[...] Allein im letzten Jahrzehnt wurde das Leben von Ray Charles, The Temptations, Jimmy Hendrix, Johnny Cash, Ian Curtis, Bob Dylan, The Notorious B.I.G., Eminem und Edith Piaf filmisch aufgearbeitet – um nur die bekanntesten Produktionen zu nennen. Wie hat sich dieser Trend entwickelt? Was macht die „Schaulust gegenüber dem unbekannten Bekannten“ aus? Und welchem Genre sind diese Filme zuzuordnen? Die folgende Arbeit widmet sich exemplarisch den Verfilmungen des Lebens und Schaffens von Bob Dylan (I’m not there), Ian Curtis (Control) und The Notorious B.I.G. (Notorious). Bei allen drei Filmen handelt es sich um aktuelle Produktionen, die innerhalb der letzten zwei Jahre erschienen sind. I’m not there und Control im Jahr 2007, Notorious zu Beginn diesen Jahres.
Der Fokus der folgenden Arbeit liegt dabei auf der Verwendung und Funktion von Musik in den Filmen. Gezielt wurden dazu Produktionen ausgesucht, die sich mit Künstlern unterschiedlicher Musikstile beschäftigen. „Joy Division“ kann als eine der Vorreiterbands der englischen Post-Punk-Bewegung in den 80er Jahren gesehen werden. Bob Dylan ist musikalisch kaum einzuordnen. Von Folk über elektrische Gitarrenmusik bis hin zum Gospel bewegt sich das musikalische Repertoire Dylans’. Mit Notorious wurde ein Film ausgewählt, der sich mit dem US-amerikanischen Gangsterrapper The Notorious B.I.G. beschäftigt. Damit ist die musikalische Ausrichtung der im Folgenden behandelten Filme, innerhalb des zeitgenössischen popkulturellen Milieus, breit gefächert.
Inhalt
1. Einleitung
2. Genreeinordnung und Entwicklung
3. Verwendung und Funktion der Musik
3.1 Inhaltliche Übersicht und Einordnung der Filme
3.1.1 Control
3.1.2 I’m not there
3.1.3 Notorious
3.2 Verwendung und Funktion der Musik
3.2.1 Inspired by the music and many lives of Bob Dylan
3.2.3. Closer
3.2.3 Life after Death
4. Fazit
Quellen
1. Einleitung
„Popmusik hat eine unglaubliche Macht und erzählt so viel über die Vergangenheit, über unser Leben und unsere Gefühle und ist darin höchstens noch mit dem Kino vergleichbar. Sowohl Kino als auch Popmusik berühren unser Unterbewusstes und sind zugleich Produkte, die gekauft und konsumiert werden.“[1]
Folgt man dem obigen Zitat von Todd Haynes, Regisseur des Bob Dylan-Films I’m not there, scheint die Symbiose aus Popmusik und Kino offensichtlich. Was läge da näher als das Leben und Schaffen eines Musikers in filmischer Form aufzuarbeiten? Haynes ist bei weitem nicht der Einzige, der gemeinsame Charakteristika in Popmusik und Film sieht. Der Trend, Musikhelden auf die Leinwand zu bannen, ist allgegenwärtig. Die Filmpublizistin Ines Walk spricht von Musikern als
„die neuen Götter. [...] Das Kino klopft diese neuen Helden nach ihren Schicksalsschlägen ab, um sie in Szene zu setzen und besonders Musiker haben es dabei zu wahren Filmhelden geschafft. Wenn sie mehrere weltweite Hits hatten, ist es nur eine Frage der Zeit, wann das Leben verfilmt wird.“[2]
Allein im letzten Jahrzehnt wurde das Leben von Ray Charles, The Temptations, Jimmy Hendrix, Johnny Cash, Ian Curtis, Bob Dylan, The Notorious B.I.G., Eminem und Edith Piaf filmisch aufgearbeitet – um nur die bekanntesten Produktionen zu nennen. Wie hat sich dieser Trend entwickelt? Was macht die „Schaulust gegenüber dem unbekannten Bekannten“[3] aus? Und welchem Genre sind diese Filme zuzuordnen? Die folgende Arbeit widmet sich exemplarisch den Verfilmungen des Lebens und Schaffens von Bob Dylan (I’m not the re), Ian Curtis (Cont rol) und The Notorious B.I.G. (Noto rious). Bei allen drei Filmen handelt es sich um aktuelle Produktionen, die innerhalb der letzten zwei Jahre erschienen sind. I’m not there und Control im Jahr 2007, Notorious zu Beginn diesen Jahres.
