Die erste Puppe von Käthe Kruse bestand noch aus einer Kartoffel, die als Kopf diente, und einem mit Sand gefüllten Handtuch, das den Körper bildete. Fünf kleine Stoff-Elefanten aus Filz, mit Schafwolle ausgestopft und eigentlich als Nadelkissen für Erwachsene gedacht, bildeten die ersten Kuscheltiere von Margarete Steiff. Und eine zweiseitige Schrift über die Geburtenregelung nach der Knaus-Ogino-Lehre war der erste Sexartikel von Beate Uhse. So bescheiden begann die Erfolgsgeschichte von drei verdienstvollen deutschen Unternehmerinnen.
Wer es in der Welt der Wirtschaft zu etwas bringen will, muss in der Regel hart anpacken. Der märchenhafte Aufstieg zur „Grande Dame“ des deutschen Versandhandels beispielsweise gelang Grete Schickedanz dank ihres Fleißes und ihrer Intelligenz. Das Lehrmädchen Grete arbeitete an sechs Tagen in der Woche von sieben Uhr früh am Morgen bis spät in die Nacht sowie häufig an Sonn- und Feiertagen. Nach offiziellem Geschäftsschluss brachte sie die tagsüber versandfertig gemachten Pakete mit Leiterwagen zur Post oder zur Bahn.
In diesem Buch wird das Leben von zwölf Frauen aus dem Bereich Wirtschaft erzählt. Darunter befinden sich auch Frauen, die trotz allen Fleißes nicht reich geworden sind: nämlich die frühe deutsche Gewerkschafterin Emma Ihrer und die Göttinger Straßenhändlerin Charlotte Müller, die im Alter von 94 Jahren noch ihre Waren feilbot.
Die 13 Biographien aus dem Bereich Verkehr handeln meistens von Frauen, die in die Luft gingen, und nur in einem Fall von einer Dame, die auf dem Boden blieb. Bei den legendären Pilotinnen handelt es sich unter anderem um Jacqueline Auriol, Elly Beinhorn, Jacqueline Cochran, Amelia Earhart, Hanna Reitsch sowie um die erste Frau im Kosmos, Valentina Tereschkova.
Inhalt
Dank
Vorwort Der Start war hart
WIRTSCHAFT
Melitta Bentz Die Sächsin,
die Kaffeegeschichte schrieb
Lillian Moller Gilbreth Ein Leben
für die Rationalisierung
Caroline Hagenbeck Die jüngste Tierparkchefin Europas
Gertrud Höhler Plädoyer für eine neue
Unternehmenskultur
Emma Ihrer Die frühe
deutsche Gewerkschafterin
Käthe Kruse Die deutsche „Puppenmutter“
Charlotte Müller 37 Mit 94 Jahren
noch Straßenhändlerin
Christina („Tina“) Onassis Die größte Reederin
der Welt
Grete Schickedanz Die „First Lady
der deutschen Wirtschaft“
Margarete Steiff Die Näherin,
die eine Weltfirma gründete
Beate Uhse Die Gründerin
des ersten Sex-Shops
Monika Wulf-Mathies 59 Der erste weibliche
Gewerkschaftsboss in Deutschland
Weitere Frauen aus der Welt der Wirtschaft
Ida Altmann - Olive Ann Beech
- Marisa Bellisario - Paula Busch - Muhua Chen - Julia
Dingwort-Nusseck - Ursula Engelen-Kefer - Christine Englerth - Sybilla Fugger - Gertrud Hanna - Birgitta Jaeggle - Bertha Krupp von
Bohlen und Halbach - Sherry Lee Lansing - Anne Loughlin - Margret Mönig Raane -
Jennifer Neumann - Monika Schoeller - Helga Schuler - Friede Springer - Pauline Staegemann - Annemarie
Steigenberger - Jutta Stöcker - Paula Thiede - Rosemarie
Veltins - Elisabeth Weisenhorn
VERKEHR
Jacqueline Auriol Sie durchbrach
als erste Frau die Schallmauer
Maryse Bastié Die Fliegerin,
die acht Weltrekorde brach
Elly Beinhorn Deutschlands
Meisterfliegerin
Madeleine
Sophie Blanchard Die erste
professionelle Luftschifferin
Jacqueline Cochran Die „schnellste Frau der Welt“
Amelia Earhart Die erste Frau, die zwei Mal
den Atlantik überflog
Mercedes Jellinek Ein Kosename
für ein Automobil
Rita Maiburg Der erste
weibliche Linienflugkapitän
Christa McAuliffe Die amerikanische
Nationalheldin
Victoria („Vicki“)
van Meter Die jüngste Fliegerin
der Welt
Hanna Reitsch Die Pilotin
der Weltklasse
Valentina Tereschkova Die erste Frau
im Kosmos
Sabine Trube Die deutsche
Düsenjet-Kommandantin
Berühmte Fliegereinnen
und Ballonfahrerinnen
Florence „Pancho“ Barnes - Melli Beese-Boutard - Hélène Boucher - Bessie Coleman - Eileen Collins - Hélène Dutrieu
- Marga von Etzdorf - Mae Jemison - Amy Johnson- Mollison - Raymonde de La Roche - Anne Morrow Lindbergh - Prinzessin Anne Löwenstein-Wertheim - Shannon Lucid - Beryl Markham - Geraldine „Jerrie“ Mock - Käthe Paulus - Thérèse Peltier - Harriet Quimby - Barbara Allen Rainey - Thea Rasche - Wilhelmine Reichard
- Sally Kristen Ride - Svetlana Savitskaya - Blanche Stuart Scott - Melitta Schenk Gräfin von Stauffenberg - Katherine Stinson - Marjorie Stinson - Kathryn Sullivan - Kathy
Thornton
Meilensteine in der Geschichte
des Verkehrswesens
Literatur
Der Autor
Dank
Für Auskünfte, kritische Durchsicht von Texten
(Anmerkung: Etwaige Fehler gehen zu Lasten des Verfassers), mancherlei Anregung, Diskussion
und andere Arten der Hilfe danke ich herzlich:
Eric G. Ackermann,
Special Collections, University Libraries, Virginia Tech, Blacksburg Werner Baumbauer, Mackenrodt
Ulrich Biene,
Brauerei C. & A. Veltins GmbH, Meschede-Grevenstein Werner Bittner,
Deutsche Lufthansa AG, Public Relations Dienste, Firmenarchiv, Köln
Bundesarchiv Koblenz Deutsche Lufthansa AG,
Public Relations Dienste, Firmenarchiv, Köln Harald Enteneuer,
Bundesgeschäftsführer, Deutscher Luftwaffenring e. V., Bonn Sandra Friedrich,
Lufthansa CityLine GmbH, Unternehmenskommunikation, Köln Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen, Hauptvorstand, Düsseldorf
Göttinger Tageblatt, Archiv
Caroline Hagenbeck, Hamburg-Stellingen Hamburger Abendblatt,Textarchiv, Hamburg Gabi Henkel, Journalistin, Mainz
Professor Dr. Gertrud Höhler, Berlin Dr. Eleftherios Ikonomou,
