"Möge Schweden als der Igel bewaffnet sein, der mit Bajonettspitzen jedem Angreifer von Küste zu Küste begegnet". Der Grundgedanke dieser Arbeit "Gotland im Ersten Weltkrieg" ist die schwedische Neutralität und die damit verbundene Problematik ihrer Verwirklichung im Krieg. Die Idee der schwedischen Neutralitätsideologie ist die Verbindung einer starken Abwehr mit einer neutralen Grundeinstellung. Die Auflösung der Personalunion zwischen Norwegen und Schweden im Jahre 1905 führte die beiden Länder an den Rand eines Krieges. Beide Staaten zogen jedoch die friedliche Lösung des Konflikts vor, denn die Mehrheit der Bevölkerung war nicht bereit gewesen, persönliche Opfer für die Union zu bringen. In der europäischen Bündnis- und Mächtekonstellation am Vorabend des Ersten Weltkrieges erhielten sich die skandinavischen Königreiche ihre neutrale Position und Politik. In Malmö 1914 und in Kristiania (Oslo) 1917 bekräftigten die drei skandinavischen Könige die gemeinsame neutrale Haltung in diesem Krieg. Trotz der immer wieder bestätigten Neutralitätserklärungen stellt sich im Falle Schwedens die Frage, auf welche Weise der Begriff "Neutralität" in der Auffassung Hammarskjölds gedeutet wurde: Rußland wurde als eine große Gefahr für Schweden gesehen; Großbritannien galt mit seiner Schiffahrtspolitik als schwere Belastung für die schwedische Neutralität, und mit Deutschland wünschte man, gute diplomatische und wirtschaftliche Beziehungen zu haben. Für die konservative Partei unter Hammarskjöld war diese Form die sogenannte "aktive Neutralität" . Die Linksparteien forderten jedoch eine "wirkliche Neutralität" , die eine Bevorzugung Deutschlands durch Schweden ausschloß. In dieser Arbeit wird unter Berücksichtigung des politischen und militärischen Hintergrundes die Situation der Insel Gotland im Ersten Weltkrieg betrachtet. Das strikte Festhalten an militärischen Aspekten bleibt dabei unerläßlich. Diese Arbeit erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Eine tiefgreifende Auseinandersetzung mit den angesprochenen Themen bleibt einer weiterführenden und breiter angelegten Untersuchung vorbehalten.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Hauptteil Krieg oder Neutralität ?
2.1 Politische Lage in Schweden beim Ausbruch des Ersten Weltkrieges
2.2 Die schwedische Verteidigung auf Gotland
2.3 Gotland in den militärischen Planungen der Großmächte
2.4 "S.M.S. Albatross" - Beispiel für internierte Kriegsgefangene auf Gotland
3. Schluß
Quellen- und Literarurverzeichnis
1. Einleitung
"Möge Schweden als der Igel bewaffnet sein, der mit Bajonettspitzen jedem Angreifer von Küste zu Küste begegnet"[1].
Der Grundgedanke dieser Arbeit "Gotland im Ersten Weltkrieg" ist die schwedische Neutralität und die damit verbundene Problematik ihrer Verwirklichung im Krieg. Die Idee der schwedischen Neutralitätsideologie ist die Verbindung einer starken Abwehr mit einer neutralen Grundeinstellung. Die Auflösung der Personalunion zwischen Norwegen und Schweden im Jahre 1905 führte die beiden Länder an den Rand eines Krieges. Beide Staaten zogen jedoch die friedliche Lösung des Konflikts vor, denn die Mehrheit der Bevölkerung war nicht bereit gewesen, persönliche Opfer für die Union zu bringen.
In der europäischen Bündnis- und Mächtekonstellation am Vorabend des Ersten Weltkrieges erhielten sich die skandinavischen Königreiche ihre neutrale Position und Politik. In Malmö 1914 und in Kristiania (Oslo) 1917 bekräftigten die drei skandinavischen Könige die gemeinsame neutrale Haltung in diesem Krieg. Trotz der immer wieder bestätigten Neutralitätserklärungen stellt sich im Falle Schwedens die Frage, auf welche Weise der Begriff "Neutralität" in der Auffassung Hammarskjölds gedeutet wurde: Rußland wurde als eine große Gefahr für Schweden gesehen; Großbritannien galt mit seiner Schiffahrtspolitik als schwere Belastung für die schwedische Neutralität, und mit Deutschland wünschte man, gute diplomatische und wirtschaftliche Beziehungen zu haben. Für die konservative Partei unter Hammarskjöld war diese Form die sogenannte "aktive Neutralität"[2]. Die Linksparteien forderten jedoch eine "wirkliche Neutralität"[3], die eine Bevorzugung Deutschlands durch Schweden ausschloß.
