Die vorliegende Masterarbeit widmet sich dem impliziten Wissen, das für das Gelingen der Arbeit im Rettungsdienst notwendig ist, sowie der Indexikalitäten und Entindexikalisierungsversuche, die im Rahmen Rettungsdienstlicher Kooperation zwischen den Mitarbeitern des Rettungsdienstes, der integrierten Leitstelle sowie den technischen Medizinprodukten auftreten. Notfallmedizinische Arbeit wird maßgeblich von dem Vorhandensein impliziten Wissen beeinflusst. Dieses Wissen lässt sich lediglich in seiner praktischen Anwendung produzieren und reproduzieren und entzieht sich meist jeglichen Versuchen der Explizierung. Beobachten lässt sich das vor allem in der Kommunikation und Kooperation der Rettungsdienstmitarbeiter. Vor allem mehrfaches Nachfragen sowie interne Abstimmungen zur Lage und notwendigen Aufgaben, lassen sich durch gemeinsam geteiltes implizites Wissen über die Arbeit, medizinische Hintergründe und die Situation selbst, auf ein Minimum reduzieren.
Eine Erscheinungsform impliziten Wissens stellen Indexikalisierungen dar. Sie zeigen unter Berufung auf geteiltes implizites Wissen unterschiedlichen Inhalt von Aussagen an ohne diesen explizit zu nennen. Dadurch professionalisiert sich der Rettungsdienst und grenzt sich von Außenstehenden ab. Zeitgleich tragen Indexikalisierungen zu der Identifikation als Gruppenzugehöriger (zur Gruppe des Rettungsdienstpersonals) sowie zum flüssigen Umweg-armen Ablauf von Gesprächen innerhalb von Einsätzen bei. Entindexikalisierungsversuche sind bei Missverständnissen durch Indexikalitäten durchaus notwendig, sorgen aber für einen trägeren Ablauf von Kommunikation und können – zumindest sofern sie institutioneller Abstammung sind – herabwürdigend und deprofessionalisierend erscheinen. Eine Schaffung von Freiheit in bestimmten Ausprägungen von Indexikalitäten und die Vermeidung unnützer Explikation implizitem Wissens erscheinen im Sinne eines funktionierenden, reibungsarmen und professionalisierten Rettungsdienstes erstrebenswert.
Inhaltsverzeichnis
Danksagung
Vorwort
Abstract
Abkürzungsverzeichnis
1 Einleitung
1.1 Erkenntnisinteresse
1.2 Inhaltliche Abgrenzung
1.3 Vorgehen
2 Forschungsdesign und Methodologie
2.1 Wissenschaftstheoretische Basis
2.2 Das Feld
2.2.1 Zugang zum Feld
2.2.2 Analytische Konstitution des Feldes
2.2.3 Spezifizierung des Feldes – Was gehört dazu?
2.3 Eingesetzte Methoden und Datenkorpus
2.3.1 Teilnehmende Beobachtung und Einsatzprotokolle
2.3.2 Ethnografische Interviews und Gesprächsaufzeichnungen
2.3.3 Der Forscher als Werkzeug und Datenquelle
3 Ethnografische Darstellungen
3.1 Ohne Technik kein Einsatz
3.1.1 Der Pieper – Wenig Töne, viele Infos
3.1.2 Das Navigationsgerät – Mehr als nur Wegweiser
3.1.3 Das Funkgerät – von der Straße in den Funkverkehr
3.1.4 Technische Medizinprodukte – Interpretationen als Nebenwirkung
3.2 Implizites Wissen und Indexikalität im rettungsdienstlichen Sprachgebrauch
3.2.1 Indexikale Aussagen – Wo Kontext den Inhalt bestimmt
3.2.2 Indexikales Vokabular – Wie aus Ärzten Druiden wurden
3.2.3 Indexikales Schweigen – Wenn Schweigen zu Gold wird
4 Auswertung der Ergebnisse
4.1 Zentrale Theorien und Modelle
4.1.1 Implizites Wissen und die Sonderstellung medizinischem Wissens
4.1.2 Indexikalität
4.2 Wie gelingt die Arbeit im Rettungsdienst?
4.2.1 Die Bedeutung impliziten Wissens im Rettungsdienst
4.2.2 Explizierungsversuche von implizitem Wissen
4.2.3 Indexikalität erlaubt das Verstehen des Gelingens der Arbeit.
4.2.4 Gründe für die Anwendung indexikalischer Äußerungen
4.2.5 Probleme bei der Anwendung indexikalischer Äußerungen
4.2.6 Entindexikalisierung – Fluch und Segen zugleich
5 Kritische Reflexion & Weiterführende Gedanken
5.1 Rekapitulation
5.2 Kritische Reflexion
5.3 Weiterführende Gedanken
Anhang
Danksagung
Ein herzlicher Dank, geht in erster Linie an die Kolleginnen und Kollegen, der Rettungswache, die ich bei ihren Einsätzen begleiten durfte, die mir für Fragen und Interviews zur Verfügung standen und die ich nicht nur während dieser Arbeit, sondern auch während meiner Tätigkeit im Ehrenamt und als studentische Aushilfe kennen und schätzen lernen konnte.
Ich danke meiner Familie sowie meinen Freunden, die in anstrengenden Phasen nicht nur dieser Arbeit, sondern auch des gesamten Masterstudiengangs stets für mich da waren und mir mit Rat und Tat zur Seite standen.
Mein besonderer Dank gebührt Herrn Prof. Dr. Robert Schmidt, der mir als Mentor und Vertrauensperson in Forschungsfragen jederzeit zur Seite stand und mich förderte.
Vorwort
Kaum eine Branche oder ein Berufsverband erfuhr während der Covid-19 Pandemie ab dem Jahr 2020 in Deutschland bis zu dem Tag der Abgabe dieser Arbeit eine größere Aufmerksamkeit als das Gesundheitswesen. Diese Aufmerksamkeit galt allerdings vor allem dem Pflege- und Ärzte-Personal in deutschen Krankenhäusern. Doch auch der Rettungsdienst war sich einer härteren Zeit ausgesetzt. Auch sie mussten im Fahrzeug und an der Rettungswache durchgehend medizinische oder FFP2 Masken tragen und waren sich einer neuen nationalen Krankheitslage ausgesetzt. Hier gab es viele Veränderungen in den rettungsdienstlichen Abläufen von Einsätzen und zahlreiche Vorkehrungen zum Eigenschutz des Personals, die die Einsätze maßgeblich beeinflussten. Doch, bevor sich die Frage stellt, wie sich solche Einflüsse auf das Gelingen der Arbeit im Rettungsdienst auswirkt, muss erst einmal erörtert werden wie und wodurch sich das Gelingen der Arbeit im Rettungsdienst im „Normalzustand“ auszeichnet. Genau an dieser Stelle setzt die vorliegende Arbeit an. Dabei beschränkt sie sich auf die Betrachtung impliziten Wissens, das für das Gelingen notwendig ist, sowie der Rolle der Indexikalisierungen, die im Rahmen notfallmedizinischer Einsätze und auch allgemein im rettungsdienstlichen Kontext fester Bestandteil dieses Fachbereichs sind.
Bei der vorliegenden Arbeit handelt es sich um eine Masterarbeit zur Erlangung des akademischen Grades „Master of Arts“ im Fach Soziologie. Im Vorfeld dieser Arbeit wurde eine ausführliche Untersuchung im Kontext des Rettungsdienstes durchgeführt und hierzu an einer ländlichen Rettungswache in Bayern hospitiert. Der Gehalt dieser Arbeit nährt sich allerdings nicht nur aus der dortigen Hospitation während der Feldzeit. Da ich mich schon lange Zeit davor ehrenamtlich und als studentische Aushilfe im Rettungsdienst engagierte, bringe ich selbst bereits zahlreiche Erfahrungen und berichtbare Erlebnisse mit, die ich neben den Beobachtungen, Protokollen und Gesprächsdokumentationen in die Ausarbeitung dieser Arbeit einbringe. Ich sage das bereits im Vorwort um den kommenden Schreibstil nachvollziehbarer zu machen. Wird also in Erlebnisberichten nicht auf Protokolle verwiesen, handelt es sich um eigene Erfahrungen, Erlebnisse und Wissen aus dem Rettungsdienst, welche mir prägend im Kopf geblieben sind. Die Erfahrungen und Erlebnisse bleiben in ihrer Komplexität und Spezifität allerdings stets auf einem eher niedrigen Level. Ich schildere lediglich Ereignisse, die wirklich so von mir erlebt und beobachtet wurden, beispielhaft für typische Gegebenheiten im Rettungsdienst stehen könnten, von anderem Rettungsdienstpersonal in ähnlicher Form erlebt wurden und in ihrer Beschaffenheit von diesen bestätigt werden können.