Direktor, Stiftung für griechische Kultur, Zweigstelle Berlin Bette Davidson Kalash,
Jesse Davidson Aviation Archives
Käthe-Kruse-Puppenmuseum Donauwörth, Archiv Marianne Krumbiegel,
Arbeiterwohlfahrt, Bundesverband e. V. Rolf Lohmar,
Stadtarchiv Göttingen
Luftfahrt-Bundesamt, Braunschweig Alois Maiburg, Architekt, Wesseling Klaus Mertsching,
DGB-Archiv im Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn
Irmtrud Meyer,
Diplom-Bibliothekarin, Bonn Maurice G. Meyer,
Conseilleur Honoraire Extérieur de la France, Straßburg Lise-Lotte Mika, Baunatal
Dr. Moritz Graf Strachwitz,
Deutsches Adelsarchiv, Marburg Theodor Müller, Markoldendorf Bernd Neu, Archivar, Ingelheim Dr. Andreas Neuner,
Leiter Zentralbereich Kommunikation, Schickedanz Holding, Stiftung & Co. KG, Fürth/Bayern
Doris Probst, Mainz-Kostheim Sonja Probst, Mainz
Stefan Probst, Mainz-Kostheim Wolfgang Rabus,
Daimler Benz,
Classic Archiv, Stuttgart-Untertürkheim Norman G. Richards,
Archives Reference Team, Smithsonian National Air and Space Museum, Washington
Professor Dr. med. Bernd Rosemeyer, München
Wolf-Dieter Schaller, Flughafen Frankfurt Main AG Gaby Schöning,
Margarete Steiff GmbH, Giengen/Brenz
Karl-Dieter Seifert, Berlin Jutta Stöcker,
Vorstandsmitglied des Versicherungskonzerns „AXA Colonia“, Köln Sabine Trube,
Flugkapitän, Neuss Beate Uhse,
Beate Uhse Deutschland AG, Flensburg Stadtverwaltung Velten
Thomas Weimper,
Daimler Benz, Classic Archiv, Stuttgart-Untertürkheim Brigitte Winter,
Käthe Kruse Puppen GmbH, Donauwörth Tanja Wucherpfennig,
Referat Veranstaltungs-PR/Sponsoring, Stab Öffentlichkeitsarbeit, Unternehmensgruppe Melitta, Minden
Hannelore Zapf,
Condor Flugdienst GmbH, Kelsterbach Gerhard Zastrow,
Konrektor i. R.,
Stadtarchiv Bad Pyrmont
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Grete Schickedanz,
Foto: Schickedanz Holding AG & Co. Fürth/Bayern
VORWORT
Der Start war hart
Die erste Puppe von Käthe Kruse bestand noch aus einer Kartoffel, die als Kopf diente, und einem mit Sand gefüllten Handtuch, das den Körper bildete. Fünf kleine Stoff-Elefanten aus Filz, mit Schafwolle ausgestopft und eigentlich als Nadelkissen für Erwachsene gedacht, bildeten die ersten Kuscheltiere von Margarete Steiff. Und eine zweiseitige Schrift über die Geburtenregelung nach der Knaus-Ogino-Lehre war der erste Sexartikel von Beate Uhse.So bescheiden begann die Erfolgsgeschichte von drei verdienstvollen deutschen Unternehmerinnen.
Wer es in der Welt der Wirtschaft zu etwas bringen will, muss in der Regel hart anpacken. Der märchenhafte Aufstieg zur „Grande Dame“ des deutschen Versandhandels beispielsweise gelang Grete Schickedanz dank ihres Fleißes und ihrer Intelligenz. Das Lehrmädchen Grete arbeitete an sechs Tagen in der Woche von sieben Uhr früh am Morgen bis spät in die Nacht sowie häufig an Sonn- und Feiertagen. Nach offiziellem Geschäftsschluss brachte sie die tagsüber versandfertig gemachten Pakete mit Leiterwagen zur Post oder zur Bahn.
In diesem Buch wird das Leben von zwölf Frauen aus dem Bereich Wirtschaft erzählt. Darunter befinden sich auch Frauen, die trotz allen Fleißes nicht reich geworden sind: nämlich die frühe deutsche Gewerkschafterin Emma Ihrer und die Göttinger Straßenhändlerin Charlotte Müller, die im Alter von 94 Jahren noch ihre Waren feilbot. Die 13 Biographien aus dem Bereich Verkehr handeln meistens von Frauen, die in die Luft gingen, und nur in einem Fall von einer Dame, die auf dem Boden blieb. Bei den legendären Pilotinnen handelt es sich unter anderem um Jacqueline Auriol, Elly Beinhorn, Jacqueline Cochran, Amelia Earhart, Hanna Reitsch sowie um die erste Frau im Kosmos, Valentina Tereschkova.
Ernst Probst, im September 2001
WIRTSCHAFT
Melitta Bentz
Die Sächsin, die Kaffeegeschichte schrieb
Als Erfinderin einer Methode, die die Kaffeezubereitung revo- lutionierte, und als Gründerin eines bedeutenden Unternehmens ging die sächsische Hausfrau Melitta Bentz (1873-1950), geborene Liebscher, in die Wirtschaftsgeschichte ein. Sie kam 1908 auf die Idee, mit Hilfe eines Papierfilters den Kaffeesatz in den Tassen zu vermeiden, und meldete diese Erfindung beim Kaiserlichen Patentamt an. Einige Monate später gründete sie eine kleine Firma, aus der sich im Laufe der Zeit eine große Unternehmensgruppe entwickelte.
Der Kaffee wurde in Europa im 17. Jahrhundert bekannt und beliebt. Man bereitete ihn durch fünfminütiges Kochen von Wasser, das man durch ein Sieb mit gemahlenem Kaffeepulver goss, zu. Um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert benutzte man Keramik- oder Metallsiebe zum Filtern, die den Nachteil hatten, dass bei zu großen Filterlöchern der Kaffeesatz den Genuss trübte, und bei kleinen häufig die Löcher verstopften.
Als der am 31. Januar 1873 in Dresden geborenen Melitta Bentz ihre bahnbrechende Erfindung gelang, war sie 34 Jahre alt, mit Hugo Bentz (1873-1946) verheiratet, Hausfrau und Mutter zweier Kinder. Sie hatte sich schon lange über den unbekömmlichen Bodensatz ihres Kaffees geärgert, ehe ihr Abhilfe einfiel. Mit Hammer und Nagel schlug sie etliche Löcher in einen Messingtopf, legte ein Löschblatt aus dem Schulheft ihres ältesten Sohnes auf den Boden des siebartigen Gefäßes und erfand auf diese Weise den ersten Kaffeefilter, der satzfreien Kaffee lieferte. Bei einem Kaffeekränzchen mit Freundinnen wurde die Erfindung erprobt und begeistert aufgenommen.
