Im Erzählwerk der letzten Lebensjahrzehnte erzielte Fontane einen Grad der Abstraktheit und der narrativen Meisterschaft, der es ihm erlaubte, säkulare Fragen wie Kommunikationsrevolution und Bewusstseinswandel sozusagen minenartig in die Texte seiner großen Romane einzubetten und zur Diskussion zu stellen.
Diese Veränderungen, die er miterlebte, erzeugten in den historischen Realitäten ein Spannungsverhältnis. Ein Musterbeispiel wäre hier Preußen, was Fontane auch für seinen Roman „Cécile“ als Grundlage nimmt. Das Spannungsverhältnis zwischen Tradition und Moderne, einerseits ausgedrückt in Differenzen über technische Fragen, andererseits und eng damit zusammen hängend, durch verschiedene Anschauungen hinsichtlich der Religion, der Politik und der jeweiligen Lebensauffassungen, dient Fontane als strukturelle Basis für seinen Roman. Die drei Hauptpersonen, St. Arnaud, Cécile und Robert Gordon-Leslie, werden unterschwellig mit verschiedenen Eigenschaften und Merkmalen versehen, die den Eindruck erwecken, sie stünden jeweils für eine bestimmte Gruppe oder eine Gesellschaftsauffassung. Der Konflikt, welcher zwischen den verschiedenen Gruppen herrscht – und damit auch zwischen den Personen im Roman aufgebaut wird – gipfelt in der als Kulturkampf bezeichneten politischen Entwicklung. Fontane lässt das Spannungsverhältnis, welches zwischen den Personen aufgebaut wurde, in einem Duell enden. Nicht nur einer der Duellanten stirbt, auch Cécile begeht Selbstmord.
In dieser Hausarbeit möchte ich anhand einiger Textstellen zeigen, dass die Personen im Text, in dieser Betrachtung vornehmlich Gordon, tatsächlich verschiedene Parteien der Tradition und der Moderne verkörpern. Zudem soll immer wieder auf unterschwellige Bemerkungen und Hinweise Fontanes hingewiesen werden, da die eben genannten Zusammenhänge nicht immer an der Oberfläche liegen und leicht zu erkennen sind. Parallel zu den Betrachtungen der einzelnen Textpassagen und der ihnen zuzuordnenden Thematiken ist es unabdingbar, für ein richtiges Verständnis einen Blick auf den historischen Kontext zu werfen. Denn nur in Verbindung mit diesem wird deutlich, was der Text teilweise mit scheinbaren Randbemerkungen impliziert und auszusagen vermag. Darunter fallen Exkurse zu technischen Neuerungen, die im 19. Jahrhundert das Leben der Menschen im Deutschen Reich bzw. Preußen veränderten sowie bestimmte politische Geschehnisse zu Fontanes Lebzeiten.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Kommunikationsrevolution und Modernisierungsprozesse in Preußen
3. Tradition vs. Moderne: St. Arnaud vs. Gordon
4. Der Techniker Gordon – Symbiose oder Verhängnis?
5. Der Konflikt von Tradition und Moderne in der Person Gordons
6. Schluss
7. Bibliographie
1. Einleitung
Es gibt Historiker, für die die Kultur- und Alltagsgeschichte ein nicht mehr wegzudenkender Teil der modernen soziopolitischen Geschichtsschreibung ist. In ihren Werken wird Fontane mehrere Male als Kronzeuge kulturgeschichtlichen Wandels zitiert[1]. Und auch in der jüngeren Fontaneforschung wird man zunehmend offener für zentrale Fragen der Germanistik, die Frage des Erinnerns und seiner Wahrnehmungsformen, und die der Medialität[2].
Fontane war fasziniert von den Medien im Sinn von Buch, Journal, Zeitung und ihrem Vertrieb. Doch nicht nur dies, es interessierten ihn eigentlich alle Instrumente und Wege menschlicher Kommunikation und jede Form von Transport. Im Erzählwerk der letzten Lebensjahrzehnte erzielte Fontane einen Grad der Abstraktheit und der narrativen Meisterschaft, der es ihm erlaubte, säkulare Fragen wie Kommunikationsrevolution und Bewusstseinswandel sozusagen minenartig in die Texte seiner großen Romane einzubetten und zur Diskussion zu stellen.
Diese Veränderungen, die er miterlebte, erzeugten in den historischen Realitäten ein Spannungsverhältnis. Ein Musterbeispiel wäre hier Preußen, was Fontane auch für seinen Roman „Cécile“ als Grundlage nimmt. Das Spannungsverhältnis zwischen Tradition und Moderne, einerseits ausgedrückt in Differenzen über technische Fragen, andererseits und eng damit zusammen hängend, durch verschiedene Anschauungen hinsichtlich der Religion, der Politik und der jeweiligen Lebensauffassungen, dient Fontane als strukturelle Basis für seinen Roman. Die drei Hauptpersonen, St. Arnaud, Cécile und Robert Gordon-Leslie, werden unterschwellig mit verschiedenen Eigenschaften und Merkmalen versehen, die den Eindruck erwecken, sie stünden jeweils für eine bestimmte Gruppe oder eine Gesellschaftsauffassung. Der Konflikt, welcher zwischen den verschiedenen Gruppen herrscht – und damit auch zwischen den Personen im Roman aufgebaut wird – gipfelt in der als Kulturkampf bezeichneten politischen Entwicklung. Fontane lässt das Spannungsverhältnis, welches zwischen den Personen aufgebaut wurde, in einem Duell enden. Nicht nur einer der Duellanten stirbt, auch Cécile begeht Selbstmord.
