Die vorliegende Forschungsarbeit handelt von der Ermittlung des Work Ability Indexes eines Seniorenhauses des Bayerischen Roten Kreuzes. Hierzu wurde eine schriftliche Befragung der Mitarbeiter mit Fragebögen durchgeführt. Mittels deskriptiver Statistik erfolgte im Anschluss an die Erhebung der Daten zudem eine Analyse der einzelnen Antworten des Fragebogens, sodass eine gezielte Maßnahmenplanung zur Erhaltung und Förderung der Arbeitsfähigkeit anhand des Hauses der Arbeitsfähigkeit entwickelt werden konnte.
Die Arbeitswelt ist im permanenten Wandel – Digitalisierung, Globalisierung und Flexibilisierung sind nur einige Schlagworte rund um die Arbeit 4.0. Aber wie kann es gelingen, die Arbeitsfähigkeit von Beschäftigten trotz der sich ständig verändernden Anforderungen der Arbeit zu erhalten? Was können die Unternehmen dabei für sie tun? Und was können die Beschäftigten selbst dafür tun? Dies sind Fragen, die angesichts des demografischen Wandels und des Fachkräftemangels im Gesundheitswesen sowie steigender krankheitsbedingter Frühverrentungen immer wichtiger werden. Der Work Ability Index und das Konzept des
Hauses der Arbeitsfähigkeit können helfen, Antworten auf diese Fragen zu finden.
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Abstract
1. Einleitung
1.1 Hinführung zum Thema
1.2 Ziel und Aufbau der Arbeit
2. Vom BGM zum Arbeitsfähigkeitsmanagement
2.1 Gesundheitsförderung und Prävention
2.2 Definition Arbeitsfähigkeit
2.3 Das Haus der Arbeitsfähigkeit - Eine Führung durch das Haus
2.3.1 Das Fundament: Betriebliches Gesundheitsmanagement
2.3.2 Die vier Stockwerke und Faktoren außerhalb des Hauses
2.4 Notwendigkeit und Ziele des BGM in Unternehmen
2.5 Ökonomischer Nutzen des Arbeitsfähigkeitsmanagements
3. Mitarbeiterbefragung zur Ermittlung des Work Ability Indexes
3.1 Methodik
3.2 Aufbau und Inhalt des Fragebogens
3.3 Erhebung der Daten
4. Ergebnisse der Befragung
4.1. Auswertung der Ergebnisse
4.2. Darstellung der Ergebnisse
4.2.1 WAI Gesamtergebnisse
4.2.2 Weitere Ergebnisse
4.3. Interpretation der Ergebnisse
5. Maßnahmenplanung
5.1 Maßnahmenplanung anhand des Hauses der Arbeitsfähigkeit
5.1.1 Erstes Stockwerk: Ressourcen fördern und Belastungen verringern
5.1.2 Zweites Stockwerk: Kompetenzmanagement
5.1.3 Drittes Stockwerk: Werte, Einstellungen und Motivation
5.1.4 Viertes Stockwerk: Arbeitsbedingungen und Führungskultur
5.1.5 Soziales und gesellschaftliches Umfeld
5.2 Sicherung der Nachhaltigkeit
5.2.1 Finanzierungsmöglichkeiten
5.2.1 Verankerung des Arbeitsfähigkeitsmanagements in der Organisation
5.2.2 Einbindung der Mitarbeiter
5.2.3 Erneute Durchführung einer WAI-Erhebung
6. Fazit und Ausblick
Literaturverzeichnis
Anhang
Anhang 1: WAI-Fragebogen
Anhang 2: WAI-Berechnungsmethode
Anhang 3: Begleitschreiben zur Mitarbeiterbefragung
Anhang 4: Einwilligungserklärung zur Erhebung und Verarbeitung der Daten
Anhang 5: Matrix WAI-Resultate
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Das Haus der Arbeitsfähigkeit
Abbildung 2: Idealtypische Darstellung der Entwicklung der Arbeitsfähigkeit
Abbildung 3: Dimensionen des WAI
Abbildung 4: Soziodemografische Fragen
Abbildung 5: Einordung der WAI-Gesamtwerte
Abbildung 6: Aggregierte Arbeitsfähigkeiten Mitarbeiter
Abbildung 7: Aggregierte Arbeitsfähigkeiten nach Mitarbeitergruppen
Abbildung 8: Aggregierte Arbeitsfähigkeiten nach Altersgruppen
Abbildung 9: Aggregierte Arbeitsfähigkeiten nach Wochenarbeitszeit
Abbildung 10: Eigene Einschätzung der derzeitigen AF
Abbildung 11: Aktuelle Krankheiten bzw. Verletzungen
Abbildung 12: Gesammelte Darstellung der Maßnahmenplanung
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Beeinträchtigungen durch Krankheiten bei der Arbeit
Tabelle 2: Einschätzung zur Ausführbarkeit der Tätigkeit in den kommenden zwei Jahren ...
Tabelle 3: Psychische Leistungsreserven
„Intelligenz ist die Fähigkeit, sich dem Wandel anzupassen.“
(Stephen Hawking)
Hinweise zur Formulierung:
In dieser Arbeit wird aus Gründen der besseren Lesbarkeit das generische Maskulinum verwendet. Weibliche und anderweitige Geschlechteridentitäten werden dabei ausdrücklich mitgemeint, soweit es für die Aussage erforderlich ist.
Abstract
Die Arbeitswelt ist im permanenten Wandel - Digitalisierung, Globalisierung und Flexibilisierung sind nur einige Schlagworte rund um die Arbeit 4.0. Aber wie kann es gelingen, die Arbeitsfähigkeit von Beschäftigten trotz der sich ständig verändernden Anforderungen der Arbeit zu erhalten? Was können die Unternehmen dabei für sie tun? Und was können die Beschäftigten selbst dafür tun? Dies sind Fragen, die angesichts des demografischen Wandels und des Fachkräftemangels im Gesundheitswesen sowie steigender krankheitsbedingter Frühverrentungen immer wichtiger werden. Der Work Ability Index und das Konzept des Hauses der Arbeitsfähigkeit können helfen, Antworten auf diese Fragen zu finden. Die vorliegende Forschungsarbeit handelt von der Ermittlung des Work Ability Indexes eines Seniorenhauses des Bayerischen Roten Kreuzes. Hierzu wurde eine schriftliche Befragung der Mitarbeiter mit Fragebögen durchgeführt. Mittels deskriptiver Statistik erfolgte im Anschluss an die Erhebung der Daten zudem eine Analyse der einzelnen Antworten des Fragebogens, sodass eine gezielte Maßnahmenplanung zur Erhaltung und Förderung der Arbeitsfähigkeit anhand des Hauses der Arbeitsfähigkeit entwickelt werden konnte .
