Welche Folgen kann die elterliche Gewalt auf die Kinder haben? In der vorliegenden Arbeit möchte ich mich mit der Beantwortung dieser Frage auseinandersetzen. Dafür nehme ich zunächst einmal eine begriffliche Definition von Gewalt gegen Kinder vor und grenze die verschiedenen Arten von Gewalt gegen Kinder voneinander ab. Daraufhin erfolgt die Darlegung der Prävalenz und der Entwicklung von Gewalt gegen Kinder, um die Relevanz zu dem Thema zu verdeutlichen. Das nächste Kapitel beschäftigt sich mit den Risikofaktoren der Gewaltentstehung. Nachfolgend wird auf die Auswirkungen von Gewalt auf die kindliche Entwicklung der Psyche eingegangen. Zuletzt erfolgt die Diskussion über die aktuellen Erkenntnisse und Lücken der heutigen Forschung.
Gewalt von Eltern gegenüber ihren Kindern ist historisch gesehen keineswegs ein neues Phänomen. Was heute als Gewalt gegen Kinder verstanden wird, wurde über Jahrhunderte durch die Überzeugung gerechtfertigt, dass körperliche Strafen notwendig sind, um aus den Kindern böse Geister zu vertreiben, ihnen Disziplin beizubringen oder bestimmte Erziehungsideale zu vermitteln. Dieses Prinzip schien sich bis hin in die jüngere Vergangenheit durchzusetzen. Auch lange nach dem Mittelalter gehörte elterliche Gewalt gegen ihre Kinder zu einem häufigen Erziehungsmittel. Es wurde als Gestaltungsspielraum der Eltern verstanden, um die Kinder gehorsam und gefügig zu machen. Etwas neuer dagegen ist jedoch, dass gerade in diesem Thema ein Problembewusstsein entstanden ist, das sich nicht zuletzt auch in gesetzlichen Regelungen manifestiert.
Inhaltsverzeichnis:
1 Einleitung
2 Formen der Gewalt gegen Kinder
2.1 Physische Gewalt
2.2 Psychische Gewalt
2.3 Sexuelle Gewalt
2.4 Verwahrlosung
3 Prävalenz und Entwicklung
4 Risikofaktoren für die elterliche Gewaltentstehung gegen Kinder
4.1 Kindliche Risikofaktoren
4.2 Elterliche und familiäre Risikofaktoren
4.3 Risikofaktoren im sozialen Umfeld
4.4 Kulturelle und gesellschaftliche Risikofaktoren
5 Auswirkungen von Gewalt auf die psychische Entwicklung des Kindes
6 Diskussion und Herausforderungen
Literaturverzeichnis
1 Einleitung
Gewalt von Eltern gegenüber ihren Kindern ist historisch gesehen keineswegs ein neues Phänomen. Was heute als Gewalt gegen Kinder verstanden wird, wurde über Jahrhunderte durch die Überzeugung gerechtfertigt, dass körperliche Strafen notwendig sind, um aus den Kindern böse Geister zu vertreiben, ihnen Disziplin beizubringen oder bestimmte Erziehungsideale zu vermitteln. Dieses Prinzip schien sich bis hin in die jüngere Vergangenheit durchzusetzen. Auch lange nach dem Mittelalter gehörte elterliche Gewalt gegen ihre Kinder zu einem häufigen Erziehungsmittel. Es wurde als Gestaltungsspielraum der Eltern verstanden, um die Kinder gehorsam und gefügig zu machen (Bilz, Lenz & Melzer, 2021, S. 3). Etwas neuer dagegen ist jedoch, dass gerade in diesem Thema ein Problembewusstsein entstanden ist, das sich nicht zuletzt auch in gesetzlichen Regelungen manifestiert. So wurde in der Erklärung der Kulturministerkonferenz am 25.05.1973 den Lehrern untersagt, in der Schule zu körperlicher Gewalt zu greifen und im Jahr 2000 wurde im BGB §1631 Abs. 2 zudem gesetzlich festgelegt, dass Kinder das Recht auf eine gewaltfreie Erziehung haben (Bilz et al., 2021, S. 4). Durch diese Neubewertung einer historisch gängigen Praxis ist Gewalt von Eltern gegen ihre Kinder inzwischen zu einem breit thematisierten sozialen Problem aufgestiegen. Kinder vor gewalttätigen Übergriffen zu schützen, zählt heute zu den zentralen Zielen unserer Gesellschaft (Sutterlüty, 2020, S. 3f).