Abstract
Die vorliegende Masterarbeit widmet sich dem impliziten Wissen, das für das Gelingen der Arbeit im Rettungsdienst notwendig ist, sowie der Indexikalitäten und Entindexikalisierungsversuche, die im Rahmen Rettungsdienstlicher Kooperation zwischen den Mitarbeitern des Rettungsdienstes, der integrierten Leitstelle sowie den technischen Medizinprodukten auftreten. Notfallmedizinische Arbeit wird maßgeblich von dem Vorhandensein impliziten Wissen beeinflusst. Dieses Wissen lässt sich lediglich in seiner praktischen Anwendung produzieren und reproduzieren und entzieht sich meist jeglichen Versuchen der Explizierung. Beobachten lässt sich das vor allem in der Kommunikation und Kooperation der Rettungsdienstmitarbeiter. Vor allem mehrfaches Nachfragen sowie interne Abstimmungen zur Lage und notwendigen Aufgaben, lassen sich durch gemeinsam geteiltes implizites Wissen über die Arbeit, medizinische Hintergründe und die Situation selbst, auf ein Minimum reduzieren.
Eine Erscheinungsform impliziten Wissens stellen Indexikalisierungen dar. Sie zeigen unter Berufung auf geteiltes implizites Wissen unterschiedlichen Inhalt von Aussagen an ohne diesen explizit zu nennen. Dadurch professionalisiert sich der Rettungsdienst und grenzt sich von Außenstehenden ab. Zeitgleich tragen Indexikalisierungen zu der Identifikation als Gruppenzugehöriger (zur Gruppe des Rettungsdienstpersonals) sowie zum flüssigen Umweg-armen Ablauf von Gesprächen innerhalb von Einsätzen bei. Entindexikalisierungsversuche sind bei Missverständnissen durch Indexikalitäten durchaus notwendig, sorgen aber für einen trägeren Ablauf von Kommunikation und können – zumindest sofern sie institutioneller Abstammung sind – herabwürdigend und deprofessionalisierend erscheinen. Eine Schaffung von Freiheit in bestimmten Ausprägungen von Indexikalitäten und die Vermeidung unnützer Explikation implizitem Wissens erscheinen im Sinne eines funktionierenden, reibungsarmen und professionalisierten Rettungsdienstes erstrebenswert.
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1 Einleitung
Wer kennt sie nicht - die leuchtenden Kinderaugen, wenn sie einen mit Blaulicht und Martinshorn heraneilenden Rettungswagen auf der Straße entdecken? Da der Rettungsdienst im Vergleich zur Feuerwehr oder der Polizei am häufigsten Sonder- und Wegerechte auf deutschen Straßen beansprucht, zählt dieser wohl zu den präsentesten und am stärksten Aufmerksamkeit erregenden Teilnehmern im Straßenverkehr. Das sieht abseits der Straße auch nur wenig anders aus: Auch am Unfallort oder bei sichtbar hilfsbedürftigen Personen wird den Rettungskräften, die auffällig in reflektierender neon-roter, - gelber oder – grüner Einsatzkleidung schon farblich den Raum einnehmen, schnell auch physisch Platz geschaffen. Doch was erwartet man sich daraus? Wo ist der Mehrwert davon sich im Raum zu verteilen um ihnen den Platz zum Arbeiten zu verschaffen? Oder mit anderen Worten:Was können Sie, was wir nicht können?Ihre Fähigkeiten sind für viele von uns eine reine Black Box und der Zweck ihrer mitgebrachten Gerätschaften sowie ihres schnellen, konzentrierten und bestimmten Handelns und Sprechens, erschließt sich nur den wenigsten. Doch auch sie können ja nur mit Wasser kochen und müssen irgendwann auch einmal mit einer Ausbildung begonnen haben. Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich nun also mit der obigen kursiv dargestellten Frage und konzentriert sich hierbei vor allem auf die Kenntnisse, Vorgänge und Kommunikationsweisen, die der Rettungsdienst zwar anwendet aber von außen nicht selbstverständlich oder teilweise auch gar nicht nachvollziehbar sind und deren Erlernen mehr als eine theoretische Unterrichtsstunde bedarf. Anspruch ist es zwar nicht den Rettungsdienst in seinem Handeln zu entzaubern, aber zumindest nachvollziehbar zu machen an welchen Stellen und warum der Rettungsdienst so schwer nachvollziehbar ist. Hierzu soll auch die Sonderstellung einer Wissensart (dem impliziten Wissen) herausgearbeitet werden, die hauptsächlich aus Erfahrungen und Erlebnissen entsteht und nur im Prozess (re-) produziert und sichtbar gemacht wird. Weiter wird auch betrachtet, wie besonders die Sprache für eine gesellschaftliche Distanz des Rettungsdienstes sorgt und sein Handeln in seiner „Unnachvollziehbarkeit“unterstützt.
1.1 Erkenntnisinteresse
Zugegeben: Der Rettungsdienst ist wohl ein mir nicht ganz so fremdes Thema, wodurch die Untersuchung schon im Vorhinein in ihrer Objektivität anzweifelbar sein mag. Da mein Erkenntnisinteresse allerdings auch aus dieser Vertrautheit zu dem Thema entspringt und hieraus verständlicherweise sofort die Frage nach möglicher Begrenztheit der Objektivität aufkommt, möchte ich diesen Zweifel auch gleich an dieser Stelle beseitigen. Bereits 2013 habe als Bundesfreiwilligendienstleistender mit der Ausbildung zum Rettungssanitäter begonnen und auch während des Studiums viele Rettungsdienstschichten als Ehrenamtlicher oder als studentische Aushilfe absolviert. Ich habe zu dem Feld also klar auch subjektiven Bezug und Untersuchungsinteresse. Wie wir später sehen werden, wäre der Vorwurf fehlender Objektivität nur auf Basis des Arguments persönlichen Bezugs zu diesem Thema, wenig haltbar. Schließlich untersuche ich zwar in dem Feld, das ich kenne und das mir dabei geholfen hat das Studium zu finanzieren, dem Untersuchungsgegenstand – den Handlungsabläufen, kommunikativen Vorgängen und Besonderheiten rettungsdienstlicher Arbeiten - stehe ich allerdings neutral gegenüber. Meine persönlichen Ansichten stehen also in keinster Weise im Konflikt mit der Ergebnisoffenheit. So ergibt sich also ein großer Teil des Erkenntnisinteresses aus meiner Befangenheit in diesem Feld, welche aber keinerlei Befangenheit dem Untersuchungsgegenstand gegenüber darstellt.
Weiter speist sich das Erkenntnisinteresse aus den aktuellen Umständen, die das Berufsfeld der Rettungs- und Notfallsanitäter betreffen. Empfehlungen zu Vorgehensweisen in Notfall-medizinischer Behandlung, standardisierte Abläufe bei spezifischen Diagnose-Bildern oder auch die Ausbildungsinhalte von Rettungsdienstpersonal ändern sich jährlich. Immer neue SOPs (Standard Operating Procedures) sollen dem ausgebildeten medizinischen Personal den Arbeitsalltag erleichtern und ihnen die Frage, was nun zu tun ist, abnehmen. Es scheint fast als solle immer mehr Fachwissen künstlich in Schemata gepresst und medizinische Notfälle durch diese Schemata und technische Helferlein auf einfache „Wenn…, dann…“-Situationen heruntergebrochen werden. Meine Motivation zu dieser Untersuchung bestand also auch in der Frage, ob dieses „Herunterbrechen“ Erfolg hat und welches Fachwissen sich nicht vollständig herunterbrechen lässt.
