In modernen Gesellschaften spielt Bildung eine zentrale Rolle für die Mobilitätschancen jedes Einzelnen, da die berufliche und dadurch bedingt auch die gesellschaftliche Positionierung in engem Zusammenhang mit Bildungszertifikaten stehen. Daraus kann geschlossen werden, dass auch das Bildungssystem in der BRD einen erheblichen Einfluss auf die Transienz oder Persistenz der Sozialstruktur ausübt.
Veränderungen der Sozialstruktur werden durch Mobilitätsprozesse in der Gesellschaft hervorgerufen. Soziale Mobilität bezeichnet den Wechsel zwischen sozialen Positionen, wie z. B. Berufsgruppen oder Schichten und vereint eine Vielzahl von einzelnen und unterschiedlichen Mobilitätsprozessen, die meist in einem recht engen Zusammenhang miteinander stehen. Es kann unterschieden werden in Generationen- und Karrieremobilität, horizontale und vertikale, individuelle und kollektive Mobilität, die auch als Struktur- und Zirkulationsmobilität bezeichnet werden.
Generationenmobilität oder auch intergenerationale Mobilität beschreibt einen Schicht-wechsel in der Generationenfolge von der Eltern- auf die Kindergeneration. Karrieremobilität - intragenerationale Mobilität - hingegen meint einen Positionswechsel im individuellen Lebensverlauf. Diese Arten von Mobilität werden für die vorliegende Arbeit von zentraler Bedeutung sein, da beide einen Beitrag zur Veränderung der Sozialstruktur leisten.[...]
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Einleitung
1 Theoretische Erklärungsansätze
1.1 Bourdieus Konzept der Reproduktion von sozialen Ungleichheiten durch Bildung
1.2 Essers Modell der Bildungswahl
2 Empirische Befunde
2.1 Grundschulempfehlung
2.2 Bildungsbeteiligung
2.3 Hochschulbesuch
Fazit
Literaturverzeichnis
Erklärung
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Primäre und sekundäre Effekte der sozialen Herkunft
Abbildung 2: SchülerInnen nach Schulform und Geschlecht
Abbildung 3: Studienanfänger nach sozialer Herkunft
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Soziale Herkunft und Grundschulempfehlung
Tabelle 2: Bildungsbeteiligung 17-jähriger Jugendlicher nach sozialer Herkunft
Einleitung
In modernen Gesellschaften spielt Bildung eine zentrale Rolle für die Mobilitätschancen jedes Einzelnen, da die berufliche und dadurch bedingt auch die gesellschaftliche Positionierung in engem Zusammenhang mit Bildungszertifikaten stehen.[1] Daraus kann geschlossen werden, dass auch das Bildungssystem in der BRD einen erheblichen Einfluss auf die Transienz oder Persistenz der Sozialstruktur ausübt.
Veränderungen der Sozialstruktur werden durch Mobilitätsprozesse in der Gesellschaft hervorgerufen. Soziale Mobilität bezeichnet den Wechsel zwischen sozialen Positionen, wie z. B. Berufsgruppen oder Schichten und vereint eine Vielzahl von einzelnen und unterschiedlichen Mobilitätsprozessen, die meist in einem recht engen Zusammenhang miteinander stehen.[2] Es kann unterschieden werden in Generationen- und Karrieremobilität, horizontale und vertikale, individuelle und kollektive Mobilität, die auch als Struktur- und Zirkulationsmobilität bezeichnet werden.[3]
Generationenmobilität oder auch intergenerationale Mobilität beschreibt einen Schichtwechsel in der Generationenfolge von der Eltern- auf die Kindergeneration. Karrieremobilität - intragenerationale Mobilität - hingegen meint einen Positionswechsel im individuellen Lebensverlauf.[4] Diese Arten von Mobilität werden für die vorliegende Arbeit von zentraler Bedeutung sein, da beide einen Beitrag zur Veränderung der Sozialstruktur leisten.
Liegt keine Mobilität vor, so spricht man von Reproduktion. Damit wird die Aufrechterhaltung bzw. Wiederherstellung der bereits vorhandenen Gegebenheiten beschrieben[5], in Anlehnung an das oben genannte Beispiel also der Verbleib der Kindergeneration in der sozialen Schicht der Eltern.
