Das Thema Zivilreligion beschäftigt uns schon seit Rousseau. Man muss sich hierbei die Frage stellen, wie ein Gefühl von Verpflichtung und Solidarität eines Bürgers gegenüber seinen Mitbürgern entstehen kann. Gibt es überhaupt so etwas wie einen gemeinsamen Konsens, der sich auch auf das Religiöse bezieht? Braucht man überhaupt einen solchen gemeinsamen Nenner?
Der Diskurs um die Zivilreligion ist sicher in einigen Punkten kritikbedürftig und dennoch eine wichtige Herausforderung in der modernen Gesellschaft.
Inhaltsverzeichnis
1. Jean-Jacques Rousseau: „Über die zivile Religion“
2. EXKURS: Robert N. Bellah: „Civil Religion in America“
3. Offene Fragestellungen
4. Quellenangaben
1. Jean-Jacques Rousseau: „Über die zivile Religion“
Das achte Kapitel im vierten Buch des Gesellschaftsvertrags von Jean-Jacques Rousseau ist 1761 nachträglich hinzugefügt worden und hat seit diesem Zeitpunkt immer wieder für Diskussionen und Kritik gesorgt. Aber auch schon fünf Jahre zuvor hat Rousseau in einem Brief an Voltaire von seinen Ideen geschrieben, die er, nachdem sie öffentlich geworden waren, stets zu verteidigen hatte. Er spricht vom Wunsch, „da J3 [!] jeder Staat einen Moralkodex hätte, eine Art bürgerliches Glaubensbe-kenntnis, das die Gesellschaftsmaximen, die jeder einzuhalten verpflichtet wäre, positiv ausdrückt, und negativ die Maximen der Unduldsamkeit, [...]. Jede Religion, die mit dem Kodex übereinstimmt, wäre damit zugelassen, welche damit nicht übereinstimmt, mü J3 te [!] verboten werden.“ (Rousseau 1977, 195).
Rousseau beginnt den ersten Abschnitt damit, wie der Polytheismus entstanden ist. Zunächst galten die Götter als oberste Instanz, bis die Menschen ihresgleichen zu ihren Herren erklärten. Daraus fol-gerte man, dass es genauso viele Götter geben müsste, wie es Völker gab. Es entstand das Vielgötter-tum - der Polytheismus, der die „theologische und zivile Unduldsamkeit“ (Rousseau 1977, 196) zur Folge hatte.
Im Heidentum, so stellt Rousseau fest, hat es keine Religionskriege gegeben, da ein Religionskrieg immer auch mit einem Krieg auf politischer Ebene gleichzusetzen ist . „Jede Religion [ist] einzig und allein an die Gesetze des Staates gebunden [...], ein Volk zu bekehren, [...] [hie J3 ] es zu unterwerfen.“ (Rousseau 1977, 197). Wie es dazu kommen konnte, dass das Heidentum zu einer Einheitsreligion wurde, erklärt sich Rousseau folgendermaßen: Dadurch, dass die Römer bei ihren Siegeszügen gele-gentlich die Götter des Verlierers akzeptierten, wurde eine Vielfalt an Göttern begünstigt, die sich einander sehr ähnelten.
Über das Christentum sagt Rousseau, es hätte wegen des Anspruchs auf die Staatsführung immer eine Uneinigkeit zwischen dem weltlichen und dem kirchlichen Oberhaupt gegeben. „In den christlichen Staaten [war] jede vernünftige Staatsführung unmöglich [...].“ (Rousseau 1977, 198). Rousseau aber befindet „die [...] Verbindung [des heiligen Kults] mit dem Staatskörper [für nötig].“ (ebd.). Als Bei-spiel für ein Bündnis beider Organe nennt er die Könige von England und die russischen Zaren, die allerdings, so Rousseau, „ nicht zu Herren, sondern eher zu Dienern der Kirche gemacht [wurden].“ (Rousseau 1977, 199). Ein Christ ist immer pflichtbewusst, egal ob sein Engagement positive oder negative Auswirkungen hat. In einer friedlich lebenden Gesellschaft „mü J3 ten [!] alle Bürger ohne Ausnahme gute Christen sein.“ (Rousseau 1977, 203).