1.2 Inhaltliche Abgrenzung
Wer von Wissen spricht, spricht früher oder später oft auch vom Erlernen. So allerdings nicht in diesem Fall. Es werden keinerlei Theorien zur Erlangung von Wissen herangezogen, sondern lediglich betrachtet, welches Wissen von welchen Wissensträgern notwendig für das erfolgreiche Abwickeln eines Einsatzes sind. Hierbei geht es in erster Linie um implizites – also nach außen schwer erkenntliches – Wissen, das Mitarbeiter des Rettungsdienstes untereinander teilen und auf das sie sich in ihren Handlungen und Gesprächen beziehen können (mehr dazu in den Kapiteln 3 und 4). Diese Arbeit baut auf den methodischen Rahmen der Workplace Studies (Knoblauch und Heath Christian 1999), sowie der Ethnomethodologie (Thomas 2019; Breidenstein 2015; Lamnek 2005) und den theoretischen Annahmen und Ausführungen zum geteilten und impliziten Wissen sowie zur Indexikalität (Sulikowski 2016; Rammert 2000; Hutchins 1996; Herbig und Büssing 2003) auf. Vor Durchführung und Ausarbeitung dieser Untersuchung gab es leider bisher keine vergleichbaren Studien. Thematische und methodische Parallelen finden sich allerdings bei Jörg Bergmann (Bergmann 1995). Dieser hat Feuerwehrnotrufe ausgewertet, den besonderen Charakter der vorliegenden Gesprächsstruktur aufgezeigt und die Untersuchung u.a. unter dem Namen „Alamiertes Verstehen“ als Beitrag für den Sammelband „>>Wirklichkeit<< im Deutungsprozess“ eingereicht. Anders als bei Bergmann wird sich diese Untersuchung nicht mit der Analyse bereits geschehener Ereignisse durch Analyse von externer Dokumentation beschäftigen, sondern in der Tradition der Workplace studies gerade geschehendes beobachten, daran teilnehmen und die Arbeit der Dokumentation in der Form von ausführliche Protokollen selbst übernehmen. Außer dem methodologischem und theoretischem Bezug zu Untersuchungen aus anderen Feldern, kann innerhalb dieser Arbeit also leider kein Vergleich zu ähnlichen Studien gezogen werden. Genauso wenig ist es möglich auf bereits gemachte Untersuchungen aufzubauen und Unterschiede im Zeitverlauf oder Parallelen in der Beobachtung und den Ergebnissen zu suchen. Der Rettungsdienst wurde in seiner Arbeit bisher noch nicht so intensiv und ganzheitlich begleitet und untersucht, weshalb sich Bezüge dieser Arbeit auf andere Arbeiten auf Literatur im genannten methodologischen und theoretischen Rahmen beschränken wird.
1.3 Vorgehen
Nachdem innerhalb dieses Kapitels das Erkenntnisinteresse sowie die inhaltliche Abgrenzung zu anderen Studien sowie der fachlichen Perspektive erläutert wurde, werden in Kapitel 2 Forschungsdesign und die angewandte Methodologie aufgeschlüsselt. Das dritte Kapitel beinhaltet ausführliche Darstellungen der Ethnografischen Beobachtungen. Hierzu wurden protokollierte Einsätze, wie auch im Vorfeld gemachte Beobachtungen zu Einzelkapitel zusammengefasst, welche verschiedene Aspekte der rettungsdienstlichen (Zusammen-)Arbeit betrachten. Im Laufe der Arbeit wird sich auf diese Kapitel bezogen und dabei Fokus auf notwendiges implizites Wissen und auftretende Indexikalitäten gelegt. Kapitel 3 stellt damit die vorläufigen Ergebnisse der ethnografischen Feldphase dar. Diese werden in Kapitel 4 einem genaueren Blick unterzogen und ausgewertet. Das letzte Kapitel zieht Schlussfolgerungen aus der Auswertung der Ergebnisse und gibt Ausblick auf mögliches weiterführendes Erkenntnisinteresse.
2 Forschungsdesign und Methodologie
2.1 Wissenschaftstheoretische Basis
Die methodologische Herangehensweise dieser Arbeit begründet sich auf die Hermeneutik und damit folglich auch auf die Grundannahmen des interpretativen Paradigmas. So gehe ich auch im Rahmen dieser Arbeit davon aus, dass Interaktion stets als interpretativer Prozess betrachtet werden kann. Methodologisch führt diese Annahme in ihrer Konsequenz zu einer besonderen Herangehensweise an den Erkenntnisgewinn bzw. die Theoriebildung. Eine Betrachtung von Interaktion als interpretativen Prozess verlangt auch nach einem Untersuchungsvorgehen innerhalb dessen Interaktionen interpretierend rekonstruiert werden können (vgl. Lamnek 2005, S. 42). Als weitere Folge steht das „Verstehen“ des Untersuchungsgegenstandes im Vordergrund. Hierzu Danner:
„Verstehen richtet sich immer auf Menschliches (Geistiges) und zwar auf Handlungen, sprachliche Gebilde und nichtsprachliche Gebilde. Im Verstehen wird ein sinnlich Gegebenes als ein Menschliches und dieses in seinem Sinn erkannt.“ (Danner 2006, S. 51)
Es gilt im Zuge dieser Arbeit Rettungsdienst-spezifische Handlungen, sprachliche und nichtsprachliche Gebilde auszumachen, zu beschreiben und in ihrem Verstehen nachzuvollziehen bzw. wiederum zu verstehen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Der Hermeneutische Zirkel, II aus Danner 2006, S.65
Das Forschungsdesign folgt der interpretativen Logik und entspricht somit ebenfalls hermeneutischer Vorgehensweise. Es handelt sich um ein rekursives Design, welches sich Spiral-artig in einem zirkulären Ablauf präsentiert:
T = Teil, z.B. Wort; G = Ganzes, z.B. Satz; T1 = vom Ganzen her interpretierter Teil; G1 = vom Teil her interpretiertes Ganzes usw.
Die Erwähnung des Hermeneutischen Zirkels ist an dieser Stelle insofern elementar als, dass er einerseits unabdingbarer Teil des Untersuchungsgegenstandes ist. Jeder Rettungsdienstmitarbeiter besitzt einen bestimmten Wissensstand, von dem aus er Situationen interpretiert, nachfragt, Werte misst und sich sonst wie über die Situation erkundigt, einen neuen Wissensstand über die Situation aufbaut und diese erneut interpretiert. Andererseits beschreibt der Hermeneutische Zirkel das Vorgehen dieser Untersuchung und das auf verschiedenen Ebenen. Mikro-Situationen, wie das Aussprechen eines Satzes wurden bereits vom Forscher interpretiert und je nach zusätzlicher Information wurde diese Interpretation korrigiert und so weiter. Noch offensichtlicher ist der hermeneutische Zirkel in dem Forschungsprozess vertreten. Das Grundprinzip des hermeneutischen Zirkels findet sich schließlich auch in der Beschreibung des Forschungsprozesses ethnografischer Forschung von Breidenstein, Hirschauer, Kalthoff und Nieswand wieder, wenn diese das erste Merkmal ethnografischer Forschung beschreiben:
„Die Analyseergebnisse werden unmittelbar in eine zweite und dritte Runde der Materialgewinnung eingespeist, sodass der Zyklus von neuem beginnt. Dies bedeutet, dass die Ethnografin mit veränderten Fragestellungen und einer veränderten Sicht der Dinge in das Feld zurückkehrt und weitere Daten generiert. Dieser Wechsel von Datengenerierung und Datenanalyse wird – abhängig vom Forschungsdesign – einige Male wiederholt.“ (Breidenstein 2015, S. 45)
Die vorliegende Untersuchung findet ihre Forschungstheoretische Grundlage also in der Ethnografie und wendet diese auch konsequent an. So findet auch das zweite Merkmal ethnografischer Forschung Beachtung, da auch bei vorliegender Studie anfangs eine „große Offenheit des Fragens“ stand, welche dann im Prozess der Forschung zu immer tiefer gehenden Untersuchungsinteressen weiterentwickelt wurden (Breidenstein 2015, S. 45).
Unter anderem aus diesen ethnografisch forschenden Ansätzen speist sich auch die letzte wissenschaftstheoretische Basis des vorliegenden Forschungsdesigns: Die Workplace studies. An dieser Stelle möchte ich allerdings nicht über mehrere Seiten in die Workplace Studies einführen sondern stattdessen auf die Erläuterungen von Knoblauch und Heath (Knoblauch und Heath Christian 1999) verweisen und kurz darstellen inwiefern sich die vorliegende Arbeit in die Tradition der Workplace studies einreiht.
