In dieser Arbeit stehen folgende Forschungsfragen im Fokus: Welche Chancen, aber auch Grenzen bietet der Sport zur Gewaltprävention? Können Kontaktsportarten trotz ihrer hohen Gewaltbereitschaft positive Auswirkungen auf gewalttätige Jugendliche aufzeigen? Welche Handlungsempfehlungen lassen sich zur Verbesserung der Gewaltprävention durch Sport für gewalttätige Jugendliche ableiten?
Obwohl Fußball und Boxen medial und wissenschaftlich negativ behaftet sind, tauchen die Kontaktsportarten in der Arbeit mit Jugendlichen außerordentlich häufig auf. Der "Mitternachtssport" oder „Sports for more“ können als gewaltpräventive Projekte durch Sport stellvertretend angeführt werden. Auch Waldemar Sidorow, welcher die Box-Akademie in Hamburg als erster Vorsitzender repräsentiert, ist von der positiven Wirkung des Sports überzeugt. "Für uns ist Sport das Medium, Kinder und Jugendliche in ihrer Persönlichkeitsentwicklung zu fördern, ihnen zu vermitteln, wie man Ziele durch regelmäßiges Training erreichen kann", so Sidorow in einem Interview. Vor dem Hintergrund dieser Kontroversen und unterschiedlichen Positionen wird sich mit dem Thema des gewaltpräventiven Potenzials des Sports näher beschäftigt.
Zur Beantwortung der Forschungsfragen werden im ersten Teil theoretische Grundlagen geklärt. Dabei werden der Begriff der Gewalt sowie verschiedene Aggressionstheorien erläutert. Mit dem Fokus auf der „Jugend“ wird die Bezugsgruppe der Arbeit näher spezifiziert. In Kapitel 4 wird anschließend der Begriff der Prävention und seine unterschiedlichen Verwendungen beleuchtet. Der zweite Teil der Arbeit befasst sich mit den Chancen und Grenzen des Sports in Hinblick auf Gewaltprävention. Zunächst werden Potenziale im und durch den Sport herausgearbeitet. Sodann werden Grenzen sowie Kontroversen aufgezeigt und um eine Darstellung des aktuellen Forschungsstandes ergänzt. Im dritten Teil werden schließlich die herausgearbeiteten Erkenntnisse anhand eines realen Jugendsportprojektes diskutiert.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
Teill: Theoretische Grundlagen Gewalt
2.1 Begriffliche Eingrenzung
2.2 Begriffliche Abgrenzung
2.3 Aggressionstheorien
2.3.1 Triebtheorie
2.3.2 Frustrations-Aggressions-Theorie
2.3.3 Lerntheoretischer Ansatz
3 Jugend
3.1 Jugendbegriff.
3.2 Entwicklungsaufgaben im Jugendalter
3.3 Jugendgewalt
3.4 Statistische Befunde
4 Prävention und Sport
4.1 Gewaltprävention
4.2 Sport-, Körper- und Bewegungsprävention
Teilll: Chancen und Grenzen der Gewaltprävention durch Sport
5 Gewaltprävention und Sport
5.1 Gewaltprävention durch Sport
5.1.1 Sportarten der Gewaltprävention durch Sport
5.2 Gewaltprävention im Sport
5.3 Grenzen der Gewaltprävention durch Sport
5.3.1 Kausalitätsannahmen des Sports
5.3.2 Kontroversen der Gewaltprävention durch Sport
5.3.3 Forschungsstand
TEILIII: Fallanalyse
7. Projekt „KICK und Sports for more" - Prävention von Jugendgewalt
7.1 Projektbeschreibung
7.2 Projektanalyse
7.Fazit
Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
1 Einleitung
„Beleidigt, bespuckt, getreten“ lautet die Überschrift eines Artikels in der Süddeutschen Zeitung im August des Jahres 2021. Darin wird über einen 13jährigen gewalttätigen Jungen berichtet, welcher einen Polizisten attackierte (Süddeutsche 2021, S.1). Zudem füllten Onlineartikel der WELT und des Spiegels mit den Titeln „Massenschlägerei unter Zwölfjährigen auf Klassenfahrten“ und „Messerangriff an Realschule - Teenager offenbar schwer verletzt“ die digitale Medienwelt mit Bezug auf das Thema der Jugendgewalt (vgl. SPIEGEL 2021, S.1; WELT 2018, S.1 ).
Das „Deutsche Jugendinstitut“, welches die polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) sowie andere amtliche Daten der Strafverfolgungs- und Strafvollzugsstatistik analysiert, nennen zwei Gründe für sinkende Zahlen der eben beispielhaft genannten Gewaltdelikte unter Jugendlichen: Neben den positiven Auswirkungen der Kontaktbeschränkungen der Corona-Pandemie im Jahr 2020, wird auch die gute Präventionsarbeit als ausschlaggebender Indikator für den Rückgang der Jugendgewalt beschrieben (vgl. DJI 2021, S. 1). Auch die Langzeitstudie „Kriminalität in der modernen Stadt“, unter der Leitung von Boers, beschreibt den Rückgang der Jugendgewalt (vgl. Boers & Reinecke, 2019, S.). Trotz sinkender Zahlen der Gewaltdelikte unter Jugendlichen, verlieren Maßnahmen der Gewaltprävention nicht an Bedeutung (vgl. DJI, 2021). Sport spielt hier eine wiederkehrend bedeutende Rolle. Zum einen wird dem Sport eine „Ventil-Funktion“ zugesprochen die sich durch die Katharsis-Theorie erklären lässt. Zum anderen werden ihm Potenziale anerkannt, da Jugendliche in ihrer Freizeit gerne Sport treiben und diese Beschäftigung zur drittliebsten Freizeitaktivität gehört (vgl. Mutz 2018, S. 73).
Dies sind Gründe für eine steigende Bedeutung der Sport-, Körper-, und bewegungsbezogenen Konzepte in der sozialen Arbeit, der Präventions- und Jugendarbeit (vgl. ebd.). Auch von Seiten der Politik, der Pädagogik, der Kriminologie und Sportorganisationen wird der Sport regelrecht als „Königsweg“ in der Gewaltprävention angesehen (vgl. Melzer et al., 2015, S. 522).
