In der vorliegenden Bachelorarbeit soll sich mit folgender Fragestellung auseinandergesetzt werden: Inwiefern werden interkulturelle Fremderfahrungen in der Comicserie "Asterix" seit der Erstveröffentlichung der Comics dargestellt und in welchem Ausmaß korreliert diese Darstellung mit realen gesellschaftlichen Veränderungen im Bereich der interkulturellen Kommunikation?
Um dies zu beantworten, werden mehrere Szenen aus unterschiedlichen Asterix-Comicbänden beispielhaft einer Analyse unterzogen. Zur Strukturierung der Analyse dienen bestimmte Analysekategorien, mithilfe derer sich die Comicszenen koordiniert nacheinander begutachten lassen. Diese werden im weiteren Verlauf der Arbeit konkret vorgestellt.
Sowohl die Stereotype als auch andere Interkulturalitätsmerkmale zeugen von einer gewissen Beständigkeit: Sie ziehen sich konsequent durch die Handlungsstränge der Comics und sind somit in den älteren Comics aus den 1960er Jahren sowie in den neueren Comics der Serie zu finden. Da der Zeitraum, in dem die Comicbände bislang veröffentlicht wurden jedoch relativ groß ist – er beträgt 62 Jahre –, lässt dies die Frage aufkommen, ob sich die in der Comicserie dargestellte Interkulturalität nicht trotzdem im Hinblick auf die zuvor genannten Merkmale geändert hat.
Diese Frage ist zum Beispiel deshalb interessant, da Comics die Fähigkeit zugeschrieben wird, "Meinungen, Verhaltensregeln, Selbstdarstellungen und Deutungen von Ereigniszusammenhängen" in Bezug auf eine bestimmte Zeitperiode zu konservieren. So gesehen können sie wie eine Art Spiegel der Gesellschaft gelesen oder, wie Ksenia Kuzminykh es nennt, als "kulturelle Erinnerungsmarker" interpretiert werden. Diese Zuschreibung impliziert, dass die in den Asterix-Comics dargestellte Interkulturalität nicht zwingend gleichbleibend ist, sondern wie auch die Gesellschaft eine stetige Entwicklung durchmacht.
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
1) Einleitung
1.1) Einführung in die Thematik
1.2) Plausibilisierung der Fragestellung
2) Begriffsklärungen: Interkulturalität, Fremdheit und Kultur
2.1) Interkulturalität
2.2) Fremdheit
2.3) Kultur
3) Forschungsstand
4) Methodik
4.1) Der Analyseansatz
4.2) Beschreibung des Analysekorpus
4.3) Methodisches Vorgehen
4.3.1) Analysekategorien
4.3.2) Zeichenmodalitäten
5) Comics
6) Hypothesen
7) Analyse
7.1) Szene 1: Asterix und Grautvornix interagieren mit Olaf Maulaf
7.2) Szene 2: Stellartoix lädt Majestix, Asterix und Obelix zum Essen ein
7.3) Szene 3: Asterix, Obelix und Troubadix lernen Washupdah kennen
7.4) Szene 4: Tuun warnt die Gallier vor den Nagmas
7.5) Szene 5: Der Mac Aphon-Clan feiert mit Asterix und Obelix
7.6) Szene 6: Asterix interagiert mit Matrjoschkowa
8) Auswertung
9) Evaluation
Literaturverzeichnis
Anhänge
Abbildungsverzeichnis
Abb. 1: Ferri, Jean-Yves / Didier Conrad (2013): Asterix bei den Pikten [Deckblatt]. Berlin, Köln: Egmont Ehapa Verlag.
Abb. 2: Goscinny, René / Albert Uderzo (1971): Asterix und die Normannen. Stuttgart: Ehapa-Verlag, 37.
Abb. 3: Goscinny, René / Albert Uderzo (1979): Asterix bei den Belgiern. Stuttgart: Delta Verlag, 19.
Abb. 4: Uderzo, Albert (1987): Asterix im Morgenland. Berlin, Köln: Ehapa-Verlag, 35f.
Abb. 5: Uderzo, Albert (2005): Gallien in Gefahr. Berlin, Köln. Egmont Ehapa Verlag, 16.
Abb. 6: Ferri, Jean-Yves / Didier Conrad (2013): Asterix bei den Pikten. Berlin, Köln: Egmont Ehapa Verlag, 29.
Abb. 7: Ferri, Jean-Yves / Didier Conrad (2021): Asterix und der Greif. Berlin: Egmont Ehapa Media GmbH, 13.
Anmerkung der Redaktion: Die Abbildungen wurden aus urheberrechtlichen Gründen entfernt.
1) Einleitung
1.1) Einführung in die Thematik
Die Vorstellung von Nationen als abgeschlossene homogene Entitäten ist durch das Phänomen der Globalisierung immer wieder aufs Neue herausgefordert worden (vgl. Holmes 2015, 241). Besonders in den letzten Jahrzehnten haben nationale Grenzen aufgrund der vielen technischen Errungenschaften, die es einem ermöglichen trotz weiter Entfernungen miteinander zu kommunizieren und schnell von einem Ort zum anderen zu gelangen, für viele Menschen an Bedeutung verloren. Mit der erweiterten Mobilität und digitalen Vernetzung ist nicht nur die Anzahl der internationalen Reisen oder der internationalen Verbände, sondern gleichzeitig auch die der Kulturkontakte rasant angestiegen (vgl. Stenger 1998, 20). Fast täglich begegnen sich mittlerweile Menschen, die aus verschiedenen sozialen Schichten, Regionen oder Ländern, genauer gesagt, Kulturräumen stammen und dadurch teilweise unterschiedliche Ansichten und Lebensstile besitzen. Dies führt dazu, dass zwischen Ihnen sowohl kulturelle Praktiken als auch Sprachen, Religionen und Wertesysteme miteinander verglichen, rekonstruiert, verlagert, angefochten und neu ausgehandelt werden (vgl. Holmes 2015, 241).
Die Interaktionen, in dessen Rahmen solche Aushandlungsprozesse stattfinden, lassen sich häufig als interkulturell und somit als Interkulturalität bezeichnen. Interkulturalität liegt dann vor, wenn die Interagierenden sich ihrer kulturellen Eigenheiten und Unterschiede im Laufe der Interaktion bewusst werden oder sie diese gezielt zum Ausdruck bringen (vgl. van Maele / Schelkens / Mertens 2021, 81). Das lateinische Präfix des Begriffs, Inter-, steht hierbei für das Dazwischen bzw. für die spannungsgeladene Überschneidungsebene, die sich während des wechselseitigen Austausches zwischen den Angehörigen der verschiedenen Kulturräume bildet (vgl. Nazarkiewicz 2016, 26).
Das Phänomen der Interkulturalität ist nicht nur im Zusammenhang mit realen Kulturkontakten gegeben, sondern stellt auch ein beliebtes Motiv in fiktiven Geschichten dar, die im Buch-, Film- oder auch im Comicformat erzählt werden. Als besonders bekannt gelten die verschiedenen Abenteuergeschichten der französischen Comicserie Asterix. Hier wird den RezipientInnen eine speziell humoristische Perspektive auf interkulturelle Begegnungen zwischen Angehörigen unterschiedlicher Völker geboten, welche von Prozessen der Kolonialisierung, Eroberung, Akkulturation und Assimilation geprägt sind (vgl. Darlage 2021, 21, 24). So treffen die männlichen Protagonisten in den bislang 39 erschienenen Comics der Serie beispielsweise immer wieder auf ihre römischen Erzfeinde, müssen im Auftrag ihres Anführers verschiedene Aufträge im Ausland ausführen – zum Beispiel im antiken Rom, Schottland und in der Schweiz – oder bekommen Besuch von geladenen oder ungebetenen Gästen. Dabei kommt es nicht selten zu komischen oder unangenehmen Zwischenfällen, denn vielen Figuren, die dabei die Bekanntschaft der Protagonisten machen, ist deren spezielle Lebensweise äußert fremd.
Erschaffen wurde die Comicserie von dem französischen Autor René Goscinny und dem französischen Zeichner Albert Uderzo, die in den frühen 1950er Jahren als Kollegen für dieselben Presseagenturen arbeiteten und sich später als selbstständiges Künstlerduo zusammenschlossen (vgl. Nye 1980, 182). Obwohl aus der Kooperation der beiden Künstler noch weitere Comicserien hervorgingen, stellt die Asterix-Serie ihr mit Abstand bekanntestes Werk dar. Bereits über 370 Millionen Comicbände der Serie wurden weltweit verkauft, und zwar in insgesamt 80 Ländern und in ca. 100 Sprachen und Dialekten (vgl. Gundermann 2009, 115). Zusätzlich zu den Comicbänden gibt es einige Realverfilmungen und Zeichentrickfilme, die auf der Serie basieren. Ein besondere Attraktion für Fans stellt zudem der sogenannte „Parc Astérix“ dar, Frankreichs zweitgrößter Vergnügungspark, der die Welt der Comicserie auf begrenzten Raum Wirklichkeit werden (vgl. Gundermann 2009, 119f.).
Die Comicserie handelt von dem Gallier Asterix, der sich im Jahr 50 v. Chr. gemeinsam mit seinem besten Freund Obelix, dessen Hund Idefix und weiteren BewohnerInnen eines kleinen Dorfes gegen die römischen Besatzer in seiner Heimat auflehnt. Dabei imaginiert die Serie eine fiktive Realität nach der Zeit des Gallischen Kriegs um 52 v. Chr., in der nicht alle GallierInnen1 von dem römischen Feldherren Julius Cäsar unterworfen wurden, sondern ein kleines Dorf in der westlichen Küstenregion Galliens weiterhin fleißigen Widerstand leistet (vgl. Darlage 2021, 21). Dreh- und Angelpunkt dieses Widerstands stellt der Zaubertrank des Dorfdruiden Miraculix dar, der den GallierInnen übermenschliche Kräfte verleiht und sie so unbezwingbar erscheinen lässt (vgl. Houzé 1993, 2).
Die DorfbewohnerInnen stoßen im Rahmen der Asterix-Comics auf eine Vielzahl anderer Völker, sodass interkulturelle Interaktionen und Anspielungen auf die kulturellen Unterschiede zwischen den Völkern häufig gegeben sind. Wie zuvor erwähnt, sind diese oftmals von Missverständnissen, Befremdungsgefühlen, ethnozentrischen Denkstrukturen, humoristischen Verhaltensweisen und hyperbolischen Stilelementen geprägt. Ein weiteres Merkmal stellen sogenannte Stereotype dar, mit denen „stark vereinfachte, generalisierende und gleichzeitig starre Meinungen über Gruppen“ (Elsen 2020, 24) bezeichnet werden. Diese haben grundsätzlich eine positive Funktion: Bei Begegnungen mit fremden Personen dienen sie Menschen als anfängliche Orientierungshilfe, um ihre Gegenüber besser einordnen zu können. So gesehen lassen sich Stereotype als Leerstellen betrachten, die zunächst mit oberflächlichem Wissen angereichert sind und später durch Erfahrungen ersetzt werden sollen (vgl. Bolten 2007, 56). Geschieht dies jedoch nicht, können sie eine verfälschende und ungleichheitsgenerierende Wirkung haben, so wie es im Rahmen der Asterix-Comics oftmals der Fall ist (vgl. Elsen 2020, 25).
