Autoren wie David Wyatt („And the war came“), Frédéric Beigbeder („Windows on the world“) oder Jonathan Safran Foer haben sich dem Thema des 11. Septembers, der „Mutter aller Ereignisse“ mit einiger Distanz literarisch genähert. Weniger distanziert, weil viel näher am Geschehen produzierten sich etwa Kathrin Röggla („really ground zero“), Richard Picciotto („Unter Einsatz meines Lebens“) oder Else Buschheuer.
Folgend soll es um die Literaturtheorie New Hitoricism gehen, um die Frage, ob sich bei einer Gegenüberstellung eines literarischen Textes und außerliterarischen Texten oder Dokumenten eine neue Verortung des Kunstwerkes einstellt. Worum handelt es sich bei dieser Literaturtheorie und was ist ihr Ziel? Lässt sie sich auf einen Roman wie den von Foer anwenden? Wie wird der 11. September in den verschiedenen Texten verarbeitet?
Inhaltsverzeichnis
1. Der 11. September 2001 und Literatur
2. Literatur des 11. September
2.1 „Extremely loud & incredibly close“ von Jonathan Safran Foer
2.2 „www.else-buschheuer.de - Das New York Tagebuch”
3. Die Referenz auf »9/11«
4. Thesen des Neohistorismus
5. Neohistoristische Ansätze in Foers Roman
5.1 Kontextbildende Materialien
5.2 Der Diskursfaden
5.3 Die kulturelle Energie
6. Fazit
Quellen
1. Der 11. September 2001 und Literatur
Die Anschläge des 11. September 2001 sind wahre, d.h. reale Ereignisse unserer Zeitge-schichte. Jean Baudrillard bezeichnete >>9/11<< sogar als „die Mutter aller Ereignisse“1. Etwa sechs Jahre danach wird in den Medien noch heftig über die allgemein gewachsene Bedro-hung und die religiösen Motivationen der Attentäter diskutiert. >>9/11<< hat sich auf viele Be-reiche des Alltags ausgewirkt – es sind mittlerweile Kino- und Dokumentarfilme entstanden, die sich mit dem Thema auseinandersetzen.
Zudem sind auf der einen Seite unzählige Sachbücher erschienen, in denen sich Historiker und Sachkundige mit der Bedeutung dieses Tags für die Geschichte auseinandersetzen – auf der anderen Seite aber entstanden auch Romane, die auf das Thema direkt oder indirekt ver-weisen. Es handelt sich vor allem um Romane, so Stefan Mesch2, die substantiell sehr unter-schiedliche Grundlagen haben, die Autoren artikulieren sich mit betretenem Schweigen und hilflosem Stammeln, politisch-polemisch und über den Rückzug ins Private, aber auch mit emotionalen Ausbrüchen und zynischen Kommentaren3. Die „literarischen Aufräumarbeiten“ seien nun zwar abgeschlossen, es stelle sich aber jetzt, da einige Jahre ins Land gegangen sei-en, die Frage, was übrig bleibt für die Klassiker-Ecke.
Je stärker sich Schriftsteller dem Zeitgeist anbiedern, desto schneller setzen ihre Bü-cher Staub an. (Stefan Mesch)
Ist dem wirklich so? Oder haben wir es nicht mit einer wichtigen Reziprozität von Geschicht-lichkeit-Texte und Textualität-Geschichte zu tun? Autoren wie David Wyatt („And the war came“), Frédéric Beigbeder („Windows on the world“) oder Jonathan Safran Foer haben sich dem Thema mit einiger Distanz literarisch genähert. Weniger distanziert, weil viel näher am Geschehen produzierten sich etwa Kathrin Röggla („really ground zero“), Richard Picciotto („Unter Einsatz meines Lebens“) oder Else Buschheuer.
Folgend soll es um die Literaturtheorie New Hitoricism gehen, um die Frage, ob sich bei einer Gegenüberstellung eines literarischen Textes und außerliterarischen Texten oder Dokumenten eine neue Verortung des Kunstwerkes einstellt. Worum handelt es sich bei dieser Literatur-theorie und was ist ihr Ziel? Lässt sie sich auf einen Roman wie den von Foer anwenden? Wie wird der 11. September in den verschiedenen Texten verarbeitet?