Diese Reproduktion der sozialen Position stellt man besondern häufig bei Familien aus sozial schwächeren Milieus und bildungsferneren Elternpaaren fest, denn Bildung nimmt neben ihrer Positionierungsfunktion auch eine Selektionsfunktion ein. Diese Selektion sollte zwar ausschließlich nach dem Leistungsprinzip erfolgen, wird jedoch noch oft zur sozialen Auslese[6]. Daher sind die Mobilitätschancen der unteren gesellschaftlichen Schichten, insbesondere die vertikal aufwärts gerichteten, als eher mäßig zu bezeichnen.
Es kann also festgestellt werden, dass auch in modernen Gesellschaften
„weiterhin ein enges Ursachengeflecht zwischen sozialer Herkunft und [der] Wahrnehmung [bzw. den Nutzungsmöglichkeiten] von Bildungs- und Ausbildungschancen [besteht]“ [7]
und dass daraus folgend „hinsichtlich der sozialen Positionierung der Kinder (…) erhebliche schichtspezifische Unterschiede bestehen.“[8]
Dies legt die Vermutung nahe, dass die Reproduktion der Sozialstruktur in verschiedenen Aspekten durch das Bildungssystem begünstigt wird.
Die vorliegende Arbeit soll in Anlehnung an das Seminar „Organisationen und die Sozialstruktur moderner Gesellschaften“, den Einfluss der sozialen Herkunft und der elterlichen Bildungsabschlüsse auf den eigenen Bildungserfolg genauer untersuchen. Dies scheint besonders in Anbetracht der aktuellen Diskussion um den Fachkräftemangel in der Bundesrepublik Deutschland eine interessant Fragestellung zu sein, denn sie kann klären in wieweit vorhandene Potentiale aufgrund der Struktur des Bildungssystems oder anderer Einflussgrößen ausgeschöpft werden bzw. werden können und was dem im Wege steht. Da soziale Selektion im deutschen Bildungssystem keine Seltenheit ist, wie die Ausführungen weiter oben belegen, stellt sich außerdem die Frage der Gerechtigkeit bzw. Leistungsgerechtigkeit, die in einer Demokratie äußerste Priorität haben sollte.
Um sich der Fragestellung zu nähern werden im ersten Teil der Arbeit Theorien zur Erklärung von Bildungsungleichheiten bzw. Bildungsreproduktion aufgegriffen und erläutert. Die genauere Betrachtung der Modelle von Bourdieu und Esser soll dabei einen Einblick in die Vielfältigkeit der vorhandenen Theorien geben. Im Anschluss daran werden im zweiten Teil empirische Befunde zur Veranschaulichung und als Beleg der vorangegangenen Theorien angeführt. Die Arbeit schließt mit dem dritten Teil, der ein abschließendes Fazit zieht.
1 Theoretische Erklärungsansätze
Bevor näher auf einzelne Theorien eingegangen wird, sollen vorab kurz grundlegende Annahmen dargestellt werden, die einen Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Bildungsverlauf herstellen.
Den neueren Ansätzen, die sich mit diesem Thema befassen, liegt meist eine Zweiteilung des Ursachenkomplexes zugrunde.[9] Sie unterteilen den Einfluss der sozialen Herkunft auf den Bildungsverlauf in primäre und sekundäre Effekte. Der primäre Effekt beinhaltet schichtspezifische Sozialisationsbedingungen die zu unterschiedlicher Leistungsfähigkeit führen, der sekundäre Effekt hingegen beschreibt den Einfluss der Herkunft auf die Bildungswahl.[10] Diese kann je nach Bildungsaspiration der Eltern bei gleicher Leistung der Kinder sehr unterschiedlich ausfallen. Zur Veranschaulichung dient Abbildung 1, S. 10.
Einige Autoren, wie z. B. Becker, kritisieren an diesen Erklärungsversuchen allerdings, dass „die Emergenz der primären und sekundären Herkunftseffekte trotz forcierter Forschung in den letzten Jahren nicht gänzlich geklärt ist“[11] und führt weiter aus, dass sie eher als Brückenannahmen dienen, ohne dass ihre Existenz und Funktionsweise empirisch exakt erfasst wurde. So kann an dieser Stelle nicht abschließend geklärt werden, ob und inwieweit sie Einfluss auf Bildungsentscheidungen nehmen.