Wie bereits beschrieben speisen sich die Workplace studies methodologisch unter anderem aus der Ethnografie. So auch die vorliegende Untersuchung. Teilnehmende Beobachtung sowie ethnografische Interviews sind zwei der drei hauptsächlich angewandten Methoden der Workplace studies, welche auch in dieser Untersuchung Anwendung fanden. Methodologisch wird auch von der Grundannahme der Workplace studies ausgegangen, dass „alle Arbeitsaktivität eine Form der Kooperation mit anderen erfordert“ (Knoblauch und Heath Christian 1999, S. 177), was sich auf die spätere Analyse und Interpretation der Ergebnisse auswirkt und die intensive Analyse von Interaktionen bedingt (Knoblauch und Heath Christian 1999, S. 177–178). Folglich gewinnt auch die Rolle der Sprache am Arbeitsplatz an Bedeutung, wie es ebenfalls innerhalb der Workplace studies zu beobachten ist.
2.2 Das Feld
Bei dem untersuchten Feld handelt es sich unumstritten um ein von sich aus bereits zugeschnittenen Bereich, und zwar das Berufsfeld der Rettungsdienstleistenden. In diesem Kapitel beabsichtige ich kurz darüber aufzuklären, wie mir der Zugang zum Feld gelang. Vor allem diese besondere Art des Feldzugangs im Falle vorliegender Untersuchung lässt auch Schlüsse auf eine überdurchschnittliche Datenqualität zu, weshalb das Kapitel „Zugang zum Feld“ von besonderer Bedeutung ist. Da ich das von sich aus zugeschnittene Feld noch enger abstecke, gilt es darauffolgend gemachte Vorannahmen und aufgestellte Prämissen zur Setzung der Grenzsteine zu beschreiben und zu erläutern. Als Abschluss dieses Überkapitels wird eine Spezifikation des Feldes vorgelegt, in der beschrieben wird worauf sich nun im Blick auf das abgesteckte Feld konzentriert wurde und was es letztendlich nach all der Eingrenzung noch zu sehen gibt.
2.2.1 Zugang zum Feld
Vor allem im Zugang zum Feld wurde der Wert der bereits gemachten Erfahrungen im Rettungsdienst deutlich. Da ich noch bis heute regelmäßig als studentische Aushilfe oder im Rahmen ehrenamtlicher Arbeit im Rettungsdienst tätig war sind mir zum Zeitpunkt des Startes vorliegender Untersuchung alle notwendigen Personalien, wie Wachleiter oder Rettungsdienstleiter des Kreisverbandes, sowie das Rettungsdienstpersonal an der untersuchten Rettungswache noch sehr gut bekannt. So konnte ich diese auf einer freundschaftlichen Ebene anschreiben und um Unterstützung bitten. Der Wachleiter zeigte sogar relativ schnell Interesse an der Arbeit und stellte für mich noch einmal Kontakt mit dem Rettungsdienstleiter her. Mit diesem stand ich allerdings nur kurz im Austausch. Er schien an der Untersuchung weniger Interesse zu haben, war aber gewillt mir meine Bitte um regelmäßiges Begleiten des Rettungstransportwagens als Dritter zum Zwecke der Dokumentation und Analyse zu gewähren. Da ich schließlich nicht nur als Dritter sondern auch als Zweiter auf dem Rettungstransportwagen (kurz: RTW) unterwegs war, sah der Wachleiter hier auch für ihn große Vorteile. Ich konnte also Mitarbeiter mit einer bereits hohen Zahl aufgebauter Überstunden entlasten, indem ich manche ihrer geplanten Schicht übernahm. Die Übereinkunft zwischen mir und dem Wachleiter war also eine Win-win-Situation, insofern, dass ich ohne größere Diskussionen die Feldphase einleiten konnte und der Wachleiter zumindest an manchen Tagen eine kostenlose, aber verlässliche Arbeitskraft an der Seite seiner Mitarbeiter wusste, die an Stelle anderer Mitarbeiter die Schicht übernimmt und so die Dienstplangestaltung vereinfacht und entlastet.
Nach den beiden oberen Instanzen Wachleiter und Rettungsdienstleitung, galt es die Mitarbeiter als Teil des Feldes zu informieren und mögliche Widerstände gegen dasBeforscht-Werdenvorzubeugen. Auf Basis der bereits freundschaftlichen Beziehung fiel auch das Antichambrieren einfach. Ich verfasste einen Brief, der via WhatsApp über den Wachleiter an die Mitarbeiter verteilt wurde (siehe Anhang: Brief an die Rettungswache). In diesem erklärte ich das Vorhaben und die Beweggründe. Des Weiteren wurde klargestellt, dass bei Aussagen und Erscheinungen von Personal in Protokollen eben dieses Personal anonymisiert wird. Dieses Zugeständnis war notwendig um die unbedenkliche Kooperation der Mitarbeiter sicher zu stellen und Befürchtungen um Konsequenzen bei (in meinen Augen) Fehlern ihrer Arbeit im vor hinein auszuschließen. Bezüglich des Vorhabens kamen nach dem Briefs und vor Beginn der Feldphase weder Nachfragen noch konnte ich irgendwelche Bedenken wahrnehmen. Die Mitarbeiter schienen die neue Information als eben solche hingenommen zu haben. Von ihrem Blickwinkel schien es lediglich relevant zu sein, dass ich wegen der Masterarbeit nun etwas öfter in den Schichten des Rettungsdienstes vertreten sein werde. Der Zugang zum Feld stellte aufgrund der Vorkenntnisse und des bereits erarbeiteten Vertrauens der Rettungsdienstmitarbeiter keine weiteren Probleme dar. Um es abschließend im Vokabular von Breidentsein, Hirschauer, Kalthoff und Nieswand noch einmal zusammenzufassen: Der Feldzugang war durch vorherige Beschäftigung in der Organisation sehr einfach, bedurfte keiner Patrone, begrenzte sich hauptsächlich auf die Gespräche mit dem Gatekeeper (in meinem Fall dem Wachleiter) und stieß auf keinerlei Abwehrreaktionen seitens des Feldes, was ich hauptsächlich meiner Bekanntheit und dem bereits über Jahre geschaffenen Vertrauen zu verdanken habe. Ich diente in diesem Fall also selber als „unterstützendes Personal“ und konnte Rapport von Beginn bis Ende der Feldphase voraussetzen (vgl. Breidenstein 2015, S. 55).
2.2.2 Analytische Konstitution des Feldes
Nun habe ich also einen Zugang zu einem riesigen Feld bestehend aus Mitarbeitern der Rettungswache, den Räumlichkeiten, Fahrzeugen und Werkzeugen der Rettungswache sowie dem organisatorischen Netzwerk außen rum (dem Kreisverband und den dazugehörigen Strukturen des BRKs in diesem Kreis). Das Feld schien sich meinen Erfahrungen nach selbst als Feld in Form einer Gruppe von Rettungsdienstmitarbeitern zu konstituieren und betrachteten sich auch abgegrenzt von den hierarchisch überstellten Positionen, wie Wach- und Rettungsdienstleitung, wobei die Wacheleitung wieder als Teil der Gruppe gesehen wurde, sobald diese ein Fahrzeug besetzte anstatt distanziert von zu Hause oder dem Büro auszuarbeiten.
Bei dem Feld, in dem Studie durchgeführt wurde handelt es sich nun weder „nur“ um die Mitarbeiter der Rettungswache noch um das erstgenannte gesamte Feld. Stattdessen wurden entsprechend der Definition analytischer Konstitution in Abhängigkeit von unter anderem dem Forschungsinteresse andere Grenzsteine gesetzt um das Feld abzustecken (vgl. Breidenstein 2015, S. 60).
Zum einen wurde sich im Rahmen der angewandten Methoden auf die Untersuchung an einer Rettungswache beschränkt. Wir betrachten also sozusagen die spezielle Perspektive auf Situationen des Personals einer bestimmten Rettungswache, innerhalb eines bestimmten Kreisverbandes, im Auftrag hauptsächlich einer integrierten Leitstelle. Durch diese immer tiefer gehenden Spezifikationen betrachtet sich das Feld schonmal als enorm eingegrenzt. Zum anderen wurde an dieser Rettungswache nicht jede beliebige Situation in die Betrachtung als Feld mitaufgenommen. Rettungsdienstpersonal verhält sich an der Rettungswache sehr ähnlich wie Personal anderer Organisationen oder auch Unternehmen. Markante Unterschiede und Besonderheiten des Rettungsdienstes lassen sich folglich eher in der Ausübung der primären beruflichen Tätigkeit beobachten – also dem Abwickeln von (Notfall-) Einsätzen. So verorte ich den Beginn des Feldes dort, wo auch der Einsatz beginnt, und zwar bei der Alarmierung. Folglich wird das Ende des Einsatzes auch als zeitliches Ende des Feldes betrachtet. Anders als in zahlreichen anderen Studien, besteht das Feld hier also aus der Summe vieler zeitlichen Fenster, die durch die Leitstelle und die Einsatzbedingungen geöffnet und geschlossen werden. Sollte es vorkommen, dass Einsätze übernommen werden, unmittelbar nachdem andere Einsätze abgeschlossen wurden, betrachte ich diese Einsätze sozusagen wieder als neues Fenster. Rahmenbedingungen, die durch den vorigen Einsatz dem aktuellen Einsatz aufgezwungen werden – wie z.B. ein am Fahrzeug fehlendes Medikament, das noch nicht an der Wache aufgefüllt werden konnte, oder eine unordentliche Trage, für die noch keine Zeit zur Ordnungsschaffung bestand – werden dabei natürlich berücksichtigt, soweit ein Einfluss auf den kommenden Einsatz zu erwarten ist.