Die Problematik wird öffentlich angesprochen und verleitet geradezu dazu, den Eindruck zu gewinnen, dass die Häufigkeit zunehmen könnte (Haug, 2019, S.53ff). Trotz gesetzlicher Gegenmaßnahmen scheint Gewalt in der Kindheit nach wie vor ein relevantes Thema zu sein. Aus diesem Grund stellt sich mir die Frage: Welche Folgen kann die elterliche Gewalt auf die Kinder haben?
In der vorliegenden Arbeit möchte ich mich mit der Beantwortung dieser Frage auseinandersetzen. Dafür nehme ich in Kapitel 2 zunächst einmal eine begriffliche Definition von Gewalt gegen Kinder vor und grenze die verschiedenen Arten von Gewalt gegen Kinder voneinander ab. In Kapitel 3 erfolgt die Darlegung der Prävalenz und der Entwicklung von Gewalt gegen Kinder, um die Relevanz zu dem Thema zu verdeutlichen. Kapitel 4 beschäftigt sich mit den Risikofaktoren der Gewaltentstehung. Auf die Auswirkungen von Gewalt auf die kindliche Entwicklung der Psyche wird in Kapitel 5 eingegangen. Die Diskussion über die aktuellen Erkenntnisse und Lücken der heutigen Forschung erfolgt in Kapitel 6.
2 Formen der Gewalt gegen Kinder
Gewalt gegen Kinder wird definiert als „[e]ine nicht zufällige, gewaltsame, psychische und/oder physische Beeinträchtigung des Kindes durch die Eltern, Erziehungsberechtigte oder andere Erwachsene, die das Kind schädigt, verletzt, in seiner Entwicklung beeinträchtigt oder sogar tötet. Gewalt gegen Kinder und Jugendliche ist eine - bewusste oder unbewusste - gewaltsame körperliche und/oder seelische Schädigung, die in Familien oder Institutionen geschieht und die zu Verletzungen, Entwicklungsverzögerungen oder gar zum Tode führt und somit das Wohl und die Rechte eines Kindes beeinträchtigt oder bedroht. Aus dem Blickwinkel der Kinderrechte ist Gewalt am Kind eine Verletzung der in der Konvention definierten Kinderrechte, insbesondere das Recht auf Schutz.“ (Völkl- Kernstock & Kienbacher, 2016, S. 13)
Gewalt gegen Kinder kann auf verschiedene Weisen stattfinden. Ein zentraler Begriff hierzu ist die „Kindeswohlgefährdung“. Dieser Begriff stellt eine schwer zu definierende Eingrenzung dar, die in der Praxis häufig mit allgemeinen Begriffen wie Misshandlung durch physische oder psychische Gewalt, sexuellem Missbrauch oder Vernachlässigung von Kindern und Jugendlichen umschrieben wird. Die einzelnen Gewaltarten können dabei auch als Mischformen auftreten (Hansen & Schone, 2019, S. 12ff).
2.1 Physische Gewalt
Unter physischer Gewalt werden alle körperlichen Misshandlungen des Kindes verstanden, die mit direkter Gewalteinwirkung durch z.B. Prügeln, Treten, Schlagen, Verbrennen oder Verbrühen einhergehen. Dabei ist es irrelevant, ob die Taten im Affekt oder als geplante Erziehungsmaßnahme vollzogen werden (Völkl- Kernstock & Kienbacher, 2016, S. 14).
Verbreitet ist weiterhin die Unterscheidung zwischen körperlicher Züchtigung bzw. leichter Gewalt und körperlichen Misshandlungen bzw. schwerer Gewalt. Die körperliche Züchtigung beinhaltet dabei das Zufügen von körperlichen Schmerzen, um erzieherische Ziele bzw. Verhaltenskontrolle durchzusetzen, während sich die körperlichen Misshandlungen nicht auf erzieherische Maßnahmen beziehen, sondern auf das willkürliche Erzeugen von körperlichen Schmerzen.
Ein Sonderfall der physischen Gewalt ist das Münchhausen-by-Proxy-Syndrom. Bei dem Münchhausen-by-Proxy-Syndrom werden die Krankheitssymptome des Kindes absichtlich durch z.B. Verabreichung von Medikamenten herbeigeführt (Bilz et al., 2021, S. 5).
