Ziel dieser Arbeit ist es, einen Überblick über aktuelle Forschungsergebnisse zur professionellen Kompetenz von Politiklehrerinnen und -lehrern zu erhalten und neue zusammenführende Erkenntnisse zu produzieren. Hierzu wird die Methode des Reviews angewandt. „Literaturreviews stellen eine kritische Auseinandersetzung mit bereits bestehendem Material dar.“ Reviews sind als "Forschung über Forschungen" zu verstehen und stellen im Rahmen von Sekundäranalysen eine eigenständige Forschungsmethode dar.
Die professionellen Kompetenzen von Lehrenden wurden in den letzten Jahren vermehrt in internationalen und nationalen Studien erforscht. Zu diesen Forschungs-programmen gehören u.a. MT21, TEDS-M, COACTIV, PLUS, ProwiN und KiL. Gegenstand dieser Studien sind Schmidt zufolge vor allem (angehende) Mathematiklehrkräfte aus der Sekundarstufe I und Lehrende der naturwissen-schaftlichen Fächer. Sie konstatiert einen Mangel an empirischen Befunden zu professionellen Kompetenzen zum einen in Bezug auf Grundschullehrende, zum anderen für die sozialwissenschaftlichen und sprachlichen Fächer.
Während das professionelle Wissen angehender und praktizierender Lehrkräfte bereits in verschiedenen Domänen systematisch erforscht wird, fehlen bislang solche Untersuchungen in der Politikdidaktik. Es ist relativ wenig dazu bekannt, was angehende Politiklehrerinnen und -lehrer wissen, wie sie ihre Kenntnisse einschätzen und durch welche Variablen ihr Wissen und ihre Selbsteinschätzung beeinflusst werden. Infolgedessen wird das Erkenntnisinteresse dieser Arbeit anhand der beschriebenen Forschungslücke im Bereich der Sozialwissenschaften und der politischen Bildung abgeleitet. Die erste Forschungsfrage lautet daher: Welche empirischen Ergebnisse liefern Studien zum Professionswissen von Politiklehrerinnen und -lehrern?
Inhalt
1. Einleitung
2. Theoretisch-konzeptuelle Bezüge
2.1. Lehrerprofessionsforschung
2.2. Modell professioneller Kompetenzen von Lehrenden nach Baumert & Kunter
2.3. Professionswissen von Lehrerinnen und Lehrern
2.4. Forschungsstand zum Lehrerprofessionswissen
3. Fragestellung, Untersuchungsgegenstand, Methode
4. Auswertung der StudienZI
4.1. Weschenfelder (2014)
4.2. Neumann (2015)
4.3. Niermann (2017)
5. Vergleich der Studien
6. Reflektion, Diskussion, Ausblick
7. Literaturverzeichnis
Anhang: Systematische Auswertung der Studien
1. Einleitung
Die Liste der nationalen und internationalen Vergleichsstudien unter deutscher Beteiligung ist lang: TIMSS, IGLU, PISA, PIRLS, ICILS, DESI, ICESS. Sie liefern Befunde über die Stärken und Schwächen der Schülerinnen und Schüler in Deutschland. Hinzukommen beispielsweise die VerA Vergleichsarbeiten, der Bildungsbericht des DIPF und der IQB-Bildungstrend. Insbesondere seit den 1990er Jahren wurde in Deutschland eine ausgeweitete Praxis hinsichtlich verschiedener Formen von Vergleichsstudien implementiert. Ihnen ist gemein, dass die Leistungen der Schülerinnen und Schüler als ein wichtiger Indikator für die Qualität des deutschen Bildungssystems anerkannt werden. Anhand der schulischen Leistungen der Lernenden wird das deutsche Bildungssystem bewertet - im internationalen Vergleich mit Ländern weltweit, aber auch im nationalen Vergleich zwischen den Bundesländern. Betrachtet wird primär der Output, „der in Kompetenzen, Haltungen und Einstellungen oder auch in Zeugnissen sowie Zertifikaten fassbare Ertrag des Schulsystems" (van Ackeren et al. 2015, S. 118). Auf den Output-Indikatoren, zu denen die Leistung der Schülerinnen und Schüler zählt, liegt der Schwerpunkt von Schulleistungsstudien zur Messung des Ertrags des Bildungssystems.
