In der Kunst tritt der sonst diffuse Hintergrund des Sehens in den Vordergrund, jedoch ohne aus seiner Diffusität zu entlassen. Das Kunstwerk ist Erscheinendes einer besonderen Art. Es erscheint nicht einfach, sondern zeigt sich in seinem Erscheinen. Es bietet sein Erscheinen dar. Es bietet etwas dar, was es zu erkunden und zu entdecken, was zu verstehen und zu interpretieren wäre. Es wurde kreiert, um gesehen zu werden und es wurde „zu Sehen gegeben“. Die besondere Präsenz von Bildern liegt daher nicht in ihrer scheinhaften Präsenz des jeweiligen Bild-Inhaltes, sondern in der Anwesenheit des Bildes selbst als ein Grund (re-)präsentierter Erscheinungen. Das Kunstwerk ist Gegenwart einer dargebotenen und darbietenden Erscheinung, die die Wirklichkeit um spezifische Phänomene bereichert, in dem es zugleich als Erscheinung, Dargebotenes und Darbietung in der Erscheinung fungiert. Kunst als Bild-Raum des Sehens.
Die Form, in der wir Sichtbarkeit vermuten, scheint sich innerhalb der Kunst aus seiner Struktur zu winden. In der submodalen Betrachtungsweise werden Modelle und deren methodische Untersuchungen zu einer „unfassbaren“ Wirklichkeit im Kontext von Ausdruck und Eindruck: Das fixierende und meist mit Fluchtpunkten perspektivisch agierende Auge, welches nicht nur wiedererkennbare Formen, kompositionelle Aspekte, ikonische Elemente und Strukturen oder auch nur nuancierte Inhomogenitäten (Variationen in der Strahlungsintensität) des Lichtes reizen, erfährt über eine Fokussierung hinaus eine Defokussierung des Blicks, eine Verschränkung von real fassbaren mit immateriellen Aspekten der eigenen Wahrnehmung.
Das Kunstwerk ist Gegenwart einer dargebotenen und darbietenden Erscheinung, die die Wirklichkeit um spezifische Phänomene bereichert, in dem es zugleich als Erscheinung, Dargebotenes und Darbietung in der Erscheinung fungiert. Kunst als Bild-Raum des Sehens.
Inhalt
1. Einleitung
2. Licht – Quelle der Erkenntnis?
3. Seh-Modellen
3.1. Antike Sehmodelle
3.1.1. Das Sehmodell von Empedokles
3.1.2. Das Sehmodell von Platon
3.1.3. Das Sehmodell von Demokrit
3.1.4. Das Sehmodell von Epikur
3.1.5. Das Sehmodell von Aristoteles
3.1.6. Das Sehmodell von Euklid
3.2. Kartesisch-neuzeitliche Sehmodelle:
3.2.1. Das Sehmodell von Descartes
3.2.2. Das Sehmodell von Prof. Dr. Helmholtz
3.3. Konstruktivistische Sehmodelle:
3.3.1. Sehmodelle in aktuellen Lehrbücher
3.3.2. Das Sehmodell von Prof. Dr. Roth
4. Zur methodischen Unterscheidung von Materie, Form und Idee
4.1. Die ideelle Unterscheidung von Materie und Form
4.2. Zur methodischen Unterscheidung von Intellekt und sinnlicher Wahrnehmung
4.3. Formale Aspekte der Sprache
4.4. Sprache als Steuerung der Aufmerksamkeit
4.5. Der unbewusste Schluss vom Eindruck als Ausdruck
4.6. Die piktorale Explikation von Zeichen
5. Empirische Daseinsform und visuelle Wirkungsform an Beispielen aus der Kunst
5.1. Space Division Construktion - Twilight Arch von James Turrell
5.2. Conceptual Art – One and three Umbrellas von Joseph Kosuth
6. Resümee
7. Literaturverzeichnis
8. Abbildungsverzeichnis
„Licht wird erst Licht, wenn es ein sehendes Auge trifft.“
Hermann von Helmholtz, 1911
1. Einleitung
Ohne Licht gäbe es kein Sehen. Ohne die elementare Voraussetzung von Licht wäre keine „Lust am Bild“, kein stummes Gespräch des Auges mit dem Gemälde, mit der Plastik oder dem Bauwerk, kein visueller Dialog mit der Zeichnung, der Installation oder dem Enviroment[1] möglich. Sichtbarkeit existiert allein durch die Möglichkeit der Empfindungsfähigkeit, durch die Wechselwirkung von Licht und sehendem Auge.
