Liest man den Roman, die Rezeptionen und die Forschungsliteratur, wird schnell deutlich, das nicht der Inhalt das hauptsächlich faszinierende an Özdamars Roman ausmacht, sondern vielmehr die Sprache, der Erzählstil und der dadurch ermöglichte „interkulturelle Dialog“. Özdamar schreibt nicht in „gewohntem“ Deutsch, vielmehr stößt der Leser durchgehend auf ungewöhnliche Satzkonstruktionen, nicht übersetzte türkische Wörter, Satzteile oder Passagen und teilweise sogar auf Sätze, die den grammatikalischen Regeln des Deutschen diametral entgegenstehen. Özdamar selbst hat den Roman bewusst auf diese Art und Weise verfasst und begründet dies gerade mit der angesprochenen Begegnung mit dem Fremden:
Ich habe es absichtlich in einem Sprachdadaismus geschrieben, wo die Sprache nicht sofort zuverstehen ist, ob man jetzt türkische Bilder perfekt ins Deutsche überträgt oder gesprochen spricht, es ist sehr schwer zu verstehen, aber das war meine große Absicht, weil die Begegnung ja erst stattfindet, wenn die Fremdheit wahrgenommen wird.
In dieser Hausarbeit soll hauptsächlich dieses Sprachphänomen untersucht. Bei aller Bewunderung für den Text gibt es doch ganz unterschiedliche Meinungen zu Özdamars Werk. Daher möchte ich im ersten Teil einerseits den Karawanserei-Roman im Spiegel der Presse betrachten und die Reaktionen darstellen, welche er in diesem Bereich hervorrief.
Im zweiten Teil steht dann die Sprache an sich im Mittelpunkt der Betrachtung. Anhand von Beispielen und Textstellen soll versucht werden, die andersartige Sprache zu analysieren und Muster sowie Erzähltechniken ausfindig zu machen, mit welchen der Text überschrieben werden könnte. Darüber hinaus soll aber auch ein kritischer Blick auf die weit verbreitete Meinung geworfen werden, die Sprache bewirke allein das Fremde an Özdamars Roman. Diese verengte Sichtweise eröffnet einige Schwächen, welche den Blick auf das Potenzial des Textes gerade auch hinsichtlich seiner Fremdheit reduzieren. Schließlich folgt noch eine Analyse der Großvater-Geschichte und der Mehmet Ali Bey-Geschichte, in welchen Özdamar einen Teil der türkischen Geschichte vor, während und nach dem Ersten Weltkrieg der Ich-Erzählerin zu Ohren kommen lässt. Die Vorgehensweise, wie die Autorin diese geschichtlichen Ereignisse erzählen lässt, ist äußerst ungewohnt und auf der sprachlichen Ebene faszinierend gestaltet.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Die Rezeption des Romans
3. Die Sprache im Karawanserei-Roman
4. Sprache in der Darstellung der türkischen Geschichte
4.1 Die Großvater-Geschichte
4.2 Die Mehmet Ali Bey-Geschichte
5. Fazit
6. Bibliographie
1. Einleitung
Das Leben ist eine Karawanserei hat zwei Türen aus einer kam ich rein aus der anderen ging ich raus ist der zweite Roman von Emine Sevgi Özdamar. Der Roman gehörte in seinem Erscheinungsjahr 1992 zu den wichtigsten Büchern und wurde schon 1991 mit dem Ingeborg-Bachmann-Preis ausgezeichnet. Özdamar verfasste dieses bedeutende Werk in deutscher Sprache, doch auch die folgenden Übersetzungen in andere europäische Sprachen riefen in den entsprechenden Ländern größtenteils überaus positive Reaktionen und Bewertungen hervor.