The world of work is constantly changing - digitization, globalization and flexibility are just a few of the keywords around work 4.0. But what can be done to maintain the work ability of employees despite the constantly changing demands of work? How can companies offer support? What can the employees do by themselves? These questions are becoming more and more important in view of demographic change and the shortage of skilled workers in the healthcare system as well as increasing early retirement due to illness. The Work Ability Index and the concept of the House of Work Ability could help finding answers to these questions. This research paper deals with the determination of the work ability index of a retirement home of the Bavarian Red Cross. For this purpose, a written survey of all employees was carried out. After collecting the data, descriptive statistics were used to analyze the individual answers, so that targeted measures could be planned to maintain and promote work ability, based on the house of work ability.
1. Einleitung
Das erste Kapitel dieser Abschlussarbeit führt zunächst zum behandelten Thema hin, bevor im Anschluss auf den Aufbau und das Ziel der Forschungsarbeit eingegangen wird.
1.1 Hinführung zum Thema
Unsere Arbeitswelt ist geprägt von immer neuen Herausforderungen - Digitalisierung, demografischer Wandel, Globalisierung, Fachkräftemangel und die Veränderung hin zu einer Wissensgesellschaft sind nur einige genannte Aspekte. Diese Herausforderungen werden unter dem Stichwort Arbeit 4.0 diskutiert und betreffen Unternehmen und Beschäftigte gleichermaßen. Um weiterhin wettbewerbsfähig zu bleiben, ist es unabdingbar, diese Herausforderungen anzunehmen und den Wandel aktiv mitzugestalten.
Derzeit ist das Erwerbspersonenpotenzial durch die starken Altersjahrgänge zwischen 45 und 65 Jahren geprägt. Diese Altersgruppe wird jedoch in den kommenden zwei Jahrzehnten weitgehend aus dem Erwerbsleben ausscheiden. Danach folgen die 1970er und 1980er Jahrgänge, welche schwächer besetzt sind. Daraus lässt sich schließen: Egal wann und wie viele Personaleinstellungen im Betrieb erfolgen, ein großer Anteil an Beschäftigten befindet sich im letzten Drittel ihres Arbeitslebens. (Giesert et al., 2017b, S. 16) „Die Zeit des sogenannten Jugendwahns, in denen ältere Erwerbstätige als wenig innovativer und kostspieliger Teil der Belegschaft angesehen werden und ihnen mit Frühverrentung sowie betriebseigenen Formen der Altersteilzeit die vorzeitige Entlassung erleichtert wurde, wird ein baldiges Ende prognostiziert.“ (Schönwald et al., 2014, S. 1) Um ihre Zukunftsfähigkeit zu wahren, müssen Unternehmen Maßnahmen ergreifen, welche die Arbeitsfähigkeit (AF) älterer Arbeitnehmer erhalten, denn „das wichtigste Vermögen im Erwerbsleben von Beschäftigten ist ihre Arbeitsfähigkeit.“ (Ilmarinen, 2011, S. 20) Die aktuelle Forschung zeigt auf, dass ältere Beschäftigte in vielen Berufen berichten, dass es ihnen mit steigendem Alter schwerer fällt, die an sie gestellten Anforderungen im Beruf zu erfüllen (Müller, 2019, S. 337). Schaffen die Arbeitnehmer es nicht, die an sie gestellten Anforderungen zu erfüllen, droht ein vorzeitiger Ausstieg aus dem Erwerbsleben. Durch präventive Maßnahmen können - und müssen - Voraussetzungen für ein längeres Verbleiben von Erwerbstätigen geschaffen werden. (BAuA, 2011, S. 5f)
Durch die oben geschilderten Herausforderungen stellt sich die Frage in den Mittelpunkt, wie die Arbeitsanforderungen so gestaltet werden können, dass die AF und die Gesundheit der Beschäftigten erhalten sowie gefördert werden können und dies idealerweise bei einer weiterhin hohen Produktivität und Qualität der Arbeit (Giesert et al., 2017b, S. 16).
Eine Antwort darauf kann der Work Ability Index (WAI) und das finnische Arbeitsfähigkeitskonzept geben, welches in den 1980er-Jahren vom Finnish Institute of Occupational Health (FIOH), unter der Leitung von Juhani Ilmarinen, entwickelt wurde (Giesert et al., 2017b, S. 27). Aufbauend auf den Ergebnissen kann mit dem Konzept des Hauses der Arbeitsfähigkeit eine individuelle Maßnahmenplanung zur Erhaltung und Förderung der AF erfolgen. Hierdurch kann die Entwicklung eines ganzheitlichen Arbeitsfähigkeitsmanagements im Betrieb gelingen. Dieser Managementprozess unterstützt die Gestaltung der Balance zwischen Arbeitsanforderungen und individuellem Leistungspotenzial der Beschäftigten. (Giesert et al., 2017b, S. 16)
1.2 Ziel und Aufbau der Arbeit
Ein BRK-Seniorenhaus in Bayern hat die Problematik des demografischen Wandels und des Fachkräftemangels erkannt und möchte das Betriebliche Gesundheitsmanagement (BGM) im Betrieb weiter etablieren. Aus datenschutzrechtlichen Gründen werden der Name und der Kreisverband des untersuchten BRK-Seniorenhauses im weiteren Verlauf nicht näher erläutert. Derzeit gibt es im Kreisverband des genannten Seniorenhauses eher wenige Maßnahmen im Rahmen des BGM. Das Angebot der IgB-Card (Initiative gesunder Betrieb), mit dem Mitarbeiter (MA) unter anderem vergünstigt im Fitnessstudio trainieren können, wurde im November 2020 aufgrund einer zu geringen Nutzung der Beschäftigten abgeschafft. Die Krankenquote im Betrieb liegt derzeit bei 7,3 % (Stand September 2019 - 2020) und liegt damit etwas unterhalb des bundesweiten Durchschnitts von 7,4 % in Seniorenheimen. Dennoch ist auffällig, dass die Krankenquoten in Seniorenheimen deutlich über dem branchenübergreifenden bundesweiten Durchschnitt von 5,4 % lieg. (Meyer et al., 2020b, S. 542)
Die Krankenquote als Kennzahl alleine kann jedoch keine Auskunft über Hintergründe der krankheitsbedingten Fehlzeiten geben und es lassen sich keine Maßnahmen zur Verringerung der Krankenquote daraus ableiten. Das BRK-Seniorenhaus stellte sich deshalb die Frage, wie hoch die AF der eigenen Belegschaft ist. Stehen Arbeitsanforderungen und Leistungsvoraussetzungen in einem gesunden Verhältnis zueinander? Wird die Arbeit als Überforderung erlebt? Welche Maßnahmen im Rahmen des BGM sind zielführend für die Erhaltung und Förderung der AF?