Licht, das in seinem Strahlengang auf etwas trifft und reflektiert wird und als reflektiertes Licht vom Betrachter wahrgenommen wird, impliziert die Verweisungsstruktur, etwas als etwas Beleuchtetes sichtbar zu machen. Dem Vorgang der Beleuchtung liegt zugleich eine perspektivische Grenz- bzw. räumliche Umrissbestimmung zugrunde.[2] Indem das Licht etwas als etwas sichtbar werden lässt, wird die vorherige Unbestimmtheit des Raumes mit Körpern erfüllt und damit in seinen formalen wie farblichen Qualitäten, in seiner optischen wie dinglichen Existenz proklamiert. Licht wird als „der gerichtete Strahl, die wegweisende Leuchte im Dunkeln, die vordringende Entmachtung der Finsternis, aber auch [als] die blendende Überfülle, ebenso wie die unbestimmbar allgegenwärtige Helle.“[3] empfunden.
In der Kunst tritt der sonst diffuse Hintergrund des Sehens in den Vordergrund, jedoch ohne aus seiner Diffusität zu entlassen. Das Kunstwerk ist Erscheinendes einer besonderen Art. Es erscheint nicht einfach, sondern zeigt sich in seinem Erscheinen. Es bietet sein Erscheinen dar. Es bietet etwas dar, was es zu erkunden und zu entdecken, was zu verstehen und zu interpretieren wäre. Es wurde kreiert, um gesehen zu werden und es wurde „zu Sehen gegeben“. Die besondere Präsenz von Bildern liegt daher nicht in ihrer scheinhaften Präsenz des jeweiligen Bild-Inhaltes, sondern in der Anwesenheit des Bildes selbst als ein Grund (re-)präsentierter Erscheinungen. Das Kunstwerk ist Gegenwart einer dargebotenen und darbietenden Erscheinung, die die Wirklichkeit um spezifische Phänomene bereichert, in dem es zugleich als Erscheinung, Dargebotenes und Darbietung in der Erscheinung fungiert. Kunst als Bild-Raum des Sehens.
Die Form, in der wir Sichtbarkeit vermuten, scheint sich innerhalb der Kunst aus seiner Struktur zu winden. In der submodalen Betrachtungsweise werden Modelle und deren methodische Untersuchungen zu einer „unfassbaren“ Wirklichkeit im Kontext von Ausdruck und Eindruck: Das fixierende und meist mit Fluchtpunkten perspektivisch agierende Auge, welches nicht nur wiedererkennbare Formen, kompositionelle Aspekte, ikonische Elemente und Strukturen oder auch nur nuancierte Inhomogenitäten (Variationen in der Strahlungsintensität) des Lichtes reizen, erfährt über eine Fokussierung hinaus eine Defokussierung des Blicks, eine Verschränkung von real fassbaren mit immateriellen Aspekten der eigenen Wahrnehmung.
Im Gegensatz zum Bildraum wird der Sehraum als eine unabhängige, außerhalb unseres Seins bestehende, von unserer Wahrnehmung unabhängige Realität verstanden. Der Sehraum präsentiert nicht nur Wirklichkeit, sondern wird allgemein als Realität unabhängig unserer submodalen Wahrnehmung als existent definiert. Die Sichtbarkeit dessen setzt sich nach der heutigen, allgemeinen Sinnesphysiologie aus folgenden Komponenten zusammen: „Gegenstände reflektieren Photonen, diese treffen auf Photorezeptorzellen der Retina, welches eine Abfolge neuronaler Abläufe in Gang setzt, die zu einem visuellen Erlebnis führen, das eine Wahrnehmung genau desjenigen Gegenstandes ist, der ursprünglich die Photonen reflektiert hat.“[4]
Im 17. Jahrhundert bis heute wurden eine Reihe argumentierender Betrachtungen über das Sehen, über die Differenz von „visio“ und „pictura“ diskutiert, auf die ich mich direkt und indirekt beziehen werde. Der Begriff „Konstruktion“ [lat. „constructum“, „construere“] bezeichnet Hypothesen, mit deren Hilfe versucht wurde Prozesse begreiflich zu machen.[5]
Die systematische Erforschung der Struktur von so genannter objektiver Sichtbarkeit
und subjektiver visueller Wahrnehmung führte zu gewissen Hilfskonstruktionen für die Beschreibung von Dingen oder Erscheinungen, die nicht konkret beobachtbar sind, sondern aus anderen beobachtbaren Daten erschlossen wurden.[6] Mit Bezeichnungen wie „idea“ und „eidos“ für nicht direkt beobachtbare Ereignisse des Bewusstseins entstanden sprachliche Elemente zur Beschreibung und Konstruktion bzw. Dekonstruktion der mittelbaren Erscheinung „Sichtbarkeit“.