1.2) Plausibilisierung der Fragestellung
Sowohl die Stereotype als auch andere Interkulturalitätsmerkmale zeugen von einer gewissen Beständigkeit: Sie ziehen sich konsequent durch die Handlungsstränge der Comics und sind somit in den älteren Comics aus den 1960er Jahren sowie in den neueren Comics der Serie zu finden. Da der Zeitraum, in dem die Comicbände bislang veröffentlicht wurden jedoch relativ groß ist – er beträgt 62 Jahre –, lässt dies die Frage aufkommen, ob sich die in der Comicserie dargestellte Interkulturalität nicht trotzdem im Hinblick auf die zuvor genannten Merkmale geändert hat.
Diese Frage ist zum Beispiel deshalb interessant, da Comics die Fähigkeit zugeschrieben wird „Meinungen, Verhaltensregeln, Selbstdarstellungen und Deutungen von Ereigniszusammenhängen“ (Gundermann 2009, 16) in Bezug auf eine bestimmte Zeitperiode zu konservieren. So gesehen können sie wie eine Art Spiegel der Gesellschaft gelesen oder, wie Ksenia Kuzminykh es nennt, als „kulturelle Erinnerungsmarker“ (Kuzminykh 2015, 75) interpretiert werden (vgl. Simic 2016, 10; Dittmar 2008, 32; Näpel 2003, 312). Diese Zuschreibung impliziert, dass die in den Asterix-Comics dargestellte Interkulturalität nicht zwingend gleichbleibend ist, sondern wie auch die Gesellschaft eine stetige Entwicklung durchmacht.
Aus den soeben dargelegten Gründen soll sich in der vorliegenden Bachelorarbeit mit folgender Fragestellung auseinandergesetzt werden: Inwiefern werden interkulturelle Fremderfahrungen in der Comicserie Asterix seit der Erstveröffentlichung der Comics dargestellt und in welchem Ausmaß korreliert diese Darstellung mit realen gesellschaftlichen Veränderungen im Bereich der interkulturellen Kommunikation?
Um dies zu beantworten, werden mehrere Szenen aus unterschiedlichen Asterix-Comicbänden beispielhaft einer Analyse unterzogen. Zur Strukturierung der Analyse dienen bestimmte Analysekategorien, mithilfe derer sich die Comicszenen koordiniert nacheinander begutachten lassen. Diese werden im weiteren Verlauf der Arbeit konkret vorgestellt.
Die Auseinandersetzung mit der soeben genannten Fragestellung erscheint deshalb relevant, da sie Raum für einen kritischen und reflexiven Umgang mit Darstellungen von Interkulturalität und Fremdheit in den Asterix-Comics im Allgemeinen schaffen könnte. Ein solcher Raum erscheint angesichts des Status der Serie als ein „Massenmedium2 der Populärkultur“ (Gundermann 2009, 128) als durchaus wichtig. Schließlich handelt es sich bei Asterix um eine der erfolgreichsten europäischen Comicserien, die auch international hohe Beachtung gefunden hat und sowohl von Kindern als auch von Erwachsenen gelesen wird. Indem die Fragestellung der Bachelorarbeit unter anderem auf die Untersuchung der Stereotype abzielt, kann zudem darauf aufmerksam gemacht werden, wie diese in den Comics nicht nur bedient, sondern in subtiler Parodie zugleich immer wieder ausgehebelt werden (vgl. Stoll 1977b, 93).
Zur genauen Einordnung der Fragestellung werden im weiteren Verlauf der Arbeit zunächst die drei theoretischen Schlüsselbegriffe Interkulturalität, Fremdheit und Kultur näher in den Blick genommen. Hierbei gilt es, die Zusammenhänge zwischen diesen Begriffen und ihre verschiedenen Interpretationsmöglichkeiten aufzuzeigen. Im Anschluss daran wird den LeserInnen ein kurzer Einblick in den bisherigen Forschungsstand geboten und die im Rahmen dieser Arbeit verwendete Analysemethode vorgestellt. In diesem Zusammenhang soll auch auf den Analysekorpus, welcher sich aus den zu analysierenden Comics bzw. Comicszenen zusammensetzt, sowie auf die verschiedenen Analysekategorien eingegangen werden. Um die Analyse und vor diesem Hintergrund verwendeten Begrifflichkeiten nachvollziehen zu können, bedarf es zudem einer kurzen Einführung in die Welt und insbesondere in den formalen Aufbau von Comics im Allgemeinen. Bevor anschließend die ausgewählten Comicszenen vorgestellt, in die Handlung des Comics eingeordnet und analysiert werden, gilt es im Hinblick auf die Analyseergebnisse mehrere Hypothesen aufzustellen. Diese sind dazu da, um beispielsweise potentielle Stereotype zu explizieren und diese später mit den tatsächlichen Analyseergebnisse abgleichen zu können.
Im nächsten Schritt werden die Comicszenen schließlich mithilfe eines integrativen Analyseansatzes und unter Berücksichtigung verschiedener Gestaltungselemente untersucht. Dies ermöglicht es die Darstellung von Interkulturalität in den Asterix-Comics umfassend zu entschlüsseln. Im Anschluss an die Analyse werden die jeweiligen Analyseergebnisse miteinander verglichen und zusammengefasst. In einem letzten Schritt gilt es, die vor der Analyse aufgestellten Hypothesen erneut in den Blick zu nehmen und gegebenenfalls zu evaluieren. Dieser Schritt ist konkret dazu vorgesehen, um sich eventuell eigener stereotyper und ethnozentrischer Denkmuster bewusst zu werden, die die Formulierung der Hypothesen beeinflusst haben könnten. Da sich Individuen oftmals nicht darüber bewusst sind, dass Stereotype ihr Verhalten steuern, ist diese Maßnahme von nicht zu unterschätzender Bedeutung (vgl. Petersen/Six 2008, 35).
2) Begriffsklärungen: Interkulturalität, Fremdheit und Kultur
2.1) Interkulturalität
Wie in der Einleitung erläutert wurde, handelt es sich bei Interkulturalität um ein Begleitphänomen der Globalisierung, das im Zusammenhang mit Kulturkontakten auftritt. Tatsächlich verweist Interkulturalität jedoch nicht nur auf den Kontakt mit fremden Menschen, sondern beschreibt anknüpfend daran auch ein sozial- und kulturwissenschaftliches Forschungsparadigma (vgl. Altmayer 2021, 376). Unter den Schlagwörtern „Interkulturalität“ und „Interkulturelle Kommunikation“ sind dementsprechend eine Vielzahl an Analysen und Definitionen verortet, die „das alltägliche Aufeinandertreffen unterschiedlicher Lebensformen spätmoderner globalisierter Gesellschaften als problematische, weil konfliktträchtige Begegnung differenter kultureller Orientierungen“ (Altmayer 2021, 376) begreifen und diese theoretisch zu beschreiben und empirisch zu erfassen versuchen.
Der Begriff Interkulturalität wird dabei auf verschiedene Weise ausgelegt: Zum einen wird darunter das Aufeinandertreffen verschiedener Kollektive verstanden, die aufgrund ihrer vermeintlichen Homogenität, als bedingt voneinander abgrenzbare Kulturen angesehen werden. Zum anderen gilt der Begriff, wie zuvor beschrieben, als Ausdruck für kulturübergreifende Interaktionsprozesse zwischen zwei oder mehreren Akteuren (vgl. Bolten 2020, 90, 95). Diese zwei Auslegungen erlauben es entweder die Strukturen von kulturellen Gruppen in den Blick zu nehmen und miteinander zu vergleichen oder die Dynamik interkultureller Interaktionen im Sinne eines prozesshaften „kohäsionsorientierten Miteinander[s]“ (Bolten 2020, 91) ins Auge zu fassen. Der Unterschied zu den Begriffen „Multikulturalität“ und „Transkulturalität“ ist dabei oftmals nur gering: Auch diese lassen sich struktur- oder prozessorientiert betrachten, sodass „die jeweiligen (und gleichzeitig interpendenten) Bedeutungsgeschichten sich in erheblichem Maße überlappen“ (Bolten 2020, 97).
In Anlehnung an Jürgen Bolten, der Interkulturalität als eine Kombination aus beiden Auslegungsmöglichkeiten und somit als „ strukturprozessuales Spektrum“ (Bolten 2020, 98; Hervorhebung im Original) begreift, wird im Rahmen der vorliegenden Arbeit ein verstärkt prozessualer Interkulturalitätsbegriff vertreten. Dementsprechend soll in erster Linie untersucht werden, wie Angehörige verschiedener Völker bzw. Kulturen miteinander interagieren und von welcher Dynamik diese Interaktionen jeweils geprägt sind. Auf Strukturvergleiche zwischen den Comicfiguren hinsichtlich ihrer national-kulturellen Zugehörigkeit wird dabei nur zweitrangig Bezug genommen.
2.2) Fremdheit
Darüber hinaus wird zur Untersuchung der interkulturellen Begegnungen Interkulturalität mit dem Begriff der Fremdheit (strangeness) verknüpft. Dadurch ist es möglich „to examine the underlying dynamics in all interactions with the unfamiliar other, regardless of whether the strangeness is situated in oneself, other persons, in the relationship, the subject, or the environment“ (van Maele / Schelkens / Mertens 2021, 181). Fremdheit gilt vor diesem Hintergrund nicht zwingend als eine Erfahrung, sondern lässt sich vor allem als das Resultat von Fremdzuschreibungen verstehen. Damit ist gemeint, dass Fremdheit nicht einfach gegeben ist, sondern Menschen diese im Kontakt mit anderen Menschen oder ihrer Umwelt selbst konstruieren (vgl. Hahn 1998: 134). Durch den Konstruktionscharakter lässt sich Fremdheit in Anlehnung an den Soziologen Alois Hahn zudem als Spiegel des Selbst und der eigenen Identität darstellen. Damit ist gemeint, dass Fremdzuschreibungen preisgeben, worüber sich die zuschreibenden Personen definieren und inwiefern sie sich im Gegensatz zum Fremden als „normal“ wahrnehmen (vgl. Hahn 1998: 117).
2.3) Kultur
Ebenfalls eng verknüpft mit dem Interkulturalitätsbegriff ist der Begriff der Kultur. Er bestimmt letztendlich, welche Aspekte im Rahmen einer interkulturellen Begegnung als kulturell gefasst werden und wo Interkulturalität anfängt und die sogenannte intrakulturelle Kommunikation aufhört. Damit sind Interaktionen zwischen Individuengemeint, die derselben kulturellen Gruppe angehören und sich dadurch zum Teil anderen kommunikativen Herausforderungen, auch bezeichnet als critical incidents, konfrontiert sehen als wiederum Angehörige unterschiedlicher kultureller Gruppen. Wie der Begriff Interkulturalität, ist auch die Kultur von einer gewissen Mehrdeutigkeit geprägt. Eine einheitliche Vorstellung davon, was Kultur umfasst, gibt es nicht, sodass stattdessen vielmehr von verschiedenen Kulturbegriffen geredet wird. Dabei ist es üblich zwischen einem engeren und einem weiteren bzw. zwischen einem exklusiven und inklusiven Kulturbegriff zu unterscheiden (vgl. Fischer 2019, 42). Dem Interkulturalitätsverständnis im Rahmen dieser Arbeit liegt ein weiter Kulturbegriff in Sinne der britischen Cultural Studies zugrunde. Bei den Cultural Studies handelt es sich, anders als häufig angenommen, um eine von vielen kulturwissenschaftlichen Forschungsrichtungen, die sich erstmals im Großbritannien der 1950er Jahre entwickelte und später sowohl im anglophonen Raum als auch in anderen Ländern große Anerkennung fand (vgl. Fischer 2019, 46f.). Ihr Kulturbegriff zeichnet sich dadurch aus, dass Kultur als etwas Gewöhnliches gefasst wird und nicht dem Höhepunkt menschlicher Zivilisation entspricht. Er enthält außerdem eine diskursive Komponente: Wie Pascal Fischer schreibt, interpretieren die Cultural Studies Kultur „als den Raum, in dem Konflikte um Macht ausgetragen werden“ (Fischer 2019, 49) und welcher Identitäten durch Sprachhandlungen zunächst hervorbringt und dann reproduziert (vgl. ebd., 49).