Die Forschungsfrage lautete deshalb:
„Wie hoch ist der Arbeitsfähigkeitsindex einzelner Mitarbeitergruppen und mit welchen Maßnahmen kann die Arbeitsfähigkeit erhalten bzw. gefördert werden?“
Das Ziel dieser Forschungsarbeit lag zum einen in der Ermittlung des Status quo der AF der Beschäftigten und zum anderen in der Erstellung einer gezielten Maßnahmenplanung, um die AF der MA zu erhalten und zu fördern.
Die Forschungsfrage wurde durch quantitative Forschung in Form einer standardisierten schriftlichen Befragung der MA beantwortet. Im Anschluss an die Befragung wurde der WAI der Befragten MA berechnet und zudem eine Analyse der einzelnen Fragen durch deskriptive Statistik durchgeführt. Darauf aufbauend wurde eine Maßnahmenplanung anhand des Hauses der Arbeitsfähigkeit zur Erhaltung, Förderung und Wiederherstellung der AF erstellt.
Die vorliegende Abschlussarbeit ist in sechs Kapitel unterteilt. Das erste Kapitel führt in die Problemstellung, den Aufbau sowie in die Zielsetzung dieser Abschlussarbeit ein. Das darauffolgende zweite Kapitel stellt eine Einführung in elementare theoretische Grundlagen dar und erläutert Begrifflichkeiten, welche zum Verständnis der Arbeit nötig sind. Zunächst erfolgt eine Erläuterung der Begriffe Gesundheitsförderung und Prävention, bevor im weiteren Verlauf auf den bedeutenden Begriff der Arbeitsfähigkeit eingegangen wird, welcher den Leser durch die gesamte Arbeit begleiten wird. Anschließend wird das Haus der Arbeitsfähigkeit vorgestellt, welches eine wichtige Handlungshilfe für eine gezielte Maßnahmenplanung zur Erhaltung und Förderung der Arbeitsfähigkeit darstellt. Im zweiten Kapitel werden zudem die Notwendigkeit und Ziele des BGM beschrieben sowie zum Abschluss der ökonomische Nutzen dargestellt. Das dritte Kapitel beinhaltet die verwendete Methodik dieser Forschungsarbeit und handelt von der durchgeführten Mitarbeiterbefragung des BRK-Seniorenhauses. Hier wird zunächst auf das allgemeine Vorgehen bei einer quantitativen Erhebung eingegangen und der WAI als Maßzahl zur Messung der AF vorgestellt. Im Anschluss folgt die Beschreibung des Aufbaus und Inhalts des verwendeten Fragebogens. Dieser besteht zum einen aus dem standardisierten WAI-Fragebogen und wurde zum anderen um drei soziodemografische Fragen ergänzt, um eine genauere Analyse auf Mitarbeiter- sowie Altersgruppen und die Wochenarbeitszeit der Befragten durchführen zu können. Den Abschluss des dritten Kapitels bilden Erläuterungen zum Ablauf der Erhebung der Daten sowie der beachteten ethischen Aspekte wie Freiwilligkeit und Anonymität der Teilnahme. Im vierten Kapitel wird zunächst die Auswertung der Ergebnisse aufgezeigt. Im Anschluss daran folgt die Darstellung der wichtigsten Erkenntnisse in aggregierter Form. Zum Abschluss dieses Kapitels erfolgt eine Interpretation der ermittelten Ergebnisse. Im fünften Kapitel wird eine, auf den Ergebnissen aufbauende, Maßnahmenplanung anhand des Hauses der Arbeitsfähigkeit sowie die Erläuterung von verschiedenen Aspekten zur Sicherung der Nachhaltigkeit im Betrieb aufgezeigt. Im letzten Kapitel werden die Ergebnisse dieser Arbeit kurz und kritisch zusammengefasst und ein Ausblick in die Zukunft gewährt.
2. Vom BGM zum Arbeitsfähigkeitsmanagement
Zu Beginn dieses Kapitels erfolgt zunächst eine Erläuterung der Begriffe Gesundheit, Gesundheitsförderung sowie Prävention, bevor im weiteren Verlauf die Definition des Begriffs der Arbeitsfähigkeit folgt. Im Anschluss daran wird das Konzept des Hauses der Arbeitsfähigkeit vorgestellt. Im darauffolgenden Kapitel wird die Notwendigkeit eines BGM im Unternehmen sowie Ziele, die damit verfolgt werden sollten, thematisiert. Zum Abschluss des zweiten Kapitels wird der ökonomische Nutzen des BGM aufgezeigt.
2.1 Gesundheitsförderung und Prävention
Die Basis für das Verständnis von Gesundheitsförderung und Prävention bildet die Differenzierung zwischen dem pathogenetischen Krankheitsmodell sowie dem salutogenetischen Konzept. Im Bereich der Medizin geht man überwiegend von einem pathogenetischen Konzept aus. Hierbei wird untersucht, welche Vorgänge zu Krankheiten führen oder welche Risikofaktoren die Entstehung von bestimmten Krankheiten beeinflussen. Krankheiten werden in diesem Konzept als Abweichung von einem definierten Normalzustand des Körpers definiert. Im Bereich Public Health liegt dagegen das salutogenetische Konzept zugrunde. Hierbei wird nicht erforscht, warum ein Mensch krank wird, sondern was ihn gesund erhält. In der Salutogenese gibt es nicht nur die beiden Zustände gesund oder krank zu sein, sondern unzählige Zwischenstufen, welche unterschiedliche Zustände des Wohlbefindens beschreiben. Der Mensch bewegt sich laut Antonovsky auf einem Kontinuum hin und her und ist damit immer mehr oder weniger krank bzw. gesund. (Habermann-Horstmeier, 2019, S. 25)
Im Jahr 1986 fand auf Einladung der Weltgesundheitsorganisation die erste internationale Konferenz zur Gesundheitsförderung statt, auf welcher der Begriff der Gesundheitsförderung erstmals verbindlich definiert wurde. Diese zielt demnach auf die Förderung von gesunden Lebensbedingungen, umfassenden Wohlbefinden sowie auf die Entwicklung einer gesünderen Lebensweise ab und setzt zudem im konkreten Setting der Menschen an. Hierunter versteht man z. B. die örtlichen Begebenheiten wie Betriebe und auch das soziale Umfeld der dort agierenden Menschen. Durch das Zusammenspiel dieser verschiedenen Faktoren (biologischer, ökologischer, räumlicher, kultureller, sozialer und ökonomischer Art) können sich jeweils Ansatzpunkte für gesundheitsfördernde Maßnahmen ergeben. (Habermann-Horstmeier, 2019, S. 27)
