Diese Bachelorarbeit behandelt die zentrale Frage, inwiefern digitale Einstellungsinterviews als Methode für die Personalauswahl Fehlbesetzungen reduzieren, das Bewerbererlebnis, die sogenannte "Candidate Experience", verbessern und damit die Personalauswahl qualitativ hochwertiger, aussagekräftiger und effizienter machen als das klassische Einstellungsinterview. Welche Möglichkeiten digitaler Bewerbungsgespräche gibt es? Wie können Unternehmen diese Möglichkeiten sinnvoll für sich nutzen? Welche Vor- und welche Nachteile bringen digitale Einstellungsinterviews mit sich?
Diese Fragen sollen anhand einer Umfrage mit über 200 echten Bewerbern beantwortet werden. Eine Zusammenfassung der wichtigsten Informationen und Aussagen sowie das Einbinden der eigenen Forschungsergebnisse aus der Umfrage in den
theoretischen Kontext der Arbeit runden diese ab. Handlungsempfehlungen, die einen Mehrwert für den Leser darstellen,
und ein Ausblick auf die mögliche zukünftige Entwicklung der Thematik schließen die zugrundeliegende Arbeit ab.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Der klassische Personalauswahlprozess
2.1 Definition, Aufgaben & Ziele von „Personalauswahl“ und „klassischer Personalauswahlprozess"
2.2 Einordnung „Personalauswahl“ in den Kontext des „Personalwesens“
2.3 Anforderungsprofil als Grundlage fur die Personalauswahl
2.4 Personalauswahlverfahren
2.5 Abgrenzung „Personalauswahl“ von „Personalbeschaffung“
2.6 Personalauswahl durch Eignungsdiagnostik
2.7 Probleme und Grenzen von Personalauswahlprozessen
3. Das klassische Einstellungsinterview
3.1 Definition, Aufgaben & Ziele von „klassischen Einstellungsinterviews" ..
3.2 Einordnung „Einstellungsinterview“ in den Kontext der„Personalauswahl“
3.3 Phasen & Ablauf des Einstellungsinterviews
3.4 Formen des Einstellungsinterviews
3.5 Fragentypen
3.6 Voraussetzungen fur ein erfolgreiches Einstellungsinterview
3.7 Entscheidungsfindung
3.8 Probleme und Grenzen des klassischen Einstellungsinterviews
4. Das digitale Einstellungsinterview
4.1 Definition „digitale Einstellungsinterviews" & Abgrenzung von „klassischen Einstellungsinterviews"
4.2 Formen & Arten digitaler Einstellungsinterviews
4.3 Kunstliche Intelligenz im Auswahlprozess - Probleme, Grenzen und die Rolle des Menschen in der modernen Personalauswahl
4.4 Videobewerbung vs. videobasierte Personalauswahl
4.5 Relevante theoretische Konzepte - Theorien technologie-mediierter Kommunikation
4.6 Bewerber und Nutzerreaktionen
4.7 Technische Umsetzung digitaler Einstellungsinterviews
4.8 Der (digitale) Weg zum Traumjob - Impression Management
4.9 Beurteilungstendenzen, Beurteilungsfehler & Wahrnehmungsverzerrungen
4.10 Ungeloste Fragen
5. Digitales Recruiting & digitaler Personalauswahlprozess
5.1 Unilever - der vierstufige digitale Recruiting- Prozess als Vorzeigebeispiel
5.2 Online- Assessment -Center, Online-Tests & digitale Auswahltests und Spiele
5.3 Digitale Bewerbermanagementsysteme
5.4 Der Einfluss der Coronakrise auf die Personalauswahl
6. Onlineumfrage & Auswertung
6.1 Ziel der Umfrage
6.2 Aufbau & Ablauf
6.3 Vorbereitung
6.4 Auswertung der Ergebnisse
7. Fazit & Ausblick in die Zukunft
Literaturverzeichnis
Anhang
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1. Einleitung
„Die Personalauswahl gehort zu den wichtigsten Investitionen in die Zukunft eines j'eden Unternehmens. Fehler, die hier unterlaufen, werden spater oft teuer bezahlt." 1
Das Etablieren einer qualitativ hochwertigen Personalauswahl sollte demnach in jedem Unternehmen eines der hochsten Ziele darstellen.
Doch die Realitat sieht oft anders aus. Die Forschung zur Personaldiagnostik beschaftigt sich bereits seit Jahrzehnten mit der Frage, wie eine qualitativ hochwertige Personalauswahl im Unternehmen etabliert werden kann. In keinem anderen Bereich der Personalbranche existiert heutzutage so viel Wissen wie man vorgehen sollte.2 Dennoch werden diese Ressourcen in der Praxis kaum ausgeschopft. Vielen Unternehmern und Personalern ist dieses Wissen nicht einmal bekannt.3
Ein zentraler Bestandteil der Personalauswahl, das Einstellungsinterview, hat sich in seiner Art und Weise der Durchfuhrung durch die Digitalisierung zunehmend verandert. Technologie-basierte Alternativen zum klassischen Face- to-Face-Gesprach haben sich teilweise im Personalauswahlprozess durchgesetzt.4
Der vermeintliche Vorteil liegt auf der Hand. Digitale Einstellungsinterviews konnen zeitlich und ortlich flexibel durchgefuhrt werden. Lediglich eine stabile Internetverbindung wird benotigt. Aufgrund des Entfalls von Reisekosten bietet die digitale Variante auch noch groBes Sparpotential in finanzieller Hinsicht.5
Managementvordenker, Lehrer, Berater und Publizist Peter Ferdinand Drucker (1909 - 2005) sagte einst folgende Worte:,,Keine andere Entscheidung wirkt sich derart langfristig aus und ist derart schwer ruckgangig zu machen wie eine Personalentscheidung. “6
Es stellt sich nun die zentrale Frage, inwiefern digitale Einstellungsinterviews als Methode fur die Personalauswahl, Fehlbesetzungen reduzieren, das Bewerbererlebnis, die sogenannte Candidate Experience7, verbessern und damit die Personalauswahl qualitativ hochwertiger, aussagekraftiger und effizienter machen als das klassische Einstellungsinterview. Oder vergroBert der Trend zum digitalen Einstellungsinterview die Wissenslucken beziehungsweise verstarkt die mangelhafte Anwendung des Wissens in der Personalauswahl nur weiter?
