher hat Jehova mehr zu gehorchen als den Menschen. Er prüft daher die behördlichen Anordnungen, ob sie mit den Gesetzen Jehovas im Einklang stehen, und lehnt sie ab, wenn er glaubt, dass sie Jehovas Gesetz widersprechen. Als Zeugen Jehovas stehen die Angeklagten dem heutigen Staat teilnahmslos gegenüber. Sie lehnen jede politische Tätigkeit ab. An Wahlen oder sonstigen Veranstaltungen des Staates oder der Partei nehmen sie nicht teil. Zum Teil verweigern sie den Hitlergruss [sic!].“34
Verweigerndes Verhalten zeigte sich bei vielen jungen Zeugen Jehovas dadurch, dass sie als Schulkinder in der Institution Schule den Hitlergruß verweigerten. Der junge Erich Johe aus Karlsruhe-Mühlburg wurde bspw. von seinem Lehrer geschlagen, weil er nicht mit „Heil Hitler“ grüßte.35 Er und seine zwei Brüder waren als Bibelforscherkinder „ständigen Schikanen“ ausgesetzt.36 Aus dem Berufsleben schieden ebenfalls einige der Bibelforscher aus, da sie wie z.B. Wilhelm Wolf, der seine Arbeitsstelle bei der Stadt Karlsruhe verlor, nicht bereit waren, den Treue-Eid auf den Führer zu leisten oder wie z.B. Karl Hilberer, der seinen Arbeitsplatz beim Städtischen Gartenamt Karlsruhe verlor, weil er nicht mit „Heil Hitler“ grüßte.37 Zur Zeit des Kriegs sind einige Fälle von Kriegsdienstverweigerungen dokumentiert, die in nahezu allen Fällen mit dem Tod bestraft wurden.
Den Karlsruher Zeugen Jehovas wurde oftmals zum Verhängnis, dass sie illegale Druckschriften wie der „Wachtturm“ bezogen und sich als Bibelforscher taufen ließen. Manche von ihnen stellten hierfür anderen ihre Wohnungen zur Verfügung. Die meisten dieser Fälle sind jedoch später datiert. Für die Jahre 1933 und 1934 ließen sich dokumentierte Vorfälle in derartiger Vielzahl nicht finden. Darüber hinaus wurden die Bibelforscher angeklagt, weil sie die in Basel und Luzern stattfindenden Kongresse der Internationalen Vereinigung Ernster Bibelforscher im September 1934 und später im Jahr 1936 teilnahmen.38
Die oben aufgeführten Beispiele von widerständigem oder nonkonformem Verhalten führen Angela Genger, Leiterin der Gedenkstätte Düsseldorf, zu folgendem Resümee: „Die Zeugen Jehovas haben die Frage nach der Macht des Staates und der moralischen Pflicht des christlichen Gewissens am radikalsten beantwortet. Sie haben in der NS-Zeit mutiger bekannt, treuer gebetet, fröhlicher geglaubt und brennender geliebt als viele andere Christen. Sie verweigerten sowohl den Hitler-Gruß als auch den Kriegsdienst. Beides hatte Konsequenzen: Gefängnis, Zuchthaus, Konzentrationslager, den gewaltsamen Tod“.39 Allein 1933 wurde jeder Zweite von ca. 30 000 Zeugen Jehovas in ganz Deutschland von den Nationalsozialisten verfolgt.40 Auch für die Stadt Karlsruhe mag die Aussage Gengers durchaus zutreffen. Dies zeigen die wenigen Beispiele von widerständigem oder nonkonformen Verhalten gläubiger Christen in Karlsruhe aus religiösen Gründen. Denn der Widerstand der Zeugen war ausschließlich aus Gründen ihres Glaubens motiviert.
Emil Rössler
Der in der Goethestraße wohnende Buchbinder Emil Rössler schloss sich im Jahr 1922 den „Ernsten Bibelforschern“ an und bezog in regelmäßigen Abständen die Zeitschrift „Der Wachtturm“ von Mühlhäuser. Er selbst hatte vor dem Verbot der Glaubensgemeinschaft die Aufgabe, in Karlsruhe die periodisch erscheinende Druckschrift „Das goldene Zeitalter“ an die „einzelnen Glaubensgeschwister“ zu verteilen.41 Darüber hinaus missionierte Rössler längere Zeit von Haus zu Haus.
