Studien wie PISA (Programme for international Student Assessment), die Medien, allgemeine gesellschaftliche Erwartungen und insbesondere Lehrer- und Schülerbelastungsstudien machen deutlich, wie wichtig ein qualitativ guter Unterricht ist, der Lernerfolg voraussetzt.
Da heutzutage etwa 35% der unterrichtlichen Zeit aufgrund von Unterrichtsstörungen nicht effektiv genutzt werden können, ist das zentrale Anliegen dieser Arbeit, sich mit der Problematik und Komplexität des Phänomens Unterrichtsstörungen auseinander zusetzen.
Hierfür werden folgende drei relevante Forschungsfragen beantwortet:
1. Welche Theorien und Konzepte sind von Bedeutung, um bestmögliche Aussagen über Definition, Erscheinungsform und Komplexität von Unterrichtsstörungen treffen zu können?
2. Welche wichtigen Erklärungsansätze bestehen, um Ursachen und Gründe von Unterrichtsstörungen herauszuarbeiten?
3. Inwiefern spielt das Lehrerverhalten bei der Bewältigung von Unterrichtsstörungen eine Rolle und kann zur Vorbeugung, besseren Umgangs und Vermeidung von Unterrichtsstörungen angewendet werden?
Für die hier untersuchte Fragestellungen werden theoretische Grundlagen von Biller, Benikowski, Winkel und Lohmann ausführlich erläutert, Probleme einer Definition des Forschungsgegenstandes Unterrichtsstörungen aufgezeigt und wichtige Forschungsergebnisse der letzten Jahre kurz skizziert. Auf Grundlage der erarbeiteten Theorien und Konzepte werden drei relevante Erklärungsansätze, die mögliche Ursachen und Gründe von Unterrichtsstörungen beschreiben, behandelt. Definitionen, Erscheinungsformen und mögliche Ursachen bieten hilfreiche und notwendige Grundlagen, um wirksame und sinnvolle Handlungsperspektiven aufzuzeigen.
Den größten Handlungsspielraum haben Lehrer sowohl auf der Beziehungsebene als auch auf unterrichtlicher Ebene, um vor allem durch präventive Maßnahmen Störungen vorzubeugen und durch Interventionen diesen entgegenzuwirken. Zusätzlich wird ein in den USA erfolgreiches Konzept, die Trainingsraum-Methode, welches ein Kompromiss zwischen den pädagogischen Interventionen und den Ordnungsmaßnahmen darstellt, vorgestellt und veranschaulicht.
Diese Arbeit wird mit einem Fazit, indem die entscheidenden Ergebnisse und Rückschlüsse verkürzt zusammengefasst werden und einer persönlichen Stellungnahme zur behandelten Thematik, abgeschlossen.
Inhaltsverzeichnis
1.Einleitung
2. Forschungsgegenstand: Unterrichtsstörungen
2.1. Probleme einer Definition
2.2. Empirische Studien
3. Theorien und Konzepte
3.1. Karlheinz Biller
3.2. Bernd Benikowski
3.3. Rainer Winkel
3.4. Gerd Lohmann
3.5. Zusammenfassung der Theorien
4. Ursachen von Unterrichtsstörungen
4.1. Systembezogene Ursachen
4.2. Schülerbezogene Ursachen
4.3. Lehrerbezogene Ursachen
5. Handlungsperspektiven
5.1. Präventive Maßnahmen
5.2. Lehrerzentrierte Intervention
5.3. Trainingsraum-Methode
5.4. Ordnungsmaßnahmen
6. Fazit/Ausblick
7. Quellenangaben
7.1. Literaturverzeichnis
7.2. Internetquellen
7.3. Abbildungsverzeichnis
Abstract
Surveys like PISA (Programme for International Student Assessment), the media, general social expectations, and especially pressure studies for teachers and students prove the importance of a high quality of teaching, which is a prerequisite for learning success. Current studies have showed us that 35% of the time in class cannot be used effectively due to classroom disturbances. That is why the central topic of this work is dealing with the difficulty and complexity of the phenomenon of classroom disturbance. For this purpose, the following three relevant research questions need to be answered constructively: 1. Which theories and concepts point out the best possible statement about the definition, the form of appearance, and complexity of class room disturbances? 2. Which important explanations exist to describe the causes of classroom disturbances? 3. In what way does the teacher’s behavior play a role, and how can this be effectively used for a better handling and prevention of these disturbances? For the named questions, theoretical basics from Biller, Benikowski, Winkel and Lohmann were explained in detail. Furthermore, problems of defining classroom disturbances were shown, and research findings from the last years were briefly outlined. On the basis of the developed theories and concepts, three relevant explanations that describe possible causes, and reasons of classroom disruptions were treated accordingly. Definitions, manifestations and possible causes provide helpful and necessary foundations to illustrate effective and meaningful perspectives of action. Teachers possess the largest freedom of action at the personal, and educational level. So they are in the best position to obviate the disturbances with preventive arrangements, and work against it with interventions. Additionally, a successfully running concept from the USA, the "Responsible Thinking Program"(Trainingsraum-Methode),which is a compromise between the pedagogic and the regulatory measures, will be introduced. This work will be completed with a conclusion, in which the most important results will be summarized, followed by a personal statement.
Masterarbeit: Gesellschaftliche und politische Dimensionen von Unterrichtsstörungen.
