Diese Arbeit analysiert die Auswirkungen der Corona-Krise auf die wirtschafts- und finanzpolitische Ausrichtung der politischen Parteien in Deutschland. Da den Parteien im politischen System Deutschlands politisch und rechtlich eine herausragende Rolle zukommt und die Corona-Pandemie als eine der schwersten globalen Krisen der Neuzeit zu einem erheblichen Einbruch der nationalen und internationalen Wirtschaft führte, stellt sich die Frage, ob und wie Parteien als zentrale, wählerorientierte und -abhängige Akteure zwischen Staat und Gesellschaft auf diesen „exogenen Schock“ reagierten.
Anhand einer qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring und Mayring/Fenzl der Wahlprogramme von CDU/CSU, SPD, FDP, Die Linke und Bündnis90/Die Grünen zur Bundestagswahl 2017 und 2021 mit anschließendem Vergleich wird deutlich, dass die Corona-Wirtschaftskrise Auswirkungen auf die wirtschafts- und finanzpolitische Ausrichtung der Parteien hatte, da die Parteien sich während der Krise programmatisch in diesen beiden Politikfeldern deutlicher voneinander unterscheiden, als dies noch 2017 der Fall war (programmatische Divergenz). CDU/CSU und FDP bleiben der Idee der Angebotsökonomie und des Monetarismus treu und verfestigen diesen Eindruck, während SPD und Bündnis90/Die Grünen sich nach links bewegen, wenngleich die Ursache dafür bei den Grünen eher in der Ökologie zu finden ist. Die Linke betrachtet die Nachfragetheorie sowohl vor als auch während der Krise als ihr Konzept.
Inhaltsverzeichnis
Abstract
Abkurzungsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
1. Einfuhrung
1.1 Wissenschaftliche Relevanz und Mehrwert dieser Arbeit, Vorstellung des Themas und der Fragestellung
1.2 Erlauterung des Analyserahmens, sowie der Vorgehensweise und Aufbau der Arbeit
2. Einordnung derArbeit in den Forschungsstand undLiteraturubersicht 6
2.1 Wirtschaftskrisen als exogener Schock? Versuch einer konzeptionellen Annaherung
2.1.1 Diskussion der Bedeutung des Begriffs in der Literatur
2.1.2 Auswirkungen eines exogenen Schocks auf politische Parteien: Organisatorischer oder programmatischer Wandel
2.1.3 FunktionundEinordnung der Wirtschaftskrise imvorliegendenFall
2.2 Die Corona-Pandemie als Wirtschaftskrise
2.2.1 Historische Einordnung
2.2.2 Auswirkungen auf die Volkswirtschaft(en) in Deutschland und der EU
2.2.3 Vergleich mit bisherigen Wirtschaftskrisen: einzigartig oder vergleichbar mit der Weltfinanzkrise 2008?
2.3 Wahlprogrammanalysen
2.3.1 Funktion von Wahlprogrammen fur politische Parteien in Wahlkampfen
2.3.2 Funktionvon Wahlprogrammen aus vergleichend-politikwissenschaftlicher Sicht
2.3.3 Besonderheitenund methodische Herangehensweisen an Wahlprogrammanalysen
3. Fallauswahl
3.1 Auswahl der politischen Parteien
3.2 Auswahl der zu behandelnden Politikfelder
4. Theoretische Grundlagen undHypothesen
4.1 Politokonomische Denkschulen
4.1.1 Nachfrageorientierte Konjunkturpolitik nach Keynes
4.1.2 Angebotsorientierte Konjunkturpolitik: Monetarismus & Angebotsokonomie
4.2 These: Stabilitat, Vergleichbarkeit Corona-Krise gegeben
4.3 Antithese: Policy-Wandel, Vergleichbarkeit Corona-Krise nicht gegeben
4.4 Synthese: Parteiendifferenzen
4.5 Hypothesen
5. Methode: Qualitativelnhaltsanalyse
5.1 Abgrenzung zu methodischen Alternativen, Diskussion analoger quantitativer Methoden
5.2 Qualitative Inhaltsanalyse: Empfohlenes Vorgehen nach Mayring (2015) & Mayring/Fenzl (2019)
5.3 Anwendung des empfohlenen Vorgehens von Mayring (2015) & Mayring/Fenzl (2019) auf das vorliegende Thema und die Fragestellung
6. Analyse und Interpretation der Ergebnisse 58
6.1 Analyse der Wirtschafts- und Finanzpolitik in den Wahlprogrammen der CDU/CSU
6.1.1 Analyse der Wirtschafts- und Finanzpolitik im Wahlprogramm der CDU/CSU zur Bundestagswahl 2017
6.1.2 Analyse der Wirtschafts- und Finanzpolitik im Wahlprogramm der CDU/CSU zur Bundestagswahl 2021
6.1.3 Fazitfurdie CDU/CSU
6.2 Analyse der Wirtschafts- und Finanzpolitik in den Wahlprogrammen der SPD
6.2.1 Analyse der Wirtschafts- und Finanzpolitik im Wahlprogramm der SPD zur Bundestagswahl 2017
6.2.2 Analyse der Wirtschafts- und Finanzpolitik im Wahlprogramm der SPD zur Bundestagswahl 2021
6.2.3 Fazitfurdie SPD
6.3 Analyse der Wirtschafts- und Finanzpolitik in den Wahlprogrammen der FDP
6.3.1 Analyse der Wirtschafts- und Finanzpolitik im Wahlprogramm der FDP zur Bundestagswahl 2017
6.3.2 Analyse der Wirtschafts- und Finanzpolitik im Wahlprogramm der FDP zur Bundestagswahl 2021
6.3.2 Fazitfurdie FDP
6.4 Analyse der Wirtschafts- und Finanzpolitik in den Wahlprogrammen von Die Linke
6.4.1 Analyse der Wirtschafts- und Finanzpolitik im Wahlprogramm von Die Linke zur Bundestagswahl 2017
6.4.2 Analyse der Wirtschafts- und Finanzpolitik im Wahlprogramm von Die Linke zur Bundestagswahl 2021
6.4.3 Fazit fur Die Linke
6.5 Analyse der Wirtschafts- und Finanzpolitik in den Wahlprogrammen von Bundnis90/Die Grunen
6.5.1 Analyse der Wirtschafts- und Finanzpolitik im Wahlprogramm von Bundnis90/Die Grunen zur Bundestagswahl 2017
6.5.2 Analyse der Wirtschafts- und Finanzpolitik im Wahlprogramm von Bundnis90/Die Grunen zur Bundestagswahl 2021
6.5.3 FazitfurBundnis90/Die Grunen
6.6 Falsifizierung der Hypothesen & Fazit der bisherigen Analyse
7. Exkurs: Gewahrleistung der intersubjektiven Nachvollziehbarkeit und Sicherstellung der Kausalitat der Ergebnisse
7.1 CDU/CSU: Stabilitat in der wirtschafts- und finanzpolitischen Ausrichtung im Sinne des Monetarismus und der Angebotsokonomie
7.2 SPD: Wiederentdeckung von Keynes: Bewegung nach links in der wirtschafts- und finanzpolitischen Ausrichtung
7.3 FDP: Stabilitat in der wirtschafts- und finanzpolitischen Ausrichtung im Sinne des Monetarismus und der Angebotsokonomie
7.4 Die Linke: Stabilitat in der wirtschafts- und finanzpolitischen Ausrichtung im Sinne der Nachfragetheorie
7.5 Bundnis90/Die Grunen: Bewegung nach links in der wirtschafts- und finanzpolitischen Ausrichtung
8. Fazit
Literatur
Kodierleitfaden
Vorwort
Mit dieser Arbeit beende ich mein Masterstudium der Politikwissenschaft, mit dem Schwerpunkt international vergleichende Politikfeldanalyse, an der Universitat Bamberg und zugleich meine Stu- dienzeit insgesamt.
Bedanken mochte ich mich bei meinem Betreuer, Dr. Frank Bandau, nicht nur da er mir die notige Freiheit und Zeit lieb, das Thema eigenstandig zu bearbeiten, sondem auch, weil ich uber das ge- samte Masterstudium viel uber Parteienforschung, politische Okonomie und die Sozialdemokratie lemen konnte. Ich bedanke mich bei den fleibigen Korrekturlesem und unterhaltenden Kommilito- nen Maren Weib, Dominik Harder und David Fritsche, sowie meinem Bruder Simon Ramspeck und meiner Mutter Angelika Ramspeck. Besonders danken mochte ich meinen Eltem, nicht nur weil meine Mutter sich immer wieder fur wissenschaftliche Arbeiten als Korrekturlesem bereit- stellte, sondem auch wegen deren Unterstutzung uber mein gesamtes Studium.
Danke sagen will ich auch Prof. Dr. Stefan Wurster, der meine Bachelorarbeit an der Hochschule fur Politik Munchen betreute und in seiner Eigenschaft als Vertrauensdozent der Friedrich-Ebert- Stiftung mithalf, als Stipendiat in der Grundforderung von der Friedrich-Ebert-Stiftung profitieren zu konnen. Dies ermoglichte mir finanzielle Freiheiten und den notigen Freiraum, mich auf das Studium und ehrenamtliche Aktivitaten zu fokussieren, herzlichen Dank an die FES!
Als jemand, der aus einem nicht-akademischem Eltemhaus kommt, dem in der dritten Klasse die Hauptschule empfohlen wurde, in der vierten Klasse nur bedingt das Gymnasium, die Jahrgangs- stufen 8-10jeweils knapp uberstand und letztlich die allgemeine Hochschulreife „nur“ mit 2,8 No- tendurchschnitt absolvierte, ist das voraussichtliche Erlangen eines Master of Arts wahrlich keine Selbstverstandlichkeit. Ich habe das Studieren immer als Privileg empfunden. Nur durch viel Fleib, Disziplin, eigenem Engagement, Durchhaltefahigkeit, das Lemen mit Ruckschlagen umzugehen - gerade die coronabedingten online-Semester waren wohl die anstrengendste und herausfordemste Zeit im ganzen Studium - und Vorbildem kann ich mit Stolz diese Arbeit - und voraussichtlich bald das Zeugnis - in den Handen halten und sagen: Ich habe es geschafft.
Bamberg, den O5.Juli 2022
Vorbemerkung zum Sprachgebrauch:
Nach Art. 3 Abs. 2 des Grundgesetzes sind Frauen und Manner gleichberechtigt. Alle Personen- und Funktionsbezeichnungen in dieser Arbeit gelten fur Frauen und Manner in gleicher Weise.
Abstract
Diese Arbeit analysiert die Auswirkungen der Corona-Krise auf die wirtschafts- und finanzpo- litische Ausrichtung der politischen Parteien in Deutschland. Da den Parteien im politischen System Deutschlands politisch und rechtlich eine herausragende Rolle zukommt und die Corona-Pandemie als eine der schwersten globalen Krisen der Neuzeit zu einem erheblichen Einbruch der nationalen und internationalen Wirtschaft fuhrte, stellt sich die Frage, ob und wie Parteien als zentrale, wahlerorientierte und -abhangige Akteure zwischen Staat und Gesellschaft auf diesen „exogenen Schock“ reagierten. Anhand einer qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring und Mayring/Fenzl der Wahlprogramme von CDU/CSU, SPD, FDP, Die Linke und Bundnis90/Die Grunen zur Bundestagswahl 2017 und 2021 mit anschliebendem Vergleich wird deutlich, dass die Corona-Wirtschaftskrise Auswirkungen auf die wirtschafts- und finanz- politische Ausrichtung der Parteien hatte, da die Parteien sich wahrend der Krise programma- tisch in diesen beiden Politikfeldern deutlicher voneinander unterscheiden, als dies noch 2017 der Fall war (programmatische Divergenz). CDU/CSU und FDP bleiben der Idee der Ange- botsokonomie und des Monetarismus treu und verfestigen diesen Eindruck, wahrend SPD und Bundnis90/Die Grunen sich nach links bewegen, wenngleich die Ursache dafur bei den Grunen eher in der Okologie zu finden ist. Die Linke betrachtet die Nachfragetheorie sowohl vor als auch wahrend der Krise als ihr Konzept.
Abkurzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Beitrag der einzelnen Komponenten zur Entwicklung der Arbeitszeit der Beschaftigten im Jahr 2021 in Deutschland
Abbildung 2: Entwicklung von BIP und Erwerbstatigkeit in Deutschland - Krisenvergleich.
Abbildung 3: Eckwerte der Groben Rezession und der Corona-Krise in Deutschland
Abbildung 4: Entwicklung der Erwerbstatigkeit in Deutschland nach Branchen - Vergleich Corona-Krise mit Grober Rezession
Abbildung 5: Konjunkturelle Kurzarbeit - Krisenvergleich Grobe Rezession/Corona-Krise in Deutschland
Abbildung 6: Anteile der Beschaftigten in Deutschland, fur die Kurzarbeit angemeldet wurde, an alien sozialversicherungspflichtigen Beschaftigten (2009 relativ zum Jahresmittelwert, 2020 relativ zum Februarwert) derjeweiligen Branche, in Prozent
Abbildung 7: Allgemeines inhaltsanalytisches Ablaufmodell nach Mayring
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Zu analysierendeWahlprogramme zurBundestagswahl 2017
Tabelle 2: Zu analysierende Wahlprogramme zur Bundestagswahl 2021
Tabelle 3: Abgeleitete Kategorien unterteilt nach Hauptkategorie 1 „nachfrageorientierte Konjunkturpolitik nach Keynes“ und Hauptkategorie 2 „angebotsorientierte Konjunkturpolitik: Monetarismus & Angebotsokonomie“
1. Einfuhrung
1.1 Wissenschaftliche Relevanz und Mehrwert dieser Arbeit, Vorstellung des Themas und der Fragestellung
furthermore, other exogenous environmental shocks such as droughts or hurricanes (...) are external events whose effects onparty behaviour are worthwhile to study. Such studies wouldprovide us 'with a better and more comprehensive understanding ofparties' reactions to unanticipated events, either by adapting theirpolicypositions or by changing their emphasis on specific issues (...) in response to an external shock and its consequences" (Calca/Gross 2019: 561).