So heißt es im Klappentext des Buches: „Zurecht hat man die Geschichte der Kindheit und Jugend eines türkischen Mädchens von seiner Geburt in Malatya, den zahlreichen Umzügen der ständig von Armut bedrohten Familie nach Istanbul, Bursa und Ankara als eine Art orientalischen Bildungsroman, als ein europäisches Werk des magischen Realismus gewürdigt.“1
Liest man den Roman, die Rezeptionen und die Forschungsliteratur, wird jedoch schnell deutlich, das nicht der Inhalt das hauptsächlich faszinierende an Özdamars Roman ausmacht, sondern vielmehr die Sprache, der Erzählstil und der dadurch ermöglichte „interkulturelle Dialog“2. Özdamar schreibt nicht in „gewohntem“ Deutsch, vielmehr stößt der Leser durchgehend auf ungewöhnliche Satzkonstruktionen, nicht übersetzte türkische Wörter, Satzteile oder Passagen und teilweise sogar auf Sätze, die den grammatikalischen Regeln des Deutschen diametral entgegenstehen. Überdies finden sich deutsche Wörter, die so zusammengesetzt bislang im Hochdeutsch nicht existierten. Dadurch lässt sich der Text und der Erzählstil scheinbar schwer kategorisieren, da er durch seine spezifische Art etwas Fremdes, bisher nicht Gekanntes ausstrahlt. Özdamar selbst hat den Roman bewusst auf diese Art und Weise verfasst und begründet dies gerade mit der angesprochenen Begegnung mit dem Fremden:
Ich habe es absichtlich in einem Sprachdadaismus geschrieben, wo die Sprache nicht sofort zuverstehen ist, ob man jetzt türkische Bilder perfekt ins Deutsche überträgt oder gesprochen spricht, es ist sehr schwer zu verstehen, aber das war meine große Absicht, weil die Begegnung ja erst stattfindet, wenn die Fremdheit wahrgenommen wird.3
In dieser Hausarbeit soll hauptsächlich dieses Sprachphänomen untersucht werden, wobei allein der Roman Das Leben ist eine Karawanserei hat zwei Türen aus einer kam ich rein aus der anderen ging ich raus im Blickpunkt stehen und von Vergleichen zu anderen Texten Özdamars abgesehen werden soll.
Bei aller Bewunderung für den Text gibt es doch ganz unterschiedliche Meinungen zu Özdamars Werk. Daher möchte ich im ersten Teil einerseits den Karawanserei -Roman im Spiegel der Presse betrachten und die Reaktionen darstellen, welche er in diesem Bereich hervorrief.
Im zweiten Teil steht dann die Sprache an sich im Mittelpunkt der Betrachtung. Anhand von Beispielen und Textstellen soll versucht werden, die andersartige Sprache zu analysieren und Muster sowie Erzähltechniken ausfindig zu machen, mit welchen der Text überschrieben werden könnte. Darüber hinaus soll aber auch ein kritischer Blick auf die weit verbreitete Meinung geworfen werden, die Sprache bewirke allein das Fremde an Özdamars Roman. Diese verengte Sichtweise eröffnet einige Schwächen, welche den Blick auf das Potenzial des Textes gerade auch hinsichtlich seiner Fremdheit reduzieren.
Schließlich folgt noch eine Analyse der Großvater-Geschichte und der Mehmet Ali Bey-Geschichte, in welchen Özdamar einen Teil der türkischen Geschichte vor, während und nach dem Ersten Weltkrieg der Ich-Erzählerin zu Ohren kommen lässt. Die Vorgehensweise, wie die Autorin diese geschichtlichen Ereignisse erzählen lässt, ist äußerst ungewohnt4 und auf der sprachlichen Ebene faszinierend gestaltet. Diese Analyse soll exemplarisch zeigen, wie der Karawanserei -Roman von sprachlicher Komplexität durchwebt ist und die Leistung Özdamars nicht nur in der Andersartigkeit ihrer Sprache sondern auch der literarischen Qualität des Romans sichtbar wird, was ihr häufig abgesprochen wird5.