Der sogenannte »PISA-Schock« um die Jahrtausendwende rückte das deutsche Bildungssystem vermehrt ins öffentliche Interesse: Die deutschen 15-jährigen Schülerinnen und Schüler schnitten in allen erfassten Kompetenzen - Schreiben, Lesen, Mathematik und Naturwissenschaften - schlechter ab als der internationale Durchschnitt von 32 Ländern. Infolge dieses Ergebnisses wurden zahlreiche steuerungstheoretische, bildungspolitische und qualitätsorientierte Diskussionen über die Qualität des deutschen Bildungssystems geführt. Bei der Ursachensuche traten die InputVariablen verstärkt in den Blick, zu denen auch die Qualifikation der Lehrerinnen und Lehrer gehört. Grund hierfür ist die Annahme über die Lehrkraft als eine zentrale Determinante für den Lernerfolg der Schülerinnen und Schüler, wie es u.a. im AngebotNutzungs-Modell von Helmke beschrieben ist. Die zentrale Betrachtung der Lehrkraft im Rahmen dieser Arbeit basiert auf der Tatsache, dass Lehrerinnen und Lehrer einen wirkungsvollen Einflussfaktor auf das schulische Lernen von Kindern und Jugendlichen darstellen. In Abgrenzung zur Unterrichtsforschung geht es allerdings nicht um die Überprüfung dieser These, sondern um die professionellen Kompetenzen von Lehrerinnen und Lehrern, die sich indirekt auf die Leistungen der Schülerinnen und Schüler auswirken.
Die professionellen Kompetenzen von Lehrenden wurden in den letzten Jahren vermehrt in internationalen und nationalen Studien erforscht. Zu diesen Forschungsprogrammen gehören u.a. MT21, TEDS-M, COACTIV, PLUS, ProwiN und KiL. Gegenstand dieser Studien sind Schmidt (2014, S. 42f.) zufolge vor allem (angehende) Mathematiklehrkräfte aus der Sekundarstufe I und Lehrende der naturwissenschaftlichen Fächer. Sie (ebd.) konstatiert einen Mangel an empirischen Befunden zu professionellen Kompetenzen zum einen in Bezug auf Grundschullehrende, zum anderen fürdie sozialwissenschaftlichen und sprachlichen Fächer.
Während das professionelle Wissen angehender und praktizierender Lehrkräfte bereits in verschiedenen Domänen systematisch erforscht wird, fehlen bislang solche Untersuchungen in der Politikdidaktik. Es ist relativ wenig dazu bekannt, was angehende Politiklehrerinnen und -lehrer wissen, wie sie ihre Kenntnisse einschätzen und durch welche Variablen ihr Wissen und ihre Selbsteinschätzung beeinflusst werden. (Weschen- felder et al. 2014, S. 138) Infolgedessen wird das Erkenntnisinteresse dieser Arbeit anhand der beschriebenen Forschungslücke im Bereich der Sozialwissenschaften und der politischen Bildung abgeleitet. Die erste Forschungsfrage lautet daher: Welche empirischen Ergebnisse liefern Studien zum Professionswissen von Politiklehrerinnen und -lehrern?
Ziel dieser Arbeit ist es, einen Überblick über aktuelle Forschungsergebnisse zur professionellen Kompetenz von Politiklehrerinnen und -lehrern zu erhalten und neue zusammenführende Erkenntnisse zu produzieren. Hierzu wird die Methode des Reviews angewandt. „Literaturreviews stellen eine kritische Auseinandersetzung mit bereits bestehendem Material dar." (Stamm et al. 2016, S. 208) Reviews sind als »Forschung über Forschungen« zu verstehen und stellen im Rahmen von Sekundäranalysen eine eigenständige Forschungsmethode dar.
