In dieser Unterrichtsstunde geht es darum, die Lebens- und Arbeitssituation der türkischen "Gastarbeiter" in Deutschland der 60er Jahre zu thematisieren und dabei das Bewusstsein der Schülerinnen und Schüler für interkulturelle Kompetenz und Fremdverstehen zu fördern.
Nachdem die Schülerinnen und Schüler in der ersten Hälfte der Doppelstunde gemeinsam im Plenum erarbeitet haben, dass die "Gastarbeiter" in Deutschland einfache und ungeliebte Tätigkeiten übernahmen und als Fremde behandelt wurden, werden in der zweiten Hälfte anhand von Fotomaterial und einem Zeitungsartikel u.a. die Wohn- und Arbeitssituation der "Gastarbeiter" veranschaulicht. Die Schülerinnen und Schüler werden dabei in Partnerarbeit tätig und erarbeiten gemeinsam passende Überschriften zu den Fotos. Dabei sollen sie sich in die Lage der "Gastarbeiter" hineinversetzen und die Situation aus ihrer Perspektive betrachten und beurteilen. Die Unterrichtsstunde wird durch eine freiwillige Präsentation von Schülerinnen und Schülern abgerundet, bei der die Klasse das Präsentierte mit dem Eigenen vergleicht und die Ergebnisse inhaltlich kommentiert bzw. ergänzt. Die Lehrkraft greift hierbei gegebenenfalls lenkend ein, um ein sachgerechtes Ergebnis zu erzielen.
Thema der Reihe:
„Arbeiter wurden gerufen, doch es kamen Menschen“ -
Die Geschichte der Migration in der BRD am Beispiel der türkischen „Gastarbeiter“
Thema der Stunde:
Die Pioniere der türkischen Arbeitsmigration in Deutschland. Ein Irrtum der Geschichte? - Die Existenz der Gastarbeiter zwischen schlichtem Arbeiterdasein und Menschlichkeit.
Themenwahl der Stunde:
Die Entscheidung für das Thema der Unterrichtsreihe basiert auf dem Kernlehrplan Geschichte für den verkürzten Bildungsweg des Bundeslands Nordrhein-Westfalen. Dieser sieht als verpflichtendes Inhaltsfeld für die Einführungsphase das Thema "Erfahrung mit dem Fremdsein in weltgeschichtlicher Perspektive" vor. Konkret konzentriert sich die geplante Unterrichtsstunde auf die Vorgabe, "Fremdsein, Vielfalt und Integration - Migration am Beispiel des Ruhrgebiets im 19. und 20. Jahrhundert" als Gegenstand des Unterrichts zu behandeln. Dabei sollen die Schülerinnen und Schüler ein Verständnis für die historischen Erfahrungen und Herausforderungen von Migrantinnen und Migranten im Ruhrgebiet entwickeln und dabei die Bedeutung von Vielfalt und Integration in einer globalisierten Welt reflektieren.
Didaktisches Potential
Ich halte es für äußerst wichtig, dass sich Schülerinnen und Schüler bereits in der 7. oder 8. Klasse und spätestens in der Einführungsphase des Geschichtsunterrichts mit der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland in den 1950er/1960er Jahren beschäftigen. In dieser Zeit kamen zahlreiche türkische "Gastarbeiter" sowie ihre Nachfahren nach Deutschland. Es stellt sich die Frage, warum gerade Türken in die Bundesrepublik kamen, welche Umstände in der Türkei und Deutschland herrschten und was sie sich von ihrem Leben in Deutschland versprachen.
Es lohnt sich auch, darüber nachzudenken, warum Deutschland so viele junge Türken ins Land lockte. Oft werden Themen wie Migration und Integration in der Öffentlichkeit dramatisiert und als gravierende Probleme dargestellt. Doch eine historische Auseinandersetzung mit dieser Thematik kann dabei helfen, Vorurteile aus dem Weg zu schaffen. Es ist wichtig, dass Schülerinnen und Schüler verstehen, dass Deutschland vor gut 100 Jahren vornehmlich ein Auswanderungsland war und dass sich deutsche Auswanderer ebenfalls mit der Integration in anderen Ländern schwergetan haben.
Heute leben in Deutschland ca. 15 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund, darunter auch ein überdurchschnittlich hoher Anteil von Kindern und Jugendlichen. Themen wie Migration und Integration sind daher von grundlegender Bedeutung für Schulen. Es ist bekannt, dass zahlreiche Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund im deutschen Schulsystem benachteiligt werden. In den letzten Jahren hat sich zwar ein Bewusstseinswandel in der bundesdeutschen Gesellschaft vollzogen, aber es ist immer noch notwendig, bildungspolitische Maßnahmen zu treffen, um diese Benachteiligungen zu mindern.