Weil das anfangs verwendete Löschpapier zu langsam filterte, suchten Melitta Bentz und ihr Mann Hugo nach einer anderen Papiersorte, die das Wasser schneller durchließ. Außerdem ersetzten sie den Messingtopf durch einen aus Messing zusammengeschweißten, 13 Zentimeter hohen zylindrischen Filterapparat mit einem Wasserverteiler und einzulegendem Rundfilterpapier.
Die segensreiche Erfindung von Melitta Bentz wurde am 8. Juli 1908 auf Seite 1145 der Patentblätter des Kaiserlichen Patentamtes zu Berlin registriert. Damals erhielt sie für ihren „Kaffeefilter mit auf der Unterseite gewölbtem und mit Vertiefung versehenen Boden sowie mit schräg gerichteten Durchflußlöchern“ und dazugehörigem „Filtrierpapier“ Gebrauchsmusterschutz.
Am 15. Dezember 1908 erfolgte die Eintragung der Firma M. Bentz, Marschallstraße 31, in das Dresdner Handelsregister. Als Startkapital standen außer der Erfindung noch 73 Reichspfennige und ein 40 Quadratmeter großes Zimmer der Dresdner Fünf-Zimmer-Wohnung des Ehepaares Bentz in der Marschallstraße 31 zur Verfügung. Die Produktion der ersten Filter erfolgte in Handarbeit, später wurden sie in Auftrag gegeben. Hugo Bentz gab seine Stellung in einem Kaufhaus auf und engagierte sich nur noch in dem jungen Unternehmen. Die minderjährigen Söhne Horst und Willi übernahmen kleine Handreichungen und den Vertrieb. Sie karrten die anfangs kleinen Sendungen zum Fachhandel.
1910 verliehen der sächsische Gastwirteverein und das Kuratorium der internationalen Hygieneausstellung dem „Melitta“- Filtrierapparat goldene und silberne Medaillen. 1915 zog die Firma in die Dresdner Wilder-Mann-Straße 15 um, wo den 15 Mitarbeitern bereits 200 Quadratmeter Produktionsfläche zur Verfügung standen. 1920 wechselte das Unternehmen in die Wilder-Mann-Straße 11-13, wo man auf 800 Quadratmeter Fläche produzierte, die bald aber nicht mehr ausreichten. 1924 errichtete man einen Anbau.
Ab 1919 lieferte Melitta außer Filtern aus Aluminium auch solche aus Porzellan und Steingut, die von Fremdfirmen hergestellt wurden. Bis Mitte der 1920-er Jahre hatte man bereits 100.000 Filter produziert. Zum Schutz vor Nachahmern markierte Melitta ab 1925 die Filterpapierpackungen in der heute noch üblichen rot-grünen Farbkombination. 1927 platzte das Fabrikgelände aus allen Nähten, die 80 Beschäftigten arbeiteten in Doppelschichten. Da die Suche nach neuen und größeren Produktionsstätten in Dresden erfolglos verlief, siedelte das Unternehmen 1929 nach Minden/Westfalen um.
1937 erhielten die Filter und die Filtertüte von „Melitta“ ihre heute noch übliche Form. Seit dieser Zeit läuft der Filter unten schlitzförmig zu, womit die perfekte Form für Filterkaffee gefunden wurde: Die Filtrationszeit stimmte, und das Aroma konnte sich nun optimal entfalten, ohne dass zu viele Bitterstoffe gelöst wurden. Außerdem sparte man Kaffee dabei.
Melitta Bentz starb am 29. Juni 1950 im Alter von 77 Jahren in Holzhausen/Porta Westfalica in Nordrhein-Westfalen. Der Name „Melitta“ steht heute für eine Unternehmensgruppe international tätiger Markenartikelunternehmen. Sie erzielten zeitweise mit etwa 4450 Beschäftigten einen Umsatz von mehr als zwei Milliarden Mark (umgerechnet rund eine Million Euro). Am Stammsitz in Minden sind ca. 1400 Mitarbeiter beschäftigt. Geführt wird das Unternehmen von Melittas Enkeln Jörg, Thomas und Stephan Bent.
Lillian Moller Gilbreth
Ein Leben für die Rationalisierung
Eine der bedeutendsten Betriebsberaterinnen Amerikas war die Professorin und Schriftstellerin Lillian Moller Gilbreth (1878-1972), geborene Moller. Zusammen mit ihrem Mann Dr. Frank Bunker Gilbreth (1868-1924) entwickelte sie eine Methode, mit der sich die Arbeit im Beruf und im Haushalt spürbar erleichtern ließ, indem man die Zahl der Bewegungen, Wege und Handreichungen merklich verringerte.
Lillian Moller wurde am 24. Mai 1878 in Oakland (Kalifornien) geboren. Sie wollte Lehrerin werden und studierte Literatur und Philosophie an der Universität von Kalifornien. 1904 heiratete sie Dr. Frank Bunker Gilbreth, der Untersuchungen in der amerikanischen Wirtschaft über den Arbeitsablauf und seine Vereinfachung vornahm, die weltweit für die Rationalisierungsbewegung bedeutsam waren. Das Ehepaar beschloss nach der Hochzeit, eine Familie mit zwölf Kindern zu gründen. In dieser sollten all jene Methoden und Erfindungen wirksamer Arbeitserleichterungen erprobt werden, die Dr. Frank Bunker Gilbreth in vielen Jahren industrieller Erfahrung entdeckte. Beide Eheleute betrieben dieses Vorhaben in jeder Beziehung mit beachtlicher Präzision.
Trotz ihrer Belastung als Hausfrau und vielfache Mutter war Lillian Gilbreth von den Ideen ihres Mannes so angetan, dass sie sich völlig auf sein Werk konzentrierte. Zusammen mit ihrem Gatten gründete sie den Konzern Gilbreth Inc. zur Beratung in Fragen der Verwaltungs- technik.
Mit ihrer Dissertation über Unternehmer-Psychologie promovierte Lillian Moller Gilbreth 1915 zum „Doktor der Philosophie“. Zusammen mit ihrem Mann schrieb sie das Werk „Applied motion study“ (1917). Später verfasste Lillian zahlreiche weitere Bücher über Betriebswirtschaft und über Kindererziehung. Für ihre bahnbrechenden Arbeiten erhielt sie im Laufe ihres Lebens acht Ehrendoktortitel und zahlreiche andere Auszeichnungen.