Bevor allerdings die Forschungsmethode des Reviews angewandt wird, sind vorausgehende theoretisch-konzeptionelle Bezüge zur Definition relevanter Begriffe, Theorien und Modelle notwendig. Ausgangspunkt hierfür ist in Kapitel 2.1. die Lehrerprofessionsforschung. Sie wendet sich der Frage danach, welche Kompetenzen die Professionalität von Lehrerinnen und Lehrern ausmachen, zu. Neben der begrifflichen Abgrenzung zur Unterrichtsforschung erfolgen in diesem Kapitel die Charakterisierung der Lehrerprofessionsforschung und die Darstellung verschiedener Paradigmen in ihrer historischen Entwicklung. Entsprechend der drei zentralen Forschungsrichtungen des Persönlichkeit-Paradigmas, des Prozess-ProduktParadigmas sowie des Novizen-Experten-Paradigmas wird der Frage nachgegangen, was die Professionalität von Lehrenden auszeichnet. Daran anschließend wird in Kapitel 2.2. ein vertiefender Blick auf das Modell der professionellen Kompetenzen von Lehrenden nach Baumert und Kunter geworfen. Im Rahmen dessen werden die zentralen Kompetenzdimensionen der Lehrerprofessionalität - Professionswissen, Werthaltungen und Überzeugungen, motivationale Orientierung, Selbstregulation - erläutert, wodurch eine Annäherung an den Begriff der professionellen Kompetenz erfolgt. Darüber hinaus werden in diesem Kapitel der Nutzen von Lehrerkompetenzmodellen für die Empirie sowie die Ziele solcher Modelle dargelegt. Da der Schwerpunkt dieser Arbeit auf dem Professionswissen von Lehrerinnen und Lehrern liegt, ist dieses Gegenstand von Kapitel 2.3. Die zentrale Betrachtung der Kompetenzdimension des Professionswissens wird begründet und eine begriffliche Definition des Professionswissens von Lehrerinnen und Lehrern vorgenommen. Zudem erfolgt die Darstellung der Taxonomie nach Shulman, der mit seiner Klassifizierung das Professionswissen in die drei wesentlichen Kompetenzbereiche des Fachwissens, des fachdidaktischen Wissens und des pädagogischen Wissens gliedert. Ausgehend von dieser Darstellung des Professionswissens im Allgemeinen wird in diesem Kapitel die zweite Forschungsfrage dieser Arbeit abgeleitet: Wie ist das Professionswissen von Politiklehrerinnen und -lehrern konzeptualisiert? Dieser Frage wird in Kapitel vier nachgegangen. Zunächst wird aber in Kapitel 2.5. der Forschungsstand zum Lehrerprofessionswissen skizziert und bedeutende Studien der Lehrerprofessionsforschung vorgestellt. Anschließend liegt das Augenmerk auf der Betrachtung der Forschungslage zur politikbezogenen Lehrerprofessionsforschung und den professionellen Kompetenzen von Politiklehrerinnen und -lehrern.
Nachdem in Kapitel zwei die theoretisch-konzeptionellen Bezüge dargelegt wurden, werden im dritten Kapitel die Fragestellungen dieser Arbeit, der konkrete Untersuchungsgegenstand sowie die Methode des Literaturreviews erläutert. Es folgt in Kapitel vier die Auswertung der Studien von Weschenfelder, Neumann und Niermann im Hinblick auf die beiden Forschungsfragen und in Kapitel fünf der Vergleich der Einzelstudien miteinander. Abschließend wird im sechsten Kapitel das methodische Vorgehen dieser Arbeit reflektiert sowie die Ergebnisse dieser Arbeit diskutiert und ein professionsorientierter Ausblick angeregt.
2. Theoretisch-konzeptuelle Bezüge
2.1. Lehrerprofessionsforschung
Die in dieser Arbeit analysierten Studien entstanden im Rahmen der Lehrerprofessionsforschung. Aus diesem Grund erfolgen in diesem Kapitel zunächst die begriffliche Abgrenzung zur Unterrichtsforschung, die Charakterisierung der Lehrerprofessionsforschung sowie die Darstellung verschiedener Paradigmen in ihrer historischen Entwicklung.
