Ziel der vorliegenden Arbeit ist es die Frage zu beantworten, in wie weit die in bilateralen Handelsverträgen geregelten Bereiche der Investitionen und öffentlicher Auftragsvergabe einen Devisenabfluss und somit Fremdwährungsverschuldung von Entwicklungsländern induzieren können. Dafür werden die jüngsten Entwicklungen im und theoretische Debatten über das multilateralen Handelssystem und die parallele Proliferation bilateraler Handelsverträge umrissen. Anschließend wird entlang der in den meisten bilateralen Handelsverträgen enthaltenen Normen zu Investitionen und öffentlicher Auftragsvergabe ein Mechanismus beschrieben, der zu Devisenabfluss führt. Hiernach wird das Assoziierungsabkommen zwischen der EU und Chile als Beispiel analysiert, in welchem ebendiese Normen enthalten sind. Ein Ergebnis der Arbeit ist, dass durch bilaterale Handelsverträge und deren Bestimmungen zu Investitionen und öffentlicher Auftragsvergabe ein Mechanismus entsteht, der vor allem in mittlerer und längerer Frist Devisenabfluss befördert.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Vom Multilateralismus zum Bilateralismus
3. Neue Handelsverträge: Ein Mechanismus zur Fremdwährungsverschuldung?
4. Das Assoziierungsabkommen EU-Chile
5. Fazit
Bibliographie
1. Einleitung
In der letzten Dekade, besonders jedoch seit dem Ende der 1990er Jahre, werden zunehmend bilaterale oder regionale Handelsverträge zwischen Entwicklungs- und Industrieländern abgeschlossen. Diese verhalten sich je nach Betrachtungsweise entweder als Baustein oder als Stolperstein (vgl. Majluf 2004: 1) zum erklärten Ziel des weltweiten Freihandels, wie es das multilaterale Welthandelssystem – die World Trade Organisation (WTO) – anstrebt. Neben diesen divergierenden Einschätzungen zum Verhältnis zwischen multilateralem Welthandelssystem und bilateralen Handelsverträge gibt es weitere Konfliktlinien, die zwischen verschiedenen Auffassungen vom entwicklungsökonomischen Nutzen solcher bilateraler Verträge verlaufen. Einerseits, so die Befürworter, erhalten Entwicklungsländer größeren Marktzugang auch für solche Produkte, in denen sie statische komparative Kostenvorteile aufweisen. Damit stiegen die Absatzmärkte und Exportchancen der Entwicklungsländer und erlaubten ihnen somit, Handelsbilanzüberschüsse zu erreichen, Devisen zu akkumulieren und somit die Entwicklungsleiter stetig empor zu klettern. Diese Position wird allgemein von Freihandelsbefürwortern vertreten, die jegliche Marktöffnung und Offenheit per se für gut und wachstumsfördernd befinden (vgl. Berg / Krueger 2002; Khor 2000: 12ff)). Andererseits, so die Skeptiker, steht dem einmaligen Vorteil durch erleichterten Marktzugang im Zuge der bilateralen Handelsverträge ein Verlust weitreichender entwicklungsökonomischer Autonomie beispielsweise in den Bereichen öffentliche Auftragsvergabe und Investitionen gegenüber, der die Förderung und Entwicklung neuer Industrien und in der Folge eine Diversifizierung der Produktion verhindern kann (vgl. Mashayekhi / Puri / Ito 2005: 7f). Somit bestehe für Entwicklungsländer ein trade-off zwischen dem Aufrechterhalten des „ development space “ (Wade 2003) einerseits, und erweitertem Marktzugang für deren wettbewerbsfähige Produkte andererseits.
Ziel der vorliegenden Arbeit ist nicht, vollumfänglich das Für und Wider der bilateralen Handelsverträge darzulegen, sondern die Frage zu beantworten, in wie weit die in bilateralen Handelsverträgen verbreiteten Disziplinen zur öffentlichen Auftragsvergabe einen Devisenabfluss und somit Fremdwährungsverschuldung von Entwicklungsländern induzieren können. Dabei wird zu zeigen sein dass durch bilaterale Handelsverträge und deren Bestimmungen zu Investitionen und öffentlicher Auftragsvergabe ein Mechanismus entsteht, der vor allem in mittlerer und längerer Frist Devisenabfluss befördert.