Da das Thema sehr umfangreich ist, werde ich mich nur auf statische Bilder und deren Wirkungsweise beschränken. Phänomene wie Film, Videoclip, „interaktiver Bildgebrauch“, Computerdesign oder Cyberspace, sowie das Thema der „geistigen Bilder“ und deren Verhältnis zum Bild schließe ich aus diesem Grunde bei meiner Untersuchung aus. Angesichts der unterschiedlichen Konstitution von Bildern, wie Reklametafeln, Zeitungs- und Urlaubsfotos, Video- und Kinobilder, gegenständlicher und ungegenständlicher Gemälde, um nur einige Beispiele zu nennen, ist es unmöglich, ein holistisch definiertes Verständnis von visueller Wahrnehmung zu formulieren. Aufgrund der technischen und kulturellen Entwicklung sind Thesen zur visuellen Wahrnehmung fortwährend als im Prozess der Entfaltung zu verstehen, die keine abschließende Arbeit erlauben würden.
Der Schwerpunkt meiner Arbeit zielt nicht auf die Historik des Bildes, die untersuchen könnte, was zu unterschiedlichen Zeiten als Abbild aufgefasst wurde und welche Macht den unterschiedlichen Bildmedien in unterschiedlichen Zeiten zugekommen ist. Viel mehr geht es darum, das Verständnis zu untersuchen, aus dem heraus wir Bildern begegnen, welcher Art sie auch seien und welche Macht ihnen auch zukomme.
Um in das Spannungsfeld dieser komplexen Problematik einzutreten, werde ich an ausgewählten historischen Punkten ein Dreieck aus Physiologie, Philosophie und Kunst durchqueren, und zwar insbesondere im Hinblick auf das problematische Verhältnis von Auge und bildender Kunst, von visio und pictura, von Sehraum und Bildraum. Ich versuche einen einsichtigen Begriff dessen zu erläutern, was innerhalb der Tradition des Bildgebrauchs bis hin zu heutigen Vorstellungen als zentrales Phänomen von Bildern zählt und danke insbesondere in diesem Zusammenhang für die zahlreichen Hinweise von Frau Prof. Dr. Sigrid Schade Tholen.