Um diese Frage am Ende dieser Arbeit moglichst umfassend beantworten zu konnen, wird zunachst der klassische Personalauswahlprozess hinsichtlich seiner Definition, seiner Aufgaben und Ziele sowie seiner Probleme und Grenzen naher beleuchtet.
AnschlieBend ruckt das klassische Einstellungsinterview als Bestandteil des ganzheitlichen Personalauswahlprozesses in den Fokus der Arbeit. Ebenso werden auch hierbei unter anderem die Definition, die Aufgaben und Ziele, Probleme und Grenzen geklart.
Das digitale Einstellungsinterview stellt den Hauptbestandteil der Arbeit dar. Durch das nun vorhandene Grundlagenwissen uber den Personalauswahlprozess sowie das klassische Einstellungsinterview, kann dieses nun als Referenzwissen dienen, um auf Basis dessen die beiden Interviewformen miteinander vergleichen zu konnen.
Unter anderem werden die verschiedenen Formen und Arten von digital gefuhrten Einstellungsinterviews erortert, Bewerberreaktionen analysiert sowie die verschiedenen Vor- und Nachteile digitaler Einstellungsinterviews gegenubergestellt.
Fortgefuhrt wird die Arbeit mit Blick auf den gesamten Personalauswahlprozess. Allerdings diesmal auf einen digital ablaufenden Auswahlprozess. Digitales Recruiting wird anhand eines konkreten Beispiels genauer unter die Lupe genommen. AuBerdem wird aus aktuellem Anlass der Einfluss der Coronakrise auf das Recruiting untersucht.
Ein eigener Forschungsbeitrag, um der Beantwortung der Zielfrage noch naher zu kommen, wird anhand einer Onlineumfrage geleistet. Die Umfrage zielt darauf ab, die Candidate Experience zwischen digitalen und klassischen Einstellungsinterviews zu vergleichen. Konkret bedeutet das, dass die Wahrnehmung des Bewerbers uber das durchgefuhrte Einstellungsinterview durch Fragen sichtbar gemacht wird. Die Candidate Experience, also die Art und Weise wie ein Bewerber den Personalauswahlprozess, in diesem Fall speziell das Einstellungsinterview, wahrnimmt, hat Einfluss auf das Unternehmensimage8 und somit auch auf geeignete Bewerber, die zu neuen, erstklassigen Mitarbeitern werden konnten. Somit steht das Ergebnis der Umfrage in Korrelation zur Zielfrage der Arbeit, ob digitale Einstellungsinterviews die Personalauswahl hochwertiger, aussagekraftiger und effizienter machen.
Eine Zusammenfassung der wichtigsten Informationen und Aussagen sowie das Einbinden der eigenen Forschungsergebnisse aus der Umfrage in den theoretischen Kontext der Arbeit, runden diese ab. Handlungsempfehlungen, die einen Mehrwert fur den Leser darstellen und ein Ausblick auf die mogliche zukunftige Entwicklung der Thematik, schlieBen die zugrunde liegende Thesis.
Um Missverstandnissen vorzubeugen, vorab folgender Hinweis: Die in dieser Arbeit verwendeten Ausdrucke und Begriffe beziehen sich sowohl auf das mannliche als auch auf das weibliche Geschlecht, es sei denn, dies wird explizit im Text abweichend definiert.
2. Der klassische Personalauswahlprozess
Im folgenden Abschnitt der Arbeit wird zunachst der klassische Personalauswahlprozess genauer beleuchtet. Getreu dem Motto „Vom Ganzen zum Detail" soil diese Vorgehensweise den Leser zunachst zum Thema allgemein hinfuhren und die Thematik richtig in den Kontext einordnen. Es werden Begrifflichkeiten definiert, Grundlagen und Verfahren der Personalauswahl erklart sowie Probleme und Grenzen von Prozessen aufgezeigt.
2.1 Definition, Aufgaben & Ziele von „Personalauswahl" und „klassischer
Personalauswahlprozess"
„Unter Personalauswahl versteht man die Entscheidung daruber, wie bzw. mit wem man eine freie Stelle im Unternehmen besetzt. Unabhangig davon ist, ob die Stelle schon frei ist, sie erst in Kurze frei wird oder ob die Position gar neu geschaffen wird. Der Zeitpunkt ist also flexibel.“9
Ziel und Aufgabe der Personalauswahl ist es, die Frage zu beantworten, ob die notwendigen Kenntnisse und Fahigkeiten fur eine bestimmte Arbeitsstelle im Unternehmen, vom Bewerber mitgebracht werden. Es geht grundlegend um einen Soll-/Ist-Abgleich.10 Welche Qualifikationen werden fur die Stelle benotigt und welche davon kann der Bewerber vorweisen?
