Im Rahmen des Hauptseminars „Die Kuba-Krise von 1962“ wurden die Ereignisse der zweiten Oktoberhälfte des genannten Jahres aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet und zu erklären versucht. Hierbei wurden im Wesentlichen drei Ansätze verfolgt: der Neorealismus, die Cognitive Maps und die Kommunikation. Mit Hilfe unterschiedlicher Theoriemodelle aus diesen drei Bereichen wurden einzelne Aspekte bzw. Akteure der Kuba-Krise und ihr Zusammenwirken untersucht, um auf diesem Wege die Ursachen für bestimmte Ereignisse und Verhaltensweisen sowie die jeweiligen Folgen herauszuarbeiten.
Es ist hierbei klar geworden, dass keiner der o. g. Ansätze die Kuba-Krise in ihrer Ganzheit erschöpfend zu erklären vermag, dass vielmehr die Untersuchung der Ereignisse aus verschiedenen Blickwinkeln vor Augen führt, wie facettenreich diese Krise war, wie komplex das System aus Akteuren und letztendlich auch wie unvorhersehbar ihr Ausgang.
Deswegen kann jeder Untersuchungsansatz nur einen Teil des Ganzen berücksichtigen, kann die Kuba-Krise nur aus einer ganz bestimmten, festgelegten Perspektive zu erklären versuchen, wobei zwangsläufig andere, ebenso relevante Aspekte ausgeblendet werden müssen. Dies gilt zum einen für das theoretische Grundkonzept, also die Entscheidung für ein neorealistisches, ein Cognitive Maps- oder ein Kommunikationsmodell zur Erklärung der Vorgänge, zum anderen aber auch für die zu untersuchende Akteursebene. Hier kann der Fokus auf die oberste (Staaten), mittlere (z. B. die Bürokratie, das Militär oder die Medien) oder unterste Stufe (Einzelpersonen) gelegt werden.
Diese Ausarbeitung verfolgt einen neorealistischen Erklärungsansatz, und zwar mit Blick auf die Staaten als zentrale Akteure, also die USA und die Sowjetunion. Hierzu wird zunächst das theoretische Grundgerüst näher erläutert, und zwar zuerst das Konzept des Neorealismus allgemein, danach wird speziell auf das für diese Arbeit maßgebliche Modell des „strukturellen Neorealismus“ des US-amerikanischen Politikwissenschaftlers Kenneth N. Waltz eingegangen. Im Anschluss daran wird das vorgestellte Modell ausführlich auf die Kuba-Krise mit ihren einzelnen Ereignissen und in ihren verschiedenen Phasen angewendet.
In der Schlussbetrachtung wird schließlich eine Bewertung dieses speziellen Modells hinsichtlich seiner Nützlichkeit aber auch seiner Grenzen für die Erklärung der Kuba-Krise vorgenommen.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Theoretische Grundlagen
2.1 Der Neorealismus
2.2 Das Modell des Kenneth Waltz: Der strukturelle Neorealismus
3 Die Kuba-Krise
3.1 Der Verlauf
3.2 Das Verhalten der USA
3.3 Das Verhalten der Sowjetunion
3.4 Das Zusammenspiel der Großmächte
4 Schlussbetrachtung
Literaturverzeichnis
1 Einleitung
Im Rahmen des Hauptseminars „Die Kuba-Krise von 1962“ wurden die Ereignisse der zweiten Oktoberhälfte des genannten Jahres aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet und zu erklären versucht. Hierbei wurden im Wesentlichen drei Ansätze verfolgt: der Neorealismus, die Cognitive Maps und die Kommunikation. Mit Hilfe unterschiedlicher Theoriemodelle aus diesen drei Bereichen wurden einzelne Aspekte bzw. Akteure der Kuba-Krise und ihr Zusammenwirken untersucht, um auf diesem Wege die Ursachen für bestimmte Ereignisse und Verhaltensweisen sowie die jeweiligen Folgen herauszuarbeiten.
Es ist hierbei klar geworden, dass keiner der o. g. Ansätze die Kuba-Krise in ihrer Ganzheit erschöpfend zu erklären vermag, dass vielmehr die Untersuchung der Ereignisse aus verschiedenen Blickwinkeln vor Augen führt, wie facettenreich diese Krise war, wie komplex das System aus Akteuren und letztendlich auch wie unvorhersehbar ihr Ausgang.