Der Krimiloge Pfeiffer ist überzeugt von der gewaltpräventiven Wirkung des Sports und schreibt den Sportvereinen einen „Schutzimpfungseffekt gegen Jugendkriminalität“ zu (vgl. Pilz, 2013). Jedoch stehen dieser Argumentation viele Experten kritisch gegenüber, da eine präventive Wirkung von Sport und Bewegung gegen Gewalt empirisch nicht belegt ist (vgl. Melzer et al., 2015, S.522). Als Beispiel kann an dieser Stelle die amerikanische Sportpsychologin Butt (1974) angeführt werden, welche in ihren Untersuchungen zeigt, dass die Welt des Sports häufiger, als viele annehmen, destruktives Verhalten, wie bspw. Betrügen, Doping usw., verstärkt (vgl. Pilz 2013, 19). Sie schreibt in ihrer Arbeit, dass sich vor Fußball ebenso gefürchtet werden sollte, wie vor Krieg (vgl. ebd.). Diese Erkenntnisse werden von den Medien bekräftigt und bestätigt, wie der Artikel aus der Frankfurter Allgemeine Zeitung dokumentiert, „Schande von Nizza erschüttert französischen Fußball“ (vgl. FAZ, 2021, 1). Der Artikel berichtet über die handgreifliche Auseinandersetzung zwischen Fußballprofis und Fans. In deutschen Fußball-Ligen kommt es zudem immer häufiger zu handgreiflichen Auseinandersetzungen. Jedoch steht nicht nur der Fußball im Fokus des extremen Gewaltpotenzials, sondern auch Kampfsportarten, wie Boxen und Mixed-Martial-Arts (MMA). Gerade durch Medienberichte, wie „McGregor-Kampf endet in wüster Massenschlägerei“ rücken die maßgeblichen präventiven Wirkungen von Sport in alle Ferne (vgl. WELT 2018, 1).
Obwohl Fußball und Boxen medial und wissenschaftlich negativ behaftet sind, tauchen die Kontaktsportarten in der Arbeit mit Jugendlichen außerordentlich häufig auf. Der „Mitternachtssport“ oder „Sports for more“ können als gewaltpräventive Projekte durch Sport stellvertretend angeführt werden. Auch Waldemar Sidorow, welcher die Box-Akademie in Hamburg als erster Vorsitzender repräsentiert, ist von der positiven Wirkung des Sports überzeugt. „Für uns ist Sport das Medium, Kinder und Jugendliche in ihrer Persönlichkeitsentwicklung zu fördern, ihnen zu vermitteln, wie man Ziele durch regelmäßiges Training erreichen kann“, so Sidorow in einem Interview (vgl. Süddeutsche 2018, 1).
Vor dem Hintergrund dieser Kontroversen und unterschiedlichen Positionen wird sich im Weiteren mit dem Thema des gewaltpräventiven Potenzials des Sports näher beschäftigt. Dabei stehen die folgenden Forschungsfragen im Fokus:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Forschungsfragen
Zur Beantwortung dieser Fragen werden im ersten Teil theoretische Grundlagen geklärt. Dabei werden der Begriff der Gewalt sowie verschiedene Aggressionstheorien erläutert. Mit dem Fokus auf der „Jugend“ wird die Bezugsgruppe der Arbeit näher spezifiziert. In Kapitel 4 wird anschließend der Begriff der Prävention und seine unterschiedlichen Verwendungen beleuchtet. Der zweite Teil der Arbeit befasst sich mit den Chancen und Grenzen des Sports in Hinblick auf Gewaltprävention. Zunächst werden Potenziale im und durch den Sport herausgearbeitet. Sodann werden Grenzen sowie Kontroversen aufgezeigt und um eine Darstellung des aktuellen Forschungsstandes ergänzt. In dritten Teil werden schließlich die herausgearbeiteten Erkenntnisse anhand eines realen Jugendsportprojektes diskutiert. Die Arbeit endet mitei- nem zusammenfassenden Fazit zur Beantwortung der formulierten Forschungsfragen.
Teil I: Theoretische Grundlagen
2 Gewalt
Um sich mit dem gewaltpräventiven Potenzial des Sports, beziehungsweise den Chancen und Grenzen der Gewaltprävention durch Sport auseinanderzusetzen, bedarf es zunächst einer Beschreibung des Terminus Gewalt.
2.1 Begriffliche Eingrenzung
Der Begriff der Gewalt findet in den unterschiedlichen gesellschaftlichen Kontexten Verwendung, so auch in der Wissenschaft. Ein Blick in die Literatur macht deutlich, dass diese außerordentlich vielfältig und facettenreich ist (vgl. Christ & Gudhus 2013, S. 1). So stellt die Erforschung von Gewalt Wissenschaftler nicht nur vor begriffliche oder methodologische Herausforderungen, sondern führt auch an eine Grenze intersubjektiven Verstehens: Schmerzzuführung als ein Resultat von Gewaltanwendung, kann kaum in „Sprache“ übersetzt werden (vgl. Gudehus & Christ, 2013, S. 1). Zudem scheint der Begriff „Gewalt“ „schillernd und uneindeutig“ zu sein (Melzer 2015, S. 25 zitiert nach Imbusch, 2002, S. 43). Um diese Uneindeutigkeit weiter aufzulösen, wird im Folgenden der Begriff der Gewalt aus zwei unterschiedlichen Perspektiven näher beleuchtet.
Gewalt: Sprachwissenschaftliche Perspektive
Die etymologische Bedeutung von Gewalt findet sich bereits im althochdeutschen Begriff „(gi)walt, was dem Begriff der „Verfügungsfähigkeit“ als Begriffsherkunft zugeteilt ist (vgl. Melzer 2015, S. 26 zitiert nach Imbusch, 2002, S. 29). Besonders zum Vorschein kommt, dass im Gegensatz zu anderen Sprachen in dem Begriff Gewalt nicht zwischen positiv und negativ normierten Phänomenen und Handlungsweisen unterschieden werden kann. So beschreibt Melzer: „Er kann sowohl die rohe, gegen Sitte und Recht verstoßende Einwirkung auf Personen (lat.: violentia) als auch das Durchsetzungsvermögen in Macht- und Herrschaftsbeziehung (lat.: potestas) bedeuten“ (vgl. Melzer 2015, S. 26). Somit liegt ein mehrsinniger Begriff mit unter- schiedlichen Bedeutungshaltungen vor, weshalb „Gewalt“ in drei Bedeutungslinien ausgedrückt wird: „Staatliche Gewalt“, „Strukturelle/Kulturelle Gewalt“ und „Personale Gewalt“.