Ebenso ist die Einschatzung des Potenzials des Bewerbers in Bezug auf die Lern- und Veranderungsfahigkeit ein wichtiger Bestandteil der modernen Personalauswahl.11
Als „klassischer Personalauswahlprozess" wird in dieser Arbeit, der nicht digitale Auswahlprozess bezeichnet. Der Auswahlprozess beinhaltet dabei das komplette Vorgehen von der Suche bis zur Einstellung des neuen Mitarbeiters.
Dieser umfasst zumeist die Stellenanalyse und Erstellung eines Anforderungsprofils, die Formulierung der Stellenanzeige, die Prufung der eingehenden Bewerbungsunterlagen, Vorbereitung von Interviews und Tests, Durchfuhrung von Interviews, Tests und Assessment-Center, Auswertung der Personalauswahlverfahren sowie die finale Personalentscheidung.12
2.2 Einordnung ^Personalauswahl" in den Kontext des „Personalwesens"
Um die Personalauswahl in Bezug zum Personalwesen bringen zu konnen, muss zunachst noch der Begriff „Personalwesen“ definiert werden. Der Duden definiert den Begriff als,,Gesamtheit aller Einrichtungen und MaBnahmen, die das Personal betreffen."13
Personalauswahl bezeichnet laut der Definition inAbschnitt 2.1die Entscheidung uber die Besetzung einer freien Stelle im Unternehmen. Da es in einem Unternehmen neben der Personalauswahl noch andere MaBnahmen und Einrichtungen gibt, die das Personal betreffen, ordnet sich die Personalauswahl in den Themenbereich des Personalwesens ein. Die Personalauswahl ist damit ein Teilbereich des Personalwesens, welche eine bestimmte, definierte Aufgabe erfullen sollte: Die Besetzung von freien Stellen im Unternehmen.
2.3 Anforderungsprofil als Grundlage fur die Personalauswahl
Das Anforderungsprofil bildet das Fundament fur eine erfolgreiche Personalauswahl. Bevor mit der Personalsuche und Personalauswahl begonnen werden kann, muss das Ziel klar definiert werden. Es muss also genau geklart werden, wer gesucht wird. Welche Qualifikationen werden fur eine bestimmte Stelle benotigt? Dabei sollten nicht nur fachliche, sondern auch zwischenmenschliche Qualifikationen berucksichtigt werden. Der MaBstab, an dem die Bewerber gemessen werden, wird vom Anforderungsprofil festgelegt.
Somit entscheidet die Qualitat des Anforderungsprofils maBgeblich uber den Erfolg der Personalauswahlentscheidung.14
Das Problem ist allerdings, dass der GroBteil dieser Anforderungsprofile zur Personalauswahl vollkommen untauglich ist. Die meisten dieser Profile sind viel zu allgemein gehalten. Infolgedessen bewerben sich sehr viele Kandidaten, von denen dann auch viele Absagen bekommen, welche diese nicht nachvollziehen konnen. Neben dem daraus entstehenden Imageschaden fur das Unternehmen, werden auch die Personalauswahlentscheidungen ohne genau definiertes Anforderungsprofil intuitiv getroffen15, nicht selten auf der Basis von Sympathie und Antipathie.16
Von einer unternehmerischen Entscheidung kann in diesem Fall nicht die Rede sein. Ohne klare und konkret formulierte Anforderungen fur eine Stelle, verfehlt letztendlich jedes Auswahlinstrument sein Ziel. Bei einem aussagekraftigen Anforderungsprofil spielt auch die Gewichtung der Kriterien eine entscheidende Rolle. Dabei gilt es zu verhindern, dass der Bewerber durch das Erfullen von mehreren weniger wichtigen Kriterien, das nicht Erfullen von relevanten Kriterien ausgleichen kann.17
Die Analyse der Anforderungen kann top-down oder bottom-up erfolgen. Topdown bedeutet, dass aus Unternehmenszielen und -strategien, die Anforderungen der jeweiligen Stelle entwickelt werden. Beim bottom-up- Vorgehen werden aus den Aufgaben einer Tatigkeit, die Anforderungen abgeleitet.18
Sinnvoll kann es auch sein, bestimmte Eigenschaften und Fahigkeiten festzulegen, welche die Kandidaten im Einzelfall nicht aufweisen sollen. Sogenannte Tabu- oder Negativprofile.19 Dafur konnen Vorgesetzte befragt werden, die sich von Mitarbeitern durch Kundigung getrennt haben. Vielleicht gabes auch schon bei der Auswahl dieser Mitarbeiter Anzeichen fur den Misserfolg, die damals ubersehen wurden.20
2.4 Personalauswahlverfahren
Um den passenden Bewerber fur eine Stelle zu finden, gibt es im Personalwesen verschiedene Personalauswahlverfahren. Auf die einzelnen Verfahren detailliert einzugehen, wurde den Rahmen dieser Arbeit sprengen und das eigentliche Thema verfehlen. Daher werden im folgenden Abschnitt nur oberflachlich einige mogliche Auswahlverfahren von vielen Moglichkeiten thematisiert.