2. Literatur des 11. September
Die Verarbeitung des faktualen Ereignisses »9/11« wird anhand des Werkes „Extremely loud & incredibly close“ von Jonathan Safran Foer betrachtet werden. Bezüglich des Grades der Distanziertheit zu den Anschlägen soll zusätzlich „www.else-buschheuer.de - Das New York Tagebuch“ herangezogen werden.
2.1 „Extremely loud & incredibly close“ von Jonathan Safran Foer
Der Autor.
Jonathan Safran Foer wurde 1977 in Washington, D.C. geboren, sein Interesse am Schreiben wurde durch Joyce Carol Oates geweckt, bei der er einen Kurs besuchte. 2001 gab er die An-thologie „Convergence of Birds“ heraus, eine Sammlung von Texten zum Maler Joseph Cornell. 2002 erschien sein Debütroman „Everything is Illuminated“, der von einer Reise in die Ukraine inspiriert war, auf der Foer über das Leben seines Großvaters recherchierte. 2004 war er Mitherausgeber des „Future Dictionary of America“.4 Jonathan Safran Foer lebt derzeit in Berlin.
Das Werk.
Der Roman „Extremely loud & incredibly close“ wurde 2005 veröffentlicht. Es geht um das neunjährige Einzelkind Oskar Schell, dessen Vater ein Juweliergeschäft führt und am 11. September 2001 eine Besprechung im World Trade Center hat und infolge der Anschläge ums Leben kommt. Der Sohn bleibt zurück und geht auf eine fantasievolle Reise während der Su-che nach der Lösung eines vermeintlichen Rätsels seines Vaters. Parallel erzählt Foer auch die Geschichte des Großvaters, der die Bombardierung Dresdens überlebte.
2.2 „ www.else-buschheuer.de - Das New York Tagebuch“ von Else Buschheuer
Die Autorin .
Else Buschheuer wurde 1967 in Eilenburg bei Leipzig geboren. 2001 ging sie für ein geplan-tes 3-monatiges Praktikum nach New York und wurde unfreiwillig Zeuge der Anschläge auf das World-Trade-Center. Sie veröffentlichte Auszüge aus ihrem 2000 eröffneten Internettage-buch in Buchform, inzwischen sind fünf Tagebücher erschienen. Else Buschheuer lebt in Leipzig.
Das Werk .
„www.else-buschheuer.de - Das New York Tagesbuch“ ist eine Sammlung von anfangs amü-santen Aufzeichnungen aus dem Leben einer Frau, die ihre ersten Schritte in Manhattan, einer für sie fremden Umgebung macht. Der Schwerpunkt verlagert sich im Verlaufe des Werkes durch den 11. September 2001 und die unmittelbare Nähe der Autorin zum Unglücksort. Die Aufzeichnungen der unter großem psychischen Druck stehenden Autorin gewinnen dadurch an hohem dokumentarischen Wert.
3. Die Referenz auf »9/11«
Ich möchte nur mal schnell anmerken, dass ich durch eines der Flugzeuge, die ins World Trade Center reingeknallt sind (das zweite), wach geworden bin. Das zweite Flugzeug war größer, der Knall war lauter. (Buschheuer, S. 128)
Internettagebücher haben erst seit kurzem Konjunktur, Else Buschheuer war eine der ersten Deutschen, die ein solches eröffnete. Dieses neue Forum entspricht nicht in jeder Hinsicht dem traditionellen „Tagebuch“; es handelt sich dabei auch um regelmäßige chronologische Aufzeichnungen eines Autors aus seinem persönlichen Umfeld und gegenwärtigen Schaffen als auch generell zum Zeitgeschehen5, das unterscheidende Moment aber ist die temporale Distanz, nicht die zwischen Ereignis und Schreiben, sondern die Zeitspanne zwischen Schrei-ben und Veröffentlichen, die durch das Internet und die Möglichkeit der sofortigen Öffent-lichmachung viel kürzer ist, als es zum Beispiel bei Frischs Tagebuch 1946-49 der Fall ist, dem durch die verzögerte Veröffentlichung noch der Reiz der Spontaneität fehlte. Buschheuer schrieb und posthum konnten ihre Leser teilhaben an ihrer momentanen psychischen Verfas-sung. Dieses Tagebuch ist nicht fingiert, sondern authentisch und war zu Beginn nicht als Zeitdokument für die Anschläge auf das World Trade Center gedacht.