Er war bei der Firma Bolz in Karlsruhe angestellt, wurde dort jedoch am 30.04.1933 entlassen, da er sich weigerte eine schriftliche Verpflichtung zu unterschreiben, in der er versichern sollte, „mit dem Deutschen Gruß zu grüssen [sic!] und sich an politischen Aufmärschen zu beteiligen“.42
Rössler wurde vom Sondergericht Mannheim im Frühjahr 1937 zu einer Gefängnisstrafe von drei Monaten verurteilt.
Emilie Wickert
Die in Durlach wohnhafte Emilie Wickert, geb. Geiger, war ebenfalls Empfängerin der von Mühlhäuser verbreiteten Druckschriften. Neben der Teilnahme an den Treffen in der Wohnung von Mühlhäuser, veranstaltete die am 15.03.1866 in Durlach geborene Wickert selbst in Abständen von ca. sechs Wochen Bibelbetrachtungen bei sich. Diese Bibelbetrachtungen fingen - nach Angaben Wickerts - Anfang des Jahres 1935 an. Die Zusammenkünfte um den Kreis bestehend aus u.a. Mühlhäuser, Schwarz, Seitz, Emma Vieser und den Eheleuten Soulier fanden in Abständen von acht Tagen bis drei Wochen statt. Auf den Treffen wurde vereinbart, wann und wo die nächste Zusammenkunft stattfindet. Zu diesen Treffen erschienen auch Bibelforscher aus Berghausen.
Wickert nahm im September 1934 an einem Kongress der Internationalen Vereinigung Ernster Bibelforscher in Basel teil. Jene Kongresse gingen u.a. bis zu vier Tagen.
Wickert wurde im März 1937 zu einer Gefängnisstrafe von drei Monaten verurteilt.43
Adolf Wilhelm Mühlhäuser
Der Metzger Adolf Wilhelm Mühlhäuser kam am 3. September 1882 in Birkach auf die Welt. 1920 ließ er sich durch die Wassertaufe taufen. Für den Bereich Karlsruhe war Mühlhäuser - wohnhaft in der Grenzstraße - als Bezirksdienstleiter der Zeugen Jehovas tätig. In regelmäßigen Abständen brachte er seinem Glaubensbruder Heinrich Wesch - Dienstleiter der Zeugen Jehovas in Heidelberg - Exemplare der Zeitschrift „Wachtturm“, welche im Abzugsverfahren hergestellt wurden. Zimmermeister Wesch hatte wiederum die Aufgabe die Zeitschriften in seinem Bezirk zu verteilen. Mühlhäuser verbreitete die im Abzugsverfahren hergestellten Druckschriften auch innerhalb von Karlsruhe, wie verschiedene Dokumente belegen. Die Zeitschrift „Der Wachtturm“ wurde in Bern hergestellt. In Karlsruhe vervielfältigte Mühlhäuser die einzelnen Exemplare, um diese dann an die Gruppen der Bibelforscher in Karlsruhe, Mannheim, Mainz, Frankfurt, Offenburg, Freiburg und Speyer weiterzuverbreiten. Jeweils wurden ca. 300 Exemplare hergestellt. Für Karlsruhe selbst wurden nur 45 Exemplare benötigt, die Mühlhäuser selbst und durch andere verteilen ließ. Bereits 1934 wurde bei Mühlhäuser eine Hausdurchsuchung durchgeführt, bei der Bücher und Broschüren beschlagnahmt wurden. Wegen diesen und anderen Aktivitäten befand sich der Karlsruher vom 28. März 1935 bis zum 6. April 1935 in Schutzhaft.44 1936 wurde Mühlhäuser entdeckt, wie er Druckschriften der Ernsten Bibelforscher in Ettlingen von Haus zu Haus anbot. Bei einer anschließenden Hausdurchsuchung wurden zwei Bögen Durchschlagpapier, „die zur Herstellung eines Planes für eine regelmäßige Versammlungstätigkeit der Ernsten Bibelforscher in Karlsruhe benutzt wurden“.45