Das Feld spezifizierte sich allerdings noch weiter. Nicht jeder Einsatz wurde von mir als geöffnetes Fenster zum Feld betrachtet. Manche Fenster – also Einsätze – boten lediglich einen Ausblick auf routinierten Ablauf ohne besondere Erkenntnisaussicht, da hier zu einem Großteil jeder Nicht-Rettungsdienstmitarbeiter gleich oder zumindest ähnlich vorgegangen wäre. Bei diesen Einsätzen handelte es sich primär um Krankentransporte, bei denen der hauptsächliche Auftrag im Transport der Patienten bestand. Einsatztechnisches oder medizinisches Verständnis fielen hier eher in eine Nebensächlichkeit und waren nicht notwendig. Solche Transporte werden auch häufig von Organisationen außerhalb des Rettungsdienstes durchgeführt. So können zum Beispiel Taxi-Unternehmen oder private Krankentransportunternehmen ebenfalls mit dieser Art von Einsätzen beauftragt werden, insofern weder medizinisches Vorwissen noch Equipment notwendig sind. Auch Einsätze mit einem für mich „langweiligem Meldebild“ wurden oft aus der Betrachtung und Protokollierung ausgeschlossen. Das mag auf dem ersten Blick willkürlich klingen, entspringt aber meiner Erfahrung als Rettungsdienstmitarbeiter und gab mir die Gelegenheit mehr meiner Untersuchungszeit für gewinnbringendere Einsätze zu verbuchen. Unter „langweilige Meldebilder“ verstehe ich Einsatzbilder, die uns primär durch das Navigationsgerät mitgeteilt wurden und aufgrund von Erfahrung auf einen zu routinierten Einsatz schließen lassen, welcher kaum Besonderheiten in der Beobachtung zuließ. Als Beispiel wäre hier das Meldebild „Schlechter AZ“ anzubringen. Schon der Begriff „AZ“, was im Rettungsdienst für „Allgemeinzustand“ steht, zeigt die fehlende Spezifität des Einsatzes und war für mich ein Index für unspektakulären Ablauf mit geringem Beobachtungspotential. Meist findet der Rettungsdienst bei diesem Meldebild ältere Personen in einem Altersheim vor, die etwas immobiler und lethargischer in ihrem Bett liegen als sie es sonst tun. Außer dem typischen Erheben von üblichen Messwerten wie Blutdruck, Sauerstoffsättigung und Körpertemperatur, passiert hier Einsatztechnisch nur selten Besonderes oder Untersuchungsrelevantes. Solche Einsätze bedürfen wenig Personal, wenig Kommunikation und meist einen zügigen wortlosen Transport, den auch die Leitstelle schon vorhergesehen hat, weshalb schon oft ein Zielkrankenhaus ausgesucht wurde bevor der Patient überhaupt begrüßt wurde. Solche „langweiligen“ Einsätze stellen letztendlich also wieder besagte Krankentransportaufträge dar, die sich von diesen nur in der Relevanz von medizinischem Fachwissen unterscheiden. Schließlich kann in seltenen Fällen der Patient plötzlich doch weitergehender medizinischer Versorgung und sogar der Nachforderung eines Notarztes bedürfen. Da dies aber erfahrungsgemäß meist nicht der Fall ist und sich der Einsatz auf den Krankentransport beschränkt, sah ich diese Art von Einsätze als weniger gewinnbringend und nutzte die Zeit eher für die Protokollierung anderer Einsätze oder für Gedanken zu dieser Arbeit. Eigenheiten des Rettungsdienstes wären zwar auch in diesen Fällen zu beobachten gewesen, allerdings nicht in der Fülle in der sie bei Notfall-Einsätzen, die exklusiv dem Rettungsdienst zugewiesen werden, vorhanden sind.
Auf der anderen Seite hielt ich es auch für sinnig Sonderformen von Einsätzen auszuschließen um das Bild der üblichen Arbeit des Rettungsdienstes in meinem Kopf nicht zu weit zu verzerren. Bei vor allem psychologischen Einsätzen handelte es sich zum Beispiel um solche Sonderformen. Hier kann der Einsatz zwar zeitkritisch sein und eine Menge an Personal erfordern aber nur selten Eigenheiten des Rettungsdienstes zur Schau stellen. Diese Einsätze laufen (bis auf die Kommunikation mit der Leitstelle) oft sehr unterschiedlich ab und heben sich durch lange Gespräche, fehlender Notwendigkeit medizinischer und gesteigerter Notwenigkeit psychologischer Kompetenz von üblichen Notfall-Einsätzen ab.
Zusammenfassend wurde also versucht, sich auf „echte“ Notfall- und Notarzt-Einsätze zu konzentrieren, die medizinisches, soziales und organisatorisches Fachwissen erforderten, zeitliche Dringlichkeit aufwiesen und den Großteil der Einsätze im Rettungsdienst am Rettungswagen stellvertretend repräsentieren können. Dadurch war das untersuchte Feld so weit eingegrenzt, dass auch Folgestudien in der Betrachtung eines Feldes durch selbige Eingrenzung ähnliche Beobachtung in ähnlicher Qualität und Quantität machen können.
2.2.3 Spezifizierung des Feldes – Was gehört dazu?
Zwar haben wir nun das Feld durch eine Auswahl bestimmter Fenster bereits eingegrenzt, doch bedarf es in diesem Kapitel wohl noch einer Spezifizierung des Feldes. Was gehört nun also dazu und was lässt sich durch dieses Fenster überhaupt beobachten?
Hier wurde erst einmal deutlich weniger eingeschränkt als bei der Auswahl der Einsätze. Innerhalb jedem Einsatzes gibt es zahlreiche Akteure und Aktanten, die als Teilnehmer von Kooperation und Kommunikation während der Beobachtung fungierten. Zumindest zu Beginn der Untersuchung erfuhren alle Akteure und Aktanten gleichermaßen Aufmerksamkeit. Einsätze wurden stets ganzheitlich betrachtet soweit möglich. Ein solcher Einsatz und damit das Untersuchungsfeld, besteht in erster Linie offensichtlicher Weise aus dem Rettungsdienstpersonal und dem Patienten. Hinzukommen natürlich noch Rollen der Leitstelle, der Angehörigen des Patienten oder andere an der Situation beteiligte Personen am Einsatzort sowie dem Notarzt (falls im Einsatz vorhanden). Als Teil des Feldes wurden ebenfalls die verschiedenen Medizinprodukte, medizinische Gerätschaften und das organisations-technische Equipment des Rettungsdienstes (Navigationsgerät, Funkgerät, Pieper, Nida-Pad etc.) in ihrer Anwendung, ihrer Kommunikation und ihrem Handeln beobachtet. Erst später wurde sich in der Betrachtung verschiedener Punkte im Sinne des Erkenntnisinteresses spezifiziert.
2.3 Eingesetzte Methoden und Datenkorpus
In diesem Kapitel sollen die im Rahmen der Studie angewandten Methoden dargestellt und kurz beschrieben werden. Entsprechend qualitativer Vorgehensweisen, wurden unterschiedliche Arten von Daten gesammelt und sich bei der Auswahl der Methode auf die Anforderungen des Feldes bezogen. In erster Linie war die Teilnehmende Beobachtung Methode der Wahl.