Zu dieser Schlussfolgerung kamen die Autoren im Jahr 2019, als hatten sie geahnt, was in den darauffolgenden Jahren passieren wurde. Ab dem Jahr 2020 - exakter: seit dem ll.Marz 2020, an dem der WHO-Generaldirektor den COVID-19-Ausbruch offiziell zu einer Pandemie1 (SARS-CoV-2 war zu diesem Zeitpunkt in 114 Landern nachgewiesen), also einer weltweiten Epidemie2, erklarte - sieht sich die internationale Gemeinschaft erstmals seit geraumer Zeit einer Pandemie ausgesetzt (WHO-Regionalburo fur Europa 2020; Rengeling 2020: 211). Nur handelt es sich hierbei nicht um eine Durre, oder einen Hurrikan - wie von Calca/Gross (2019: 561) befurchtet - sondern um einen mitunter todlichen Virus, der mutmaBlich in Form einer Zoonose vom Tier auf den Menschen ubergesprungen ist (Leibniz-Institut zur Analyse des Bio- diversitatswandels 2021; vgl. Muller 2020: 15). Binnen den ersten zwolfMonaten waren mehr als 2,2 Millionen Todesfalle weltweit zu beklagen (Tooze 2021: 9). Die Gefahr, die von der Pandemie ausging, storte die tagliche Routine praktisch aller Menschen auf dem Planeten, brachte einen GroBteil des offentlichen Lebens zum Erliegen, fuhrte zu SchulschlieBungen, trennte Familien, unterbrach den Reiseverkehr innerhalb und auBerhalb von Landern und brachte die Weltwirtschaft ins Wanken (Tooze 2021: 9). Um diese Pandemie zu kontrollieren, folgten politische MaBnahmen wie Ausgangs- und Kontaktbeschrankungen, Anordnung von Isolation und Quarantine fur betroffene Personen sowie de facto Berufsverbote, die wiederum Auswirkungen auf die konjunkturelle Entwicklung und damit die Volkswirtschaft(en) in Deutschland, Europa und der Welt ausubten. Um die Auswirkungen einzudammen, nahm die politische Unterstutzung fur Haushalte, Unternehmen und Markte AusmaBe an, wie es sie au- Berhalb von Kriegszeiten noch nicht gegeben hatte (Tooze 2021: 9). Es ist also unstrittig, dass diese Pandemie einen erheblichen Einfluss auf die konjunkturelle Entwicklung der deutschen Volkswirtschaft hatte und immer noch hat (Stand Juni 2022). Die eben genannten MaBnahmen fuhrten zu einem Einbruch auf der Angebotsseite und zum Abfallen der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage. Das hiesige Erkenntnisinteresse bezieht sich nun auf die Frage, wie die politischen Parteien in Deutschland auf diese Pandemie, die in eine eklatante Wirtschaftskrise mundete, reagieren. So ergibt sich auch aus politikwissenschaftlicherPerspektive ein relevanter Untersu- chungsgegenstand. Denn als zentrale, wahlerorientierte und -abhangige Akteure stehen politische Parteien zwischen Staat und Gesellschaft. Es obliegt ihnen, mit ihren Positionen auf politische Herausforderungen zu reagieren und spezifische Angebote fur ihre potenzielle Wahler- schaft zu formulieren (Bukow/Switek 2017: 105 & 106). In Bezug auf das politische System Deutschlands ist festzustellen, dass politische Parteien einen hohen rechtlichen und politischen Stellenwert einnehmen. Zwar sind Parteien in Deutschland keine Staatsorgane, doch raumt das Grundgesetz mit Artikel 21, Absatz 1 Satz 1 den Parteien eine zentrale Rolle hinsichtlich der politischen Willensbildung ein. Ein eigenes Parteiengesetz ermoglicht auBerdem verschiedene Formen der innerparteilichen Demokratie und politischen Meinungsbildung. Sie werden in ho- hem MaBe aus Staatsmitteln mitfinanziert, sie rekrutieren politisches Personal und bilden Regierungen. Trotz einer in der Praxis existierenden Fraktionsdisziplin, garantiert auch hier das Grundgesetz mit Artikel 38, Absatz 1 Satz 1 ein freies Abgeordnetenmandat. Auch da Parteien den offentlichen Diskurs maBgeblich beeinflussen, bezeichnen viele Beobachter die Bundesre- publik als „Parteienstaat“, oder als „Parteienbundesstaat“ (Schmidt 2016: 204).3
Aufgrund dieser besonderen Rolle von Parteien im deutschen politischen System und der un- vergleichbaren Dimension dieser Pandemie stellt sich aus politikwissenschaftlicher Perspektive die grundsatzliche Frage, wie Parteien darauf (programmatisch oder auch hinsichtlich ihrer or- ganisatorischen Ausrichtung) reagieren. Wie reagieren die Parteien auf dieses unerwartete Er- eignis, diesen exogenen Schock und seine vielfaltigen Konsequenzen? Werden die Reaktionen analog zur Weltfinanzkrise von 2008/2009, oder wird diese Krise als einzigartig und als „Para- digmenwandel“ (Hall 1993) interpretiert werden, wodurch sich die Parteien programmatisch eher angleichen (im Sinne einer Konvergenz)? Werden alle Parteien ahnlich reagieren, oder werden sie - in Anlehnung an die Parteiendifferenzthese - gemaB ihrer unterschiedlichen ideen- geschichtlichen und ideologischen Pragung verschieden der Krise entgegnen und sich in der Krise programmatisch eindeutiger voneinander entscheiden (im Sinne einer Divergenz) (Calca/Gross 2019: 546; vgl. Bandau 2015: 31 & 32)? Werden Parteien gar entgegen der allge- meinen Erwartung „opportunistisch“ neue, zuvor kritisierte programmatische Positionen ein- nehmen - in Anlehnung an das Nixon-goes-to-China-Phanomen4 - da sie diese Krise als „Zei- tenwende“ deklarieren? Diesen Fragen soil in der vorliegenden Arbeit nachgegangen werden. Die Forschungsfrage lautet: Inwiefern hatte die Corona-Wirtschaftskrise Auswirkungen auf die wirtschafts- und finanzpolitische Ausrichtung der deutschen Parteien?
Das Thema der Auswirkungen der Corona-Wirtschaftskrise auf die wirtschafts- und finanzpolitische Ausrichtung der deutschen Parteien ist aktuell. Gleichzeitig sei an dieser Stelle bereits erwahnt, dass die sogenannte „Aktualitatsfalle“, also die Gefahr durch Behandlung eines aktu- ellen, noch nicht in seiner Handlung abgeschlossenen Ereignisses, von der Realitat eingeholt zu werden, fur diese Arbeit hier keine Bedrohung oder Unsicherheit darstellt. Hier soil namlich nicht analysiert werden, wie die Parteien nach der Krise auf den okonomischen Schock reagiert haben werden, sondern wie die deutschen Parteien in ihrer Wirtschafts- und Finanzpolitik programmatisch wahrend der Krise ausgerichtet sind, im Vergleich zu vor dem Ausbruch der Pandemie. Daruber hinaus gibt es bisher (Stand Juni 2022) keine wissenschaftlichen Arbeiten uber die Frage, ob und wenn ja wie diese Pandemie die inhaltliche Ausrichtung der Parteien in Deutschland - vor allem in soziookonomischen Politikfeldem - beeinflusst hat (siehe Kapitel 2).
1.2 Erlauterung des Analyserahmens, sowie der Vorgehensweise und Aufbau der Arbeit
Die unabhangige Variable in diesem Analyserahmen ist der Ausbruch der COVID-19-Pande- mie, offiziell dokumentiert durch eine Erklarung der WHO am ll.Marz 2020 (WHO-Regional- buro fur Europa 2020). Die abhangige Variable ist die wirtschafts- und finanzpolitische Ausrichtung der politischen Parteien in Deutschland, festgehalten in denjeweiligen Wahlprogrammen zur Bundestagswahl 2021.
Anhand einer qualitativen Inhaltsanalyse in Form einer deduktiven Kategorienanwendung durch eine inhaltliche Strukturierung nach Mayring (2015) und Mayring/Fenzl (2019) sollen die Politikfelder der Wirtschafts- und Finanzpolitik anhand der Wahlprogramme der im Bundestag vertretenen Parteien ab dem Jahr 2017 - mit Ausnahme der AfD - zur Bundestagswahl 2021 und 2017 analysiert werden. Die Bundestagswahl 2021 ist die erste gesamtdeutsche - und bisher einzige - Wahl nach Ausbruch der Pandemie bzw. der Epidemie in Deutschland, wah- rend die Bundestagswahl 2017 die letzte Bundestagswahl vor dem Ausbruch der Pandemie dar- stellt. Analog zu der Forschungsfrage werden theoretische Grundlagen vorgestellt, aus welchen Hypothesen abgeleitet werden, die zur Beantwortung der Fragestellung durch die Methode be- statigt bzw. falsifiziert werden konnen. Hier erfolgt daher ein theorietestender Theoriebezug. Im Folgenden wird diese Arbeit unter Kapitel 2 in den aktuellen Forschungsstand eingeordnet und eine Literaturubersicht erstellt, indem zunachst die Funktion von Wirtschaftskrisen als (exogene) Schocks in der bisherigen Literatur diskutiert wird (2.1.1). Thematisiert wird hier die Ubereinstimmung der Begrifflichkeit aus semantischer Sicht, sowie die Auswirkungen eines (exogenen) Schocks auf politische Parteien in der Literatur, wobei sich zwei Forschungsstrange herauskristallisieren: ein organisatorischer und ein programmatischer Wandel in Parteien (2.1.2). AnschlieBend soil anhand des Forschungsstands diskutiert werden, inwiefern diese Wirtschaftskrise als exogener Schock kategorisiert werden kann (2.1.3). Unter 2.2 wird die Corona-Pandemie als Wirtschaftskrise thematisiert, indem diese Pandemie anhand des aktuellen Forschungsstands historisch eingeordnet wird (2.2.1), dessen Auswirkungen auf die Kon- junktur und die Volkswirtschaft(en) in Deutschland und Europa erlautert (2.2.2), sowie die Dis- kussion in der wissenschaftlichen Literatur bezuglich der Einzigartigkeit oder Vergleichbarkeit dieser Pandemie mit bisherigen Wirtschaftskrisen (2.2.3) geschildert wird. Da die vorliegende Arbeit Wahlprogramme analysiert, erfolgt unter 2.3 ein kurzer Schwenk zu Wahlprogramm- analysen. Dabei wird vor dem Hintergrund des aktuellen Forschungsstands die Funktion von Wahlprogrammen fur politische Parteien in Wahlkampfen (2.3.1), die Funktion von Wahlprogrammen aus vergleichend-politikwissenschaftlicher Sicht (2.3.2), sowie die Besonderheit und mogliche methodische Herangehensweisen an Wahlprogrammanalysen (2.3.3) diskutiert und dargestellt.
Kapitel 3 behandelt die Fallauswahl, wo die zu analysierenden Politikfelder ausgewahlt und die Auswahl begrundet wird (3.1), um im Anschluss die zu analysierenden politischen Parteien auszuwahlen (3.2). Zwar wurde schon kurz angedeutet, dass es um die im Bundestag vertrete- nen politischen Parteien gehen soil, doch wird unter anderem begrundet, warum die AfD weg- gelassen wird und wie die ubrigen politischen Krafte sich soziookonomisch verorten lassen.
Unter Punkt 4 werden zunachst die ontologischen, gegensatzlichen politokonomischen Denk- schulen - nachfrageorientierte Konjunkturpolitik nach Keynes (4.1.1) & angebotsorientierte Konjunkturpolitik: Monetarismus & Angebotsokonomie (4.1.2) - dargelegt und beschrieben, damit daraus im Methodenabschnitt Kategorien abgeleitet werden konnen, die in der Inhaltsan- alyse eingesetzt werden. Daran anschlieBend werden die theoretischen Grundlagen gezeigt, die in Form der dialektischen5 Triade6 nach Karl Marx aufgebaut sind: So beginne ich mit der Dar- legung einer These (4.2), der in Form einer Antithese (4.3) widersprochen wird, was wiederum zu einer neuen These, in der Formulierung einer Synthese (4.4) und damit einer Ubereinkunft auf hoherer Ebene, mundet (Kromphardt/Clever/Klippert 2013: 86; Kromphardt 2004: 132). Daraus konnen entsprechende Hypothesen abgeleitet werden, die fur die Beantwortung der For- schungsfrage bestatigt bzw. falsifiziert werden.
Im Kapitel 5 geht es um die Methodik, hier die qualitative Inhaltsanalyse. Dabei wird zunachst die empfohlene, allgemeine Vorgehensweise bei einer qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring (2015) und Mayring/Fenzl (2019) (5.1) dargelegt, methodische Altemativen aufgegriffen und analoge quantitative Methoden diskutiert (5.2), um schlieBlichjenes Vorgehen auf das vor- liegende Thema anzuwenden (5.3).
Unter Kapitel 6 folgt die Analyse und Interpretation der Ergebnisse, indem die politischen Parteien nacheinander in Folge der Starke nach dem Wahlergebnis der BTW 2017 aufgegriffen werden und zunachst die Wirtschafts- und Finanzpolitik im Wahlprogramm zur BTW 2017 und danach diese beiden Politikfelder im Wahlprogramm zur BTW 2021 analysiert werden. An- schlieBend erfolgt ein Fazit, in welchem diese beiden Wahlprogramme miteinander verglichen werden und eine Einschatzung erfolgt. Somit beginne ich mit der CDU/CSU (6.1), gefolgt von der SPD (6.2), der FDP (6.3), Die Linke (6.4) und schlieBlich Bundnis90/Die Grunen (6.5). AbschlieBend konnen unter 6.6 die Hypothesen bestatigt bzw. falsifiziert werden und ein Fazit der bisherigen Analyse gezogen werden. In Anschluss daran soil mit dem Punkt 7 der Analyse Validitat und Reliabilitat zugeschrieben werden. Unter der Bezeichnung „Gewahrleistung der intersubjektiven Nachvollziehbarkeit Sicherstellung der Kausalitat der Ergebnisse“ erfolgt eine Absicherung der zuvor gewonnen Erkenntnisse. Wegen der Benutzung einer qualitativen Methode sollen anhand diesen Abschnitts Alternativerklarungen moglichst ausgeschlossen und die Ergebnisse kausal und intersubjektiv nachvollziehbar gemacht werden. Dies geschieht durch
Verwendung von Interviews, direkten Verweisen und Reden von zentralen politischen Akteu- ren der jeweiligen Parteien, die in ihren Erklarungen darauf verweisen, dass jene, potenziell neue programmatische Ausrichtung in ihren Wirtschafts- und Finanzpolitiken, tatsachlich die Corona-Wirtschaftskrise als Ursache hat (Ursache-Wirkung-Beziehung) und nicht etwa parallel stattfindende Entwicklungen. AbschlieBend wird das Fazit der Arbeit gezogen (Punkt 8).
2. Einordnung der Arbeit in den Forschungsstand und Literaturubersicht
Um eine potenzielle Forschungslucke zu identifizieren und zu verdeutlichen, was diese Arbeit leistet, muss sie in den aktuellen Forschungsstand eingebettet und entsprechend eingeordnet werden. Damit einhergehend wird ein Literaturubersicht erstellt.
2.1 Wirtschaftskrisen als exogener Schock? Versuch einer konzeptionellen Annaherung
Konkret wird nun diskutiert, inwiefern der Begriff eines exogenen oder externen Schocks7 als Ursache fur eine Wirtschaftskrise in der bisherigen Literatur zutreffend ist und welche Bedingungen nach denjeweiligen Theoretikern gegeben sein mussen, damit der Tatbestand als erfullt betrachtet werden kann. Hierbei wird deutlich, dass eine umfangreiche Literatur bezuglich Auswirkungen eines (exogenen) Schocks auf politische Parteien existiert, die in zwei Strangen mundet: Einerseits die Auswirkungen eines Schocks auf den programmatischen, andererseits die Auswirkungen eines Schocks auf den organisatorischen Wandel einer Partei, wobei letzte- res einen Schwerpunkt in der Literatur einnimmt. Damit einher geht anschlieBend die Frage, inwiefern die Corona-Wirtschaftskrise entsprechend kategorisiert werden kann.
2.1.1 Diskussion der Bedeutung des Begriffs in der Literatur
Eine recht allgemeine Definition des Begriffs erfolgt von Brauninger & Ganghof (2005: 161), nach denen sich ein „exogener Schock“ auf eine Situation bezieht, in der sich der Status quo ohne Zutun politischer Akteure verandert, wodurchjene Akteure auch keine Verantwortung fur die Veranderung des Status quo fur sich reklamieren (konnen). Ahnlich allgemein formuliert es Rub (2014: 28) - in Anlehnung an Sabatier/Weible (2019) - indem er zwischen okonomi- schen Krisen, starken Veranderungen der offentlichen Meinung, Wechseln der Regierung und Entscheidungen in anderen Policy-Subsystemen mit erheblichen Auswirkungen unterscheidet. Eine gleichwertige Bedeutung hatten „focusing events“ (vgl. Birkland 1997), die meist plotz- lich und uberraschend auftreten, ungewohnlich sind, erhebliche Schaden anrichten, die zudem eindeutig und identifizierbar sind und das Interesse der Offentlichkeit und der politischen Ent- scheider auf einen speziellen Sachverhalt lenken (Rub 2014: 28).
Kongruierend geht die Definition von Calca/Gross (2019: 546), die sich auf Browne et al. (1984: 180) stutzen: „External shocks are exogenous events that are ,not fully controlled by actors‘ (...).“ Als Beispiele werden Naturkatastrophen wie Durren oder Hurrikans angefuhrt (Calca/Gross 2019: 561) (vgl. Carter et al. 2007). Analog definieren Laver/Shepsle (1996: 201) einen externen Schock als einen groBen, unvorhersehbaren „meteorite“, der nach Strom/Muller (1999: 26) massiv die office-, policy-, oder vote-seeking Ziele eines politischen Akteurs beein- flusst(Calca/Gross 2019: 547).
Auchbei Zohlnhofer (2013: 383) geht es bei dem Begriffum „(...) Veranderungen der Umwelt, die nicht der Kontrolle einer Regierung unterliegen.“ AuBerdem sei zentral, dass sich durch exogene Schocks die Bewertung des Status quo verandern kann: ,,Ein Status quo, der vor dem Eintritt des Schocks noch akzeptabel oder sogar erwunscht war, kann danach als stark ande- rungswurdig wahrgenommen werden.“ Solche exogenen Veranderungen konnen beispiels- weise aus der Globalisierung der Wirtschaft, dem demografischen Ubergang, sowie aus kurz- fristig wirksamen Schocks wie Terroranschlagen, Umweltkatastrophen oder Finanzkrisen re- sultieren (Zohlnhofer 2013: 383).
In der Parteienwandelforschung werden radikale Veranderungen in der Umwelt von Parteien - gemeint sind abrupt vollziehende Veranderungen von Parteien bzw. Institutionen, die im Fall einer extremen Umweltveranderung auftreten - als „exteme Schocks“ bezeichnet (von dem Berge/Poguntke 2013a: 877) (vgl. Eising 2003: 400, Harmel/Janda 1994: 265 & 267 & 276, Panebianco 1988: 242, 246, Harmel 2002: 126).