Die Eheleute Gilbreth entwickelten eine Methode zur Einsparung unnützer und überflüssiger Bewegungen, Wege und Handreichungen im Büro, in den Fabrikhallen und im Haushalt. Diese Methode bezeichneten sie in Umkehrung ihres Familiennamens als „TherbligSystem“. Dadurch konnten auch Körperbehinderte wieder in den Arbeitsprozess eingegliedert werden.
Als ihr Mann 1924 starb, führte die Witwe alleine sein Werk fort. Sie leitete die Firma, hielt Vorträge, veranstaltete Kurse und unternahm Reisen in viele Länder. Bei einer Europareise im Herbst 1954 beriet sie auch deutsche Textilfachleute in Wildbad.
1935 erhielt Lillian Moller Gilbreth die Professur für Arbeitshandhbung an der Purdue-Universität in Lafayette (Indiana). Von 1941 bis 1943 oblag ihr die Leitung der Belegschaftsbeziehungen an der Ingenieurhochschule in New Jersey. Während des Zweiten Weltkrieges fungierte sie als Beraterin des amerikanischen Kriegsinformationsbüros. 1954 wurde der 76-jährigen Lillian Moller Gilbreth als erster Frau der „Washington Award“ verliehen. Dieser Preis gilt als höchste wissenschaftliche Auszeichnung der Vereinigten Staaten.
Am 2. Januar 1972 starb Lillian Moller Gilbreth im Alter von 93 Jahren in Phoenix (Arizona). Zwei ihrer Kinder, Frank Gilbreth und Ernestine Gilbreth Carey, schrieben das heiter-ernste Buch „Cheaper by the Dozen“ (1949, deutsch: „Im Dutzend billiger“). Darin schildern sie die Geschichte ihrer Jugend. Dieses Buch wurde unter demselben Titel verfilmt.
Caroline Hagenbeck
Die jüngste Tierparkchefin Europas
Zur jüngsten Chefin eines Tierparks in Europa stieg 1982 die 23- jährige Caroline Hagenbeck (1959-2005) auf. Zusammen mit ihrem Onkel, dem Tiermediziner Dr. Carl Claus Hagenbeck, leitete sie von 1982 bis 1989 den traditionsreichen „Tierpark Carl Hagenbeck“ in Hamburg-Stellingen. Zugleich war sie seit fünf Generationen die erste Direktorin dieses Unternehmens.
Caroline Hagenbeck wurde am 23. Februar 1959 als älteste von vier Töchtern des Zoodirektors Dietrich Thomas Hagenbeck (1933-1982) in Hamburg geboren. Als Kind verbrachte sie ihre Freizeit überwiegend im Tierpark. Nach dem Abitur machte sie eine Banklehre und ging danach für ein Jahr nach Großbritannien. Dort besuchte sie vier Monate lang ein College und arbeitete anschließend bei der Londoner „Commerz- bank“.
Weil sich der Gesundheitszustand ihres Vater zunehmend verschlechterte, brach Caroline Hagenbeck ihre Banklaufbahn ab und volontierte ein halbes Jahr lang im „Zoologischen Garten“ von Westberlin. 1981 trat sie in den „Tierpark Carl Hagenbeck“ ein. Nach dem Tod ihres Vaters übernahm sie mit ihrem Onkel die Verantwortung für dieses Unter- nehmen.
Als Gründer der berühmten Hagenbeckschen Tierparkdynastie gilt der legendäre Fischhändler Carl Gottfried Clas Hagenbeck (1810-1897). Dieser Pionier gründete 1848 mit einem „Waschbottich mit sechs Seehunden“ auf St. Pauli eine Handelsmenagerie. Er bot den Hamburgern häufig den Anblick von exotischen Tieren, beispielsweise den eines Eisbären aus Grönland, den ein Walfangkapitän mitbrachte. Carl Gottfried Clas Hagenbecks Sohn, Carl Hagenbeck (1844-1913), baute ab 1866 das Unternehmen weiter aus. Er erweiterte den Tierhandel, belieferte zoologische Gärten, organisierte Tierfang- expeditionen rund um den Erdball und gründete 1876 einen kleinen Zoo, der sich zu einem der ältesten und berühmtesten Privatzoos entwickelte. 1887 kam noch der „Zirkus Hagenbeck“ dazu, der die „zahme Dressur“ einführte.
Auf Carl Hagenbeck geht die Idee der Freigehege zurück, die den Tieren eine der Natur nachempfundene, nur durch Gräben vom Publikum getrennte Umgebung bietet. 1907 entstand der „Tierpark Carl Hagenbeck“ in Hamburg-Stellingen, der sich bis heute im Privatbesitz befindet und keine staatlichen Subventionen erhält.
Bevor Caroline Hagenbeck die Führung des „Tierparks Carl Hagenbeck“ übernahm, ist dieser von ihrem Vater Dietrich Thomas Hagenbeck und dem Tierarzt Dr. Carl Claus Hagenbeck geleitet worden. Bald nach ihrem Antritt als Zoodirektorin lernte sie, Entscheidungen zu treffen, die knallhart in der Sache zum Wohl des Unternehmens, jedoch verbindlich im Umgang mit ihren etwa 150 Angestellten waren.
In einem Interview mit dem „Hamburger Abendblatt“ erklärte Caroline Hagenbeck im November 1985, das Reißerische, das Grelle und Laute in der jüngsten Entwicklung des Freizeitangebotes mache ihr Sorgen. Die Welt der Videos halte die Menschen zu Hause, Automaten lockten sie in Spielhallen und Kasinos. Trotzdem wollte sie das Image von Hagenbeck nicht antasten, wenn der Showanteil vergrößert werde, dann immer in Verbindung mit Tieren. Eine Automaten-Spielhalle lehnte sie ab.
Im September 1987 heiratete Caroline Hagenbeck den Finanzkaufmann Joachim F. Weinlig, dessen Vater als Vorstandsvorsitzender der „Phoenix AG“ wirkte. Weinlig arbeitete in der Finanzabteilung der „Kraftwerk Union AG“ in Erlangen, bevor er 1988 zusammen mit Dr. Carl Claus Hagenbeck die Geschäftsführung der „Carl Hagenbeck GmbH“ übernahm.
Nach der Geburt ihres ersten Kindes im Februar 1989 zog sich Caroline Hagenbeck aus der Leitung des Unternehmens zurück. Es folgten noch zwei weitere Kinder. Ihre Hobbys waren Klavierspielen und Golf. Die Familie wohnte in Nähe des Tierparks, den jährlich etwa eine Million Menschen besuchen. Ende der 1980-er Jahre sah man dort - wie auch heute noch - etwa 2500 Tiere und fast 400 Arten.