2.2 Psychische Gewalt
Hierbei handelt es sich um Demütigungen, Angebrülltwerden, Beschimpfungen, aber auch um Vernachlässigung, Liebesentzug oder emotionalen Missbrauch des Kindes als Partnerersatz (Völkl-Kernstock & Kienbacher, 2016, S. 14). Es geht dabei um das Vermitteln von Gefühlen des Abgelehntseins oder der Wertlosigkeit des Kindes. Die psychische Gewalt ist bei den Gewaltformen gegen Kinder die am schwersten fassbare Form von Gewalt, wobei die Grenze zu tolerierten Erziehungspraktiken wie z.B. Hausarrest oder temporärem Liebesentzug schwer zu ziehen ist (Bilz et al., 2021, S. 5).
2.3 Sexuelle Gewalt
Sexuelle Gewalt beinhaltet das Einbeziehen noch minderjähriger, abhängiger Kinder und Jugendlicher in sexuelle Aktivitäten, denen sie nicht verantwortlich zustimmen können, da ihnen die Tragweite noch nicht bewusst ist. Damit können auch Handlungen gemeint sein, die keinen Körperkontakt beinhalten, wie z.B. das Vorzeigen von pornographischem Material (Völkl-Kernstock & Kienbacher, 2016, S. 14).
2.4 Verwahrlosung
Wird ein Kind nicht ausreichend ernährt, gepflegt, gefördert, gesundheitlich versorgt, beaufsichtigt oder vor Gefahren geschützt, spricht man von Verwahrlosung (Völkl-Kernstock & Kienbacher, 2016, S. 14).
In der Regel wird hierbei unterschieden zwischen körperlicher und emotionaler Vernachlässigung. Bei Ersterem handelt es sich um mangelnde Wärme und unzureichende Bezugnahme auf das Kind, während unter körperlicher Vernachlässigung unzureichende Hygiene oder unzureichende medizinische Versorgung verstanden wird (Bilz et al., 2021, S. 6).
3 Prävalenz und Entwicklung
Die Forschung in Deutschland zeigte sich lange lückenhaft und musste sich auf die polizeiliche Kriminalstatistik beschränken oder auf Schätzungen von anfechtbarem Wert stützen. Eine Längsschnittbetrachtung der Kriminalstatistik weist einen signifikanten Anstieg von körperlicher Gewalt gegen Kinder in dem Zeitraum zwischen 1997 und 2017 auf (Haug, 2019, S.59).
1997 erfolgte der erste Meilenstein einer groß angelegten Querschnittsstudie zum Thema Gewalt von Eltern gegen ihre Kinder durch Peter Wetzel. Eine Befragung von 3248 Teilnehmern ergab verlässliche Ergebnisse zur Prävalenz elterlicher Gewalt und bezog sich auf alle Formen der Gewalt. 75% der Befragten gaben an, körperliche Gewalt von Eltern erlebt zu haben, 10% gaben an, Opfer intensiver Gewalt gewesen zu sein, über 38% wurden „häufiger als selten“ körperlich gezüchtigt und 5% gaben an „häufiger als selten“ misshandelt worden zu sein. Ein Vergleich der Prävalenzraten zwischen verschiedenen Alterskohorten sprach für einen intergenerationalen Rückgang elterlicher Gewalt. Raten der schweren Misshandlungsfälle unterschieden sich allerdings zwischen den jüngeren und den älteren Kohorten nicht signifikant (Sutterlüty, 2020, S. 4). Neuere deutsche Untersuchungen zeigten ähnliche Ergebnisse, die zum Teil sogar etwas höhere Misshandlungsraten aufwiesen, dagegen zeigte sich aber eine leichte Abnahme bei minderschwerer elterlicher Gewalt als Erziehungsmittel (Sutterlüty, 2020, S. 4ff).
Eine speziell angelegte KNF-Studie zur sexuellen Gewalt ergab, dass 9,9% der befragten Frauen angaben, bis zum 16. Lebensjahr Opfer von sexueller Gewalt gewesen zu sein und 2,3 % der Männer. In der Studie konnte gezeigt werden, dass die Übergriffe überwiegend von Männern ausgeübt wurden. Der Anteil der Täterinnen befand sich unter 4%. In jedem 2. Fall wurde der Übergriff von einem männlichen Familienangehörigen ausgeübt. Am häufigsten wurde ein Onkel mit 10,3 % genannt, vor dem Stiefvater mit 9,9% und dem leiblichen Vater mit 8,6% (Bilz et al., 2021, S. 12ff).