In dieser Arbeit wird unter Berücksichtigung des politischen und militärischen Hintergrundes die Situation der Insel Gotland im Ersten Weltkrieg betrachtet. Das strikte Festhalten an militärischen Aspekten bleibt dabei unerläßlich. Diese Arbeit erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Eine tiefgreifende Auseinandersetzung mit den angesprochenen Themen bleibt einer weiterführenden und breiter angelegten Untersuchung vorbehalten.
2. Hauptteil Krieg oder Neutralität ?
2.1 Politische Lage in Schweden beim Ausbruch des Ersten Weltkrieges
Seit dem Herbst 1911 regierte in Schweden eine liberale Regierung unter Karl Staaf, die zwar nach parlamentarischen Prinzipien, jedoch gegen den persönlichen Willen des Königs Gustav V. zur Macht gelangte. Die innenpolitischen Probleme Schwedens, geprägt durch die sozialen Gegensätze im Lande, bereiteten der Regierung große Schwierigkeiten. Eine der größten politischen Streitfragen in Schweden war die Auseinandersetzung um die Landesverteidigung[4]. Während die politische Entwicklung in Europa auf einen Krieg hinauslief, hielt die Regierung Staaf demonstrativ an einer strikten Neutralitätspolitik fest. Die inkonsequente und unsichere schwedische Verteidigungspolitik machte besonders auf Deutschland einen "naiven und weltfremden Eindruck"[5]. Die Reichstagsdebatten um die Verteidigung des Landes nutzte die konservative Opposition, die sich mit dem demokratischen Machtwechsel nicht abgefunden hatte, und drängte die Regierung in die politische Defensive.
Am 6. Februar 1914 hielt der König Gustav V. anläßlich des "Bauernzuges"[6] im Schloßhof eine Rede, die zur sogenannten "Schloßhofkrise"[7] führen sollte. Der Inhalt der Rede ließ sich mit der Politik der Regierung nicht in Einklang bringen. Zwischen König und Ministerpräsidenten, der keine Kenntnis über den Inhalt der Rede hatte, kam es zum offenen Bruch, als der König auf sein Recht bestand, vor seinem Volk frei sprechen zu dürfen. Karl Staaf sah sich unter diesen Umständen nicht mehr imstande, die Regierungsgeschäfte weiter zu führen und trat am 10. Februar 1914 zurück.
Der Nachfolger Staafs sollte der Völkerrechtsexperte Hjalmar Hammerskjöld werden und Außenminister der Bankier Knut Wallenberg. Im Frühjahr 1914 gelang es den Konservativen, im Wahlkampf die Verteidigungsfrage zum Hauptthema zu machen. Im Gegensatz zu den Liberalen, die die Verfassungsfrage in den Vordergrund stellten, setzten sich die Konservativen mit einem Zugewinn von 64 auf 86 Sitze durch. Die Liberalen verloren bei diesen Wahlen 32 von ihren 102 Sitzen im Reichstag[8]. Trotz des Wahlsieges der Konservativen konnte im schwedischen Reichstag keine Einigung über den Wehrdienst und die Landesverteidigung gefunden werden. Die politische Eskalation und der Ausbruch des Ersten Weltkrieges in Mitteleuropa brachte die drei Reichstagsparteien erst in einem Burgfrieden zusammen[9].
Die Neutralität sollte nach Ansicht der Parteien weiterhin aufrechterhalten werden: Schweden wird nicht in den Krieg eintreten. Die Ansicht der Regierung unterschied sich von der weitläufigen Meinung in der schwedischen Bevölkerung: Im Nachbarland Finnland wurde das Land zunehmend russifiziert. Am 30. Juni 1910 unterschrieb der Zar ein Gesetz, welches die finnische Autonomie im Russischen Reich endgültig zunichte machte[10]. Diese "russische Gefahr" spielte eine große Rolle in der Verteidigungspolitik Schwedens. Der Forscher Sven Hedin veröffentlichte Schriften, in denen er von der weitverbreiteten russischen Spionage in Schweden berichtete und Rußland als "alten Erbfeind" beschrieb. Aufgrund dieser Befürchtungen wurden die konservativen Kräfte in Schweden gestärkt, und sie förderten die Sympathien für das Deutsche Reich. Die prodeutsche Haltung in weiten Kreisen der schwedischen Gesellschaft, besonders beim Militär und bei führenden Politikern, einschließlich des Königs, veranlaßte den deutschen Gesandten in Stockholm, Freiherr Franz von Reichenau, zu der Annahme, daß Schweden ohne vertragliche Verpflichtung an der Seite Deutschlands in den Krieg gehen würde. Am 31. Juli 1914 erfolgte die Mobilmachung Österreich - Ungarns gegen Serbien. In Stockholm äußerte sich der Außenminister Wallenberg zur schwedischen Neutralitätserklärung, die zunächst nur für einen begrenzten Konflikt galt und den möglichen Kriegseintritt Rußlands nicht berücksichtigte, wie folgt: "... falls aber Rußland für Serbien eintreten und dadurch einen deutsch-russischen Krieg herbeiführen sollte, dann sei sich die jetzige Regierung mit Seiner Majestät dem König nicht einen Augenblick zweifelhaft, auf wessen Seite Schweden zu stehen habe."[11]. Am 1. August 1914 brach der deutsch-russische Krieg aus, doch Schweden blieb weiterhin neutral. Es erfolgte lediglich eine Erklärung Wallenbergs an Reichenau, daß Schweden seine Neutralität zu- gunsten Deutschlands aufgeben würde, wenn England in den Krieg gegen Deutschland eintrete. Der schwedische Gesandte in Berlin, Graf Arvid Taube, war von der politischen Haltung Deutschlands in den Tagen des Kriegsausbruchs so überzeugt, daß er für eine offene und aktive Stellungnahme Schwedens eintrat. Er hoffte, bald Antwort aus Stockholm über den Eintritt Schwedens an der Seite Deutschlands zu erhalten[12]. Das Auswärtige Amt in Stockholm dementierte jedoch die Aussage Wallenbergs und stellte lediglich fest, daß die strikte Neutralität Schwedens durch ein Eingreifen Englands erschwert werden könnte[13].