Caroline Hagenbeck ist am 14. August 2005 nach langer und schwerer Krankheit im Alter von 46 Jahren gestorben. Walter Wolters, der Betriebsratsvorsitzende des Tierparks, erklärte, Caroline Hagenbecke habe Menschlichkeit, Größe und persönliche Bescheidenheit mit einem großen Namen verbunden.
Gertrud Höhler
Plädoyer für eine neue Unternehmenskultur
Deutschlands erfolgreichste Beraterin von Wirtschaft und Politik ist die Professorin Dr. Gertrud Höhler. In Büchern und Vorträgen plädiert sie für eine neue Unternehmenskultur, in der Vorbild, Überzeugungskraft, Begeisterungsfähigkeit und offene Kommunikation alte Befehlsstrukturen ersetzen. Große Wertschätzung genießt sie in vielen Gremien und Medien.
Gertrud Höhler kam am 10. Januar 1941 als zweites von vier Kindern des evangelischen Pfarrers Heinrich Höhler und seiner Frau Helene in Wuppertal zur Welt. In der Stadt an der Wupper wuchs sie auf und besuchte sie die Volksschule und das „Helmholtz-Gymnasium“. Von 1960 bis 1966 studierte Gertrud Höhler Literaturwissenschaft und Kunstgeschichte an den Universitäten Bonn, Berlin, Zürich und Mannheim. Ihre Heimatstadt Wuppertal sprach ihr 1964 den „Kulturpreis für Lyrik“ zu.
1967 promovierte Gertrud Höhler an der Universität Mannheim zum „Doktor der Philosophie“. Zwischen 1967 und 1972 arbeitete sie als wissenschaftliche Assistentin am „Lehrstuhl für Deutsche Philologie“ der Universität Mannheim. 1967 kam in Baden (Schweiz) ihr Sohn Abel Rainer Daniel zur Welt, den sie alleine aufzog.
1972 wurde die 31-jährige Gertrud Höhler als Akademische Rätin in den Gründungssenat der Universität Paderborn (Nordrhein-Westfalen) berufen. Ab 1976 wirkte sie als Professor für Allgemeine Literaturwissenschaft und Germanistik in Paderborn.
Seit 1978 verfasste Gertrud Höhler kultur- und gesellschaftskritische Bücher. Aus ihrer Feder stammen die Titel „Gesinnungskonkurrenz der Intellektuellen“ (1978), „Die Anspruchsgesellschaft“ (1979), „Das Glück. Analyse einer Sehnsucht“ (1981), „Die Kinder der Freiheit“ (1983), „Die Bäume des Lebens. Baumsymbole in den Kulturen der Menschheit“ (1985), „Die Zukunftsgesellschaft“ (1986), „Spielregeln des Glücks“ (1988), „Offener Horizont. Junge Strategien verändern die Welt“ (1988), „Virtuosen des Abschieds. Neue Werte für eine Welt im Wandel“ (1989), „Spielregeln für Sieger“ (1991), „Wettspiele der Macht“ (1994), „Herzschlag der Sieger. Die EQ-Revolution“ (1997). Zusammen mit dem Hirnphysiologen Michael Koch veröffentlichte sie das Buch „Der veruntreute Sündenfall. EntZweiung oder neues Bündnis?“ (1998). Es folgten die Titel „Wölfin unter Wölfen. Warum Männer ohne Frauen Fehler machen“ (2000), „Die Sinn Macher. Wer siegen will muss führen „(2002), „Warum Vertrauen siegt“ (2003), „Jenseits der Gier - Vom Luxus des Teilens“ und „Das Ende der Schonzeit. Alphafrauen an die Macht“ (2008).
Die elektronischen und die Printmedien wissen das journalistische Talent der Professorin und Beraterin ebenfalls sehr zu schätzen. Sie arbeitet für Rundfunk, Fernsehen, Zeitungen und Zeitschriften. Für das 3. Programm des „Westdeutschen Rundfunks“ (WDR) moderierte sie 1981 die kulturelle Reihe „Die Galerie“. Danach trat sie für das „Zweite Deutsche Fernsehen“ (ZDF) und den Privatsender „Sat 1“ als Kulturmoderatorin auf. Für den „Südwestfunk“ (SWF) leitet Gertrud Höhler seit 1996 die 90-minütige Sendung „Baden-Badener Disput“ mit Alfred Grosser, Peter Sloterdijk und anderen. Auch in Talkshows ist sie immer wieder ein gern gesehener Gast.
Bereits mehrfach sind Gertrud Höhler politische Ämter angeboten worden, doch sie lehnte diese stets ab. Seit 1985 arbeitet sie als Bera- terin für Wirtschaft und Politik. Wegen eines Beratervertrags für Fra- gen der Öffentlichkeitsarbeit beim Vorstandssprecher der „Deutschen Bank AG“, Dr. Alfred Herrhausen (1930-1989), ließ sie sich Ende 1987 für drei Jahre als Professorin beurlauben. In der Folgezeit entwickelte sie neue Strategien für eine zeitgemäße Kommunikation für die „Deutsche Bank“.
1988 wurde Gertrud Höhler in Aachen als erster Frau der Orden „Wider den tierischen Ernst“ verliehen. Die Rede hierzu erschien 1988 als Buch. Im gleichen Jahr erhielt sie den „Konrad-Adenauer-Preis für Liter- atur“.
Von Ende 1992 bis 1995 wirkte Gertrud Höhler als Non-Executive Director im Vorstand des britischen Lebensmittelkonzerns „Grand Metropolitan Plc“. Für ihre Wirtschaftstätigkeit verzichtete sie 1993 endgültig auf ihren Lehrstuhl in Paderborn. Im selben Jahr erhielt sie den Kulturpreis 1993 der „Stiftung für Abendländische Besinnung“, Zürich. Der „Deutsche Staatsbürgerinnen-Verband e. V.“ würdigte sie als „Frau des Jahres 1996“. Danach wurde sie 1997 Mitglied des Verwaltungsrates bei „Ciba Speciality Chemicals“ in der Schweiz.
Der Analyse von Gertrud Höhler haben sich bereits die meisten der 50 führenden deutschen Unternehmen bedient. Die viel gefragte Beraterin hält außerdem Vorträge zu kulturwissenschaftlichen Fragen, berät in Fragen der Öffentlichkeitsarbeit und Kommunikation, Führung und Unternehmenskultur und Kundenbeziehungen.
Den Rat von Gertrud Höhler schätzen zahlreiche Beiräte, Vorstände und Kuratorien im In- und Ausland. Sie war Beiratsmitglied bei VW und gehörte von 1986 bis 1993 dem Beirat des Verteidigungs- ministeriums für Fragen der Inneren Führung an, von 1989 bis 1995 dem Senat der „Fraunhofer-Gesellschaft“ und von 1990 bis 1993 dem Beirat des Ministers für Forschung und Technologie. Außerdem sitzt sie im Vorstand der „Deutschen Stiftung Denkmalschutz“ und der „Schweizerischen Management-Gesellschaft“ (SMG), Zürich.