Abbildung 1: Primäre und sekundäre Effekte der sozialen Herkunft[12]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Im Folgenden sollen nun zwei Ansätze genauer betrachtet werden. Die Theorie von Bourdieu bzw. das Modell von Esser haben sehr unterschiedliche Herangehensweisen und eignen sich daher besonders gut um die Vielfältigkeit der zu diesem Thema existierenden Annahmen darzustellen.
1.1 Bourdieus Konzept der Reproduktion von sozialen Ungleichheiten durch Bildung
„Bourdieu entwickelte die These, dass das Bildungssystem in der Gegenwartsgesellschaft bei der Reproduktion der Sozialstruktur eine wichtige, wenn nicht gar die wichtigste Rolle spielt.“ [13]
Er versucht mit Hilfe des Habitusbegriffs zu erklären, warum trotz formal gleicher Bildungschancen Kinder aus besser gestellten Elternhäusern auch die besseren Schulen besuchen.
Um das Verständnis von Bourdieus Konzept zu erleichtern, soll vorab ein Überblick über die zentralen Begriffe seines gesamten Gesellschaftsmodells erfolgen.
Sein Modell des sozialen Raumes unterscheidet drei Klassen[14]
- Die Herrschenden: Intellektuelle und ökonomische Besitzklasse
- Die Mittelklasse: abgestiegenes, exekutives und neues Kleinbürgertum
- Die Volksklasse: Arbeiter, Angelernte und Hilfsarbeiter
und vier Kapitalarten, das ökonomische, das soziale, das kulturelle und das symbolische Kapital.
Den Klassen ordnet er jeweils eine Art von Geschmack[15] - den legitimen, den mittleren und den barbarischen Geschmack - zu.
In jeder dieser Klassen ist eine Vielzahl von Lebensstilen vorzufinden.
Nach Bourdieu nimmt nicht nur das Volumen in dem die einzelnen Kapitalarten vorhanden sind Einfluss auf die Position eines jeden im sozialen Raum, seinen Lebensstil und somit seinen Habitus[16], sondern auch die Kombination der Kapitalarten im Zeitverlauf ist von entscheidender Bedeutung.
Der Ursprung der entstehenden Ungleichheiten liegt zum einen in der unterschiedlichen Ausstattung mit kulturellem Kapital begründet, zum anderen trägt aber auch das Bildungssystem an sich zu diesen Ungleichheiten bei, indem es
„die Laufbahn der Kinder und Jugendlichen begünstigt, die mit einem schon in der Familie erworbenen Kulturkapital in den Wettlauf um Bildungstitel einsteigen. “ [17]
Daraus ergibt sich, dass formale Chancengleichheit, die mit der Öffnung der Bildungseinrichtungen im Zuge der Bildungsexpansion erreicht werden sollte, noch lange nicht zur Aufhebung sozialer Ungleichheiten, bedingt durch die soziale Herkunft, führt.[18]
Bourdieu sieht vor allem in den Unterrichtsmethoden und Beurteilungsverfahren, die Schulen und Universitäten anwenden die Ursachen für den Fortbestand von Bildungsungleichheiten, denn diese Institutionen orientieren sich am Habitus der Herrschenden.[19] Daraus ergibt sich für Kinder aus den unteren Schichten eine gewisse Habitusdiskrepanz[20], die für sie als Hindernis wirkt.
[...]
[1] Vgl. Geißler, Rainer:Die Sozialstruktur Deutschlands.3., überarb. Aufl., Wiesbaden:Westdt. Verl.,2002, S. 333
[2] Vgl. ebd., S. 311
[3] Vgl. Hradil, Stefan:Soziale Ungleichheit in Deutschland.8., überarb. Aufl., Wiesbaden:VS,
Verl. für Sozialwiss.,2001, S. 377- 403
[4] Vgl. ebd.