2. Licht – Quelle der Erkenntnis?
Licht bewirkt Sichtbarkeit und verursacht durch „blendende Überfülle“ Nichtsichtbarkeit. In diesem Paradoxon steckt die Motorik, die direkt zum „sonnenähnlichen“ Auge Gottes führt. Das „sonnenähnliche“ Auge ist sowohl im Mythos der griechischen Götter zu finden, als auch in der alt- und neutestamentarischen Zuschreibung an himmlische Mächte. Zwischen den beiden Polen von Sichtbarkeit und durch Blendung entstehende Nicht-Sichtbarkeit, in denen ein menschenmögliches Sehen verschwindet, ist Optik mythologisch angesiedelt.[7]
Da das Auge des Menschen weder im Dunkeln sehen kann, noch wahrnimmt, was sich hinter seinem Rücken befindet, da der Sinneswahrnehmung alles entgeht, was auf dem blindem Fleck im Auge abgebildet wird und darüber hinaus beständig mit dem Verlust der Funktionsfähigkeit durch Blindheit und Blendung zu rechnen ist, unterscheidet es sich von einem vorgestellten „göttlichen“, „allsehenden“ Auge, dem nichts verborgen bleibt und das keinerlei Einschränkung erfährt.[8] Durch den Glauben an eine göttliche, allsehende Instanz wird - so die Hoffnung - das sichtbar, was der Sichtbarkeit des menschlichen Auges entzogen bleibt.[9] An Stelle der Erkenntnis durch menschenmögliches Sehen tritt das Licht der göttlichen Wahrheit. Die sinnesphysiologisch gelesene griechisch-jüdisch-christliche Allegorie vom Licht als „Metapher der Wahrheit“ erhebt das Tageslicht zum Schauplatz der Wahrheit bzw. der Offenbarung.[10]
Die Übertragung von Licht als Quelle der Erkenntnis führte somit direkt zu dessen Wahrnehmungsorgan, dem Auge. Sehen wurde mit Wissen gleichgesetzt:
„Der Blinde will oder möchte nicht wissen, das heißt nicht sehen. Idein, eidos, idea: Die ganze Geschichte und Semantik der europäischen Idee, mit ihrer griechischen Genealogie, weist – wie man weiß oder sieht – das Sehen dem Wissen zu.“[11]
Durch die historische Allegorie von Licht als „Wahrheit“ erhielt das Auge als Sinnesorgan eine hierarchische Wertung gegenüber anderen Rezeptoren des menschlichen Körpers. Descartes schrieb 1637 in seiner Abhandlung Dioptrique:
„Unsere ganze Lebensführung hängt von unseren Sinnen ab. Von ihnen ist der Gesichtssinn der edelste. Die Erfindung, die seine Fähigkeit vergrößert, sind zweifellos die nützlichsten, die es geben kann.“ [12]
Die Optik des 17. Jahrhunderts bestand wesentlich aus Dioptrik, d.h. Lehre von der Brechung des Lichtes im Durchgang durch geschliffene Gläser und andere transparente Körper.
Sie löste die Katoptrik ab, die Lehre von der Spiegelreflexion.[13]
Das von Johannes Keppler[14] 1611 schriftlich ausgeführte Verfahren des astronomischen Fernrohrs und dessen technische Weiterentwicklung zu anderen Hilfsmitteln der Dioptrie führte zu einer Verbesserung der Sehfähigkeit durch geschliffene Gläser.
Durch die Allegorie „Licht“/„Wahrheit“ und der Erweiterung von Sehfähigkeit durch optische Hilfsmittel wie Lupen und Fernrohre erlangte die Funktionsweise des Auges auch in anderen Bereichen von Wissenschaft hohe Bedeutung.
Als Beispiel sei die Verquickung von Dioptrie und dem medizinischen Phänomen der Schwangerschaft zu nennen: In seinem Buch „Philosophische und Mathematische Erquickstunden“ nannte Georg Philip Harsdörfer 1653, unter Berufung auf Athanasius Kircher, die Empfängnis eine Durchstrahlung.
In seinen Erläuterungen verband er das dioptrische Modell mit der Vorstellung aus der christlichen Ikonographie, derzufolge Maria durch einen Lichtstrahl empfing, um das medizinische Phänomen der Schwangerschaft und der auf den Kopf stehenden Babys im Mutterleib zu erklären:
„Der oftgerühmte P. Athanas. Kircherus vergleichet die Empfängnis mit der Durchstrahlung / und weiset / dass der ganze Mensch B C in der Samung / durch den Punkt A in D E gestaltet werde / da dann die vornehmsten Glieder am ersten erscheinen / durch den Glanz aber der
Sonnen (wie durch die Einbildung) nach und nach alle / und auf mancherlei Weise beleuchtet werden.“[15]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 1
Licht bewirkte nicht nur Erkenntnisse, sondern wirkte sich als Erleuchtung im religiösen wie im ideellen Sinne auch „befruchtend“ auf den menschlichen Geist aus.[16] Der Begriff der „Aufklärung“ ist im wahrsten Sinne des Wortes gemeint: als die Lichtung des Dunklen, die Dunkelheit als Bedingung des Hellen. Die Frage nach Licht stellt sich meist im Dunkeln: Das Nachdenken über das Sehen entzündete sich am Nicht-Sehen, genauer gesagt am nicht sehen des Nicht-Sehens, an der Tatsache: „dass wir nicht sehen, dass wir nicht sehen.“[17] Sozusagen an der Leerstelle des Blicks.