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: In der Wohnung Adolf Mühlhäusers gefundener Versammlungsplan
Ferner stellte Mühlhäuser seine Wohnung für regelmäßig stattfindende Zusammenkünfte der Ernsten Bibelforscher zur Verfügung.46 Seit Anfang 1935 bis Juli 1936 fanden diese Treffen alle 14 Tage statt. Dabei wurden Bibelstellen im Sinne der Lehre der Ernsten Bibelforscher erörtert.47 Zu diesem Kreis gehörten Wilhelm Soulier (Privatier, wohnhaft in der Kriegsstraße), Karl Matthes (Kellner, wohnhaft in der Yorkstraße), Josef Franz Seitz (Heizer, wohnhaft in der Kriegsstraße) sowie weitere Zeugen Jehovas aus umliegenden Gemeinden. Zu jedem Treffen wurde eine bibelkundige Person als „Ordnungsmann“ („Bruder) bestellt, die die Zusammenkünfte leitete.48 Mühlhäuser sprach in einem Verhör von sechs Karlsruher Gruppen und einer Gruppe in Durlach mit folgenden Namen: „Yorkstraße“ (Matthes), „Körnerstraße“ (Hetz), „Philippsstraße“ (Sessler), „Zeppelinstraße“ (Rudolf Rempfer, Mechanikermeister), „Hardtwald“ (Janzer, Hilberer), „Soulier“ und die Gruppe „Durlach Grenzstraße“. Eine Grenzstraße in Durlach gab es zu dieser Zeit nicht. Die Treffen fanden entweder in der Wohnung Mühlhäusers, der in der Grenzstraße in Karlsruhe wohnte, oder in Durlach statt.49 Mühlhäuser selbst war nicht bei allen Zusammenkünften in seiner Wohnung anwesend, da er - in seiner Funktion als Ordnungsmann - nahezu jede Woche bei Zusammenkünften zugegen war.
Mühlhäuser und seine Frau Emma Mühlhäuser, geb. Friedrich, nahmen im September 1934 am Weltkongress der Ernsten Bibelforscher in Basel teil. Mühlhäuser wurde am 3.12.1936 vom Sondergericht Mannheim zu einer zweijährigen Gefängnisstrafe verurteilt, die er in Karlsruher verbrachte. Anschließend kam er ins KZ Dachau und in das KZ Mauthausen, wo er am 20. März 1940 „aufgrund ständiger Misshandlungen“ ums Leben kam.50 Die Karlsruher Zeugen Jehovas, die den insgesamt sieben Gruppen in Karlsruhe und Durlach angehörten, wurden nahezu alle verhaftet und zu mehrmonatigen Gefängnisstrafen verurteilt.
In einem Verhör gab Mühlhäuser über seine Missionsarbeit zu Protokoll: „Ich habe den Leuten erklärt, dass ich ihnen Aufklärung geben wolle an Hand der Schrift, dass wir heute in einer Zeit stehen, wo grosse [sic!] Ratlosigkeit herrscht unter allen Nationen und darüber gebe die Heilige Schrift Auskunft.“51
Willi Seitz
Willie Seitz, am 11.03.1923 als Sohn der Eheleute Joseph Franz Seitz und Anna Seitz geboren, zeigte als Kind und Jugendlicher während der Herrschaft der Nationalsozialisten resistentes und mutiges Verhalten. Er wurde aus der Schule ausgeschlossen, da er sich weigerte, „die Fahne zu grüßen und die Nazi-Lieder mitzusingen“.52
In einem Schulaufsatz mit dem Thema „Dem Führer die Treue“ schrieb er, „dass er nur dem die Treue halten könne, der Himmel und Erde geschaffen habe“.53 Seitz wurde von nun an ganz aus der Klassengemeinschaft ausgeschlossen. Sozial isoliert verweigerte er dennoch den Eintritt in die „Hitlerjugend“.