[5] Vgl. Fuchs-Heinritz, Werner [Hrsg.]: Lexikon zur Soziologie.Opladen:Westdt. Verlag, 1994, Stichwort: Reproduktion, gesellschaftliche, Verfasser: Thien, Hans-Günter
[6] Vgl. Schäfers, Bernhard:Sozialstruktur und sozialer Wandel in Deutschland.Stuttgart:Lucius & Lucius,2004, S. 145
[7] Ebd.; vgl. hierzu auch Fernandes, Joâo: Die Konzeption von subversiven Lehrplänen. In: Sünker, Heinz[Hrsg.]:Bildung, Gesellschaft, soziale Ungleichheit.Frankfurt am Main: Suhrkamp,1994, S. 247
[8] Vaskovics, Laszlo: Familiale Perpetuierung sozialer Ungleichheit in der Moderne. In: Szydlik, Marc[Hrsg.]:Generation und Ungleichheit.Wiesbaden:VS, Verl. für Sozialwiss.,2004, S. 138
[9] In Anlehnung an die bildungssoziologischen Arbeiten von Boudon (1974), Vgl. ebd.
[10] Vgl. Schneider, Thorsten: Hauptschule, Realschule oder Gymnasium? In: Szydlik, Marc [Hrsg.]:
Generation und Ungleichheit.Wiesbaden:VS, Verl. für Sozialwiss.,2004, S. 75
[11] Vgl. Becker, Rolf[Hrsg.]:Bildung als Privileg?Wiesbaden:VS, Verl. für Sozialwiss.,2004, S. 14
[12] Quelle: Becker, Rolf [Hrsg.]:Bildung als Privileg?Wiesbaden:VS, Verl. für Sozialwiss., 2004, S. 13
[13] Rehbein, Boike:Die Soziologie Pierre Bourdieus. Konstanz:UVK-Verl.-Ges.,2006, S. 126
[14] Vgl. Burzan, Nicole:Soziale Ungleichheit.2. Aufl., Wiesbaden:VS, Verl. für Sozialwiss.,2005,
S. 141-142
[15] Geschmack ist die „Neigung und Fähigkeit zur (materiellen und/oder symbolischen) Aneignung von Klassen klassifizierter und klassifizierender Gegenstände und Praktiken“. Er liegt dem Lebensstil zugrunde. Schwingel, Markus:Pierre Bourdieu zur Einführung. 4. Aufl.,Hamburg:Junius, 2003,
S. 114
[16] Habitus: Resultiert aus Geschmack und Lebensstil und wird bezeichnet als Anlage, Haltung, Erscheinungsbild, Gewohnheit, Lebensweise, „Systeme dauerhafter Dispositionen (…) die geeignet sind als strukturierende Strukturen zu wirken“ Schwingel, Markus:Pierre Bourdieu zur Einführung. 4. Aufl., Hamburg:Junius, 2003, S. 60-61
[17] Schwingel, Markus:Pierre Bourdieu zur Einführung. 4. Aufl.,Hamburg:Junius, 2003, S. 118
[18] Vgl. Bourdieu, Pierre:Die Illusion der Chancengleichheit. 1. Aufl.,Stuttgart:Klett,1971, S. 20
[19] Vgl. Schwingel, Markus:Pierre Bourdieu zur Einführung. 4. Aufl.,Hamburg:Junius, 2003, S. 116;
auch Fernandes bestätigt „auf der Ebene der Inhalte sind (…) [die Lehrpläne] mittel- und oberschichtszentriert“. Fernandes, Joâo: Die Konzeption von subversiven Lehrplänen.
In: Sünker, Heinz [Hrsg.]:Bildung, Gesellschaft, soziale Ungleichheit.Frankfurt am Main:Suhrkamp,1994, S. 249
[20] Gemeint ist die Nicht-Übereinstimmung von familialem Habitus und dem geforderten Habitus der
Bildungseinrichtungen, vgl. Fuchs, Marek; Sixt. Michaela: Zur Nachhaltigkeit von
Bildungsaufstiegen. In: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Jg. 59, Heft 1, 2007,
S. 1-29
- Quote paper
- Dipl. Soz-Wiss Janina Tatan (Author), 2009, Der Bildungsabschluss der Eltern und die soziale Herkunft als Determinanten des eigenen Bildungserfolgs, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/134972
-
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X.