Harmel/Janda (1994: 265) definieren den Begriff folgendermaBen: „External shocks are external stimuli that impact on the party’s primary goal (...).“ Diese Primarziele variieren je nach Ausrichtung der Partei, abhangig von primar vote-seeh'wg-orientierten und primar policy-see- h'wg-orientierten Parteien (Harmel/Janda 1994: 265 & 266; KoB 2008: 77). „External stimuli“ sind fur die Autoren Faktoren, die sie als ..environmental changes“ einordnen, worunter sie „(.••) social, economic and political changes and events that take place outside the observed party“8 verstehen (Harmel/Janda 1994: 267). In Anlehnung an Harmel (2002: 119) definiert Svensson (2016: 33) einen Schock in der Parteienwandelforschung als „(.. ,)ein das Leben der Partei erschutterndes Ereignis welcher der Umwelt der Partei entspringt, also extern ist: ,,Er ist ein spontan auftretendes Ereignis, das als Ausloser des Wandels fungiert.“9
Hier werden bereits die unterschiedlichen Herangehensweisen zwischen Vertretem des organi- satorischen Parteiwandels und Vertretern des programmatischen Wandels im Zuge der Definition eines exogenen Schocks deutlich. Wahrend erstere als unabhangige Variable radikale Veranderungen in der Umwelt von Parteien, wie Verfassungsanderungen oder Entstehung und Etablierung konkurrierender Parteien, und als abhangige Variable die Primarziele einer Partei verstehen, betrachtet zweitere Veranderungen der Umwelt, also okonomische Krisen, Veran- derungen in der offentlichen Meinung, aber auch Naturkatastrophen oder Terroranschlage als unabhangige Variable und die Programmatik einer Partei als abhangige Variable.
2.1.2 Auswirkungen eines exogenen Schocks auf politische Parteien: Organisatorischer oder programmatischer Wandel
Ein externer Schock kann sowohl einen organisatorischen als auch einen inhaltlichen Wandel der Partei verursachen. Der Schwerpunkt der Forschung konzentriert sich hierbei auf die Un- tersuchung des organisatorischen Wandels als Folge eines externen Schocks (Svensson 2016: 34). Federfuhrend zu nennen sind hier die Arbeiten von Panebianco (1988), Harmel/Janda (1994), Janda et al. (1995) und Harmel (2002).10 Fur die vorliegende Arbeit ist diese Denk- schule ausdrucklich nicht relevant, da es in dieser Arbeit um die Auswirkungen einer Krise auf die Auswirkungen in ausgewahlten Programmatiken von politischen Parteien geht, und nicht um die Frage, wie dies die interne Struktur, Willensbildung oder Meinungsbildung beeinflusst. Daher folgt nun eine Ubersicht der wichtigsten Literatur in Bezug auf Auswirkungen eines exogenen Schocks auf die programmatische Ausrichtung von politischen Parteien.
Williams/Seki/Whitten (2016: 47ff.) beschaftigen sich mit dem AusmaB und Umfang, mit dem Parteien okonomischen Themen in ihren Wahlkampagnen Platz einraumten und konnten ihre Erwartung bestatigen, dass Parteien mit einer bedeutenderen Rolle in okonomischen PolicyMaking auf die Verschlechterung der Wirtschaftslage reagieren, indem sie in ihren Wahlkam- pagnen Wirtschaftspolitik zunehmend betonten (vgl. Fagerholm 2016). Sobaid sich die wirt- schaftliche Lage verschlechtert, uberschattet dies andere Themen und Policies, wodurch alle Parteien einen Anreiz haben, ihre Aufmerksamkeit zugunsten der Wirtschaft zu verschieben (Williams/Seki/Whitten 2016: 48).
Traber/Giger/Hausermann (2017: llOOff.) gehen der Frage nach, wie okonomische Krisen die politische Representation in Zeiten von beschrankten Regierungen beeinflusst und weisen nach, dass aus Wahlerperspektive die Salienz von makro-okonomischen Themen in okonomisch her- ausfordernden Zeiten ansteigt, wahrend Parteien nur begrenzt auf okonomische Schocks reagieren, was dazu fuhrt, dass die Kongruenz zwischen Wahler und Parteien abnimmt. Durch Bezugnahme auf landerubergreifende Daten messen die Autoren die Themensalienz fur Parteien und Wahler und kommen als Ergebnis zu einer Abnahme der Kongruenz in okonomischen Krisenzeiten (Traber/Giger/Hausermann 2017: 1100).
Zohlnhofer/Bandau (2020: Iff.) beschaftigen sich theoretisch und empirisch mit den Determi- nanten von programmatischem Wandel bei westeuropaischen politischen Parteien und gehen der Frage nach „(.••) what actually moves parties.“ Auf der Grundlage der Unterscheidung zwischen q$7ce-seeAiwg-orientierten und^o/zcy-seeh'wg-orientierten politischen Parteien fuhren sie eine vergleichende Fallstudie der wichtigsten Parteien in den Landern Deutschland, Schweden, Niederlande und dem Vereinigten Konigreich durch und kommen zum Ergebnis, dass „(•••) in most cases considerations regarding office-seeking rather than lack of policy success drives programmatic change“ (Zohlnhofer/Bandau 2020: 1).
Im Gegensatz zu den Analysen von Janda et al. (1995: 173), Harmel/Janda (1994: 268) und Deschouwer (1992: 9), die Wahlniederlagen hinsichtlich organisatorischen Wandels als „(.••) mother of party change“ deklarierten, stellen Zohlnhofer/Bandau (2020: 2) fest, dass Wahler- gebnisse die programmatische Haltung von Parteien nur indirekt beeinflussen konnen. So fan- den die Autoren Evidenz in der Wichtigkeit von Fraktionen fur Auswirkungen auf programma- tischen Parteiwandel (Zohlnhofer/Bandau 2020: 16) (vgl. Marx/Schumacher 2013).
Die Arbeiten von Merz (2015), Bukow/Switek (2017) und Calca/Gross (2019) kommen dem vorliegenden Beitrag thematisch am nahesten und sind daher besonders relevant. Am Beispiel der Weltfinanzkrise analysieren Calca/Gross (2019: 545ff.) Daten uber Bewegungen in der Wirtschaftspolitik von Parteien in 23 europaischen Demokratien und zeigen, dass externe Schocks einen starkeren Effekt auf die Policy-Positionen von Regierungsparteien als auf die von Oppositionsparteien haben; uberwiegend in Landern, in denen dieser Schock zu ernsthaf- teren Konsequenzen fuhrte. Damit zeigen die Autoren, welche signifikanten Auswirkungen exogene Ereignisse auf die Positionierung von Parteien haben konnen (Calca/Gross 2019: 545). Calca/Gross (2019: 546) kommen zum Ergebnis, dass die Parteien ihre Policy-Position in oko- nomischen Themen unterschiedlich ausrichteten:
,,The more severely the economic external shock hit a country, the more governmentparties changed their economicpolicypositions, whereas opposition parties rather disregarded the external shock."
Die Autoren erklaren dies damit, dass Regierungsparteien gezwungen sind, auf externe Schocks programmatisch zu reagieren, da sie anderweitig das Risiko eingehen, Stimmenverluste einzu- fangen, wahrend Oppositionsparteien nicht die Verantwortung fur die Implementierung jener Policies haben und dadurch weniger Anreize haben, ihre Policy-Position als Antwort auf einen extemen Schock zu andern (Calca/Gross 2019: 548). Nach Calca/Gross (2019: 551) haben Regierungsparteien in krisenbetroffenen Landern lediglich die Moglichkeit, Austeritatspolitik zu betreiben oder durch keynesianische MaBnahmen die Wirtschaft zu stimulieren. Die Autoren konnen ihre Hypothese bestatigen, wonach mit einem Anstieg der Schwere des Schocks, Regierungsparteien ihre okonomische Policy-Position haufiger anpassen und andern als Oppositionsparteien (Calca/Gross 2019: 556).
Merz (2015) analysiert ebenfalls die Wirtschafts- und Finanzkrise von 2008, um zu testen, wie die europaischen Parteien programmatisch auf dieses Ereignis reagierten. Auf Grundlage der Theorie des okonomischen Wahlens - die einen Einfluss der Wirtschaftslage auf den Ausgang von Wahlen postuliert und annimmt, dass Wahler bei einer schlechten Wirtschaftslage die Re- gierungspartei abwahlen und bei einer guten Wirtschaftslage die Regierung wieder ins Amt wahlen - wird getestet, ob Parteien uberhaupt aufjene Finanzkrise reagiert haben (Merz 2015: 301). Merz (2015: 302 & 303) fokussiert sich in seiner Untersuchung auf die Bundestagswahl 2013, untersucht aber auch die programmatischen Reaktionen politischer Parteien in zwanzig europaischenLandern. Merz (2015: 306) argumentiert, dass dieseKrise einen interessantenFall darstellt, um zu untersuchen, wie Parteien ihre Prioritaten anpassen und auf Veranderungen des Kontexts reagieren, da im Jahr 2008 ein Einbruch des Wirtschaftswachstums in vielen Landern zu beobachten war und die Krise als externer Schock betrachtet werden konne. Daruber hinaus setzt der Autor voraus, dass nicht veranderte Prioritaten wirtschaftlicher Themen die Krise ver- ursacht haben, sondern die veranderte wirtschaftliche Lage zu neuen Prioritaten fuhrte, da die Wirtschafts- und Finanzkrise weitgehend extern ausgelost wurde (Merz 2015: 307). Mittels Regressionen wurde nachgewiesen, dass die europaischen Parteien auf die Wirtschafts- und Finanzkrise reagierten, indem sie wirtschaftliche Themen mehr betonen als vor der Krise, wo- bei die Reaktion der Parteien injenen Landern starker ausfiel, die besonders hart von der Krise getroffen wurden (Merz 2015: 324). Wahrend vor allem Oppositionsparteien infolge der Krise mehr uber wirtschaftliche Themen sprachen, war bei Regierungsparteien kein signifikanter An- stieg der Betonung wirtschaftlicher Themen festzustellen. Hinsichtlich der Ideologic der Parteien konnten keine unterschiedlichen Reaktionen auf die Krise beobachtet werden; linke und rechte Parteien haben gleichermaben auf die Krise reagiert (Merz 2015: 325). Fur die deutschen Parteien konnen diese Befunde nicht vollstandig bestatigt werden: Zwar haben die inlandischen Parteien auf die Krise reagiert, indem sie wirtschaftliche Themen starker betonten, dafur gibt es aber keine signifikanten Unterschiede zwischen Regierungs- und Oppositionsparteien (Merz 2015: 325). Es wird deutlich, dass die Parteien die Thematisierung wirtschaftlicher Themen strategisch an die wirtschaftliche Lage anpassen (Merz 2015: 327).
Bukow/Switek (2017: 104ff.) widmen sich in ihrer Analyse auch der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise ab 2007, in der sie untersuchen, inwiefern dieser externe Schock die Program- matik politischer Parteien in Europa beeinflusst hat und wie insbesondere grune Parteien darauf reagiert haben. Die Autoren uberprufen, ob ein koharentes Verhalten innerhalb der grunen Par- teifamilie feststellbar ist, oder ob eher derjeweilige „(.••) national-elektorale Wettbewerbskon- text (...)“ den programmatischen Wandel pragt (Bukow/Switek 2017: 104). Die Analyse zeigt einen klaren Zusammenhang von Verschiebungen imjeweiligen Parteiensystem sowie der na- tionalen Krisenbetroffenheit mit Programmanderungen der grunen Parteien, wahrend die Fa- milienzugehorigkeit von nachrangiger Bedeutung ist (Bukow/Switek 2017: 104). Grundlage ist die Annahme, dass die Verschlechterung der individuellen okonomischen Lage durch das Auf- treten einer gesamtgesellschaftlichen Rezession zu einer veranderten individuellen politischen Praferenz fuhrt (Margalit 2013: 81; vgl. Faas 2010). Dadurch gewinnen in okonomischen Kri- senzeiten materialistische Werte an Bedeutung (vgl. Margalit 2013), votieren Wahler verstarkt fur Parteien, die sich mit materialistischen Themen befassen und postmaterialistische Werte verlieren an Relevanz, weswegen grune Parteien, die in diesem Bereich ihre Kernkompetenzen haben, unter Druck geraten (vgl. Probst 2013a) (Bukow/Switek 2017: 108 & 109).
Anhand graphisch aufbereiteter Analysen und OLS-Regressionen (Bukow/Switek 2017: 115), kommen die Autoren zum Ergebnis, dass grune Parteien keineswegs programmatisch stabiler sind, dass die grunen Parteien in Europa nach der Krise sich im okonomischen Bereich eher moderat nach links bewegten und moderat starker einen Ausbau wohlfahrtsstaatlicher Leistun- gen forderten (Bukow/Switek 2017: 123 & 124).
2.1.3 Funktion und Einordnung der Wirtschaftskrise im vorliegenden Fall
Die Begriffsdefinitionen bezuglich des exogenen/externen Schocks der Autoren Braunin- ger/Ganghof (2005: 161), Calca/Gross (2019: 561), Browne et al. (1984: 180) und Zohlnhofer (2013: 383) erzielen groBe Ubereinstimmung und weisen starke Ahnlichkeiten auf. Konsens besteht darin, dass sich der Status quo ohne Mitwirkung politischer Akteure andern muss, da es sich um exogen auftretende Ereignisse handelt. Fraglich ist, inwiefern der Begriff focusing events nach Rub (2014: 28; vgl. Birkland 1997) sich von dem des exogenen Schocks abgrenzen lasst. Die angegebenen Beispiele von Calca/Gross (2019: 561; vgl. Carter et al. 2007) und Zohlnhofer (2013: 383), wonach exogene Schocks in Naturkatastrophen wie Durren oder Hur- rikans, Terroranschlagen, Umweltkatastrophen oder Finanzkrisen zu finden seien, erleichtern einerseits die Abgrenzung zu tenfocusing events, andererseits die Einordnung der COVID19- Pandemie in diesem Beitrag.
Dieses Virus, das erst eine Epidemie, dann eine Pandemie ausloste, anderte den Status quo - sowie dessen Beurteilung - ohne Mitwirkung von politischen Akteuren (Brauninger/Ganghof 2005: 161; Calca/Gross 2019: 561; Browne et al. 1984: 180), ist exogen aufgetreten - da mut- maBlich in Form einer Zoonose vom Tier auf den Menschen ubergesprungen (Leibnitz-Institut zur Analyse des Biodiversitatswandels 2021) - und fuhrte zu „(.••) Veranderungen der Umwelt, die nicht der Kontrolle einer Regierung unterliegen“ (Zohlnhofer 2013: 383). Daruber hinaus war der Ausbruch (und die rasche Ausbreitung) unvorhersehbar und nicht verursacht durch Parteien in Deutschland (Calca/Gross 2019: 549). Der Virus fuhrte zu vielen Todesfallen, Er- krankungen, sowie zu erheblichen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Folgen (Tooze 2021: 9 & 13) (siehe 2.2.2). Aufgrund all dieser Faktoren scheint die Einordnung der COVID-19- Pandemie, sowie die damit einhergehende Corona-Wirtschaftskrise als exogener Schock, plau- sibel.11 Dazu passt auch die Bezeichnung von Hutter/Weber (2020: 429) des „(.••) Corona- Schockfs] (...).“ Doch muss an dieser Stelle festgehalten werden, dass die Begriffsdefinitionen von Harmel/Janda (1994: 265) und zum Teilen nach Svensson (2016: 33) mit der Einordung der Pandemie im vorliegenden Fall nicht komplementar sind.
Im zuruckliegenden Abschnitt wurde zunachst deutlich, dass der eine dominierende For- schungsstrang in der Literatur, der sich auf die Untersuchung eines organisatorischen Wandels einer Partei als Folge eines exogenen Schocks konzentriert und vor allem im Bereich der Par- teiwandelforschung zu finden ist, nicht das Thema der vorliegenden Arbeit widerspiegelt. Zwar entspricht der zweite Strang, die Auswirkungen eines exogenen Schocks auf die programma- tisch-inhaltliche Positionierung von Parteien, im Grunde der Ausrichtung der vorliegenden Arbeit, doch zeigte sich hier das Vorhandensein einer eklatanten Forschungslucke. Die Arbeiten von Merz (2015), Bukow/Switek (2017) und Calca/Gross (2019) haben gemeinsam, dass sie alle die Weltfinanzkrise Ende der 2000er Jahre - und deren Auswirkungen auf die Reaktion der Parteien allgemein bzw. in Europa bzw. von grunen Parteien - als Beispiel fur einen extemen Schock behandeln. Jedoch gibt es keine wissenschaftlichen Arbeiten (Stand Juni 2022), die sich mit den Auswirkungen der Corona-Wirtschaftskrise auf die programmatische Ausrichtung der Parteien in Deutschland beschaftigen. AuBerdem soil sich hier konkret mit den Wahlprogrammen zu Bundestagswahlen beschaftigt werden, die anhand einer qualitativen Methode in Form einer qualitative Inhaltsanalyse durchleuchtet werden sollen, da empirische Zusammenhange in einzelnen Politikfelder durch die sehr unterschiedlichen Bewegungsmuster nur schwach ausge- pragt und in einer quantitativen Analyse kaum darstellbar sind (Bukow/Switek 2017: 124) und ein qualitativer Ansatz ermoglicht, den Prozess einer programmatischen Veranderung genauer und detaillierter zu analysieren (Bandau/Zohnhofer 2020: 3).