Schon sein Vater Joseph Franz Seitz verlor 1936 seinen Arbeitsplatz als Hilfsheizer bei der Stadtverwaltung Karlsruhe, da er sich „aus religiösen Gründen weigerte, den deutschen Gruss [sic!] zu erweisen.“54 Seitz nahm im September 1934 am Kongress der Ernsten Bibelforscher in Basel teil und gehörte dem Versammlungskreis um Mühlhäuser an.
4. Kirchlicher Widerstand
Die beiden Volkskirchen waren zu einem organisierten Widerstand, wie ihn die Zeugen Jehovas leisteten, nicht bereit und auch nicht fähig.55 Sowohl der Protestantismus als auch der Katholizismus standen vor allem in den Anfangsjahren nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten defensiv dem NS-Regime gegenüber. Lediglich die eigene Organisation und die christliche Lehre wurden gegen Übergriffe des Staates verteidigt.56
Für Karlsruhe sind am Anfang des NS-Regimes nahezu keine Fälle von widerständigem Verhalten Geistlicher und Gläubiger dokumentiert. Anders sieht es für die späten 30er- Jahre aus, wie folgendes Beispiel zeigt: Der Pfarrerkandidat Ernst Münz wurde am 12.01.1915 in Durlach geboren. Bei einer Hausdurchsuchung am 16. Mai 1939 wurden mehrere Exemplare der Druckschrift „Die Zerstörung der Kirche durch die Finanzabteilung“ vorgefunden, sowie ein Vortrag von Prof. Karl Barth, „der abfällige Äusserungen [sic!] über das Deutsche Reich und NS Bewegung enthalten hat“.57 Jene Druckschrift wurde von dem Vikar Paul Mennacher (geb. 13.09.1911, in Karlsruhe- Durlach) hergestellt. Von wem die Texte verfasst wurden bleibt unklar. Mennacher vervielfältigte ein ihm zugesandtes Exemplar ca. 100 Mal: „Ich habe bei der Herstellung der Schrift die Absicht gehabt, diese auch den Kirchengemeindegliedern (Laien) zur Kenntnis zu bringen. Ich habe daher die Schrift an mir bekannte Glieder der Lutherpfarrei Karlsruhe durch die Post versandt.“58 Davon gab er 30 Exemplare an Münz weiter.
Ein weiteres bekanntes Beispiel stellt der Pfarrer Ferdinand Maurath dar, der allerdings erst 1939 als Pfarrvikar an die Pfarrei St. Peter und Paul nach Mühlburg kam. Schon vor seiner Zeit in Mühlburg fiel Maurath auf, indem er bspw. „freche“ HJ-Führer maßregelte und mehrmals angezeigt wurde.59 Weitere Vergehen gegen die NS-Gesetze und Verordnungen waren „das Ausleihen eines Filmvorführapparates für einen lustigen kinderfilm, das Aufbewahren von Büchern nichtreligiösen Inhalts in der Pfarrbibliothek und der Versand religiöser Schriften an die Front.“60 Maurath musste bis Kriegsende als Schutzhäftling in das Konzentrationslager Dachau.
Der Altstadtpfarrer Hans Löw stand unter ständiger Überwachung durch die Nationalsozialisten. Die Predigten in seiner Pfarrstelle, der Karlsruher Stadtkirche, wurden regelmäßig überwacht.61 Aus den eigenen Reihen verleumdet, musste Löw mehrere Male zu Gestapo-Verhören erscheinen, wovon eine Aussage Löws dokumentiert ist: Auf die Aufforderung des Reichsstatthalters und Gauleiters Robert Wagner, das rote „Dörfle“ nationalsozialistisch zu machen, erwiderte Löw: „Herr Reichsstatthalter, ich bleibe lieber bei meinen Huren“.62
Bereits Anfang der 30er-Jahre lehnte sich der Stadtpfarrer in der Durlacher Südpfarrei, Kurt Lehmann, in seinen Predigten gegen die Nationalsozialisten auf. Im Jahr 1932 wurde er im „Führer“ beschuldigt, ein „roter Pfarrer“ zu sein. Dies führte dazu, dass die Nationalsozialisten eine Neubesetzung der Pfarrstelle für angebracht heilten, zu der es jedoch nicht kommen sollte.63 In einem Schreiben an den Pfarrernotbund im Januar 1934 äußerte sich Lehmann u.a. auch über den Deutschen Gruß im Religionsunterricht. Von Seiten des Pfarrernotbundes sah man im Betätigen des Hitlergrußes keinen Konflikt mit dem religiösen Glauben: „Es soll ein Bekenntnis zum nationalsozialistischen Staat Adolf Hitlers sein und ist daher keine religiöse, sondern eine politische Bekenntnisfrage, zu der der Pfarrernotbund durchaus zustimmend sich verhält.“64
Wenngleich es widerständiges Verhalten durch Geistliche gab, so wurde er von den Nationalsozialisten zwar mit Sorge betrachtet, aber gerade Anfang der 30er Jahre sah man davon ab, katholische Geistliche in Schutzhaft zu nehmen,65 Die evangelische Landeskirche war in ihrem Kirchenvolk „politisch zersplittert“ und anfangs liberal gegenüber den Nationalsozialisten eingestellt, weshalb es nahezu kaum zu widerständigem Verhalten durch Geistliche oder Gläubige kam.