Aspekte einer Problembewältigung jenseits des Befehlens und Gehorchens
Abstract
Studien wie PISA (Programme for international Student Assessment), die Medien, allgemeine gesellschaftliche Erwartungen und insbesondere Lehrer- und Schülerbelastungsstudien machen deutlich, wie wichtig ein qualitativ guter Unterricht ist, der Lernerfolg voraussetzt. Da heutzutage etwa 35% der unterrichtlichen Zeit aufgrund von Unterrichtsstörungen nicht effektiv genutzt werden können, ist das zentrale Anliegen dieser Arbeit, sich mit der Problematik und Komplexität des Phänomens Unterrichtsstörungen auseinander zusetzen. Hierfür sollen folgende drei relevante Forschungsfragen beantwortet werden: 1. Welche Theorien und Konzepte sind von Bedeutung, um bestmögliche Aussagen über Definition, Erscheinungsform und Komplexität von Unterrichtsstörungen treffen zu können? 2. Welche wichtigen Erklärungsansätze bestehen, um Ursachen und Gründe von Unterrichtsstörungen herauszuarbeiten? 3. Inwiefern spielt das Lehrerverhalten bei der Bewältigung von Unterrichtsstörungen eine Rolle und kann zur Vorbeugung, besseren Umgangs und Vermeidung von Unterrichtsstörungen angewendet werden? Für die hier untersuchte Fragestellungen werden theoretische Grundlagen von Biller, Benikowski, Winkel und Lohmann ausführlich erläutert, Probleme einer Definition des Forschungsgegenstandes Unterrichtsstörungen aufgezeigt und wichtige Forschungsergebnisse der letzten Jahre kurz skizziert. Auf Grundlage der erarbeiteten Theorien und Konzepte werden drei relevante Erklärungsansätze, die mögliche Ursachen und Gründe von Unterrichtsstörungen beschreiben, behandelt. Definitionen, Erscheinungsformen und mögliche Ursachen bieten hilfreiche und notwendige Grundlagen, um wirksame und sinnvolle Handlungsperspektiven aufzuzeigen. Den größten Handlungsspielraum haben Lehrer sowohl auf der Beziehungsebene als auch auf unterrichtlicher Ebene, um vor allem durch präventive Maßnahmen Störungen vorzubeugen und durch Interventionen diesen entgegenzuwirken. Zusätzlich wird ein in den USA erfolgreiches Konzept, die Trainingsraum-Methode, welches ein Kompromiss zwischen den pädagogischen Interventionen und den Ordnungsmaßnahmen darstellt, vorgestellt und veranschaulicht. Diese Arbeit wird mit einem Fazit, indem die entscheidenden Ergebnisse und Rückschlüsse verkürzt zusammengefasst werden und einer persönlichen Stellungnahme zur behandelten Thematik, abgeschlossen.
1. Einleitung
Die ersten Anfänge der Schulgeschichte sind vor etwa 5000 Jahren zu verzeichnen, neben dem gesetzlich verankerten Erziehungs- und Bildungsauftrag der Schule, Schüler und Schülerinnen (nachfolgend abgekürzt durch SuS) durch Wissen und Fertigkeiten fachlich sowie überfachlich zu qualifizieren und zu verantwortungsvollen und mündigen Bürger und Bürgerinnen zu erziehen, (vgl. Hamburger Schulgesetz, 2009) bilden die Schulen heute eine der bedeutendsten Institutionen unserer Gesellschaft (vgl. Keller, 2008).
Abgesehen davon, dass Schulen SuS Schlüsselqualifikationen vermitteln, die sie zum Ausüben eines Berufes benötigen werden, bestimmen Schulen berufliche Laufbahnen, weisen SuS Positionen in der Gesellschaft zu und werden somit klare Verteiler von Lebenschancen. Um die politische Partizipation der SuS zu fördern, sowie die Stabilisierung der Gesellschaftsverhältnisse zu gewährleisten, werden in den Schulen bestehende Normen und Werte vermittelt. Außerdem übernehmen Schulen die Aufgabe der Sozialisation, in dem sie Heranwachsenden gesellschaftlich erwünschte und notwendige Verhalten vermitteln, sodass diese in bestehenden Gesellschaften passen (vgl. Fend, 2006).
Steht die Institution Schule unter einem enorm gesellschaftlichen Druck von Außen bestimmte Erwartungen und vielschichtige Aufgaben zu erfüllen, so ist sie auch gleichzeitig ein optimaler Ort, in dem viele Individuen, wie Lehrer1, SuS, Eltern zum Teil freiwillig zum Teil aber auch zwangsweise aufeinander treffen und dadurch Störungen, Konflikte und Probleme unumgänglich machen (vgl. Bründel, 2010). Da grundsätzlich jede Art menschlicher Interaktion leicht störanfällig ist, bilden unterrichtliche Lehr- Lernprozesse auch keine Ausnahme (vgl. Winkel, 1988). Ganz im Gegenteil sogar,„Zentrum der Schule ist der Unterricht. Dort werden systematisch und zielgerichtet Wissen und Kompetenzen vermittelt. Ihre Aneignung ist ein komplizierter psychophysischer Prozess, der in hohem Maße störanfällig ist. Damit er Lernen bewirkt. Sind viel Aufmerksamkeit, Motivation, positive Emotion und Denken vonnöten. Erläutert die Lehrperson einen Sachverhalt oder arbeitet eine Schülergruppe gerade an einer Problemlösung, genügt der Wutausbruch eines Störers, um in der Mehrzahl der Schülerhirne Lern- und Denkblockaden zu erzeugen“ (KeWer2008, S. 19).
‘Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird in dieser Arbeit durchgehend die männliche grammatische Form verwendet, selbstverständlich sind damit auch immer die Lehrerinnen gemeint.
Lohmann (2011), Arnold & Pätzold (2002) und Pfitzner (2000) bestätigen diese Aussage und meinen, dass ein komplett ungestörter Unterricht eine didaktische Fiktion sei und ganz objektiv betrachtet Unterrichtsstörungen bis zu einem gewissen Grad unumgänglicher Bestandteil von Unterricht seien und diesen seit dessen Institutionalisierung begleiten (vgl. Lohmann, 2011; Arnold& Pätzold, 2002; Pfitzner, 2000).
Unterrichtsstörungen sind also ein fester Bestandteil von Unterricht, sie können so intensiv und häufig auftreten, dass sie Lehren und Lernen nicht nur hindern, sondern gar unmöglich machen. Ein Blick in die alltägliche Schulwirklichkeit zeigt, dass etwa 35% der unterrichtlichen Zeit nicht effektiv genutzt werden kann, sondern dafür benötigt wird um gegen Störungen an zugehen (vgl. Keller, 2008). Besonders Eltern, SuS sowie Lehrer, die primär am Schulgeschehen beteiligt sind, haben ein berechtigtes Interesse daran, dass in der Institution Schule der Unterricht reibungslos, zügig und ungehinderten durchgeführt und dadurch erfolgreiches und effektives Lernen und Lehren ermöglicht wird. Es liegt also in der Verantwortung der Schule, Rahmenbedingungen für einen solchen Unterricht zu schaffen (vgl. Pfitzner, 2007).