Der Fokus der folgenden Arbeit liegt dabei auf der Verwendung und Funktion von Musik in den Filmen. Gezielt wurden dazu Produktionen ausgesucht, die sich mit Künstlern unterschiedlicher Musikstile beschäftigen. „Joy Division“ kann als eine der Vorreiterbands der englischen Post-Punk-Bewegung in den 80er Jahren gesehen werden. Bob Dylan ist musikalisch kaum einzuordnen. Von Folk über elektrische Gitarrenmusik bis hin zum Gospel bewegt sich das musikalische Repertoire Dylans’. Mit Notorious wurde ein Film ausgewählt, der sich mit dem US-amerikanischen Gangsterrapper The Notorious B.I.G. beschäftigt. Damit ist die musikalische Ausrichtung der im Folgenden behandelten Filme, innerhalb des zeitgenössischen popkulturellen Milieus, breit gefächert.
2. Genreeinordnung und Entwicklung
In den drei Filmen wird Musik als künstlerisches und narratives Mittel eingesetzt. Darüber hinaus steht Musik als gesellschaftliches Phänomen, als künstlerischer Prozess und das musikalische Produkt des jeweiligen Künstlers im Vordergrund. Musik ist nicht nur Stilmittel, sondern Inhalt. Durch diesen Fokus stellt sich die Frage, ob es sich bei den behandelten Filmen um Musicals handelt. Dorothee Ott definiert Musicalfilme als „Symbiose der drei Künste Schauspiel, Gesang und Tanz auf der Leinwand“[4]. Dem folgend fällt eine Einordnung in das Genre Musicalfilm schwer. Der tänzerische Aspekt fehlt in allen drei Produktionen gänzlich.
Der Begriff „Biopicture“ oder „Biopic“ bietet sich an, unter dem man einen „Spielfilm [versteht], der das Leben berühmter Persönlichkeiten nacherzählt“[5]. Mit der Verwendung des Begriffs Spielfilm ist bereits festgelegt, dass das Leben oder Lebensabschnitte der betreffenden Person in fiktionalisierter Form erzählt werden. Alle drei Filme zeigen das Leben einer berühmter Persönlichkeiten aus dem Musikbusiness. Bei Notorious als nahezu geschlossene Lebensgeschichte, bei I’m not there als roter Faden, der durch die Darstellung einzelner Lebensabschnitte erzeugt wird und bei Control mittels der letzten Lebensjahre von Curtis. Meistens wird beim Biopic der reale Name der dargestellten Person in der Diegese verwendet, dies ist aber kein Definitionskriterium.[6] I’m not there schafft es, sich der Figur Dylan zu nähern, ohne einmal seinen Namen zu nennen. Beispiele für Biopics, die das Leben einer berühmten Person nacherzählen ohne sich dem realen Namen zu bedienen finden sich bereits in der frühen Filmgeschichte. Orson Welles’ Citizan Kane von 1941 ist eines der bekanntesten Beispiele. Welles bedient sich der Biografie des US-amerikanischen Zeitungsmoguls William Randolph Hearst, ohne dessen Namen im Film zu nennen.[7]
Durch die beschriebene doppelte Funktion und die exponierte Stellung von Musik innerhalb der hier besprochenen Filme erscheint der Begriff des Musicals allerdings nicht gänzlich unpassend. Denn per Definition bildet
„[d]as gesungene Musikstück [...] den dramaturgischen Höhepunkt einer Szene. Die Nummern erwachsen aus dem Geschehen. Sie führen den Dialog fort, vertiefen den Charakter der Figuren und unterbrechen die Handlungsdynamik und Erzähllogik des Films nicht. Diese sogenannte integrierte Form des Musicals bildet seit den Fred-Astaire-und-Ginger-rogers-Filmen den dramaturgischen Standard im Musicalfilm“[8].