[...]
1 Roser, Hubert (Hrsg.) (1999): Widerstand als Bekenntnis. Die Zeugen Jehovas und das NS-Regime in Baden und Württemberg. Konstanz: UVK Universitätsverlag Konstanz, S. 36f.
2 Ebenda, S. 37
3 RGB1. I 1933, S. 83. Die Verordnung ist abgedr. Bei Münch, Ingo von, Gesetze des NS-Staats, 3., neubearb. u. wesentl. erw. Aufl., Paderborn u.a. 1994, S. 63f.
4 Koch, Manfred. et.al. (1993): Aufstieg der NSDAP und Widerstand. Vorträge zur Stadtgeschichte. Karlsruhe: Stadtarchiv Karlsruhe, S. 68f.
5 Ebenda, S. 68
6 Ebenda, S. 68f.
7 Werner, Stadtarchiv Karlsruhe, Abt. 7 Nl Werner Nr. 1, S. 4
8 Ebenda, S. 7
9 Ebenda, S. 4
10 Borgstedt, Angela (Hrsg.) (2004): Badische Juristen im Widerstand (1933 - 1945). Konstanz: UVK
Verlagsgesellschaft, S. 131
11 Borgstedt, Angela (Hrsg.) (2004): Badische Juristen im Widerstand (1933 - 1945). Konstanz: UVK Verlagsgesellschaft, S. 15f.
12 Ebenda, S. 15
13 Becker, Friedhelm et. al. (1996): Ludwig Marum. Biographische Skizzen. Karlsruhe: Stadtarchiv Karlsruhe, S. 15f.
14 Nl: Werner, S. 6
15 Koch, Manfred et.al. (1993), S. 70
16 Ebenda, S. 71
17 Ebenda, S. 71, nach StaK 1/H-Reg 2004.
18 Nl: Werner, S. 12
19 Aus: Nationalsozialismus und Unterricht. Empfehlung des Zentralrats der Juden in Deutschland und der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft im DGB. Widerstand während der NS-Diktatur. 1980
20 Brockhaus Enzyklopädie in 24 Bänden(1994): Der große Brockhaus. 24. Band. Mannheim: F.A.
Brockhaus, S. 145
21 Brodesser, Gisela (2000), S. 331
22 Koch, Manfred et.al. (1993), S. 72 nach Broszat, Martin: Resistenz und Widerstand. Eine Zwischenbilanz des Forschungsprojektes, in: Grossmann, A. (Hrsg.): Bayern in der NS-Zeit, Bd. IV. Herrschaft und Gesellschaft Konflikt, München, Wien
23 Brodesser, Gisela (2000), S. 331
24 Hoffmann, Peter (1994): Widerstand gegen Hitler und das Attentat vom 20. Juli 1944. Konstanz: Universitätsverlag Konstanz, S. 29
25 Katalog zur Ausstellung des Bundesministers der Justiz (Hrsg.) (1989): Im Namen des Deutschen Volkes. Justiz und Nationalsozialismus. Köln: Verlag Wissenschaft und Politik, S. 300
26 Ebenda, S. 72
27 Triller, Kurt Willy (Hrsg.) (2008): Jehovas Zeugen unter dem NS-Regime aus Karlsruhe mit Nachbarsgemeinden und Nachbarstädten. Biographische Skizzen zu 100 NS-Opfern. Stolpersteine für Jehovas Zeugen nach Röpcke, Andreas (1989): Tödliche Verweigerung - der Leidensweg der Zeugen Jehovas in: Nieder die Waffen - die Hände gereicht. Katalog zur Ausstellung des Staatsarchivs Bremen. Bremen: Donat Verlag