Der soeben näher erläuterte Kulturbegriff der Cultural Studies dient der erweiterten Betrachtung der in den Asterix-Comics dargestellten Interaktionen zwischen den Angehörigen verschiedener Völker. So können in Anlehnung an das Verständnis des Soziologen Stuart Hall, einem der Hauptvertreter der Cultural Studies, die im Rahmen der interkulturellen Interaktionen hervorgebrachten Identitäten als fragmentiert und jeweils diskursiv ausgehandelt verstanden werden. Außerdem erlaubt der Kulturbegriff der Cultural Studies es, Kultur als eine Vielzahl gesellschaftlicher Erscheinungsformen und sowohl auf nationalstaatlicher Ebene, wie es in den Comics häufig der Fall ist, als auch unabhängig davon auf einer individuell-privaten Ebene zu denken.
3) Forschungsstand
Obwohl seit der Entwicklung der Comicforschung in den 1940er Jahren – die erste Ausarbeitung, die sich ausschließlich mit Comics beschäftigte, erschien laut Andreas C. Knigge 1942 – ein größeres Spektrum an comicrelevanten Themen untersucht worden ist, wurde der Interkulturalität in Comics bisher nur wenig Aufmerksamkeit geschenkt (vgl. McCloud 1997, 5). Dies mag möglicherweise den stark variierenden Auslegungen dieses Begriffs geschuldet sein, deren Koexistenz bereits in dem vorherigen Kapitel thematisiert wurde. So gibt es wissenschaftliche Texte, die sich zwar näher mit dem Thema Comics und Interkulturalität befassen, wenngleich sie auch einen anderen inhaltlichen Schwerpunkt setzen. Zum Beispiel wird darin die Übersetzung von Comics in andere Sprachen thematisiert, die oftmals mit einer Überschreibung von Wortwitzen, sprachlichen Anachronismen oder Anspielungen auf geschichtliche Ereignisse und kulturspezifische Mythen einhergeht (vgl. Kadric / Kaindl 1997, Kaindl 2008, Mälzer 2015, Liimatainen 2020).
Obwohl der Fokus dadurch auf andere wissenschaftliche Themen verlagert wurde, gibt es dennoch WissenschaftlerInnen, die Aspekte der tatsächlich in den Comics dargestellten Interkulturalität näher in den Blick nehmen. Zu ihnen gehört die Anthropologin Liljana Simic, die im Rahmen eines Zeitschriftenaufsatzes das Auftreten kultureller Stereotype im Rahmen der franko-belgischen Comicserie „Tim und Struppi“ untersucht. Dabei beschäftigt sie sich mit der Frage, inwiefern der Autor Hergé alias Georges P. Remi gesellschaftliche Phänomene wie den Kolonialismus oder den Ethnozentrismus in die Handlungen seiner Comics mit eingebunden hat.
Um diese Frage zu beantworten, unterzieht Simic den Tim-und Struppi-Comics einer genaueren Analyse und fokussiert sich nach eigenen Angaben auf die „facial expressions, body gestures und costumes“ (Simic 2016, 11) der darin auftretenden Figuren. Damit möchte sie nicht nur auf die einzelnen kulturellen Stereotype aufmerksam machen, sondern, wie der Titel bereits offenlegt, auf die interkulturelle Dimension von Comics verweisen: Ihrer Meinung nach spiegeln Comics spezifische Vorstellungen über nationale Identitäten wider, die auf Erfahrungen im Bereich der interkulturellen Kommunikation zurückzuführen sind (vgl. Simic 2016, 9).
Die nähere Erläuterung wissenschaftlicher Texte wie dem von Simic verdeutlicht, dass die Darstellungen interkultureller Interaktionen in Comics bislang nicht genau thematisiert oder analytisch untersucht wurden. Zwar befassen sich vereinzelte Ausarbeitungen mit den Repräsentationen anderer Länder und den damit zusammenhängenden Stereotypen, jedoch fehlt es diesen mit Hinblick auf die Analyse der Interkulturalitätsdarstellungen oftmals an Vielschichtigkeit. Bei der Untersuchung von interkulturellen Darstellungen in Comics ist es schließlich wichtig nicht nur die Repräsentationen anderer Kulturen in den Blick zu nehmen, sondern vor allem die verbalen und non-verbalen Interaktionen. Hinzukommend darf nicht nur der Inhalt der Stereotype von Interesse sein, es muss ebenfalls analysiert werden, wie die Figuren in den Comics mit diesen Stereotypen umgehen bzw. wie Stereotype während der jeweiligen Interaktion aktiviert und (re-)produziert werden.
Untersuchungen wie die von Farah Attamimi (2011) oder Marcus Müller (2012) bieten einen solchen auf die Interaktionen ausgerichteten Blickwinkel, fokussieren sich dabei jedoch häufig auf intrakulturelle Interaktionen bzw. auf Gespräche zwischen einander bekannten Personen, die sich vor dem Hintergrund dieser Arbeit nicht als interkulturell fassen lassen. Um vor dem Hintergrund interkultureller Interaktionen sowohl die Repräsentationen und Stereotype als auch die Dynamik der Interaktionen mitsamt dem Auftreten von Missverständnissen und weiteren critical incidents untersuchen zu können, braucht es eine umfassende Analyse derjenigen Comics, die wie die Asterix-Comics Interkulturalität in ihren Handlungen integriert sehen. Aus diesem Grund greift es zu kurz, sich ausschließlich auf bestimmte Elemente der Bildebene zu beschränken, wie es bei Simic, die sich auf die Mimik, Gestik und Kleidung fokussiert, der Fall ist. Stattdessen ist ein Analyseansatz angebracht, der mehrere Gestaltungselemente eines Comics auf einmal in den Blick nimmt.
4) Methodik
4.1) Der Analyseansatz
Um verschiedene Gestaltungselemente in den Asterix-Comics auf einmal zu untersuchen, wird ein integrativer Analyseansatz angewendet. Dieser stellt eine Kombination aus der multimodalen Comicanalyse im Sinne von Stephen Packard et al. (2019) und der multimodalen Interaktionsanalyse nach dem Verständnis von Sigrid Norris (2013b) und Reinhold Schmitt (2015) dar. Bevor beide analytischen Konzepte im weiteren Verlauf vorgestellt und plausibilisiert werden, gilt es zunächst ihren gemeinsamen Nenner bzw. ihren Überschneidungspunkt, bereits erkennbar an den Titeln beider Konzepte, näher zu erläutern: das Paradigma einer Multimodalität.
Der Begriff Multimodalität verweist auf eine Perspektivierung von Kommunikation als „ganzheitliche performative Praxis […], in der die sprachliche Dimension jederzeit mit der körperlichen und räumlichen verwoben ist“ (Müller 2012, 76). Das bedeutet anders formuliert, dass Kommunikation in diesem Sinne nicht nur als sprachbasierter Prozess aufgefasst wird, sondern als solcher, in dem auch andere Zeichenmodalitäten (semiotic modes) wie die Gestik, Mimik oder Proxemik eine Rolle spielen. Während die Sprache früher dagegen als tragende Instanz für die Vermittlung von Zeichen angesehen wurde, ist mittlerweile eine Hinwendung zu einem anderen Kommunikationsverständnis zu beobachten (vgl. Schmitt 2015, 43). Dieses erachtet alle Zeichenmodalitäten als gleichwertig und geht zudem davon aus, dass die Modalitäten nicht unabhängig voneinander, sondern stattdessen in ihrem Zusammenspiel beurteilt werden müssen.
Neben der Kommunikation als solche werden mittlerweile auch verschiedene Kommunikationsformate als multimodal erachtet und von WissenschaftlerInnen in den Blick genommen. Dazu gehören neben der computerbasierten Kommunikation im Sinne von Online-Zeitungen oder den sozialen Netzwerken unter anderem Filme, Bücher, Theateraufführungen, Ausstellungen oder Virtual-Reality-Spiele (vgl. Packard et al. 2019, 51; Norris 2013a, 2). Bei einem weiteren Kommunikationsformat handelt es sich um das Medium Comic. Seit den 2010er Jahren wird ihm und seinen Zeichenmodalitäten mithilfe von multimodal-theoretischen Forschungsansätzen nähere Beachtung geschenkt, um vor allem die spezielle Bedeutungskonstruktion in Comics zu entschlüsseln (vgl. Packard et al. 2019, 51). Während sich davor bereits Forschungsansätze auf der Metaebene mit dem Ineinandergreifen von Wort und Bild auseinandergesetzt haben, nehmen zeitgenössische Ansätze nun dagegen die „intersemiotischen Relationen“ (Packard et al. 2019, 61) verschiedener im Comic vorliegender Zeichenmodalitäten auf der Mikroebene unter die Lupe (vgl. ebd., 51).
Die sogenannte multimodale Comicanalyse greift dieses analytische Vorgehen auf und widmet sich ebenfalls dem Zusammenspiel unterschiedlicher Zeichenmodalitäten, die sich nach dem Verständnis von Packard et al. (2019) jeweils durch drei verschiedene Ebenen auszeichnen: a) Die Ebene der Materialität – eine Zeichenmodalität wird gezielt mithilfe von Materialien wie Stift und Papier angefertigt, b) die Ebene der Form und Struktur – die Zeichenmodalität besitzt aufgrund der verwendeten Materialien eine bestimmte Form und Struktur – und c) die Ebene der Bedeutungskonstruktion auf Grundlage von Form und Struktur im Kontext – der Zeichenmodalität wird aufgrund ihrer Form und Struktur sowie ihrer jeweiligen Platzierung im Comic eine bestimmte Bedeutung zugeschrieben (vgl. Packard et al. 2019, 54). Indem die multimodale Comicanalyse ebenfalls multimodal operiert, kann sie herausarbeiten, inwiefern die Zeichenmodalitäten innerhalb eines Comics – bei Packard et al. ist zum Beispiel von Linien, Farben, Rahmungen, Schrifttypen oder der Interpunktion die Rede – wechselseitig miteinander verknüpft sind. Dadurch ist es möglich nachzuvollziehen, wie die Modalitäten gemeinsam Bedeutung konstruieren, also für die RezipientInnen von Comics eine sinnvolle und zusammenhängende Geschichte ergeben (vgl. Packard et al. 2019, 49).
Da die multimodale Comicanalyse speziell auf das Erzählmedium Comic und dessen Zeichenmodalitäten ausgerichtet ist, erscheint es naheliegend diesen Analyseansatz im Rahmen der vorliegenden Arbeit für die Analyse der Interkulturalitätsdarstellungen in den Asterix-Comics zu verwenden. Besonders der Fokus auf die Relationalität der Zeichenmodalitäten macht aus ihm ein geeignetes Werkzeug, mit dem die Comics als mehrdimensionale Gebilde, bestehend aus einer Vielzahl an synergiegeladener Komponenten, gedacht und untersucht werden können. Damit sich die Analyse jedoch auf die in den Comics dargestellte Interkulturalität im Sinne von interkulturellen Interaktionsprozessen konzentriert, wird der multimodalen Comicanalyse die multimodale Interaktionsanalyse zur Seite gestellt. Sie ermöglicht es, neben dem Aufbau und der Gestaltung der Comicszenen speziell die Dynamik zwischen den interagierenden Comicfiguren in den Blick zu nehmen.