2.3.1 Teilnehmende Beobachtung und Einsatzprotokolle
Das umfangreich eingegrenzte Feld der Notfall-Einsätze wurde bislang in einer solchen Spezifikation soziologisch nicht genauer untersucht, weshalb es meiner Ansicht nach einem Deep Dive in die Thematik bedurfte. Die Möglichkeit eines solchen Deep Dives fand ich in der teilnehmenden Beobachtung, wie sie in der Tradition der Ethnomethodologie fest verankert und stets weiterentwickelt wurde. Forderungen nach der selben Augenhöhe von mir – dem Forscher – und den Mitarbeitern des Rettungsdienstes – den Teilnehmern des Feldes (vgl. Breidenstein 2015, S. 73 ff.) war aufgrund der bereits beschriebenen Bekanntheit und dem Rapport zwischen mir und den anderen Rettungsdienstmitarbeitern stets gegeben. Der Deep Dive bzw. die teilnehmende Beobachtung fanden in Form begleiteter Einsätze statt.
Um mich dem Feld anzupassen und mich von diesem nur so gering wie möglich zu unterscheiden, kam ich – wie die anderen Mitarbeiter üblicherweise auch – stets pünktlich 15 Minuten vor Schichtbeginn der RTW oder NEF Schicht zur Rettungswache und zog mir die dort zur Verfügung gestellte Dienstkleidung (bestehend aus beschrifteten Pullover, Sicherheitshose in leuchtend roter Warnfarbe, Dienstjacke in ähnlicher Warnfarbe mit Rettungsdienstaufschrift und Sicherheitsschuhe) an. Mein Dienstausweis als Rettungssanitäter des BRK rundete das Outfit ab und machte mich für Außenstehende unverwechselbar zum Rettungsdienstmitarbeiter. Dadurch wurde das Feld nicht in seinen typischen Prozessen durch irritierende Fragen von Seiten der Patienten über meine Person irritiert, sondern konnte verfahren wie gewöhnlich.
In einem unregelmäßigen Tonus wechselte ich die Positionen. So war ich zwar zu ca. 2/3 als dritter auf dem RTW und konnte mir so etwas mehr Zeit für Beobachtungen nehmen, nahm aber auch zu ca. 1/3 die Position als zweiter ein. In letzterem Fall begleitete ich die Besatzung also nicht nur, sondern stellte selbst die Hälfte der RTW-Besatzung. Tage, an denen ich die Schichten begleitete oder meinen Dienst als „zweiter“ auf dem RTW antrat konnte ich mir relativ willkürlich aber mit stets ca. 2 Wochen im Voraus aussuchen. Ich wählte hier stets unterschiedliche Wochentage und erkundigte mich nicht nach den Kollegen, die ich begleite, sondern erfuhr meist erst an der Rettungswache mit wem ich an diesem Tag fuhr. So war sichergestellt, dass sich die Beobachtungsergebnisse nicht durch übermäßiges Vertretensein bestimmter Kollegen verzerren. Eingeschränkt und etwas bestimmt war die Auswahl meiner Untersuchungstage nur durch den Wachleiter und organisatorische Gegebenheiten. Der Wachleiter schlug mir Tage vor an denen ich als zweiter das Auto besetzen kann. An diesen Tagen konnte ich ihm so helfen den Dienstplan flexibler zu gestalten. Tage an denen ich als Dritter mitfuhr waren von der Möglichkeit determiniert überhaupt als Dritter mitzufahren. Zu einigen Schichten waren bereits Dritte eingeteilt, sodass mir diese zur Auswahl verwehrt blieben, da stets nur maximal drei Mitarbeiter auf dem Rettungstransportwagen Platz finden. Meine Anpassungsbereitschaft an die Dienstplangegebenheiten des Wachleiters waren notwendig um Reibungspunkte von seiner Seite möglichst gering zu halten. Auf der anderen Seite birgt diese Vorgehensweise, die Gefahr vom Wachleiter gesteuert auf nur von ihm gewählte Schichten eingesetzt zu werden. Dadurch wäre es möglich die Datengenerierung zu lenken und durch die Häufung bestimmter Mitarbeiterkonstellationen während der Beobachtungsphase ein einseitiges Bild zu generieren. Entsprechend dem Konzept sozialer Erwünschtheit war mir daher auch die Gefahr bewusst nur mit Personal zu fahren, dessen Handeln der Wachleiter als vorbildlich oder wünschenswert interpretiert. Dieser potenziellen Kritik desEingemeindenshabe ich allerdings bereits in der Schichtzuweisung entgegenwirken können. Ich fragte häufig mit Blick auf den Dienstplan den Wachleiter, ob ich an Tag x als Dritter mitfahren könnte, da hier noch niemand eingeteilt war. Ohne selbst den Dienstplan zu betrachten, kam hier ohne Ausnahme stets Zustimmung von Seitens des Wachleiters worauf sich schließen lässt, dass hier nicht versucht wurde mir spezifische Mitarbeiter Konstellationen vorzuenthalten. Außerdem deckte ich während der Feldphase eine große Zahl an möglichen Konstellationen ab und habe ca. 80 % der an dieser Wache beschäftigten Mitarbeiter in ihrer Arbeit beobachten können.
Kommen wir nun zu dem üblichen Ablauf des Beobachtens um den Entstehungsprozess der Protokolle besser nachvollziehen zu können. Auch hier muss man in der Vorgehensweise je nach meiner aktuellen Beobachterposition unterscheiden. So war ich entweder als „Dritter“ oder als „Zweiter“ auf dem Fahrzeug. Eine Rettungstransportwagenbesatzung besteht prinzipiell stets aus mindestens zwei Personen. Die Person mit der Ausbildung zum Rettungsassistenten oder Notfallsanitäter ist auf dem Fahrzeug die Hauptverantwortliche Person und stets seinem Kollegen oder seiner Kollegin weisungsbefugt. Der oder die Kollege/in der oder die als „Zweite“ auf dem Fahrzeug arbeitet ist dem Hauptverantwortlichen unterstellt und besitzt meist eine geringerwertige Ausbildung wie Rettungssanitäter oder gegebenenfalls auch Rettungsdiensthelfer. Eine „Dritte“ Person auf dem Fahrzeug ist kein fester Bestandteil der Besatzung, sondern meist nur eine Ergänzung, die das Fahrzeug als Praktikant begleitet. Hierbei handelt es sich oft um auszubildende Notfallsanitäter, die den gestandenen Notfallsanitätern über die Schulter schauen oder Praktikanten, die in die Rettungsdienstwelt reinschnuppern wollen. Auch ich war häufig während der Studie als Dritter und somit als zusätzliche aber primär nicht erforderliche Kraft in forschender Funktion auf dem Fahrzeug.
Als Dritter auf dem Fahrzeug:
Wenn die Pieper uns über einen Einsatz informiert hat, entschied ich anhand des Schlagworts, welcher über den Pieper genannt wurde und die Bemerkung auf dem Navigationsgerät am Fahrzeug, ob ich diesen Einsatz begleite (mehr dazu: Kapitel 3.1. Ohne Technik kein Einsatz). War dies der Fall stieg ich meist im Patientenraum des Fahrzeugs ein und begleitete den Notfall-Einsatz von Anfang bis Ende. Als Dritter war es mir möglich mich öfter mal von dem Patienten und den medizinischen Aufgaben zu distanzieren. Ich stand meist am Rand des Geschehens und konzentrierte mich in erster Linie auf das Beobachten. Hierzu war ich meist mit Zettel und Stift bewaffnet um Feldnotizen verfassen zu können. In medizinisch dringlichen Fällen und bei Bedarf eines dritten Paar Hände fühlte ich mich natürlich verpflichtet das Team zu unterstützen und von meiner Aufgabe als Protokollant abzusehen. In solchen Fällen versuchte ich mir aktuelle Gedankengänge zu merken und diese später während des Transports des Patienten niederzuschreiben.
Als Zweiter auf dem Fahrzeug:
Als Zweiter auf dem Fahrzeug galt ich als übliche Rettungsdienstkraft aus dem Ehrenamt und verhielt mich nach außen hin auch so. Ich konnte hier also nicht wählen ob und welchen Einsatz ich jetzt begleite, sondern fuhr jeden Einsatz mit zu dem wir alarmiert wurden. Ich übernahm die üblichen Aufgaben eines „Zweiten“ am Einsatzort (Ausrüstung tragen, Messung von Vitalparametern und Befolgen von Anweisungen des RA oder NotSans) und konnte mich hier nur in geringem Maße auf das Schreiben von Feldnotizen konzentrieren. Vor allem in dieser Konstellation war es wichtig darauf zu achten keinem Patienten durch die Forschung und das Unterlassen Rettungsdienstlicher Handlungen zu gefährden. Das Verfassen von Feldnotizen verschob sich dadurch meist vollständig auf die Zeit nach dem Einsatz.