Scheu vergleicht die drei Bedeutungslinien der Gewalt mit dem Konzept der Gewaltenteilung in legislative, exekutiver und judikative Gewalt, „Das deutsche Wort Gewalt umfasst damit begrifflich die sowohl die rechtlich kodifizierten Formen des staatlichen Handelns als Einflussnahme auf Individuen und Gesellschaft“ (vgl. Autrata et al., 2009, S. 14). Neben dem staatlichen Einfluss auf Individuen und Gesellschaft spielen die Formen der physischen und psychischen Gewalt eine zentrale Rolle (vgl. ebd.). Darunter werden Aktionen verstanden, welche auf andere Personen abzielen. Es handelt sich in dem Sinne immer um „Täter“ und „Opfer“ (vgl. ebd.). In einer engeren Formulierung des Begriffs wird Gewalt auf solche Aktionen beschränkt, die eine physische Schädigung auf Seiten des Opfers zur Konsequenz haben (vgl. Melzer 2015, S.25).
Sozialwissenschaftliche Perspektive
In der Sozialwissenschaft ist die begriffliche Festlegung mit Problemen verbunden, so heißt es: „Im Begriff der Gewalt [...] vermengen sich normative, historisch und gesellschaftlich relative Gesichtspunkte mit deskriptiven Aspekten.“ (Autrata et al., 2009, S. 14) Jedoch lässt sich meist die Unterscheidung zwischen einem eng und einem weit gefassten Gewaltbegriff finden (vgl. ebd.). Der enge Gewaltbegriff beschreibt die zielgerichteten, direkten physischen Schädigungen (vgl. ebd.). Damit ist die physische Verletzung von Menschen durch Menschen, soweit sie absichtsvoll stattgefunden hat, gemeint (vgl. Autrata et al., 2009, S. 16). Ein weit gefasster Gewaltbegriff versteht zusätzlich - neben der physischen Gewalt - auch die psychische Gewalt. Diese definiert die verschiedensten Formen psychischer Beeinträchtigung wie beispielweise: Drohung, Beleidigung, Verachtung etc. Nachdem in der vorangehenden Eingrenzung der Begriff der Gewalt in verschiedene Bedeutungslinien sowie ein enges und weites Verständnis ausdifferenziert werden konnte, soll der folgende Teil Gewalt kategorial nahen Begriffen abgrenzen
2.2 Begriffliche Abgrenzung
- Aggression, Gewalt und Delinquenz -
Während in der Soziologie Aggressionen meist mit einer Schädigungsabsicht verknüpft und entsprechend stigmatisiert werden, ist in der Psychologie der Begriff Aggression als Beschreibung zunächst als ein wertneutrales Verhalten vorzufinden (Autrata et al., 2009, S. 15)
„Aggressives Verhalten (aggredere, lat.: an jemanden herantreten, angreifen, überfallen) mit dem Gegenüber attackiert wird, kann auf physische (z.B. Schubsen oder Schlagen), verbale (z.B. Hänseln) oder relationale (z.B. Ausgrenzen oder Isolieren) Weise stattfinden.“ (Melzer 2015, S.17).
Berkowitz verweist jedoch im Gegenzug darauf, dass Aggressionen auch als eine äußere Beobachtung zugänglich sind: „as from behaviour that is intended to injure someone physically or psychologically.“ (Kleinert und Kleinknecht 2012 zitiert nach Berkowitz 1993, S. 3). Relevant für die fortlaufende Arbeit ist hierbei, dass hinter aggressiven Verhaltensweisen entsprechende psychologische Eigenschaften und Merkmale einer Person liegen, die üblicherweise als Aggressivität und Gewaltbereitschaft bezeichnet werden und als motivationale Dispositionen von Aggressionen gelten (vgl. ebd.).
Um aggressives Verhalten zu erkennen, sind die Kenntnis der wesentlichen Differenzierung, das genaue Hinschauen und das zielgenaue Eingreifen sehr bedeutsam (vgl. ebd.). Doch um aggressives Verhalten zu erkennen und Handlungsmöglichkeiten zu entwickeln ist es notwendig, den Aggressionsbegriff weiter auszudehnen. Melzer entwickelt hierfür eine Erweiterung des Begriffs in physische und soziale Formen der Aggression. Diese werden auf fünf verschiedene Ebenen und Perspektiven untergliedert (vgl. ebd.). Formen und Strategien, Motive für aggressives Verhalten, explorativer und ernsthafte Aggression, Abgrenzung zwischen Aggression und Mobbing und soziale Ablehnung und soziale Akzeptanz bilden die Überschriften der Ebenen, beziehungsweise Perspektiven . Melzer möchte mit den verschiedenen Perspektiven und Ebenen deutlich machen, dass aufgrund der Sozialisation Aggressionen zwischen Kindern und Jugendlichen unvermeidbar sind. Das bedeutet wiederum, dass der Schwerpunkt vermehrt darauf gelegt werden sollte, inwieweit bei aggressiven Verhalten Unterbindungen oder Entgegenwirkungen stattfinden könnten (vgl. ebd.).
Wie eben beschrieben, sind Aggressionen für äußere Beobachter zugänglich. Gewalt und Delinquenz gehören auch dazu. Da die Begriffe sich nicht eindeutig unterscheiden lassen, wird darauf verwiesen, dass der Gewaltbegriff im sozialen Kontext verwendet wird (Gewalt gegen jemanden) während der Aggressionsbegriff dies nicht erzwingt (vgl. Kleinert und Kleinknecht 2012, S. 273 zitiert nach Petermann & Reuber 2009). Auch die Delinquenz lässt sich nicht eindeutig von Aggression und Gewalt abgrenzen. Jedoch ist sie in diesem Zusammenhang von Bedeutung, da einige sport- und körperbezogene Maßnahmen nicht unmittelbar der Reduktion von Aggression oder Gewalt, sondern die Reduzierung von Deliquenzquoten zum Ziel haben (vgl. ebd.). Delinquenz wird oftmals erwähnt, wenn Auffälligkeiten im Rahmen einer Straftat existieren. Obwohl eine Straftat nicht mit Aggression gleichzusetzen ist, schließt sie häufig Personenmerkmale wie Aggressivität und Gewaltbereitschaft mit ein (vgl. ebd.).
2.3 Aggressionstheorien
Um Jugendgewalt oder Gewalt erklären zu können, verweisen Wissenschaftler auf psychologische und soziologische Aggressionstheorien (vgl. Storck 2014, S. 122). Storck beschreibt, dass sich aus diesen Theorien nicht direkte oder „niemals“ direkte Handlungsmöglichkeiten ableiten lassen. Dennoch können diese Einsichten dem pädagogischen Handeln Orientierung bieten. Darunter fällt auch, sich bewusst zu machen, was pädagogisch wirkungsvoll und was nicht (vgl. ebd.) Da der Fokus dieser Arbeit darauf liegt, das gewaltpräventive Potenzial des Sports und deren Chancen und Grenzen herauszuarbeiten, ist es essentiell zu verstehen, wie Gewalt entsteht und was die Ursachen der Gewalt sind. Deshalb sollen die theoretischen Erklärungsansätze zu Gewalt an dieser Stelle zu besserem Verständnis führen. Im Folgenden werden die für die Arbeit wesentlichsten theoretischen Erklärungsansätze zu Gewalt aufgezeigt.