Die Unterrichtsforschung erforscht das unterrichtliche Lehr- und Lerngeschehen auf individueller, Klassen- oderjahrgangsebene. Es stehen die Voraussetzungen, Prozesse, Bedingungen und Ergebnisse von schulischem Unterricht im Fokus. Ziel ist das Verstehen, Prognostizieren und Optimieren von Unterricht. Demgegenüber bezieht sich die individuumszentrierte Ausrichtung der Lehrerprofessionsforschung auf die Lehrerinnen und Lehrern (vgl. Meier 2015, S. 28). Hierbei geht es darum, „bestimmte Aspekte der Lehrer-Subjekte (Eigenschaften, Kompetenzen) zu definieren, zu operationalisieren und [...] zu erforschen" (Tillmann 2011, zitiert nach Meier 2015, S. 28). Gegenstand der Lehrerprofessionsforschung sind Schmidt (2014, S. 30) zufolge diejenigen Kompetenzen, die die Professionalität von Lehrerinnen und Lehrern ausmachen, sowie die Ausgestaltung dieser Kompetenzen im Hinblick auf erfolgreiches Unterrichten. „Bei der wissenschaftlichen Suche nach dem ,guten Lehrer' gab es in den letzten 100 Jahren immer wieder Akzentverschiebungen, die sich historisch in den Forschungsparadigmen in [...] wiederspiegeln." (Krauss 2020, S. 154) Bezüglich der Identifizierung von Kompetenzen erfolgreicher Lehrerinnen und Lehrer entwickelten sich drei zentrale Paradigmen: Das Persönlichkeits-Paradigma, das Prozess-ProduktParadigma und das Novizen-Experten-Paradigma. „Auch wenn sich die einzelnen Paradigmen in ihrer Ausrichtung und Herangehensweise unterscheiden, so haben sie eines gemein: Sie haben alle das Ziel, die Lernenden optimal zu fördern." (Weckend 2021, S. 19)
Das Persönlichkeits-Paradigma kam etwa ab 1900 in der Lehrerprofessionsforschung auf und dominierte bis in die 1970er-Jahre (vgl. ebd.). Es stellt bestimmte Persönlichkeitsmerkmale von Lehrerinnen und Lehrern ins Zentrum und untersucht die Merkmale der Lehrerpersönlichkeit. Diese deskriptive Orientierung zeigt sich Mayr et al. (2020, S. 141) zufolge in einem eigenschaftstheoretischen Persönlichkeitskonzept, welches das Temperament bzw. den Charakter, den Leistungsbereich zu dem u.a. Intelligenz und Kreativität gehören, das Selbstkonzept, Einstellungen und Werthaltungen im Sinne von Bewertungsdispositionen sowie Motive als Persönlichkeitsmerkmale von Lehrenden identifiziert. Die primäre Untersuchungsmethoden stellen Tests und Fragebögen dar (vgl. Krauss 2020, S. 155). Ziel ist es, die Unterschiede in der Wirkung von Lehrerinnen und Lehrern, beispielsweise gemessen am Lernerfolg der Schülerinnen und Schüler, durch empirisch erhobene Personenmerkmale auf Seiten der Lehrenden zu erklären (vgl. ebd.). Die damals vorherrschende These des geborenen Lehrers, welcher anhand eines Tugendenkatalogs bestimmt werden kann und über gewisse grundlegende, nichterlernbare Persönlichkeitsmerkmale verfügt, konnte empirische nicht nachgewiesen werden (vgl. Meier 2015, S. 29; Schönknecht 2009, S. 344). Die angenommenen Zusammenhänge zwischen dem Lernerfolg der Schülerinnen und Schüler und der Lehrerdisposition wurden Krauss (2020, S. 154) zufolge ebenfalls nur schwach oder nicht trivial empirisch nachgewiesen. Die ideale Lehrerpersönlichkeit wurde nicht gefunden.