Diesen, von Ott benannten dramaturgischen Standard erfüllen die Filme bis ins Detail. Es gibt keine Tanzeinlagen und keine gesungene Sprache, doch die Lieder stellen dramaturgische Höhepunkte dar, verleihen dem Film zusätzlichen Input, sind in die Handlung integriert und vom inhaltlichen sowie künstlerischen Fluss des Films nicht zu lösen. Sie nehmen, auch ohne gesungene Dialoge, einen erheblichen Anteil an der Narration des Films ein. Gerecht werden würde den Filmen eine Einordnung innerhalb des Genres Biopic, das sich Komponenten des Musicals bedient. Die Entwicklung beider Genres, sowohl des Biopics, als auch des Musicalfilms sollte hierbei nicht außer Acht gelassen werden. Die Fülle an Produktionen, die in den letzten Jahren popkulturelle Inhalte verarbeiteten und sich dabei der Form des musikalischen Biopic bedienten, ist immens. Die ersten musikalischen Biopics finden sich bereits in den Anfängen der Filmgeschichte mit Produktionen über klassische Komponisten wie Richard Wagner (1913).[9] In der späteren Filmgeschichte widmete sich insbesondere Ken Russell in den 60er und 70er Jahren der filmischen Umsetzung von Biografien berühmter Musiker. Hier standen jedoch keineswegs popkulturelle Größen im Mittelpunkt, sondern ebenfalls Komponisten klassischer Musik, was weitestgehend bis in die 80er Jahre so blieb und popkulturellen Aspekten wenig Aufmerksamkeit geschenkt wurde.[10] Die vermehrte Produktion von popkulturelle Biopics könnte sich als logische Konsequenz des Genres und aufgrund einer ähnlichen Entwicklung beim Musicalfilm entwickelt haben. Laut Ott bewegten sich Musicalfilme im Laufe der Zeit weg von den klassisch träumerischen, märchenhaften Musicalinszenierungen, hin zu einer vermehrten „Verwendung von populärer Musik und [...] realitätsnäheren Geschichten“[11]. Ott bezeichnet diese Ent-wicklung als „Tendenz des internationalen Kinos zu einer härteren Realitätsdarstellung, [wobei] der veränderte Geschmack des Massenpublikums und die Einflüsse der Popkultur für den Musicalfilm seit den 60er und 70er Jahren vor allem zur Folge [haben], dass die Autoren versuchen, die alte Form des Musicals mit neuen Inhalten zu füllen“[12]. Liegt hierin die Wurzel sich in den letzten Jahren vermehrt der popkulturellen Musikerbiografie zu widmen und damit dem zitierten geänderten Musikgeschmack folge zu leisten? Analog zu der Tendenz realitätsnähere Stoffe zu bearbeiten wurde der „Musicalfilm [...] politisch, religiös und die Happyends blieben aus”[13]. Das Leben vieler Größen der Pop- und Rockgeschichte verknüpft deren künstlerisches Schaffen mit einer gesellschaftlich und politisch polarisierende Position durch unkonventionelle Lebensentwürfe, die selten mit einem Happyend enden, was der geänderten inhaltlichen Ausrichtung von Musicals entsprechen würde.
Bei der inhaltlichen Entwicklung darf der wirtschaftliche Einflussfaktor nicht unberücksichtigt bleiben. In den 80er und 90er Jahren verzeichneten die Box-Office-Listen kaum international erfolgreiche Musicalfilme.[14] Hierin könnte ein weiterer Grund für den Trendwandel liegen, mit Musik-Biopics eine realitätsnähere und zugänglichere Form des Musikfilms für ein Massenpublikum zu schaffen. Der große wirtschaftliche Erfolg von Bollywoodfilmen könnte ebenfalls das Bewusstsein für musikalische Produktionen – gerade in Hollywood – gestärkt haben. Obwohl die meisten Bollywoodfilme in der Tradition des klassischen Musicalfilms mit integrierten Tanzeinlagen und märchenhaften Geschichten stehen und damit eine andere Richtung, als die Biopic-Musicals einschlagen, könnten die Erfolge, die mit Bollywoodfilmen in den letzten Jahren nicht nur im östlichen Raum gefeiert wurden, das Bewusstsein für das Genre Musikfilm gestärkt haben. Das Biopic-Musicals als westliche popkulturelle Antwort auf die Erfolge der Bollywoodfilme.