Das Ziel der Krankheitsprävention ist es, die Entstehung von bestimmten gesundheitlichen Schädigungen zu verhindern. Prävention kann in drei verschiedenen Formen Anwendung finden. Die Primärprävention bspw. hat als Ziel, bei gesunden Personen die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten bestimmter Neuerkrankungen in der Bevölkerung zu senken bzw. zu verhindern. Ein Beispiel für primärpräventive Maßnahmen sind Impfungen. Eine weitere Form stellt die Sekundärprävention dar. Mit ihrer Hilfe sollen Erkrankungen in einem frühen, klinisch noch unauffälligen Stadium erkannt werden, sodass eine rechtzeitige Behandlung erfolgen kann, um das Fortschreiten der Erkrankung zu verhindern. Ein Beispiel hierfür ist die frühzeitige Erkennung von Hautproblemen sowie die Einleitung adäquater Maßnahmen. Die letzte Form der Prävention, die Tertiärprävention, möchte eine Verschlimmerung von bereits bestehenden Erkrankungen verhindern, den Vorgang verlangsamen oder Folgeerkrankungen abwenden. Als Beispiel zu nennen wären Reha-Maßnahmen bei Lungenerkrankungen. Jedoch werden Präventionsmaßnahmen auch danach unterschieden, wo diese ansetzen. Hierbei kann zwischen der Verhältnis- und der Verhaltensprävention differenziert werden. Die Verhältnisprävention setzt an der Umgebung eines Menschen an und will die Gesundheit dadurch verbessern, indem sie ihre Lebens- und Arbeitsbedingungen positiv beeinflusst. Ein Beispiel hierfür ist ein ergonomisch gestalteter Arbeitsplatz zur Prävention von Rückenproblemen. Verhältnispräventive Maßnahmen hingegen setzen direkt am Menschen bzw. seinem Verhalten an. Beispiele für verhältnispräventive Maßnahmen zur Prävention von Lungenkrebs sind Maßnahmen zum Rauchverzicht oder Nichtrauchertraining. (HabermannHorstmeier, 2019, S. 28f)
2.2 Definition Arbeitsfähigkeit
In Anbetracht des demografischen Wandels erscheint es unumgänglich, die Arbeit so zu gestalten, dass sie möglichst über die gesamte Erwerbsarbeitsphase schädigungslos, ausführbar, erträglich und persönlichkeitsförderlich ist. Die Arbeitsbedingungen müssen so arrangiert werden, dass möglichst viele Menschen in gutem Wohlbefinden sowie gesund, gerne und produktiv arbeiten können, um die Erwerbsarbeit bis zum Renteneintrittsalter ausüben zu können. Um dies zu erreichen, sollte die Förderung der AF auf der Agenda von Betrieben stehen. (Frevel & Geißler, 2017, S. 218) AF wird verstanden als die Summe von Faktoren,
welche eine Person in einer bestimmten Situation in die Lage versetzt, eine gestellte Aufgabe erfolgreich zu bewältigen (Tempel & Ilmarinen, 2013, S. 15). Sie ist keine Eigenschaft der Beschäftigten, „(...) sondern bedeutet den Grad der Passung und Stabilität der Balance zwischen den personenbezogenen Aspekten Gesundheit, Kompetenz und persönliche Werte einerseits und den Arbeitsanforderungen und -bedingungen andererseits.“ (Frevel et al., 2017, S.72) Auf die AFwirken vielfältige individuelle und organisatorische Einflussgrößen, weshalb sienicht per se stabil ist, sondern sich im Lebenslauf verändert. Zu den individuellen Einflussgrößen zählen bspw. der Zuwachs an Erfahrungen, das biologische Altern oder der eigene Gesundheitszustand. Organisatorische Einflussgrößen stellenz. B. technologische Veränderungen, die Gestaltung der Arbeitszeit oder eine wertschätzende Führung dar. (Frevel et al., 2017, S. 72f) Für den MA bedeutet eine gute AF ein besseres Wohlbefinden am Arbeitsplatz sowie eine höhere Lebensqualität. Für den Arbeitgeber entsteht durch eine gute AF eine bessere Produktivität und Qualität der Arbeit (Ilmarinen, 2011, S. 20).
Vom Begriff der AF muss der Begriff der Arbeitsunfähigkeit abgegrenzt werden. Ist ein MA aufgrund einer Erkrankung verhindert seine Arbeit zu verrichten, ist er arbeitsunfähig. Wichtig zu betonen ist, dass die AF keine Umpolung der Arbeitsunfähigkeit ist. AF ist weit mehr als das Ausbleiben der Arbeitsunfähigkeit (Defizitorientierung), denn sie ist wertschöpfungsorientiert und bildet damit einen Mehrwert. (Treier, 2016, S. 3)
2.3 Das Haus der Arbeitsfähigkeit - Eine Führung durch das Haus
Eine wirksame und nachhaltige Handlungshilfe im Bereich der Förderung, Erhaltung und Wiederherstellung der AF stellt das Haus der Arbeitsfähigkeit dar. Es basiert auf dem finnischen Arbeitsfähigkeitskonzept und wurde vom FIOH entwickelt. (Giesert et al., 2017b, S.27)
Folgende Abbildung zeigt den Aufbau des Hauses der Arbeitsfähigkeit auf:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Das Haus der Arbeitsfähigkeit,
Quelle: Tempel & Ilmarinen, 2013, S. 41 Das entwickelte Modell verfügt über ein solides sozial- und arbeitswissenschaftliches Fundament, das in der Praxis mittlerweile vielfache Überprüfung, Bestätigung und Weiterentwicklung erfahren hat. Das so entstandene Bild bildet nicht nur Forschung und Empirie ab, sondern räumt auch der menschlichen Fantasie und dem offenen Dialog zwischen den Bewohnern Platz ein. Das Haus der Arbeitsfähigkeit bietet zum einen Geborgenheit und Schutz für die Bewohner bzw. MA, es kann jedoch auch zum Gefängnis werden, wenn die Ordnung gestört ist und die Abläufe fehlerhaft sind. Das Haus besteht aus den vier Stockwerken Gesundheit und Leistungsfähigkeit, Qualifikation und Kompetenz, Werte und Einstellungen sowie Arbeit und Führung. Für die Richtung und den Erfolg eines Prozesses ist der Rundgang durch alle vier Stockwerke entscheidend, dies belegen die Ergebnisse von umfangreichen Forschungen. (Ilmarinen, 2011, S. 21f) Zudem wurde die Umgebung außerhalb des Hauses mit in das Modell einbezogen: Familie, persönliches Umfeld, regionale Umgebung, äußere Handlungsträger und die politische Ebene. Hierdurch wird betont, dass die AF nicht nur unmittelbar am Arbeitsplatz beeinflusst wird, sondern dass andere Faktoren ebenfalls Einfluss ausüben, wenn auch weniger direkt. (Tempel & Ilmarinen, 2013, S. 40)
2.3.1 Das Fundament: Betriebliches Gesundheitsmanagement