4 Risikofaktoren für die elterliche Gewaltentstehung gegen Kindern
Die Hintergründe des Entstehens von Gewalt gegen Kinder wird von verschiedenen Disziplinen erforscht. Daraus entstanden multifaktorielle Erklärungsmodelle. Dabei wurde festgestellt, dass sich die Hintergründe über vier zentrale Ebenen erstrecken: kindliche Risikofaktoren, elterliche und familiäre Risikofaktoren, Risikofaktoren im sozialen Umfeld und kulturelle und gesellschaftlichen Faktoren (Mong, 2016, S. 107).
4.1 Kindliche Risikofaktoren
Es konnten durch verschiedene Studien kindliche Merkmale eruiert werden, die die Risikofaktoren für Gewalt verringern oder erhöhen. So erleben Säuglinge und Kleinkinder mehr Gewalt als größere Kinder. Ursache dieses Phänomens scheint der Umstand zu sein, dass sich Babys und Kleinkinder nicht selbst regulieren können und die Eltern sowohl Belastung als Folge einer Überforderung, als auch Sorge um das Kind empfinden. Bei Kindern zwischen sechs und zehn Jahren ist das Risiko von sexueller Gewalt betroffen zu sein am größten. Jungen dagegen werden öfter Opfer körperlicher Züchtigungen. Generell unterliegen Kinder mit einem schwierigen Temperament oder Verhaltensproblemen einem höheren Risiko von Gewalt durch überforderte Eltern. Ebenso wird beschrieben, dass Kinder mit Entwicklungsstörungen vermehrt nicht nur körperlicher, sondern auch sexueller Gewalt unterliegen, da sie weniger in der Lage sind, sich zu schützen (Mong, 2016, S. 107ff).
4.2 Elterliche und familiäre Risikofaktoren
Jüngere Mütter zeigen ein höheres Misshandlungsrisiko auf als ältere Mütter. Ebenso besteht in Familien mit größerer Kinderzahl ein höheres Misshandlungsrisiko.
Auch persönliche Eigenschaften der Eltern wie erhöhte Erregbarkeit, geringe Frustrationstoleranz, Reizbarkeit als auch Stress und Überlastung steigern die Wahrscheinlichkeit der Gewalt gegen Kinder. Auch zeigen Eltern mit psychischen Störungen eine erhöhte Anfälligkeit für Gewalt gegen ihre Kinder.
Im Falle eigener Gewalterfahrungen wird ein Gewalttransfer auf etwa 30% geschätzt. Zudem scheint eine geringe Bildung der Eltern das Misshandlungsrisiko zusätzlich zu erhöhen (Mong, 2016, S. 109f).
In der Britischen Geburtskohortenstudie Avon Logitudinal Study of Parents and Children (ALSPAC) wurden übereinstimmende Risikofaktoren zwischen Müttern und Vätern gefunden. Demnach zeigten auch jüngere Väter ein erhöhtes Risiko für Gewalt gegen ihre Kinder.
Es konnte allerdings auch gezeigt werden, dass väterliches Engagement bei der Kindererziehung das mütterliche Misshandlungsrisiko senkten, sodass die Präsenz des Vaters in der Familie auch ein Schutzfaktor vor Kindesmisshandlung und Vernachlässigung sein kann, selbst wenn der Vater nicht mit in einem Haushalt lebt (Liel, 2018, S. 33f).
4.3 Risikofaktoren im sozialen Umfeld
Als Risikofaktoren im sozialen Umfeld werden als begünstigende Faktoren für die Gewaltanwendung der Eltern Arbeitslosigkeit, geringe finanzielle Ressourcen und Abhängigkeit von staatlicher Unterstützung genannt. Auch eine Wohngegend mit hoher Gewaltrate und hoher Armutsrate scheint dieses Verhalten zu begünstigen. Ebenso unterstützen soziale Isolierung und wenig Kontakt zu Verwandten die Gewaltbereitschaft der Eltern (Mong, 2016, S. 112).
Eine aktuelle Studie aus dem Jahr 2019 zeigt auf, dass im Falle von erlebter häuslicher Gewalt gegen die Mutter in der Kindheit das Risiko der Gewalt gegen die eigenen Kinder steigt. Hier konnte explizit gezeigt werden, dass die Gewaltbereitschaft der Mütter im Vergleich zu den Vätern stärker steigt, wenn sie selbst als Kinder Gewalterfahrungen gegen die eigene Mutter erlebten (Clemens et al., 2019, S. 96f).
[...]
- Citar trabajo
- Nicole Regin (Autor), 2021, Folgen von elterlicher Gewalt in der Kindheit, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1356274
-
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X. -
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X. -
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X. -
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X. -
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X.