[...]
[1] Dieses Zitat stammt aus einer liberalen schwedischen Zeitung aus dem Jahr 1865.
[2] Vgl.: Carlgren, Neutralität, S. 138ff. .
[3] Vgl.: Schuberth, Schweden, Kap. 9, S. 135ff. .
[4] " In Verkennung der innenpolitischen Situation glaubte sie [die liberale Regierung, MK] sich jedoch Zeit für gründliche Voruntersuchungen zu den Verteidigungsproblemen ( zur Finanzierung und zu möglichen Einsparungen, zum Verhältnis zwischen Heer und Flotte und zur Länge der Übungszeiten der Wehrpflichtigen) nehmen zu können.". Vgl.: Schuberth, Inger: Schweden und das Deutsche Reich, Bonn 1981, S. 13. ( zit. als Schuberth, Schweden).
[5] Vgl.: Carlgren, W. M.: Neutralität oder Allianz, Uppsala 1962, S. 25. ( zit. als Carlgren, Neutralität ).
[6] "Bondetaget": Treffen der Bauern aus allen Reichsteilen in Stockholm, um ihre Königstreue und Verteidigungsbereitschaft zu demonstrieren. Im Februar 1914 waren zu diesem Treffen 32 000 Bauern nach Stockholm gekommen (aus dem Schwedischen). Vgl.: Lindblads Lexikon, Bd. 1, Stockholm 1925, S. 626f. zialdemokraten von 64 auf 74.". Vgl.: Schuberth, Schweden, S. 14.
[9] "Am 1. August 1914 sandte Hjalmar Branting, der Führer der Sozialdemokraten, das berühmte Telegramm aus Kisa in Südschweden, dessen Inhalt dem Einverständnis der Sozialdemokratie mit dem Burgfrieden gleichkam. Am 8. August 1914 ließ Karl Staaf seinen Brief an den Ministerpräsidenten Hammarskjöld veröffentlichen, in dem er mitteilte, die Regierung könne im Parlament mit der Unterstützung der Liberalen für die Regierungsvorlage betr. die Wehrdienstzeit rechnen.". Vgl.: Schuberth, Schweden, S. 14.
[10] "Das Gesetz über die Reichsgesetzgebung enthielt kurz gesagt die Bestimmung, daß alle Finnland in irgendeiner Weise betreffenden Gesetze von nun an vom russischen Reichstag erlassen werden sollten, und der russische Reichstag konnte jederzeit die auch sonst schon endlos lange Liste der `reichswichtigen´Angelegenheiten vergrößern.". Vgl.: Jutikkala, Eino: Geschichte Finnlands, Stuttgart 1976, S. 339.
[11] Zitat aus dem Telegramm Reichenau - AA Nr. 22 vom 25. 7. 1914, Akten AA, Schweden 56 Geheim, Bd. 2. Bei Carlgren, Neutralität, S. 34, Fußnote 1.
[12] Daß Taube durch Reichenau informiert wurde, geht hervor aus einem Brief von Taube an Wallenberg vom 7. August 1914. SAA [Archiv des schwedischen Außenministeriums, MK], Handarkiv 4. aus: Carlgren, Neutralität, S. 40ff. .
[13] Vgl.: Carlgren, Neutralität, S. 41ff. .
- Quote paper
- Michael Karl (Author), 1995, Gotland im Ersten Weltkrieg, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/135305
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