2.2 Die Corona-Pandemie als Wirtschaftskrise
Die COVID-19-Pandemie gilt als eine der schwersten globalen Krisen der Neuzeit, hat zu ei- nem weltweiten Wirtschaftsabschwung und zu erheblichen Verschiebungen in der Weltwirt- schaft gefuhrt. Gerade die staatlichen Reaktionen auf die Pandemie hatten erhebliche wirtschaftliche Auswirkungen (Albrecht et al. 2021: 56).
Ziel dieses Abschnitts ist es, den Forschungsstand in Bezug auf die COVID-19-Pandemie wie- derzugeben, indem zunachst diese Pandemie historisch eingeordnet wird, dann die Auswirkungen des Virus auf die Volkswirtschaft in Deutschland und daruber hinaus dargestellt werden, um anschlieBend einen Vergleich mit vorherigen Wirtschaftskrisen heranzuziehen.
Besonders hervorzuheben in der Literatur ist das Forschungsprojekt „Coronanet“ von Cheng et al. (2020), welches ein intemationales Forschungsnetzwerk von mehr als 600 Forschungsassis- tenten umfasst, die von wissenschaftlichen Projektleitern aus der ganzen Welt koordiniert werden. Der CorowaAeLDatensatz bietet eine umfassende und detaillierte Dokumentation der staatlichen Covid-19-EindammungsmaBnahmen weltweit und umfasst mehr als 200 Lander (Albrecht et al. 2021: 57; Cheng et al. 2020: 2). Mit dem Stand von August 2021 erfasste es 90.000 Regelungen und Verordnungen und weist somit die weltweit groBte Event-Datenbank zu den von den Regierungen beschlossenen Covid-19-MaBnahmen auf (Albrecht et al. 2021: 56). Innerhalb dieses Projekts werden Informationen uber politische MaBnahmen im Zusam- menhang mit der Krise erfasst, die Entwicklung der MaBnahmen taglich verfolgt und deren Umsetzung, Anpassung und gegebenenfalls Aufhebung weltweit dokumentiert (Albrecht et al. 2021: 56; Cheng et al. 2020: 2). Der Datensatz enthalt Informationen daruber, welche Regierungen auf Covid-19 reagieren, auf wen die MaBnahmen abzielen, sowie wie und wann sie dies tun (Albrecht et al. 2021: 57; Cheng et al. 2020: 2 & 3).12
Buthe et al. (2020a) liefern einen Uberblick uber den offentlichen und politischen Diskurs in Deutschland, sowie uber die Policy-Reaktionen auf Bundes- und Landesebene innerhalb der ersten Monate der Pandemie. Dabei identifizieren sie drei Phasen im politischen und offentli- chen Diskurs und analysieren die Policy-Reaktionen der Bundeslander anhand der Daten des CoronaNet-Projekts von Cheng et al. (2020) (Buthe et al. 2020a: 2).
Buthe et al. (2020b) beschaftigen sich mit der Frage, ob foderale, dezentrale Staaten effektivere Policies im Kampf gegen das Virus entwickeln als zentralisierte Staaten, indem sie nationale und subnationale Policy-Reaktionen auf Covid in zwei foderalen (Deutschland, Schweiz) und zwei zentralen Staaten (Frankreich, Italien) analysieren. Buthe et al. (2020b: 2) kommen zum Ergebnis, dass foderale Staaten mit einer hoheren Wahrscheinlichkeit zu einer heterogenen Po- licy-Reaktion neigen als Zentralstaaten und argumentieren, dass das AusmaB, in dem foderale Staaten vom Vorteil profitieren bzw. durch die Kosten leiden, subnationalen Einheiten groBere Autonomie zuzusichern, davon abhangt, ob eine Policy homogen oder heterogen durch ver- schiedene Regionen implementiert wird. Foderale Staaten neigen mehr zu heterogenen Policies als zentrale Staaten. Die Autoren argumentieren, dass Foderalismus von Vorteil sein sollte, wenn die optimale Policy subnational differenziert. Sie fanden heraus, dass die Policies vom foderalen Deutschland heterogener waren als die Policies von den Zentralstaaten Frankreich und Italien, vor allem fur jene Policies, fur die subnationale Differenzierung erforderlich ist (Buthe et al. 2020b: 21).
2.2.1 HistorischeEinordnung
SARS-CoV-2 gilt als eines der wenigen Viren, das uberhaupt pandemisches Potenzial besitzt; dabei handelt es sich hierbei um die erste Pandemie seit der Schweinegrippe 2009/2010 (Rengeling 2020: 211).13 Die WHO definiert den Begriff „Pandemie“ als die interkontinentale Ausbreitung eines neuartigen Virus, welches mangels vorhandener Resistenzen ein hohes Risiko fur die Weltbevolkerung darstellt (Rengeling 2020: 212).14 SARS-CoV-2 gilt als die Art von hochansteckender, grippeahnlicher Infektion, die Virologen vorhergesagt hatten und von einem der Orte kam, die sie als Ausgangspunkt erwartet hatten - einer Region eines engen Zusam- menspiels zwischen Wildnis, Landwirtschaft und stadtischer Bevolkerung, die sich uber Ost- asien erstreckt (Tooze 2021: 12). Nach Tooze (2021: 26) war es nach den besten verfugbaren wissenschaftlichen Erkenntnissen nicht uberraschend, dass das Virus aus China kam. Die ra- sche zoonotische Mutation war das vorhersehbare Ergebnis der biologischen, sozialen und wirt- schaftlichen Bedingungen in der Provinz Hubei (Tooze 2021: 26). Das Virus brauchte nur we- nige Wochen, um sich von Wuhan aus in ganz China und in weiten Teilen der ubrigen Welt zu verbreiten (Tooze 2021: 13). Drei Pandemien im 20. Jahrhundert stechen in den Geschichtsbu- chern besonders hervor: Die Spanische Grippe15 (1918-1920), die Asien-Grippe (1957/1958) und die Hongkong-Grippe (1968-1970)16, wenngleich Muller (2020: 12) die Grippe (Influenza) als „(•••) die klassische Seuche im Europa des 2O.Jahrhunderts (...)“ bezeichnet. Wahrend die beiden letzteren mit jeweils 1-2 Millionen Todesopfern deutlich hinter der Spanischen Grippe zuruckblieben (Haas 2009: 14; Hannoun/Craddock 2010: 182) und daher weniger todlich als Covid oder die Spanische Grippe waren (Tooze 2021: 58), besitzt die Spanische Grippe den Ruf der „Mutter aller Pandemien“17 (Taubenberger/Morens 2006) und einer „pandemischen Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“, sind ihr nach neueren Schatzungen 50 bis 100 Millionen Menschen zum Opfer gefallen (Johnson/Muller 2002) (Rengeling 2020: 212; Muller 2020: 20). Davon entfielen nach aktuellen Schatzungen mindestens 260.000 Menschen auf das Deutsche Reich, was jeden 250. Einwohner des damaligen Gebiets betraf (Fortsch/Rosel 2021: 6 & 9; Muller 2020: 20). Somit gilt diese als die letzte Pandemie in der Menschheitsgeschichte, die in Anbetracht der Todesfalle und Auswirkungen auf Volkswirtschaften mit der COVID19-Pande- mie zu vergleichen ist, die immerhin bis zu funfmal mehr Menschen das Leben gekostet hat als der Erste Weltkrieg und dennoch verhaltnismabig wenig bekannt ist (von Lucke 2020: 44). Nach von Lucke (2020: 44 & 45) folgte die Spanische Grippe direkt auf den Weltkrieg als den „(.••) Inbegriff des Ausnahmezustandes und eines millionenfachen Mordens und musste des- halb fast wie ein ,normal‘ Sterben wirken.“18 Nach Tooze (2021: 58; vgl. von Lucke 2020: 44 & 46, Muller 2020: 12 & 13) ist es bemerkenswert, wie schnell die Katastrophe, ausgelost durch die Spanische Grippe, verarbeitet wurde und wie wenig sie sich auf die politische Geschichte ihrer Zeit auswirkte. So wurden etwa Verhandlungen uber den Versailler Vertrag ungeachtet der Epidemie weitergefuhrt, auch da es als nicht ungewohnlich gait, dass Menschenjeden Alters einer Infektionskrankheit erlagen (Tooze 2021: 58). Die Ursachen dafur, dass die Spanische Grippe bis zum Ausbruch des Corona-Virus kaum Erwahnung fand, liegt nach Muller (2020: 12 & 13) unter anderem im Fehlen an belastbaren Daten, sodass diese in der allgemeinen Ge- schichtswissenschaft bislang kaum Eingang fand und die Uberblicksdarstellungen zur deutschen Geschichte die Spanische Gruppe aussparen oder sie randstandig behandeln.19 Dennoch bezeichnet Tooze (2021: 58) die Spanische Grippe als einen Wendepunkt in der Entwicklung des offentlichen Gesundheitsregimes mit seiner Epidemieuberwachung und Grippeimpfung Mitte des Jahrhunderts, das uns noch heute begleitet.
Die Russische Grippe von 1977/78 stellte die letzte groBe Influenzapandemie (bzw. „Haufung von Epidemien“) im 20. Jahrhundert dar und ist mit ihrem im Vergleich milden Verlauf, aber dennoch einigen hunderttausend Toten weitgehend unbekannt (Muller 2020: 12). Muller (2020: 73) kommt zur Schlussfolgerung: „Das 20. Jahrhundert war in epidemiologischer und virologi- scher Perspektive eine Epoche der Grippepandemien.“ Daruber hinaus zieht Muller (2020: 73) einen Vergleich zwischen der Corona-Pandemie mit den drei groBen Pandemien im 20. Jahrhundert:
„Eine deutlich hohere Letalitat (Sterblichkeit bezogen aufdie Infektionen) als bei den saisonalen Grippewellen, der nicht vorhandene Impfschutz und die nicht vorhandene Immunitat, die Ausbreitung durch globaleMobilitat, die Debatten um die Schliefiung offentlicher Einrichtungen.“
Nach Tooze (2021: 114) ist eine Epidemie ein
„(...) ungewdhnlicherAngebotsschock. weil sie nicht uber die wirtschaftlichen
Variablen wirkt, aufdie wir uns normalerweise konzentrieren - Technologien oder Ausstattungen mitEinkommen oder Vermogen. Stattdessen wirktsie auf unsere Korper. Sie lasst den individuellen und kollektiven Korper der Menschheit als gemeinsamen Nenner des sozialen und wirtschaftlichen Lebens sichtbar werden. Durch unsere Korper wirkt sie umfassend aufuns ein und verschrankt dabei die Welten von Arbeit und Familienleben, Produktion und Reproduktion.“
2.2.2 Auswirkungen auf die Volkswirtschaft(en) in Deutschland und der EU
Um die Frage zu beantworten, welche Auswirkungen die Corona-Krise auf die wirtschafts- und finanzpolitische Ausrichtung der deutschen Parteien hat, ist es erforderlich, die Auswirkungen dieser Pandemie auf die Volkswirtschaft in Deutschland und, da die Bundesrepublik Teil eines europaischen Binnenmarktes ist, auf die EU als Staatenverbund, zu beschreiben und zu analy- sieren.20 Denn die Ursache fur die wirtschaftliche Krise liegt letztlich im Virus und dessen weltweite Verbreitung, jedoch ebenso in den darauffolgenden Handlungen von Regierungen (vgl. Dauderstadt 2020: 28).21
Die unmittelbare Auswirkung des Coronavirus war zunachst weltweit ein Angebotsschock (Tooze 2021: 113). Die meisten Regierungen weltweit sahen sich gezwungen, einen groBen Teil ihrer Volkswirtschaften zu schlieBen, um die Ausbreitung der Coronavirus-Pandemie zu stoppen (Skidelsky 2020). Die Ansteckungsgefahr verzweigte sich uber die gesamte Medien- und Dienstleistungsbranche, weswegen Tooze (2021: 116 & 117) von einer Krise des Dienst- leistungssektors spricht. Den Einfluss der Pandemie auf die Nachfrageseite bezeichnet Tooze (2021: 118) als Effekt zweiter Ordnung:
„Die UnsicherheitliefiKonsum undlnvestitionenzuruckgehen. DerEinbruch bei derNachfragefuhrte zu weitererArbeitslosigkeit. Der idiosynkratische Covid- Schock verwandelte sich so in eine vertraulere nachfragegetriebene Rezession, die in alle Richtungen ausstrahlte, und das uberall aufder Welt.“
Jener Angebotsschock nahrte also einen Nachfrageschock, der Umsatze, Einkommen, und Be- schaftigung nach unten zog und zu einer weiteren Kontraktion von Konsum und Investition fuhrte (Tooze 2021: 124). Diese „(•••) beispiellose Rezession (...)“ hat nicht nur die Produktion durcheinandergebracht und Arbeitsplatze vernichtet, sondern auch das Kreditsystem erschuttert (Tooze2021: 124& 125).
Die Covid-19-Pandemie lieB die deutsche Wirtschaft in der ersten Jahreshalfte massiv schrump- fen. Im ersten Quartal 2020 nahm das reale BIP um 2,0 Prozent ab, im zweiten Quartal sogar um 9,7 Prozent gegenuber dem jeweiligen Vorquartal, was auf die EindammungsmaBnahmen im Fruhjahr in Deutschland und weltweit zuruckzufuhren ist (Bauer et al. 2020: 1; vgl. Dauder- stadt 2020: 28). In den zwolf Monaten ab April 2020 ist es um 5,2 Prozent gegenuber dem Vorjahreszeitraum gesunken (Gartner/Hutter/Weber 2021: 1). Da weite Teile des offentlichen Lebens zum Stillstand gekommen waren, gab der private Konsum wahrend der Eindammungs- mabnahmen massiv nach, was zu einem durchschnittlichen Ausfall der Bruttowertschopfung um 2,4 Prozent im Jahr 2020 fuhrte (Bauer et al. 2020: 2). Das Arbeitsvolumen ist zwischen dem zweiten Quartal 2020 und dem ersten Quartal 2021 gegenuber dem Vorjahreszeitraum um 5,8 Prozent gesunken, wahrend die Erwerbstatigkeit um 592.000 Personen zuruckging (Gartner/Hutter/Weber 2021: 1). Pro Beschaftigtem hat die Arbeitszeit im Jahr 2020 um 3,1 Prozent aufl.289 Stunden abgenommen, so kraftig wie nie zuvor (Bauer et al. 2020: 9). Ursa- chen dafur liegen in vermehrten Freistellungen, Abbau bei Arbeitszeitkonten, weniger Uber- stunden und mabgeblich in der Kurzarbeit: Wie Abbildung 1 zeigt, ist die Zahl der konjunktu- rellen Kurzarbeiter in Deutschland ab Marz 2020 sprunghaft gestiegen und lag bereits im April 2020 mit rund 6 Millionen Personen auf einem historischen Hochststand (Bauer et al. 2020: 9 & 10; Gehrke/Weber 2020). Es handelt sich hierbei um eine sozialpolitische Mabnahme, in der die Arbeitnehmer weiterhin in ihrer Beschaftigung bleiben, wobei offentliche Mittel helfen, ihr Gehalt ganz oder teilweise zu zahlen (Tooze 2021: 120).22 Nach Tooze (2021: 121) waren die Kurzarbeiterregelungen in Europa das wichtigste Mittel, um die soziale Krise einzudammen. Der Schwerpunkt liegt damit auf der Aufrechterhaltung von Arbeitsverhaltnissen (Tooze 2021: 156). Diese Regelungen bedeuten eine massive offentliche Subvention fur Arbeitgeber, insbe- sondere fur diejenigen, die ihre Arbeitnehmer andernfalls auf eigene Kosten hatten weiterbe- schaftigen konnen (Tooze 2021: 120& 121).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Gartner/Hutter/Weber (2021: 2) nach destatis, IAB.
Abbildung 1: Beitrag der einzelnen Komponenten zur Entwicklung derArbeitszeit der Beschaftigten im Jahr 2021 in Deutschland.
Quelle: Bauer et al. 2020: 9 nach der IAB-Arbeitszeitrechnung, Stand September 2020.
Als der Shutdown im Mai 2020 am starksten war, befand sich etwa ein Drittel der Arbeitnehmer in Osterreich, Frankreich und den Niederlanden und ein Funftel in Deutschland, Spanien und Irland in Kurzarbeit (Tooze 2021: 120). Auch mit einer Reduktion der Uberstunden reagierten Betriebe auf eine schwachere Nachfrage infolge des Virus (vgl. Frodermann et al. 2020). Au- Berdem sind im Jahr 2020 die Arbeitszeitkonten stark abgeschmolzen - im Schnitt um 4,5 Stun- den und die durchschnittliche Krankenstandsquote ist im Jahr 2020 auf 4,4 Prozent gestiegen (Bauer et al. 2020: 10). Bezuglich des Ruckgangs des gesamtwirtschaftlichen Arbeitszeitvolu- mens gilt festzuhalten, dass das Produkt aus durchschnittlicher Arbeitszeit und Erwerbstatigen- zahl im Jahr 2020 auf 60,15 Milliarden Stunden (minus 3,9 Prozent) gesunken ist (Bauer et al. 2020: 10).