Eine Möglichkeit, dies zu erreichen, besteht darin, die Schülerinnen und Schüler über die Geschichte der sogenannten "Gastarbeiter" aufzuklären. Hierbei sollte man die Situation betrachten, in der sie leben und arbeiten mussten, ihre Lebensgeschichten in den Blick nehmen und die Hintergründe des Anwerbeabkommens aus beiden Länderperspektiven beleuchten. Es ist auch wichtig, die Benachteiligungen von Zuwanderern aufzuklären und den Schülerinnen und Schülern eine differenzierte Sichtweise auf die gesellschaftspolitischen Herausforderungen in Bezug auf Migration und Integration zu geben.
In diesem Zusammenhang kommt dem Geschichtsunterricht eine herausragende Bedeutung und Schlüsselfunktion zu. Die Themenwahl der Reihe begründet sich im Kernlehrplan Geschichte für den verkürzten Bildungsweg des Landes NordrheinWestfalen, der als obligatorisches Inhaltsfeld für die Einführungsphase "Erfahrung mit dem Fremdsein in weltgeschichtlicher Perspektive" vorsieht. Die Stunde des Unterrichtsbesuchs stützt sich konkret auf die Vorgabe "Fremdsein, Vielfalt und Integration - Migration am Beispiel des Ruhrgebiets im 19. und 20. Jahrhundert" als Gegenstand des Unterrichts zu behandeln. In diesem Kontext stellt die vorliegende Unterrichtsstunde eine Chance dar, die SuS für die Thematik der Migration und Integration in Deutschland zu sensibilisieren und ihnen die historischen Hintergründe und Zusammenhänge näherzubringen. Dabei werden nicht nur Fakten und Daten vermittelt, sondern auch das Verständnis für die Erfahrungen und Perspektiven der Betroffenen geschärft.
Diagnose der Lernausgangslage
Die vorgestellte Lerngruppe setzt sich aus 21 (14 Schülerinnen; 7 Schüler) Schülerinnen und Schülern zusammen. In der vorgestellten Stunde werden drei Schülerinnen und Schüler, von denen zwei zu den leistungsstärksten gehören, auf Grund einer Lateinklausur nicht anwesend sein. Die Raumsituation ist im Schulvergleich als durchaus komfortabel zu bezeichnen, da die mediale Ausstattung mit einem festen Beamer, einem OHP-Projektor und einer handelsüblichen Tafel solide ist. Ich unterrichte die Lerngruppe im Fach seit Beginn des Schuljahres. Das Lernklima ist insgesamt und über das Schuljahr hinweg als produktiv zu bezeichnen. Die Schülerinnen und Schüler weisen eine hohe Lernbereitschaft, leistungsbezogene Motivation und ein grundsätzliches Interesse am Fach auf. Obwohl die aktive Teilnahme am Unterricht in dieser Lerngruppe größtenteils positiv hervorzuheben ist, fallen einige Schülerinnen und Schüler im Vergleich mit einer relativen Passivität und Zurückhaltung auf. Um insbesondere diesen Schülerinnen und Schülern gerecht zu werden, setze ich kooperative Arbeitsformen ein. Insgesamt fiel die Lerngruppe mir im Unterrichtsgeschehen bisher durch einen freundlichen und kooperativen Umgang miteinander auf. Sprachliche Barrieren habe ich bisher nicht beobachten können. Auch Lesekompetenzen sind auf einem recht ähnlichen Niveau. Als Spezifikum der Lerngruppe bleibt noch zu erwähnen, dass es bei einer Schülerin seit kurzer Zeit in unregelmäßigen Abständen zu vermutlich psychosomatisch bedingten Panikattacken kommen kann. Eine Untersuchung wurde in die Wege geleitet. Es besteht jedoch zumindest keine akute Gesundheitsgefahr in einem solchen Fall. Die betroffene Schülerin hat bereits für sich selbst Mechanismen zur Beruhigung entwickelt: Im Falle einer Panikattacke lässt sie sich durch eine der ihr nahestehenden Mitschülerinnen beruhigen und geht ggf. kurz vor die Tür, um Luft zu schnappen. Ansonsten gibt es keine erwähnenswerten Spezifika, die an dieser Stelle zu erläutern wären. Das allgemeine Leistungsniveau würde ich als nicht gesamtschuluntypisch in Teilen leistungsheterogen beziffern. Dies berücksichtige ich entsprechend durch verschiedene Maßnahmen der Binnendifferenzierung sowie einer sprachsensiblen Aufbereitung1der Unterrichtsgegenstände und erwähnten kooperativen Arbeitsphasen nach dem Think-Pair-Share-Prinzip.2Ich setze in dem Kurs durchaus häufig auf Quellenarbeit, die ich in der Regel an sprachlich schwierigen Stellen im Sinne der Lesbarkeit kürze und an anderer Stelle bewusst mit Annotationen versehen, sodass genügend Raum für schülerbezogene Alteritätserfahrung3besteht. Es besteht daher bereits grundsätzliches methodisches Wissen bezüglich eines quellenkritischen und analytischen Umgangs mit historischen Gegenständen. Durch die unterschiedlichen Unterrichtsvorhaben im Bereich der Selbst- und Fremdwahrnehmung stand zudem die Sensibilisierung des generellen Konstruktionscharakters der Geschichte sowie die Schulung der heuristischen Denkweise der Schülerinnen und Schüler zur Klärung einer historischen Problemfrage im Fokus. Insgesamt achte ich mit dem Unterrichtsvorhaben auf eine angemessene Abdeckung der vorgesehenen Kompetenzen. Das Einüben methodischer Kompetenzen, wie der Umgang mit historischen Karten steht ebenso im Fokus, wie die grundlegende Förderung von Sach- und Urteilskompetenzen.