Bewerbungsunterlagen dienen standardmaBig als erster Beruhrungspunkt mit dem Bewerber laut Lorenz und Rohrschneider. Vorstellungsgesprache bzw. Einstellungsinterviews haben sich ebenso etabliert und sind bei so gut wie allen Unternehmen fester Bestandteil des Personalauswahlprozesses. Weitere, haufig genutzte Verfahren zur Personalauswahl sind Leistungs- bzw. Eignungstests. Eine beliebte Methode, um Berufsanfanger und Auszubildende auszuwahlen. Auch Personlichkeitstests werden genutzt, um relevante Aspekte der Personlichkeit des Bewerbers zu erfassen, welche im Vorstellungsgesprach oder Assessment-Center nicht sicher erfasst wurden. Das Assessment-Center ist ein Werkzeug der Personalauswahl, wobei typische berufliche Anforderungen und Situationen simuliert und die Reaktion sowie das Verhalten der Kandidaten darauf, beobachtet werden. Die beobachteten Verhaltensweisen werden anschlieBend mit dem Anforderungsprofil abgeglichen. Beispielweise konnte ein Bewerber fur eine Fuhrungsposition, ein Fuhrungsgesprach mit einem Mitarbeiter simulieren. Deutlich seltener dagegen werden vom Bewerber Referenzen eingeholt, weil diese mit viel Aufwand verbunden und vom Referenzgeber abhangig sind. Referenzen konnen allerdings hochst informativ sein.21
Auch Probearbeiten, falls der Kandidat moglichst schnell mit der Tatigkeit starten soll und nicht viel Einarbeitungszeit vorgesehen ist, zahlen zu den Personalauswahlverfahren. Des Weiteren finden auch Rollenspiele, Gruppendiskussionen, Prasentationen oder Intelligenztests ihre Anwendung bei der Suche nach der passenden Stellenbesetzung.22
2.5 Abgrenzung ^Personalauswahl" von „Personalbeschaffung"
Personalbeschaffung ist im Gegensatz zur Personalauswahl ein Prozess, der das Ziel verfolgt, alle erforderlichen Mitarbeiter fur ein Unternehmen bereitzustellen. Dieser ist komplexer als der reine Personalauswahlprozess. Personalauswahl kann als Teilbereich der Personalbeschaffung gesehen werden.23
Dr. Cyrus Achouri ist Lehrbeauftragter fur Personal- und Organisationsentwicklung sowie Leiter des Bereichs Recruitment & Placement bei Siemens.24 Er teilt den Personalbeschaffungsprozess in 4 Bereiche ein. Personalmarketing, Personalauswahl, Personalintegration und Personalbindung. Personalauswahl ist dementsprechend als lediglich einer von 4 Bereichen der Personalbeschaffung definiert.25
Trotz der unterschiedlichen Definitionen der Begrifflichkeiten, hangen diese zusammen und durfen nicht vollstandig voneinander abgegrenzt werden. Beispielsweise muss fur eine erfolgreiche Stellenbesetzung das Anforderungsprofil mit den Bereichen Personalmarketing und Personalauswahl einheitlich abgestimmt werden.26
Ansonsten bewerben sich aufgrund uneinheitlicher Anforderungskriterien Kandidaten, welche im Bereich Personalauswahl eine Absage erhalten, weil sie nicht in das Anforderungsprofil dieses Bereichs der Personalbeschaffung passen, da dieses vom Anforderungsprofil des Personalmarketings womoglich abweicht.
Da die 4 Bereiche in der oben genannten Reihenfolge sinnvoll und logisch aufeinander aufbauen, wurde es hochstwahrscheinlich zu Problemen bei der richtigen Stellenbesetzung fuhren, wenn diese Bereiche nicht in gegenseitiger Absprache zusammenarbeiten wurden.
2.6 Personalauswahl durch Eignungsdiagnostik
„Eignungsdiagnostik bezeichnet den Einsatz von Verfahren, um Kompetenzen, Fahigkeiten, Verhalten und Werthaltungen einer Person im beruflichen Kontext zu erfassen."27
Dadurch konnten gute Personalentscheidungen getroffen, und Fehlbesetzungen verhindert werden.
Diese Verfahren mussen die Gutekriterien der Objektivitat, Reliabilitat und Validitat erfullen. Objektiv sind die Ergebnisse eines Messverfahrens, wenn diese unabhangig von der messenden Person sind. Reliabilitat bezeichnet die Genauigkeit des Messverfahrens. Von einem validen Messverfahren kann gesprochen werden, wenn es auch das misst, was es zu messen vorgibt.28
Im Kontext der fortschreitenden Digitalisierung wird oft von dem Begriff „People Analytics" gesprochen. Darunter wird das systematische Auswerten und Nutzen von Human Resources-Daten verstanden. Hierbei kann es sich um bereits vorhandenen Daten wie etwa Bewerbungsunterlagen handeln, welche hinsichtlich der Sprachstruktur oder Wortwahl analysiert werden. Aber auch die Erfassung neuer Daten, wie etwa Maus- oder Blickbewegungen wahrend eines Online-Assessments, ermoglicht umfangreiche Analysen. Die Digitalisierung stellt riesige Datenmengen bereit. Es ist wunschenswert, dass qualitativ hochwertige Daten gemaB den Bestimmungen zum Datenschutz, zum Nutzen der Mitarbeiter und auch zum Nutzen des Unternehmens ausgewertet werden. So die Autoren Dennis Beermann und Martin Kersting.29
Datenquellen, die bisher ohne jegliche Struktur und subjektiv-intuitiv erfasst wurden, erschlieBen sich uber den Big-Data-Ansatz. Dazu zahlen beispielsweise die Korpersprache, Stimme oder Mimik. Aktuell fehlen jedoch noch klare Zusammenhange zu stabilen Personlichkeitsmerkmalen und Joberfolg. Diese zwei Aspekte sind fur die Eignungsdiagnostik deutlich interessanter als spontane emotionale Ausdrucke.30
2.7 Probleme und Grenzen von Personalauswahlprozessen
Die Personalauswahl wird auch von Personal, von Menschen getroffen. Das bringt jedoch zwangslaufig Fehler mit sich, die es so gut wie moglich zu vermeiden gilt.