Nicht zu vernachlassigen ist die Tatsache, dass im Marz 2020 in Deutschland etwa 100.000 offene Stellen weniger gemeldet waren als ein Jahr zuvor, wodurch die Corona-Krise auf eine bereits geschwachte Konjunktur folgte (Gartner/Hutter/Weber 2021: 3; Bauer et al. 2020: 5). Die Zahl der geringfugig Beschaftigten brach wahrend der Pandemie drastisch ein: So lag die Zahl der Minijobber im ersten Quartal 2021 um 413.000 Personen unter der des ersten Quartals 2020 (Gartner/Hutter/Weber 2021: 4; Bauer et al. 2020: 5 & 6). Etwa 11 Prozent der Erwerb- statigen oder 5.20 Millionen Personen gehorten 2019 zur Gruppe der marginal Beschaftigten, die im Jahr 2020 um 340.000 abnahm (Bauer et al. 2020: 6). Daruber hinaus sehen die Autoren die „(.••) Gefahr einer Verfestigung von Arbeitslosigkeit (...)“, da es im Verlauf eines Jahres 325.000 mehr Langzeitarbeitslose als zu Beginn der Krise gab (Gartner/Hutter/Weber 2021: 7). Hutter/Weber (2020: 429; sowie Gartner/Hutter/Weber (2021: 4) & Bauer et al. (2020: 12); vgl. Horn 2021) sprechen hier von einer „transformative[n] Rezession“, in der technologischer und struktureller Wandel noch verstarkt werden: So ist es ein grundsatzlich gultiges Merkmal von Rezessionen, dass eine konjunkturelle Arbeitslosigkeit entsteht, die wieder verschwinden sollte, wenn die Konjunktur anzieht. Uberraschenderweise ist dies uber Jahrzehnte in Deutschland nicht der Fall gewesen, da innerhalb eines Jahres in Rezessionen fast zwei Drittel der kon- junkturellen Arbeitslosigkeit in persistente, strukturelle Arbeitslosigkeit gemundet ist, also Arbeitslosigkeit, die einer vorubergehenden Konjunkturschwache geschuldet war, sich uber die Zeit verfestigt hat (Hutter/Weber 2020: 429; vgl. Klinger/Weber 2016). Durch die Digitalisie- rung der Wirtschaft wird ein deutlicher Trend zur Hoherqualifizierung und starken Anderungen im sogenannten mittleren Qualifikationsbereich erwartet (vgl. Wolter et al. 2016), worin die Hauptrisiken liegen:
,,Wenn hier Arbeitsplatze in der Rezession 'verschwinden, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass sie nach der Rezession nicht wieder in derselhen Form entstehen. Coronafuhrtzu einer transformativen Rezession. (...) Wir mussen das Risiko ernst nehmen, dass sich die in der Corona-Krise entstehende Arbeitslosigkeitverfestigen konnte“ (Hutter/Weber2020: 430).
Konle-Seidl (2022) beschaftigte sich mit der Frage, wie die Krise auf die wirtschaftliche und soziale Situation von Jugendlichen in Europa auswirkt. Wahrend die Jugendarbeitslosigkeit in einigen europaischen Landern im April 2021 auf 18,5 Prozent anstieg, lag Deutschland mit 8,3 Prozent im ersten Quartal 2021 und 7,1 Prozent im zweiten Quartal 2021 weit darunter (Konle- Seidl 2022). Im Gegensatz zu fruheren Krisen zeichnet sich die Covid-19-Krise dadurch aus, dass es in alien Altersgruppen mehr Ubergange von Beschaftigung in Nichterwerbstatigkeit als in Arbeitslosigkeit ab (Konle-Seidl 2022).
2.2.3 Vergleich mit bisherigen Wirtschaftskrisen: einzigartig oder vergleichbar mit der Weltfinanzkrise 2008?
Im zuruckliegenden Abschnitt wurde deutlich, welche okonomischen Auswirkungen die Corona-Pandemie mit sich brachte. Nun soil der aktuelle Forschungsstand bezuglich der Frage, ob diese Wirtschaftskrise in seiner Dimension vergleichbar mit bisherigen wirtschaftlichen Rezessionen - etwa mit der Weltfinanzkrise 2008, den Zeiten hoher Arbeitslosigkeit und leerer Beitragskassen Anfang der 2000er Jahre, oder der Qlkrise Ende der 1970er Jahre - ist, oder ob diese Krise in ihrem Charakter, ihren okonomischen und sozialen Auswirkungen einzigartig ist. Dieser Punkt ist vor allem fur die Darlegung von Theorie und Entwicklung der Hypothesen (siehe 4.) relevant, als auch fur die anschliebende Analyse. Hierbei wird zunachst der Litera- turstrang, der eine Vergleichbarkeit der beiden Rezessionen, die Deutschland in den vergange- nen 15 Jahren erlebt hat (Gartner/Hutter/Weber 2021: 1), dargelegt und danach der Forschungs- strang, der fur eine Nicht-Vergleichbarkeit und Einzigartigkeit dieser Corona-Wirtschaftskrise argumentiert.23
Gartner/Hutter/Weber (2021: 1) vergleichen die Auswirkungen der Corona-Krise mit denen der „GroBen Rezession“ - also der Finanzkrise 200824 - auf den Arbeitsmarkt in Deutschland. Zunachst war der wirtschaftliche Einbruch in beiden Rezessionen kraftig: Abbildungen 2 und 3 zeigen, dass das BIP zwischen dem vierten Quartal 2008 und dem dritten Quartal 2009 gegen- uber dem gleichen Vorjahreszeitraum um 5,3 Prozent eingebrochen ist. In der Corona-Rezes- sion ist es in den zwolf Monaten ab April 2020 um 5,2 Prozent gegenuber dem Vorjahreszeitraum gesunken (Gartner/Hutter/Weber 2021: 1). Der Produktionsruckgang beschrankte sich nach dem Zusammenbruch der Wirtschaftsleistung 2008 auf vier Quartale (Skidelsky 2020). Konle-Seidl (2022), die sich mit den Folgen der Covid-19-Krise fur junge Menschen auf dem Arbeitsmarkt im Vergleich mit der globalen Finanzkrise beschaftigt, argumentiert gar, dass die negativen Folgen der Corona-Wirtschaftskrise fur die Beschaftigungjunger Menschen weniger schlimm seien, als die Folgen der globalen Finanzkrise:
„Es gibt (...) Grunde zurAnnahme, dass die negativen Folgen der Covid-19-Krise fur die BeschaftigungjungerMenschen weniger schwerwiegend sein konnten als die Folgen der globalen Finanzkrise, und dass die in den Jahren vor der Pandemie erzielten Fortschritte nicht vdllig zunichte gemacht warden. Anders als bei der Finanzkrise haben die nationalen Regierungen und die EUfruhzeitig mitgezielten Fordermafinahmen zugunsten derjungen Generationen reagiert, und so die negativen Auswirkungen auf die Jugendarbeitslosigkeit gemilderi."
Auf der anderen Seite schreibt der britische Wirtschaftshistoriker Adam Tooze (2020a: 1) be- reits zu Beginn des Ausbruchs der Pandemie bezuglich der Frage, ob diese Krise schlimmer als die Weltfinanzkrise von 2008 zu bewerten sei:
„The last global economic crisis was afmancial heart attack. This one might be a full-body seizure."
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tooze (2020a: 1) diagnostiziert international „(.••) a sharper downturn than in 2008-2009.“ Gopinath (2020b: 5) spricht sogar von der „(.••) deepest global economic contraction since the 1930s (...).“ Auch Reinhart (2020b: 7) zieht einen Vergleich mit den 1930er Jahren heran:
,,The coronaviruspandemic is thefrstcrisis since the 1930s to engulfhoth advanced and developing economies. Their recessions may be deep and long. As in the 1930s, sovereign defaults will likely spike. “
Wahrend einige Autoren also einen Vergleich der Corona-Krise mit der groBen Weltwirt- schaftskrise in den 1930er Jahren fur angemessen halten, hebt Tooze (2020b: 10) in einem an- deren Beitrag die grundsatzliche Unvergleichbarkeit des Schocks hervor:
..As the lockdowns began, thefirst impulse was to searchfor historical analogies - 1914, 1929, 1941? Since then, whalhas come ever more to thefore is the historical novelty of the shock we are living through. (...)Many countriesface a far deeper and more savage economic shock than they have everpreviously experienced."
Tooze (2021: 124) begrundet dies mit dem Einbruch des BIP: 2019 lag das weltweite BIP bei etwa 87,55 Billionen US-Dollar, im Verlauf eines mittelmaBigen Jahres war es um 3,2% ge- wachsen. Im Jahr 2009 hingegen, dem schlechtesten Jahr der jungeren Geschichte, war das globale BIP um 1,67% geschrumpft. Das weltweite BIP erreichte seinen Tiefpunkt um Karfrei- tag, dem lO.April 2020 und lag 20% unter dem Stand vom Jahresanfang:
,,Noch nie zuvor in der Geschichte war die Wirtschaftstatigkeit weltweit so schnell und so umfassend geschrumpft. Der Einbruch war um ein Vielfaches plotzlicher und heftiger als wahrend der Grofien Depression der 1930er Jahre “ (Tooze 2021: 124).
Nach Tooze (2021: 9) handelte es sich dabei nicht nur um die bei weitem scharfste wirtschaftliche Rezession seit dem Zweiten Weltkrieg, sie war auch qualitativ einzigartig:
„Nie zuvor hatte es eine kollektive Entscheidung gegeben, w/e zufallig und ungleichmafiig sie auch ausfallen mochte, grofie Teile der Weltwirtschaft stillzulegen. Es war, w/e es derlnternationale Wahrungsfonds (IWF) ausdruckte, ,eine Krise ohne Beispiel‘.“
Tooze (2021: 13) argumentiert, in der Geschichte des modernen Kapitalismus habe es noch nie einen Moment gegeben, in dem fast 95 Prozent der Volkswirtschaften auf der Welt gleichzeitig einen Ruckgang des Pro-Kopf-BIP zu verkraften hatten, wie es in der ersten Halfte des Jahres 2020 der Fall war. Mehr als drei Milliarden Erwerbstatigen im Erwachsenenalter wurden in Zwangsurlaub geschickt oder mussten von zu Hause aus arbeiten, fast 1,6 Milliarden junge Menschen auf der ganzen Welt mussten ihre Ausbildung unterbrechen (Tooze 2021: 13). Ahnlich berichten Gartner/Hutter/Weber (2021: 1) auch, dass das Arbeitsvolumen in Deutschland in der Groben Rezession gegenuber dem Vorjahreszeitraum um 2,2 Prozent gesunken ist, in der Corona-Krise hingegen um 5,8 Prozent. Abbildung 3 zeigt: Die Erwerbstatigkeit ist in der Groben Rezession gar um 224.000 Personen gestiegen, wahrend sie in der Corona-Krise um 592.000 gesunken ist Gartner/Hutter/Weber (2021: 1).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3: Eckwerte der Grofien Rezession und der Corona-Krise in Deutschland.
Quelle: Gartner/Hutter/Weber (2021: 2) nach destatis und Statistik der BA.
Ein weiterer Unterschied besteht in der Ausgangslage der beiden Krisen. In den Jahren vor der Groben Rezession befand sich der Arbeitsmarkt in Deutschland in einem Aufschwung, der durch konjunkturelle Faktoren und strukturellen Veranderungen zu erklaren ist: Der Arbeitsmarkt profitierte demnach in den 2000er Jahren davon, dass Deutschland mit einem gunstigen Wechselkurs in die Europaische Wahrungsunion eintrat und viel exportieren konnte. So stiegen die Lohne in den Jahren vor 2008 vergleichsweise moderat (vgl. Dustmann et al. 2014) und die Lohnstuckkosten sanken zwischen 2003 und 2007 um 3,47 Prozent (Gartner/Hutter/Weber 2021: 2). Durch die Hartz-Reformen der Regierung Schroder II kamen Arbeitslose und offene Stellen schneller zueinander (vgl. Klinger/Rothe/Weber 2013). Im September 2008, kurz vor Beginn der Groben Rezession waren 460.000 Personen weniger arbeitslos als ein Jahr vorher, wahrend gleichzeitig 12.000 weniger offene Stellen gemeldet waren (Gartner/Hutter/Weber 2021: 3). Wahrend also die Ausgangsbedingungen in der Finanzkrise 2008 in Deutschland eher entgegenkommend waren, gelten sie in der aktuellen Krise als weniger gunstig: So schwachte sich der Trend steigender Beschaftigung schon 2019 ab, da die Lohnstuckkosten zwischen 2015 und 2019 um 8,45 Prozent gestiegen sind, die zusatzlichen Effekte der Hartz-Reformen ausge- laufen sind und sich bereits ein konjunktureller Abschwung ankundigte: Im Herbst 2019 ging das IAB davon aus, dass die Arbeitslosigkeit 2020 im Jahresdurchschnitt auf dem Stand von 2019 bleiben wurde (vgl. Bauer et al. 2019) und im Marz 2020 waren bereits 100.000 offene Stellen weniger gemeldet als ein Jahr zuvor (Gartner/Hutter/Weber 2021: 3). Somit schlussfol- gern Gartner/Hutter/Weber (2021: 3), dass die Corona-Krise in Deutschland auf eine bereits geschwachte Konjunktur traf. Abbildung 5 zeigt die unterschiedliche Natur der beiden Krisen bezuglich Auswirkungen aufBranchen und Erwerbsformen (Gartner/Hutter/Weber 2021: 3).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 4: Entwicklung der Erwerbstatigkeit in Deutschland nach Branchen - Vergleich Corona-Krise mit Grofier Rezession.
Quelle: Gartner/Hutter/Weber 2021: 3 nach destatis, saisonbereinigte Werte.
Ein wesentliches Merkmal der Corona-Krise besteht darin, dass gerade geringfugig Beschaf- tigte und Selbststandige schwer getroffen wurden (vgl. Walwei/Sperber/Giehl 2021), auch da beide Gruppen fur die Sicherungsmabnahmen wie Kurzarbeit nicht forderfahig sind und Ar- beitslosengeld nur in geringem Umfang oder gar nicht gezahlt wird (vgl. Walwei 2021) (Gartner/Hutter/Weber 2021: 4). Wahrend im Jahresverlauf 2009 die Zahl der ausschlieblich geringfugig Beschaftigten zugelegt hatte (plus 63.000), brach sie in der Corona-Krise ein. Die
Zahl der Minijobber lag im ersten Quartal 2021 um 413.000 Personen unter der des ersten Quartals 2020 (Gartner/Hutter/Weber 2021: 4). Es besteht die reelle Gefahr, dass viele niedrig entlohnte und geringqualifizierte Beschaftigungen im Dienstleistungsbereich nicht wiederkom- men werden (Tyson 2020b: 12). Auch die Zahl der Selbststandigen in Deutschland hat sich in den beiden Krisen unterschiedlich entwickelt: Wahrend sie 2009 nahezu unverandert blieb (plus 14.000), sank sie in den vier Corona-Krisenquartalen bis zum ersten Quartal 2021 um insgesamt 179.000 Personen, wobei Corona einenbestehenden negativen Trend verstarkt hat (2019: minus 73.000) (Gartner/Hutter/Weber 2021: 4).
Abbildung 5 zeigt, dass die Kurzarbeit deutschlandweit in der Pandemie ein wesentlich hoheres Niveau erreichte als in der Groben Rezession. Wahrend der Finanzkrise konzentrierte sich die Kurzarbeit auf das exportabhangige verarbeitende Gewerbe und erreichte ihren Hochststand von 1,44 Millionen Personen im Mai 2009 (Gartner/Hutter/Weber 2021: 5). Allein in den beiden Monaten Marz und April 2020 wurde fur rund 10,1 Millionen Beschaftigte Kurzarbeit an- gezeigt, was mehr als dem Dreifachen dessen entspricht, was im gesamten Jahr 2009 angezeigt worden ist (3,3 Millionen Personen) (Gehrke/Weber 2020). Wahrend der Corona-Krise schnellte die Zahl der Personen in Kurzarbeit auf sechs Millionen im April 2020, wodurch sie durch die nahezu flachendeckende Betroffenheit der Wirtschaft zu einem historischen Hochst-
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 5: Konjunkturelle Kurzarbeit - Krisenvergleich Grofie Rezession/Corona-Krise in Deutschland.
Quelle: Gartner/Hutter/Weber 2021: 5 nach Statistik der BA, IAB.