Unzählige Darstellungen früherer Zeiten stellen eine Auseinandersetzung mit dem Nicht-Sehen dar.[18] Die Illustration der biblischen Tobiasgeschichte, die Bildnissen von der Blendung des Argus oder die späteren Blindekuh-Darstellungen der Malerei des Barocks und des Rokoko zeugen davon. Eine Vielzahl von Motiven der Blindheit findet sich in den Darstellungen als Attribut von Amor und Justicia, von Errore, Favore, Fortuna und Furrore.
Als ein prominentes Beispiel hierfür stelle ich Rembrandts Gemälde Der Triumph der Dalila vor. In dem Gemälde übersetzte Rembrandt 1636 den alttestamentarischen Bibeltext von Simson und Dalila aus dem Buch der Richter[19] in eine bildliche Darstellung:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 3
Darauf ist Dalila abgebildet, die soeben mit den Haaren von Simson in der Hand die dunkle Höhle verlässt. Ihre Konturen verschwimmen im gleißenden Licht des Gegenlichtes. Simson, der in der Dunkelheit mit dem Gesicht in Richtung Höhleneingang, auf dem Boden liegend zurückbleibt, wird von vier Bewaffneten bezwungen. Einer von ihnen sticht den Dolch in Simsons Auge, während ein zweiter, im Vordergrund und als Schattenriss im Gegenlicht stehend, mit diagonal gesetzter Lanze auf das andere Auge zielt. Simson wird im Angesicht der Helligkeit des Tageslichtes das Augenlicht genommen. Die Szene wurde perspektivisch aus dem dunklen Hintergrund gemalt. Die Leinwand erscheint wie ein Netzhautbild. Die Figuren erhalten ihre farbliche und formale Präsenz von einer virtuellen, außerhalb der Höhle liegenden Lichtquelle, wie dies auch analog beim Auge zutrifft. Zimmerhöhle, Bergeshöhle und Augenhöhle ergänzen sich sinnbildlich zu einer Intervallschachtelung von Blackboxes, deren eine die andere sichtbar macht.[20]
Das Bild präsentiert sich als Doppeldeutigkeit des Blicks, als eine in sich oszillierende Verschränkung von Sichtbarem und Unsichtbarem. Ihren Höhepunkt erreicht die Verschränkung durch die Hervorhebung des starken Kontrasts von Hell und Dunkel und deren Umkehr von Sichtbarkeit in der dunklen Höhle gegenüber der Unsichtbarkeit des außerhalb der Höhle Liegenden. Das Thema des Sehens und Nichtsehens, was im Gemälde u.a. durch die Sinnbildfigur von Simson dargestellt wird, er verliert im Moment seiner Darstellung sein Augenlicht, wird von Rembrandt als ein Übergang dargestellt, als eine Art Transformation von Sichtbarkeit in Nichtsichtbarkeit.
Das In- und Gegeneinander von räumlicher Nahsicht und Panoramasicht, Materialität und Immaterialität, ikonischer Realität und ikonischer Virtualität, das paradoxe Gemisch von Helligkeit und Dunkelheit, Undurchsichtigkeit und Transparenz lassen das Bild nur im unabschließbaren Prozess seines Werdens, nur im Schein und Erscheinen gewahr werden. Diese Unabgeschlossenheit der Wahrnehmung, ihre Eigenheit in der phänomenalen Modalität überbietet die faktisch ergreifbare Form.[21]
Licht, als „schimmernde Helle“ oder reflexiv gebrochener Schein, ob als blendende Macht oder erhellende Kraft, ob als natürliches Licht oder sakrales Leuchtlicht: Für die Malerei wie für das bildnerische Denken ist es klassisches Paradigma und maßgebende Instanz für die Sichtbarkeit der Welt. Durch das Licht, Grund und Medium allen Sehens, erschließen sich dem Auge Aspekte von Bildern, deren unerschöpfliche Vielfalt es nur anschaulich erfährt.
3. Seh-Modelle
Im Rahmen der Theoriebildung zum Seh-Vorgang veränderte sich die Deutung des Sichtbaren. Während in der Antike das Sichtbare nicht vom Wahrnehmbaren unterschieden wurde, der Mensch verstand sich als Einheit mit dem ihm Umgebenen, entstand im Laufe der Entwicklung von Wissenschaftlichkeit eine Differenzierung der Interaktion zwischen Auge und Objekt, Individuum und Welt.