Mitglied wurde Gertrud Höhler im „Kuratorium der Führungsakademie Baden-Württemberg“, der Universität Witten-Herdecke, des „Forums für Deutschland“ (1989-1993), der Stiftung „Alte liebenswerte Bäume in Deutschland“, der „Stiftung Luftbrückendank Berlin“ (1990-1994), der „Initiative Jugendpresse e. V.“ (IJP), der Hochschulzeitschrift „AUDIMAX“ und des „Red-Sea-Festival“, Israel.
Erholung von ihren vielfältigen Aktivitäten findet Gertrud Höhler bei ihren Hobbys Reiten, Skifahren, Waldlauf, Klavierspielen und Zeichnen. Ihr Sohn Abel arbeitet seit 1995 als Filmproduzent in München und hat eine kleine Tochter namens Luna (geboren 1996).
Im April 2007 wurde Gertrud Höhler in den neu geschaffenen Hochschulrat der Universität Paderborn gewählt. Seitdem gehört sie dem obersten Leitungsgremium ihrer ehemaligen Wirkungstätte an.
Emma Ihrer
Die frühe deutsche Gewerkschafterin
Als Vorkämpferin der gewerkschaftlichen Frauenarbeit in Deutschland gilt Emma Ihrer (1857-1911), geborene Faber Sie stritt für die soziale Besserstellung und Sicherung der Frauen, gehörte als erste Frau der „Generalkommission der Gewerkschaften Deutschlands“ an, gründete die politische Zeitschrift „Die Arbeiterin“ und leitete eine kleine Gewerkschaft. Ungeachtet ihrer unbestrittenen Leistungen ist sie heute fast vergessen.
Emma Faber, genannt Rother, kam am 3. Januar 1857 als Tochter eines Schuhmachers in Glatz (Schlesien) zur Welt. Während ihrer Kinderzeit wurde sie von ihren Eltern streng katholisch erzogen. Zu einem heute nicht mehr eruierbaren Zeitpunkt heiratete Emma Faber den 22 Jahre älteren evangelischen Missionarssohn und Apotheker Emanuel Ihrer (1835-1918), den sie in ihrem Geburtsort Glatz kennen gelernt hatte, wo er vom Mai 1873 bis Juli 1874 als Apotheker arbeitete. Danach war Ihrer in Jauer (Schlesien), Berlin und Perleberg tätig. Am 1. Februar 1877 gründete er in Velten bei Berlin die „ConcordiaApotheke“.
Die selbstbewusste, bildungshungrige und idealistische Emma Ihrer ging bald privat und politisch ihre eigenen Wege und setzte sich immer mehr für die Rechte der Frauen ein, was aus zahlreichen Polizeiakten hervorgeht. Im Veltener Apothekerhaus redigierte sie unter anderem die erste sozialistische Frauenzeitschrift Deutschlands.
1881 übersiedelte Emma Ihrer nach Berlin und arbeitete dort als Putzmacherin. Damals war in Deutschland das von 1878 bis 1890 geltende Sozialistengesetz in Kraft, mit dem der kaiserliche Obrig- keitsstaat die Sozialdemokratie und die Arbeiterbewegung unterdrückte. Gemäß dem preußischen Vereinsrecht durften sich Frauen nicht politisch betätigen.
Ungeachtet dessen schloss sich Emma Ihrer am 13. November 1883 in Berlin dem von Johanna Wecker im katholischen Vereinshaus gegründeten „Frauen-Hülfsverein für Arbeiterinnen“ an. Dieser Verein wollte die Mitglieder materiell und geistig fördern, ihre beruflichen Interessen vertreten, in Notfällen Darlehen gewähren und bei Erwerbstätigkeit Unterstützung zahlen.
Emanuel Ihrer, der Ehemann von Emma, litt jahrelang an hochgradiger Nervosität, weswegen ihn der Kreisphysikus bald nicht mehr für fähig hielt, als Apotheker zu arbeiten. Aus diesem Grund verpachtete Ihrer ab 1. Mai 1894 die Apotheke in Velten und zog ebenfalls nach Berlin.
Am 16. Februar 1885 nahm Emma Ihrer in Berlin zusammen mit etwa tausend Frauen im Uraniasaal an einer Beratung über die Lage der Arbeiterinnen teil. Aus dieser Versammlung ging der „Verein zur Vertretung der Interessen der Arbeiterinnen“ hervor. Vorsitzende wurden zunächst Dr. Marie Hofmann und Pauline Staegemann (1838-1909), Emma Ihrer fungierte als Schriftführerin.
Was dieser Verein vorhatte, ähnelte dem Aufgabenkatalog einer Gewerkschaft: Hebung der geistigen und materiellen Interessen, insbesondere der Lohnverhältnisse, gegenseitige Unterstützung bei Lohnstreitigkeiten, Aufklärung durch fachgewerbliche und wissen- schaftliche Vorträge, Beschaffung einer Bibliothek, Pflege der Kolle- gialität durch gesellige Zusammenkünfte und die Einführung eines Arbeitsnachweises.
Der „Verein zur Vertretung der Interessen der Arbeiterinnen“ erhielt in Berlin und anderen deutschen Städten großen Zulauf und zählte bald mehrere tausend Mitglieder. In Berlin musste wegen des Zustroms ein Zweigverein geschaffen werden. 1886 wurde der Verein aufgrund des Vereinsgesetzes verboten.
Dr. Marie Hofmann, Pauline Staegemann, Emma Ihrer und Johanna Jagert kamen im Dezember 1886 vor Gericht. Man warf ihnen vor, ihr Verein habe politischen Charakter und mit dem ebenfalls politischen „Verein der Mantelnäherinnen Berlins“ Verbindung unterhalten, was verboten sei. Die Frauen wurden zu Strafen zwischen 60 und 100 Mark verurteilt, was damals viel Geld war.
Die Arbeiter Berlins sandten Emma Ihrer als Delegierte zum Gründungskongress der „II. Internationale“ nach Paris, der vom 14. bis 20. Juli 1889 zusammentrat. Dort wurde der 1. Mai zum internationalen Kampf- und Streiktag erklärt. Nach ihrer Rückkehr aus Paris, wo sie als Sprecherin der deutschen Arbeiterinnen eine viel beachtete Rede hielt, war Emma mehr als je zuvor von der Notwendigkeit der Organisierung von Frauen überzeugt. Seit 1889 leitete sie die Frauenagitations- kommission.