Die Soziolinguistin Sigrid Norris bezeichnet die multimodale Interaktionsanalyse als ein
„holistic methodological framework that allows the analyst to integrate the verbal with the nonverbal, and to integrate these with material objects and the environment as they are being used by individuals acting and interacting in the world“ (Norris 2013b).
Demnach ist dieser Analyseansatz ebenfalls auf das Zusammenspiel verschiedener Modalitäten ausgerichtet und zwar auf solche, die während einer Interaktion zum Einsatz kommen. Zu diesen zählt Reinhold Schmitt beispielsweise die Mimik, Gestik, Ausrichtung der Körperposituren und die Blickorganisation (vgl. Schmitt 2015, 46, 50). Aufgrund der methodologischen Nähe zur Multimodalitätsanalyse erachtet auch die multimodale Interaktionsanalyse alle Zeichenmodalitäten als gleichwertig (vgl.Schmitt 2015, 45). Dadurch ist sie vor allem in der Lage, Interaktionen Aufmerksamkeit zu schenken, in denen Verbalität gar keine Rolle spielt. Darüber hinaus baut die multimodale Interaktionsanalyse auf dem Verständnis auf, dass Interagierende beim Ausführen ihrer zum Teil simultanen Handlungen nicht auf Handlungsmuster einer bestehenden sozialen Ordnung zurückgreifen, sondern diese Ordnung erst im Laufe der Interaktion gemeinsam produzieren (vgl. Schmitt 2015, 45f.). Aus diesem Grund ist hierbei auch von einer ko-konstruierten „Vollzugswirklichkeit“ oder „Vollzugsrealität“ die Rede (vgl. ebd., 45).
Obwohl die multimodale Interaktionsanalyse ausschließlich mit Videoaufzeichnungen arbeitet und Interaktionen innerhalb von Comics – welche nicht nur fiktiver Art, sondern auch noch „auf ein leicht verdauliches Minimum beschränkt“ (Müller 2012, 79) sind – somit eigentlich nicht als Untersuchungsgegenstand in Frage kommen, wird die Anwendung des Analyseansatzes als äußerst produktiv eingestuft. Dieser Einschätzung liegt insbesondere die Erkenntnis zugrunde, dass die Interaktionsanalyse anstelle von Verbaltranskripten auch manchmal sogenannte Frame-Comics als Sekundärquellen heranzieht. Damit ist eine bestimmte Auswahl an Standbildern gemeint, die aus den Videoaufzeichnungen selektiert werden (vgl. Schmitt 2015, 46). Zwar bestehen zwischen Comics und solchen Frame-Comics große Unterschiede hinsichtlich des Zwecks, des Formats oder der Sequenzialität, dennoch kann die Nutzung der Frame-Comics als Indikator dafür gesehen werden, dass die Untersuchung von Comics vor dem Hintergrund der multimodalen Interaktionsanalyse einiges an Potential besitzt.
4.2) Beschreibung des Analysekorpus
Um die Interkulturalitätsdarstellungen in den Asterix-Comics mithilfe der multimodalen Comicanalyse und der multimodalen Interaktionsanalyse zu unter-suchen, werden im Rahmen dieser Arbeit sechs einzelne Szenen aus sechs deutschen Ausgaben unterschiedlicher Asterix-Bände herangezogen. Sie bilden den sogenannten Analysekorpus, der sich mit Rückblick auf die anfangs formulierte Fragestellung zwingend aus solchen Szenen zusammensetzen muss, die a) sowohl gemeinsam von René Goscinny und Albert Uderzo, b) als auch alleine von Albert Uderzo sowie c) bisher von Jean-Yves Ferri und Didier Conrad kreiert wurden. Um dieser Anforderung gerecht zu werden, wird der Zeitraum zwischen der deutschen Veröffentlichung des ersten Comics „Asterix der Gallier“ (1968) und der des aktuellsten Comics „Asterix und der Greif“ (2021) in drei Phasen unterteilt (vgl. Anhang 1).
Die erste Phase umfasst den Zeitraum von 1968 bis 1979, in dem die Asterix-Comics noch klassisch von Goscinny verfasst und von Uderzo gezeichnet wurden. Bei der nachfolgenden Phase 2 handelt es sich um die Zeit nach Goscinnys Tod im Jahr 1977, in der Uderzo von 1980 bis 2009 gleichzeitig als Zeichner und als Autor der Asterix-Serie fungierte. Phase 3 schließlich stellt die Übernahme der Serie von dem neuen Künstlerduo Ferri und Conrad ab dem Jahr 2013 dar. Diese Einteilung hat zufolge, dass in dem Analysekorpus eine entsprechende verhältnisgleiche Anzahl an Comicszenen aus allen drei Phasen vertreten sein muss. Das ist deshalb so wichtig, damit potentielle Veränderungen in der Gestaltung der interkulturellen Interaktionen erfasst werden können und zudem herausgearbeitet werden kann, ob diese möglicherweise auf gesellschaftliche Veränderungen zurückzuführen sind.
Bei den Comicszenen, die für die Analyse ausgewählt wurden, handelt es sich um Szenen aus den Bänden „Asterix und die Normannen“ (1971), „Asterix bei den Belgiern“ (1979), „Asterix im Morgenland“ (1987), „Gallien in Gefahr“ (2005), „Asterix bei den Pikten“ (2013) und „Asterix und der Greif“ (2021). Diese wurden in den Analysekorpus mitaufgenommen, weil sie zum einen der zuvor genannten Anforderung gerecht werden und zum anderen, Interkulturalitätsdarstellungen enthalten, die entweder eine wichtige Rolle für den Handlungsverlauf der Comics spielen oder auf andere Weise relevant sind. So zum Beispiel wurde der Band „Asterix und die Normannen“ (1971) aufgrund einer Szene gewählt, in der zwei Interagierende aufgrund eines Missverständnisses aneinander vorbeireden und das daraus resultierende Kommunikationsproblem den Handlungsausgang des Comics prägt.
Obwohl für die Analyse Szenen aus den deutschen Ausgaben der Comicbände herangezogen werden, ist es wichtig zu erwähnen, dass im weiteren Verlauf der Arbeit auch auf das französische Erstveröffentlichungsdatum des Comics „Asterix und die Normannen“ (1971) – den 28. April 1966 – Bezug genommen wird. Dieses Datum ist aufgrund der größeren Zeitspanne zwischen der französischen und deutschen Veröffentlichung zu berücksichtigen, die im Allgemeinen bei den älteren Comicbänden der Asterix-Serie gegeben ist. Seit 1979 erscheinen die Comics der Serie sowohl in Frankreich als auch in anderen Ländern fast alle im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang, sodass die übrigen für die Analyse herangezogenen Comicbände nicht länger von derartigen Abweichungen betroffen sind. Bei der Beurteilung der Szene aus dem ersten Comicband sollte jedoch immer berücksichtigt werden, in welcher Zeit diese und der Rest des Comics ursprünglich konzipiert wurden und welche gesellschaftlichen Diskurse und Trends damals eine Rolle spielten.
4.3) Methodisches Vorgehen
4.3.1) Analysekategorien
Damit während der Analyse der Asterix-Comics der bereits angesprochene Fokus auf die interkulturellen Interaktionen aufrechterhalten wird, bedarf es zusätzlich der Verwendung mehrerer Analysekategorien. Diese gilt es nun im Folgenden nacheinander vorzustellen, bevor anschließend die in der Analyse zu berücksichtigenden Zeichenmodalitäten in den Blick genommen werden.
Analysekategorie: Soziales Handeln
Maßgeblich für die Analyse der Interkulturalitätsdarstellungen in den Asterix-Comics ist die Analysekategorie des sozialen Handelns. Sie ermöglicht es, gesondert die Dynamik zwischen den interagierenden Figuren in den Blick zu nehmen und anhand von spezifischen Fragen systematisch einer Analyse zu unterziehen. Die Fragen, die hierbei unter anderem gestellt werden, lauten: Wie gehen die Interagierenden miteinander um? Inwiefern sind sie aktiv an der Gestaltung der Interaktion beteiligt und auf welche Handlungsstrategien greifen sie jeweils zurück, um diese zu ko-konstruieren? Wie reagieren die Interagierenden auf critcal incidents, zum Beispiel auf Fehlentscheidungen, Missverständnisse oder Anschuldigungen? Und: Lassen sich im Rahmen der Interaktion Veränderungen bezüglich des sozialen Handelns der Interagierenden feststellen?
Analysekategorie: Emotionen
Eng verknüpft mit der vorherigen Analysekategorie ist die Analysekategorie, die den Emotionen der interagierenden Comicfiguren gewidmet ist. Durch sie soll konkret erarbeitet werden, welche Gefühlszustände die Interaktionen prägen und an welchen Indikatoren diese festgemacht werden können. Tatsächlich werden im Comic alle „Darstellungen von Emotionen […] auf die wesentlichen bedeutungs-tragenden Merkmale reduziert. Dabei hat sich ein gewisser Kanon an Grundemotionen entwickelt, der je nach Bedarf und darzustellender Lage der Figur erweitert werden kann“ (Dittmar 2008, 142f.). So wird Wut oder Ärger z. B. in amerikanischen Comics häufig mit kleinen Blitzen und einer angespannten Muskulatur indiziert, während in japanischen Comics die betroffenen Comicfiguren zu diesem Zweck mit Reißzähnen oder spitz aufgestellten Haaren dargestellt werden (vgl. McCloud 1997, 137-139).
Analysekategorie: Identität
Identität als Analysekategorie ermöglicht es, sich rein auf der Handlungsebene der Asterix-Comics mit den präsentierten Identitäten der Comicfiguren auseinanderzusetzen. In Anlehnung an Sigrid Norris (2011) werden Identitäten dabei nicht als gefestigte Gebilde wahrgenommen, sondern als immer wieder neue in Interaktionen hervorgebrachte Konstruktionen. Norris konstatiert dementsprechend:
„Identity is co-constructed simultaneously as is the event [of communication, H.S.] itself, and identities are, therefore, always relational to the other participants as well as to the event that is being co-constructed“ (Norris 2011).
Wenn Sigrid Norris von Identitäten spricht, unterscheidet sie zudem zwischen solchen, die auf einer sozialen Makroebene relevant sind, wie zum Beispiel nationale, geschlechtliche oder kollektive Identitäten, und solchen, die nur auf einer sozialen Mikro- oder Mesoebene eine Rolle spielen wie soziale Identitäten oder berufliche Identitäten (vgl. Norris 2011, 33). Diese Unterscheidung soll im Rahmen der Analyse ebenfalls berücksichtigt werden. So kann untersucht werden, welche Art von Identitäten im Zuge der interkulturellen Interaktionen gebildet werden und ob die Figuren möglicherweise zwischen ihren verschiedenen Identitäten hin- und her switchen. Vor diesem Hintergrund ist es außerdem möglich, die Thematisierung von Zugehörigkeiten in die Analyse miteinzubeziehen, indem untersucht wird, ob sich die Figuren verstärkt über Zugehörigkeiten inszenieren und in welchen Gesprächssituationen Zugehörigkeiten generell von Belang sind.
Analysekategorie: Wissensasymmetrien
Bei einer häufigen Ursache für die Aktivierung von Stereotypen und das Auftreten von critical incidents handelt es sich um Wissensasymmetrien. Sie sind gegeben, wenn zwei oder mehr Interagierende über ein deutlich unterschiedliches Maß an Wissen verfügen oder diesen inhaltlich gesehen stark voneinander abweicht. Indem solche Asymmetrien als Analysekategorie in die Analyse der Asterix-Comics integriert werden, schaffen sie einen speziellen Zugang zu Fragen der Wissensverteilung und der Informationsverarbeitung. So soll unter anderem untersucht werden, ob Wissensasymmetrien, die im Rahmen der interkulturellen Interaktionen in den Comics zu erkennen sind, durch bestimmte Techniken überwunden werden können. Abgesehen davon ist von analytischem Interesse, ob die Wissensasymmetrien auf die Annahme einer Reziprozität der Perspektiven zurückzuführen sind.