2.3.1 Triebtheorie
Wenn nach der Ursache von Aggressivität gefragt wird, beziehen sich viele Wissenschaftler auf eine der klassischen Grundposition der Psychologie von Sigmund Freud (vgl. Imbusch, 2010, S.37). Auch Storck (2014) und Imbusch (2010) erklären, dass die Antworten auf die Frage, warum Menschen gewalttätig handeln, oft auf die Triebtheorie von Freud bezogen werden kann. Freud behauptet, dass der Mensch als ein triebbestimmtes Wesen geboren sei, welches im Prozess der Sozialisation mühsam erlernen müsse, die Triebe zu kontrollieren und zu unterdrücken (vgl. Storck 2014, S. 122). Wenn diese Triebe nicht befriedigt werden, spricht die Tiefenpsychologie von einer Entstehung von Unlust, was wiederum Gefühle von Hass und Aggressionen hervorruft (vgl. ebd.) Eine solche Entstehungskette konnte Freud zunächst mit dem In- stanzen-Modells erklären. So beschreibt Storck:
„Im Rahmen seines Instanzen-Modells (Über-ICH-ICH-ES) suchte er die Lösung die von ihm entdeckte Problematik darin, dass Menschen lernen müssen, selbst zwischen den Anforderungen des Über-ICH einerseits sowie den Impulsen der eigenen Trieb- und Bedürfniswelt anderseits zu vermitteln.“ (Storck 2014, S. 122)
Freud verstand darunter, dass jeder Mensch, ob er wolle oder nicht, lernen müsse, Unlust auszuhalten. Wichtig war ihm dabei, dass die Menschen lernen Unlusterfahrungen zu steuern, sodass keine Aggressionen oder Neurosen daraus wachsen (vgl. Storck 2014, S.122; Imbusch 2010, S. 38). Übereinstimmend verweisen Imbusch und Storck darauf, dass Freud seine Auffassung später korrigierte. Grund dafür war der Erste Weltkrieg. Insbesondere die schrecklichen Kriegsgeschehnisse, mit u.a. Massenvernichtungen, ließen ihn seine Theorie revidieren (vgl. Imbusch 2010, S. 38). Freud erlangte die Ansicht, dass der Mensch von Geburt an nicht nur die „Libido“, den Lebens- und Sexualtrieb, sondern auch den Destruktionstrieb, auch Todestrieb genannt, in sich trägt (vgl. Storck 2014, S.122). Neben dem Lebens- und Sexualtrieb war Freud der Auffassung, dass auch der Todestrieb kontrolliert und unterdrückt werden müsse. Darauf verweist auch Storck. So heißt es: „Da Freud den Hang zur Aggressivität als Ausdruck eines Triebes begriff, meinte er, dass solch ein Trieb nie ausgeschaltet, sondern nur kontrolliert werden kann,“ (Storck 2014, S.122) Zusammengefasst sagt die zentrale Aussage der ersten Aggressionstheorie von Freud aus, dass Aggression Folge von Unlusterfahrungen ist.
Neben Freud geht auch Konrad Lorenz (1903 -1989) von einem angeborenen Aggressionstrieb von Menschen aus. Lorenz ist der Überzeugung, dass die menschliche Aggressivität ein Produkt der Evolution ist und (selbst für die Gattung Mensch) zudem lebensnotwenig erscheint. Storck und Imbusch verweisen darauf, dass Lorenz die Behauptung vertritt, dass biologisch betrachtet Aggressionen wichtig seien (vgl. Storck 2014, S.122; Imbusch 2010, S. 38). Hier führt Storck ein Beispiel der Evolutionsgeschichte aus der Tierwelt an, in welcher die Eingrenzung und Verteidigung von Revieren eine bedeutende Rolle gespielt haben.
„In Kämpfen können sich auf diese Weise die stärksten Tiere durchsetzen, z.B. in Rudeln. Nachdem sie sich einmal als Leittiere behauptet haben, werden sie eine Zeit lang anerkannt, sodass ein Rudel ohne ständige interne Machtkämpfe friedlich existieren kann.“ (Storck 2014, S.124)
Nach Lorenz sind Aggressionen ein fester Bestandteil der Natur „[.] ein Teil der system- und lebenserhaltenden Organisation aller Wesen [.]“ (ebd.). Bedeutsam festzuhalten ist, dass Lorenz die Ansicht von Freud teilt, es sei nicht förderlich, den Trieb zu unterdrücken. Die Problematik, welche bei Unterdrückung aggressiver Triebe entsteht, ist eine Anstauung und somit wachsende Lust/Begierde auf aggressive Akte/Situationen (vgl. ebd.). Auch Imbusch betont nach Lorenz die nicht förderliche Unterdrückung von Aggressionen:
„Je mehr Aggressionen aufgestaut wurden, desto geringer ist für ihn der notwendige Auslöser für eine Abreaktion. Nach der Entladung der angestauten Energien bauen sich erneut aggressive Impulse auf, bis es zur neuerlichen Abreaktion kommst.“ (Imbusch 2010, S.38)
Lorenz folgt der Konsequenz, dass es immer wieder für Menschen Gelegenheiten geben müsse, ihre Aggressivität auf nicht-destruktive Weise abzubauen (vgl. Storck 2014, S.122). Als Beispiel führt Storck den Sport an, an welchem Menschen aktiv oder passiv teilnehmen können. Storck nennt hierfür die Bereiche des Sporttreibens oder Besuchens von Sportveranstaltungen.
Auch Lorenz sieht im Sport dieses Potenzial und eine erstaunliche Begeisterung von Menschen für z.B. Bundesligaspiele:
„Sie identifizieren sich mit ihrer Mannschaft, treten aggressiv gegenüber den Anhängern anderer Mannschaften auf und geben insbesondere während des Spiels ihrer inneren Aggressivität lauthals Ausdruck.“ (Storck 2014, S. 124)
Dieses Verhalten begrüßt Lorenz und nennt dieses einen natürlichen Ausdruck einer inneren Aggressivität (vgl. ebd.). Neben dem Sport spricht Lorenz die Pädagogik an, welche im Rahmen von Gewaltpräventionsprojekten für Jugendliche in dieser Arbeit bedeutsam ist. Hier verweist Storck auf die Überzeugungen von Lorenz, dass der Versuch, Kinder und Jugendliche zu nicht aggressiven Menschen zu erziehen, unrealisierbar sei (vgl. ebd.). Infolgedessen sollte nach den Experten angestrebt werden, heranwachsende Kinder und Jugendliche in einem konstruktiven Umgang mit ihren Aggressionen zu schulen (vgl. ebd.). Des Weiteren fordert Lorenz genügend Spielräume für das Ausleben von Aggressivität in Kindergärten und Schulen einzubauen. Darüber hinaus sollten Schulen und Vereine immer wieder mit den Heranwachsenden den angeborenen Trieb abtrainieren, sodass er keine zerstörerische Wirkung trägt (vgl. ebd.). Zusammengefasst ist die zentrale Aussage der Aggressionstheorie von Lorenz, dass Aggression ein Ausdruck eines angeborenen Aggressionstriebes ist, welcher in Vorzeiten notwendig für menschliche Artenerhaltung war.