In den 1960er-Jahren erfolgte der Paradigmenwechsel hin zum Prozess-ProduktParadigma, bei dem nun nicht die Persönlichkeit, sondern das Verhalten und Handeln der Lehrkraft im Fokus stehen. Die Hauptfragestellung lautet: „Welche Effekte haben bestimmte Verhaltensweisen von Lehrpersonen auf die Lernergebnisse der Schülerinnen und Schüler?" (Gräsel 2020, S. 148) Der Prozess ist hierbei das Lehrerverhalten, während das Produkt die Lernergebnisse sind. Die grundlegende Annahme stützt sich darauf, dass die Lehrerhandlungen und die Lehrerverhaltensweisen gewisse Effekte auf das Lernprodukt haben (vgl. Schmidt 2014, S. 30). Ziel der Analyse von Beziehungen zwischen Lehrprozess und Lernprodukt ist die Identifikation von Lehrerverhaltensweisen, „die mit größeren Lernzuwächsen einhergehen." (Drechsel und Schindler 2019, S. 356) Zur systematischen Untersuchung des Unterrichts wird die Unterrichtsbeobachtung als dominierende Untersuchungsmethode eingesetzt (vgl. Krauss 2020, S. 155). Reichhart (2018, S. 12) zufolge ist die Erkenntnis, dass Unterschiede im Lehrerverhalten die Leistungsentwicklung der Schülerinnen und Schüler beeinflussen, als wichtigste Erkenntnis des Prozess-Produkt-Paradigma bis heute relevant.
Gräsel (2020, S. 152) sieht das ab ca. 1985 dominierende Novizen-Experten-Paradigma, auch Expertise-Paradigma genannt, als Weiterentwicklung des Prozess-ProduktParadigmas, bei dem das Wissen und die Kognitionen von Lehrenden im Vordergrund stehen. Es „vergleicht Experten und Novizen im Lehrerberuf miteinander und kontrastiert so die Fähigkeiten der beiden Gruppen." (Schmidt 2014, S. 30) Die Annahme lautet: Eine kompetente Lehrkraft verfügt über berufsbezogenes Wissen und Können, bestimmte subjektive Theorien und Überzeugungen (vgl. Drechsel und Schindler 2019, S. 356). Reichhart ergänzt im Rahmen dieses Paradigmas um „die ganz konkrete Untersuchung des individuellen Lehrerwissens sowie der Fertigkeiten und subjektiven Theorien der Lehrkräfte, die für die Durchführung von Unterricht notwendig sind." (2018, S. 14) Damit wird mit dem Novizen-Experten-Paradigma die Diskussion um das Professionswissen von Lehrkräften angeregt. „Die Kernbedeutung des ExpertiseParadigmas für die Lehrerinnen- und Lehrerbildung besteht demzufolge in der Fokussierung des Professionswissens von Lehrkräften sowie dem expliziten Verweis auf dessen Veränder- und Erlernbarkeit." (Krauss 2020, S. 160) Das Professionswissen von Lehrerinnen und Lehrern nimmt auch im Modell professioneller Kompetenzen nach Baumert und Kunter einen zentralen Stellenwert ein und stellt einen von vier Kompetenzbereichen dar.
2.2. Modell professioneller Kompetenzen von Lehrenden nach Baumert & Kunter
Bevor das Lehrerkompetenzmodell von Baumert und Kunter erläutert wird, erfolgt zunächst eine Darstellung des Nutzens von Kompetenzmodellen und eine Annäherung an den Begriff der professionellen Kompetenzen.
Lehrerkompetenzmodelle thematisieren diejenigen Kompetenzen, über die Lehrerinnen und Lehrer verfügen sollten, um die Anforderungen ihrer professionellen Tätigkeit optimal bewältigen zu können (vgl. Artelt und Kunter 2019, S. 398).