Idealerweise steht das Haus der Arbeitsfähigkeit auf dem Fundament des BGM, sodass das Arbeitsfähigkeitsmanagement dessen Strukturen und Prozesse aufgreifen und die Stockwerke in das BGM integriert werden können (Giesert et al., 2017b, S. 27). Das BGM gilt als die Dachorganisation aller Handlungsfelder rund um die gesunde Arbeit und gliedert sich in drei Bestandteile: Betriebliche Gesundheitsförderung (BGF), Arbeits- und Gesundheitsschutz (AGS) und Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM). Unter BGM versteht man die nachhaltige und systematische gesundheitsförderliche Gestaltung von Strukturen und Prozessen, die Bewertung und Steuerung von Maßnahmen der Gesundheitsförderung sowie die Einbindung des Managements und der Führungskräfte. Maßnahmen der BGF fokussieren sich auf die Stärkung der Gesundheitskompetenzen von Organisationsmitgliedern sowie die Gestaltung gesundheitsförderlicher Bedingungen (Verhalten und Verhältnisse) und sollen die Gesundheit und das Wohlbefinden im Betrieb verbessern. Die Ansatzpunkte des AGS liegen in der Unfallverhütung und dem Schutz der Beschäftigten. Hierbei gilt es, gesundheitsgefährdende Arbeitsbedingungen zu identifizieren, Unfallrisiken zu ermitteln und zu vermeiden sowie körperliche und psychische Belastungen zu reduzieren. Das BEM beschäftigt sich mit der Wiedereingliederung und der beruflichen Rehabilitation von Beschäftigten. Im Rahmen eines BEM sind Ansatzpunkte die Einschätzung der Rückkehrperspektive nach Langzeiterkrankungen, die Vorbeugung erneuter Arbeitsunfähigkeit sowie die Entwicklung eines Stufenkonzepts zur schrittweisen Wiedereingliederung. (Uhle & Treier, 2019, S. 36ff)
2.3.2 Die vier Stockwerke und Faktoren außerhalb des Hauses
Die Grundlage für alle weiteren Stockwerke bildet das erste Stockwerk, die Gesundheit. Verändern sich physische, psychische oder soziale Gesundheit, wirkt sich dies unmittelbar auf die AF aus. Gesundheit schließt jedoch auch Krankheit mit ein. Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels müssen Unternehmen lernen, mit Einschränkungen und Krankheiten umzugehen und für gute Rahmenbedingungen zur Erfüllung der Arbeitsanforderungen zu sorgen. (Giesert et al., 2017b, S. 27) Der individuelle und betriebliche Umgang hiermit wird das Klima in diesem Stockwerk entscheidend prägen (Tempel & Ilmarinen, 2013, S. 43). Im zweiten Stockwerk sind die Qualifikationen, das Wissen, die Erfahrungen und die Fähigkeiten eines MA untergebracht. Veränderungen der Arbeitsanforderungen und Schwierigkeiten bedeuten, dass „(...) kontinuierliche Weiterentwicklung der professionellen Fähigkeiten zu einer immer wichtigeren Voraussetzung für die Arbeitsfähigkeit wird.“ (Tempel & Ilmarinen, 2013, S. 52) Um die AF sowie den wertvollen Erfahrungsschatz der älteren MA zu erhalten, muss deren Gesundheit gefördert werden. Dazu gehört es auch, die Potenziale älterer MA zu entwickeln, denn mit zunehmendem Alter bilden sich ganz neue Kompetenzen heraus. In einer lebensphasenorientierten Personalpolitik sollten daher lebenslanges Lernen und eine entsprechende Arbeitsgestaltung ermöglicht werden (Struhs-Wehr, 2017, S. 4) Das dritte Stockwerk beinhaltet Werte, Einstellungen und Motivation. Das Verhalten und die Motivation von Menschen werden durch Werte und Einstellungen geprägt. Beschäftigte und Unternehmen sollten ihre Sichtweisen über bestimmte Themen austauschen, hierbei kann wertschätzende Führung eine wichtige Unterstützung bilden. Das letzte Stockwerk ist zeitgleich das bedeutendste Stockwerk im Haus. Es handelt sich hierbei um die Führung und die vorherrschenden Arbeitsbedingungen im Betrieb. Hierzu zählen alle körperlichen, psychischen und sozialen Arbeitsbedingungen, wie z. B. die Arbeitsinhalte und das Betriebsklima. Die größte Verantwortung in diesem Stockwerk tragen die Führungskräfte im Unternehmen, da diese für eine gute Arbeitsgestaltung und gesundheitsgerechte Führung verantwortlich sind. (Giesert et al., 2017b, S. 29) Bei einer Studie von Becker et al. aus dem Jahre 2009 zeigten sich hoch signifikante Unterschiede hinsichtlich einer niedrigen bzw. hohen freundlichen Zuwendung sowie Respektierung der Führungskraft gegenüber ihren MA und den Ergebnissen deren AF (Prümper & Richenhagen, 2011, S. 141). Es ist wichtig, dass alle vier Stockwerke in einem ausgewogenen Verhältnis zueinanderstehen. Gibt es Probleme mit der Arbeitsbewältigung eines Beschäftigten, muss in jedem Stockwerk sowie auch hinsichtlich der Wechselwirkungen zum Umfeld (Familie, Freunde, Region) nach den Ursachen geforscht werden. Mit einer ganzheitlichen Betrachtungsweise von Arbeitsbewältigungsfähigkeit können Unternehmen frühzeitig und vorsorglich Maßnahmen ergreifen, um so die AF der „Bewohner“ zu erhalten und eine vorzeitige Erwerbsunfähigkeit zu verhindern. (Giesert et al., 2018, S. 10)
2.4 Notwendigkeit und Ziele des BGM in Unternehmen
Seit mehr als 20 Jahren ist wissenschaftlich belegt, dass sich BGM positiv auf Gesundheit sowie Wohlbefinden und damit auf Motivation und Leistungsfähigkeit von Beschäftigten auswirkt. Die genannten Potenziale eines BGM sollten genutzt werden, denn durch den demografischen Wandel werden neue und zusätzliche Anforderungen an Pflegeeinrichtungen gestellt. Nachwuchsprobleme, die Sicherstellung der Fachkraftquote und alternde Belegschaften gehören jedoch auch schon derzeit zum Alltag in der Altenpflege. (Preussner-Moritz & Händel, 2013, S. 24) Eine weitere Herausforderung stellt die stark geänderte Arbeitslandschaft dar. Die zunehmende Globalisierung und immer neue Technologien führen zu einem sich ständig beschleunigenden Strukturwandel. Des Weiteren wurden auch im Gesundheitsbereich wirtschaftspolitische Vorstellungen, wie in der Industriebranche, übernommen. Laut der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina und des Deutschen Ethikrats führte dies im Bereich der Pflege bereits zu einer Verschlechterung der Betreuungs- und Pflegequalität. Diese Veränderungen führen zu einem Wandel der gesundheitlichen Risiken im Arbeitsbereich. (Habermann-Horstmeier, 2019, S. 21f) Überlastung macht krank. Beschäftigte des Gesundheitswesens sind laut der BKK signifikant länger krank als der Durchschnitt aller Arbeitnehmer. Beschäftigte in Pflegeheimen fallen rund 24 Tage jährlich aufgrund von Krankheit aus, bei Arbeitnehmern aller Berufe liegt die Anzahl der Tage nur bei rund 16. Als eine der Hauptursachen für die hohen Fehlzeiten in der Pflege gelten psychische Störungen. (Bühler, 2019, S. 429) Dies hebt die wachsende Bedeutung und Notwendigkeit des Erhalts und Förderung der psychischen Gesundheit im betrieblichen Kontext hervor. Ein Blick allein auf die Fehlzeiten ist jedoch nicht zielführend, da anwesende MA nicht mit produktiven MA gleichgesetzt werden können. (Neuner, 2016, S. 79)