Jonathan Safran Foer hat eine ganz andere literarische Form gewählt; den Roman, in dem von einem kleinen nicht realen Jungen erzählt wird. Der gemeine Roman als Plattform der Fiktion verschließt sich eigentlich einem solchen Wirklichkeitsbezug wie er sich in einem authenti-schen Tagebuch wie dem Buschheuers findet. Denn der Begriff der Fiktion gibt gewisse Schranken vor; die dargestellte Welt soll per definition nicht eine wirklich vorhandene sein, sondern sie soll so verstanden werden, als ob sie real wäre.6 Diese Welt ist also imaginär, erdichtet. Bei „Extremely loud & incredibly close“ ist es auch an dem, bis zu dem Punkt der Thematisierung des 11. September 2001.
It was on a TV there that I saw that the first building had fallen. (Foer, S. 68)
When the second plane hit, the woman who was giving the news started to scream.
A Ball of fire rolled out of the building and up. (Foer, S. 225)
Der 11. September 2001 und die Bombardierung Dresdens sind nicht die einzigen Thematisie-rungen realer Begebenheiten. Der Protagonist hält ein Referat über Hiroshima:
The shadows gave an indication of the height of the burst of the bomb, and the diameter of the ball of fire at the instant it was exerting the maximum charring effect. Isn‘t that fascinating? (Foer, S. 189)
Foer bedient sich mehr historischer Fakten, als dem 11. September 2001. Es geht also nicht nur um einen traumatisierten Junge mit einem für sein Alter ungewöhnlichen Artikulations-vermögen, Fantasie und Forscherdrang, dessen Name schon eine Verbindung zu Oskar Mat-zerath (siehe Grass’ „Die Blechtrommel“) herstellt7. Das Werk will anscheinend vorrangig das historische Ereignis des 11. September 2001 verarbeiten (hier tut sich eine weitere Paral-lele zu „Die Blechtrommel“ auf, wo der real stattgefundene Krieg thematisiert wird), bezieht aber noch weitere reale Katastrophen mit ein und setzt sie damit je nach Lesart sogar in Be-ziehung.
Foer sagte in einem Interview über seinen Roman: „Es geht nicht darum, eine realistische Welt zu erschaffen, es geht darum, eine glaubwürdige Welt zu erschaffen. Wenn etwas realis-tisch ist, heißt das noch nicht, dass es glaubwürdig ist. Menschen glauben an Gott, aber Gott ist nicht realistisch. Etwas zu erleben spielt keine Rolle – es geht darum, was ich schreibe.“8 Steht aber diese versuchte Schaffung von Glaubwürdigkeit durch die Einbeziehung faktualer historischer Ereignisse nicht in einem Gegensatz zu Fiktionalität? Die Katastrophe von Hiroshima wird nicht expliziert, nicht berichtend vorgeführt, Oskar verweist als vermittelnde In-stanz auf ein Gespräch zwischen einem Interviewer und einem Opfer, welches schlussendlich sagt:
It doesn’t matter what uniforms the soldiers are wearing. It doesn’t matter how good the weapons are. I thought if everyone could see what I saw, we would never have war anymore. (Foer, S. 189)
Die Antikriegsaussage scheint nicht nur die auf Hiroshima bezogene implizierte Nachricht zu sein. Durch die Referenz auf die Ereignisse spricht sich Foer gegen Krieg aus. Es geht nicht um die historische Katastrophe per se, und gerade deshalb stellt sich die Frage, ob der Roman nicht auch ohne die Referenzen ausgekommen wäre.
[...]
1 Baudrillard, Jean: Der Geist des Terrorismus hgg. von Peter Engelmann, Wien 2002.
2 Stefan Mesch ist Literaturkritiker und Mitherausgeber der Zeitschrift „Bella triste“.
3 Vgl. „Kulturschock 9/11“ in http://www.lit04.de/archiv/lit051/thema_0501.html Zugriff: 19.07.2007
4 Vgl. http://www.arslonga.de/lit/authors/f/foer.html Zugriff: 19.07.07
5 Vgl. Zirbs, Wieland (Hrsg.): Literatur Lexikon – Daten, Fakten und Zusammenhänge, Berlin 1998, S. 359.
6 Ebd., S. 97.
7 Vgl. http://www.textem.de/636.0.html Zugriff: 19.07.07
8 Hauck, Meike: Ich würde niemals nach München ziehen – Interview mit Jonathan Safran Foer, in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 15.04.2007, Nr. 15, S. 28.
- Citar trabajo
- René Ferchland (Autor), 2007, "Extrem laut und unglaublich nah" , Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/135633
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