Die Modelle haben den Anspruch, zentrale Merkmale mit größtmöglicher wissenschaftlicher Fundierung zu benennen, die zur Bewältigung unterschiedlicher Aufgaben im Lehrerberuf notwendig sind und auf welchen dann in der Lehrerbildung der Fokus liegen soll. (Reichhart 2018, S. 17)
Meier (2015, S. 61) zufolge geht es hierbei um die inhaltlich-strukturelle Ausgestaltung dieser Kompetenzen sowie um die Abbildung der Binnenstruktur und Dimensionalität von Lehrerkompetenzen, um diese weiterführend zu operationalisieren und empirisch zu überprüfen. Das Ziel von Lehrerkompetenzmodellen ist demnach einerseits die Beschreibung von Kompetenzen (angehender) Lehrender, andererseits die Ermöglichung einer empirischen Messung dieser professionellen Kompetenzen. „Aktuelle Modelle professioneller Kompetenzen beinhalten unterschiedliche inhaltliche Anforderungsbereiche an Lehrpersonen. Bislang gibt es kein einheitliches Modell professioneller Kompetenzen." (Dittrich 2020, S. 44) Dafür können zwei zentrale Gründe angeführt werden: Aufgrund der Heterogenität von Kompetenzdefinitionen und Kompetenzkonzeptionen, „lässt sich bis dahin kein allgemein akzeptiertes Kernkonzept identifizieren. Eine präzise Definition oder theoretische Fundierung des Kompetenzbegriffs fehlt noch" (Weschenfelder 2014, S. 46). Hinzu kommt die Vielschichtigkeit der professionellen Tätigkeit von Lehrenden, wodurch eine kompetenztheoretische Fundierung der Lehrerkompetenzen komplex ist (vgl. Meier 2015, S. 59; Artelt und Kunter 2019, 396). Die Mehrdimensionalität der professionellen Kompetenzen von Lehrerinnen und Lehrern gründet sich Tenorth (2006, in: Weschenfelder 2014, S. 35) zufolge auf die Annahme, dass das domänenspezifische Wissen allein nicht für die Bewältigung der beruflichen Anforderungen genügt, sondern ein gleichwertiger Fokus auf weitere Kompetenzbereiche nötig ist. Dementsprechend wird das Konzept der professionellen Kompetenz auch als Weiterentwicklung des Novizen-Experten- Paradigmas angesehen: Während der Schwerpunkt beim Novizen-Experten-Paradigma das Wissen und Können von Lehrenden ist, werden beim Konzept der professionellen Kompetenz verstärkt auch die nicht-kognitiven Merkmale berücksichtigt (vgl. Krauss 2020, S. 155). Dies spiegelt sich im Kompetenzmodell von Modell von Baumert und Kunter wider.
Das Modell professioneller Kompetenzen von Lehrenden nach Baumert und Kunter gilt als„common sensein den Kompetenzansätzen der empirischen Bildungsforschung über Fächergrenzen hinweg." (Manzel 2013, S. 204) Es erfährt im deutschsprachigen Raum eine große Würdigung, da es Weckend (2021, S. 40) zufolge die Kompetenzen und deren Dimensionen am genauesten beschreibt. Diese Anerkennung zeigt sich „durch verschiedene Studien in unterschiedlichen Fachbereichen, die auf dem Modell basieren." (ebd.) Das ist möglich, da es ein generisches Modell ist, welches sich fachunabhängig anwenden lässt. Es enthält zwar Spezifizierungen für Mathematiklehrende im Kompetenzbereich des Professionswissens. Grundsätzlich bildet es aber die Kompetenzen aller Lehrerinnen und Lehrer ab und mussjeweils fach- bzw. domänenspezifisch ausdifferenziert werden (Baumert & Kunter 2006, in: Meier 2015, S. 62). Es ist darüber hinaus ein nicht-hierarchisches Modell, da alle Kompetenzbereiche entsprechend des Ansatzes zur bereits dargestellten professionellen Kompetenz von Lehrenden gleichrangig zu bewerten sind. Auch andere Paradigmen der Lehrerforschung werden berücksichtigt:
Das Modell professioneller Handlungskompetenz bedient zudem mehrere Paradigmen gleichzeitig. Baumert und Kunter vereinen in ihrem Modell Kompetenzaspekte des Persönlichkeits- und Expertenparadigmas. So lassen sich motivationale Orientierungen und selbstregulative Fähigkeiten dem Persönlichkeitsparadigma zuordnen. Professionswissen und Überzeugungen werden im Rahmen des Expertenparadigmas erforscht. (Krauss 2011, in: Reichhart 2018, S. 23)
Das Zitat benennt bereits die Aspekte der professionellen Kompetenzen von Lehrenden im Modell von Baumert und Kunter: Überzeugungen und Werthaltungen, motivationale Orientierung, selbstregulative Fähigkeiten, Professionswissen. Letztgenanntes wird in die Kompetenzbereiche des pädagogischen Wissens, des Fachwissens, des fachdidaktischen Wissens sowie des Organisations- und Beratungswissens untergliedert.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Da der Schwerpunkt dieser Arbeit auf dem Professionswissen von Lehrerinnen und Lehrern liegt, werden die entsprechenden Kompetenzbereiche im folgenden Kapitel vertieft betrachtet. Die weiteren Kompetenzaspekte der im Modell von Baumert und Kunter genannten professionellen Handlungskompetenz werden an dieser Stelle nicht ausgeführt.