An einer dringend notwendigen Qualitätssicherung im Unterricht sind aber nicht nur die direkt Betroffenen bzw. Beteiligten interessiert, spätestens seit PISA (Programme for international Student Assessment) sind das gesellschaftliche Interesse und somit die Erwartungen am qualitativ gutem Bildungswesen sowie guten Schüler- und Lehrerleistungen noch größer geworden. So konnten unter anderem in den PISA Studien nicht nur nachgewiesen werden, dass deutsche SuS im internationalen Vergleich eher schlecht bis mittelmäßig abgeschnitten haben (vgl. Becker, 2006), sondern auch, dass Disziplin und Lernerfolg miteinander korrelieren, dies bedeutet, je höher die Disziplin, desto besser die Leistungen.„Von den untersuchten Skalen der Unterrichtsqualität ist Disziplin das Merkmal, das von allem am stärksten mit dem Leistungsniveau korreliert“(Klieme& Rakoczky 2003, S. 348). Demnach kann in einem Unterricht mit Spannungen, Störungen und unzureichender Disziplin, Bildung nicht stattfinden (vgl. Shore, 2013).
Die besondere Bedeutsamkeit des Phänomens Unterrichtsstörung kann man auch ganz deutlich aus dem öffentlichen Interesse entnehmen, denn immer öfter geraten Lehrer, SuS sowie Schulen in die Schlagzeilen. In einer jüngeren Ausgabe der Weltzeitung vom 24.04.2012 berichtet sie über die zu stark theoretische Ausbildung der Lehrer, die infolge dessen mit nicht ausreichenden Praxiserfahrungen mit demotivierten, unkonzentrierten und schwierigen SuS alleine gelassen werden und völlig überfordert sind:„Disziplinlose Schüler überfordern deutsche Lehrer. Große Klassen und fehlende Disziplin der Schüler - das sind die größten Probleme für Pädagogen. Junge Lehrer fühlen sich schlecht vorbereitet. Das Verhältnis Lehrer-Eltern ist von Misstrauen geprägt“(http://www.welt.de/politik/deutschland/article106221096/Disziplinlose-Schueler- ueberfordern-deutsche-Lehrer.html. Stand: 17.6. 2014). Auch der „Spiegel“ thematisiert in einer Spezialausgabe die Leistungsfähigkeit bzw. die Leistungsunfähigkeit der Schulen allgemein und legt besonderes Augenmerk auf die Lehrkräfte. Während für viele Lehrer die Durchführung des Unterrichts immer qualvoller wird, bezeichnet Gerhardt Schröder sie als „faule Säcke“, die zu viele Ferien und einen krisensicheren Arbeitsplatz genießen (vgl. Meyer et al. In: Spiegel Special Nr. 3/ 2004).
Peter Struck, Professor für Erziehungswissenschaften an der Universität Hamburg, kritisiert ebenfalls die Lehrer aufgrund ihrer privilegierten Arbeitsbedingungen. Er vergleicht sie mit „Jobbern“, die eine kleine Morgenbeschäftigung mit guter Bezahlung nachgehen und fordert von ihnen, sich auch mit schwierigen SuS auseinanderzusetzen und mit ihnen gut aus zu kommen (vgl. Mohr et al. In: Spiegel Special Nr. 11/1996).
Andererseits sind aber auch Lehrkräfte mit den ihnen in der Schule zugemuteten Umständen nicht zufrieden. In Berlin protestieren 3.000 Lehrer gegen die schlechte Bildungspolitik, sie fordern eine Absenkung der Pflichtstundenzahl, kleinere Klassen, eine bessere Bezahlung, sowie eine allgemein vorteilhaftere Schulausstattung, um eine hohe Qualität von Unterricht zu gewährleisten (vgl. Vogt et al. In: Der Tagesspiegel, 4/ 2013).
Doch nicht nur Studien wie PISA, Berichte aus den Medien oder die allgemein gesellschaftlichen Erwartungen machen deutlich, wie wichtig die Rahmenbedingungen sind, die einen qualitativ guten Unterricht und somit Lernerfolg voraussetzen. Die Relevanz des Themas zeigt sich auch darin, dass Unterrichtsstörungen eine massive Belastung für Lehrer darstellen (vgl. Hillenbrand, 2003).„Es ist bekannt, dass der Umgang mit Unterrichtsstörungen und Disziplinkonflikten zu den stärksten Belastungen im Lehrerberuf gehört, unabhängig vom Alter oder von der Dauer der Berufserfahrung“(Lohmann 2011, S. 15).„Verschiedene Lehrerbelastungsstudien der letzten Jahre ist zu entnehmen, dass Unterrichtsstörungen mit zum schwerwiegendsten Belastungsfaktor geworden sind (Bauer 2004, Krause 2004, Schaarschmidt 2004). Ständige Regelverletzungen, mangelnde Aufmerksamkeit und aggressives Verhalten stressen Lehrerinnen und Lehrerin starkemMaße“ (Keller 2008, S. 27). Offensichtlich sind Lehrkräfte mit den alltäglichen Unterrichtsstörungen überfordert, fühlen sich allein gelassen und hilflos, allerdings leiden auch SuS unter den permanenten Störungen und Lärm im Unterricht und fühlen sich durch die Rücksichtslosigkeit ihrer Klassenkameraden nicht in der Lage vernünftig im Unterricht mit zumachen (vgl. Pfitzner, 2007).
Hierzu werden einige Schüleraussagen der Zulassungsarbeit von Μ. Sehner, am Lehrstuhl der Schulpädagogik der Universität Bayreuth von 1997 herangezogen:„In der zweiten Stunde kam Deutsch an die Reihe. Es war wieder laut. Dieses Mal sind es nicht so viele (Kinder) gewesen. Die Kinder, die laut sind, waren rücksichtslos. Die 3./4. Stunde war Religion. Unsere Lehrerin wollte ein Spiel machen, aber es ging nicht.“In einer weiteren Aussage heißt es:„Er (der Nachbar) hat mein schönes Bild zerrissen, und das hat mich gestört, und ich habe es dauernd der (Lehrerin) gesagt, aber die Lehrerin hörte nicht zu. Also musste ich etwas unternehmen“(Sehner 1997, zit. n. Pfitzner 2007, S. 11f).