„In Figurenzeichnung, Setting und Inszenierung zeichnet sich der Musicalfilm meist durch eine Übersteigerung der Realität ins Künstliche aus“[15]. Gerade dieser Aspekt, der sich auf die meisten Bollywoodfilme anwenden lässt, wird bei der Symbiose aus Biopic und Musical abgeschwächt. Eine realitätsnahe Inszenierung steht meistens im Vordergrund. Mit der simplen Formel „Alltagspoesie statt Glamour”, die von Ott auf das Musical Linie 1 des Gryps Theaters angewendet wurde, lassen sich die meisten Biopic-Musicals treffend beschreiben, wobei die Bezeichnung „Alltagspoesie und Glamour“ noch besser passen würde. Denn neben der Darstellung von Alltagssituationen wird gleichzeitig die Darstellung des Mythos und die Transposition von Einzelschicksalen auf einen gesellschaftlichen Subtext verfolgt: Biopics zeigen Persönlichkeiten,
„deren materielles und ideelles Vermächtnis historischen Ruhm oder Notorietät mit sich brachte und anhand dessen sich exemplarisch eine gesellschaftlich relevante Problematik festmachen lässt. [...] [D]ie verfilmte Lebensgeschichte [zielt] auch auf einen aktuellen sozialen Subtext ab, ein Thema, das einen ungelösten historischen Widerspruch beinhaltet und eingelagert ist zwischen der oberflächlich erzählten Geschichte einerseits und einer universal story als mythischem Erzählschema andererseits.“[16]
Laut Biografieforschung gibt es eine Tendenz vor allem in schwierigen Zeiten, bei gesellschaftlichen Krisen und einem Mangel an künstlerischen, politischen und gesellschaftlichen Visionen zum Biopic zu greifen.[17] Mittermayer meint damit, dass durch die filmische Auseinandersetzung mit Kultur und Geschichte ein positiver Effekt auf die gegenwärtige gesellschaftliche Situation erzeugt werden und bei deren Interpretation helfen kann. Auch Blöckner sieht Biografien als Phänomen von Krisenzeiten an, beschreibt sie allerdings in seiner Abhandlung zu literarischen Biografien als individuelle Hilfestellung, denn als kollektive Interpretationshilfe gesellschaftlicher Phänomene:
„Je mehr ein Zeitalter an menschlicher Farbe einbüßt, desto unabweisbarer wird das Verlangen nach der großen, blutvollen Persönlichkeit. Das ist die Chance der Biographie. Der entmächtigte Mensch bedarf, um seiner selbst inne zu werden, des Vorbildes, er braucht Darstellungen von Menschen, die sich noch frei und allseitig gegen alle Widerstände und Hemmnisse entfalten konnten und entfaltet haben – beglaubigte Darstellungen wirklicher Menschen“[18].
In wiefern es sich im letzten Jahrzehnt um ein „menschlich farbloses“ Zeitalter handelt ist zweifelhaft und nicht im Rahmen dieser Arbeit, wenn überhaupt, zu klären. Auch von einem expliziten Krisenzeitalter zu sprechen ist fragwürdig. Gesellschaftliche Missstände waren und sind zu allen Zeiten gegenwärtig. Allerdings war und ist das letzte Jahrzehnt beherrscht von internationalen Konflikten, humanitären Katastrophen und Kriegen, die in ihrer Intensität und Brutalität den Konflikten aus vergangenen Zeiten in nichts nachstehen. Die gesellschaftliche Rezeption dieser Konflikte scheint sich aber in den letzten Jahrzehnten verändert zu haben. Demonstrationen und Friedensbewegungen scheinen im gesellschaftlichen Bewusstsein weniger präsent. Der organisierte Freiheitskampf und öffentliche Aufschrei während des Vietnamkrieges ist beispielsweise in keinem Verhältnis in der heutigen Zeit zu beobachten, wobei die gegenwärtigen Kriege in keiner Weise harmloser geführt werden. Der revolutionäre Geist scheint in vielen gesellschaftlichen Bereichen im komatösen Ruheschlaf. Die Biografien der drei Musiker, die im folgenden Kapitel besprochen werden, sind keineswegs allesamt als Lebensläufe politischer Friedenskämpfer aufzufassen, doch spiegeln sie extraordinäre Lebensläufe wieder, die gesellschaftliche Subtexte beinhalten. Sie erzählen die Geschichte von Menschen, die sich mit ihrer Musik über Konventionen und gesellschaftlich vorgefertigte Lebensläufe hinweggesetzt haben, um in ihrer eigenen persönlichen Revolution ihre Ziele zu erreichen. Insbesondere Dylan kann darüber hinaus als Pionier bezeichnet werden, der seiner Musik eine gezielte politische und politisch aussagekräftige Richtung gab.[19] Seine Lieder wurden zu Hymnen des Protests und des politischen Kampfes. Notorious B.I.G. spiegelt den Subtext der schwarzen Identität, Ian Curtis den der Identitätsfindung und persönlichen Entfaltung. Auf die gesellschaftlichen Subtexte und kollektiven Aggregats-zustände der Filme wird in den folgenden Kapiteln genauer eingegangen. Zunächst wird die Rolle der Musik in den Filmen analysiert.