2.3. Professionswissen von Lehrerinnen und Lehrern
Das Professionswissen stellt Dittrich (2020, S. 38) zufolge eine zentrale Ressource für die Bewältigung beruflicher Anforderungen dar. Blömeke et al. (2014, in: Neumann 2015, S. 16) definieren es als kognitive Ressource für professionelles Unterrichtshandeln, sowie als solide Grundlage für ein erfolgreiches berufliches Handeln. Wichtig ist, dass das Professionswissen eine Teilkompetenz ist, „deren erfolgreiche Umsetzung in Handlungen die Verknüpfung mit weiteren Kompetenzbereichen erfordert" (Weschenfelder et al. 2014, S. 139). Darüber hinaus unterliegt das Professionswissen der Annahme der Lehrbarkeit und Lernbarkeit und kann somit erworben werden (vgl. Kaiser et al. 2020, S. 812). Allgemeiner Konsens ist nach Schmidt (2014, S. 30) zudem die These, dass die Lehrerprofession durch den Besitz eines spezifischem Wissen gekennzeichnet ist. Der Begriff des Lehrerprofessionswissens unterliegt allerdings einer großen Heterogenität (vgl. ebd., S. 31f.).
Im deutschsprachigen Raum hat sich die Taxonomie von Shulman als gängige Klassifizierung des Professionswissens durchgesetzt. Krauss und Bruckmaier bezeichnen die shulmansche Taxonomie als „die allgemein akzeptierten Kernkategorien des Professionswissens von Lehrkräften" (2014, in: Neumann 2015, S. 25). Dittrich spricht diesbezüglich von einem „Meilenstein für das gegenwärtige Verständnis professionellen Wissens." (2020, S. 42f.) Shulman präzisierte 1986 den Wissensbegriff für Lehrerinnen und Lehrer und beschreibt damit das Wissen von Lehrenden im Allgemeinen. Auch heute noch wird dieser häufig rezipiert und „[s]ie werden von verschiedenen Autoren durch weitere Bereiche ergänzt, die in anderen Fällen zum Teil wiederum als Oberbereiche aufgefasst werden oder aber weiter ausdifferenziert werden." (Niermann 2017, S. 50) Shulmans Untergliederung des Lehrerprofessionswissens impliziert drei zentrale Kompetenzbereiche: Dascontent knowledgeals fachliches Wissen, daspedagogical content knowledgeals fachdidaktisches Wissen und dasgeneral pedagogicalknowledgeals allgemein-pädagogisches Wissen (vgl. Thiel 2013, S. 177). Hierbei wird deutlich, dass es fachbezogene Anteile - Fachwissen und fachdidaktisches Wissen - und fachunabhängige Inhalte - allgemein-pädagogisches Wissen - gibt. Im Folgenden werden diese drei Kompetenzbereiche vertiefend dargestellt.