Im zweiten Teil der Arbeit werden dafür kursorisch zunächst die jüngsten Entwicklungen im und theoretische Debatten über das multilateralen Handelssystem und die parallele Proliferation bilateraler Handelsverträge gleichsam als Einordnungshilfe für das Folgende umrissen. Anschließend wird im dritten Teil der erwähnte Mechanismus entlang der in den meisten bilateralen Handelsverträgen enthaltenen Normen zu Investitionen und öffentlicher Auftragsvergabe beschrieben, der zu Devisenabfluss führt. Im vierten Teil wird das Assoziierungsabkommen zwischen der EU und Chile als Beispiel analysiert, in welchem ebendiese Normen enthalten sind. Die Arbeit schließt im fünften Teil mit einem Fazit.
2. Vom Multilateralismus zum Bilateralismus
Die multilateralen Handelsgespräche gerieten erstmals seit der Gründung der WTO im Jahr 1995 in Seattle 1999 ins Stocken. Auf der dortigen Ministerkonferenz verliefen die Konfliktlinien zusehends zwischen Industrieländern des Nordens und Entwicklungsländern. Während Industrienationen auf eine Vertiefung und Erweiterung über die bisherigen Liberalisierungsfortschritte hinaus pochten, wollten viele Entwicklungsländer zunächst die bestehenden Zusagen insbesondere im Agrarbereich verwirklicht sehen und forderten eine stärkere Berücksichtigung ihrer Entwicklungsbelange. Auch die im Schatten der Terroranschläge in den USA stattfindenden Gespräche 2001 in Doha führten zu keinem nennenswerten Durchbruch, es wurde der Forderung der Entwicklungsländer lediglich insofern entsprochen, als die Handelsrunde „Entwicklungsrunde“ getauft wurde und Industrieländer die Notwendigkeit von Zugeständnissen unverbindlich artikulierten. Spätestens als sich in Cancún 2003 wieder ein Stillstand abzeichnete, wurden die Konfliktlinien wieder deutlich sichtbar. Während die EU und USA, inzwischen auch Südkorea und Japan auf eine Einbeziehung der sogenannten Singapur-Themen drängten, formierte sich der Widerstand der Entwicklungsländer eben gegen die Aufnahme dieser Bereiche[1] (Schilder et al 2005: 7)
Bei den Singapur-Themen handelt es sich um vier Bereiche, nämlich Investitionen, Wettbewerb, öffentliche Auftragsvergabe und administrative Handelserleichterungen. Von Seiten der Entwicklungsländer wird befürchtet, dass deren politischen Gestaltungs- und Lenkungsspielräume im Rahmen ihrer Entwicklungsstrategie auf inakzeptable Art und Weise eingeschränkt würden, sollten diese Bereiche mit in der WTO verhandelt werden. Schon bald nach Cancun verschwanden die Singapur-Themen mit der Ausnahme der administrativen Handelserleichterungen von der Verhandlungsagenda. Was auf den ersten Blick als ein Erfolg für die Interessen der Entwicklungsländer aussieht, muss bei genauerer Betrachtungsweise jedoch als äußerst zweischneidig betrachtet werden.
Denn zum einen sind diese Themen mitnichten von der Tagesordnung verschwunden. Lediglich die Ebene, auf der von Seiten der Industrieländer versucht wird diese Themen handelsvertraglich zu regulieren hat sich geändert. Statt der multilateralen Ebene sind es nun vor allem bilaterale oder regionale Handelsabkommen, in denen diese Bereiche verhandelt werden (vgl. Mashayekhi / Puri / Ito 2005: 13; 22; UNCTAD 2005: 28). Sowohl in den jüngsten Abkommen der USA (bspw. Chile, NAFTA) als auch in denen der EU (bspw. Chile, Mexiko) finden sich die Bereiche Investitionen, öffentliche Auftragsvergabe und Wettbewerb wieder. Im Jahr 2005 waren 215 regionale Handelsverträge in Kraft, diese Zahl wird sich voraussichtlich auf über 300 im Jahr 2007 vergrößern (vgl. Mashayekhi / Puri / Ito 2005: 2).