Eine solche Annahme, auch bekannt als eine Generalthese des Soziologen Alfred Schütz, beschreibt die Vorstellung von Individuen, die Sprachhandlungen fremder Personen aufgrund ähnlicher Wissensressourcen und Deutungsmuster zwingend verstehen und nachvollziehen zu können. Ein Bruch mit dieser Annahme bezeichnet Thomas Eberle wiederum als eine Erfahrung der Irreziprozität der Perspektiven (vgl. Gropper / Schnettler 2020, 317). Der Begriff ist klar an den Begriff von Schütz angelehnt und bringt die Erkenntnis zum Ausdruck, dass die bislang sinnvollen Deutungs- und Handlungsmuster im Austausch mit einer fremden Person nicht hilfreich, sondern vielmehr inadäquat sind (vgl. Gropper / Schnettler 2020, 314). Projiziert auf die in den Asterix-Comics dargestellte Interkulturalität, lassen sich diese beiden Phänomene als Momente begreifen, in denen die Grenzen des wechselseitigen Verstehens zwischen den verschiedenen Völkern kommunikativ ausgehandelt und ggf. verschoben werden muss. Sie sind es, die mithilfe der Wissensasymmetrien als Analysekategorie reflektiert werden sollen.
Analysekategorie: Stereotype
Wie bereits in der Einleitung angesprochen, handelt es sich bei Stereotypen grundsätzlich um starre Meinungen, die mit generalisierten Vorstellungen über Gruppen angereichert sind. Tatsächlich lassen sich nicht nur Stereotype, sondern auch Klischees und Vorurteile als solche induzierende Gruppenzuschreibungen begreifen, weswegen diese drei Begriffe nicht immer genau voneinander abgegrenzt sind. Im Rahmen dieser Arbeit werden Stereotype in Anlehnung an Jochen Konrad und Oliver Näpel als größere Entitäten verstanden, die mit Klischees und Vorurteilen nicht gleichzusetzen sind, sondern sie vielmehr in sich bergen. Genauer gesagt, gelten sie als „kognitive Prozesse […], die zwar ebenfalls der Kategorisierung / Orientierung / Identitätsbildung dienen, […] aber eher zusammenfassende Vorstellungskomplexe bilden“ (Näpel 2003, 6). Darüber hinaus wird angenommen, dass sich Klischees und Vorurteile in ihrer Wertung unterscheiden, da Klischees durchaus auch wertneutral sein können, während Vorurteile in der Regel negativ konnotiert sind, sich aber nicht zwingend nur auf Gruppen beziehen. Mit Blick auf die Analyse bedeutet die vorherige Einordnung des Stereotyp-Begriffs, dass die Analysekategorie „Stereotype“ dazu beitragen soll, etwaige aufgegriffene Stereotype zu identifizieren und die jeweils bedienten klischeehaften Vorstellungen und Vorurteile, die diesen inhärent sind, herauszuarbeiten.
Analysekategorie: Othering
Die sechste und letzte Analysekategorie ist dem sogenannten Othering gewidmet, das im Deutschen auch als sogenannte „VerAnderung“ bezeichnet wird. Wie der Name bereits indiziert, werden unter diesem Begriff Verfremdungsstrategien zusammengefasst, die dem Kaschieren eigener Unsicherheiten und somit der Selbstaffirmation dienen (vgl. Freuding 2020, 47). Eng verknüpft mit dem Othering sind Fremdheitskonstruktionen, da sie gerade häufig das Ergebnis von Othering-Prozessen darstellen. Markant ist dabei, dass Othering „‚fremden‘ Personen, Dingen und Formen keine Möglichkeit ein[räumt] jemals Teil der ‚eigenen‘ Ordnung zu werden. [Denn] Othering denkt ‚Fremdheit‘ statisch, unveränderlich und niemals dem ‚Eigenen‘ gleichgestellt“ (Freuding 2020, 48f.).
Als Analysekategorie eröffnet das Konzept des Otherings eine besondere Perspektive auf etwaige Fremdheitserfahrungen, die in den Asterix-Comics im Rahmen von interkulturellen Interaktionen dargestellt werden. Somit lässt sich untersuchen, ob die Fremdheitserfahrungen und zum Ausdruck gebrachten Befremdungsgefühle der Comicfiguren auf Strategien des Otherings zurückzuführen sind und um welche Strategien es sich dabei jeweils handelt. Die von den Comicfiguren erlebte Fremdheit wird vor diesem Hintergrund dann nicht als einfach gegeben wahrgenommen, sondern wie auch die Identität und die soziale Ordnung als ein im Rahmen von Interaktionen hervorgebrachtes Konstrukt.
4.3.2) Zeichenmodalitäten
In den vorherigen Abschnitten wurde dargelegt, wie die sechs Analysekategorien, Soziales Handeln, Emotionen, Identität, Stereotype und Othering gezielt dazu beitragen, die interkulturellen Interaktionen in den Asterix-Comics im Hinblick auf die Gestaltung sowie auf potentielle Diskontinuitäten zu untersuchen. Damit dies gelingt, werden die Comicszenen entsprechend der Analysekategorien nacheinander anhand unterschiedlicher Zeichenmodalitäten untersucht. Jeder Phase sind dabei eine längere und kürzere Szene zugeordnet. Während die längeren Szenen im Hinblick auf alle sechs Analysekategorien untersucht werden, stehen bei den kürzeren Szenen aufgrund des begrenzten Umfangs der Arbeit nur die Kategorien Soziales Handeln, Emotionen und Wissensasymmetrien im Fokus der Analyse. Dennoch sollen hier dieselben Zeichenmodalitäten berücksichtigt werden. Bei diesen handelt es sich sowohl um Zeichenmodalitäten, die Reinhold Schmitt (2015) als Zeichenmodalitäten der Interaktion (a) begreift als auch um Zeichenmodalitäten, die speziell vor dem Hintergrund des Mediums Comic wirksam werden (b). Diese lassen sich wie folgt aufteilen:
a) Das Blickverhalten, die Mimik, Gestik, Physiognomie, Körperhaltung, Körperbewegung und Proxemik (vgl. Müller 2012, 76)
b) Die Lautmalerei, Panelanordnung, Linienführung und die Interpunktion sowie der schriftliche Text, Sprechblasen, Farben, Rahmungen, Schrifttypen, sogenannte Bewegungslinien (motion/speed lines) und emotional state markers (vgl. Packard et al. 2019, 49, 63-66)
Da die letzten Zeichenmodalitäten der zweiten Kategorie möglicherweise nicht allen LeserInnen ein Begriff sind, hier eine zusätzliche Erklärung: Während Bewegungslinien3 bzw. motion lines auf Bewegungen von Comicfiguren verweisen, die in der Regel bereits erfolgt sind, stellen emotional state marker in Anlehnung an Bateman et al. (2017) Elemente in der Nähe des Kopfes einer Comicfigur dar, durch die Rückschlüsse auf den mentalen Zustand der Figur gezogen werden können (vgl. Dittmar 2008, 40; Packard et al. 2019, 66).
5) Comics
Nachdem im vorherigen Kapitel erläutert wurde, wie die Interkulturalitätsdarstellungen in den Asterix-Comics im Einzelnen untersucht werden sollen, gilt es nun das Medium Comic und dessen einzelne Bestandteile genauer vorzustellen. Um sich mit Comics auseinandersetzen zu können, ist es zunächst wichtig die Definition des Mediums in den Blick zu nehmen. Einen Konsens darüber, was ein Comic konkret auszeichnet und von welchen anderen Formen der Bilderschichte es abgegrenzt werden muss, gibt es jedoch nicht. Stattdessen wurden seit den 1940er Jahren von den verschiedensten ComictheoretikerInnen immer wieder neue Comic-Definitionen formuliert, sodass Scott McCloud, einer der bekanntesten unter ihnen, durchaus Recht hat, wenn er sagt, dass die Festlegung eines einheitlichen Comic-Begriffs einen fortschreitenden Prozess darstellt (vgl. McCloud 1997, 31). McCloud selbst definiert Comics als „[z]u räumlichen Sequenzen angeordnete bildliche oder andere Zeichen, die Informationen vermitteln und/oder eine ästhetische Wirkung beim Betrachter erzeugen sollen“ (McCloud 1997, 17).
Diese Definition ist einigen seiner KollegInnen jedoch zu weit gefasst, weswegen Oliver Näpel beispielsweise eine Synthese aus den Definitionen von McCloud sowie denen von Hans-Georg Pandel und Dietrich Grünewald vorschlägt. Unter Comics versteht er somit „räumlich angeordnete Bildersequenzen in hauptsächlich enger Folge, deren Kohärenz durch ein pikturales oder piktural-verbales Verweissystem geschaffen wird“ (Näpel 2003, 65). Damit stuft Näpel besonders die Narration von Comics, die maßgeblich von der Einführung, dem Verweis und der Wiederaufnahme bildlicher Zeichen geprägt ist, als charakteristisch für das Medium ein. Weiter sagt er: „Die Erzählung muss zudem aus sich selbst heraus verständlich sein, d.h. auch ohne die Kenntnis einer ggf. zu Grunde liegenden ‚Urgeschichte‘ im Sinne der Erzählabsicht dekodierbar sein“ (Näpel 2003, 65).
Da es nicht Ziel der vorliegenden Arbeit ist, die Diskussion darüber, was ein Comic ausmacht, weiter fortzuführen oder die vielfältige Definitionslandschaft in ihrer vollen Größe zu beschreiben, soll die Nennung von McClouds und Näpels Definitionen an dieser Stelle genügen. Von Bedeutung ist im weiteren Verlauf lediglich, dass die hybride Definition von Oliver Näpel die wichtigen Merkmale von Comics präzise auf einen Punkt bringt und sie daher im Rahmen der Arbeit verwendet wird.
Obwohl Comics anfangs hauptsächlich von Kindern und Jugendlichen gelesen wurden und über längere Zeit einen äußerst schlechten Ruf besaßen, ist das Medium mittlerweile stärker in der Mitte der Gesellschaft angekommen (vgl. McCloud 1997, 5, 26; Steiner 2017, 2). Dies hat zur Entwicklung einer Vielzahl neuer Gestaltungsformen, Zeichenstile und Comicformate beigetragen, die größtenteils bis heute Bestand haben. So gibt es a) landesspezifische Comicformen, die sich von der Gestaltung, vom Format oder von der Leserichtung her unterscheiden, b) unterschiedliche Comicformate sowie c) viele verschiedene Comicgenres (vgl. Dittmar 2008, 49; Schüwer 2008, 9).
Trotz einer solchen immensen Vielfalt an verschiedenen Comicarten lassen sich im Hinblick auf das Layout bestimmte Überschneidungen und somit einige spezielle Merkmale ausfindig machen, die in einem Großteil der Comics vertreten sind. Einige von ihnen – das Panel, der Panelrahmen, die Panelsequenz und die Sprechblase – sollen im Folgenden näher dargelegt werden.