In der Gesellschaft wird Alter und Altern häufig noch immer negativ konnotiert und mit vielen Defiziten (z. B. körperliche und kognitive) in Verbindung gebracht. Ungeachtet bleibt hierbei der Einfluss der sozialen Konstruktion von Altersbildern sowie in Erwägung zu ziehen, dass auftretende Schwächen durch neue Stärken kompensiert werden können. Nach langjähriger Forschung ist Ilmarinen zu der Überzeugung gelangt, dass die AF mit dem Alter sogar steigen könne. Zwar nimmt mit dem Alter die kardiopulmonale und muskuloskelettale Leistungsfähigkeit ab, jedoch könnte dem Produktivitätsnachlass mit auf das Individuum ausgerichteten Maßnahmen entgegengewirkt werden. (Schönwald et al., 2014, S. 29ff)
Die Entwicklung der AF von Beschäftigten kann während des Erwerbslebens einen unterschiedlichen Verlauf annehmen. Von entscheidender Bedeutung ist der in Abbildung 2
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2: Idealtypische Darstellung der Entwicklung der Arbeitsfähigkeit, Quelle: Prümper & Richenhagen, 2011, S. 139 Arbeit allein erhält die AF im Normalfall nicht. Erfolgen keine gezielten Maßnahmen zur Förderung und zum Erhalt der AF, nimmt diese mit zunehmendem Alter bei allen Beschäftigten im Durchschnitt ab (siehe Abb. 2, untere gestrichelte Kurve). Bei Einzelmaßnahmen, wie z. B. ausschließlich individueller Gesundheitsförderung, treten zwar positive Effekte im Hinblick auf die AF auf, diese sind jedoch nicht nachhaltig (siehe Abb. 2, mittlere gestrichelte Kurve). (Prümper & Richenhagen, 2011, S. 139) „Nachhaltige Zuwächse entstehen erst dann, wenn Defizite im Bereich aller Einflussfaktoren des Hauses der Arbeitsfähigkeit situationsbezogen ermittelt und entsprechende Maßnahmen zur Verbesserung umgesetzt werden (obere durchgezogene Kurve). Wichtig ist dabei gerade die ganzheitliche Sicht, also die Einbeziehung aller Faktoren aus dem Haus der Arbeitsfähigkeit.“ (Prümper & Richenhagen, 2011, S. 139) Alternsgerechtes Arbeiten muss jedoch auch schon bei den Jüngeren beginnen, um langfristig wirken zu können. Jedes Alter und jede Lebensphase bzw. Lebenssituation ist in den Blick zu nehmen. (Frevel & Geißler, 2017, S. 220)
Das größte und häufigste Missverständnis in der BGF ist die Annahme, sie sei ausschließlich die Anwendung der individuellen und persönlichen Gesundheitsförderung. Somit treffen bspw. Angebote für mehr Bewegung oder gesunde Ernährung nicht den wahren Kern der BGF und reichen keinesfalls aus, um dem Anspruch der BGF gerecht zu werden. Hat ein MA z. B. einen erhöhten Blutdruck, kann diesem Problem nicht nur mit individuellen Verhaltensempfehlungen begegnet werden, wenn die Ursache etwa durch chronischen Stress im Team mitbedingt ist. Um nachhaltig erfolgreich zu sein, bedarf es einer Eingangsanalyse für die Bestimmung der Handlungsebene, auf der die BGF ansetzen muss. (Schneider, 2012, S. 101f) Ein umfangreiches Arbeitsfähigkeitsmanagement bringt für den Arbeitgeber sowie den Arbeitnehmer, neben den gesundheitsförderlichen Effekten, weitere Vorteile mit sich. Ein Nutzen für den Arbeitgeber kann sich in einer höheren Arbeitsproduktivität, einer größeren Veränderungsbereitschaft, einer höheren Arbeitszufriedenheit und einer Senkung des Krankenstandes sowie in einem besseren Image des Betriebs zeigen. Für die Arbeitnehmer kann sich der Nutzen in mehr Vitalität, einer geringeren Arbeitsbelastung, mehr Wohlbefinden, besseren sozialen Kontakten und mehr Arbeitsfreude zeigen. (Decker & Decker, 2014, S. 62) Des Weiteren kann durch das Arbeitsfähigkeitsmanagement die Arbeitgeberattraktivität gesteigert sowie eine geringe Fluktuation erreicht werden, wodurch die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens gestärkt wird (Habermann-Horstmeier, 2019, S. 53).
2.5 Ökonomischer Nutzen des Arbeitsfähigkeitsmanagements
Da eine nachlassende AF nicht kurzfristig zu kompensieren ist, muss präventiv gehandelt werden. „Ist das Kind in den Brunnen gefallen, erfordert es weitaus höhere Investitionen zur Rettung, als wenn man präventiv durch Arbeitsgestaltung, BGF/BGM, demografiebewusste Personalarbeit, sensitive Führung, BEM, usw. die Wahrscheinlichkeit für den zu erwartenden Ausfall minimiert.“ (Treier, 2016, S. 2) Die aktuellen Entwicklungen der Arbeitsgesellschaft, verbunden mit der Frage nach Arbeitskräftesicherung, bieten deutliche Anreize für Unternehmen, in gute Arbeitsbedingungen zu investieren (Giesert et al., 2017b, S. 25). Investitionen müssen jedoch nicht nur in Zeiten der Krise wohl überlegt und gut kalkuliert sein. In Anbetracht der Herausforderungen der heutigen Arbeitswelt allerdings ist „(.) die Investition in Bildung und Gesundheit die einzige Investition mit garantierter Rendite.“ (Schneider, 2012, S. 13) Mit Fokus auf die Steigerung der AF kann mit systematischen Ansätzen im BGM ein Return on Investment zwischen 1:2,5 und 1:10,1 für Absentismus erzielt werden. (Treier, 2016, S. 11) Zudem belegt ein Report der Initiative Gesundheit und Arbeit (Jahr 2015) auf Basis von rund 600 Studien, dass mit jedem investierten Euro in Gesundheitsförderung und Prävention im Durchschnitt 2,73 Euro durch Fehlzeitenreduktion eingespart werden können. Des Weiteren zeigte sich, dass sich krankheitsbedingte Fehlzeiten um ca. 25 % senken lassen. Diese Ergebnisse untermauern, dass es sinnvoll ist, BGM als Wertschöpfungsfaktor strategisch zu platzieren sowie die Wirksamkeit von Maßnahmen zu messen. (Uhle & Treier, 2019, S. 332f) Der Spruch „ Wertschöpfung durch gesunde Mitarbeiter hat sich vom Slogan-Charakter befreit und kristallisiert sich zur Notwendigkeit heraus, um Wettbewerbsfähigkeit zu gewährleisten.“ (Uhle & Treier, 2019, S. 488).