1.1. Ziele der Arbeit
Angesichts der Tatsache, dass beide wichtigen Interaktionspartner, also die SuS sowie die Lehrer aufgrund der unterrichtlichen Störungen leiden, soll die Frage nach Schuld und Unschuld zunächst in Hintergrund rücken. Zentrales Anliegen dieser Arbeit ist es, mehr Einblick in die Problematik des Phänomens Unterrichtsstörungen zu bekommen. Dabei wird versucht den Begriff der Unterrichtsstörung klar abzugrenzen und zu operationalisieren, sich mit vorhandenen Theorien und Konzepten auseinanderzusetzen und diese zu vergleichen, um so mögliche Ursachen und Absichten von Unterrichtsstörungen herauszuarbeiten und geeignete Handlungsstrategien aufzuzeigen. Selbstverständlich wird durch diese Arbeit auch erhofft, den zukünftigen Beruf für mich als Lehrerin, mit neuen und bedeutenden Erkenntnissen und Einsichten zu füllen. Besonders soll deutlich gemacht werden, dass die größte Einflussmöglichkeit, Unterrichtsstörungen zu bewältigen, im Bereich der Lehrkräfte liegt und dass präventive Maßnahmen sich als geeigneter erweisen als reaktive Interventionen. Die dafür relevanten Fragestellungen werden an dieser Stelle stichwortartig dargestellt.
I. Welche Theorien und Konzepte sind von Bedeutung, um bestmögliche Aussagen über Definition, Erscheinungsform und Komplexität von Unterrichtsstörungen treffen zu können?
II. Welche wichtigsten Erklärungsansätze gibt es, um Ursachen und Gründe von Unterrichtsstörungen herauszuarbeiten?
III. Inwiefern spielt das Lehrerverhalten bei der Bewältigung von Unterrichtsstörungen eine Rolle und kann zur Vorbeugung, besseren Umgangs und Vermeidung von Unterrichtsstörungen angewendet werden?
1.2. Aufbau der Arbeit
Die vorliegende Arbeit gliedert sich in drei große Themenbereiche.
Nachdem in der Einleitung, die sowohl politische als auch gesellschaftliche Relevanz und Problematik des Themas herausgearbeitet und die Ziele der Arbeit bestimmt wurden, werden im zweiten Abschnitt Probleme einer Definition des Forschungsgegenstandes Unterrichtsstörungen aufgezeigt. Außerdem werden wichtige Forschungsergebnisse der letzten Jahre kurz skizziert. Des Weiteren beinhaltet dieses Kapitel die für die hier untersuchte Fragestellung theoretischen Grundlagen des Phänomens Unterrichtsstörung von K. Biller, R. Winkel, B. Benikowski und G. Lohmann. Ihre Ansätze sind für diese Forschungsarbeit von zentraler Bedeutung, daher werden sie ausführlich beleuchtet und erläutert. Über eine abschließende Zusammenfassung, in der die Kernaussagen nochmals verdeutlicht und die Theorien mit einander verglichen werden, wird das Kapitel abgeschlossen.
Der nächste wichtige Bereich behandelt mögliche Ursachen und Gründe, die als Erklärungsansatz für Unterrichtsstörungen in Betracht gezogen werden können. Auf der Grundlage der im vorherigen Kapitel erarbeiteten Theorien werden die drei bedeutendsten Ansätze, die Gründe auf Seiten des Lehrers, des Schüler und im System selbst sehen, ausführlich beschrieben und dargestellt. Definitionen, Erscheinungsformen und mögliche Ursachen bieten hilfreiche und notwendige Grundlagen, um wirksame und sinnvolle Handlungsperspektiven aufzuzeigen. Um erfolgreiches Lehren und Lernen zu ermöglichen, sind nicht nur reaktive Maßnahmen des Lehrers von Bedeutung, sondern auch die präventiven Maßnahmen, um Störungen vorzubeugen. Dieser Sachverhalt wird in Kapitel fünf genauer beschrieben und weiter ausgeführt. Diese Arbeit wird mit einem Fazit, in dem wichtigste Ergebnisse und Rückschlüsse noch einmal kurz zusammengefasst werden und einer persönlichen Stellungnahme dazu, abgeschlossen.
2. Forschungsgegenstand: Unterrichtsstörungen
2.1. Probleme einer Definition
Der Begriff „Unterrichtsstörung“ wird in der gängigen Fachliteratur unterschiedlich definiert und oft umschrieben. Um hier nur einige häufig verwendete Begriffe, die das Phänomen Unterrichtsstörung beschreiben zu nennen, spricht man unter anderem von Disziplinschwierigkeit, Konfliktfällen, aggressivem oder abweichendem Verhalten, Gewalt, Verhaltensauffälligkeit, Schwererziehbarkeit, Erziehungsschwierigkeit, Bildungswilligkeit, emotionale Störungen, Entwicklungsstörung, Verhaltensstörungen, psychosozialer Deformierung, Abnormität, Neurose, Dissozialität, Devianz, Hyperaktivität, Lern- und Leistungsstörung, Schulversagen und Schulvandalismus (vgl. Pfitzner, 2007). Anhand von zwei der oben genannten Begriffe wird nun beispielhaft gezeigt, warum diese sich als nicht geeignet und treffend erweisen, um das Problem der Unterrichtsstörung zu beschreiben.