3. Verwendung und Funktion der Musik
3.1 Inhaltliche Übersicht und Einordnung der Filme
3.1.1 Control
"The extraordinary achievement of Control is that it works simultaneously as a musical biopic and the story of a life."[20]
Control erzählt das kurze Leben von Ian Curtis (1956-1980), dem Sänger der britischen Post-Punk-Band „Joy Division“. Die Emotionen seiner Lieder machten Curtis zur Kultfigur und seine Musik zu Hymnen von Angst und Traurigkeit. Auf dem Höhepunkt seiner Karriere erhängte sich der erst 23-jährige. Er zerbrach am Druck des Ruhms, der Epilepsie und dem Chaos privater Bindungen. Der Regisseur Anton Corbijn erzählt die Lebens- und Leidensgeschichte des Sängers von dessen Jugendtagen in Macclesfield, England bis zu seinem Selbstmord im Mai 1980 - einen Tag bevor „Joy Division“ ihre erste Tour durch die Vereinigten Staaten antreten sollten. Der Film wechselt zwischen der Darstellung von Curtis als musikalisches Phänomen und Privatperson. Geprägt von der Epilepsie, der frühen Ehe mit seiner Frau Deborah (Samantha Morton) und der Geburt seiner Tochter stürzt Curtis in ein Gefühlschaos, als er die belgische Reporterin Annik (Alexandra Maria Lara) kennenlernt und eine Affaire mit ihr beginnt. Chronologisch werden der musikalische Aufstieg, der private Niedergang und der Tod des Sängers erzählt. Der Inhalt basiert auf der literarischen Biografie „Touching From a Distance“ von Deborah Curtis, der Witwe des Sängers.
„In einer Existenz zwischen Ruhm und Einsamkeit, zwischen Genuss und Selbstzerstörung, zwischen Aufstieg und Abgrund werden sie zu ‚exemplarischen Leidenden’“[21],
schreibt Weinsheimer in ihrer Abhandlung zu Biopics. Dem folgend ist Control ein klassisches Biopic. Trotz der kurzen Lebenszeit von 23 Jahren birgt Curtis’ Leben exakt die genannten Begriffe: Ruhm, Einsamkeit, Genuss, Selbstzerstörung, Aufstieg, Abgrund und Leiden. Corbijn zeichnet Curtis als Figur, die als Menschen scheitert, während sie als Künstler triumphiert.
Riley’s Darstellung von Curtis ist der Beweis des theoretischen Ansatzes von Felix, dass es nicht zuletzt „der jeweilige Darsteller [ist], der eine Künstlerfigur zum Leinwandhelden ikonisiert“[22]. Die epileptischen Anfälle, die tiefe Stimme, der eigenwillige Tanzstil und das betont emotionslose Auftreten, das die Auftritte von „Joy Division“ kennzeichnete, werden von Riley bemerkenswert authentisch dargestellt. Für Riley war es die erste Hauptrolle, allerdings spielte er im Film 24 Hou r Party People bereits Mark E. Smith, den Frontman der Band „The Fall“ - ebenfalls eine englische Post-Punk-Band aus England. Corbijn nimmt auf die Rollengeschichte seines Hauptdarstellers Bezug, indem er dem Manager der Band die Worte „It could be worse, you could be the leadsinger of ‚the Fall’“ scherzhaft in den Mund legt, nachdem Curtis in der vorigen Szene einen epileptischen Anfall erlitt.
Visuell besticht der Film durch lakonische Schwarz-Weiß-Bildern, deren Bildästhetik oft an Fotografien erinnert. Dabei ist zu beachten, dass die Sehgewohntheit des Publikums auf den visuellen Standard des Farbfilms konditioniert ist. Schwarz-Weiß-Bilder erwecken den Anschein von Realitätsnähe und Geschichtlichkeit.[23] Sie vermitteln den visuellen Eindruck von Archivmaterial, das wahre Ereignisse aus der Vergangenheit dokumentiert. Dies passt zu der detailgetreuen Darstellung von Curtis’ Leben, bei dem sich strikt an die überlieferten Ereignisse gehalten wurde. Die Entscheidung für die Schwarz-Weiß-Ästhetik begründet Corbijn darüber hinaus damit, dass „Joy Division“ für ihn nur in Schwarz-Weiß existieren.[24] Dies macht in sofern Sinn, als das die Band tatsächlich fast ausschließlich mittels Schwarz-Weiß-Bildern dokumentiert wurde. Farbbilder existieren fast nicht.