Abbildung 6 zeigt die Anteile der Beschaftigten in Deutschland, fur die Kurzarbeit angemeldet wurde, an alien sozialversicherungspflichtigen Beschaftigten in den jeweiligen Branchen, fur Marz bis April 2020 verglichen mit Januar bis Juni 2009 (Gehrke/Weber 2020). Hier wird deut- lich, dass in der Corona-Krise vor allem das Gastgewerbe und soziale Dienstleistungen betrof- fen sind, wahrend das verarbeitende Gewerbe und sonstige wirtschaftliche Dienstleistungen eher indirekt von den Corona-Eindammungsmabnahmen betroffen sind (Gehrke/Weber 2020).
Stark betroffen durch Corona sind zudem die Branchen „Verkehr und Lagerei“, das Bauge- werbe, Immobilien und „freiberufliche, wissenschaftliche und technische Dienstleistungen“, sowie der Handel. Die Rezession 2009 betraf vor allem die exportorientierte Industrie, speziell das verarbeitende Gewerbe, gefolgt von „Verkehr und Lagerei“ und sonstigen wirtschaftlichen Dienstleistern und dem Baugewerbe (Gehrke/Weber 2020).
Auch im Bereich Neueinstellungen zeigen sich Unterschiede in den beiden Krisen: Wahrend der Finanzkrise in Deutschland sank der Anted der Arbeitslosen, die einen Job begonnen haben, nur moderat. Dagegen ging wahrend der Corona-Krise die Zahl der Arbeitslosen, die in Beschaftigung kamen, deutlicher zuruck: Im Marz 2020 nahmen uber sieben Prozent der Arbeitslosen eine Beschaftigung auf, im April und Mai waren es monatlich rund vier Prozent (Gartner/Hutter/Weber 2021: 6).
Abb. 2: Anteile der Beschaftigten, fur die Kurzarbeitergeld beantragt wurde, an alien sozialversicherungspflichtig Beschaftigten 11 der jeweiligen Branche in Prozent
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 6:Anteile der Beschaftigten in Deutschland,fur die Kurzarbeit angemeldet wurde, an alien sozialver- sicherungspflichtigen Beschaftigten (2009 relativ zum Jahresmittelwert, 2020 relativ zum Februarwert) derje- weiligen Branche, in Prozent.
Quelle: Gehrke/Weber 2020 nach Statistik der Bundesagentur fur Arbeit, IAB.
Gartner/Hutter/Weber (2021: 5 &6&7; vgl. Horn 2021) schlussfolgern:
„Wahrend 2009 in Deutschland (...) eine Nachfragekrise vorlag, istdie Corona- Krise eine tranformative Rezession (...), in der technologischer und struktureller Wandel noch verstarkt werden. (...) Anders als die grofie Rezession 2009 hat die Corona-Krise Erwerhstatige aufierhalh von sozialversicherungspflichtigen Beschaftigungsverhaltnissen massiv getroffen. Die ausschliefilich geringfugige Beschaftigung ist mit Ahstand am starksten zuruckgegangen, Selhststandige erlitten gravierende Einkommensausfalle (...).“
Jenseits der okonomischen Fachliteratur existieren Beitrage aus der linksliberalen Stromung, die die Einzigartigkeit dieser Wirtschaftskrise betonen. So weist von Lucke (2020: 45) der Corona-Pandemie einen besonderen Charakter zu:
„Dagegen erleben wir - zumindest im reichen Westeuropa - die Coronakrise nach der Erfahrung von 75 Jahren Frieden und Wohlstand als eine historische Zasur, namlich als den ersten radikalen Einschnitt in die westliche Konsum- und Wachstumsgeschichte. (,..)Im Kern stellt die Seuche unser gesamtes Konsum- und Lehensmodell infrage. Oder genauer gesagt: unser ganzes Lehen als Konsummodell."
Corona konne demnach durchaus eine „(.••) Zeitenwende (...)“ bedeuten (von Lucke 2020: 47). Thierse (2020: 13) schlieBt sich diesen Uberlegungen an und stellt die These auf, dass ohne die Krise, ohne die Widerspruche des globalisierten Kapitalismus die „(.••) Pandemie nicht mehr als eine Pandemie, mit Schmerzen, mit Opfem, aber wirklich nicht mehr“ ware:
„(...) Denn wenn die Pandemie durch menschliche Eingriffe in die Natur und derenManipulation entstanden ist, wenn sie zugleich eine Seite, eine Folge der Glohalisierung ist, dann geht es um eine doppelte Konsequenz: um eine veranderle Glohalisierungundum eine VeranderungunsererProduktionsweise, unseres Lehensstils, unserer Konsumgewohnheilen und um die Uberwindung einer verfehlten Wachstumsideologie“ (Thierse 2020: 14).
Auch die Reaktionen der politisch Verantwortlichen auf die volkswirtschaftlichen Auswirkungen in der Corona-Rezession sind nicht vergleichbar mit jenen in der Finanzkrise 2008. Nach der Eurozonen-Krise war die EU das Paradebeispiel fur „Austeritat“ gewesen, wahrend im Jahr 2020 Regierungen aller politischen Richtungen in ganz Europa die Geldhahne offneten, wes- wegen Tooze (2021: 151) von einem „(.••) Sinneswandel (...)“ spricht. Am 25. Marz 2020 verabschiedete der Deutsche Bundestag einen Nachtragshaushalt in Hohe von 123 Milliarden Euro, der zusammen mit Kreditburgschaften die deutsche Wirtschaft mit 750 Milliarden Euro stutzte (Tooze 2021: 151 & 152). Im Juni 2020 folgte ein zweites Paket in Hohe von 130 Milliarden Euro, das offentliche Investitionen befordern und die Haushalte der Kommunen entlas- ten sollte, um Mittel fur die Verbesserung der lokalen Infrastruktur freizumachen, wodurch die groBte Volkswirtschaft Europas angekurbelt wurde (Tooze 2021: 152). Auch weltweit, in der gesamten OECD, stutzten verschiedenartige Programme zum Arbeitsplatzerhalt 50 Millionen Jobs und damit zehnmal mehr als wahrend der globalen Finanzkrise 2008 (Tooze 2021: 157). Zusammenfassend lasst sich festhalten, dass es im weit uberwiegenden Teil der Literatur einen Konsens daruber gibt, dass die Corona-Wirtschaftskrise volkswirtschaftlich, wie auch gesell- schaftlich einzigartig und nicht vergleichbar mit den Wirtschaftskrisen der letzten Jahrzehnte - zumindest nicht vergleichbar mit der Weltfinanzkrise 2008 - ist. Dies liegt daran, dass nicht nur Entwicklungslander, sondem auch fortgeschrittene, stabile Volkswirtschaften einen massi- ven Einbruch hinnehmen mussten, dass das Arbeitsvolumen und die Erwerbstatigkeitsquote in Deutschland deutlich niedriger als in der Finanzkrise war und andere Branchen als in der Finanzkrise 2008 betroffen waren. AuBerdem traf die Wirtschaftskrise auf eine schwachelnde Konjunktur in Deutschland und fuhrte zu einer transformativen Rezession. Durch das angeord- nete Herunterfahren des gesellschaftlichen Lebens („Lockdowns“) nutzte die Politik bis dato ungekannte und einzigartige Instrumente, woraus ein immenser Anstieg von Kurzarbeit folgte, der den Anted an Kurzarbeit in Folge der Finanzkrise 2008 weit uberstieg. SchlieBlich gilt der menschliche Eingriff in die Natur als der Ausloser der Wirtschaftskrise, was der Thematik eine zusatzliche kapitalismuskritische, gesellschaftlich hinterfragende Note verleiht.
2.3 Wahlprogrammanalysen
In diesem Abschnitt geht um den aktuellen Stand von Funktionen von Wahlprogrammen und deren Analysen in der politikwissenschaftlichen Forschung. Da sich die vorliegende Arbeit den Auswirkungen der Corona-Krise auf die wirtschafts- und finanzpolitische Ausrichtung der politischen Parteien widmet, und zur Beantwortung der Frage die Methode der qualitativen In- haltsanalyse von Wahlprogrammen angewandt wird, ist es sachdienlich, den folgenden Fragen nachzugehen: Welche Funktionen erfullen zunachst Wahlprogramme fur politische Parteien in Wahlkampfen, aus Angebotsperspektive der Parteien und aus Nachfrageperspektive der Wah- ler? Wie ist der Forschungsstand aus politikwissenschaftlicher Sicht einzuschatzen? Welche methodischen Herangehensweisen bietet die Analyse von Wahlprogrammen und welche Be- sonderheiten weisen diese auf?
2.3.1 Funktion von Wahlprogrammen fur politische Parteien in Wahlkampfen
Welche Funktionen erfullen Wahlprogramme fur politische Parteien ganz allgemein? Nach von Beyme (2000: 70ff; vgl. Rokkan 1970) sind die Ideologien und Programme der Parteien aus historischen sozialen Konflikten entstanden. Nach Rolle (2000: 833) bieten Wahlprogramme den Wahlern eine zuverlassige Informationsquelle uber die kommenden politischen Themen, die die politischen Akteure im Parlament diskutieren. Idealtypisch formulieren Parteien ihre Wahlprogramme als umfassende programmatische Antwort auf die drangenden politischen Fragen der Gegenwart (Klein 2002: 67; Bender et al. 2010: 7). Wahlprogramme werden explizit im Hinblick auf eine Wahl erstellt, bringen die Festlegung der eigenen Policy-Vorstel- lung an die Offentlichkeit und verdeutlichen die eigene programmatische Ausrichtung (Mair/Mudde 1998: 219). Fur Wahler hingegen stellen Wahlen eine Moglichkeit dar, ihre Par- teipraferenz zu andern und damit den Kurs der Regierung zu beeinflussen (Dalton/McAllister 2014: 759). Dahinter steht die Idee, dass Wahlen als Referendum uber die bisherige Politik angesehen werden (Giger/Traber 2016: 402; vgl. Key 1966, Fiorina 1981). In den Programmen werden die politischen Ziele herausgestellt und festgeschrieben, die fur die Parteimitglieder verbindlich sein sollen, fur die eine Partei bei Wahlen um Unterstutzung wirbt und die sie, nach dem Erwerb von Regierungsmacht, zu verwirklichen trachtet (Klingemann 1989: 99). Nach Haupt (2010: 6) sind Wahlprogramme fur die Parteien selbst wichtig, da diese von der Partei als Ganzes befurwortet werden und daher als „(.••) pre-election declarations for voters“ dienen. Nach Heidler (2017: 16) setzen Wahlprogramme sich nicht nur mit aktuellen politischen Prob- lemen auseinander, sondern reflektieren auch veranderte Wertvorstellungen ihrer Wahlergrup- pen:
„Sie sind aussagekraftige Dokumente, da sie als normative Selbstverpflichtung die politischen und gesellschaftlichen Ziele von Parteien und die Praferenzen ihrer Wahler wiederspiegeln.“
Parteien konnen Wahlprogramme fur diejeweilige Wahl anpassen und somit auf die aktuellen Herausforderungen, wie auch auf die politischen Entwicklungen in der zuruckliegenden Legis- laturperiode, reagieren, indem sie Anderungen vomehmen, auch um sich potenzielle neue Wahler zu erschlieben (Dalton/McAllister 2014: 759). Nach Ketelhut et al. (2016: 289) verkorpern Wahlprogramme den Mehrheitswillen der Partei, da sie in der Regel auf dem Wege demokra- tischer Meinungsbildung entstehen. Somit sind diese nicht Ausdruck einer individuellen Hal- tung, sondern legen offiziell die Punkte fest, mit denen die Partei an die Offentlichkeit tritt und sich dem politischen Wettbewerb stellt (Ketelhut et al. 2016: 289). Wahlprogramme wollen uberzeugen, dienen aber auch der Abgrenzung, denn in ihnen definieren die Parteien ihre politischen Ziele und zeigen auf, wie sich ihre Vorstellungen von denen anderer Mitbewerber auf dem Wahlerstimmenmarkt unterscheiden (Ketelhut et al. 2016: 290). Wahlprogramme dienen auch zur innerparteilichen Konfliktschlichtung, als Richtschnur fur Wahler bei ihrer Wahlent- scheidung und sind Grund- sowie Ausgangslage fur Koalitionsverhandlungen zur Bildung einer Regierung (Bender et al. 2010: 14).
Grundsatzprogramme und Wahlprogramme spiegeln die ideologische Festlegung einer Partei wider (Mair/Mudde 1998: 219; vgl, Budge/Ezrow/McDonald 2010: 781). Anders als abstrakt formulierte Grundsatzprogramme fassen Wahlprogramme die programmatischen Vorstellungen einer Partei punktuell vor einer Wahl zusammen (Bender et al. 2010: 7). Im Vergleich zu Grundsatzprogrammen wird hierbei eher das politisch Erreichbare thematisiert (Rolle 2000: 265; Bender et al. 2010: 7). Grundsatzprogramme einer Partei werden fur einen Zeitraum von meist mehreren Jahren bis Jahrzehnte festgelegt, da hier die ideologischen Grundsatze der Partei artikuliert werden und diese sich - wenn uberhaupt - nur inkrementell andern. Das Grund- satzprogramm zeichnet sich durch die Darlegung des gesamtpolitischen Leitbildes der Partei, durch eine geringere Handlungsorientierung, durch einen weiten Zeithorizont, die Behandlung einer Vielzahl von Politikbereichen und einen hohen Grad an Verbindlichkeit, aus (Klingemann 1989: 99).
2.3.2 Funktion von Wahlprogrammen aus vergleichend-politikwissenschaftlicher Sicht
Das deutsche Parteiengesetz verpflichtet gar die Parteien dazu, Wahlprogramme zu erstellen: ,,Die Parteien lege ihre Ziele in politischen Programmen nieder“ (§1 Absatz 3, Satz 1 PartG). Empirische Forschung (vgl. Klingemann et al. 1994, McDonald/Budge 2005) zeigt, dass Wahlprogramme von Parteien einen vertrauenswurdigen Indikator fur jene Policies darstellen, die sie formulieren und implementieren wollen, sobaid jene Parteien in Regierungsverantwortung sind (Haupt 2010: 6). Policy-Positionen von Parteien offenbaren Bewegungen in der inlandi- schen okonomischen Agenda klarer als etwa Policy-Outputs, die meist das Ergebnis eines in- nerparteilichen Kompromisses darstellen (Haupt 2010: 6). Daher argumentiert Haupt (2010: 6 & 7), dass Policy-Positionen von Parteien - niedergeschrieben in Wahlprogrammen - einem Forscher ermoglichen, das ideologische Fundament von soziookonomischem Policy-Making auf nationaler Ebene zu untersuchen.
Wie der individualpsychologische Erklarungsansatz der Wahlforschung beweist (Korte 2009: 103ff; vgl. Eith/Mielke 2009), kann das Studieren und Vergleichen der Wahlprogramme durch den Wahler vor einer Wahl fur seine Wahlentscheidung mitentscheidend sein (Bender et al. 2010: 7). Wahlprogrammen kommt daher nach Klein (2005: 83) demokratietheoretisch eine herausragende Bedeutung zu und sie stehen unter einem speziellen, aus derjeweiligen Zeitge- schichte bzw. dem Wahlkampf resultierenden Motto (Ickes 2008: 16) (Bender etal.2010: 7). Kluver/Spoon (2016: 1) gehen in ihrer Studie der Frage nach, ob Parteien auf die Themenprio- ritaten der Wahler reagieren und analysieren dies anhand von Daten aus 63 Wahlstudien in 18 europaischen Demokratien von 1972 bis 2011. Die Autoren finden heraus, dass Parteien durch ihre Wahlprogramme auf Wahler antworten, mit dem Unterschied, dass Volksparteien emp- fanglicher fur Policy-Prioritaten der Wahler sind, wahrend Regierungsparteien weniger auf die Nachfrage derWahlerthemen reagieren (Kluver/Spoon 2016: 1).
Je nach Politikfeld konnte Rolle (2000: 833) mittlere bis Starke Zusammenhange zwischen den Wahlaussagen der Parteien und nachfolgendem Regierungshandeln zeigen. So sind etwa die Wahlprogramme der deutschen Parteien im Bereich Wohlfahrtsstaat ein meist zuverlassiger Indikator fur ihr spateres Handeln im Parlament (Rolle 2000: 833).25
2.3.3 Besonderheiten und methodische Herangehensweisen an Wahlprogrammanalysen
Die wohl umfassendste Studie in Bezug auf Arbeiten, die ideologische Positionen in Wahlprogrammen messen und miteinander vergleichbar machen, ist das ..Comparative Manifesto Project (CMP), das insgesamt 2347 Wahlprogramme von 632 Parteien in 52 Landern seit 1945 systematisch verschlusselt hat (Volkens 2001: 34f.; Bender et al. 2010: 2).26 Zusammengefasst konnten die Arbeiten des CMP einen deutlichen Zusammenhang zwischen den Wahlprogrammen bzw. den Regierungserklarungen politischer Parteien und dem Policy-Output von Regierungen belegen (Rolle 2000: 822).
