Um die Entwicklung einer Sprache zu rekonstruieren, bedarf es schriftlicher Dokumente, aus denen der jeweilige Zustand ersichtlich wird. Dies erweist sich natürlich als schwierig, sobald man die romanischen Sprachen zur Zeit ihrer Entstehung untersucht, als nur das Lateinische in der Schriftsprache Verwendung fand. Volkssprachliche Elemente finden jedoch im Laufe einer Übergangszeit (etwa 5.-10. Jahrhundert) vermehrt Einzug in den schriftsprachlichen Bereich, meistens in Form von unbewussten „Fehlern“ der Schreiber, die auf mangelnde Bildung oder Achtsamkeit schließen lassen. Um ca. 1000 n. Chr. hat die Volkssprache ein Stadium erreicht, in dem sie sich so sehr vom Lateinischen unterscheidet, dass lateinischen Texte in der Regel nicht mehr ohne Hilfestellungen verstanden werden. Zwei der ersten schriftlichen Dokumente der Volkssprache auf der Iberischen Halbinsel sind die Glossen, die genau diesem Zweck dienen: Sie bestehen aus lateinischen oder romanischen Worterklärungen, Über¬setzungen und anderen Verständnishilfen. Neben den Glossen sollen hier auch El Cantar de Mío Cid und die Mester de Clerecía vorgestellt werden.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Die Glossen: Glosas Emilianenses und Glosas Silenses
3 El Cantar de Mio Cid – Mester de Juglaría
4 Mester de Clerecía
5 Bedeutung der ersten schriftlichen Dokumente
Anhang: Textbeispiele
a) Glosas Emilanenses
b) El Cantar de Mio Cid
c) Mester de Clerecía. Gonzalo de Berceo: Milagros de Nuestra Señora
Literaturverzeichnis
1 Einleitung
Um die Entwicklung einer Sprache zu rekonstruieren, bedarf es schriftlicher Dokumente, aus denen der jeweilige Zustand ersichtlich wird. Dies erweist sich natürlich als schwierig, sobald man die romanischen Sprachen zur Zeit ihrer Entstehung untersucht, als nur das Lateinische in der Schriftsprache Verwendung fand. Volkssprachliche Elemente finden jedoch im Laufe einer Übergangszeit (etwa 5.-10. Jahrhundert) vermehrt Einzug in den schriftsprachlichen Bereich, meistens in Form von unbewussten „Fehlern“ der Schreiber, die auf mangelnde Bildung oder Achtsamkeit schließen lassen. Um ca. 1000 n. Chr. hat die Volkssprache ein Stadium erreicht, in dem sie sich so sehr vom Lateinischen unterscheidet, dass lateinischen Texte in der Regel nicht mehr ohne Hilfestellungen verstanden werden. Zwei der ersten schriftlichen Dokumente der Volkssprache auf der Iberischen Halbinsel sind die Glossen, die genau diesem Zweck dienen: Sie bestehen aus lateinischen oder romanischen Worterklärungen, Übersetzungen und anderen Verständnishilfen.
2 Die Glossen: Glosas Emilianenses und Glosas Silenses
Die ältesten Glossen sind die Glosas Emilianenses, die in dem Kloster San Millán de la Cogolla in der Rioja aufbewahrt wurden und wohl auch daher stammen. Der glossierte Text ist ein lateinische Kodex, der wohl „um das Jahr 900 aus zwei schon bestehenden Teilen, nämlich einer Bearbeitung von Aussprüchen von Kirchenvätern und einem Homiliar [...], zusammengesetzt und geschrieben wurde“ (Dietrich/Geckeler 155). Die Glossen selbst sind sowohl interlinear als auch marginal, bestehen aus Einzelwörtern und Syntagmen und sind lateinisch oder romanisch; es gibt sogar zwei baskische.
Zur Datierung der emilianensischen Glossen gibt es einige Theorien. Während Menéndez Pidal den Text auf das 9.-10. Jahrhundert und die Glossen auf 977 datiert, nimmt man inzwischen an, dass die Glossen möglicherweise erst in der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts entstanden sind (Bolée/Neumann-Holzschuh 57). Auch zu ihrer Herkunft gibt es unterschiedliche Ansichten; Wolf geht aufgrund sprachlicher Merkmale davon aus, dass die Glossen nicht in San Millán selbst, sondern in einem Kloster im aragonesischen Sprachraum erstellt wurden und erst im 11. Jahrhundert nach San Millán gelangten.
Die Glossierungen lassen sich in vier verschiedene Arten unterteilen, die wahrscheinlich auch nicht gleichzeitig entstanden sind: Es gibt erläuternde Zusätze, die das Verständnis erleichtern sollen (z.B. durch „Ergänzung von Pronomina durch das entsprechende Substantiv im selben Fall“ (Wolf 16)), grammatische Anmerkungen, die die grammatischen Strukturen des Textes verdeutlichen, die eigentlichen Glossen, die zum Großteil romanisch sind und unter anderem eine Übersetzung einer Gebetsformel enthalten, die als erster belegter, bewusst ins Romanische übersetzter Text gilt. Die vierte Art der Glossierung besteht aus über bestimmten Wörtern oder Satzteilen angebrachten Buchstaben, die die logische Wortfolge angeben und somit der syntaktischen Analyse des Satzes dienen. Die Buchstaben folgen dabei der alphabetischen Reihenfolge, der Anfang ist durch ein „+“ markiert (also: + a b c ...).