1) Das Panel
Ein Merkmal, das in den vorherigen Kapiteln bereits mehrfach genannt wurde, ist das sognannte Panel. Als Panel werden die jeweiligen Einzelbilder auf der Seite eines Comics bezeichnet, die in der Regel mit verschiedenen visuellen Informationen und Textelementen angereichert sind (vgl. Näpel 2003, 69; Schüwer 2008). Diese können je nach Form und Größe variieren und somit den Lesefluss beeinflussen, zum Beispiel wenn ein Panel aufgrund seiner außergewöhnlichen Form hervorgehoben wird und der Blick der BetrachterInnen in Folge dessen daran hängen bleibt. Grundsätzlich sind auf einer Comicseite mehrere Panels abgebildet, jedoch kann eine Comicseite auch nur von einem einzigen Panel eingenommen werden. In diesem Fall ist von einem sogenannten „Metapanel“ die Rede (vgl. Näpel 2003, 67).
2) Der Panelrahmen (Habitus)
Panels fließen nicht einfach ineinander über, sondern sind standardgemäß durch einen Rahmen begrenzt, der auch als Habitus bezeichnet wird (vgl. Näpel 2003, 69) Dieser kann passend zur im Panel erzählten Geschichte eine assoziative Farbe, Dicke und Form annehmen, zum Beispiel kann er gezackt aussehen, wenn sich zwei im Panel abgebildete Comicfiguren miteinander streiten, oder sich mithilfe einer konträren Farbe, Dicke und Form davon abgrenzen (vgl. McCloud 1997, 133).
3) Die Panelsequenz
Sobald mehr als ein Panel gegeben ist, liegt eine Panelabfolge oder Panelsequenz vor, welche im Rückblick auf Oliver Näpels Comic-Definition eines der Grundvoraussetzungen von Comics darstellt (vgl. Dittmar 2008, 44f.) Ein Panel allein, merkt auch Scott McCloud an, kann nicht mit der Marke „Comic“ versehen werden, sondern sollte eher die Bezeichnung „Comic-Kunst“ tragen (vgl. McCloud 1997, 29). Den Gesamteindruck von einer Panelsequenz und den dazugehörigen Panelzwischenräumen auf einer einzigen Comicseite beschreibt Benoît Peeters zusätzlich als Tableau (vgl. Schüwer 2008, 10). Dieser Begriff ist zwar weniger bekannt, er wird im Folgenden jedoch ebenfalls aufgegriffen.
4) Die Sprechblase
Obwohl die Sprechblase im vorherigen Kapitel bereits als Zeichenmodalität aufgeführt wurde und nicht im engeren Sinne das Layout eines Comics mitbestimmt, bedarf sie aufgrund ihrer Relevanz für das Medium einer näheren Erklärung. Wie der Name bereits preisgibt, handelt es sich bei ihr um eine mit textuellen Informationen versehene Blase, die in der Regel über dem Kopf einer Comicfigur platziert wird, um dieser eine Stimme zu geben. Dabei mündet sie in einem Dorn, üblicherweise eine spitze Endung, durch die erkennbar wird, welcher Comicfigur oder sonstigen Geräuschquelle sie zugeordnet ist. Die Sprechblase offenbart somit was die Comicfiguren sagen und vermittelt auf einer rein visuellen Ebene den Eindruck einer Verbalität (vgl. Dittmar 2008, 139). Abgesehen von verbalen Äußerungen kann sie jedoch auch die Gedanken von Comicfiguren offenbaren (vgl. Carrier 2000, 73). Unerheblich davon, ob mithilfe einer Sprechblase nun Äußerungen oder Gedanken manifestiert werden, können anstatt textueller Informationen auch visuelle Informationen, genauer gesagt, verschiedene Bildzeichen in ihr enthalten sein. Dazu gehören beispielsweise Symbole, einzelne Satzzeichen, non-verbale Vokalisierungen (z.B. ein „Hatschi!“) und Lautmalereien (vgl. Forceville / Veale / Feyaerts 2010, 57).
6) Hypothesen
Bevor im nächsten Kapitel die ausgewählten Comicszenen unter die Lupe genommen werden, bedarf es zunächst der Formulierung mehrerer Hypothesen. Diese können auf unterschiedliche Aspekte der in den Asterix-Comics dargestellten Interkulturalität Bezug nehmen und im Rahmen der abschließenden Evaluation entweder bestätigt oder widerlegt werden.
Hypothese 1: Die in der französischen Comicserie Asterix dargestellte Interkulturalität ist von vielen modernen national-kulturellen Stereotypen geprägt, die zum einen den Franzosen und Französinnen selbst und zum anderen ihren europäischen NachbarInnen sowie anderen nicht-europäischen Bevölkerungsgruppen zugeschrieben werden. Bei diesen handelt es sich in der Regel um Stereotype, die sich auf nationale Zugehörigkeiten oder auf die jeweiligen Länder und dargestellten Regionen beziehen.
Hypothese 2: Die Dynamik zwischen den Comicfiguren variiert je nach ihrer persönlichen Vorgeschichte und Einstellung zueinander. So ist davon auszugehen, dass die Interaktionen zwischen Figuren, die sich bereits kennen, anders aufgebaut sind, als die zwischen Figuren, die sich in der zugehörigen Comicszenen gerade zum ersten Mal begegnen. Davon abhängig sind sehr wahrscheinlich auch die Themen, die während der Interaktionen angesprochen werden und etwaige critical incidents, mit denen die Figuren umgehen müssen.
Hypothese 3: Die in den Asterix-Comics dargestellten interkulturellen Interaktionen vollziehen sich im Rahmen eines Spannungsfeldes zwischen der Annahme einer Reziprozität der Perspektiven und der Erkenntnis einer Irreziprozität der Perspektiven. Damit ist gemeint, dass die Grenzen des gemeinsamen Verstehens, also des intersubjektiven Verstehens, stark von diesen zwei gegensätzlichen Erfahrungsmodi beeinflusst werden. Kommt die Interaktion zwischen zwei Comicfiguren beispielsweise aufgrund hoher Meinungsdifferenzen ins Stocken und lässt sich die eine Figur den Standpunkt von der anderen „ausführlich erklären, so wird die Grenze des Nicht-Verstehens verschoben und die Irreziprozität der Perspektiven wird kommunikativ in die Reziprozität der Perspektiven überführt“ (Gropper / Schnettler 2020, 315). Dieser Prozess kann auch als ein Oszillieren zwischen beiden Erfahrungsmodi verstanden werden, den Gropper und Schnettler passenderweise als ein „situatives und perspektivisches Phänomen im mundanen intersubjektiven Fremdverstehen“ (Gropper / Schnettler 2020 315f.) bezeichnen.
Hypothese 4: Die in den Comics dargestellte Interkulturalität hat sich trotz gleichbleibender Elemente seit der Veröffentlichung der älteren Comics in Bezug auf zwei zentrale Aspekte geändert. Zum einen ist zu beobachten, dass die Gestaltung der neueren Comics mit der Kreierung unabhängigerer weiblicher Figuren einhergeht und zum anderen, dass im Gegensatz zu den früheren Bänden mittlerweile auch Völker in die Handlungen der Comics miteingebunden werden, die nicht aus benachbarten, sondern aus weiter entlegenen und sogar utopischen Regionen stammen. In Bezug auf die Rolle der Frau ist zudem davon auszugehen, dass in Anlehnung an René van Royens und Sunnyva van der Vegts Einteilung der weiblichen Asterix-Figuren in drei Frauentypen – in 1) die gewitzte und herumkommandierende Hausfrau, 2) das schöne junge Mädchen und 3) die unabhängige starke Frau – dem dritten Typ Frau in den neueren Comics mehr Raum gegeben wird (vgl. van Royen / van der Vegt 1999, 140f.).
Hypothese 5: In Anlehnung an das Verständnis von Christine Gundermann (2009) und Ksenia Kuzminykh (2015), dass Comics als Konservierungsmedien zu verstehen sind, wird abschließend davon ausgegangen, dass die Interkulturalitätsdarstellungen in den Asterix-Comics ebenfalls eine Speicherfunktion besitzen (vgl. Gundermann 2009, 16). In ihnen schwingen Verhaltensregeln, Deutungsmuster, Trends sowie die Meinungen und Vorstellungen der Autoren über unterschiedliche Zeitperioden mit, wie zum Beispiel über die Zeit des Kalten Krieges oder über die Wilhelminische Epoche (vgl. Gundermann 2009, 127). Aus diesem Grund können die Interkulturalitätsdarstellungen auch bis zu einem gewissen Grad Aufschluss über die jeweilige Zeit geben, in der die Comics veröffentlicht wurden.
7) Analyse
7.1) Szene 1: Asterix und Grautvornix interagieren mit Olaf Maulaf
Beschreibung und Einordnung der Szene
In der ersten Szene, die sich aus einer ganzen Comicseite zusammensetzt und somit als Tableau beschrieben werden kann, befinden sich Asterix und Grautvornix, der Neffe des gallischen Dorfhäuptlings Majestix, in der Gewalt mehrerer normannischer Krieger, die sich für kurze Zeit an der gallischen Küste niedergelassen haben. Diese kommen hoch aus dem Norden und gelten als bedrohliche Krieger, die genau wie das Wetter im Norden rau und zäh sind. Aus diesem Grund werden sie von vielen Völkern gefürchtet. Da sie selbst keine Furcht kennen und davon gehört haben, dass Angst Flügel verleihe, entscheiden sich einige Normannen unter der Führung ihres Häuptlings Olaf Maulaf eine Studienreise zu machen und jemanden zu finden, der ihnen das Gefühl der Angst lehrt.
Diesen Lehrer sehen sie schließlich in Grautvornix, der entgegen seines Namens, große Angst vor den Normannen hat. Kurzerhand entführen die Normannnen den jungen Gallier und verlangen von ihm, dass er ihnen Angst einjagen soll. Als Grautvornix, verwirrt und selber völlig verängstigt, nicht kooperiert, wird er am Strand an mehrere Pfähle gefesselt. Einzig Troubadix, der untalentierte Barde des gallischen Dorfes, kann Grautvornix nach Asterix‘ Einschätzung aus der misslichen Lage retten. Seine Singstimme, die alle DorfbewohnerInnen als zutiefst nervtötend empfinden, wird den Normannen schon zeigen, was Angst ist. Dementsprechend bittet Asterix Obelix den Barden zu suchen und mit ihm gemeinsam zum Zeltlager der Normannen zurückzukehren. #
Soziales Handeln
Im Rahmen dieser Analysekategorie wird das soziale Handeln der Comicfiguren Asterix, Grautvornix und Olaf Maulaf in den Blick genommen. Beim Studieren des Tableaus fällt zunächst auf, dass Asterix im Vergleich zu den anderen beiden Figuren sehr ruhig und in bestimmten Momenten beinahe desinteressiert wirkt. Während Majestix‘ Neffen Grautvornix in der Anwesenheit der Normannen die Knie schlottern und er sich dem normannischen Häuptling zu Füßen werfen möchte, bewahrt Asterix eine aufrechte Haltung und scheut sich nicht davor, Olaf Maulaf seine Meinung zu sagen. Darüber hinaus widmet er seine Aufmerksamkeit lieber dem Schiff der Normannen, welches vor der Küste auf dem Wasser treibt und von Olaf Maulaf als „Drachen“ bezeichnet wird. Dem Normannenhäuptling selbst scheint es dagegen ebenfalls an Selbstbeherrschung zu mangeln: Als Asterix ein Lob auf die „Würstchen à la Crème“ ausspricht, fühlt er sich offenbar von dem Verhalten des Galliers provoziert und schafft es nicht seine Gefühle unter Verschluss zu halten. Mithilfe einer Sprechblase, die im zweiten Panel über seinem Kopf dargestellt ist, wird unter anderem zum Ausdruck gebracht, wie Olaf Maulaf sich über seinen Gegenüber beschwert und kurzerhand beschließt, ihn und Grautvornix exekutieren zu lassen.