In den Seh-Modellen des 20. Jahrhundert wurde zwischen dem Wahrnehmbaren und dem Sichtbarem als von einander distinktive Einheiten gesprochen. Die objektive Sinnesphysiologie wird von der subjektiven Sinnesphysiologie in ihrem Wesen dahingehend unterschieden, dass sie eine Zuordnung in getrennt von einander bestehende wissenschaftliche Bereiche erfuhr. Während die Wahrnehmungspsychologie sich ausschließlich mit affektiven Prozessen der Sinneswahrnehmung auseinandersetzt, wird in der Sinnesphysiologie u.a. das Erregungsmuster der Sensoren und Neuronen untersucht.
Die folgende Untersuchung stellt die Theoriebildung des Abbildungsvorganges der äußeren Wirklichkeit innerhalb seines historischen Kontextes dar, um zu verdeutlichen, dass Sichtbarkeit den Status einer Interpretation inne hatte.
3.1. Antike Sehmodelle
3.1.1. Das Sehmodell von Empedokles
Empedokles (ca. 495-435 v.Chr.) schrieb, dass es kein Werden und Vergehen in dieser Welt gäbe, da alles durch die Mischung von vier veränderlichen Elementen
- Feuer, Luft, Wasser und Erde - bestehe. Die bewegenden Kräfte sind Liebe und Hass. Der Austausch der Stoffe findet über die Poren statt.[22]
Nach Empedokles besitzen Sinnesorgane Poren, durch die Absonderungen von Körpern, in Form unsichtbarer Teilchen („Ausflüsse“), eindringen können. Sind Ausfluss und Pore symmetrisch, also wesensnah, können die Ausflüsse der Stoffe aufgenommen und zu einer Wahrnehmung führen. Passen die Absonderungen der Stoffe nicht durch die Poren des Sehorgans, sind also „Augenlicht“ und Ausfluss des Stoffs unsymmetrisch, so können diese nicht wahrgenommen werden.[23]
Zur Entstehung der Augen schrieb er – fußend auf der Grundlage der von ihm ausgearbeiteten Vier-Elemente-Lehre - , dass Erde, Wasser, Luft und Feuer es sind, „aus denen die göttliche Aphrodite die unermüdlichen Augen schuf.“ Die Elemente wurden von ihr „mit Nägeln der Liebe“ vereinigt. Bei der Entstehung barg sich „in der runden Pupille das ursprüngliche Feuer, eingeschlossen in Häute und feine Hüllen, die von wunderbar eingerichteten, gerade hindurchgehenden Gängen durchbohrt waren, die die Tiefe des ringsherum fließenden Wassers zurückhielten; das Feuer aber ließen sie nach außen hindurch, weil es soviel feiner war.“[24]
Das so vor dem Augenwasser geschützte Augenlicht funktioniert daher ähnlich wie eine Laterne:
„Wie wenn ein Mann, der in der Winternacht einen Ausgang vorhat, den Schein flammenden Feuers entzündet und sich eine Leuchte zurecht macht, eine Laterne, die das Licht gegen Winde aller Richtungen schützt; denn sie lässt den Sturmhauch der brausenden Winde zerstieben, aber ihr Licht, das durch die Wandung nach außen hindurch dringt, weil es soviel feiner ist leuchtet mit unermüdlichen Strahlen auf den Weg“[25]
3.1.2. Das Sehmodell von Platon
In der von Platon (427-347 v.Chr.) ausgearbeiteten Sehtheorie spielte das Feuer beim Sehen eine entscheidende Rolle:. „Ohne Feuer ist nichts sichtbar.“[26]