Der Begriff der „Disziplinschwierigkeit“ hat den Nachteil, den Lehrer allein für eine Unterrichtsstörung für schuldig zu halten und ihn zu stark zu kritisieren, da es ihm nicht gelingt, für Disziplin, Ruhe und Ordnung im Unterricht zu sorgen (vgl. Winkel, 2009) . Der Ausdruck der „Verhaltensstörung“ hat zwar den Vorteil, dass dem Lehrer nicht mehr allein die Schuld zugewiesen wird, jedoch wird auch nicht mehr ganz klar, wer der beteiligten Interaktionspartner tatsächlich zur Verantwortung herangezogen werden kann. Denn schließlich kann nur der Psychologe sich um das richtige Verhalten der jeweils störenden SuS kümmern (vgl. Winkel, 1988). In diesem Zusammenhang konstituiert Pfitzner:„Nicht nur aus interaktionistischer Sichtweise überwiegen Jedoch die negativen Aspekte, da diese Termini zu stark einschränken, stigmatisieren oder mit Vorurteilen behaftet sind.“(Pfitzner, 2007, S. 64). Winkel ergänzt:„Eine solche personale Ausrichtung ist willkürlich, zerrt mal die Schüler, dann wieder die Lehrer oder die Eltern auf die Anklagebank und entmündigt die eigentlich Betroffenen“(Winkel 1988, S. 28). Außerdem fokussieren beide Begriffe nicht den Unterricht, denn z.B. können Disziplinprobleme auch im Sportverein zwischen dem Trainer und dem Sportler auftreten (vgl. Pfitzner, 2007). Da Unterrichtsstörungen sowohl von Lehrern und SuS als auch von äußeren Bedingungen wie z.B. durch ein plötzliches Schneien verursacht werden können, bietet es sich an, von einer personenbezogenen und eindimensionalen Ursachenvermutung wegzukommen und sich die Störungen im Unterricht vom Unterricht her zu betrachten und genauer zu beleuchten (vgl. Hillenbrand, 2003; Winkel, 2009).
Rainer Winkel, Michael Pfitzner, Carmen Große-Siestrup und Karlheinz Biller schlagen daher vor, den Begriff der „Unterrichtsstörung“ zu verwenden. Dies soll in Kapitel drei erläutert werden.
2.2. Empirische Studien
Erste bedeutende empirische Untersuchungen in Umgang mit Unterrichtsstörungen führt Kounin in den siebziger Jahren und liefert zentrale Befunde. Seine Untersuchungen liefern mehrere, neue und bis heute noch teilweise gültige Erkenntnisse. Von großer Bedeutung für die hier untersuchte Fragestellung ist, dass bestimmte Reaktionen der Lehrer auf unterschiedliche Störungen keinerlei Bedeutung beizumessen sind, vielmehr stellt er fest, dass das Verhalten und die Techniken des Lehrers, die vor allem der Prävention von Unterrichtsstörungen dienen, eine enorme Rolle spielen (vgl. Lohmann, 2003; Kounin, 1976). Mit dieser Erkenntnis beeinflusst er maßgeblich weitere Forschungen und gibt diesen neuen Anstoß (vgl. Große-Siestrup, 2010; Nolting, 2009).
Die Erkenntnisse von Kounin konnten in ihren Kernaussagen durch zahlreiche weitere Forschungen mehrfach sowohl im deutschsprachigen wie auch im amerikanischen Raum bestätigt werden. Rheinberg und Hoss (1979) überprüfen im deutschsprachigen Raum Kounins Dimensionen (Allgegenwärtigkeit, Überlappung, Reibungslosigkeit, Schwung, Gruppenmobilisierung, Rechenschaftsprinzip und Valenz) bei älteren SuS und mit anderen Methoden und kommen zu deckungsgleichen Befunden. Sie können bestätigen, dass in den Klassen die Störungen geringer sind, in denen der Lehrer vor allem das Prinzip der Allgegenwärtigkeit, Überlappung und einer ausgeprägten Gruppenaktivierung befolgt (vgl. Große-Siestrup, 2010; Nolting, 2009). Auch im amerikanischen Raum können durch reichlich viele Studien, insbesondere durch die Arbeiten von Evertson et al. (1993), die Befunde Kounins bestätigt werden. Zusätzlich werden die Erkenntnisse Kounins durch die Schaffung beständiger Ordnungsstrukturen sowie die Relevanz von Regeln ergänzt (vgl. ebd.).
Das Ehepaar Tausch & Tausch führen in den sechziger und siebziger Jahren Studien zum Führungsstil von Lehrkräften. Sie liefern wichtige Erkenntnisse über Lehrer-Schüler-Beziehungen, welche auschlaggebend für gelungene Klassenführung sind. Durch ihre Erkenntnisse können sie allgemeingültige und förderliche Empfehlungen bezüglich des sozialen Miteinanders im Unterricht geben (vgl. Apel, 2002).
Helmke & Renkl (1993) können ebenfalls die Aussagen Kounins bestätigen, dass ungünstige Rahmenbedingungen wie z.B. die Zusammensetzung sowie die Größe der Klasse oder das Leistungsniveau der SuS nur minimal als Erklärungsansatz für Unterrichtsstörungen in Frage kommen. Währenddessen könne sie belegen, dass das Lehrerverhalten eine signifikante Rolle bei der Aufrechterhaltung von Aufmerksamkeit und damit einhergehend der Geringhaltung von Störungen im Unterricht spielt (vgl. Nolting, 2009).
3. Theorien und Konzepte
Die Fachliteratur bietet zwar im Bereich der Pädagogik ein breites Spektrum über das Phänomen Unterrichtsstörung an, jedoch wird der Begriff der Unterrichtsstörung vergleichbar selten herausgestellt und thematisiert (vgl. Pfitzner, 2007; Große-Siestrup, 2010). Es liegen dennoch zusammenhängende Konzepte hierzu vor. Für diese Forschungsarbeit werden die Theorien und Konzepte über Unterrichtsstörung von K. Biller, R. Winkel, B. Benikowski und G. Lohmann genauer beleuchtet und dargestellt. Diese Theorien sind für die hier untersuchte Fragestellung von zentraler Bedeutung und bieten hilfreiche Grundlagen, das Phänomen der Unterrichtsstörung besser zu verstehen, zu erkennen, zu strukturieren und zu analysieren. Deshalb werden die Grundpositionen der einzelnen Theoretiker im Folgenden skizziert.