Im Folgenden werden kurz und knapp 3 haufige Fehlerquellen im Personalauswahlprozess beschrieben, bei denen letztendlich der Mensch die Ursache ist.
Laut Lapenat und KreyBig neigen Menschen dazu, Mitarbeiter zu suchen und einzustellen, die ahnlich hoch qualifiziert sind wie sie selbst. Die Gefahr ist jedoch das Entstehen einer Monokultur mit Mangel an Diversifikation und Kreativitat. Stattdessen sollten Personaler bei der Stellensuche auf Bewerber setzen, die sich mit der Unternehmenskultur identifizieren konnen und auf die ausgeschriebene Stelle passen. [Hier lasst sich wieder erkennen, wie wichtig ein konkretes Anforderungsprofil ist, um die gesuchte Stelle auch exakt definieren zu konnen.] Ein weiteres Problem im Auswahlprozess stellen unerfahrene Personaler dar, die es mit erfahrenen Bewerbern zu tun haben. Das kann dazu fuhren, dass Personaler wichtige Schlusselkriterien der Bewerber nicht erkennen und geeigneten Kandidaten absagen. Der Personaler sollte den Wert des Bewerbers erkennen konnen um eine solche wichtige Entscheidung, eine Auswahlentscheidung treffen zu konnen. Die Personalabteilung ist ein bedeutender Bestandteil eines langfristig erfolgreichen Unternehmens. Deshalb sollten Personaler immer unternehmerisch denken und das GroBe und Ganze im Blick haben. Eine enge Zusammenarbeit mit dem Management, um die Bedurfnisse der Organisation zu erkennen, sollte keinesfalls vernachlassigt werden.31
3. Das klassische Einstellungsinterview
Auf den folgenden Seiten wird nun das Einstellungsinterview als Teil des Personalauswahlprozesses genauer beleuchtet. Hierbei geht es zunachst um das ,,klassische Einstellungsinterview". Es werden wieder Begrifflichkeiten definiert, Grundlagen und Formen des Einstellungsinterviews erklart sowie Probleme und Grenzen aufgezeigt.
3.1 Definition, Aufgaben & Ziele von „klassischen Einstellungsinterviews"
„Das Einstellungsinterview ist die wichtigste Methode zur Auswahl von Mitarbeitern. Es vermittelt dem Auswahlenden ein Bild von der Person und der Qualifikation des Bewerbers, es informiert den Bewerber uber Tatigkeit und Unternehmen, es bringt - im positiven Fall - beide als Arbeitspartner zusammen, und es ist die Basis ihrer unmittelbaren Vereinbarungen wie ihrer spateren Zusammenarbeit."32
Ein Einstellungsinterview ist ein personliches Gesprach zwischen einem Bewerber auf eine Arbeitsstelle und mindestens einem Reprasentanten eines Unternehmens, einer Organisation. Das Gesprach verfolgt das Ziel, zuvor definierte berufliche Kriterien zu prognostizieren. Beide Parteien bemuhen sich um ein zukunftiges Arbeitsverhaltnis und entscheiden letztendlich daruber.33
Als klassisches Einstellungsinterview wird in dieser Arbeit das nicht digitale Einstellungsinterview bezeichnet. Sollten im weiteren Verlauf der Arbeit die Begriffe „klassisches Face-to-Face Interview" Oder „Face-to-Face Interview" genannt werden, sind damit ebenfalls nicht digitale, klassische Einstellungsinterviews gemeint. Dabei befinden sich die Gesprachspartner im selben Raum und kommunizieren von Angesicht zu Angesicht miteinander.