Die Wahlprogramme zur Bundestagswahl 2021 - mit denen die vorliegende Arbeit sich uber- wiegend beschaftigen wird - wurde von Prehn/Schiller (2021: Abstract) in Bezug auf den Stel- lenwert von Wasserstoff analysiert. Anhand einer qualitativen Inhaltsanalyse arbeiten Prehn/Schiller (2021: Abstract & 1) zentrale Kategorien aus, in denen die Wahlprogramme der Parteien sich hinsichtlich der Nutzung von Wasserstoff unterscheiden. Im Kern werden die zentralen Annahmen und Sichtweisen in Form von acht Kategorien herausgearbeitet (Prehn/Schiller 2021: 10). Diese Inhaltsanalyse wurde software-gestutzt mit MaxQDA durch- gefuhrt, die es erlaubt, Texte automatisiert zu codieren und auf die ErschlieBung subjektiver Sinndimensionen zielt (Prehn/Schiller 2021: 1). Zugleich kritisieren Prehn/Schiller (2021: 1) diese Herangehensweise, da dies zu Lasten der Objektivitat gehen kann. Somit lasst sich fest- halten, dass Prehn/Schiller (2021) sich bei ihrer Analyse von Wahlprogrammen fur eine qualitative Inhaltsanalyse in Form einer induktiven Kategorienbildung nach Kuckartz (2018) mit Unterstutzung einer Software entschieden haben.
Heidler (2017: 15) widmet sich dem Wandel der Darstellung von Geschlechterrollen in Wahlprogrammen und stellt dabei die Frage, wie Geschlechterdifferenzen in Wahlprogrammen for- muliert werden und wie sie sich fur die CDU und Bundnis90/Die Grunen in den letzten Jahr- zehnten gewandelt haben. Als Grundlage fur die Untersuchung von gesellschaftlichen Wand- lungsprozessen dienen die Wahlprogramme der beiden Parteien von den Bundestagswahlen 1980 bis 2013. Heidler (2017: 22) entschied sich dafur fur die Methode der qualitativen Inhalts- analyse nach Mayring (2015), die ein Set von theoretischen Dimensionen an das Material her- antragt. Hier lasst sich also festhalten, dass Heidler (2017) sich fur die Analyse von 10 Wahlprogrammen jeweils zweier Parteien uber einen langeren Zeitraum entscheidet und dabei rein qualitativ, in Anlehnung an Mayring (2015), vorgeht.
Ketelhut et al. (2016: 285) behandeln die Facetten des deutschen Euroskeptizismus anhand einer qualitativen Analyse der deutschen Wahlprogramme zur Wahl zum europaischen Parlament 2014. Das Erkenntnisinteresse bestand in der Herausarbeitung der verschiedenen Formen, in denen der deutsche Euroskeptizismus politisch-thematisch als auch sprachlich-rhetorisch in Er- scheinung tritt, indem direkt beim empirischen Material angesetzt wird um zu untersuchen, wie die deutschen Parteien sich im aktuellen Anti-EU-Diskurs positionieren (Ketelhut et al. 2016: 285).27 Methodisch entschieden sich die Autoren fur einen induktiven Forschungsansatz, der mit dem Blick auf das empirische Material startet und mit einer Systematisierung der Einzel- beobachtungen endet (Ketelhut et al. 2016: 289). Zusatzlich wird das Material mit Hilfe des Softwarepakets MaxQDA 11 aufbereitet und ausgewertet. Hier bleibt festzuhalten, dass die Autoren sich bei ihrer Analyse fur eine qualitative Inhaltsanalyse - wie Prehn/Schiller (2021) - in Form einer induktiven Kategorienbildung mit Unterstutzung einer Software entschieden haben, und wie Heidler (2017) sich dabei aufMayring (2010 bzw. 2008) stutzen.
Bender et al. (2010: 2ff.) analysieren die Inhalte der Wahlprogramme der Parteien, im Zuge der Landtagswahl in NRW 2010, quantitativ und qualitativ und verglichen diese miteinander. Dazu wurden die Programme entlang der am haufigsten vorkommenden Schlusselworter bzw. Wort- felder analysiert, sowie einzelne Aussagen der Parteien zu zentralen politischen Forderungen entlang zweier Konfliktlinien vermessen, um ideologische Nahen bzw. Distanzen zwischen alien Parteien zu erkennen (Bender et al. 2010: 2). Die relative Haufigkeitjedes Wortes im Wahlprogramm wird im Verhaltnis zu jedem Wort im Referenztext - hier den Grundsatzprogram- men, aus dem die grundlegenden Positionen der Partei hervorgehen - erhoben und so die programmatische Position und die Bedeutung einzelner Politikfelder ermittelt. Dazu wird jedem Wort ein numerischer Referenzwert zugewiesen, indem konkret die Policy-Positionen auf einer zweidimensionalen Links-Rechts-Skala abgebildet werden, wobei zwischen einer wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Dimension unterschieden wird (Pappi/Shikano 2004: 2f.; Debus 2007: 47) (Bender et al. 2010: 3).28
Neben qualitativen methodischen Herangehensweisen an Analysen von Wahlprogrammen sollte der Forschungsstand in Bezug auf quantitative Inhaltsanalysen29 nicht vemachlassigt werden. Seeger (2003) untersucht die Moglichkeiten und Grenzen des Einflusses der politischen Parteien auf die Umweltschutzpolitik der von den beiden deutschen Volksparteien SPD und CDU gefuhrten Regierungen der 16 Bundeslander in den 1990er Jahren. Dabei werden die quantitativen Indikatoren der von den Parteien in ihren Wahlprogrammen aufgestellten Zielset- zungen und Problemlosungsangebote durch eine quantitative Inhaltsanalyse gewonnen. Die Be- ziehungen zwischen der parteipolitischen Zusammensetzung der Landerregierungen und der Umweltschutzpolitik in den 1990er Jahren werden durch eine bivariate Korrelationsanalyse er- mittelt (Seeger 2003).
Klingemann (1989: 99 & 100) analysiert anhand einer quantitativen Inhaltsanalyse die Wahlprogramme von SPD, FDP und CDU von 1949 bis 1987 und geht u.a. den Fragen nach, welche politischen Prioritaten die Parteien in ihren Wahlprogrammen gesetzt haben, wie sie die relative Wichtigkeit der groBen Politik eingeschatzt haben, wie unterschiedlich die programmatischen Profile der drei Parteien waren, sowie wie die Politikdistanzen einzuschatzen waren. Da das Ausgangsmaterial von insgesamt 33 Wahlprogrammen mit 807 Druckseiten die Analyse sehr umfangreich macht, entscheidet sich der Autor fur eine quantitative Methode, „um die umfang- reichen Texte systematisch aufschlieBen und umfassend darstellen zu konnen (...)“ (Klingemann 1989: 100).
In einem anderen Beitrag thematisieren Klingemann/Volkens (1997: 517ff) die Struktur und Entwicklung von Wahlprogrammen in der Bundesrepublik Deutschland 1949 bis 1994, in dem sie der Frage nachgehen, welchen Stellenwert die Programmatik fur die politischen Parteien in der Bundesrepublik haben, welche programmatischen Profile die bundesdeutschen Parteien haben, in welcher Hinsicht sich ihre Programme unterscheiden und wie polarisiert das deutsche Parteiensystem in dieser Hinsicht ist. Diese Fragen beantworten die Autoren mittels quantitati- ver Inhaltsanalysen von Wahlprogrammen der Parteien CDU/CSU, SPD, FDP, Bundnis90/Die Grunen und PDS, indem die Wahlprogramme mit Hilfe eines Klassifikationsschemas ver- schlusselt und so fur die quantitative Analyse aufbereitet werden, damit die Themen und Posi- tionen, die sich in den Wahlprogrammen der einzelnen Parteien finden, dargestellt und mitei- nanderverglichenwerden konnen(Klingemann/Volkens 1997: 517).
Im zuruckliegenden Abschnitt wurde deutlich, dass die Wahlprogramme der deutschen Parteien zur BTW 2021 bisher kaum analysiert worden sind und auch die Analyse eines Wahlpro- gramms verglichen mit jenem zur letzten Bundestagswahl eher eine Seltenheit ist. Aufgrund dieser Lucke und den Hinweisen von Bukow/Switek (2017: 124), dass empirische Zusammen- hange in einzelnen Politikfelder durch die sehr unterschiedlichen Bewegungsmuster nur schwach ausgepragt und in einer quantitativen Analyse kaum darstellbar sind, und von Bandau/Zohlnhofer (2017: 3), dass ein qualitativer Ansatz ermoglicht, den Prozess einer pro- grammatischen Veranderung genauer und detaillierter zu analysieren, entscheide ich mich fur eine qualitative Inhaltsanalyse nach Mayring (2015) & Mayring/Fenzl (2019) in Form einer deduktiven Kategorienanwendung.
3. Fallauswahl
In diesem Punkt wird dargestellt und begrundet, welche Parteien fur die Analyse der Wahlprogramme ausgewahlt werden. AuBerdem erfolgt die Auswahl der Politikfelder.
3.1 Auswahl der politischen Parteien
Politische Parteien sind nach Max Weber (1988: 324) „(...) freiwillig geschaffene und auf freie, notwendig stets erneute, Werbung ausgehende Organisationen (...)“, die interessengeleitet han- deln (Schmidt 2016: 83). Ihr Ziel ist es „(.••) Stimmenwerbung fur Wahlen zu politischen Stel- lungen oder in eine Abstimmungskorperschaft (...)“ (Weber 1988: 324) zu betreiben (Weber 1972: 167; Schmidt2016: 83 & 84).30
Nach dem deutschen Parteiengesetz sind Parteien Vereinigungen von Burgern, die dauemd oder fur langere Zeit fur den Bereich des Bundes oder eines Landes auf die politische Willensbildung Einfluss nehmen und an der Vertretung des Volkes im Deutschen Bundestag oder einem Landtag mitwirken wollen (§2 Absatz 1, Satz 1 PartG). Die Parteien sind ein verfassungsrechtlich notwendiger Bestandteil der freiheitlichen demokratischen Grundordnung (§1 Absatz 1, Satz 1 PartG).
In der Bundesrepublik Deutschland profitierten vom Vorrang in der Interessensvermittlung zwischen Burgem und Staat bislang die Parteien CDU/CSU31, SPD32, FDP33, Bundnis90/Die Grunen34 und Die Linke35 (Schmidt 2016: 84). Neu hinzugekommen ist seit 2013 die AfD (Schmidt 2016: 84). Die Verortung von politischen Parteien erfolgt grundsatzlich auf zwei Ach- sen: Auf der Achse der Staat-Markt-Arbeitsteilung - auch soziookonomische Dimension/Achse genannt - von links (im Sinne der Befurwortung staatszentrierter Politik) bis rechts (im Sinne der Bevorzugung marktzentrierter Regelungen) und auf der Werte-Achse - auch soziokulturelle Dimension/Achse genannt -, die vom progressiv-libertaren bis zum konservativen Pol reicht (Schmidt 2016: 84 & 85; vgl. Benoit/Laver 2006, Laver/Hunt 1992, Niedermayer 2013a). Innerhalb des linken Lagers konnen mit Sozialdemokraten, Linksparteien und Grunen drei Par- teienfamilien identifiziert werden. Sowohl die Sozialdemokratie als auch die Linksparteien haben ihre historischen Ursprunge im Marxismus und in der Arbeiterbewegung, sind also aus dem Konflikt zwischen Arbeit und Kapital hervorgegangen (Bandau 2015: 40 & 41).36 Grundsatzlich lasst sich festhalten, dass Die Linke den linken Flugel und die SPD eine mitte-links-Posi- tion einnimmt, also die Linkspartei und die SPD auf der Werte-Achse meist progressive Posi- tionen vertreten (Schmidt 2016: 85). Beide Parteienfamilien teilen eine egalitare Grundhaltung, sowie die Annahme einer zentralen Rolle des Staates bei der Gewahrleistung sozialer Rechte und der Herstellung sozialer Gerechtigkeit (Bandau 2015: 41).37 Im Gegensatz dazu entstammt die grune Parteienfamilie neueren sozialen Bewegungen, da uberwiegend postmaterialistische Themen wie der Schutz der Umwelt und die Gleichstellung der Geschlechter im Zentrum der Programmatik stehen (vgl. Muller-Rommel 1993, 2001) (Bandau 2015: 41). Auch wenn grune Parteien Marktlosungen einen hoheren Stellenwert einraumen als Linksparteien, konnen sie doch eindeutig dem linken Spektrum zugeordnet werden, da sie vor allem in sozialpolitischen Fragen linke Positionen vertreten (Bukow/Switek 2012: 204; Bandau 2015: 41). Die Grunen zahlen zum linken und auf der Werte-Achse zum libertaren Flugel (Schmidt 20 1 6 : 85).38 Mit den Grunen und der Linken sind auch die grune Parteienfamilie sowie die Parteienfamilie der Linksparteien im deutschen Parteiensystem vertreten (Ismayr 2009: 540; Bandau 2015: 117). Die Unionsparteien liegen bei wirtschafts- und sozialpolitischen Fragen in der Mitte und auf der Werte-Achse naher beim konservativen Pol (Schmidt 2016: 85). Die christdemokratische Parteienfamilie ist von den Konservativen grundsatzlich abzugrenzen;39 sie unterscheiden sich demnach durch ihre christliche Einfarbung und ihre um gesellschaftlichen Ausgleich bemuhte schichtenubergreifende Orientierung (vgl. Frey 2009; Liedhegener/Oppelland 2012) (Bandau 2015: 42).40 Somit gehort die CDU/CSU eindeutig der christdemokratischen Parteienfamilie an (Bandau 2015: 117). Die FDP halt in der Wirtschaftspolitik marktfreundliche Positionen und ist auf der soziokulturellen Achse nahe beim progressiven Pol positioniert. Dieser Ausrichtung unterliegt die Ideologic des klassischen Liberalismus: Das Glauben an die Autonomie des In- dividuums und eine tiefe Skepsis gegenuber der Staatsmacht. Jedoch konnen innerhalb der li- beralen Parteienfamilie Parteien mit sozialliberaler Ausrichtung von eher wirtschaftsliberal ori- entierten Parteien unterschieden werden (vgl. Smith 1988: 21, von Beyme 1982: 47-57, Kirchner 1988, Franzmann 2012) (Bandau 2015: 42 & 43). Die FDP ist der liberalen Parteienfamilie zuzuordnen, wobei innerhalb der Partei seit den fruhen 1980er Jahren marktliberale Krafte die Oberhand gewinnen (Bandau 2015: 118).
In der vorliegenden Arbeit soil die Wirtschafts- und Finanzpolitik in den Wahlprogrammen der deutschen Parteien zu den Bundestagswahlen 2017 und 2021 analysiert und miteinander ver- glichen werden. Dazu werden die im Bundestag vertretenen Parteien - in Fraktionsstarke - ausgewahlt. Die Vertretung im Parlament auf Bundesebene ist ein objektives Kriterium, da we- gen der Funf-Prozent-Sperrklausel im Wahlsystem Kleinparteien automatisch ausgeschlossen sind41 und somit aus der Mitgliedschaft im Bundestag eine relevante politische Bedeutung fur die politische Willensbildung resultiert. Im zuruckliegenden Abschnitt wurden die relevanten Parteien bereits aufgezahlt, sowie historisch und programmatisch eingebettet. Dabei fallt auf, dass eine Partei, die AfD42, noch auBen vorgelassen wurde. Die Parteiauswahl in dieser Arbeit erfolgt auf die Fraktionen Die Linke, SPD, Bundnis90/Die Grunen, CDU/CSU43 und FDP. Der Grund fur das Weglassen der AfD wird folgendermaBen begrundet:
Legt man die eben dargelegten MaBstabe der Verortung von Parteien im links-rechts-Spektrum bei der Bewertung der AfD an, so zeigt sich ein widerspruchliches Bild: Einerseits scheint die Einordnung der Partei in der soziokulturellen Dimension klar: In Bezug auf die Einstellungen der Wahler, der Mitglieder und insbesondere der inhaltlichen Ausrichtung der Partei, wird sie als eindeutig rechts eingeordnet (Grabow 2016: 175 & 177), wozu vor allem die Bereiche Migration und europaische Integration zahlen (Schwarzbozl/Fatke 2016: 286 & 294). Die Anhanger der AfD sind also soziokulturell homogen bzw. positionieren sich koharent (Schwarzbozl/Fatke 2016: 289 & 294). Soziookonomisch hingegen ist die Partei, wie auch ihre Wahler, Mitglieder und insbesondere die Funktionare sehr heterogen und die Koharenz ist deutlich niedriger (Schwarzbozl/Fatke 2016: 289). Hier zeigt sich das Problem der Klassifizierung: Die Einordnung der AfD auf der soziookonomischen - die in dieser Arbeit relevanten - Achse scheint sehr schwierig (vgl. Schmidt 2016: 85). Erstens ist die AfD noch eine vergleichsweisejunge Partei, was sich daran festhalten lasst, dass die Bundestagswahl 2017 erst die zweite Bundestagswahl ist, an der sie als Partei mit einem Wahlprogramm teilnahm.44 Zweitens ist sie seit deren Grun- dung (2013) regelmaBig mit innerparteilichen Fuhrungskampfen und, damit einhergehend, Richtungsauseinandersetzungen beschaftigt. Begann sie ursprunglich als eurokritische, wirt- schaftsliberale Protestpartei unter Bernd Lucke, Frauke Petry und Konrad Adam (Schwarz- bozl/Fatke 2016: 276, Grabow 2016: 174, Schmidt 2016: 85 & 99), mundete sie ab 2015 durch den Vorsitz von Frauke Petry und Jorg Meuthen und Beginn der Zuwanderung aus der dritten Welt zunehmend in eine migrationskritische, nationalkonservative, gar systemfeindliche Partei (Schwarzbozl/Fatke 2016: 276, Grabow 2016: 175, Berbuir/Lewandowsky/Siri 2015: 154, Schmidt 2016: 99).45 Nach der Bundestagswahl 2017 trat Petry ab und wurde durch Alexander Gauland (der 2019 von Tino Chrupalla abgelost wurde) und weiterhin Jorg Meuthen ersetzt,
[...]