3.1. Karlheinz Biller
Nach Biller ist Schule stets ein optimaler Ort, in dem häufig unbeabsichtigt oder beabsichtigt der Unterricht unterbrochen wird. Trotz dieser anstrengenden und schwierigen Sachlage, würden sich engagierte Lehrkräfte Mühe geben, den pädagogischen Auftrag der Schule gerecht zu werden und effizienten sowie wertvollen Unterricht durchzuführen. Da Lehrer aber in der Ausbildung nicht ausreichend informiert und belehrt werden würden, geschehe die Bewältigung von Unterrichtsstörungen ohne die Absicherung wissenschaftlicher Erkenntnisse. Dem zur Folge würden Unterrichtsprozesse auf Entscheidungen und Beweggründen beruhen, die auf die eigenen, persönlichen Alltagserfahrungen der Lehrer zurückzuführen seien. Abgesehen davon habe die Pädagogik ihre Pflicht versäumt, Lehrkräften dabei zu unterstützen, dass ihnen die Übertragung von theoretischem Wissen in die Praxis gelinge (vgl. Biller, 1979).
„Sonst würde weiterhin die von der Medizin und Psychologie geprägte pseudowissenschaftliche Ratgeberliteratur diese Lücke schließen, pädagogische Gesichtspunkte würden vernachlässigt, negiert oder verfälscht“(Biller, 1979, zit. n. Pfitzner 2000, S. 73).
Vor diesem Hintergrund hält Biller es für besonders wichtig, vor allem pädagogische Aspekte, die auf wissenschaftlich fundiertem Wissen beruhen herauszuarbeiten und auf diese Weise besonders die Lehrer zu unterstützen (vgl. Biller, 1979).
Zur besseren Veranschaulichung wird anhand seines Modells zu Unterrichtsstörungen seine Theorie dargestellt und zum genaueren Verständnis schrittweise erläutert.
3.1.1. Modell zu Unterrichtsstörungen nach Biller
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb.: Biller 1979, S. 24. Schule bedeutet für Biller„eine vielfach begrenzte Einheit von Erziehung und Unterricht“ (...) die mehr ist als die Summe der gleichwertigen Summanden, Erziehung’ und ’Unterricht’“(Biller 1979, S. 23). Die Institution Schule als Ganzes, bezeichnet er als ein pädagogisches Feld, dessen Kern die Unterrichtssituation bildet. Entscheidend für die von ihm dargestellte Unterrichtssituation sind nicht nur institutionell festgelegte Rahmenbedingungen wie Raum, Zeit und Ort, sondern auch die Notwendigkeit von mindestens einem Lehrer (L) und einem Schüler (S). Beide Beteiligten, sowohl Lehrer als auch Schüler bringen aufgrund von individuellen Erkenntnissen und Lebenserfahrungen eine eigene Persönlichkeit mit (vgl. Biller, 1979).
In diesem Zusammenhang spielen neben den individuellen Erfahrungen auch die Außenbeziehungen (AB) eine beachtliche Rolle. Diese sind geprägt von Kommunikation, Interaktion und dem Umgang mit anderen Individuen und wirken aufgrund der Reziprozität auf das soziale Verhalten der jeweiligen Individuen in ihrer Umgebung und können fachlich, emotional oder gesellschaftlich betont sein (vgl. ebd.).
Biller verdeutlicht, dass die Berücksichtigung der individuellen Erfahrungen, Erkenntnisse und Außenbeziehungen der jeweils Beteiligten wie Lehrer und SuS in der komplexen Situation Unterricht zwingend erforderlich sind.
Des Weiteren verfügen sowohl Lehrer als auch SuS über einen„Ich-Bereich (...) der mehr oder weniger mit der Unterrichtssituation verknüpft und unterschiedlich ausgeprägt ist“(Biller 1979, S. 23). Dieser Ich-Bereich soll die mehrfachen Rollen der jeweils Beteiligten in der Gesellschaft ausdrücken. Demnach ist der Lehrer gleichzeitig Ehemann, Freund und Vater und der Schüler zugleich auch Freund, Sohn und Nachbar. Darüber hinaus verfügt der Lehrer im Ich-Bereich über drei Kernqualitäten, die Biller als Echtheit, Achtung und einfühlendes Verstehen bezeichnet. Die Aneignung dieser drei Hauptqualitäten wird für SuS als wünschenswert erachtet (vgl. ebd.).
Die einander zugewandten Bereiche von Lehrern und SuS werden nach Biller in vier Schichten unterteilt, die Μ. Pfitzner zusammengefasst hat:
„1. die kognitive Schicht. Dazu zählen Beziehungen im intellektuellen Bereich, wie z.B. sachliche Unterweisungen, Bemühungen um einen Unterrichtsinhalt, die Problematisierung von Unterrichts- und Erziehungszielen etc.
2. die emotionale Schicht. Diese sind z.B. Zuneigung, Sympathie, Antipathie, Freude, Angst, Unsicherheit usw.
3. die motorische Schicht. Sie bezieht sich vor allem auf nonverbale Kommunikationsinhalte wie z.B. Gesten, die Mimik und Handlungen.
4. die biologische Schicht. Sie beinhaltet das, was man als „Trieb“ bezeichnen kann“(Pfitzner 2007, S. 75).
Die Reihenfolge dieser Bereiche spiele keine Rolle, von Bedeutung sei aber, dass die Beziehungen zwischen Lehrern und SuS auf gleichen Bereichen stattfinden.„Treten Bereichsverschiebungen beispielsweise dadurch auf, dass der Lehrer einen Sachstoff in den Augen der Kinder zu sehr emotionsgeladen vorträgt, dann kann dies die Ursache für eine Beziehungsstörung sein“(Biller 1979, S. 25).
Die in der Skizze enthaltenen Zickzacklinien stellen die Frustations- und Störungsschwelle dar, umgeben die Lehrer- und Schülerbereiche und sind von den oben genannten Aspekten abhängig. Das Übertreten dieser Linien führt zu einer Unterrichtsstörung. Die Schüler-Lehrer-Beziehungen sind darüber hinaus geprägt von der interaktiven, kommunikativen, didaktischen und methodischen Dimension. Mit kommunikativer Dimension meint Biller jene zwischenmenschlichen Beziehungen, die den Austausch von Gestik und Mimik möglich machen, während die interaktive Dimension hingegen die Interaktion meint. Die didaktische Dimension macht die direkte Auseinandersetzung mit den Unterrichtsinhalten und dessen Schwierigkeiten zum Gegenstand. Die vierte und somit letzte Dimension, die methodische, beinhaltet die Art und Weise, wie der Lehrer den Stoff des Unterrichts vermittelt (vgl. Biller, 1979).