In dieser Hausarbeit möchte ich anhand einiger Textstellen zeigen, dass die Personen im Text, in dieser Betrachtung vornehmlich Gordon, tatsächlich verschiedene Parteien der Tradition und der Moderne verkörpern. Zudem soll immer wieder auf unterschwellige Bemerkungen und Hinweise Fontanes hingewiesen werden, da die eben genannten Zusammenhänge nicht immer an der Oberfläche liegen und leicht zu erkennen sind. Parallel zu den Betrachtungen der einzelnen Textpassagen und der ihnen zuzuordnenden Thematiken ist es unabdingbar, für ein richtiges Verständnis einen Blick auf den historischen Kontext zu werfen. Denn nur in Verbindung mit diesem wird deutlich, was der Text teilweise mit scheinbaren Randbemerkungen impliziert und auszusagen vermag. Darunter fallen Exkurse zu technischen Neuerungen, die im 19. Jahrhundert das Leben der Menschen im Deutschen Reich bzw. Preußen veränderten sowie bestimmte politische Geschehnisse zu Fontanes Lebzeiten.
2. Kommunikationsrevolution und Modernisierungsprozesse in Preußen
Fontane gehörte zu der Generation der Deutschen, die das Eisenbahnzeitalter als junge Menschen erlebten und es sofort in seinem revolutionären Charakter erkannten. Er war 16 Jahre alt, als die erste Eisenbahn über deutschen Boden rollte. Keine andere technische Errungenschaft dieser Zeitperiode hat die Deutschen und genauso ihre westlichen Nachbarn nachhaltiger beeindruckt und ihr Zeit- und Raumgefühl in so großem Maße verändert wie die Eisenbahn.
Die Entwicklung des deutschen Eisenbahnsystems kann bis 1870 grob in zwei Phasen eingeteilt werden. Von 1815 bis 1840 entstanden sie ersten Ideen und zunehmend konkreteren Pläne, Eisenbahnlinien einzurichten. Hintergrund waren privat-ökonomische Kalküle[3]. Man begann zunächst, lokale Gebiete zu vernetzen, d.h. Verbindungen zwischen Nachbarstädten zu bauen. Je weiter die Entwicklung der Technik dann voranschritt, desto mehr erkannte man die Möglichkeit, dass Eisenbahnbau eine Infrastrukturmaßnahme sowohl von staatlichem als auch militärischem Interesse werden könnte. Doch hier tat sich das erste Problem, was eine solche Modernisierung für die in Traditionen verankerten politischen Eliten mit sich bringen würde, auf: Zwar bewirkte die Eisenbahn einerseits eine ökonomische Förderung des Landes, andererseits wurde durch die Eisenbahn aber auch die Bourgeoisie gestärkt und ein Verkehrsfluss hervorgerufen, der konservativ-autokratischen Systemen politische suspekt war[4]. Dennoch war der Siegeszug der Eisenbahn, von England ausgehend, nicht aufzuhalten. Stetig wuchs auch das Interesse des Militärs an der Nutzung der neuen Technik, da die Eisenbahn in idealer Weise das Straßennetz, welches seit 1800 systematisch angelegt worden war, hervorragend ergänzen konnte. Die Truppen mussten nicht mehr in großen Massen auf wenigen Straßen marschieren, sondern konnten nach einem Ausspruch Moltkes „getrennt marschieren und vereint schlagen“[5]. Mit der Ernennung Moltkes zum Chef des Generalstabs in Preußen und unter dem Eindruck des Piemontesisch-Österreichischen Krieges von 1859, bei dem erstmals große Truppenkontingente mittels Eisenbahnen befördert wurden, begann die systematische Ausarbeitung von Plänen für den militärischen Einsatz. Ausführliche Vorschriften regelten die Zusammenarbeit der militärischen Behörden mit den Eisenbahngesellschaften, und Marschtableaus steuerten den Aufmarsch entsprechend der jeweiligen Operationspläne. Wirklich systematisch eingesetzt wurde die Eisenbahn im Kriegsfall erst 1866, obwohl vorher schon Truppenbewegungen mittels ihrer durchgeführt wurden, so beispielsweise im schleswigschen Feldzug von 1849 bis 1851.
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[1] Dies findet sich beispielsweise bei Autoren wie Gordon A. Craigs, Fritz Sterns oder Peter Parets.
[2] Sagarra, Eda: Kommunikationsrevolution und Bewusstseinsänderung. Zu einem unterschwelligen Thema bei Theodor Fontane, in Delf, Hannah (Hrsg.): Am Ende des Jahrhunderts: Internationales Symposium des Theodor-Fontane-Archivs zum 100. Todestag Theodor Fontanes (13.-17. September 1998 in Potsdam), Würzburg 2000, S. 106.
[3] Kaufmann, Stefan: Kommunikationstechnik und Kriegsführung 1815-1945. Stufen medialer Rüstung, München 1996, S. 75f.
[4] ebd. S. 76.
[5] Neugebauer, Karl-Volker, Busch, Michael: Grundkurs deutsche Militärgeschichte, Oldenbourg 2006, S. 344.
- Citation du texte
- Sebastian Runkel (Auteur), 2009, Zwischen Tradition und Moderne, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/136163
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