In beiden Fällen nutzte ich die Zeit an der Rettungswache, an der es für mich keine Wachaufgaben zu erledigen gab, für das Verfassen von Protokollen. Um eine angemessene Distanzierung vom Feld - das sogenannte „coming home“ zu gewährleisten wurden die Feldnotizen nicht unmittelbar nach dem Einsatz, sondern meist am nächsten Tag verfasst, oft auch von mir zuhause aus. Letzteres erwies sich als geeignete Methode um sich wirklich von dem Feld zu distanzieren und nicht als Rettungssanitäter sondern als Soziologe dem Feld zu widmen (vgl. Breidenstein 2015, S. 42). Für das Verwandeln von Feldnotizen in Protokolle las ich mir die Feldnotizen noch einmal durch und rekonstruierte gedanklich das Einsatzgeschehen, sowie kooperative Besonderheiten, die mir aufgefallen waren. Nicht jeder Einsatz zu dem Feldnotizen entstanden wurde auch in ein Protokoll übersetzt. So entstanden aus über 25 notierten Einsätzen letztlich 12 Einsatzprotokolle. Aussortiert wurden vor allem Einsätze, in denen der mögliche Output der Protokolle in keinem angemessenen Verhältnis zum Zeitaufwand des Verfassens von Protokollen stand. Hierbei handelte es sich in erster Linie um Einsätze gegen Ende der Feldphase da hier kaum mehr Disruptionen zu dem bisher Verfassten zu beobachten waren. Gemachte Feldnotizen, die nicht in einem Protokoll mündeten, werden allerdings keineswegs vernachlässigt oder verfallen. Dort notierte Beobachtungen wurden auch an anderer Stelle gemacht und niedergeschrieben und erfahren in der Intensität der Ausformulierung analytischer Gedanken Beachtung. Bei der Verfassung der Protokolle bin ich zu Beginn vollkommen offen vorgegangen und habe recht ausführlich den kompletten Einsatz sowie auffällige kommunikative Besonderheiten aufgenommen. Mit Zunahme der geschriebenen Protokolle fand eine Spezifizierung statt. Die Protokolle wurden kurzer und behandelten immer fokussierter lediglich Besonderheiten in Bezug auf implizites Wissen, Indexikalität und Kooperation.
2.3.2 Ethnografische Interviews und Gesprächsaufzeichnungen
Im Laufe des Verfassens von Protokollen stieß ich teilweise auf interessante Gesichtspunkte eines oder mehrerer Einsätze. In diesen Fällen gab es zu bestimmten Beobachtungen Ergänzungs- oder Klärungsbedarf. Um besagten Bedarf zu füllen, ergänzte ich meine Beobachtungen in zwei Fällen um offen gehaltene Tiefeninterviews. Diese sollten vorhanden Fragestellungen klären und um Eindrücke aus professioneller Sicht ergänzen. So befragte ich einen Notfallsanitäter im Sinne der Vervollständigung im Einsatz gesammelter Beobachtungen über seine Sicht zu eben diesen Einsatz. Das Interview fand persönlich statt und wurde per Smartphone mit seiner Erlaubnis aufgezeichnet.
Das zweite Tiefeninterview führte ich mit einem Mitarbeiter aus einer integrierten Leitstelle. Dadurch war es mir möglich im Einsatz gemachte Erfahrungen und Perspektiven um die Sicht eines Disponenten zu erweitern. Da sich die Arbeit des Rettungsdienstes in Notfall-Einsätzen primär aus der Beauftragung durch die Leitstelle ergibt, sah ich eine Ergänzung um ihre Perspektive als notwendig an um das Puzzle der Notfall-Einsätze um ein gewinnbringendes Stück zu komplettieren. Um das Bild auch mit den richtigen Farben fertigstellen zu können, bat ich hierzu Mitarbeiter aus der Leitstelle um ein Interview, die auch für die Disponierung der Rettungskräfte zuständig war, die ich begleitete. Auf meine Anfrage nach einem Interview meldete sich besagte Leitstelle allerdings erst nicht, weshalb ich mir über eine Bekannte aus dem Rettungsdienst einen Kontakt und so Zugang zu Informationen einer Nachbarleitstelle verschaffte. Dieser Kontakt hat bereits über zehn Jahre Erfahrung in der Disponierung von Rettungskräften gehabt, weshalb zurecht von einem Expertenstatus dieses Interviewpartners ausgegangen werden kann. Dieses Interview führte ich aufgrund der räumlichen Entfernung über die Plattform Zoom und zeichnete es hierüber auch mit der Erlaubnis des Interviewpartners auf.
Für die Bearbeitung und Einflechtung der Interviews in diese Arbeit liegen in beiden Fällen mindestens Audiodateien vor. Da das Interview mit dem Notfallsanitäter der Ergänzung eines spezifischen Einsatzprotokolls diente, wurden die Informationen aus dem Interview direkt für die Vervollständigung des Protokolls verwendet. Hiervon existiert also kein ausführliches Transkript. Das zweite Interview allerdings dient der Vervollständigung des Gesamtbildes. Aus diesem Grund fertigte ich hierzu ein lückenloses Transkript des gesamten Gesprächs an, welches im Anhang dem Leser zur Verfügung steht (siehe Anhang: Interview – Leitstellenmitarbeiter).
2.3.3 Der Forscher als Werkzeug und Datenquelle
Für die Interpretation und Nachvollziehbarkeit der Ergebnisse dieser Untersuchung ist es von höchster Relevanz den fachlichen Hintergrund des Forschers zu erläutern. Von hauptberuflichen Soziologen ohne rettungsdienstlicher Vorerfahrung wäre schließlich vollkommen anders an die Forschung herangetreten worden als von Personen mit Vorkenntnissen. Letzteres war allerdings in dieser Untersuchung der Fall. Im Jahr 2013 habe ich im Rahmen eines Bundesfreiwilligendienstes erste Erfahrungen im Rettungsdienst gesammelt und arbeitete ein Jahr lang in Vollzeit in diesem Bereich. Im Rahmen dessen genoss ich auch eine Rettungsdienstliche Ausbildung zum Rettungsdiensthelfer, welche vier Wochen Theorie mit Abschlussprüfung erforderte. Im Jahr 2014 folgte auch der Abschluss als Rettungssanitäter für den eine weitere Woche mit theoretischem Lerneinheiten, ein vierwöchiges Praktikum im Krankenhaus und zahlreiche protokollierte Einsätze im Rettungsdienst von Nöten waren. Seit diesem Zeitpunkt war ich bis zu der hier vorliegenden Untersuchung immer wieder ehrenamtlich im Rettungsdienst und zeitlich begrenzt des Öfteren auch Vollzeit als „studentische Aushilfe“ im Rettungsdienst tätig. Was den Rettungsdienst angeht bin also definitiv kein unbeschriebenes Blatt, sondern mit einer Menge Vorwissen ausgerüstet um die unterschiedlichen Vorgänge selbst zu verstehen oder durchführen zu können. Dieser Umstand bringt natürlich zahlreiche Vorteile mit sich. So kann teilnehmende Beobachtung auch wirklich von der Teilnahme profitieren. Ungeschulte Forscher*innen hätten in diesen Situationen wohl des Öfteren nur danebenstehen können und wären gezwungen sich gedanklich in das Rettungsdienstpersonal hineinzuversetzen, während ich schon vollständig eingetaucht bin und je nach Dringlichkeit oder Notwendigkeit meiner Unterstützung im Einsatz auf- und wieder abtauchen konnte.
Auch der Zugang zum Feld war wie bereits beschrieben dadurch deutlich einfacher. Der Wachleiter kannte mich bereits und reagierte auf mein bekundetes Forschungsinteresse am Rettungsdienst durchweg positiv. Diese positive Einstellung übertrug sich auch auf den Rettungsdienstleiter wodurch eine Genehmigung der Feldphase und des Vorhabens von Seiten der Organisation nicht lange auf sich warten ließ.