Deswegen kann jeder Untersuchungsansatz nur einen Teil des Ganzen berücksichtigen, kann die Kuba-Krise nur aus einer ganz bestimmten, festgelegten Perspektive zu erklären versuchen, wobei zwangsläufig andere, ebenso relevante Aspekte ausgeblendet werden müssen. Dies gilt zum einen für das theoretische Grundkonzept, also die Entscheidung für ein neorealistisches, ein Cognitive Maps- oder ein Kommunikationsmodell zur Erklärung der Vorgänge, zum anderen aber auch für die zu untersuchende Akteursebene. Hier kann der Fokus auf die oberste (Staaten), mittlere (z. B. die Bürokratie, das Militär oder die Medien) oder unterste Stufe (Einzelpersonen) gelegt werden.
Die folgende Ausarbeitung wird einen neorealistischen Erklärungsansatz verfolgen, und zwar mit Blick auf die Staaten als zentrale Akteure, also die USA und die Sowjetunion. Hierzu wird zunächst das theoretische Grundgerüst näher erläutert werden, und zwar zuerst das Konzept des Neorealismus allgemein, danach wird speziell auf das für diese Arbeit maßgebliche Modell des „strukturellen Neorealismus“ des US-amerikanischen Politikwissenschaftlers Kenneth N. Waltz eingegangen. Im Anschluss daran soll das vorgestellte Modell ausführlich auf die Kuba-Krise mit ihren einzelnen Ereignissen und in ihren verschiedenen Phasen angewendet werden. In der Schlussbetrachtung wird dann versucht, eine Bewertung dieses speziellen Modells hinsichtlich seiner Nützlichkeit aber auch seiner Grenzen für die Erklärung der Kuba-Krise vorzunehmen.
2 Theoretische Grundlagen
Bevor die Kuba-Krise unter Anwendung des Modells von Kenneth Waltz näher beleuchtet wird, soll zunächst dieses Modell selbst erläutert werden.
Hierbei wird einführend der aus dem klassischen Paradigma des Realismus entwickelte Neorealismus kurz dargestellt werden, den Waltz dann wiederum zu seinem Modell des „strukturellen Neorealismus“ weiterentwickelt hat.
2.1 Der Neorealismus
Die Theorie der Internationalen Beziehungen lässt sich ganz allgemein in vier Paradigmen oder Denkmuster aufteilen, von denen eins der klassische Realismus ist.[1] Dieser Realismus geht davon aus, dass der Mensch ein gewisses Maß an Schlechtigkeit besitzt und nur begrenzt vernunftbegabt und lernfähig ist. Für die internationale Politik ergeben sich daraus enge Grenzen für Kooperation und rationales Verhalten. Vielmehr ist das Eigeninteresse der Staaten von zentraler Bedeutung, und ihr oberstes Ziel ist Sicherheit, die vor allem durch Machtakkumulation erlangt wird, wobei der Gewinn des einen Staates automatisch den Verlust eines anderen bedeutet. Sicherheit und Frieden im internationalen System wird hiernach vor allem durch Aufrüstung und die damit verbundene Abschreckung garantiert, was ein im Grunde nicht aufhebbares „Sicherheitsdilemma“ nach sich zieht.[2]
In dieser klassischen Variante des Realismus spielt allerdings nur das Politische die zentrale und entscheidende Rolle, das Gewicht liegt auf der Macht- und Sicherheitspolitik, während die wirtschaftlichen Grundlagen politischer und militärischer Macht nicht relevant scheinen. Vielmehr werden diese als gegeben vorausgesetzt. Dieser Sichtweise stand zu einem gewissen Zeitpunkt jedoch die weltpolitische Entwicklung entgegen. Der sogenannte „American Decline“, ein in den 1960er Jahren beginnender relativer wirtschaftlicher Niedergang der USA, hatte Folgen für ihre bisherige Führungsposition im internationalen Staatensystem. Bisher hatte das mächtigste Land der Erde internationale öffentliche Güter wie Stabilität – durch ieine von ihm geprägte Weltwirtschaftsordnung – und Sicherheit – durch eine
von ihm geprägte Weltmilitärordnung inkl. nuklearer Abschreckung gegenüber der Sowjetunion – bereitstellen können. Mit dem Schwinden der wirtschaftlichen Führungsposition war es jedoch nicht länger möglich, in diesem Umfang eine internationale Führungsrolle zu spielen. Und weil sich zeitgleich zum wirtschaftlichen Fall der USA andere Gebiete positiv entwickelten (Europa, Japan), war der wirtschaftliche Schwerpunkt der Erde nicht mehr deckungsgleich mit dem militärischen – den die USA immer noch darstellten. Vor diesem Hintergrund entwickelte sich in den 1970er Jahren in den USA der sogenannte Neorealismus, der dem wirtschaftlichen Bereich dieselbe Bedeutung zumisst wie dem militärischen. In diesem neuen Paradigma spielte für die Wahrung nationaler Interessen nicht mehr nur die Sicherheitspolitik, sondern auch die Außenwirtschaftspolitik eine entscheidende Rolle.[3]
Ein sehr bedeutender Vertreter dieser neuen Richtung war Kenneth Waltz, der 1979 mit dem Standardwerk „Theory of International Politics“ eine Variante des Neorealismus, den „strukturellen Neorealismus“ begründete.