Durch die künstlerische Bildgestaltung wird zusätzlich eine ästhetische Entrückung der Ereignisse erzielt. Die damit geschaffene Atmosphäre lässt sich am besten mit „distanzierter Melancholie“ beschreiben. Mit weiten, statischen Einstellungen wird besonders der Raum, in dem die Figuren agieren, in Szene gesetzt. Diese Einstellungen wirken oft wie Fotografien, brechen den Erzählfluss aber nicht. Die Vergangenheit des Regisseurs als Fotograf wird hier deutlich.
[...]
[1] Interview mit Todd Haynes vom 20.02.2008: Die vielen Gesichter des Bob Dylan. Erschienen in der Berliner Morgenpost. Online abrufbar unter: http://www.morgenpost.de/printarchiv/kultur/article165037/Die_vielen_Gesichter_des_Bob_Dylan.html, Zugriff: 02.03.2008. (Im folgenden zitiert als: Haynes 2008.).
[2] Walk, Ines (2008): Falco & alle anderen – Verdammt, sie leben noch. Veröffentlicht am 04.06.2008 bei moviepilot.de. Online abrufbar unter: http://www.moviepilot.de/content/filmspot/articles/falco-alle-anderen-verdammt-sie-leben-noch-100501, Zugriff: 06.03.2009.
[3] Taylor, Henry McKean (2002): Rolle des Lebens: die Filmbiographie als narratives System. Marburg. S.379. (Im Folgenden zitiert als: McKean 2002.).
[4] Ott, Dorothee (2002): Musicalfim/ Revuefilm. In: Koebner, Thomas (Hrsg): Reclams Sachlexikon des Films. Stuttgart. S.398 – 403, S.398. (Im Folgenden zitiert als: Ott 2002.).
[5] Weinsheimer, Stefanie (2002): Biopicture. In: Koebner, Thomas (Hrsg): Reclams Sachlexikon des Films. Stuttgart. S.76 -78, S.76. (Im Folgenden zitiert als: Weinsheimer 2002.).
[6] Vgl. McKean 2002, S. 22.
[7] Vgl. Orson Welles: Citizen Kane, DVD, 114 min., USA: Mercury Productions 2001 (USA 1941).
[8] Ott 2002, S.398.
[9] Vgl. Carl Fröhlich: Richard Wagner, VHS, 80 min., Deutschland: Messter Film (Deutschland 1913).
[10] Vgl. Weinsheimer, S.77.
[11] Ott 2002, S.402.
[12] Ott, S.402f.
[13] Ebd., S.403.
[14] Vgl. Ebd.
[15] Ebd., S.399.
[16] Taylor, Henry McKean (2003): Memento mori, der Anfang im biografischen Spielfilm. In: Zeitschrift für Theorie und Geschichte audiovisueller Kommunikation, 2/ 2003, S. 39-50. S. 39. (Im Folgenden zitiert als: Taylor 2003.).
[17] Vgl. Mittermayer, Manfred et al. (2007): Ikonen Helden Außenseiter, Film und Biographie, Wien. S. 8. (Im Folgenden zitiert als: Mittermayer 2007.).
[18] Blöcker, Günther (1963): Biographie, Kunst oder Wissenschaft? In: Adolf Frisé (Hrsg): Definitionen, Essays zur Literatur. Frankfurt a. M.. S. 58-84. S. 60.
[19] Vgl. Reiche, Jürgen (2006): Mythos Rock, Politik und Rockmusik. In: Forschungsjournal Neue Soziale Bewegung: Popmoderne und Protest, Musik zwischen Subversion und Abneigung. 3/ 2006, S. 13 – 19. S. 13f.
[20] Ebert, Roger (2007): Control. In: Chicago Sun Times, 26.10.2007. Online abrufbar unter: http://rogerebert.suntimes.com/apps/pbcs.dll/article?AID=/20071025/REVIEWS/710250302/1023. Zugriff: 05.04.2009.
[21] Weinsheimer, S. 76.
[22] Felix, Jürgen (2002): Künstlerfilm. In: Koebner, Thomas (Hrsg): Reclams Sachlexikon des Films. Stuttgart. S.330 - 331, S.330.
[23] Vgl. Taylor 2003, S. 42.
[24] Vgl. Anton Corbijn: Control, DVD, 120 min., UK, USA, Australia, Japan: Warner Music u.a. 2008 (UK 2007), Audio-Kommentar. (Im Folgenden zitiert als: Control, DVD.).
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