Artel und Kunter (2019, S. 399-401) zufolge ist das Fachwissen das Wissen über den zu vermittelnden Stoff, welches u.a. Wissen über Fakten, Zusammenhänge und typische Situationen impliziert, und kann als tiefes Verständnis des zu unterrichtenden Schulstoffs angesehen werden, welches im Fachstudium des jeweiligen Unterrichtsfachs erworben wird. Kaiser et al. (2020, S. 811) ergänzen um einschlägige Fakten, Begriffe und ihre Relationen sowie fachspezifische Verfahren der Wissensgenerierung und deren Rechtfertigung. Auch Schmidt (2014, S. 52) definiert das Fachwissen als die Beherrschung von fachlichen Inhalten und die Kenntnis übergreifender und verknüpfender Konzepte im Sinne eines fachlichen Verständnis, zu dem auch das Hinterfragen bestehenden Fachwissens zählt. Sie merkt außerdem an: Die „Konzeptualisierungen des Fachwissens beinhaltet häufig Niveaustufen." (ebd.)
Das fachdidaktische Wissen bezeichnet Schönknecht als „Wissen über die Lehrbarkeit von Inhalten" (2009, S. 347). Auch Artel und Kunter definieren es als „Wissen darüber, wie der Stoff vermittelt werden kann" (2019, S. 400), z.B. Wissen über Schülerkognitionen, Aufgaben und Darstellungsformen. Die zentralen Frage lautet: Wie können fachliche Inhalte durch Instruktionen vermittelt werden und welches Wissen ist nötig, um den Lernenden Inhalte zugänglich machen zu können? (vgl. ebd., S. 401) Hierbei wird deutlich, dassjedes Unterrichtsfach über ein spezifisches fachdidaktisches Wissen verfügt. Darüber hinaus differenziert Schmidt (2014, S. 52 und 69) das fachdidaktische Wissen von Lehrkräften in eine lernprozessbezogene und eine lehrbezogene Facette: Das lernprozessbezogene Wissen umfasst das Wissen über Schülervorstellungen und Lernschwierigkeiten, das lehrbezogene Wissen beinhaltet Wissen über die Gestaltung von Lernprozessen durch Repräsentation und Versuche sowie Wissen über die Gestaltung von Unterricht. Auch Kaiser et al. (2020, S. 811) greifen das Verständnis von (Fehl-)Vorstellungen des jeweiligen fachlichen Gegenstandes auf. Anzumerken ist, dass Facettenanzahl und die in der Literatur verwendeten Begriffe hinsichtlich des fachdidaktischen Wissens von Lehrerinnen und Lehrern heterogen sind und stark variieren.
Das fachunabhängige allgemein-pädagogische Wissen impliziert Dittrich (2020, S. 44) zufolge diese Bereiche: Lernprozesse, Klassenführung, Lehr-Lern-Methoden und -Konzepte, Gestaltung der Lernumgebung, Heterogenität, Interaktion und Kommunikation, Diagnostik sowie Altersstufen und Lernbiografien. Hierbei lassen sich starke Parallelen zu den zehn Merkmalen guten Unterrichts nach Helmke ziehen:
Die Merkmale beziehen sich auf die Klassenführung, die Klarheit und Strukturiertheit, die Konsolidierung und Sicherung, die Aktivierung, die Motivierung, das Schaffen eines lernförderlichen Klimas, die Schülerorientierung, den Kompetenzansatz, den Umgang mit Heterogenität und die Angebotsvariation, (ebd., S. 40)
Auch Artel und Kunter definieren das allgemein-pädagogische Wissen als „Wissen, das sich auf die Gestaltung von Unterrichtssituationen bezieht" (2019, 400), z.B. Wissen über Lernprozesse, Klassenführung, Lehr-Lern-Methoden und Lernprozessdiagnostik. Ergänzend können auch die Prinzipien der Unterrichtsplanung, die Gestaltung eines lernförderlichen Unterrichtsklimas sowie Aspekte des Diagnostizierens und der Leistungsbeurteilung genannt werden (vgl. Kaiser et al. 2020, S. 811). Wie bereits beim fachdidaktischen Wissen festgestellt, unterliegt auch das generische allgemeinpädagogische Wissen einer begrifflichen Heterogenität.
[...]
- Citar trabajo
- Anónimo,, 2023, Professionelle Kompetenzen von Politiklehrkräften. Welche Rolle spielt das Professionswissen?, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1355209
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