1 Die WHO definiert den Begriff ..Pandemic'' als die interkontinentale Ausbreitung eines neuartigen Virus, welches mangels vorhandener Resistenzen ein hohes Risiko fur die Weltbevolkerung darstellt (Rengeling 2020: 212).
2 Der Begriff der Epidemie (altgriechisch ,,im ganzen Volkc'') geht aufHippokrates zuruck (Muller 2020: 8).
3 Vgl. hierzu auch Hennis 1998, Leibholz 1952, von Beyme 2010: 373. Nach Schmidt (2016: 204) geht der ursprunglich pejorativ verwendete Begriff „Parteienbundesstaat“ auf die Weimarer Republik zuruck: Parteien instrumentalisierten und uberlagerten das bundesstaatliche Gefuge.
4 Demnach war es dem republikanischen US-Prasidenten Richard Nixon einst moglich, China zu besuchen, ohne dafur von der Offentlichkeit abgestraft zu werden, eben weil er als strikter anti-Kommunist gait (Bandau 2015: 55; vgl. Ross 2000: 158ff.).
5 Die „Dialektik“ oder „dialektische Methode” wurde von Karl Marx in die Wirtschafts- und Sozialwissenschaft eingefuhrt, hangt mit dem Begriff ..Dialog'' zusammen und bedeutet so viel wie „die Kunst, einen Dialog zu fulircn'' (Kromphardt/Clever/Klippert 2013: 85; Kromphardt 2004: 132; vgl. Seiffert 1971: 199). „Dialektik“ ist ursprunglich eine Bezeichnung fur eine sprachliche Auseinandersetzung. Kennzeichnend fur einen Dialog nach der Regel der Dialektik ist nicht die Anzahl der Personen - da sich ein Dialog auch mit einem selbst fuhren lasst - sondem die Art und Weise, wie der Dialog gefuhrt wird (Kromphardt/Clever/Klippert 2013: 85; Kromphardt 2004: 132).
6 Die gemeinte „dialektische Triade” folgt stets demselben Schema: Erstens, es wird etwas behauptet (These); zweitens, dieser Behauptung wird mit einer Gegenbehauptung widersprochen (Antithese); drittens, der Gegensatz wird ausgetragen, bis eine Losung (Ubereinkunft) erzielt ist, in welcher der Gegensatz uberwunden ist (Synthese) (Kromphardt/Clever/Klippert 2013: 85 & 86; Kromphardt 2004: 132). Mit der Erreichung der Synthese ist eine hohere Ebene des Dialogs erreicht, die auf dieser zu einer These werden kann, der sich wieder eine andere Antithese gegenuberstellt, wodurch die dialektische Triade aufs neue beginnenkann (Kromphardt/Clever/Klippert 2013: 86; Kromphardt 2004: 132). Diese Entwicklung kann bis ins Unendliche fortgesetzt werden, sie hat kein naturliches Ende.
7 Auf eine weiter tiefergehende Unterscheidung zwischen den Attributen „extern" und „exogen" wird hier verzichtet. Auch da diese in der Literatur nicht weiter thematisiert wird, wodurch es in dieser Arbeit als Synonym verwendet werden kann.
8 Als Beispiele geben Harmel/Janda (1994: 267) Verfassungsanderungen oder die Entstehung von neuen relevanten Parteien an, die eine Konkurrenz darstellen.
9 In der Parteienwandelforschung stellen Umweltveranderungen einen zentralen Erklarungsfaktor fur die Verande- rung von Parteien dar, denn Modifikationen in ihrer U mwelt verlangen Parteien Anpassungen ab; demnach mussen Parteien auf Veranderungen in ihrer politischen, sozialen oder wirtschaftlichen Umwelt reagieren (von dem Berge/Poguntke 2013a: 877). Gleichzeitig wird artikuliert, dass politische Parteien nicht als komplett von ihrer Umwelt abhangig und ohne eigenen Entscheidungsspielraum verstanden werden durfen (von dem Berge/Poguntke 201a: 877; Detterbeck 2002: 22). Ein Parteienwandel vollzieht sich nicht automatisch aufgrund extemer Stimuli, sondem nur dann, wenn ein oder mehrere Schlusselakteure diesen Druck erkennen und der Meinung sind, dass der Nutzen eines Wandels dessen Kosten ubersteigt (von dem Berge/Poguntke 2013a: 877; Harmel 2002: 129, 132; Harmel et al. 1995: 17; Panebianco 1988: 242; Harmel/Janda 1994: 263).
10 Wegweisend bezuglich der Entstehung der Parteiorganisation in Europa und der Struktur von Parteien war die Analyse von Katz/Mair (1994) und Katz/Mair (1993).
11 Dauderstadt (2020: 28) argumentiert, dass die okonomische Krise in Folge der Pandemie primar politisch gemacht sei, da die Mabnahmen wirtschaftlich verheerend waren. Er raumtjedoch ein, dass die Politik wohl einer - wahrscheinlich noch groberen - Krise zuvorgekommen ist: Jener, die bei einer ungebremsten Ausbreitung der Seuche eingetreten ware. Dazu stellt Dauderstadt (2020: 28) die These auf, dass auch ohne Lockdown die Menschen wohl von vielen der betroffenen Aktivitaten Abstand genommen hatten - mit entsprechenden Folgen fur die Konsumnachfrage. Dieser Punkt ist insofem relevant, als dass hier die Ursache-Wirkung-Beziehung aufgegriffen und diskutiert wird. Diese Arbeit verbleibt damit, dass die Ursache das Virus und dessen weltweite Verbreitung ist.
12 ZurMethodikderDatenerhebung sieheAlbrechtetal. (2021: 58) sowieChengetal. (2020: llff.).
13 Mehr zum Verlauf der Schweinegrippe siehe Muller (2020: 72).
14 Fur Seuchen in der Menschheitsgeschichte siehe Muller 2020.
15 Zum Ursprung des Namens siehe Muller 2020: 16.
16 Nach Muller (2020: 11) zahlt die Hongkong-Grippe wohl zu den am wenigsten erforschten Pandemien des 20. Jahrhunderts.
17 Nach Muller (2020: 15) gab Taubenberger der Spanischen Grippe diesen Beinamen, da er belegen konnte, dass es sichbei alien Influenzapandemien des 20. Jahrhunderts um Nachfahren des Virus von 1918 handelte (abgesehen von den Vogel-Influenzaviren, die Menschen infizierten, aber das Virus nicht von Mensch zu Mensch weitergegeben wurde).
18 Fur weiterfuhrende Literatur zur Spanischen Grippe siehe Witte 2020, Spinney 2018, Michels 2010.
19 Eine Abweichung dazu liegt in der Literatur uber den Ersten Weltkrieg vor, wo die Spanische Grippe regelmabig Erwahnungfindet, siehe etwaKrumeich2015 (Muller2020: 13).
20 Auswirkungen der Corona-Krise auf die Volkswirtschaften weltweit, auf die grobten Industrienationen weltweit (G7, G20), auf die US-amerikanische Volkswirtschaft oder die Rolle Chinas, werden hier nicht weiter thematisiert. Der Fokus bezieht sich auf die Auswirkungen auf die konjunkturelle Entwicklung Deutschlands. Fur die Rolle Chinas in der Pandemie siehe Tooze (2021: lOff, 63ff., 217ff.), fur die Rolle derUSA siehe Tooze (2021: 241ff.) und fur die Rolle der EU siehe Tooze (2021: 201ff.).
21 Unter Anwendung okonometrischer Verfahren auf Handydaten hat der IWF Schatzungen daruber erstellt, welchen Anted der Mobilitatseinschrankung - ein Mab fur den Grad des Shutdowns - auf staatliche Anordnungen und nicht auf freiwillige soziale Distanzierung zuruckzufuhren ist. Fur reiche Lander uberwiegt das aus Eigeninitiative betriebene Social Distancing bei weitem die staatlichen Anordnungen. Von dem Ruckgang der Mobilitat um 19%, der in den 90 Tagen nach der ersten registrierten Infektion zu verzeichnen war, konnte nur etwas mehr als ein Drittel durch die relative Strenge des Lockdowns erklart werden, der Rest war auf freiwilliges Social Distancing zuruckzufuhren (Tooze 2021: 112; IMF 2020).
22 Die Kurzarbeitssysteme waren ursprunglich fur die klassische Industriearbeit entwickelt worden. Im Laufe der 2020er Jahre wurden sie auf Selbststandige, Beschaftigte in der ..Gig-Economy'' und auf stigmatisierte Gruppen wie Sexarbeiterinnen ausgeweitet (Tooze 2021: 121).
23 Dieser Beitrag beschaftigt sich nicht mit den Reaktionen der deutschen oder europaischen Politik auf die Auswirkungen der Finanzkrise. Zu diesem Thema siehe Tooze 2021, Hom 2021, Skidelsky 2020.
24 Zu wahlrechtlichen Konsequenzen der Weltfinanzkrise siehe Kriesi 2014.
25 Zu Kritik an der Relevanz von Wahlprogrammen fur Parteien und Wahler siehe Raschke/Morsey (1970: 8), Hofferbert/Klingemann/Volkens (1992: 385), Downs (1968: 104 & 105) (Rolle 2000: 821), sowie Schumpeter (1950: 283) (Klingemann/Volkens 1997: 518).
26 Eine weitere Methode, die sich zum Teil auf Ergebnisse des CMP stutzt, ist das sogenannte Wordscore- Verfahren. Siehe dazu Laver/Benoit/Garry 2003, Debus 2007, Pappi/Shikano 2004, Benoit/Laver 2006 (Bender et al. 2010: 2 & 3).
27 Zur Relevanz von Europawahlen im Vergleich zu Wahlen von nationalen und subnationalen Parlamenten siehe Brunsbach et al. 2011.
28 Fur Probleme und Kritik an diese methodische Herangehensweise siehe Bender et al. (2010: 7).
29 Zur Methodik bei quantitativen Inhaltsanalysen siehe Hutter 2020.
30 Nach von Beyme (2000: 15) sind Parteien historisch gesehen „(...) ein organisatorisches Substitut fur die Herrschaft der alten aristokratischen und fruhburgerlichen Eliten, die noch so naturwuchsig mit den Zentren der Macht sozial verbunden waren, dass sie besonderer Organisationsformen nicht bcdurftcn.''
31 Zur Geschichte und Ausrichtungvon CDU/CSU siehe vonBeyme 2000: 81f., Schmidt 2016: 85ff., Weigl 2013a, Zolleis/Schmidt 2013a, Schmidt 1996b: 13ff., Bosch 2001: 195ff., Walter/Werwath/D’Antonio 2011, Mintzel 2013, Weigl 2013b, Deininger 2020, Hopp et al. 2010, Kiebling 2013.
32 Zur Geschichte und Ausrichtungder SPD siehe vonBeyme 2000: 82f., Schmidt 2016: 89ff., Losche 2002: 589ff., Faulenbach2012, Spier/vonAlemann2013: 439ff.
33 Zur Geschichte und Ausrichtung der FDP siehe von Beyme 2000: 79ff., Schmidt 2016: 92ff., Vorlander 2013a, Dittbemer 2005, Michel 2005, Dittbemer 2013, Niedermayer 2015: 103ff.
34 Zur Geschichte und Ausrichtung von Bundnis90/Die Grunen siehe von Beyme 2000: 87f., Schmidt 2016: 94ff., Probst 2013a, Wiesenthal 2000: 22ff.
35 Zur Geschichte und Ausrichtung von Die Linke siehe von Beyme 2000: 83f., Schmidt 2016: 96ff., Spier 2017: 191ff., Neu 2021: 598ff., Neugebauer/Stoss 2008: 151ff., Pfahl-Traughber 2013a: 541ff., Oppelland/Trager2014.
36 Nach Bandau (2015: 41) haben die gemeinsamen Ursprunge beider Parteienfamilien sowie schmerzhafte, ideologisch bedingte Spaltungsprozesse dazu gefuhrt, dass sich die Vertreter beider Parteienfamilien in der Regel recht unversohnlich gegenuberstehen.
37 Linksparteien gehen beim Staatsinterventionismus und der Umverteilung materieller Ressourcenjedoch deutlich weiter als Sozialdemokraten, die sich zwar ebenfalls fur soziale Umverteilung und einen universalistischen, dekommodifizierenden Wohlfahrtsstaat einsetzen, gleichzeitig aber die wohlstandsmehrende Wirkung des Ungleichheit generierenden kapitalistischen Wirtschaftssystems nicht grundsatzlich in Frage stellen (vgl. Merkel et al. 2006: 25-36; Jun2012; Spier 2012) (Bandau 2015: 41). Somit sind sozialdemokratische Parteienideologisch damit rechts der Linksparteien zu verorten (Bandau 2015: 41).
38 Zur Verortung der Parteienfamilien im Links-Rechts-Spektrum, insbesondere auf der soziookonomischen Achse sieheBandau2015: 43f. & 118, Spier2012.
39 Zu konservativen Parteien siehe von Beyme 2000: 80f.
40 In soziookonomischen Fragen nehmen christdemokratische Parteien eine deutlich wohlfahrtsstaatsfreundliche Haltung ein, ohne die egalitare Ausrichtung linker Parteien zu teilen. Sozialleistungen etwa, zielen hier weniger auf die Herstellung groBcrcr materieller Gleichheit, als auf Statuserhalt innerhalb des bestehenden Sozialgefuges ab (Bandau 2015: 42). Dem Subsidiaritatsprinzip folgend setzen christdemokratische Parteien bei der Bereitstellung wohlfahrtsstaatlicher Leistungen starker auf nicht-staatliche Akteure wie Familie oder Kirche (vgl. vanKersbergen 1995;Kalyvas/vanKersbergen2010: 196-200) (Bandau2015: 42).
41 Eine Ausnahme bildet der SSW, der seit 2021 lediglich einen fraktionslosen Bundestagsabgeordneten stellt.
42 Insgesamt gait das deutsche Parteiensystem lange als eine Ausnahme in Westeuropa, da sich bislang keine rechtspopulistische Partei nachhaltigem Erfolg etablieren konnte (vgl. Mudde/Europe 2007, Niedermayer 2010, Bomschier2012) (Schwarzbozl/Fatke 2016: 276, Grabow 2016: 174). Fur die Geschichte von rechtsextremen und rechtspopulistischen Parteien in Europa siehe von Beyme 2000: 84ff.
43 In Anlehnung an Bandau (2015: 117) werden die christdemokratischen Schwesterparteien CDU und CSU in der vorliegenden Arbeit als eine Partei behandelt. Dies entspricht wiederum den Kriterien Lijpharts (1999: 70-71), wonach Parteien als eine Partei behandelt werden konnen, wenn sie nicht direkt gegeneinander um Stimmen konkurrieren, eine gemeinsame Parlamentsfraktion bilden, sich gemeinsam in der Regierung oder der Opposition befinden und langfristig aneinander gebunden sind.
44 Hinzu kommt, dass das Wahlprogramm der AfD zur Bundestagswahl 2013 vier Seiten umfasst. Es lasst sich daher diskutieren, ob dieser Umfang ein Wahlprogramm rechtfertigt. Zur Analyse der Teilnahme an der Wahl zur Bundestagswahl 2013 siehe Schmitt-Beck (2014), Lewandowsky et al. (2016), Lewandowsky (2015), Franzmann (2014).
45 Siehe dazu Schmitt-Beck 2014; Wiesendahl 2016, Pfahl-Traughber 2019.
- Arbeit zitieren
- Christian Ramspeck (Autor:in), 2022, Die Auswirkungen der Coronakrise auf die wirtschafts- und finanzpolitische Ausrichtung der deutschen Parteien, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1350001
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