2.3.2 Frustrations-Aggressions-Theorie
Während Freud und Lorenz an einen angeborenen Destruktions- oder Aggressionstrieb des Menschen glauben (1900-1980), beschäftigt sich John Dollard (1900-198) und eine Gruppe amerikanischer Wissenschaftler mit der Frage, was eigentlich Aggressionen hervorrufen und unter welchen Bedingungen sie entstehen (vgl. Imbusch 2010, S.38).
Die Frustrations-Aggressions-Theorie von Dollard beinhaltet, dass Menschen so leben können, dass Frustrationserfahrungen weitgehend vermieden werden (Storck 2014, S. 125). Jedoch erklären Imbusch und Storck diesen Theorieansatz als unrealistisch. Dies untermauert Storck mit seiner Feststellung, dass ein Wachstum von Aggressivität gewalttätiges Verhalten verstärkt. Dollard revidierte seine Theorie und kam zum dem Schluss: „[.] dass Aggression als Folge von Frustration nur eine mögliche Reaktion unter anderem ist und das aggressive Verhalten nicht zuletzt von der Art der Frustration abhängt.“ (Imbusch 2010, S.39) Storck stimmt der Richtigkeit dieser Theorie von Dollards zu, da bei Gewalttätern in überwiegend allen Fällen ermittelt wurde, dass das Verhalten auf eine Frustration zurückzuführen war (vgl. Storck 2014, S. 124). Jedoch vertritt er die Auffassung, dass viele Jugendliche trotz Enttäuschungen und negativer Erfahrungen nicht gewalttätig und aggressiv werden würden. Auch Berkowitz (1962) hat in seinen Untersuchen aufgezeigt, dass Aggressionen nicht unwillkürlich verantwortlich sind für eine gewalttätige Reaktion (vgl. Imbusch 2010, S.39). Nach Imbusch sind Berkowitz emotionale Zustände als assoziatives Konstrukt zu verstehen, in welchen unterschiedlichen Gefühlen, physiologische Prozesse, motorische Reaktionen und Erinnerungen sowie Gedanken miteinander verknüpft sind (vgl. ebd.). Außerdem wird beschrieben, dass Frustrationen zudem nur zu Aggressionen führen, wenn der Betroffene das Geschehnis als beabsichtigt wahrnehme:
„Eine Aggressionsreaktion auf eine Frustration ist also am ehesten dann zu erwarten, wenn eine Provokation vorliegt, die von der betroffenen Person als ein eindeutiges Fehlverhalten eingeschätzt wird, der Betroffene ohnehin aggressive Verhaltensgewohnheiten und geringe Hemmungen hat, und eine bestimmte Situation aggressive Signale und Hinweisreize, aber keine aggressionshemmende Faktoren bereithält.“ (Imbusch 2010, S.39)
Neben der vorliegenden Provokation spricht Imbusch auch davon, dass heutzutage komplexere Prozessmodelle einen Blick auf die Interdependenzen möglicher Aggressionsursachen unterscheiden. Beispiele hierfür sind die situativen Variablen und Hintergrundvariablen (vgl. ebd.). Unter situativen Variablen können neben der Frustration auch das Beleidigen, Normverletzungen, interpersonelle Konflikte und Umweltstressoren zählen. Dies ist unterschiedlich zu den Hintergrundvariablen. Hier liegt der Fokus auf physiologi- sche Elemente wie beispielsweise das Temperament oder die Impulsivität einer Person (vgl. ebd.). Imbusch beschreibt, dass bestimmte Charaktereigenschaften Aggressionen verstärken können. Hier zählt er die kulturellen Umwelteinflüsse hinzu, welche Aggressionen eines Menschen verstärken. Zudem erwähnt er, dass Aggressionen aber auch das Ergebnis sozialer Aktionen sind, so das folgende Zitat:
„Aggression ist dann eigentlich Machtausübung eines Interaktions partners, die ihr Motiv in der Kontrolle über andere, in der Wieder herstellung von Fairness nach Gerechtigkeitsverletzungen oder dem Wunsch, als starke und mächtige Person zu erscheinen, finden kann.“ (Imbusch 2010, S. 40 zitiert nach Bierhoff/Wagner 1998)
2.3.3 Lerntheoretischer Ansatz
Lern - und Entwicklungstheorien schließen in vielfältiger Weise an die zuvor genannten Aggressionstheorien an, welche als eine Art Fundament zu sehen sind (vgl. Imbusch 2010, S.41). Imbusch schreibt, dass Gewalt nicht nur als beständige Verhaltensdisposition in einem Individuum angesehen werden kann oder als ein Trieb, der sich manchmal entlädt (vgl. ebd.). Er sieht Gewalt eher als etwas an, was innerhalb der Sozialisation erfahren, internalisiert und weitergeben wird (vgl. Imbusch 2010, S.41). So heißt es in Rückführung auf Lern- und Entwicklungstheorien: „Lerntheorien geben darüber Auskunft, wie Gewalt als Handlungsmuster gelernt und über welche Mechanismen verinnerlicht wird.“ (ebd.)