Rousseau stellt in diesem Kapitel drei Kategorien vor, wie man aus gesellschaftlicher Perspektive die Religionen unterteilen könnte: die erste Kategorie ist die „Religion des Menschen“, die keine Anlauf-stellen wie einen Tempel oder ähnliches braucht, sondern sich auf den „rein innerlichen Kult [...] und die ewigen Pflichten der Moral [beschränkt].“ (Rousseau 1977, 201). Rousseau bezeichnet die erste Kategorie auch als den „wahre[n] Theismus“ (ebd.). Die Religion des Menschen hat Vor- und Nachteile. Als positiv anzusehen ist die Tatsache, dass die Menschen sich als Brüder anerkennen, tole- rant sind, eine Verbindung, die sogar über den Tod hinausgeht. Nachteilig ist, dass sie völlig apolitisch ist, es also keine Verknüpfung mit dem politischen Bereich gibt, sie „lässt den Gesetzen jene Kraft, die sie aus sich selbst ziehen, ohne ihnen eine andere zu verleihen“. (Rousseau 1977, 202). Dadurch kommt es anstatt zu einer Bindung an den Staat, zu einer Lösung, die „dem Gesellschaftsgeist [...] widerstrebt.“ (Rousseau 1977, 203).
Die zweite Kategorie ist die „Religion des Bürgers“ und bezieht sich nur auf ein Land, das jeweils seine eigenen Götter hervorbringt. Der Kult ist hierbei festgelegt, Riten werden abgehalten. Alles, was sich nicht zu dieser Religion bekennt, ist als „fremd und barbarisch“ (ebd.) anzusehen. Jenseits des Altars gibt es keine Menschenrechte und -pflichten. Hierbei ist positiv, dass die Liebe zu Gott und die Gesetzestreue beieinander stehen. Das Vaterland wird verehrt und somit steht man sowohl im Dienste des Staates als auch im Dienste Gottes. Rousseau bemängelt aber, dass die Religion des Bürgers „sich auf dem Irrtum und die Lüge gründet und daher die Menschen täuscht, sie leichtgläubig und aber-gläubisch macht und echte Gottesverehrung in leerem Zeremoniell ertränkt.“ (Rousseau 1977, 202). Alle, die nicht dieser Religion angehören, werden getötet, das Volk gerät in einen „wirklichen Kriegs-zustand“. (ebd.).
Rousseau fügt noch eine dritte Kategorie, die „Priesterreligion“, hinzu, die davon gekennzeichnet ist, dass es jeweils zwei Gesetzgebungen, Souveräne und Vaterländer gibt. Als Beispiel für diese Katego-rie nennt er den Katholizismus.
Es geht Rousseau aber vielmehr um die Grundsätze von Recht. Das Recht des Bürgers darf nie so weit ausgedehnt werden, dass es dem Staatswohl schaden würde. Entscheidend ist die Tatsache, dass die Religion des Bürgers diesem ein pflichtbewusstes Verhalten auferlegt. Was die Dogmen betrifft, so sind sie nur dann relevant, wenn sie bezüglich der Moral und der Pflichten alle etwas angehen. „Dar-über hinaus kann jeder glauben, was er will, ohne dass der Souverän es zu wissen braucht.“ (Rousseau 1977, 205-206).
Rousseau spricht von einem „rein bürgerliche[n] Glaubensbekenntnis“ (Rousseau 1977, 206), dessen Gebote das Oberhaupt erlässt. Diese Artikel sollten „Gemeinschaftsgefühle“ (ebd.) zum Ausdruck bringen und so formuliert sein, dass jeder den Wunsch verspüren müsste, „guter Staatsbürger [...] und treuer Untertan zu sein.“ (ebd.). Es geht um die „motivationale Funktion der Zivilreligion“. (Chwaszcza 2003, 141). Sollte sich dennoch jemand nicht dazu bekennen, kann er durch das Ober-haupt „nicht als Unläubige[r] [...], sondern als Feind der Gesellschaft“ (ebd.) verbannt, schlimms-tenfalls sogar zum Tode wegen Meineids verurteilt werden. „Die Vorstellung, daß [!] die Religion ‚die’ motivationale Quelle pflichtkonformen Handelns und damit gleichsam die Grundlage jeder Moral bezeichnet, gehört zu den im 18. Jahrhundert durchaus verbreiteten anthropologischen Ansich-ten.“ (Chwaszcza 2003, 141).
Jean-Jacques Rousseau kritisiert an einigen Stellen die Religionen der Antike und es zeigt sich, dass er nicht ausschließlich nur für die Funktionalität von Religion plädieren kann. Er versucht in seiner Idee der Zivilreligion das Motivationale mit den Artikeln der „Religion des Menschen“ zu verbinden.
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- Arbeit zitieren
- Lena Heinrich (Autor:in), 2007, Zivilreligion bei Rousseau und Bellah, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/135171
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