Diese Verschiebung weg von der multilateralen Ebene hin zu der bilateralen Ebene kann polit-ökonomisch als tendenziell nachteilig für die Interessen der Entwicklungsländer angesehen werden, schlagen sich doch Asymmetrien zwischen einzelnen Staaten auf bilateraler Ebene eher in unausgewogenen Verträgen nieder als dies im multilateralen Bereich zu erwarten ist. Denn dort sind die Entwicklungsländer in der Überzahl und haben darüber hinaus auch effektive gemeinsame Interessen- und Kooperationsforen zur Koordinierung ihrer Verhandlungspositionen gegründet (G-20, G-33, etc.). Außerdem finden sich in bilateralen Handelsverträgen anders als in der WTO keine gesonderten Bestimmungen zu special and differential treatment (SDT) für Entwicklungsländer, die diese vom Prinzip der Reziprozität befreien würden (vgl. ibid.:14).
Zum anderen ist an sich umstritten, ob sich Entwicklungsländer mit dem weitest gehenden Ausklammern der Singapure-Themen auf WTO-Ebene oder dem vehementen Ablehnen dieser Themen in regionalen Verhandlungen (bspw. EU-Mercosur) tatsächlich entwicklungsökonomisch einen Gefallen tun. Diese Debatte soll im folgenden anhand der beiden Bereiche Investitionen und öffentliche Auftragsvergabe nachgezeichnet werden.
Der Bereich der Investitionen ist bereits in der WTO über das TRIMs-Abkommen (Trade-related Investment Measures; WTO 1995) im Bereich des Warenhandels und über das GATS[2] in der Erbringungsart drei (kommerzielle Präsenz) in weitem Umfang geregelt. Dabei schreibt das TRIMs nur die unter dem GATT[3] bereits geltenden Prinzipien der Inländerbehandlung und Nicht-Diskriminierung fort und spezifiziert diese. Über den verbleibenden Gestaltungsspielraum für bspw. performance-requirements[4] beseht akademisch keine Einigkeit. Weil eine Definition von trade-related investment measures fehle, könnten Entwicklungsländer weiterhin performance-requirements beibehalten, wenn sie diese nicht als trade-related investment measures bezeichnen (vgl. Shadlen 2005: 759). Die im Annex des TRIMs-Abkommens unter Paragraf eins und zwei (WTO 1995) als explizit verbotene Maßnahmen aufgeführten Beispiele lassen diese Sichtweise jedoch höchst fragwürdig erscheinen.
Unter Berücksichtigung der im TRIMs angeführten Beispiele gibt es nichtsdestotrotz nach wie vor die Möglichkeit, export-requirements einzuführen, joint ventures obligatorisch zu machen, über Beschäftigungsquoten einheimischer Mitarbeiter oder Anforderungen an den Technologietransfer ausländische Direktinvestitionen (ADI) zu steuern (UNCTAD 2003: 3f; 35). Dies ist insbesondere deshalb möglich, weil das im TRIMs enthaltene Inländerbehandlungsgebot erst post-establishment gilt, d.h. erst dann greift, wenn die Investition getätigt ist. Auflagen, die an die Genehmigung der Investition geknüpft werden sind genauso wie das generelle Schützen ganzer Wirtschaftssektoren vor ausländischer Konkurrenz grundsätzlich unter WTO-Recht möglich. Es besteht kein Niederlassungsrecht für ausländische Konzerne. Außerdem gibt es, von IWF-Statuten abgesehen, auch unter WTO-Recht noch immer die Möglichkeit, Kapitalverkehr selektiv zu kontrollieren und bestimmte Arten von Investitionen (wie M&A[5], Portfolio, etc.) restriktiv zu handhaben.
[...]
[1] Sicherlich war der Bereich der Singapur-Themen nicht der einzige, aber ein Grund für das Scheitern der Verhandlungen. Die Uneinigkeit über die Agrarsubventionen der Industrieländer spielten ebenfalls eine wichtige Rolle.
[2] General Agreement on Trade in Services
[3] General Agreement on Trade and Tariffs
[4] Performance Requirements sind in erster Linie operative Anforderungen, die ein Gastland Investoren auferlegt. So schreiben z.B. local content policies vor, welche Anteile von Vorprodukten aus einheimischen Zuliefererbetrieben stammen muss. Für einen Überblick über die mannigfaltigen performance-requirements samt einer Einschätzung über deren Zulässigkeit im TRIMs siehe UNDP 2003: 3f.
[5] Mergers and Acquisitions
- Arbeit zitieren
- Markus Meinzer (Autor:in), 2006, Neue Handelsverträge, Entwicklung und Fremdwährungsverschuldung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/135473
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