Wie schon erwähnt sind diese verschiedenen Typen zu verschiedenen Zeiten entstanden. Wolf widerlegt die Theorie von Díaz y Díaz, der die grammatischen und die romanischen Glossen trennt und beide auf das 11. Jahrhundert datiert, wobei letztere deutlich jünger seien als erstere. Wolf selbst geht bei seiner Begründung von dem räumlichen Platz aus, den die verschiedenen Glossen einnehmen; viele seien zwischen Text und älteren Anmerkungen förmlich hineingequetscht, was auf ein jüngeres Datum schließen lasse. Die von ihm angenommene Reihenfolge ist also folgende (beginnend mit den ältesten): erläuternde Zusätze – eigentliche Glossen – grammatische Anmerkungen – Buchstaben (Wolf 24-28).
Auch in Bezug auf die Anzahl der Glossatoren vertritt Wolf eine Theorie: Entgegen der verbreiteten Annahme, es habe nur einen Glossator gegeben, geht er von mindestens zweien aus. Dies begründet er mit der Tatsache, dass das Wort beneficia mit zwei verschiedene Glossierungen versehen ist: abientia und elos serbicios (Wolf 38f.).
Was den Zweck der Glossen angeht, so geht man davon aus, dass sie wohl dem Grammatikunterricht dienten, und die lateinischen Glossen wohl als grammatische Erklärungen fungierten. Die beiden baskischen Glossen lassen darauf schließen, dass auch baskische Schüler unterrichtet wurden. Die romanischen Glossen, die sich hauptsächlich im Homilienteil finden, werden interpretiert als Vorbereitung einer Übersetzung in die Volkssprache.
Aus den sprachlichen Merkmalen der romanischen Glossen lassen sich einige Schlüsse in Bezug auf die Entwicklung der Volkssprache auf der Iberischen Halbinsel ziehen. Die Glossen kommen aus dem navarro-aragonesischen Sprachraum. In den an die Pyrenäen angrenzenden Gebieten gab es im Zeitraum um die Entstehung der Glossen eine große sprachliche Vielfalt: Gesprochen wurde navarrisch, riojanisch, aragonesisch und katalanisch, wobei die Granzen zwischen den ersten dreien verwaschen waren, und die Merkmale der einzelnen Dialekte sich untereinander vermischten. Die Sprache der romanischen Glossen lässt sich aufgrund verschiedener Merkmale eher dem Riojanischen als dem Navarrischen zuordnen (Cano Aguilar 58f.).
Lautung, Morphologie und Wortschatz der Glossen sind schon eindeutig volkssprachlich und nicht mehr lateinisch: Der bestimmte Artikel (im Lateinischen nicht vorhanden) ist schon voll ausgebildet (tertius diabolus – elo terzero diabolo), das romanische Futur aus Infinitiv+ habere hat sich gebildet (inveniebit – aflarat (> hallará)), ebenso wie die romanischen Reflexivkonstruktionen (non erubescunt – nonse bergundian). Außerdem lässt sich schon die Form des heutigen Indefinido erkennen: suscitabi (= avi) ist glossiert durch ego labantai, was im Kastilischen durch Monophthongisierung schließlich zu yo levanté wird.
Etwas jüngeren Datums sind die Glosas Silenses, die im Kloster Santo Domingo de Silos (bei Burgos) aufbewahrt wurden, ein weiteres wichtiges schriftliches Dokument der spanischen Sprachgeschichte. Wie die emilianensischen glossieren die silensischen Glossen einen lateinischen Kodex, dessen Inhalt – ähnlich den emilianensischen – aus Homilien, Predigten und Briefen besteht. Im Gegensatz zu anderen Theorien, die als Entstehungszeitpunkt das 11. Jahrhundert ansetzen, datiert Menéndez Pidal Kodex und Glossen auf die zweite Hälfte des 10. Jahrhunderts, nur wenig später als die Glosas Emilianenses. Des Weiteren vertritt er die Ansicht, dass Text und Glossen nicht nur zur gleichen Zeit entstanden sind, sondern auch vom selben Schreiber niedergeschrieben worden sind, der den Text zu einem Zeitpunkt kopierte, an dem er die Glossen selbst noch nicht hatte. Dies begründet er damit, dass beide in derselben Schrift und mit derselben Tinte geschrieben wurden, und nur für einige Glossen eine andere benutzt worden ist. Außerdem lassen sich Zeichen im Text finden, die auf eine Anmerkung verweisen, die aber manchmal fehlt, sodass der Schreiber während er den Text kopierte den Verweis angebracht haben muss, die Glosse selbst aber später aus irgendeinem Grund nicht mehr anfügte (Menéndez Pidal 1972: 9f.).
Die Sprache der silensischen Glossen weist stellenweise schon kastilische Züge auf: Statt dem sonst üblichen o steht au, und die Endungen –airo/-aira sind ersetzt durch die kastilische Form –ero/-era.
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- Quote paper
- Elisabeth Fritz (Author), 2005, Erste schriftliche Dokumente: Die Glossen. El Cantar de Mío Cid. Mester de Clerecía., Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/136242
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