Aufgrund der oben genannten Faktoren und der Einwirkung dieser Dimensionen befinden sich die SuS sowie die Lehrer in einem unterrichtlichen Prozess, in dem sie ihre Beziehungen zu einander entwickeln. Von außen bestehende Zielerwartungen an Lehrer und SuS wirken zusätzlich auf das komplexe Beziehungsgeflecht und üben so Einfluss auf die Unterrichtssituation.„Anders gesagt, die Beziehungen zwischen einem Lehrer und seinen Schülern besitzen auch eine Richtung nach außen. Sie äußert sich zum einen, indem unbillige Forderungen abgeblockt werden, zum anderen zeigt es sich, dass unterrichtliche Ergebnisse in den Schülern Erwartungen wecken, die von .außen’ erfüllt werden sollen“(Biller 1979, S. 26). Biller meint weiterhin, dass die optimalste Lösung hierfür ein Kräftegleichgewicht sei, welches dadurch hergestellt werden könne, wenn gesellschaftliche Mächte weniger Einfluss auf die Schule ausüben könnten und die Institution Schule Ansprüche und Forderungen an die Gesellschaft senken würde. Doch sei dieser Zustand in der Realität zu selten zu verzeichnen (vgl. Biller, 1979).
Mit Hilfe dieser vereinfachten Darstellung von Unterrichtssituationen demonstriert Biller, dass ...
1. ...„alles was den Prozeß oder das Beziehungsgefüge von Unterrichtssituationen unterbricht oder unterbrechen könnte, (...) als konkrete oder potentielle Unterrichtsstörung definierbar“(Biller 1979, S. 28) sei.
2. ... jeder Unterricht als ein komplexer Prozess zu betrachten sei, dass ständig von inner-schulischen Faktoren wie z.B. das Lehrer-Schüler-Verhältnis sowie außer-schulischen Einflüssen, wie z.B. den gesellschaftlichen Mächten abhängig ist.
3. ... mit solch einem Blick auf Unterricht jede Unterrichtssituation diversen und unzähligen Schwierigkeiten und Spannungen ausgesetzt sei.„Es ist unmöglich, dass die vielfältigen, unterschiedlichen Erwartungen der Schüler und Lehrer in allen Augenblicken erfüllt werden. Kompromisse sind daher in jedem Augenblick zu schließen, gelegentlich zu besprechen oder stillschweigend vorauszusetzen. Fehlt diese Bereitschaft, dann besteht die Gefahr einer ernsthaftenStörung“ (Biller 1979, S. 29).
4. ... jegliche Art von Unterrichtsstörungen von den jeweiligen Interaktionspartnern individuell wahrgenommen, empfunden und interpretiert werden können (vgl. Biller, 1979).
3.1.2. Erscheinungsform von Unterrichtsstörungen bei K. Biller
Biller geht davon aus, dass Unterrichtsstörungen je nach Intensität differenziert werden können. Um einen besseren Überblick zu verschaffen, gibt er dem Phänomen der Unterrichtsstörung eine Struktur, indem er unterschiedliche Unterrichtsgrade in vier Kategorien einteilt.
1. Bagatellstörungen
Die erste Kategorie nennt Biller Bagatellstörungen, zu denen er z.B. Aufmerksamkeitsdefizite der SuS, das Vergessen der Hausaufgaben, die gegenseitige Neckerei unter den Mitschülern etc. zählt. Als Ursache für viele dieser Störungen sieht er spontane und natürliche Reaktionen der SuS, die der Lehrer„nicht als persönliche Beleidigung verstehen darf“(Biller 1979, S. 34), außerdem würde das gesamte Verhalten des Lehrers die Störsituation ebenfalls beeinflussen und lenken,„denn wenn eine Beziehung im Strukturgeflecht des pädagogischen Feldes verändert wird, dann ist die gesamte Situation eine andere geworden“(Biller 1979, S. 35).
2. Indirekte und direkte ernsthafte Störungen des Unterrichts
Störungen, die den Unterricht ernsthaft beeinträchtigen, bezeichnet Biller als komplex, die„vielschichtig“und„von anderen Störungen überlagert oder durchdrungen“seien (Biller 1979, S. 35). Für eine solche Art von Störungen bloß nur eine einzige Ursache zu finden, sei nicht einfach, daher sollen auch die Maßnahmen, die zur Behebung dieser Störung führen sollen, genauestens durchdacht und begründet werden. Des Weiteren unterteilt er die indirekten Störungen in drei Gruppen und meint, dass diese das gesamte Schulklima betreffen und verschlechtern.
Gruppe I: „Gestörte Beziehungen zu dem Schulhauspersonal“
Zu dieser Gruppe gehören alle Aktionen von SuS, die mit dem Beschädigen der Schulgegenstände wie z.B. das Verstopfen von Toiletten oder das Beschmieren von Zimmerwänden zu tun haben. Da der Hausmeister als Schulpersonal zwar autoritär, aber pädagogisch unprofessionell auftritt, entstehen unter anderem solche gestörte Beziehungen zwischen den SuS und dem Schulpersonal.
Gruppe II: „Störungen im normierten Schulbereich“
Hierzu zählen alle Delikte und Regelverletzungen gegen die allgemeine Schul- und Hausordnung sowie eine allgemeine Skepsis„gegenüber der Schule als unpersönliche Institution“(Biller 1979, S. 36).
Gruppe III: „Störungen im außerschulischen Bereich“
Diese Störungen finden außerhalb der Schule statt und werden überwiegend von den SuS verursacht. Als Beispiel werden der außerschulische Umgang mit Drogen genannt, Mobbing von schwächeren SuS sowie das Belästigen von Erwachsenen.