3.2 Einordnung „Einstellungsinterview" in den Kontext der ^Personalauswahl"
Als eines der wichtigsten Verfahren der Personalauswahl kann das Einstellungsinterview angesehen werden. Dennoch besteht ein ganzheitlicher Personalauswahlprozess aus mehr als nur dem Einstellungsinterview, welches tendenziell eher zu einem spateren Zeitpunkt des Auswahlprozesses eingesetzt wird. Hohere Kosten verglichen mit anderen Auswahlverfahren entstehen hierbei durch Anreise der Bewerber, Vorbereitung, Durchfuhrung und Auswertung der Gesprache. [Diese Kosten konnten mit digitalen Interviews deutlich reduziert werden.] Die Bedeutung des Einstellungsinterviews fur die Personalauswahl lasst sich auch an dem zeitlichen Umfang erkennen, welchen dieses in Anspruch nimmt.34
Stephan und Westhoff befragten circa 100 mittelstandische Unternehmen nach deren Gewohnheiten fur die Fuhrungskrafteauswahl. Das Ergebnis hat gezeigt, dass in lediglich 5 Prozent der Falle Interviews kurzer als 30 Minuten dauern. 29 Prozent der Einstellungsinterviews dauern bis zu einer Stunde. Am haufigsten, in 41 Prozent der Falle, bis zu eineinhalb Stunden. Ein Viertel der Interviews dauerte noch langer.35
3.3 Phasen & Ablauf des Einstellungsinterviews
Der Ablauf eines professionellen Einstellungsinterviews kann in mehrere Phasen aufgeteilt werden. Thorsten Krings definiert in seinem Buch „Erfolgsfaktoren effektiver Personalauswahl" folgende Interviewphasen: BegruBungsphase, Informationsphase, biographisches Interview, Fragen des Bewerbers sowie die Schlussphase.
Die BegruBungsphase dient als eine Art Eisbrecherfunktion zwischen Bewerber und Reprasentant der Firma, mit dem Ziel, erste Angste abzubauen und den Bewerber mental im Gesprach ankommen zu lassen.
In der Informationsphase stellen sich die Gesprachspartner vor, tauschen erste Informationen zur Stelle sowie zum Unternehmen aus und klaren das weitere Vorgehen.
Die Phase des biographischen Interviews dient dazu, moglichst viele Informationen uber den Bewerber zu sammeln. AnschlieBend sollte dem Bewerber noch Zeit eingeraumt werden, um aufkommende Fragen stellen zu konnen, welche dann anschlieBend im Gesprach vom Interviewer beantwortet werden.
Wenn der Kandidat nach dem Interview aus Sicht des Interviewers zur ausgeschriebenen Stelle passt, sollte der Kandidat in der letzten Phase zunachst motiviert werden, das Arbeitsangebot anzunehmen. Allerdings wirkt es sich auch nicht gut auf das Firmenimage aus, falsche Erwartungen zu wecken. Die Schlussphase sollte uber die weiteren Schritte aufklaren und realistische Zeithorizonte beinhalten, die dann auch eingehalten werden. Direkte Zusagen sollten nicht gegeben werden, da sonst ein formfreier mundlicher Arbeitsvertrag zustande kommt, welcher bei Nichteinhaltung durch den Arbeitgeber Regressanspruche nach sich ziehen kann.36
3.4 Formen des Einstellungsinterviews
Einstellungsinterviews konnen unterschiedlich aufgebaut sein. In der Fachliteratur lassen sich allerlei unterschiedliche Formen von Einstellungsinterviews finden. Hier wird nun der Versuch unternommen, die bekanntesten und am haufigsten unterschiedenen Formen des Einstellungsinterviews genauer zu untersuchen.
Die Literatur unterscheidet hierbei gerne zwischen den unterschiedlichen Strukturierungsgraden eines Interviews. Grundsatzlich werden nach Thorsten Krings diesbezuglich 3 Formen unterschieden. Das unstrukturierte Interview, das strukturierte Interview und das teilstrukturierte Interview. In der Realitat erfreut sich das unstrukturierte Interview groBer Beliebtheit, da es keiner groBen Vorbereitung aus Sicht des Unternehmens bedarf, wenig direktiv ist und vom Bewerber daher als angenehm empfunden wird. Allerdings besteht dabei die Gefahr, in unwichtige Bereiche abzuschweifen und relevante Themengebiete zu umgehen. Auch konnen verschiedene Kandidaten ohne klare Struktur nicht miteinander verglichen werden. Ein klares Ziel zu erreichen ist hierbei unmoglich. Beim strukturierten Interview hingegen, werden jedem Bewerber dieselben Fragen gestellt. Dies fuhrt zu einer besseren Vergleichbarkeit der Kandidaten. Der Nachteil dabei ist jedoch die empfundene Kunstlichkeit der Situation. Auch diese Form des Einstellungsinterviews birgt die Gefahr, dass relevante Themenbereiche nicht angesprochen werden.
Das teilstrukturierte Interview soll nun die Vorteile des unstrukturierten und des strukturierten Interviews miteinander verbinden. Der Vorteil dieser Interviewform ist nun die mogliche individuelle Anpassung auf die Gesprachssituation, ohne dabei die Struktur zu verlieren. Es existiert zwar eine ubergeordnete Struktur und eine vorher definierte Reihenfolge, aber diese bietet dennoch Platz und Raum um gezielt zusatzliche Fragen zu stellen oder auch unwichtige Themenbereiche auszulassen sowie wichtigen mehr Platz einzuraumen.37
Vertiefungen, Reformulierungen, Erganzungen sowie kleine Exkurse zu nicht vorhergesehenen Sachverhalten lasst das teilstrukturierte Interview zu. Voraussetzung dafur ist, dass dies zweckdienlich erscheint oder zur Entspannung des Gesprachs beitragt. Ebenfalls sind klarende Zwischenfragen der Bewerber moglich, wodurch diese Einfluss auf den Gesprachsverlauf nehmen konnen. Die Akzeptanz des Einstellungsinterviews als Personalauswahlinstrument wird dadurch von den Bewerbern erhalten.38
Zusammenfassend haben nahezu alle Studien zur Vorhersagekraft der Kandidateneignung durch Einstellungsinterviews, bessere Werte fur hochstrukturierte Interviews geliefert verglichen mit frei gefuhrten unstrukturierten Interviews. Interviewer fuhlen sich allerdings nicht wohl dabei, lediglich vorformulierte Fragen zu stellen. Auch die Bewerber schatzen Einstellungsgesprache mehr, welche zumindest zum Teil unstrukturiert gefuhrt werden. Daher scheint ein Kompromiss in den meisten Fallen die beste Losung zu sein.39
Im Bereich der strukturierten Auswahlgesprache, sind derzeit diese 3 Typen am meisten verbreitet: Das situative Interview nach Latham, das biografische Interview und das multimodale Interview nach Schuler. Prof. Dr. Heinz Schuler beschreibt die verschiedenen Interviewtypen wie folgt:
Beim situativen Interview werden kurze Beispielsituationen vorgegeben. Die Bewerber sollen nun erlautern, wie sie in dieser Situation in der Realitat reagieren wurden. Die Antworten werden dann auf der Grundlage von vorgefertigten Schlusselpunkten bewertet.