Beschließen möchte ich die Arbeit mit einem kleinen Ausblick und möglichen Fragestellungen, welche in der Beschäftigung mit dem Karawanserei -Roman eine Rolle spielen sollten.
2. Die Rezeption des Romans
Grundsätzlich wurde der Roman in vielen Kreisen gelobt und als gelungenes sowie anregendes Buch anerkannt. Doch immer wieder wird in den Rezeptionen des Textes deutlich, dass die Bewunderung für den Text größtenteils durch seine Andersartigkeit hervorgerufen wird. Im Zusammenhang mit der Untersuchung der Sprache ist es nicht allein wichtig, den Gegenstand an sich zu untersuchen, sondern auch die Wirkung des Gegenstandes, also der Sprache in ihrer spezifischen Form, auf die Leser. In diesem Zusammenhang spricht Kuruyazici von dem Kommunikationsprozeß zwischen Autor und Leser. Die entscheidende Frage dabei ist, ob eine literarische Kommunikation stattfindet, das heißt, der Leser ist in der Lage, als Empfänger die literarischen Zeichen des Autors aufzunehmen und sie zu dekodieren6.
Hierbei soll zunächst auf die Rezeption in der Presse eingegangen werden, nachfolgend auf die Diskussion in der literaturwissenschaftlichen Forschung.
Die Rezeption des Romans in der Presse
Generell kann die Rezeption in der Presse folgendermaßen überschrieben werden: Das ‚Deutsche‘ an Özdamars Roman wird zwar bemerkt, allerdings klar überlagert von der Kennzeichnung des orientalischen oder märchenhaften Charakters7.
Im Zuge der Verleihung des Ingeborg-Bachmann.Preises wurde der Text von der Jury als „voll von originalen, archaisch-altertümlichen Elementen“8 und als „märchenhaft gefiltert und mit Bildern türkischem Ursprungs vermengt“9. Hier zeigt sich relativ deutlich, was die Anziehungskraft des Textes auf die Jury ausmachte. Hage betonte ebenfalls in diesem Zusammenhang: Und ich finde es gerade bemerkenswert an dieser Erzählung, wie unsere und die fremde Welt in diesem Erzählteppich verwoben werden“10. Beachtenswert ist dabei, dass besonders das Zusammenspiel zwischen Fremden und Bekanntem, der eigenen Welt und der fremden Welt hingewiesen wird. Die Bewertung der literarischen Qualität des Textes an sich wird hier übersehen. Darauf soll später noch näher eingegangen werden.
Auch in der Bewertung der Presse lassen sich ähnliche Tendenzen erkennen. Verschiedene Gruppen lassen sich dabei unterscheiden:
(1) Der Text wird als solcher nicht gewürdigt, das Fremde nicht als Kunst, sondern als Unfähigkeit zu Schreiben bewertet. In dieser Gruppe fand keine literarische Kommunikation statt.
(2) Der Text wird gewürdigt, das Fremde wirkt faszinierend und bildet mit der Bewunderung der andersartigen Sprache das Zentrum der Bewertung. Die literarische Kommunikation findet statt, allerdings in eingeschränktem Maß.
(3) Der Text wird nicht nur wegen der andersartigen Sprache und dem Eintreten in eine fremde Welt gewürdigt, sondern auch wegen seiner literarisch hochwertigen Qualität. Dabei findet die literarische Kommunikation statt und erreicht dabei ein sehr hohes Ausmaß.
Zur ersten Gruppe zählen beispielsweise Reaktionen wie die der Zeitung Der Tagesspiegel, die fragte: „Ist der Ingeborg-Bachmann-Preis am Ende?“11. Noch detaillierter formulierte die Frankfurter Allgemeine Zeitung ihr Kritik. Sie hielt gleichsam eine ‚Grabrede‘ auf den Literaturwettbewerb, als sie vom „hilflosen Text einer deutsch schreibenden Türkin, der mit folkloristischen Elementen aus der Märchentradition ihrer Heimat spielt, die von den Juroren gutmütigerweise für Surrealismus gehalten wurden...Auch auf dem Hintergrund zeitgenössischer türkischer Prosa, die keineswegs naiv ist oder folkloristisch, ist die Wahl absurd, ja beleidigend.“12 Hier wird also unterstellt, bei Özdamars Text habe man es mit naiv erzählten türkischen Märchen zu tun, die obendrein noch in falschem Deutsch verfasst wurden. Die Kritiker waren hier also nicht in der Lage, die literarischen Zeichen des Autors zu dekodieren, was zu einer äußerst negativen Rezeption führte.