Das Licht des Tages und das ihm verwandte, durch die Augen strömende Licht, ist ein spezielles, feines Feuer, dem die Eigenschaft zu brennen fehlt. Das im Menschen befindliche Feuer wird vom Auge, besonders von der Pupille, so gefiltert, dass das grobe Feuer des Menschen zurückgehalten, aber das feine, reine Feuer durchgelassen wird. Das Augenlicht bezeichnet den Strom des vom Auge ausgehenden Lichtes.[27] Immer dort, wo nun Tageslicht sich mit dem Augenlicht verbindet und auf das Licht von Dingen trifft, gestaltet sich eine Form von einheitlichem Licht, das einer Sehkraft gleichkommt, die das Sehen erst ermöglicht. Alle drei Formen verbinden sich zu einem Sehvermögen, die sich durch den Körper bis zur Seele des Menschen verbreitet. Verliert das Sonnenlicht seine Kraft, so verliert der Mensch seine Sehkraft. Aufgrund der fehlenden Ergänzung des Augenlichtes durch das Tageslicht sind die Dinge nur noch undeutlich zu sehen:
„Nachdem es [Anm.: Das Tageslicht, das Augenlicht und das von den Dingen ausgehende Licht] nun als Ganzes vermöge seiner Ähnlichkeit den gleichen Einwirkungen unterliegt, verbreitet es die Bewegung desjenigen, womit es und was mit ihm in Berührung, durch den ganzen Körper bis zur Seele und erzeugt diejenige Sinneswahrnehmung, mittels derer wir, wie wir sagen, sehen. [...] Schwand aber das ihm verwandte Feuer gegen Nacht, dann ist es abgeschnitten; denn indem es zu etwas ihm unähnlichen herausdringt, erfährt es selbst eine Veränderung und erlischt, indem es nicht mehr mit der benachbarten Luft verschmilzt, da diese kein Feuer hat.“[28]
Während Empedokles davon ausging, dass die Existenz der Dinge von „Bewusstsein“ und „Ideen“ unabhängig sind, die Dinge also so gesehen werden, wie sie sind, unterschied Platon zwischen zwei Welten der Wahrnehmung: Der Welt des Sichtbaren und der des Denkbaren. Über beidem wähnte er die Ideen, die immateriellen Urbilder des Menschen, geschaffen durch den Demiurgen, den Weltbildner.[29]
Die wahrgenommenen Lebewesen und Dinge sind nach Platon nur Abbilder der Ideen. Die Abbilder wirken als Traum-, Schatten- und Spiegelbilder. Sie werden erst wahr, wenn sie den Grad der Wahrheit erreichen und in den Bereich des Denkbaren aufgestiegen sind. Der Grad der Wahrheit des Bildes steigt vom Negativbild in die Welt des Sichtbaren. Von der Einbildung steigt es über den Glauben in den Verstand zur Vernunft in die Welt des Denkbaren, der Idee. Bilder von Dingen und Lebewesen sind nach Platon also erst in der Welt des Denkbaren wahrhaft zu erkennen. Bevor die Bilder diesen Grad aber erreichen, beinhalten sie Irrtum und Täuschung.[30]
[...]
[1] Anm.: Amerikanische Kunstrichtung, die ganze Räume für den Betrachter zu formen versucht.
[2] Vgl.: Axel Müller: Die ikonische Differenz – Das Kunstwerk im Augenblick. Wilhelm Fink Verlag.
1997, S. 124
[3] Blumenberg, H.: Licht als Metapher der Wahrheit. In: Studium Generale, 10. Jahrgang, 1957,
S. 433. Zitat entnommen aus: Axel Müller, ebda., 1997, S. 115
[4] Searle, John R.: Die Konstruktion der gesellschaftlichen Wirklichkeit. Rowohlt Verlag, Reinbek,
1997, S. 34
[5] Vgl.: Def. des Begriffes „Konstruktion“ aus dem Wissen-Lexikon unter www.wissen.de
[6] Vgl.: Krech/Crutchfiled u.a.: Grundlagen der Psychologie. Kap.1. Psychologie als Wissenschaft.