Obwohl die Mimik, Gestik und Körperhaltung von Olaf Maulaf im Vergleich dazu sehr deutlich darauf hinweisen, dass dieser aufgebracht ist, wird Asterix von dem normannischen Häuptling gesiezt. Sowohl diese Ansprache als auch die kurze Erklärung der nördlichen Schiffsbezeichnung „Drachen“ vermitteln ein geringes Maß an Respekt dem Gallier gegenüber. Grautvornix, der erst im fünften Panel der Szene in Erscheinung tritt, wird dagegen von beiden Figuren geduzt, was möglicherweise seinem Alter und jüngeren äußerlichen Erscheinung geschuldet ist. Diese wird besonders durch das Fehlen eines Bartes hervorgehoben, aber auch durch die schlaksige Figur, den kleinen Dolch, die langen Haare und den linken Seitenscheitel.
Darüber hinaus kann die blaue Hose, die Grautvornix trotz seiner blau-weißen Schuhe und seines blau-schwarzen Oberteils trägt, als ein antiker Vorreiter der „Blue Jeans“ interpretiert werden. Diese Hose entwickelte sich in den 1950- und 1960er Jahren zur „ Insignie […] jugendlicher Eigenständigkeit “ (Fuchs 1983, 361; Hervorhebung im Original). Sie spiegelte dabei vor allem das Bedürfnis von Jugendlichen wider, sich von den konservativen Einstellungen der Erwachsenen abgrenzen zu wollen, denn unter ihnen galt die Jeans aufgrund ihrer engen Passform, ihrem Ursprung als Arbeiterhose und ihres legeren Aussehens als anstößig (vgl. ebd., 361). Da der Comicband „Asterix et les Normands“ (1966) in der Zeit dieser Jugendbewegung entstanden ist, ist es wahrscheinlich, dass die Jeans als Anspielung darauf zu verstehen ist.
Unabhängig davon, dass Olaf Maulaf derjenige ist, der im Laufe der Szene verschiedene Anweisungen erteilt, wird die Interaktion zwischen ihm und den Galliern von allen drei Comicfiguren auf die gleiche Weise aktiv mitgestaltet. Mithilfe von Fragen, Meinungsäußerungen, Feststellungen oder illustrierenden Gesten wie die schnelle Auf- und Abwärtsbewegung der Hände, reagieren die Figuren nicht nur auf die Sprachhandlungen ihrer Gegenüber, sondern treten darüber hinaus selbst in Aktion.
Emotionen
Bei der Gestaltung der vorliegenden Szene wurden verschiedene Zeichenmodalitäten genutzt, um auf die fiktive innere Gefühlswelt der Comicfiguren zu verweisen. Obwohl natürlich nicht mit Sicherheit gesagt werden kann, welche Gefühle Goscinny und Uderzo mit ihren Darstellungen evozieren wollten, lassen sich die zu diesem Zweck verwendeten Zeichenmodalitäten zumindest als Indikatoren für die jeweiligen Gefühle begreifen. Somit wird auf Grundlage der hier präsentierten Zeichenmodalitäten angenommen, dass es sich bei den ausschlaggebenden Gefühlen der Interagierenden um die der Wut, Angst und Hoffnungslosigkeit handelt. Das Gefühl der Wut, welches dem Normannen Olaf Maulaf zugeordnet ist, lässt sich dabei unter anderem an dem geröteten Gesicht der Comicfigur und ihrem Faustschlag auf die Tischplatte festmachen. Während ein gerötetes Gesicht beim Menschen schließlich oftmals ein Anzeichen für empfundene Wut oder Scham darstellt, signalisiert ein Schlag mit der Hand auf einen Tisch dagegen, dass eine Person das Verhalten einer anderen Person nicht länger erduldet oder alternativ ihrer eigenen Aussage mehr Gewicht verleihen möchte (vgl. Rykalowá 2010, 218).
Ebenfalls relevant für die Evokation des Wutgefühls sind der lautmalerische Ausdruck „ZACK!“ (Goscinny / Uderzo 1971, 37), der im ersten Panel die Schnelligkeit und Härte des Faustschlags zum Ausdruck bringt, die zusammengezogenen Augenbrauen, das (wut-)verzerrte Gesicht und der rot-schwarze Panelhintergrund des zweiten Panels. Die leicht eckig geformte Sprechblase, die lang gezogenen fliegenden Wassertropfen, die aufgrund der Entfernung zum Kopf vermutlich Spucke oder visualisierte Schalllinien darstellen und der gezackte Sprechblasen-Dorn im letzten Panel, der wieder aufkommende oder unterschwellige Gereiztheit indiziert, können an dieser Stelle jedoch auch als Gefühlsindikatoren genannt werden. Von zentraler Bedeutung ist schließlich die in verschiedenen Panels aufgeführte größere Fettschrift, die in Anlehnung an die von George Lakoff und Mark Johnson (1980) ausgearbeitete konzeptuelle Metapher „PHYSICAL SIZE IS SONIC VOLUME“ (Forceville / Veale / Feyaerts 2010, 13) auf eine gesteigerte Lautstärke und somit auf ein Schreien oder Brüllen der Comicfigur hindeutet.
Bei der Darstellung der Comicfigur Grautvornix erhalten die Wassertropfen, die bei Olaf Maulaf als Spucktropfen oder Schalllinien zu verstehen sind, eine völlig andere Bedeutung. Hier verweisen die Tropfen nicht auf das Gefühl der Wut, sondern auf das der Angst, weswegen es sich bei ihnen höchst wahrscheinlich um Schweißtropfen und somit um emotional state marker handelt. Kenntlich gemacht wird diese plötzliche Bedeutungsveränderung bzw. Rekontextualisierung durch die rundlichere Form der Tropfen, ihre nähere Platzierung am Körper und die visuelle Verknüpfung mit anderen Angstindikatoren (vgl. Müller 2012, 80). Dazu gehören die schwarzen welligen Bewegungslinien in Grautvornix‘ Kopf- und Beinregion, die ein angstbedingtes Zittern der Comicfigur sowie schlotternde Knie indizieren, die stark nach außen hin abgesenkten Augenbrauen und die nach unten deutenden Mundwinkel. In Kombination mit den halb geschlossenen Augen und den schlaff herabhängenden Armen entsteht im vorletzten Panel zudem der Eindruck, dass Grautvornix neben der Angst auch Hoffnungslosigkeit empfindet und sich mit seiner misslichen Lage als Geisel abgefunden hat. Diese Interpretation wird gestützt durch seinen beinahe schon sarkastischen Kommentar, dass sich Olaf Maulaf keine Sorgen um den Weg nach unten machen bräuchte, da dieser ohnehin schon feststehe.
Identität
Die Interaktion der Comicfiguren geht im Rahmen der vorliegenden Szene mir der Ko-Konstruktion verschiedener Identitäten einher. Bei den Identitäten, die für den Gesamteindruck der Szene am relevantesten sind, handelt es sich um die Identität des mutigen und beherrschten Galliers (Asterix) und die des autoritären normannischen Häuptlings (Olaf Maulaf). Während die Identität von Asterix dabei aufgrund der Hervorhebung seiner ethnischen Zugehörigkeit auf einer sozialen Makroebene von Bedeutung ist, spielt die von Olaf Maulaf im Hinblick auf seine berufliche Position dagegen auf der sozialen Mesoebene eine Rolle. Konstruiert wird die Identität von Asterix durch seine mangelnde Ehrfurcht vor Olaf Maulaf sowie sein auffallendes Desinteresse in Bezug auf die geplante Hinrichtung. Zum anderen lässt sich die Identitätskonstruktion des Galliers auf den starken Kontrast zwischen ihm und der Figur des Grautvornix zurückführen. Als Grautvornix von Olaf Maulaf dazu aufgefordert wird, von der Klippe zu springen, steht diesem die Angst, wie im Abschnitt zuvor erläutert, deutlich ins Gesicht geschrieben. Asterix dagegen bewahrt die Ruhe und regt Grautvornix dazu an, mutig zu sein und wie ein Gallier zu sterben. Dadurch wird das Attribut des Mutes noch einmal explizit mit dem charakterlichen Profil der GallierInnen verknüpft, was ebenfalls zur Identitätskonstruktion des mutigen Galliers beiträgt.
Die Identität des autoritären Normannenhäuptlings wird vor allem durch die Interaktionen zwischen ihm und seinen Männern hervorgebracht. Sowohl im Rahmen des zweiten als auch des vierten Panels ist zu sehen, wie Olaf Maulaf ihnen verschiedene Befehle erteilt und dabei auf jede Höflichkeitsfloskel verzichtet. So lautet eine seiner verschriftlichten Äußerungen lediglich wie folgt: „Holt den Meister vom Drachen ‘runter!!!“ (Goscinny / Uderzo 1971, 37). Unterstrichen werden diese Anweisungen und anderweitigen Äußerungen der Comicfigur dabei durch einen deutenden Zeigefinger, der in seiner Funktion anprangernd sowie objektivierend wirkt und gleichzeitig auf gestischem Wege Olaf Maulafs Macht demonstriert. Die Vormachtstellung des Häuptlings ist jedoch auch an seiner Kleidung festzumachen: Genau wie sein gallischer Kollege Majestix trägt er als einziger Normanne einen Umhang, sein Oberteil ist auf Brusthöhe mit zwei goldenen Medaillen verziert und nur bei ihm sind die am Helm befestigten Knochen mit goldenem Metall umwickelt.
Wissensasymmetrien
Im zweiten Teil der Szene wird dargestellt, wie Olaf Maulaf den Gallier Grautvonix an den Rand der Klippe zieht und ihm instruiert, wie er die Klippe herunterfliegen soll, so als hätte er tatsächlich Flügel. Da Grautvornix nicht bewusst ist, dass die Normannen die metaphorische Redewendung „Angst verleiht Flügel“ wörtlich nehmen, interpretiert er das Herunterfliegen von der Klippe als Springen. Das wird insbesondere daran deutlich, dass er die „Flugroute“ in Anspielung auf das natürliche Gesetz der Schwerkraft bereits als vorausbestimmt bezeichnet. Aufgrund der weitreichenden Folgen, die dieses Missverständnis für die Interagierenden nach sich zieht – Asterix‘ Äußerung „Zeig diesen Normannen, wie ein Gallier stirbt“ (Goscinny / Uderzo 1971, 37) indiziert, dass ein Sprung von der Klippe aus einem bestimmten Grund lebensgefährlich sein muss –, lässt sich hier von einer Wissensasymmetrie sprechen. Diese scheint sowohl bei Olaf Maulaf als auch bei Grautvornix dem Verständnis einer Reziprozität der Perspektiven zugrunde zu liegen, da beide Figuren trotz der vielen Unstimmigkeiten nicht auf die Idee kommen, dass sie aneinander vorbeireden. Offenbar sind sie so sehr davon überzeugt, ihr Gegenüber würde genauso denken wie sie, dass Zweifel an einer gemeinsamen Wissensgrundlage erst gar nicht aufkommen. Dadurch kann die zwischen ihnen gegebene Wissensasymmetrie weder im Rahmen der Szene noch im weiteren Verlauf des Comics überwunden werden.