Der zweiten Gruppe lassen sich wahrscheinlich die meisten Kritiken zuordnen. Die Süddeutsche Zeitung sprach beispielsweise von ‚exotischer Kost“13, die Neue Zürcher Zeitung von einer „märchenhaften Türkeigeschichte“14. Die hier angesprochene ‚Exotik‘ zeigt, dass die literarische Kommunikation nur in eingeschränktem Maß stattfindet. Autoren der Migrationsliteratur lehnen es gemeinhin ab, als Exoten bezeichnet zu werden15, da eine solche Sicht das eigentlich Faszinierende und Qualitative ihrer Werke verschleiert.
[...]
1 Özdamar, E.S.: Das Leben ist eine Karawanserei hat zwei Türen aus einer kam ich rein aus der anderen ging ich raus, Köln 72008.
2 Kuruyazici, N.: Emine Sevgi Özdamars Das Leben ist eine Karawanserei im Prozeß der interkulturellen Kommunikation, in: Howard, M. (Hrsg.): Interkulturelle Konfigurationen. Zur deutschsprachigen Erzählliteratur von Autoren nichtdeutscher Herkunft, München 1997, S. 180.
3 Bürgi, C.: Spazierengehen, das heisst Würmer ausschütteln. In: Wochen Zeitung 5, 05. 02. 1993, S. 13.
4 Dayioglu-Yücel, Y.: Von der Gastarbeit zur Identitätsarbeit. Integritätsverhandlungen in türkisch-deutschen Texten von Senocak, Özdamar, Agaoglu und der Online-Community vaybee!, Göttingen 2005, S. 145.
5 Konuk, K.: Das Leben ist eine Karawanserei: Heim-at bei Emine Sevgi Özdamar, in: Ecker, G.: Kein Land in Sicht. Heimt – Weiblich?, München 1997, S. 143-157, hier: S. 153.
6 Vgl. Kuruyazici, N.: Özdamar, S. 179.
7 Vgl. Dayioglu-Yücel, Y.: Gastarbeit, S. 28.
8 Felsbach, H., Metelko, S.(Hgg.): Klagenfurter Texte. Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb 1991, München 1991, S. 147.
9 Ebd. S. 147.
10 Ebd. S. 151.
11 Escherig, U.: Märchen und Skandälchen. Ist der Ingeborg-Bachmann-Preis am Ende?, Der Tagesspiegel, 2.7.1991.
12 Göktürk, D.: Muttikültürelle Zungenbrecher: Literatürken aus Deutschlands Nischen. In: Sirene, Nr. 12/13, September 1994, S. 77-93, hier: S. 77.
13 Auffermann, V.: Die Schöne und der Unhold: Speisereste und Tiefkühlkost oder der 15. Klagenfurter Bachmann-Wettbewerb. In: Süddeutsche Zeitung, 2.7.1991.
14 Vogler, H.: ‚Schreiben wollen ist nicht schwer...‘. Der 15. Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb in Klagenfurt. In: Neue Zürcher Zeitung, 2.7.1991.
15 Brezina, K.: Funktion und Bedeutung der Migrationsliteratur im deutschsprachigen Raum, Opava 2003.
- Citation du texte
- Sebastian Runkel (Auteur), 2009, Die Sprache in Emine Sevgi Özdamars Roman ‚Das Leben ist eine Karawanserei‘, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/135069
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