Das biografische Interview konzentriert sich auf die Erfragung von Fachkenntnissen, Erfahrungen, Fahigkeiten und generell biografischen Fakten. Auch eine Selbsteinschatzung der Bewerber sowie die Schilderung des eigenen Verhaltens in bestimmten Arbeitssituationen sind Teil des biografischen Interviews. Dabei wird am haufigsten das Behavior Description Interview nach Janz eingesetzt.
Ein multimodales Interview nach Schuler enthalt 8 Gesprachskomponenten. Diese bestehen sowohl aus situativen Fragen als auch biografischen Fragen, eine Selbstvorstellung, freien Gesprachsteilen, systematische Anforderungsinformationen und Bereiche fur Fragen des Bewerbers. Die Antworten werden anhand von Verankerungen, nach gewissen Anforderungsinformationen oder auch summarisch bewertet.40
3.5 Fragentypen
,,Es ist wichtig, die ::richtigen" - d.h. die diagnostisch ergiebigen - Fragen zu stellen. Ebenso wichtig ist es aber auch, zu wissen, was man mit den Antworten anfangen soll.“41
Grundsatzlich wird zwischen offenen und geschlossenen Fragen unterschieden. Bei der geschlossenen Frage kann der Bewerber lediglich mit ja oder nein antworten. Offene Fragen leiten einen Kommunikationsprozess ein und ermoglichen auch Ruckfragen sowie Zwischenfragen des Bewerbers.42
Daher sind offene Fragen nach Schuler und Mussel, der Ausgangspunkt vieler Gesprache, um die Unterhaltung zu starten und den Gesprachspartner zum Reden zu bringen. Geschlossene Fragen verfolgen das Ziel, konkrete Informationen zu erhalten und sind daher fur eine gezielte Abfrage geeignet. Einer der groBten Fehler im Einstellungsinterview ist, dem Kandidaten mehr als eine Frage auf einmal zu stellen. Dies kann dazu fuhren, dass die Beantwortung einer Frage, die andere in Vergessenheit geraten lasst. AuBerdem kann der Bewerber bei mehr als einer Frage gleichzeitig, diejenige auswahlen, die fur ihn einfacher zu beantworten ist und somit den anderen Fragen ausweichen.43
Biografische und situative Fragen wurden schon in3.4 Formen des Einstellungsinterviewsthematisiert und werden deshalb hier nicht erneut behandelt.
Ansonsten sind noch Suggestivfragen, Alternativfragen und Auswahlfragen erwahnenswert. Suggestivfragen liefern voraussichtlich keine realistische Information uber den Bewerber, da sie durch ihre Art der Fragestellung dem Kandidaten schon eine Antwort auf die Zunge legen. Alternativfragen engen den Freiheitsspielraum des Bewerbers ein, da dieser nun zwischen zwei Antwortmoglichkeiten wahlen muss. Der Suggestionscharakter einer einseitigen Suggestivfrage wird dadurch vermieden. Auswahlfragen konnen als eine erweiterte Form der offenen Frage angesehen werden. Sie bestehen aus einer offenen Frage inklusive Antwortmoglichkeiten fur den Bewerber. Sie konnen dem Gesprachspartner bei der Uberwindung von AuBerungsschwellen behilflich sein, jedoch auch suggestiv wirken.44
Ab und an hort man auch von der sogenannten Stressfrage als Fragentyp. Hierbei werden die Bewerber zur Prufung ihrer emotionalen Stabilitat durch verunsichernde Fragen und Verhaltensweisen unter Druck gesetzt. Auf diese Fragen sollte ohne triftigen Grund verzichtet werden, da bei deren Anwendung Fairnessaspekte verletzt werden konnen.45
3.6 Voraussetzungen fur ein erfolgreiches Einstellungsinterview
„Die Weichen fur ein gelingendes Einstellungsinterview werden schon zuvor gestellt."46Es kommt also zunachst auf eine gelungene Vorbereitung an.