2.2 Das Modell des Kenneth Waltz: Der strukturelle Neorealismus
Waltz entwickelt in der o. g. Arbeit ausführlich seinen theoretischen Ansatz, wobei er zunächst sein Theorieverständnis darlegt, dann reduktionistische und systemische Theorien näher beschreibt, bewertet und vergleicht, bevor er dann über einen strukturalistischen Weg zur Erklärung ökonomischer und militärischer Effekte im internationalen System gelangt.[4]
Nach Waltz können Phänomene der internationalen Politik nicht durch singuläre Betrachtung des Handelns der einzelnen Staaten erklärt werden, vielmehr spielt die Struktur des Staatensystems eine entscheidende Rolle für den Effekt, der letztendlich aus staatlichem Handeln auf internationaler Ebene entsteht: „Each state arrives at policies and decides on actions according to its own internal process, but its decisions are shaped by the very presence of other states as well as by interactions between them.“[5] Dies bedeutet, dass „konstante Muster in der internationalen Politik […] nicht durch das intentionale Staatshandeln [entstehen], sondern durch die strukturelle Ähnlichkeit der Staaten. Diese Ähnlichkeit entsteht, da alle Staaten identische Aufgaben (allen voran das Überleben im internationalen System) zu bewältigen haben.[6]
Um einen Erklärungsansatz zu entwickeln, muss also das internationale System näher untersucht werden. Dieses System besteht aus den Akteuren einerseits und den Strukturen andererseits. Waltz konzentriert sich auf die Strukturen, also die Art, wie die einzelnen Akteure zueinander in Beziehung stehen und angeordnet sind. Dabei nimmt er eine klare Abgrenzung zwischen Struktur und Akteur vor, um einen „Strukturbegriff“ zu haben, „der frei ist von den Eigenschaften der Akteure und ihren Interaktionen“[7].
Wie diese Struktur im Einzelnen aussieht, lässt sich nach Waltz durch drei Prinzipien beschreiben. Zum einen durch das Ordnungsprinzip. Dieses besagt, dass trotz der international prinzipiell herrschenden Anarchie und ohne eine über den Staaten stehende ordnende Instanz eine Art von Ordnung, eine Struktur, auf der Basis der „Selbsthilfe“ der einzelnen Staaten entsteht. Dies geschieht dadurch, dass jeder Staat zum Zwecke des eigenen Überlebens und des Erreichens von Sicherheit nur in einem bestimmten Rahmen handeln kann. Wird dieser Rahmen verlassen, wird der Fortbestand des jeweiligen Staatswesens gefährdet. Dies führt zu einer Anpassung der Staaten an das internationale System. Die Struktur des Systems bestimmt, welche Art von staatlichem Handeln erfolgreich ist.[8] Das zweite Prinzip bei Waltz ist die Definition von Staaten als entscheidende Akteure bzw. Einheiten des internationalen politischen Systems, die in diesem System prinzipiell alle die gleiche Funktion haben. Das dritte Prinzip schließlich ist die Verteilung der Fähigkeit, diese Funktion auch zu erfüllen, mit anderen Worten, die Verteilung von Macht. Ändert sich eines dieser drei Prinzipien, so ändert sich die gesamte Struktur des Systems.[9]
Im internationalen politischen System, in dem es kein Gewaltmonopol gibt und somit jeder grundsätzlich auf militärische Angriffe von außen vorbereitet sein muss, ist „strukturell determinierte Selbsthilfe […] das vorherrschende, handlungsleitende Prinzip“[10].