Didaktisch-methodischer Kommentar
In dieser Themenreihe wird ein historischer Überblick über die Einwanderung der türkischen Migranten in die Bundesrepublik Deutschland geboten. Hierbei soll insbesondere auf die Anfangsphase der türkischen Migrationsbewegung eingegangen werden, welche von der Unterzeichnung des Deutsch-türkischen Anwerbeabkommens im Oktober 1961 bis zur Einreise der ersten "Gastarbeiter" in das Land geprägt war.
Die Bedeutung des Anwerbeabkommens für beide Seiten, BRD und Türkei, konnte zu diesem Zeitpunkt noch nicht erahnt werden. Die weitreichenden Konsequenzen und Veränderungen, die dieses Abkommen für die BRD und das Leben der damaligen "Gastarbeiter" mit sich brachte, sollen im Verlauf der Themenreihe näher betrachtet werden. Um den Schülerinnen und Schülern einen umfassenden Einblick in die Thematik zu ermöglichen, werden verschiedene Materialien und Medien eingesetzt. Hierzu zählen unter anderem Foto- und Videomaterial, Zeitungsausschnitte, Grafiken, Statistiken und Dokumentationsfilme. Durch den Einsatz dieser Materialien sollen die Schülerinnen und Schüler in die Lage versetzt werden, sich mit dem Thema Anwerbung der türkischen "Gastarbeiter" und der Einwanderungssituation auseinanderzusetzen.
Es ist mir wichtig, den Schülerinnen und Schülern unterschiedliche Aspekte der Migration aufzuzeigen und sie für das Thema zu sensibilisieren. Deshalb soll die Themenreihe im Geschichtsunterricht behandelt werden, um die Schülerinnen und Schüler auf diesem Gebiet weiterzubilden. In der Einführungssitzung steht die Anfangsphase der türkischen Migrationsbewegung im Vordergrund. Hierbei wird insbesondere auf die erste Generation, die sogenannten "Gastarbeiter", eingegangen. Der Fokus liegt hierbei auf der Beleuchtung der Einwanderungssituation und den Erfahrungen der "Gastarbeiter".
Als Einstieg in die Unterrichtseinheit zur Arbeitsmigration infolge des Anwerbeabkommens soll zu Beginn der Stunde das Lied "Es kamen Menschen" von dem türkischen Rockmusiker Cem Karaca aus dem Jahr 1984 abgespielt werden. Der Song greift das berühmte Zitat von Max Frisch auf, wonach "Es wurden Arbeiter gerufen, doch es kamen Menschen an", und behandelt die Situation der so genannten "Gastarbeiter" in Deutschland. Dieser Song eignet sich hervorragend als Einstieg in die Thematik und kann den Schülerinnen und Schülern ohne weitere Einführung vorgespielt werden.
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1Bernhardt, Markus; Conrad, Franziska: Sprachsensibler Geschichtsunterricht. Sprachliche Bildung als Aufgabe des Fachs Geschichte, in: Geschichte Lernen; 182 (2018), S. 2.
2Adamski, Peter: Gruppen- und Partnerarbeit im Geschichtsunterricht, historisches Lernen kooperativ (Methoden historischen Lernens), Schwalbach/Ts.2 2013, S. 7ff.
3 Sauer, Michael: Geschichte unterrichten. Eine Einführung in die Didaktik und Methodik, Seelze10, 2012, S. 76f.
- Quote paper
- Anonymous,, 2023, Beurteilung multiperspektivischer Quellen am Beispiel des Themenblocks "Ein historisches Missverständnis? Türkische Gastarbeiter" (Geschichte, 10. bis 11. Klasse), Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1356753
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