Weiter musste ich mich kaum wie andere Soziologen dem Feld erklären. Da ich die ganzen Vorerfahrungen an derselben Rettungswache gesammelte hatte, an der ich auch die Untersuchung durchführen wollte, waren mir die Gegebenheiten sowie das Personal der Wache durchaus bekannt und konnte bereits das Vertrauen genießen, welches andere Forscher erst langwierig aufbauen müssten. Akzeptanz war insofern auch gegeben, dass die Rettungsdienstkollegen von meiner fachlichen Kompetenz als Rettungssanitäter wussten und sich keine Sorgen um meine Nützlichkeit im Einsatz machen mussten. Ihnen war bewusst, dass ich die Einsatzgegebenheiten kenne und sicher nicht im Weg stehen werde, den Einsatzablauf behindere oder bei den Patienten durch die fehlende Vermittlung von Zugehörigkeit zum Rettungsdienst für Konfusion sorge. Ich war auch keinem /keiner begleiteten Kolleg*in fremd. Dadurch war von Beginn an Rapport untereinander vorhanden und Misstrauen vorgebeugt. Auch die von mir deutlich ausgedrückte Tatsache, dass ich keineswegs die Arbeit der Kollegen beurteilen werde, wurde ohne Einwand direkt angenommen.
Gemachte Vorerfahrungen möchte ich in dieser Fallstudie keineswegs unbeachtet lassen. Immer wieder beziehe ich mich daher in Aussagen über den Rettungsdienst vor allem während und für die Analyse und genaueren Betrachtung der Ergebnisse auf meine bereits errungenen Kenntnisse über das Feld. Das birgt allerdings einen deutlich gesteigerten Grad an Notwendigkeit und Schwere der Distanzierung und Entindexikalisierung. Immer wieder musste ich mir bewusst machen, dass ich bereits zu sehr in dem Thema Rettungsdienst stecke und versuchte mich aus der Rolle heraus zu versetzen. Hierbei handelte es sich um eine komplexe und herausfordernde Aufgabe, wie ich feststellen musste. Schließlich wurden auch mir die ganzen üblichen Handlungen, Abläufe und das dafür notwendige Vokabular beigebracht. Implizites Wissen des Rettungsdienstes ist von meiner Perspektive aus meist sehr explizit und logisch. Nur durch selbstständige, künstliche Distanzierung von diesem Thema ist es mir möglich zumindest „neutraler“ auf die gemachten Erfahrungen zu blicken. Die wohl größte ethnografische Herausforderung bestand also in der Distanzierung vom Feld, von dem ich seit mehreren Jahren selbst immer wieder ein Bestandteil bin.
3 Ethnografische Darstellungen
Auf Basis eben erläuterter Datengrundlage ist es nun möglich die gemachten Beobachtungen in ihren interpretativen (!) Schilderungen zu verstehen. Die folgenden Kapitel zeigen nun einzelne Elemente des Rettungsdienstes die für die Soziologische Perspektive interessant schienen. Für diese Kapitel wurden die erstellten Protokolle mehrfach untersucht, abgeglichen und nach den kommenden Kategorien codiert um Den Rettungsdienst in kleineren Portionen bzw. in vielen kleinen analytischen Bildern zu dem großen Ganzen werden zu lassen, das er ist. Die Frage, die sich bei der Verschriftlichung analytischer Gedanken hierfür immer wieder gestellt wurde war: „Wodurch gelingt ein Notfalleinsatz“. Ich konnte in der Analyse der Protokolle hierfür mehrere kleinere Bestandteile ausfindig machen, möchte an dieser Stelle aber auf den interpretativen Charakter der kommenden Kapitel hinweisen und den Anspruch auf Vollständigkeit bereits an dieser Stelle ausschließen. Unglaublich viele Zahnräder müssen ineinander greifen um das Uhrwerk des Rettungsdienstes in einem ordentlichen Takt schlagen zu lassen. Auch nur der Glauben an Vollständigkeit wäre hier unangemessen und einer professionellen Betrachtung nicht zuträglich.
3.1 Ohne Technik kein Einsatz
Im Rettungsdienst bildet Technik den Rahmen jedes Einsatzes. Man muss sich nur einmal vorstellen, wie ein Einsatz verlaufen würde, wenn der Pieper nicht auslöst und Informationen nicht über das Telefon oder das Funkgerät zugestellt würden. Dieser Einsatz würde gar nicht erst zu Stande kommen. Die Relevanz der Technik wird einem also schnell deutlich. Ihre jeweilige Bedeutung lässt sich allerdings erst bei genauerer Betrachtung der unterschiedlichen Devices und des impliziten Wissens erfassen, das für ihre Bedienung und ihre Interpretation notwendig ist. Beginnen wir die Betrachtung wie in oben genanntem Beispiel mit dem Funkmeldeempfänger (Pieper).
3.1.1 Der Pieper – Wenig Töne, viele Infos
„Pieper“ ist das - in der Rettungswache, die für einige Zeit dieser Arbeit als Teil des Forschungsfeldes zur Verfügung stand - mir am häufigsten entgegnete Substitut des Wortes „Funkmeldeempfänger“. Tatsächlich kann ich mich nicht an einen einzigen anderen Begriff hierfür erinnern, was sehr auf eine vollständige Etablierung dieses Begriffs unter den begleiteten Kolleg*innen deutet. Dementsprechend möchte auch ich diesen Begriff als Basis der folgenden Ausführungen verwenden. Ein Funkmeldeempfänger – oder eben ein Pieper – dient im rettungsdienstlichen Kontext der Alarmierung und Benachrichtigung von Einsatzkräften durch die integrierte Leitstelle (ILS). Im Rettungsdienst befindet sich der Pieper meist an den Gürteln oder zumindest den Hosen der Besatzungen und wird – wenn nicht gerade der Akku leer ist – ständig mit sich herumgetragen.
Über Analogfunk kann die ILS (Integrierte Leitstelle) einen oder mehrere spezifische Pieper auslösen lassen und bringt diese für einen gewissen Zeitraum dazu den Analogfunk wiederzugeben. Dieses „Auslösen“ der Pieper funktioniert über das Abspielen von Ton-Reihenfolgen über besagten Analogfunk. Jede Reihenfolge von fünf unterschiedlichen Tönen (daher auch Fünf-Tonfolge genannt) ist einem oder mehreren Piepern einer Fahrzeugbesatzung zugeordnet. Würde man zeitgleich mit dem „Auslösen“ den Analog-Funk mithören, hörte man also ein für uns außerirdisch klingendes „düddudelüdöd“ zum Beispiel. Pieper hören sozusagen ununterbrochen den Analogfunk mit, reagieren aber erst wenn ihre spezifische Fünf-Tonfolge (umgangssprachlich auch „Schleife“ genannt) abgespielt wird. Der angesprochene Pieper erkennt, dass es sich hierbei um seine Tonfolge handelt und löst den Alarm aus – welcher wiederum einem sehr nervigen, Aufmerksamkeit erregenden Weckton gleicht. Für den durchschnittlichen Nutzer ist die den Pieper auslösende Tonfolge allerdings meist eher eine Black Box. Lediglich einige lang erfahrene Rettungsdienstmitarbeiter können mittlerweile erahnen um welche Fahrzeuge es sich bei manchen Tonspuren handelt. Nach dem penetranten Weckton wird automatisch für einige Zeit – oder bis zur Betätigung des Reset-Buttons am Pieper – der Analogfunk freigeschalten. Das bedeutet, dass der Pieper nun alles wiedergibt, was über den Analogfunk auf diesem Funkkanal durch den Äther schwebt. Spricht die ILS während dieses Zeitraums also über den Analogfunk, gibt der Pieper auch das wieder, was die ILS über Analogfunk mitteilen möchte. In der Praxis kann das wie folgt aussehen:
Die ILS alarmiert zwei verschiedene Schleifen: Die des RTW-Piepers und die des NEF Piepers der selben Rettungswache in dieser Reihenfolge. In dem Moment, in dem der RTW Pieper merkt, dass seine Schleife gemeint ist, löst dieser den Alarm aus und gibt direkt im Anschluss den Analogfunk für den Träger des Geräts zum „Mithören“ frei. In diesem Fall hört der Träger des RTW-Piepers also den Alarm seines Gerätes und danach eine Fünf-Tonfolge. Letzteres ist die die Schleife des nächsten Piepers der auslösen soll - in unserem Beispiel die des NEF Piepers der selben Rettungswache. Nachdem alle Schleifen zur Alarmierung abgespielt worden sind, gibt die Leitstelle noch mündlich ein paar Wörter dazu, die die alarmierten Pieper dann an ihre Träger durchlassen. Hierbei handelt es sich meist um irgendwelche Stichwörter wie z.B. „Neurologisch“ (siehe z.B. Protokoll 2).
[...]
- Arbeit zitieren
- Master of Arts Sebastian Gründig (Autor:in), 2021, Kooperation und implizites Wissen im Rettungsdienst, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1362865
-
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen.