Der folgende Text soll die philosophisch bedeutsamen Unterschiede zwischen Kants Begriff der Neigung und Hegels Begriff des Triebes diskutieren.
Zunächst werde ich Kants Begriff der Neigung erörtern. Dafür werde ich ausführlicher auf die in „Die Metaphysik der Sitten“ vorliegende Beschreibung eingehen und diese durch Auszüge aus der „Grundlegung zur Metaphysik der Sitten“ sowie der „Kritik der praktischen Vernunft“ ergänzen. Anschließend folgt eine Deutung des Begriffs des Triebes, die Hegel in der „Enzyklopädie der Philosophischen Wissenschaften“ darlegt, um abschließend die Unterschiede zwischen beiden Begriffen herausstellen zu können.
Die Unterschiede zwischen Kants Begriff der Neigung und Hegels Begriff des Triebes
Der folgende Text soll die philosophisch bedeutsamen Unterschiede zwischen Kants Begriff der Neigung und Hegels Begriff des Triebes diskutieren. Zunächst werde ich Kants Begriff der Neigung erörtern. Dafür werde ich ausführlicher auf die in „Die Metaphysik der Sitten“ vorliegende Beschreibung eingehen und diese durch Auszüge aus der „Grundlegung zur Metaphysik der Sitten“ sowie der „Kritik der praktischen Vernunft“ ergänzen. Anschließend folgt eine Deutung des Begriffs des Triebes, die Hegel in der „Enzyklopädie der Philosophischen Wissenschaften“ darlegt, um abschließend die Unterschiede zwischen beiden Begriffen herausstellen zu können.
Die Neigung kann nur in Bezug zu der allgemeineren Beschreibung des menschlichen Geistes verstanden werden, die Kant in der Einleitung der „Metaphysik der Sitten“ darlegt. Ausgangspunkt dieser Beschreibung ist das Begehrungsvermögen, das Kant als „[...] das Vermögen, durch seine Vorstellungen Ursache der Gegenstände dieser Vorstellungen zu sein“1definiert. Damit ist die grundlegende Fähigkeit gemeint, planmäßig und zielgerichtet agieren zu können. Beispielsweise kann ein Mensch die Vorstellung haben, etwas zu trinken, sich dann ein Glas Wasser holen und es trinken, wodurch er zur Ursache seiner vorherigen Vorstellung wird.
Das Begehrungsvermögen wird auf zweierlei Weise beeinflusst. Die Beeinflussung des Begehrungsvermögens durch ein sinnliches Lustempfinden definiert Kant als Begierde. Dabei muss betont werden, dass von der Begierde nur gesprochen wird, wenn die sinnliche Lust dem Begehrungsvermögen „[.] als Ursache, notwendig vorhergeh[t] [.]“2. Eine regelmäßig empfundene Begierde wiederum wird als Neigung definiert.3Die Verbindung zwischen einem Lustempfinden und dem Begehrungsvermögen bezeichnet Kant als Interesse.4Im oben beschriebenen Beispiel wäre der einmalige Drang ein bestimmtes Glas Wasser zu trinken eine Begierde, wohingegen bei einem generellen Gefallen am Trinken von Wasser von einer Neigung gesprochen werden müsste und der Vorgang des Trinkens das Interesse der Neigung wäre.
Demgegenüber steht der durch die Vernunft gelenkte Wille, der ebenfalls das Begehrungsvermögen beeinflussen kann. Für das willentliche Handeln ist ausschlaggebend, dass die Gründe für Handlungen „[...] nicht in dem Objekte angetroffen [,..]“5werden, also nicht durch die über Sinneswahrnehmungen vermittelte materielle Welt deterministisch bestimmt sind, sondern willentlich selbst gegeben werden können. Diese Fähigkeit „[.] nach Belieben zu tun oder zu lassen [.]“6bezeichnet Kant, wenn die konkrete Handlung umsetzbar ist, als Willkür, wenn nicht, als Wunsch. Den Menschen zeichnet aus, dass er in der Lage ist, eine Handlung ausschließlich aus der Vernunft heraus zu motivieren, daher kann er über „[.] die Willkür, die durch reine Vernunft bestimmt werden kann [.] die freie Willkür“7verfügen. Durch die hier umrissene Darstellung der menschlichen Bewusstseinsvorgänge nach Kant wird deutlich, wie gegensätzlich für ihn die sinnlichen Neigungen einerseits und der vernünftige Wille andererseits sind. Die Neigungen entspringen der sinnlichen Lust, die natürlich gegeben und völlig von der Vernunft getrennt ist. Verdeutlicht wird diese Interpretation dadurch, dass die nur durch Neigungen bestimmte Willkür von Kant auch als „[.] tierische Willkür [.]“8bezeichnet wird. Dies zeigt, dass Kant auf Neigungen begründetes Handeln als etwas Animalisches ansieht, dass der, den Menschen auszeichnenden, Vernunft gegenübersteht.
In der „Grundlegung zur Metaphysik der Sitten“ werden die Neigungen als „Die Abhängigkeit des Begehrungsvermögens von Empfindungen [.]“9definiert. Dies unterstützt die bereits dargelegte Deutung des Begriffs der Neigung als etwas rein Sinnliches. Auch zeigt sich hier, dass Kant Neigungen tendenziell ablehnend gegenübersteht: „Die Neigungen [.] haben so wenig einen absoluten Wert [.] daß vielmehr, gänzlich davon frei zu sein, der allgemeine Wunsch eines jeden vernünftigen Wesens sein muß.“10Es ist somit die Aufgabe des Menschen, seine Neigungen zu „bezwingen“11, also kontrollieren zu können.
Eingeschränkt wird diese Ablehnung in den Fällen, in denen die Lust nicht die Ursache des Begehrungsvermögens ist, sondern aus einem durch die Vernunft bestimmten Interesse erwächst. Wenn also etwas aus rein vernünftigen Gründen regelmäßig begehrt wird, handelt es sich um eine „sinnenfreie Neigung“12.
Auch Hans Reiner beschreibt Handlungen, die aus einer Neigung heraus entstehen, als rein sinnlich, sie erscheinen dem Handelnden „erfreulich“ und sind „[.] für ihn mit Lust verbunden [.]“.13Für ihn stehen sie im „[.] Wollen und Handeln aus dem Bewusstsein der Plicht [.]“14als Gegensatz gegenüber.
Um Kants Position gegenüber den Neigungen genauer zu erklären, müsste nun eine Darstellung seiner auf der Vernunft basierenden Ethik folgen, die den Rahmen dieses Textes sprengen würde. Es kann hier nur festgehalten werden, dass Kant die Neigungen in einen engen Zusammenhang zu dem sinnlichen Lustempfinden setzt und ein auf ihnen begründetes Handeln als gegensätzlich zum vernunftbasierten Handeln ansieht.
Nach dieser ausführlichen Diskussion von Kants Begriff der Neigungen, soll dieser von Hegels Begriff der Neigungen beziehungsweise Triebe abgegrenzt werden. Hegel beschreibt die Triebe und Neigungen in der Theorie des subjektiven Geistes als Teile des Willens15, den er als „[.] die an sich seiende Einheit der Allgemeinheit und der Bestimmtheit [.]“16definiert. Das bedeutet, dass im Willen ein inhärenter Widerspruch liegt, der daraus besteht, dass wir zwar einerseits frei sind, nach Belieben zu handeln, uns andererseits immer auf eine bestimmte Handlung festlegen müssen.
Der Wille wird als „[.] denkend und an sich frei [.]“17beschrieben und kann sich „[.] über deren [der Triebe] mannigfaltigen Inhalt [.]“18stellen, dadurch ist er reflektierend. Durch diese Beschreibung wird deutlich, dass der Wille eindeutig eine bestimme Form von Vernunft besitzt. Da die Triebe und Neigungen als Teile des Willens angesehen werden können, kann man daraus schließen, dass auch sie schon in den Bereich des Geistes fallen und nichts rein Sinnliches sind.
Diese Darstellung der Triebe als etwas Geistiges wird dadurch verdeutlicht, dass der „wissende Wille“ nach Hegel „[.] dazu fortschreiten [muss], die Objektivität als ein Moment der Selbstbestimmung zu setzen [.]“19. Damit ist gemeint, dass der Wille sich gerade dadurch selbst bestimmt, dass er einen konkreten Trieb als ausschlaggebend für seine Handlung selbst setzt. Für diese Deutung spricht auch, dass Kant den Trieb als „[.] eine subjektive Willensbestimmung, die sich selber ihre Objektivität gibt“20beschreibt. Durch die individuelle Entscheidung, einem bestimmten Trieb nachzugehen und seinen Inhalt in der realen Welt umzusetzen, bestimmt sich der Wille selbst. Um noch einmal zum oben diskutierten Beispiel des Trinkens eines Wasserglases zurück zu kommen, müsste man nach Hegel diese Tat nicht nur als eine rein sinnlich motivierte Befriedigung von Begierden ansehen, sondern könnte in ihr schon eine Form der Selbstbestimmung erkennen, da schon die Auswahl des Getränks gegenüber der Vielzahl anderer Möglichkeiten ein willentlicher Akt ist.
Durch die bis hierhin gewonnenen Charakterisierungen des Begriffs der Neigung bei Kant und des Begriffs des Triebes bei Hegel lassen sich einige bedeutende Unterschiede feststellen. Aus Kants Beschreibung lässt sich ein klarer Gegensatz zwischen den rein sinnlichen Neigungen und dem vernünftigen Verstand ableiten. Diesen Gegensatz gibt es bei Hegel nicht unbedingt, da die Triebe ein notwendiger Teil des sich selbst bestimmenden Willens sind. Sie können als Triebe zur Selbstverwirklichung angesehen werden und dies ist immer etwas Geistiges. Daraus folgt auch, dass die Triebe nicht auf dieselbe Art wie bei Kant vom Willen kontrolliert werden müssen, da sie nicht vom Willen getrennt und durch diesen in Schachgehalten werden müssen, sondern vernünftiges Handeln sich in Form der Selbstbestimmung durch die Auswahl konkreter Triebe als handlungsleitend zeigt.
Peperzak schreibt dazu, dass die „[.] ungeordnete Mannigfaltigkeit einzelner besonderer Neigungen [.] durch den vernünftigen Willen regiert werden [.]“21muss um ein „systematisches Ganzes“22zu bilden. Der Wille ist somit nach ihm, wenn er Vernunft besitzt, den verschiedenen Neigungen nicht beliebig ausgeliefert und kann diese in eine kohärente Gestalt zu bringen. Allerdings müssen die Neigungen deshalb nicht unbedingt unvernünftig sein, was sich aus der folgenden Deutung des §474 schließen lässt: „Die besonderen Neigungen sind die Erscheinung des an sich vernünftigen Willens, der ihr verborgenes Wesen ist.“23Die Neigungen als Erscheinungsformen des Willens zu beschreiben, ergibt hinsichtlich der bis hierhin entwickelten Deutung Sinn, weil dadurch ihr selbstbestimmender Charakter deutlich wird. Erneut wird klar, wie stark sich die Position von Kant unterscheidet, da der Verstand für ihn ein Gegenpool zu den Neigungen darstellt während diese für Hegel etwas immanent Vernünftiges besitzen.
Es kann abschließend festgestellt werden, dass Hegel im menschlichen Bewusstsein eine Einheit von Neigungen und Willen sieht während bei Kant die sinnlichen Triebe dem vernünftigen Bewusstsein gegenüberstehen. Somit kann Hegels Begriff des Triebes als eine Antwort auf die radikale Aufspaltung des menschlichen Bewusstseins bei Kant und als Versuch der Überbrückung der durch Kant beschriebenen Gegensätze gedeutet werden.
Literaturverzeichnis
Kant, Immanuel: Gesammelte Schriften, Hrsg.: Preussische Akademie der Wissenschaften, Band IV - VI
Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Werke; Teil: 3., Phänomenologie des Geistes. Suhrkamp- Taschenbuch Wissenschaft
Reiner, Hans: Pflicht und Neigung, Westkulturverlag A. Hain
Peperzak, Adriaan: Hegels praktische Philosophie, Frommann-Holzboog
[...]
1Kant, MS, AA VI, 211
2Kant, MS, AA VI, 212
3Kant, MS, AA VI, 211
4Kant, MS, AA VI, 211
5Kant, MS, AA VI, 212
6Kant, MS, AA VI, 211
7Kant, MS, AA VI, 211
8Kant, MS, AA VI, 211
9Kant, GMS, AA IV, 413
10Kant, GMS, AA IV, 428
11Kant, GMS, AA V, 30
12Kant, MS, AA VI, 213
13Reiner, Pflicht und Neigung, S. 16
14Reiner, Pflicht und Neigung, S. 16
15Hegel, Enz., §478
16Hegel, Enz., §473
17Hegel, Enz., § 476
18Hegel, Enz., § 467
19Hegel, Enz., § 473 Zusatz
20Hegel, Enz., § 473 Zusatz
21Peperzak, Hegels praktische Philosophie S. 59
22Peperzak, Hegels praktische Philosophie S. 59
23Peperzak, Hegels praktische Philosophie S. 60 f.
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- Lennard Fredrich (Autor), 2023, Die Unterschiede zwischen Kants Begriff der Neigung und Hegels Begriff des Triebes, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1360549