28 Roser, Hubert (Hrsg.) (1999), S. 35
29 Ebenda, S. 35
30 Ebenda, S. 40f.
31 Triller, Kurt Willy (Hrsg.) (2008)
32 GLA 507 2269: Sondergericht Mannheim, 19.10.1936
33 GLA 507 2269: Sondergericht Mannheim, 19.10.1936
34 GLA 507 21 14: Urteilsschrift, Sondergericht Mannheim, 25.09.1936
35 Triller, Kurt Willy (Hrsg.) (2008)
36 Triller, Kurt Willy (Hrsg.) (2008)
37 Ebenda
38 GLA 507 1140: Anklageschrift, Sondergericht Mannheim, 18.01.1937
39 Triller, Kurt Willy (Hrsg.) (2008), nach Genger, Angela, Leiterin der Gedenkstätte Düsseldorf in: Flyer für die Besucher der Gedenkstätte, 1998
40 Roser, Hubert (Hrsg.) (1999), S. 7
41 GLA 507 1140: Anklageschrift, Sondergericht Mannheim, 18.01.1937
42 Ebenda
43 GLA 507 1139: Urteilsschrift, Sondergericht Mannheim, 05.03.1937
44 GLA 507 2113: Geheime Staatspolizei Karlsruhe, 27.06.1936
45 GLA 507 21 14: Urteilsschrift, Sondergericht Mannheim, 25.09.1936
46 GLA 507 1140: Anklageschrift, Sondergericht Mannheim, 18.01.1937
47 GLA 507 21 14: Urteilsschrift, Sondergericht Mannheim, 25.09.1936
48 GLA 507 2113: Geheime Staatspolizei Karlsruhe, 27.06.1936
49 Ebenda
50 Triller, Kurt Willy (Hrsg.) (2008)
51 GLA 507 2113
52 Triller, Kurt Willy (Hrsg.) (2008)
53 Ebenda
54 GLA 507 21 14: Urteilsschrift, Sondergericht Mannheim, 25.09.1936
55 Koch, Manfred et.al. (1993), S. 86
56 Ebenda, S. 86
57 GLA 507 8646: Vorbericht, Karlsruhe, 14.09.1939
58 GLA 507 8646: Auszug aus der Vernehmung Menachers , Karlsruhe, 12.09.1939
59 Koch, Manfred et.al. (1993), S. 86
60 Koch, Manfred et.al. (1993), S. 86f.
61 Ebenda, S. 87
62 Ebenda, S. 87.
63 Eine alternative Stadtrundfahrt auf den Spuren des Dritten Reiches. Nie wieder!. Hrsg.: Stadtjugendausschuss e.V. Karlsruhe. 1. Auflage 1984. Karlsruhe: Verlagsdruckerei Schweyer und Müller, S. 78
64 Schwinge, Gerhard (Hrsg.) (1992): Die Evangelische Landeskirche in Baden im „Dritten Reich“. Quellen zu ihrer Geschichte. Karlsruhe: Verlag Evangelischer Presseverband, S. 362
65 Schadt, Jörg / Stadtarchiv Mannheim (Hrsg.) (1976): Verfolgung und Widerstand unter dem Nationalsozialismus in Baden. Die Lageberichte der Gestapo und des Generalstaatsanwalts Karlsruhe 19331940. Stuttgart: Verlag W. Kohlhammer, S. 47
- Citation du texte
- Joschka Metzinger (Auteur), 2014, Widerstand gegen den Nationalsozialismus in Karlsruhe zwischen 1933 und 1934, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1363217
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