Letztlich ist bei der Bestimmung des wirtschaftlichen Nutzens gesundheitsförderlicher Maßnahmen aber zu berücksichtigen, dass diese als Potenzialinvestitionen betrachtet werden müssen. Diese führen in vielen Fällen erst mittel- und langfristig zu einer verbesserten Wettbewerbssituation. (Ulich & Wülser, 2018, S. 225) Die Langfristwirkung in die Investition von Gesundheit bestätigte auch Aldana: „In one or two years of healthy living, there's not a whole lot of change in the status of things like cardiovascular disease, cancer or diabetes, but they can be dramatically prevented long-term (...). But for most health promotion programs, changes come with the passage of time, and often, much time is needed before diseases are prevented. Health promotion is a long-term investment, and that frightens many business people away.“ (Ulich & Wülser, 2018, nach Aldana, 2004, S. 203) Ein ökonomischer Nutzen muss jedoch nicht zwingend das Hauptziel der BGF darstellen, Gesundheit und Wohlbefinden am Arbeitsplatz kann auch als eigenständiges Ziel betrachtet werden (Ulich & Wülser, 2018, S. 226).
Nachdem der theoretische Rahmen dieser Arbeit aufgezeigt wurde, wird im nächsten Kapitel auf die Methodik der empirischen Studie, den verwendeten Fragebogen und die Erhebung der Daten zur Ermittlung des WAI eingegangen.
3. Mitarbeiterbefragung zur Ermittlung des Work Ability Indexes
Das dritte Kapitel dieser Arbeit handelt von der durchgeführten Mitarbeiterbefragung. Die Befragung wurde in einem Seniorenheim in Bayern durchgeführt, welches ein Betrieb des Bayerischen Roten Kreuzes ist. In diesem waren zum Zeitpunkt der Befragung (September 2020) 67 MA beschäftigt. Zu Beginn wird das verwendete Untersuchungsdesign sowie die der WAI genauer erläutert. Im nächsten Abschnitt wird der Aufbau und der Inhalt des verwendeten WAI-Fragebogens sowie die Kategorien des WAI vorgestellt. Zum Abschluss des dritten Kapitels wird der Vorgang der Erhebung der Daten erläutert.
3.1 Methodik
Die Forschungsfrage wurde mit Hilfe quantitativer Forschung in Form einer standardisierten Befragung beantwortet. Da bei der Befragung personenbezogene Daten erhoben wurden und die Anonymität der Befragten gewährleistet werden sollte, wurde sich für die Methode der schriftlichen Befragung entschieden. Die Wahl dieser Methode war zudem zielführend, da hierbei eine relativ große Anzahl an Befragungen durchgeführt werden konnte. (Döring & Bortz, 2016, S. 23) Das Ziel der Erhebung stellte zum einen die Berechnung der Arbeitsfähigkeitsindexe der MA dar und zum anderen sollte eine Analyse der einzelnen Antworten im WAI- Fragebogen mit deskriptiver Statistik erfolgen, sodass im Anschluss anhand der Ergebnisse eine gezielte Maßnahmenplanung zur Erhaltung und Verbesserung der AF im Betrieb entwickelt werden konnte.
Eine Maßzahl zur Messung der AF stellt der WAI dar, der mit Hilfe eines vorgegebenen Fragebogens ermittelt wird. Der ermittelte Index zeigt auf, inwieweit Arbeitnehmer angesichts ihrer persönlichen Voraussetzungen sowie der vorliegenden Arbeitsbedingungen in der Lage sind, ihre Arbeit zu verrichten. Der Fragebogen wurde in den 1980er-Jahren unter der Leitung von Juhani Ilmarinen vom FIOH entwickelt. Hierfür wurden 6.500 Daten von Beschäftigten analysiert, um den Verbleib in der Erwerbstätigkeit über mehrere Jahre prognostizieren zu können. In den 1990er und 2000er-Jahren folgten in Finnland unterschiedliche Forschungsprogramme, welche die Aussagekraft des WAI erforschten. Der WAI-Fragebogen hat sich seit seiner Entwicklung zu einem weltweit anerkannten Instrument zur Erfassung der AF entwickelt und wurde bereits in 26 Sprachen übersetzt. Die deutsche Fassung beruht auf der 1998 veröffentlichten zweiten, überarbeiteten Auflage des englischen Originals von Tuomi. (Giesert et al., 2017a, S. 54ff) Für die Verwendung des Fragebogens sind verschiedene Einsatzformen möglich. Er kann sowohl in der Betriebsepidemiologie und in wissenschaftlichen Studien in Form eines auszufüllenden Fragebogens oder im Rahmen betriebsärztlicher Untersuchungen in Interviewform eingesetzt werden. Hierzulande wird er überwiegend im betriebsärztlichen Alltag und im Rahmen der BGF eingesetzt, findet jedoch in jüngerer Zeit auch im BEM Anwendung. Doch was sagen die Ergebnisse aus? Ein hoher WAI sagt zunächst aus, dass die vielfältigen individuellen Voraussetzungen des Beschäftigten mit den verschiedenen Arbeitsanforderungen in Einklang stehen. Ein niedriger WAI dagegen zeigt auf, dass ein Missverhältnis zwischen den betrieblichen Arbeitsanforderungen und den individuellen Bedingungen vorliegt. Darüber hinaus kann ein niedriger Wert einen Hinweis darauf geben, dass ein erhöhtes Risiko für den vorzeitigen Ausstieg aus dem Erwerbsleben besteht. (Hasselhorn & Freude, 2007, S. 16)
Der WAI-Fragebogen ist in einer Kurz- und in einer Langversion verfügbar. Der Unterschied liegt hierbei in der Dimension 3, bei welcher anhand einer Liste Krankheiten abgefragt werden.