Psychologie Verlag Union, Weinheim, 1992, , S. 9
[7] Vgl.: Bexte, Peter: Blinde Seher. Verlag der Kunst, Berlin, 1999, S. 39
[8] Hebräer-Brief 4,13, Lutherübersetzung nach einer revidierten Fassung von 1984 : „Und kein
Geschöpf ist vor ihm verborgen, sondern es ist alles bloß und aufgedeckt vor den Augen Gottes,
dem wir Rechenschaft geben müssen.“
[9] Psalm 112,4, Lutherübersetzung, 1984: „Den Frommen geht das Licht auf in der Finsternis von
dem Gnädigen, Barmherzigen und Gerechten.“
[10] Vgl.: Wetzel, Michael: Über das Sehen (hinaus). In: Konstruktionen Sichtbarkeiten, Huber / Heller
(Hg.), Springer Verlag, Wien, 1999, S. 175
[11] Derrida, Jacques, Zitat entnommen aus: Tholen, Georg Christoph: Der blinde Fleck. In:
Konstruktionen Sichtbarkeiten, Huber (Hg.), Springer Verlag, Wien, 1999, S. 193
[12] Descartes, René. Zitat entnommen aus: Bexter, Peter, a.a.O., 1999, S. 96
[13] Vgl.: Bexter, Peter, ebda., 1999, S. 23
[14] Keppler, Johannes, (1571- 1630), Astronom.
[15] Harsdörfer, Georg Philip: Philosophische und Mathematische Erquickstunden. Bd. 3., Nürnberg,
1636 – 1653, Reprint: Jörg Jochen Berns (Hg.), Frankfurt a.M., 1991, S. 200
[16] Anm.: z.B. ist der semantische Ursprung des Begriffs Geistesblitz im Licht zu finden.
[17] Bexter, Peter, ebda., 1999, S. 26
[18] Vgl.: Alpers, Svetlana: Kunst als Beschreibung – Holländische Malerei des 17. Jahrhunderts.
Übersetzt von: H.U. Davitt, Köln, 1983, S. 373
[19] Richter Vers 16-21, Lutherübersetzung, revidierte Fassung von 1984: „Als sie aber mit ihren Worten alle Tage in ihn drang und ihm zusetzte, wurde seine Seele sterbensmatt, und er tat ihr
sein ganzes Herz auf und sprach zu ihr: Es ist nie ein Schermesser auf mein Haupt gekommen; denn ich bin ein Geweihter Gottes von Mutterleib an. Wenn ich geschoren würde, so wiche meine Kraft von mir, so dass ich schwach würde und wie alle andern Menschen. Als nun Delila sah, dass er ihr sein ganzes Herz aufgetan hatte, sandte sie hin und ließ die Fürsten der Philister rufen und sagen:
Kommt noch einmal her, denn er hat mir sein ganzes Herz aufgetan. Da kamen die Fürsten der
Philister zu ihr und brachten das Geld in ihrer Hand mit. Und sie ließ ihn einschlafen in ihrem
Schoß und rief einen, der ihm die sieben Locken seines Hauptes abschnitt. Und die fing an, ihn zu
bezwingen - da war seine Kraft von ihm gewichen. Und sie sprach zu ihm: Philister über dir,
Simson! Als er nun von seinem Schlaf erwachte, dachte er: Ich will frei ausgehen, wie ich früher
getan habe, und will mich losreißen. Aber er wusste nicht, dass der HERR von ihm gewichen war.
Da ergriffen ihn die Philister und stachen ihm die Augen aus, führten ihn hinab nach Gaza und
legten ihn in Ketten; und er musste die Mühle drehen im Gefängnis.“
[20] Vgl.: Bexter, Peter, ebda., 1999, S. 54
[21] Vgl.: Boehm, Gottfried: Die Wiederkehr der Bilder. In: Was ist ein Bild? Gottfried Boehm (Hg.),
Wilhelm Fink Verlag, München, 1995, S. 30
[22] Vgl.: Capelle, Wilhelm: Die Vorsokratiker. Alfred Kröner Verlag, Stuttgart, 1963, S. 231
[23] Vgl.: Capelle, Wilhelm, ebda., 1963, S. 186
[24] Empedokles, Zitat entnommen aus: Capelle, ebda., 1963, S. 231
[25] Empedokles, Zitat entnommen aus: Capelle, ebda., 1963, S. 231
[26] Vgl.: Platon: Timaios. Band VII., Eigler (Hg.), Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt,
1972, S. 41
[27] Vgl.: Platon, ebda, 1972, S. 77
[28] Platon, Zitat entnommen aus: Capelle, ebda., 1963, S. 77
[29] Vgl.: Platon, ebda., 1972, S. 78
[30] Vgl.: Platon, ebda., 1972, S. 79
- Quote paper
- Vera Venz (Author), 2002, Über die Dekonstruktion von Sichtbarkeit, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/135938
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