Stereotype
In dieser Szene wird das Stereotyp des männlichen Normannen bzw. des Wikingers bedient. Da Normannen als Nachfahren derjenigen Wikinger gelten, die im Jahr 911 in das fränkische Reich eingegliedert wurden, haben Goscinny und Uderzo den Normannen in ihrem Comicband offenbar dieselben Charakteristika und Merkmale zugeschrieben, die auch in anderen Wikingerdarstellungen zu beobachten sind (vgl. Scheller 2014, 209). Als Beispiele für solche Darstellungen lassen sich hier die US-amerikanischen Abenteuer-Filme „Die Wikinger“ (1958) und „Drachen zähmen leicht gemacht“ (2010) sowie die belgische Comicserie „Thorgal“ anführen (vgl. Trommer 2016: 224). In der Asterix-Serie ist das Stereotyp des Wikingers mit verschiedenen Klischees und Vorurteilen verknüpft. Diese werden im Folgenden nacheinander aufgeführt und kurz anhand der jeweiligen Gestaltungselemente in den einzelnen Panels erläutert.
a) Wikinger sind stämmig gebaut: Das Klischee, dass Wikinger von muskulöser Statur sind und einen breiten Oberkörper besitzen, wurde offenbar auch bei der künstlerischen Gestaltung der Normannen berücksichtig. Die Normannen, die in der vorliegenden Szene dargestellt werden, sind allesamt breitschultrig, besitzen kräftige Oberarme und ihre Kleidung gibt zum Teil den Blick auf eine breite Brust sowie Körpermitte frei. Der Rest des Körpers, insbesondere die Beine, wirken dadurch unproportional, was durch die bunten Hosen der Normannen sogar noch hervorgehoben wird. Wie bereits angedeutet, ist dieser überzeichnete endomorphe Körpertyp beispielsweise auch in der Wikinger-darstellung des Kinder- und Jugendfilms „Drachen zähmen leicht gemacht“ (2010) zu sehen.
b) Wikinger sind sehr religiös: Die mediale Rezeption der Wikinger ist häufig an eine Einführung in die nord-germanische Mythologie gekoppelt. Nicht nur die verschiedenen Götter wie Odin, Tyr, Thor oder Freya, sondern auch bestimmte Mythen oder Fabelwesen werden gerne in die Handlungen von Wikinger-Filmen, -Comics oder -Serien (vgl. Erwich 2020, 111) eingebettet. Tatsächlich ist dies auch zu einem geringen Maß in der vorliegenden Comicszene der Fall: So ruft der normannische Häuptling Olaf Maulaf zu Beginn der Szene den germanischen Gott Thor an und verweist im weiteren Verlauf auf Odins Tradition, für die im Kampf gefallenen Krieger ein Festmahl auszurichten.
c) Wikinger sind brutal und aggressiv: Da Wikinger hauptsächlich als gefährliche Krieger und Plünderer gelten, spielen die
„vielen Facetten nationaler, geographischer, ökonomischer und auch mentaler Art, die sich daraus ergeben, dass sich in den […] Jahren der Wikingerzeit die Skandinavier mit zahlreichen anderen Völkern, Wirtschafts- und Siedlungsräumen, Religionen und politischen Systemen messen mussten“ (Simek 2021, 7), oftmals nur eine untergeordnete Rolle. Die daraus resultierende einseitige sowie vorurteilsbehaftete Auffassung von dem Seefahrervolk wurde offenbar auch in der vorliegenden Asterix-Comicszene aufgegriffen. Dies zeigt sich unter anderem an Olaf Maulafs Wutausbruch, seinem Faustschlag auf den Tisch und seinem hämisch wirkenden Grinsen im sechsten Panel. Es lässt sich aber auch an der thematisierten Hinrichtung, den als Waffen genutzten Äxten und dem an einer Kette hängendem Totenschädel festmachen, der von einem Normannen um den Hals getragen wird.
Othering
Im Hinblick auf mögliche Verfremdungsprozesse fällt auf, dass Asterix die Normannen im Rahmen des vierten Panels als „Touristen“ bezeichnet. Damit zieht der Gallier eine klare Linie zwischen sich als Einheimischen und den Normannen als ausländischen Touristen. Interessant ist hierbei, dass die Gewalthandlungen der Normannen, worunter auch die Geiselnahme von Grautvornix fällt, Asterix‘ Sicht auf die Normannen als (harmlose) Urlauber offenbar nicht beeinträchtigen. Während der Gallier die Normannen theoretisch auch als „Terroristen“ hätte bezeichnen können, erinnert der Ausdruck „Touristen“ dagegen zurück an die Studienreise, die die Normannen zurzeit unternehmen. Abgesehen davon ist ebenfalls interessant, dass Asterix mit seiner Aussage den Ausländerstatus der Normannen hervorhebt, obwohl die Kleidung und Statur der Normannen einige Gemeinsamkeiten mit denen der Gallier aufweisen. Beispielsweise tragen sowohl Asterix als auch Olaf Maulaf einen Flügelhelm, dunkle Oberteile, verschiedenfarbige Hosen und Schuhe sowie einen Gürtel, an dem eine Schwertscheide mit Schwert befestigt ist. Indem Asterix die Normannen als „Touristen“ bezeichnet, beschließt er sich dementsprechend stärker auf die Unterschiede zwischen ihm und den Normannen zu konzentrieren als auf ihre Gemeinsamkeiten. Eine Verfremdung im Sinne eines Otherings, das der eigenen Selbstaffirmation dient, liegt damit jedoch nicht vor, insbesondere, weil Asterix mit sich selbst zu sprechen scheint und nicht mit dem Normannenhäuptling.
7.2) Szene 2: Stellartoix lädt Majestix, Asterix und Obelix zum Essen ein
Beschreibung und Einordnung
In dieser Szene lernen sich einige keltische Gallier und ihre Nachbarn, eine Gruppe belgischer Gallier4, näher kennen. Dargestellt werden der gallische Dorfhäuptling Majestix in Begleitung von Asterix und Obelix sowie eine belgische Kamptruppe unter der Führung des Belgiers Stellartoix und seinem Kollegen Egmontix.
Soziales Handeln
Das soziale Handeln der Interagierenden konzentriert sich in dieser Szene auf die Durchführung eines typischen Begrüßungsrituals und die Verwendung der damit einhergehenden Höflichkeitsfloskeln. In den ersten beiden Panels ist dementsprechend dargestellt, wie sich erst Stellartoix und Majestix und anschließend die übrigen Gallier namentlich vorstellen sowie gegenseitig die Hände schütteln. Das aktive nach unten und oben Bewegen der Hände wird dabei mit übereinander platzierten gerundeten waagerechten und geraden senkrechten Bewegungslinien zum Ausdruck gebracht. In Kombination mit diesem typisch westlichen Begrüßungsritual spielen zudem verschiedene Höflichkeitsfloskeln und anderweitigen Körpersignale eine Rolle, die mit Höflichkeit assoziiert werden: Hierzu zählen die floskelhaften Einschübe wie „Gestatten“ oder „Angenehm“ (Goscinny / Uderzo 1979, 19), der militärische Gruß des Römers Claudius Speculatius, das interessierte nach vorne Beugen des Oberkörpers und besonders die Einladung zum mittäglichen Abendessen, die Stellartoix kurzerhand gegenüber seinen keltischen Nachbarn ausspricht.
Emotionen
Die Gefühle der Comicfiguren werden auch in dieser Szene mithilfe von verschiedenen Zeichenmodalitäten zum Ausdruck gebracht. So zum Beispiel indizieren die lächelnden Gesichter der Gallier, die anhand der jeweiligen gezeichneten Augenfalten, auch bezeichnet als Lachfalten, der hervorgehobenen Wangen und der nach außen gewölbten Mundwinkel zu erkennen sind, ein gemeinschaftliches Gefühl von Sympathie. Gestützt wird diese Interpretation durch die wärmere Farbpalette, da die hier verwendeten Farben, wie ein gedecktes Orange oder ein helles Braun in der Regel mit positiven Gedanken assoziiert werden (vgl. Breiner 2018, 88ff., 94). Während in den Panels davor kältere Farben verwendet wurden, um den in den Panels dargestellten Konflikt zwischen Majestix und dem Kampftruppenleiter Stellartoix zu untermalen, spiegeln die Farben in der vorliegenden Szene nun stattdessen die Annäherung beider Figuren nach Beendigung des Konflikts wider.
Wissensasymmetrien
Potentielle Wissensasymmetrien, die die Interaktionen zwischen den Comicfiguren prägen könnten, lassen sich in der vorliegenden Szene nicht ausmachen. Dennoch ist hier die Informationsverarbeitung der zwei Figuren „Claudius Speculatius“ und „Obelix“ interessant, da sie auf eine verzerrte Selbstwahrnehmung hindeutet. Währen Claudius Speculatius offenbar annimmt, sich trotz seiner römischen Herkunft und dem auffallenden Desinteresse der Gallier ihm gegenüber aktiv an der Begrüßungsrunde zwischen den Galliern beteiligen zu können, scheint Obelix davon überzeugt zu sein, nur seine bzw. die Essenszeiten in seiner Heimat seien „normal“ und müssten deswegen als Maßstab gelten. Dies zeigt sich daran, dass er den Belgiern im letzten Panel „einen Vogel zeigt“ bzw. Asterix darauf aufmerksam macht, dass sie „einen Vogel haben“ (vgl. Fiehler 2020, 39). Diese Geste, bestehend aus dem mehrmaligen Tippen des Zeigefingers an die eigene Schläfe, sagt in der Regel aus, dass jemand eine andere Person für merkwürdig und oder für nicht ganz richtig im Kopf hält.
7.3) Szene 3: Asterix, Obelix und Troubadix lernen Washupdah kennen
Beschreibung und Einordnung
In der folgenden Szene machen Asterix, Obelix und der Barde Troubadix die Bekanntschaft des ausländischen Elefantenführers Washupda. Er wird ihnen von dem Fakir Erindjah vorgestellt, mit dem die drei Gallier zuvor gemeinsam nach Indien in die Nähe des Flusses Ganges gereist sind, wo das Königreich des Radschas Nihamavasah liegt. Obwohl es so scheint, besuchen die Gallier Washupda nicht rein zufällig oder aus Neugier, sondern um für Trobadix ein Bad mit Elefantenkuhmilch zu organisieren. Dieses wurde dem Barden in der Szene davor von mehreren Ärzten verschrieben, da er vorübergehenderweise seine Stimme verloren hat. Obwohl die Singstimme von Troubadix alles andere als beliebt ist, kommt ihr Verlust den Galliern und auch Erindjah sehr ungelegen, da gerade sie es ist, die die Prinzessin Orandschade vor dem Tod bewahren könnte.
[...]
1 Als GallierInnen bezeichnete Cäsar die keltischen Völker auf dem Gebiet Galliens, das ungefähr dem heutigen Frankreich, Belgien, Westdeutschland und der westlichen Schweiz entspricht (vgl. Brodersen 2001, 19f.)
2 Der Begriff „Medium“ ist mit verschiedenen Bedeutungen und kommunikations-wissenschaftlichen Konzepten angereichert und beschreibt oftmals ein Mittel zur Verständigung und Informationsverbreitung. Der Comic kann daran anknüpfend als narratives Medium betrachtet werden, das auf rein visueller Ebene Informationen vermittelt (vgl. Mock 2006, 183)
3 Da sich in der deutschen Comicforschung mittlerweile die deutsche Bezeichnung durchgesetzt hat, wird diese im Folgenden übernommen (vgl. Bachmann 2017; Platthaus 2008; Wilde 2018). Die andere Bezeichnung wird dagegen weiterhin im Englischen aufgeführt, denn für sie muss eine einheitliche Übersetzung offenbar erst noch gefunden werden.
4 Wie auch auf der dritten Seite eines jeden Asterix-Bandes zu sehen ist, unterschied Julius Cäsar unter anderem zwischen den gallischen Regionen Gallia Celtica, Belgica und Aquitania (vgl. Brodersen 2001, 20)
- Quote paper
- Hanna Schroer (Author), 2022, Interkulturelle Fremderfahrungen in der Comicserie "Asterix". Darstellung und Korrelation mit gesellschaftlichen Veränderungen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1351720
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