In dieser Kategorie unterscheidet Biller noch die direkte Unterrichtsstörung. Er meint, dass diese besonders das Lehrer- Schüler- Verhältnis schadet. Wiederzufinden seien diese Art von Störungen in der Arbeitsweise, wenn z.B. jemand faul oder überfordert ist, oder im zwischenmenschlichen Umgang der SuS untereinander, in Form von Klauen, Neid, etc. Zu Belastungen der LehrerSchüler-Beziehung kommt es seiner Meinung auch, wenn der Lehrer beispielsweise nicht akzeptiert, seine Aufträge und Anweisungen ignoriert und er sogar angelogen wird.
2. Unbehebbare Störungen
Unter unbehebbaren Störungen werden alle Störungen verstanden, die der Lehrer erstens nicht alleine (sondern z.B. nur mit Hilfe eines Sozialpädagogen) und zweitens überhaupt nicht mit den ihm zur Verfügung gestellten Mitteln und Maßnahmen bewältigen kann.„Die Ursachen dieser Störungen legen vorwiegend in der Anlage der Kinder und ihrer Um- und Mitwelt“(Biller 1979, S. 36).
3. Unvermeidbare Störungen
In diese Kategorie teilt Biller all die Störungen ein, dessen Ursachen das Schulsystem voraussetzen, also gesellschaftsbedingt sind. Die schulische Gesamtsituation, so Biller, strukturiere den Schulalltag, lege den mitunter auch langweiligen Lehrplan fest, stelle Erwartungen an die Institution Schule, die Lehrer sowie SuS erfüllen müssen. Diese Störungen seien unvermeidbar und sollen daher von allen akzeptiert werden (vgl. Biller, 1979).
3.2. Bernd Benikowski
Benikowski assoziiert mit dem allgemeinen Begriff der Störung etwas Negatives, den es zu hinterfragen gilt. Besonders in unterrichtlichen Situationen gehören gestörte Unterrichtsprozesse als wesentliche Bestandteile dazu, die nicht ausgegrenzt und als eigenständige Einheit behandelt werden dürfen. Für Benikowski ist der Unterricht geprägt von hoher Komplexität, den er als ein„dichtes Geflecht kommunikativer Auseinandersetzungen“(Benikowski 1995, S. 2) bezeichnet, in denen Störphasen definitiv zu erwarten seien. Er geht noch weiter und meint, dass ganz allgemein gesehen, diese Störungen Signale der einzelnen Interaktionspartner seien, die mitteilen wollen würden, dass sie, zunächst ganz unabhängig aus welchem Grund,„mit dem vorhandenen Lernarrangement nicht zurecht kommen“(ebd.) würden (vgl. Benikowski, 1995). Während Biller von Unterrichtsstörungen spricht, führt er als neuen Begriff den des „Unterrichtsbruches“ ein und versucht über eine systematische Herangehensweise dem Themenkomplex der Unterrichtsstörung anzugehen. Bei der Formulierung einer Definition des Begriffs „Unterrichtsbruch“ lehnt er sich stark an die Definition von Winkel, der Unterrichtsstörung definiert, geht aber darüber hinaus meint, dass Störungen immer im unterrichtlichen Kontext betrachtet werden müssen. Das einzelne Verhalten alleine für sich betrachtet, könne man nicht als störend definieren,„es wird erst in Bezug zum Lehr-Lern- Prozeß relevant“(Benikowski 1995, S. 5). Weiter sagt er, dass allgemein Unterrichtsbrüche als Modellstörungen von didaktischen Theoriekonzepten bezeichnet werden können, die dadurch gekennzeichnet sind,„wenn 1. zum einen ein bestimmtes Verhalten von den an der edukativen Kommunikation beteiligten Personen subjektiv als Störung erlebt und benannt wird und 2. das didaktische Konzept oder Modell keine gegenwarts- und situationsbezogene Handlungsmöglichkeit bzw. Ressource zur Konfliktbewältigung bereitstellt. Eine solche Phase der Unterrichtswirklichkeit ist dann als Unterrichtsbruch einzuordnen“(ebd.).
In seiner Theorie stellt er einen Zusammenhang zwischen den Unterrichtsbrüchen und „dem vom Lehrer gewählten Modell der unterrichtlichen Gestaltung“ her und untersucht diese didaktischen Theorien in Hinsicht darauf, ob diese Unterrichtsbrüche ausgrenzen oder eher miteinbeziehen. Die didaktischen Modelle sind für ihn nur vereinfachte Darstellungen,„einer komplexen Wirklichkeit (oder Wirklichkeitsdynamik), aber auch Ausgrenzungsmodelle, die nur Submodalitäten in ihrer Konzeption miteinbeziehen“(Benikowski 1995, S. 4). Diese Modellreduzierung bilde also das tatsächliche Unterrichtsgeschehen nicht vollkommen ab, daher müsse man, wenn man sichere Aussagen über die Qualität dieser Modelle treffen möchte, diese Theoriemodelle mit der tatsächlichen Unterrichtswirklichkeit vergleichen. Da also theoretische Erklärungsmodelle den unterrichtlichen Prozess nicht vollständig abbilden können, werden stets nur einzelne Bereiche wissenschaftlich untersucht. Andererseits könne erst durch diese vereinfachte Darstellung vor allem Lehrern Handlungsorientierungen geboten werden (vgl. Pfitzner, 2007; Benikowski, 1995). In diesem Kontext ist für Benikowski ausschlaggebend, ob Unterrichtsstörungen in den theoretisch-didaktischen Modellen bereits modellimmanent mit einkalkuliert wurden oder ob die didaktischen Modelle neu überdacht werden müssen, wenn man Unterrichtsstörungen genauer untersucht.„Dabei sind für die pädagogische Unterrichtswirklichkeit Grenz- oder Gültigkeitsüberschreitungen bei Störungsprozessen zu analysieren. Wird außerhalb eines definierten didaktischen Modells sonderpädagogische, therapeutische oder repressive Intervention verlangt oder behält das didaktische Unterrichtsmodell auch bei Störprozessen ganz oder teilweise seine Gültigkeit?“(Benikowski 1995, S. 5).
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- Citation du texte
- Anonyme,, 2014, Gesellschaftliche und politische Dimensionen von Unterrichtsstörungen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1361513
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