Die klassischen Theorien lassen sich unterteilen in die behavioristischen und kognitivistischen Lerntheorien. In behavioristischen Lerntheorien steht das Verhalten des Individuums im Vordergrund. Diese Theorien gehen von der Anfangszeit des Behaviorismus aus und stellen die Psyche als eine „blackbox“ dar (vgl. ebd.). Die Wissenschaft ist davon ausgegangen, dass Reaktionen auf Reize folgen (vgl. ebd.) Die kognitivistischen Lerntheorien betrachten dagegen das Lernen und die Auseinandersetzung mit der natürlichen Umwelt. Imbusch beschreibt, dass die Theorie des sozialen Lernens von Bandura (1979) die behavioristischen und kognitivistischen Elemente im Erfolgslernen und im Lernen am Modell verbindet. Bandura verfolgt somit die These, dass Aggressionen die Folge von Erfahrungen seien: „Ihm zufolge wird Aggression innerhalb sozialer Lernprozesse gelernt, z.B. durch Erfahrungen von Belohnung und Bestrafung.“ (Imbusch 2010, 45)
Imbusch schreibt hierzu weiter, dass gerade dem Lernen am Modell (Beobachtungsbedeutung) von Bandura eine große Bedeutung zugesichert werden kann (vgl. ebd.) Dies liegt daran, dass Bandura in seinen experimentellen Beobachtungen herausgefunden hat, dass Kinder nur anhand des Beobachtens vorgelebter Verhaltensweisen lernen, diese zu übernehmen oder schon Erlerntes zu verstärken (vgl. ebd.). Storck fügt hinzu, dass aggressives Verhalten entsteht, wenn Vorteile erwartet werden. Diese Beobachtungen werden von Bandura wie folgt resümiert: Die Wahrscheinlichkeit, dass Menschen aggressiv handeln steigt, wenn: „[.] das Modell so erlebt wird, dass es selbst Aggressivität positiv erlebt, das Modell für sein Verhalten noch zusätzlich belohnt wird und eigene praktische Orientierung am aggressiven Modell ebenfalls Zustimmung und Lob erfährt.“ (Storck 2014, S.126) Bandura fasst zusammen, dass die Wirkungen von Modellen weniger Einfluss erlangen, wenn gewalttätiges Verhalten nicht zum Erfolg führe (vgl. ebd.) Demzufolge erklärt er, dass Kinder sich weniger an gewalttätigen Verhalten orientieren würden, wenn sie dieses negativ betrachten oder selbst „Opfer“ solchen Verhaltens sind. (vgl. ebd.).
Dieses Ergebnis ist gerade im Hinblick auf die Pädagogik oder die Arbeit mit Jugendlichen erkenntnisreich. Da der Psychologe die positiven, wie auch negativen Erkenntnisse über die Bedeutung von Vorbildern aufzeigt, welche oftmals einen enormen Einfluss auf Kinder und Jugendliche haben (vgl. Storck 2014, S. 127).
3 Jugend
Um die Frage zu klären inwiefern der Sport gewaltpräventiv wirkt und welche Chancen und Grenzen durch Sport aufgezeigt werden können, war es zunächst wichtig, die Altersstufe mit dem höchsten Gewaltpotenzial ausfindig zu machen. Zudem erschien es wichtig, die passenden gewaltpräventiven Ansätze herauszufiltern, um einen bestmöglichsten Ansatz in Bezug auf die gewünschte Zielgruppe zu eruieren. Auch medial wird vermehrt der Anschein erweckt, dass Jugendgewalt zunehmend problematisch sei. Um diese Tendenz differenzierter einordnen zu können, wird zunächst der Jugendbegriff näher betrachtet, danach die Entwicklungsaufgaben in der Jugendphase und abschließend die statistische Datenlage zur Gewaltbereitschaft junger Erwachsener.
3.1 Jugendbegriff
Der Begriff Jugend beschreibt eine bedeutsame Lebenszeit „[...] eine von Kindheit und Erwachsenenleben unscharf unterschiedene Lebensphase, mit der bestimmte Verhaltensmuster und Eigenschaften verknüpft sind, die bei anderen Altersgruppen keine bzw. keine derartige Ausprägung erfahren“ (vgl. Ecarius et al., 2011, S. 13). Obwohl der Terminus „Jugend“ in der alltäglichen Kommunikation einheitlich verstanden wird, lässt sich die Verwendung des Jugendbegriffs in verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen als schwierig einordnen (vgl. ebd.). Imbusch fasst die Schwierigkeit der Begriffserklärung wie folgt zusammen:
„Eine adäquate Definition des Begriffs Jugend zu geben und damit zugleich die Lebenswelten der Jugendlichen einzufangen, ist zunächst einmal schwierig.“ (Imbusch 2010, S.13)
Die Psychologie beschreibt das Jugendalter als „Sturm-und-Drang-Zeit“, in welcher es zu psychischen Umbrüchen und inneren Unausgeglichenheit komme (vgl. Ecarius et al., 2011, S. 14). Die Pädagogik hingegen betrachtet die „Jugend“ als eine pädagogische Kategorie, explizierter eine umgreifende Konzeption oder Theorie, welche auf die Frage nach Sinn und Maß von Erziehung, Bildung und Unterricht Antworten zu Verfügung stellen. Dies wird erreicht, indem konstitutive und regulative Prinzipen aufgestellt werden. Als Beispiel kann die richtige Vermittlung von Wissen angeführt werden (vgl. Ecarius et al., 2011, S. 14 zitiert nach Fischer 2011, S. 14).
Aus einer rechtswissenschaftlichen Perspektive beschreibt die UN-Kinderkonvention in ihrem ersten Artikel, dass ein menschliches Wesen als ein Kind zählt, wenn es das 19te Lebensjahr noch nicht erreicht hat (vgl.Imbusch 2010 S. 13). Diese Aussage kritisiert Imbusch, da die meisten Definitionen von Jugend auf westliche Verständnisse und Theorien der Kindesentwicklung beruhen, welche keine allgemeine und globale Gültigkeit besitzen (vgl. ebd.). Er führt deshalb die funktional oder kulturell ausgerichteten Definitionsversuche an,
„Funktionale Definitionen von Jugendlichen heben darauf ab, dass Jugend etwa das Alter umfasst, in dem es um den Übergang vom Kindsein zum Erwachsensein geht, und das durch bestimmte Rituale und physische Veränderungen gekennzeichnet ist. Kulturelle Definitionen hingegen nehmen stärker auf die sozialen Kontexte Bezug, also auf die Rollen, die Individuen in einer bestimmten Gesellschaft zugeschrieben werden oder übernehmen.“ (Imbusch 2010, S.12)
Somit beschreibt Imbusch (2010) die Jugend als ein soziales Konstrukt und nicht als einen festgelegten Altersabschnitt. Auch die soziologische Betrachtungsweise beachtet die gesellschaftlichen Bedingungen, wenn es zu der Erklärung der Lebensphase von Jugendlichen kommt (Ecarius et al., 2011, S. 14). Der Grund dafür ist, dass in den vergangenen Jahrzehnten rasante Veränderungen im Leben heranwachsender erfolgten, welche es nicht mehr begründen, Jugend als Übungsphase und Vorbereitung auf das Erwachsensein zu bezeichnen (vgl. Imbusch 2010, S. 13).
