Kant und die Grundfragen der Philosophie: Was ist Wahrheit? - Was sind Ideen?
Immanuel Kant ist der erste Theoretiker in der Geschichte der Philosophie, der mit
der Kritik der Urteilskraft eine systematisch ausgearbeitete ästhetische Theorie vorgelegt hat, deren Anwendung in der (ästhetischen) Praxis gestattet,
Wahrheiten bzw. Ideen zu erarbeiten. Wahrheiten sind "zutreffende Analogien"
(Richard Rorty).
Inhalt
Der Versuch
Objektivität - Subjektivität
Vernunft und Verstand
Metaphysik, wissenschaftlich
Dinge, Erscheinungen
Die Kopernikanische Wende
Die Kritik der Urteilskraft
Die ästhetische Urteilskraft
Geschmack als Fähigkeit
Das Mittelglied (Urteilskraft)
Die reflektierende Urteilskraft
Die (transzendentale) Deduktion in der KdU
Die Natur (als Person)
Die Einbildungskraft
Der Versuch
Von allen Seiten werden wir gedrängt, mit dem Experimen-tieren aufzuhören, in der Kunst und anderswo. Mit diesen Worten beginnt der französische Philosoph Jean-Francois Lyotard seinen Essay Beantwortung der Frage: Was ist postmodern?
Der Essay ist eine kritische Betrachtung des bürgerlichen Kunstbegriffs. Wie die Geschichte zeigt, schreibt der fran-zösische Philosoph, wurde dieser Kunstbegriff entweder von einer Partei bestimmt, die festlegte, was Kunst ist, was nicht. Angesprochen sind das sogenannte Tausendjährige Reich und die Ära, die in die Geschichte als Real Existieren-der Sozialismus eingegangen ist. Oder aber, das wäre der andere Fall, der eintritt, wenn die Macht nicht Partei, son-dern Geld heißt, wo dann das bürgerliche Kunstverständ-nis praktisch kriterienlos sei. Die Voraussetzung, so Lyo-tard, daß alles und jedes zur Kunst erklärt werden kann. Eklektizismus ist der Nullpunkt zeitgenössischer Bildung, schreibt er. Man trägt ein französisches Parfum, speist zu Mittag in Rom, besucht abends eine Vernissage in New York. Wenn Kunst zu einer Sache wird, mit der man han-deln kann, dann wird sie zu einer Ware, für die zwangsläufig diejenigen Kriterien gelten, die in der Warenwelt ma1geblich sind. Sache des Künstlers sei nicht, schreibt der Philosoph, sich zum Anwalt zu machen, der die Interessen irgendeines Meinens vertritt, auch nicht, einen Markt, ein Publikum zu bedienen und Erfolg zu haben. Vielmehr hätte er die Aufgabe, die überkommenen Darstellungs-und Ausdrucksmittel zu überprüfen. Diejenigen aber, die sie in Zweifel ziehen, weil sie ihnen verbieten wahr zu sein, so Lyotard, würden von vornherein scheitern, da das Pub-likum an ihnen keinen Geschmack findet.
Dann macht der französische Philosoph einen unge-wöhnlichen Perspektivenwechsel. Immanuel Kant wird Thema. Vom Schönen und vom Erhabenen ist die Rede, vor allem aber von den Ideen, die Lyotard zufolge nicht dar-stellbar sind, die Nichtdarstellbares seien. Die Ideen stehen derartig im Zentrum von Lyotards Essay, da1 man den Eindruck gewinnt, sie, die Ideen, sonst nichts, sind das Thema der Bildenden Kunst in Wahrheit.
Lyotard unternimmt - das Wort Essay sagt es - einen Ver-such. Auf den ersten Blick wird eine kritische Betrachtung des modernen Kunstbegriffs geliefert. Ab dem Punkt, wo die Ideen Thema werden, wird allerdings eine indirekte Themaausweitung vorgenommen. Jetzt hei1t das Thema Ästhetik. Der französische Philosoph versucht die philoso-phische Disziplin Ästhetik ins Gedächtnis zu rufen, das Thema dieser Disziplin, genauer gesagt: die Ideen, die nach Platon Das-bloß-Vorgestellte sind, die ewig wahr seien. Die Ideen gehören zu den Grundfragen der Philosophie. Aus Lyotards Essay kann man also das Fazit ziehen: Der franzö-sische Philosoph verkündet die Ansicht, wonach die Ideen-frage ästhetischer Natur ist.
Lyotards Text war für mich eine Art Schlüsselerlebnis. Das soll aber nicht hei1en, er hätte mich aufgeklärt. Der Titel seines Essays spielt ja auf Kants Schrift Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung? an. Nein, der Text hat mich überrascht, weil ich feststellen konnte, da1 er das themati-siert, das ich kurz zuvor erkannt hatte: Die Grundfragen der Philosophie sind ästhetischer Natur. Nicht nur die Ideen-, auch die Wahrheit-Frage ist ein ästhetisches Thema, weil sie verknüpft (Kant) sind. Da1 Immanuel Kant bei Lyotard im Mittelpunkt steht, hat erstens den Grund, weil der Königsberger Denker die Grundfragen der Philosophie zum Thema hat, die er vor allem in seinen drei Kritiken er-örtert. Es gibt aber noch einen weiteren, der der Haupt-grund ist, weshalb Kant bei Lyotard im Mittelpunkt steht. Mit der dritten Kritik hat Kant die Grundfragen der Phi-losophie beantwortet. Mit der Kritik der Urteilskraft legt Kant die erste systematisch ausgearbeitete ästhetische Theorie in der Geschichte der Philosophie vor, wie die Grundfragen der Philosophie beantwortet werden können. Mit den beiden anderen Kritiken ist es Kant nicht gelun-gen, das Problem zu lösen, das nach Hans-Georg Gadamer ein ästhetisches ist. Die erste Kritik, die Kritik der reinen Ver-nunft, und die zweite Kritik, die Kritik der praktischen Ver-nunft, haben Kant gewisserma1en in eine Sackgasse ge-führt.
Lyotards Essay ist ebenso der Versuch, die Kunstwerk-frage zu aktualisieren. Was macht eine Arbeit zu einem Werk der Kunst, zu einem Kunstwerk? Wann ist z. B. ein Bild, es mag ein gemaltes sein oder nicht, lediglich ein Bild, wann jedoch ein Kunstwerk? Diesen Fragen ist Martin Heidegger in seiner Schrift Der Ursprung des Kunstwerkes nachgegangen, zu der Gadamer die Einleitung verfaßt hat, die, so Martin Heidegger, einen wichtigen Wink enthalten würde. Hans-Georg Gadamer schreibt in seiner Einleitung:
- Citation du texte
- Michael Lange (Auteur), 2009, Leseprobe: 1. Kapitel zu "Immanuel Kant in Wahrheit - Kant und die Grundfragen der Philosophie" von Michael Lange, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/135656
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