Am 10. Mai 1890 drang Emma Ihrer zusammen mit einer anderen Genossin zum preußischen Innenminister Ernst Ludwig Herrfurth (1830-1900) vor und erreichte von ihm die Zusage, dass von Frauen für Frauen einberufene Versammlungen nicht mehr verboten werden. Nach dem Fall des Sozialistengesetzes im Herbst 1890 bestand Emma Ihrer darauf, die Statuten der neu gegründeten Zentralverbände so abzufassen, dass auch Frauen Mitglieder werden konnten. Heinrich Meister (1842-1906), der Vorsitzende des zentralen Verbands- ausschusses des Tabakarbeiterverbandes, machte dies bei der „Ersten Konferenz der Gewerkschaften Deutschlands“ am 16./17. November 1890 in den Arminhallen in Berlin zum Antrag, der einstimmig angenommen wurde.
Dieselbe Konferenz beschloss auch die Gründung der „Generalkommission der Gewerkschaften Deutschlands“, die als die größte Vorläuferorganisation des heutigen „Deutschen Gewerkschaftsbundes“ (DGB) gilt. In die Generalkommission wurden sechs Männer und eine Frau, nämlich Emma Ihrer, gewählt. Carl Legien (1861-1920) fungierte bis 1919 als Vorsitzender.
1891 hob Emma Ihrer die politische Zeitschrift „Die Arbeiterin“ aus der Taufe. Diese Publikation erschien zunächst in Hamburg und hatte Startschwierigkeiten. 1892 wurde die Zeitschrift vom „Verlag J. H. W.
Dietz“ in Stuttgart übernommen und in „Gleichheit“ umbenannt. Emma Ihrer fungierte als Herausgeberin und schlug die Politikerin Clara Zetkin (1857-1933) für die Redaktion vor.
Im November/Dezember 1892 stand Emma Ihrer nach einer Anzeige des Kriegsministers vor Gericht. Sie sollte in einer Versammlung die Offiziere und Fähnriche der ganzen Armee beleidigt zu haben. Stein des Anstoßes war der Satz, „dass gerade die Proletarier weit mehr als die Bourgeoissöhne unter den Kriegsgelüsten zu leiden haben, da namentlich die Herren Leutnants und Fähnriche mit ihren zarten Händen hinten stehen und die Kanoniere ins Feuer schicken“. Das Gericht verurteilte Emma zu 200 Mark Geldstrafe.
Auf dem „Ersten Kongress der Gewerkschaften Deutschlands“ vom 14. bis zum 18. März 1892 in Halberstadt (Sachsen-Anhalt) kandidierte Emma Ihrer nicht mehr für einen Sitz in der Generalkommission. Ihre Nachfolgerin wurde Wilhelmine Kähler (1869-1955), die Vorsitzende des „Verbandes für Hausangestellte“.
Am 19. Februar 1895 wurde die von Emma Ihrer geleitete Frauenagitationskommission vom Berliner Polizeipräsidenten mit dem Hinweis auf die „noch in letzter Zeit in Versammlungen betriebene Agitation für das Wahlrecht der Frauen“ untersagt. Paula Thiede (1870- 1919), eine Freundin und Kampfgefährtin Emma Ihrers, übernahm am 1. Juni 1898 als erste Frau den Vorsitz einer gewerkschaftlichen Zentralorganisation mit Männermehrheit: Sie leitete den „Verband der Buch- und Steindruckerhilfsarbeiter“.
1903 schrieb Emma Ihrer die Agitationsschrift „Die Arbeiterinnen im Klassenkampf“. In jenem Jahr wurde sie auch Vorsitzende einer kleinen Gewerkschaft, die sie mit dem Schwerpunkt in und um Berlin aufbaute. Dabei handelte es sich um den „Zentralverband der in der Blumen-, Blätter-, Palmen- und Putzfederfabrikation beschäftigten Arbeiter und Arbeiterinnen Deutschlands“. Deren Zeitschrift „Der Blumenarbeiter“ wurde von Emma redigiert.
Ab 1904 fungierte Emma Ihrer als Vorsitzende eines gewerkschaftlich orientierten Frauenkomitees, das die Frauenarbeit voranbringen und Kongressbeschlüsse verwirklichen wollte. 1905 wurde bei der „Ge- neralkommission der Gewerkschaften Deutschlands“ in Berlin ein Arbeiterinnensekretariat geschaffen und mit Ida Altmann (1862-1935) besetzt. Wichtige Aufbauarbeit leistete Emma für den „Centralverband der Hausangestellen und Dienstboten Deutschlands“, der am 1. April 1909 seine Arbeit aufnahm.
In ihren letzten Jahren lebte Emma Ihrer mit dem erwähnten Vorsitzenden der Generalkommission, Carl Legien, ohne Trauschein zusammen. Die beiden wohnten in einem von ihnen erworbenen Haus in Niederschönhausen bei Berlin.
Nach langer Krankheit starb Emma Ihrer am 8. Januar 1911 im Alter von 54 Jahren in Berlin, was ihren Lebensgefährten so erschütterte, dass er viele Wochen arbeitsunfähig blieb. Emma wurde am 11. Januar 1911 in Berlin-Friedrichsfelde beigesetzt. Auf ihrem Grabstein, der sich heute im „Rondell der Sozialisten“ befindet, steht die Inschrift: „Für andere zu wirken - war ihres Lebens ergiebigster Quell“. Das Bundespostministerium gab am 9. Februar 1989 eine Sonderbriefmarke mit dem Bild von Emma Ihrer heraus.
Käthe Kruse
Die deutsche „Puppenmutter“
Deutschlands berühmteste „Puppenmutter“ war die Kunst- gewerblerin Käthe Kruse (1883-1968), geborene Katharina Simon. Anfangs bastelte nur sie alleine wunderschöne Puppen für ihre eigenen Kinder. Später erfreuten die in ihren Werkstätten hergestellten kleinen „Schlenkerchen“, „Träumerchen“, „Hampelchen“, „Däumlinchen“, „Mummelchen“, „Pummelchen“ und „Dorli“ unzählige Mädchen und sogar erwachsene Frauen.
Katharina Simon, genannt Kathel, wurde am 17. September 1883 als uneheliche Tochter des städtischen Beamten Robert Rogaske und der Näherin Christiane Simon in Breslau (Schlesien) geboren. Ihre Mutter zog sie alleine auf und musste in der einzigen Stube, die beide bewohnten, viele Stunden am Tag und oft auch mehr als die halbe Nacht an der Nähmaschine sitzen, um den Lebensunterhalt zu verdie- nen.
Viele kleine Wünsche von Katharina scheiterten an chronischem Geldmangel. Häufig hörte sie von ihrer Mutter den Satz: „Das können wir uns nicht leisten“. Sie liebte Tiere über alles, doch sie durfte nicht einmal ein kleines Kätzchen behalten. An Puppen fand sie damals keinen Gefallen, das galt vor allem für „Perdita“, ein Geburtstagsgeschenk von Tante Paula.