Diese Zugänge aus verschiedenen Fachwissenschaften zeigen, dass „Jugend“ eine Bezeichnung mit sehr unterschiedlichen Bedeutungen ist. Demzufolge ist folgende Behauptung nach Hurrelmann heranzuziehen. Diese beschreibt, dass eine Lebensphase nicht allein von körperlichen oder psychischen Persönlichkeitsmerkmalen, sondern auch von der Gesellschaft bewertet und definiert werden (vgl. Hurrelmann 2016, S. 18). Auch ein Blick in die historische Forschung demonstriert, wie zahlreich die Definition der Lebensphase „Jugend“ von den kulturellen, sozialen und ökonomischen Bedingungen der Lebensgestaltung und vorhandenen Möglichkeiten, wie beispielsweise der Ernährung, Bildung und gesellschaftliche Tätigkeitschancen abhängt. (Hurrelmann & Quenzel, 2016, S.22 zitiert nach Scherr 2009)
3.2 Entwicklungsaufgaben im Jugendalter
Wie in 2.2.1 beschrieben definiert sich die Lebensphase „Jugend“ nicht allein und psychische Personenmerkmale, sondern ist auch abhängig von der Bewertung durch die Gesellschaft. (vgl. Hurrelmann & Quenzel, 2016, S. 18). Doch was unterscheidet die Lebensphase „Jugend“ von der nachfolgenden Lebensphase „Erwachsenenalter“? Diese Frage lässt sich am besten anhand des sozialtheoretischen Konzepts der Entwicklungsaufgaben beantworten :
„Entwicklungsaufgaben beschreiben die für die verschiedenen Altersphasen typischen körperlichen, psychischen und sozialen Anforderungen und Erwartungen, die von der sozialen Umwelt an Individuen der verschiedenen Altersgruppen herangetragen werden und/oder sich aus der körperlichen und psychischen Dynamik der persönlichen Entwicklung ergeben [.].“ (Hurrelmann & Quenzel, 2016, S.19)
Beispielsweise beschreibt Fend (2005) die Entwicklungsaufgaben im Jugendalter als „den Körper bewohnen zu lernen“ (Mutz 2018, S. 127 zitiert nach Fend 2005). Hurrelmann und Quenzel sehen das Ziel der Jugendphase, in der Entwicklung einer sozialen und persönlichen Identität. Bei ihnen bestehen die Entwicklungsaufgaben aus vier Bereichen (Hurrelmann & Quenzel, 2016, S.22). Die beiden Autoren fassen zusammen, dass aus psychologischer Sicht von einem Übergang der Jugend- in die Erwachsenphase gesprochen werden kann, wenn die vier Entwicklungsaufgaben des Jugendalters bewältigt worden sind.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2: Entwicklungsaufgaben des Jugendalters (eigene Darstellung, vgl. Hurrelmann & Quen- zel 2016, S. 23)
Im Folgenden wird kurz auf die vier verschiedenen Bereiche der Jugendphase und deren Bedeutung (Siehe Abb.1) eingegangen.
Die erste Entwicklungsaufgabe ist die Entwicklung der intellektuellen und sozialen Fähigkeiten , um selbstverantwortlich und existenzsichernde Beschäftigung übernehmen zu können (vgl. Hurrelmann & Quenzel 2016, S. 34). Ebenfalls zeigt sich während der Jugendphase eine Ablösung von der emotionalen Abhängigkeit von Eltern. Während dieser Phase sind die Heranwachenden zahlreichen Transformationen ausgesetzt (vgl. Harring 2010, S.12). Aufgrund der Transformationen, implizieren Harring (2010) und Valtin (2006), dass Peers als Ratgeber und als eine Art Unterstützungsinstanz fungieren. Die Bedeutsamkeit dieser Auseinandersetzung in der Jugendphase beschreibt auch Betz (2004) wie folgt:
„Nur durch die die Auseinandersetzung mit Gleichaltrigen, außerhalb der eignen Familie können Konfliktstrategien entwickelt, erlernt und eingeübt werden [.].“ (Harring 2010 S. 13 zitiert nach Betz 2004, S.19)
Neben der Abgrenzung des Elternhauses bildet auch ein hoher Grad an Selbständigkeit der eigenen Verhaltensteuerung einen Teil der Jugendphase. Dies bezieht sich nach Hurrelmann & Quenzel auf den Kontakt und Freizeitsektor, welcher für die körperliche und psychische Regeneration genutzt werden kann (vgl. Hurrelmann & Quenzel 2016, S. 34). Zuletzt wird das Werte- und Normensystem vertieft. Diese Phase beschreiben sie als im Sinne einer Stabilitätsphase, welche das individuell und sozial verantwortliche Handeln ermöglicht (vgl. Hurrelmann & Quenzel, 2012, S. 34). Der Übergang von Jugend- zu Erwachsenenstatus erfolgt oftmals fließend und unbemerkt in kleinen Schritten, welche nicht geplant werden können (vgl. Hurrelmann & Quenzel, 2012, S. 37). In unserem Kulturraum wird der Status des Erwachsenseins meist durch die Persönlichkeitsmerkmale zum Ausdruck gebracht (ebd.). Die Indikatoren Selbstständigkeit und Selbstbestimmung bieten hier Orientierung (vgl. ebd.). Neben dem hohen Grad an Selbstständigkeit und Selbstbestimmung, beschreibt Arnett (2014) die Jugendphase weiter, als eine Beendigung der Such- und Tastphase (vgl. Hurrelmann & Quenzel 2012, S. 34 zitiert nach Arnett 2014).
Jedoch stellt sich hier die Frage, was erfolgt, wenn die Entwicklungsaufgaben der Jugendphase nicht zum Tragen kommen und diese nicht erfüllt werden? Neben der erfolgreichen Bewältigung von Entwicklungsaufgaben, kann es dazu kommen, dass diese Phase im Jugendalter nicht optimal gelöst wird. So schreibt Havighurst,
„leads too (...) happiness and to success with later tasks, while failure leads to unhappiness in the individual, disapproval by the society with later tasks.” (Mutz 2018, S. 28 zitiert nach Havighurst 197, S.2)
So kann festgehalten werden, dass es gerade in der Jugendphase essentiell ist, Entwicklungsaufgaben zu lösen, da sonst die eben angeführten Konsequenzen im späteren Leben zum Tragen kommen können. Jedoch sollte an dieser Stelle betont werden, dass die Jugendphase eine Lebenszeit für Heranwachsende ist, in welcher das Scheitern und Gelingen der Entwicklungsaufgaben sehr nah beieinanderliegen (Ecarius et al., 2011, S. 34 zitiert nach Hurrelmann 2011). So äußert sich Hurrelmann folgendermaßen:
„Bei den jugendlichen Nutzern finden sich tiefsitzende Familienkonflikte mit schweren Störungen der zwischenmenschlichen Beziehungen, schwere Entwicklungskrisen, teilweise auch depressive Neurosen und unsicher-labile sowie ängstlich-verschlossene Persönlichkeitstypen. Auch heftige Selbstwertkonflikte sind vielfach anzutreffen.“ (Ecarius et al., 2011, S. 34 zitiert nach Hurrelmann 2011)
Die Jugendphase ist somit auch als eine Lebensspanne zu verstehen, die von Konflikten und Problemen gekennzeichnet ist.