Ein zentraler Effekt dieses Systems ist nach Waltz im „Balance-of-power“ zu sehen. Die einzelnen Staaten, die, jeweils bestimmt durch die ihnen zur Verfügung stehenden (Macht-)Mittel, bestimmte Ziele verfolgen, wenden bestimmte interne und externe Strategien an, um diese zu erreichen. Zu den internen Maßnahmen gehören z. B. die Stärkung des eigenen Militärs oder der Wirtschaft, extern spielt dagegen vor allem die Bildung von Allianzen eine Rolle. Im internationalen System, dessen Struktur den Staaten bestimmte Zwänge hinsichtlich ihres Handelns auferlegt, ist im Sinne der Sicherheit eine Beteiligung am „Balance-of-power“-System für jeden Staat nötig, da Sicherheit im internationalen System ein begrenztes Gut ist und ein „Balance-of-power“-Zustand eine größtmögliche Gleichverteilung von Sicherheit gewährleistet.[11] In diesem System versuchen die Akteure eben nicht, ihre Macht zu maximieren und dadurch Veränderungen herbeizuführen, vielmehr ist man im Sinne der Stabilität des Systems und der eigenen Sicherheit nur darum bemüht, seine Macht zu behaupten.[12]
Im anarchischen internationalen System, in dem jeder Staat nach dem Selbsthilfe-Prinzip handeln muss, wird Stabilität eben gerade dadurch erreicht, dass sich alle dieser Maxime entsprechend verhalten. Dabei üben alle Staaten prinzipiell dieselbe Funktion aus, sie unterscheiden sich nur durch ihr unterschiedliches Machtpotential.[13] In dieser anarchischen Struktur des internationalen Systems und dem Überlebenswillen der einzelnen Akteure in diesem System sieht Waltz die Ursache für die absolute Dominanz von Sicherheitsüberlegungen in der internationalen Politik.[14]
Aus dieser Betrachtung ergibt sich ein Erklärungsansatz für die internationale Politik, in der zwei Variablen auftauchen, eine unabhängige und eine abhängige, wobei letztere von ersterer bestimmt wird. Die unabhängige Variable ist die Struktur des internationalen politischen Systems[15]. Sie bestimmt die abhängige Variable, das Verhalten der Staaten, im konkreten Fall der Kuba-Krise das Konfliktverhalten. Inwieweit kann also das Handeln der Staaten USA und Sowjetunion während der Kuba-Krise durch die Struktur des internationalen Systems erklärt werden? Inwieweit können eventuell sogar Gesetzmäßigkeiten festgestellt werden, anhand derer eine bestimmte Handlungsweise vorhergesagt werden kann? Diesen Fragen soll nun anhand der Ereignisse vom Oktober 1962 nachgegangen werden.
[...]
[1] Die weiteren Paradigmen sind Idealismus, Institutionalismus und Strukturalismus, vgl. Menzel, Ulrich (2001): Zwischen Realismus und Idealismus. Die Lehre von den Internationalen Beziehungen, Frankfurt/Main, S. 20.
[2] Vgl. Menzel: Zwischen Realismus und Idealismus, S. 21 f.
[3] Vgl. Menzel: Zwischen Realismus und Idealismus, S. 141 ff.
[4] Vgl. Waltz, Kenneth (1979): Theory of International Politics, Boston/Mass.u.a.
[5] Vgl. Waltz: Theory, S. 65.
[6] nach Waltz, vgl. Vogt, Thomas (1999): Der Neorealismus in der internationalen Politik. Eine wissenschaftstheoretische Analyse, Wiesbaden, S. 42 f.
[7] Vgl. Vogt: Der Neorealismus, S. 43.
[8] Vgl. Vogt: Der Neorealismus, S. 44 f.
[9] Vgl. Vogt: Der Neorealilsmus, S. 46 f.
[10] Vogt: Der Neorealismus, S. 48.
[11] Vgl. Vogt: Der Neorealismus, S. 48 ff.
[12] Vgl. Menzel: Zwischen Realismus und Idealismus, S. 158.
[13] Vgl. Menzel: Zwischen Realismus und Idealismus, S. 158.
[14] Vgl. Vogt: Der Neorealismus, S. 50 f.
[15] Vgl. Vogt: Der Neorealismus, S. 47.
- Quote paper
- Ulrike Busch (Author), 2008, Die Kuba-Krise aus neorealistischer Perspektive, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/136114
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