Insbesondere bei WAI-Erhebungen größerer Gruppen hat sich die Langversion (51 Krankheiten) jedoch als zu umfassend erwiesen, daher wurde eine Kurzversion mit einer Liste von 14 Krankheitsgruppen entwickelt. Trotz eines hierdurch leicht veränderten Berechnungsmodus zeigten sich nahezu exakt die gleichen Ergebnisse. (Tempel & Ilmarinen, 2013, S. 132) Aufgrund dessen wurde sich für die Befragung im Seniorenheim für die Kurzversion des Fragebogens entschieden. Diese beruht auf einer zum Download verfügbaren Version des WAI-Netzwerks (INQA-WAI-Netzwerk, 2017a).
Die 3 Gütekriterien der quantitativen Forschung beinhalten die Objektivität, Reliabilität und Validität. Die Objektivität bezieht sich auf die Unabhängigkeit der ermittelten Ergebnisse von der Person, welche die Untersuchung durchführt. Unter Reliabilität versteht man ein Maß der Reproduzierbarkeit der Messergebnisse, hierbei soll dasselbe Ergebnis bei erneuter Anwendung des Messinstruments stets wieder erzielt werden. Das dritte Gütekriterium stellt die Validität bzw. Gültigkeit dar, sie ist der Grad der Genauigkeit, ob ein Instrument das misst, was gemessen werden soll. (Häder, 2019, S. 109) Da es keine festgeschriebene Instruktion bzgl. der Untersuchungsbedingungen gibt, besteht ein Spielraum hinsichtlich der Durchführung (z. B. Anleitungen, Einführung), was die damit verbundene Durchführungsobjektivität schmälert. Bezogen auf die Auswertung und die Interpretation der Ergebnisse kann anhand des festen Auswertungsschlüssels und des Kategoriensystems (siehe Kapitel 3.2, Abb. 5) Objektivität angenommen werden. Als Maß der Reliabilität bzw. Zuverlässigkeit zeigten sich in verschiedenen Untersuchungen länderübergreifend akzeptable bis gute interne Konsistenzen. Bzgl. der Konstruktvalidität des WAI zeigten sich deutliche signifikante Korrelationen des WAI-Scores in unterschiedlichen Untersuchungen mit allen Dimensionen des General Health Index. Mit dem Copenhagen Burnout Inventory und dem van Korff disability konnten inverse deutlich signifikante Korrelationen nachgewiesen werden. Bezogen auf die Kriteriumsvalidität ließ sich feststellen, dass mit dem WAI Größen vorhergesagt werden konnten, die als Folge einer verringerten AF gelten. Dies kann bei einem niedrigen WAI bspw. ein vorzeitiger Berufsausstieg oder längere Arbeitsunfähigkeit sein. (WAI-Netzwerk, 2015, S. 11ff)
Der WAI-Fragebogen ist ein seit ca. 30 Jahren verwendetes, wissenschaftlich überprüftes Instrument. Für die Durchführung dieser Studie wurde er nicht verändert, weshalb kein Pre-Test erforderlich war. Dem WAI-Fragebogen wurden lediglich drei soziodemografische Fragen angefügt, um bessere Rückschlüsse ziehen zu können und darauf aufbauend Maßnahmen im Rahmen des BGM planen zu können. Das Hinzufügen der soziodemografischen Fragen hat keinen Einfluss auf die Ergebnisse des WAI.
3.2 Aufbau und Inhalt des Fragebogens
Der verwendete Fragebogen (siehe Anhang 1) gliederte sich in zwei Teile und enthielt ausschließlich geschlossene Fragen. Zur Berechnung des WAI wurden zehn Fragen gestellt, welche die physischen und psychischen Arbeitsanforderungen, den Gesundheitszustand sowie die Leistungsreserven des Arbeitnehmers betreffen. Diese Fragen werden den sieben WAI- Dimensionen (siehe Abb. 3 dieses Kapitels) zugeordnet. Für jede Antwort wird eine bestimmte Anzahl an Punkten vergeben, sodass ein Gesamtergebnis zwischen 7 und 49 Punkten resultiert. (Hasselhorn & Freude, 2007, S. 15) Eine genaue Anweisung zur Berechnung des WAI ist in Anhang 2 geschildert.
Der zweite Teil des Fragebogens erhob die soziodemografischen Daten. Diese sind für eine genaue Auswertung der Daten sinnvoll, da „(.) der WAI nicht nur vom Alter, sondern auch vom Haupttätigkeitsmerkmal abhängt. Das einfache Berichten (.) ohne Angaben von Alter und Tätigkeit hat daher beschränkte Aussagekraft.“ (Fischer, 2017, S. 36). Zur genaueren Analyse der Daten wurde deshalb entschieden, den Fragebogen um die Kategorien Tätigkeitsbereich, Altersgruppe und Wochenarbeitszeit (WAZ) zu erweitern (siehe Abb. 4). Anhand der Mitarbeiterdatenbank des Betriebs, aus welcher der Tätigkeitsbereich, das Geburtsjahr sowie die regelmäßige Wochenarbeitszeit aller MA hervorging, wurden pro Kategorie jeweils drei Antwortmöglichkeiten gebildet. Die größte Beschäftigtengruppe im Betrieb (Gesamt 67 MA) stellte die der Pflegekräfte (41 MA) dar, gefolgt von den Hauswirtschafterinnen (17 MA). Da die Beschäftigten der Betreuung (4 MA), der Verwaltung (4 MA) und der Haustechnik (1 MA) allein zu wenige MA beinhalten, wurde für sie, zur Wahrung der Anonymität im Auswertungsprozess, eine gemeinsame Antwortmöglichkeit gebildet. Das durchschnittliche Alter aller MA beträgt 42,8 Jahre bei einer Spannweite von 17 - 62 Jahren. Hierbei wurden die drei Altersgruppen bis 30 Jahre (15 MA), 31 bis 52 Jahre (31 MA) und über 53 Jahre (21 MA) gebildet. Die durchschnittliche WAZ aller MA beträgt 25,7 Stunden pro Woche, bei einer Spannweite von 5,2 - 38,5 Stunden pro Woche. In dieser Kategorie wurden die Antwortmöglichkeiten von bis 19 Stunden (11 MA), mehr als 19 bis 29 Stunden (28 MA) sowie mehr als 29 bis 38,5 Stunden (28 MA) gebildet. Bei der Bildung der jeweiligen Antwortmöglichkeiten wurde darauf geachtet, dass auch in Kombination der verschiedenen Kategorien kein Rückschluss auf einzelne MA möglich sein wird.
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- Marina Siebenhaar (Autor), 2021, Work Ability Index und Maßnahmenplanung im Rahmen des Betrieblichen Gesundheitsmanagements. Am Beispiel eines BRK-Seniorenhauses, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1353113
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