Schließlich äußert sich auch Fend (2005) zu den fatalen Folgen von „Störungen“, welche entstehen können, wenn Entwicklungsaufgaben nicht „erfolgreich absolviert“ wurden: Diese können pathologische Entwicklungsverläufe darstellen, welche zu internalisierten Entwicklungsstörungen, wie z.B. Depressionen oder Neurosen führen. Darüber hinaus sind auch externalisierte Problemverhalten denkbar, welche sich in erhöhter Delinquenz und Gewaltbereitschaft äußern (Mutz 2018, S. 29 zitiert nach Fend 2005).
3.3 Jugendgewalt
Jugendgewalt sorgt stets für Schlagzeilen. Neben dem SPIEGEL und der Welt, äußern sich auch andere Zeitungen über die „Brutalität“ der Jugendlichen, wodurch Ängste und Sorgen in der Bevölkerung verbreitet werden (vgl. SPIEGEL 2021, 1; WELT 2018, S.1). Neben den Sorgen und Ängsten, welche durch die Medienerstattung inszeniert werden, wird Jugendgewalt als Schlüsselproblem moderner Gesellschaften interpretiert (vgl. Brinkmann 2008, S. 10). Zudem personalisieren Medien Jugendliche in modernen Gesellschaften als gewalttätige Kinder und bezeichnen sie als „Sicherheitsrisiko“ (vgl. ebd.). Neben dieser Stigmatisierung von Jugendlichen in Verbindung mit Gewalt, bezieht sich auch Imbusch auf die Problematik der Berichtserstattung.
„Schließlich trägt die mediale Berichtserstattung dazu bei, die Gewalt von Jugendlichen grell auszuleuchten und Bilder und Metaphern in der Öffentlichkeit zu verbreiten, die dann häufig zu einer Überschätzung des Phänomens wie der Jugendgewalt sowie der Gewalt generell führen.“ (Imbusch, 2010, S. 20)
Die Problematik der falschen Interpretation von Jugendgewalt wird von Brinkmann & Imbusch aufgezeigt. Sie stellen dar, dass dies kein neues Phänomen bezeichnet, welches erstmalig im 20. Jahrhundert entdeckt wurde (Brinkmann & Landeszentrale für Politische Bildung Baden-Württenberg, 2008). Ein Blick in die Sozialgeschichte der Jugend zeigt, dass die Auflehnung gegen die Staatsgewalt wiederholt Thema war. So heißt es: „Jugendliche Proteste, Abweichungen und Grenzüberschreitungen ziehen sich wie ein roter Faden durch die Geschichte der Jugendkulturen.“(ebd.) Auch Ecarius nennt ein Beispiel aus dem Jahr 1880, welches die negative Einstellung zu Jugendlichen in der Vergangenheit aufzeigt:
„Um 1880 war der Ausdruck „Jugendliche“ jedoch ausschließlich mit einer negativen Bedeutung belegt: Man verstand darunter die jungen Menschen des Proletariats, die angeblich nichts als ihre Arbeitskraft hatten und ständig davon bedroht waren, kriminell zu werden und zu verwahrlosen.“ (Groenemeyer & Hoffmann, 2014 zitiert nach Ecarius 2011, S.25 )
Dieser übersteigerten Darstellung in den Medien steht jedoch die statistische Häufung von Gewalttaten in einer Lebenspanne zwischen dem zwölften und 24. Lebensjahr gegenüber (vgl. Imbusch 2010, S. 22). Jugendgewalt gilt dabei als besonders problematisch, weil sie in einer Lebensphase auftritt, welche, wie in 2.2.2 beschrieben vielfach prägend für das spätere Leben ist. Deshalb schreibt Imbusch: „Hier werden die Regeln des Zusammenlebens gelernt, hier werden moralische und ethische Maßstäbe gesetzt, und hier werden die Mittel und Formen erlernt, sich in einer Gesellschaft durchzusetzen.“ (vgl. Imbusch 2010, S. 22) Hinzu kommt, dass die angesehene „Normalität“ jugendlicher Gewalt oftmals über soziale und gesellschaftliche Problemlagen hinwegtäuscht (vgl. ebd.). So ist bekannt, dass schulische und außerschulische Institutionen über Familien klagen, welche den Erziehungsverantwortungen nicht gerecht werden. Doch viel schlimmer leiden die Kinder und Jugendlichen unter einem Mangel an sozialer Wärme und Klagen über ungenügende Geborgenheit (vgl. ebd.).
Um ein genaueres Bild der Jugendgewalt zu erhalten, geht das nächste Kapitel auf die statistischen Befunde zur Jugendgewalt in Deutschland ein.
3.4 Statistische Befunde
Zwischen Schreckensszenarien, welche das Ausmaß von Jugendgewalt überschätzen und der Verharmlosung von Jugendgewalt, ist eine sachangemessene Analyse zu erstellen, welche die Basis für den Umgang mit Jugendgewalt liefert. Um die statistischen Befunde von Jugendgewalt aufzeigen zu können, werden neben den Daten des Deutschen Jugendinstituts und der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb), welche die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) sowie andere amtliche Daten der Strafverfolgungs- und Strafvollzugsstatistik analysieren und bewerten, auch die Ergebnisse der Langzeitstudie „Kriminalität in der modernen Stadt“ von Reinecke & Boers herange- zogen.Die Literaturen und Statistiken des 20. Jahrhunderts zeigen deutlich, dass gerade seit dem Ende der 1980er Jahren, vor allem ab dem Jahr 1993, zunehmend Gewalttaten registriert wurden (vgl. Brinkmann 2008, S. 34). In Abbildung 2 werden die Entwicklungen der letzten Jahrzehnte in einer Gesamtzusammenschau gargestellt (vgl. Heinz 2016, S. 1).
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- Arbeit zitieren
- Lisa-Adina Schelick (Autor:in), 2021, Können Kontaktsportarten positive Auswirkungen auf gewalttätige Jugendliche haben? Chancen und Grenzen der Gewaltprävention durch Sport, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1360253
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