Nach dem Verlassen der Mittelschule ließ sich die 16-jährige Katharina Simon mit Billigung ihrer Mutter zur Schauspielerin ausbilden. Mit 17 Jahren erhielt sie ihr erstes Engagement am Berliner Lessingtheater, wo sie in „Nora“ und „Jugend“ ihre ersten Triumphe auf der Bühne feierte. Ihre damalige Monatsgage betrug beachtliche 250 Mark. Die junge Künstlerin wählte das Pseudonym „Hedda Somin“ und machte Karriere. In Berlin lernte sie im „Café des Westens“ den 30 Jahre älteren Bildhauer Max Kruse (1854-1942) kennen, dessen Geliebte sie wurde. 1902 brachte die 19-Jährige die uneheliche Tochter Maria zur Welt, die den Kosenamen „Mimerle“ erhielt. 1904 folgte die Tochter Sofie („Fifi“).
Zunächst lebte die unverheiratete Mutter mit ihren beiden Töchtern in einer Künstlerkolonie bei Ascona im Schweizer Kanton Tessin, während sich ihr Lebensgefährte zeitweise in seinem Atelier im fernen Berlin aufhielt. Erst im März 1909 haben Käthe Simon und Max Kruse in München die Ehe geschlossen. Insgesamt hatten beide sieben Kinder, nämlich vier Jungen und drei Mädchen.
Die Geschichte der berühmten „Puppenmutter“ begann vor Weihnachten 1905 im Tessin. Damals wünschte sich die dreijährige „Mimerle“ ein Baby, als sie beobachtete, wie liebevoll die Mutter ihre Schwester Sofie pflegte. Deswegen bat ihre Mutter den in Berlin arbeitenden Vater um eine Puppe. Als dieser vergeblich nach einer schönen Puppe suchte, gab er den Rat: „Ick koof euch keene, macht euch selber welche“.
Der erste Versuch bestand aus einer Kartoffel, die als Kopf diente, und einem mit Sand gefüllten Handtuch, das den Körper bildete, bei dem die Arme und Beine abgeknotet wurden. Dieses primitiv wirkende Produkt hielt nicht lange. Doch bald brachte es Käthe dank ihres handwerklichen Geschicks und guten Geschmacks sowie des künstlerischen Einflusses ihres Gatten zu erstaunlicher Fertigkeit im Herstellen von kunsthandwerklich gefertigten Stoffpuppen. 1910 entwickelte sie in München einen Puppenkopf, der ihr gut gefiel. Ihn überzog sie mit Stoff und goss die Hülle mit Wachs aus.
Auf Drängen eines mit ihr befreundeten Kunsthistorikers namens Fritz Stahl nahm Käthe Kruse 1910 am Preisausschreiben „Spielzeug aus eigener Hand“ des Berliner Kaufhauses Tietz teil. Bei der anschließenden Ausstellung der prämiierten Modelle sind ihre Puppen erstmals öffentlich präsentiert worden. Das Echo bei Publikum und Presse war so erfreulich, dass sie überlegte, die Puppenherstellung aufzunehmen. Den entscheidenden Anstoß für eine eigene Produktion im großen Stil gab ein Telegramm aus den USA, mit dem 150 solcher Puppen bestellt wurden.
Käthe Kruse begann 1912 in Bad Kösen an der Saale (Sachsen-Anhalt) in einer eigenen Werkstätte die Fertigung von Puppen aufzunehmen. Dort entstanden Puppen, die allmählich Deutschland und die Welt eroberten. Bei der Weltausstellung in Paris gewannen ihre Erzeugnisse den „Grand Prix“ und bescherten ihr umfangreiche Aufträge aus der ganzen Welt.
Jede Puppe von Käthe Kruse besitzt einen eigenen Charakter, zeigt einen individuellen Gesichtsausdruck. Jedes Gesichtchen wird handgemalt. Die Puppe trägt unterschiedliche handwerklich gefertigte Kleidung. Als die bekanntesten Typen gelten die Puppen „Eins“ (1911), „Das Schlenkerchen“ (1922) und das „Träumerchen“ (1925). Letzteres sollte gar kein Spielzeug, sondern ein möglichst lebensechtes Modell für Säuglingskurse sein. Ab 1928 stellte Käthe Kruse auch Schaufen- sterfiguren her, die so echt aussahen, dass sie die Wirklichkeit im Schaufenster inszenierten.
Während des Zweiten Weltkriegestarb Käthe Kruses Mann Max. Außerdem fielen zwei ihrer Söhne: Friedebald, der für viele Puppen Modell gestanden hatte, und Jochen. Zusammen mit ihren übrigen Kindern führte Käthe Kruse die Werkstatt in Bad Kösen weiter, bis die politischen Verhältnisse in der damaligen Ostzone die Arbeit unmöglich machten. 1950 wurde ihre Werkstatt unter Treuhänderschaft gestellt und 1954 in einen „Volkseigenen Betrieb“ (VEB) umgewandelt.
Die Söhne Max und Michael sorgten nach dem Zweiten Weltkrieg für den Umzug nach Westdeutschland und bauten 1945 in Bad Pyrmont und 1947 in Donauwörth die Werkstätten wieder auf. Die Produktion in Bad Pyrmont begann um die Jahreswende 1945/1946 und bestand bis Anfang 1949.
1950 zog Käthe Kruse nach Donauwörth. Die Tochter Sophie („Fifi“) Rehbinder, eine Bildhauerin, übernahm die künstlerische Leitung der Firma in Donauwörth, während die Tochter Hanne zusammen mit ihrem Mann Hans Adler den Betrieb führte. Max Kruse, der Dichter, lebt in Penzberg (Oberbayern).
Bis zuletzt achtete Käthe Kruse sorgfältig darauf, dass keines der Puppenkinder einen „falschen Blick“ bekam. In ihrer Autobiographie „Das große Puppenspiel“ (1951) schilderte sie ihr Lebenswerk. 1956 wurde ihr das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse verliehen. Zu ihrem 80. Geburtstag im September 1963 gratulierte ihr auch der damalige Bundeskanzler Dr. Konrad Adenauer (1876-1967) telegraphisch.
Am 19. Juli 1968 starb Käthe Kruse wenige Wochen vor ihrem 85. Geburtstag in Murnau (Bayern). Bis zuletzt wurde sie von ihrer ältesten Tochter „Mimerle“ gepflegt. Die Käthe-Kruse-Puppenwerkstätten blieben bis 1990 in Familienbesitz. Das Andenken der berühmten „Puppenmutter“ wird im Käthe-Kruse-Puppen-Museum in Donauwörth wachgehalten.
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- Arbeit zitieren
- Ernst Probst (Autor:in), 2001, Superfrauen 4 - Wirtschaft und Verkehr, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/135292
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