Von Seiten des Unternehmens sind die Bestimmung der Anforderungen, also die Erstellung eines konkreten Anforderungsprofils, die Fragenauswahl und - Formulierung sowie Klarheit uber die Bewertung der Antworten, die wichtigsten Punkte der Interviewvorbereitung.47
Neben dem Interview selbst sollten allerdings auch die Ablaufe davor und danach organisiert und vorbereitet werden. Termine mussen abgestimmt und eventuell Raumlichkeiten reserviert werden. Welche Mitarbeiter sollen an dem Einstellungsinterview beteiligt werden? Welcher Mitarbeiter ubernimmt welche Rolle im Interview? Sollte fur den Bewerber Informationsmaterial vorbereitet werden? Soll nach dem Gesprach eine Betriebsbesichtigung stattfinden? Wer ubernimmt diese Aufgabe? Ist ein Personalfragebogen sinnvoll? Etc.48
Zu einem Interview gehoren immer mindestens zwei Personen. Daher liegt es nahe, dass fur den Erfolg des Interviews auch beide Parteien verantwortlich sind. Das Unternehmen und auch der Bewerber. Was kann nun der Bewerber zum Erfolg des Einstellungsinterviews beitragen? Wie kann er sich vorbereiten?
Der Bewerber sollte sich in die Stelle und ihre Aufgaben hineindenken und sich so viele Informationen wie moglich uber das Unternehmen, die Branche und den Markt einholen. Dieses im Vorfeld beschaffte Wissen ist ein Indikator fur die Ernsthaftigkeit der Bewerbung. Auch kluge Fragen konnen auf Grundlage dieser Informationsbasis gestellt werden.49
Unmittelbar nach einem realen Campusinterview wurden 101 Studenten und Absolventen einer schottischen Universitat befragt. Die Auswertung der Befragung ergab, dass Kenntnisse zum Unternehmen und zur Stelle, die von den Interviewern am intensivsten und haufigsten behandelten Themenbereiche waren, noch vor eignungsdiagnostischen Fragen. Zugleich waren dies auch die Themen, welche bei diesen weitgehend unerfahrenen Bewerbern die meisten Angste auslosten.50
Zudem sollte sich naturlich auch der Bewerber uber Organisatorisches wie Zeitpunkt des Gesprachs, Anreise, Reisezeit, Parkmoglichkeiten usw. informieren, um zu einem reibungslosen Gesprachsablauf beizutragen.51
Die Gesprachsnachbereitung durch das Unternehmen sowie die Entscheidungsfindung ist ebenso wie die Vorbereitung, Bestandteil eines erfolgreichen Einstellungsinterviews, in dem Sinne, dass eine Entscheidungsfindung auf Grundlage so vieler verlasslicher Informationen wie moglich fur Bewerber und Unternehmen getroffen werden kann. Die Nachbereitung eines freien, unstrukturierten Interviews besteht aus dem Zusammenfugen und Bewerten der Notizen, die im Laufe des Gesprachs angefertigt wurden. Einfacher und ergiebiger gestaltet sich die Nachbereitung eines strukturierten Interviews, da hierbei jede Antwort unmittelbar bewertet werden konnte.52 Es bedarf also keiner groBen Nachbereitung mehr.
3.7 Entscheidungsfindung
Mit der nun vorhandenen Eignungsdiagnose ist allerdings noch keine Entscheidung getroffen.53
„Die zwei grundlegenden Aden der Entscheidungsfindung sind kriterienbezogene und normbezogene Entscheidung. Bei der kriterienbezogenen Entscheidung wird die Leistung an einem zuvor festgelegten MaBstab gemessen, bei der normbezogenen Entscheidung werden die Werte der Personen miteinander verglichen."54
Da allerdings die Moglichkeit besteht, dass auch der beste Bewerber nicht wirklich gut abschneidet, verfolgt man in der Realitat eine gemischte Vorgehensweise, indem man zumindest durch implizite Kriterien festlegt, welche Leistung man im Interview als ausreichend erachtet.55
3.8 Probleme und Grenzen des klassischen Einstellungsinterviews
Um eine Thematik so umfassend wie moglich zu beleuchten, ist es notwendig kritisch zu hinterfragen und auch Nachteile, Probleme und Grenzen zu recherchieren. Das Einstellungsinterview hat sich mittlerweile als fast schon selbstverstandlich im Personalauswahlprozess etabliert. Doch welche Probleme, Grenzen und auch Nachteile gehen damit einher?
Die genannten Punkte aus2.7 Probleme und Grenzen von Personalauswahlprozessentreffen im Grunde auch speziell auf das Einstellungsinterview zu.
Im Einstellungsinterview sind Effekte zu beobachten, welche die Wahrnehmung des Interviewers verzerren und somit zu einer Fehlentscheidung fuhren konnen. Einer der bekanntesten dieser Effekte ist der sogenannte Halo-Effekt.56
„Bei diesem Phanomen „uberstrahlt" eine einzelne (bekannte) Eigenschaft, zum Beispiel die auBerliche Erscheinung, alle anderen (unbekannten) Eigenschaften und farbt das Urteil entsprechend ein. Jene Eigenschaften, die das Gesamtbild verzerren, stehen dabei in keinem objektiven Zusammenhang mit den Kriterien, die eigentlich fur die Entscheidung zu berucksichtigen sind: Attraktivitat, sozialer Status, Ubergewicht oder eine Behinderung haben fur viele Jobs prinzipiell keine Relevanz, werden aber eventuell trotzdem vom Interviewer mit Intelligenz, Fachkompetenz oder Teamfahigkeit in Verbindung gebracht."57
Weitere Wahrnehmungsverzerrungen und Beurteilungsfehler werden in4.9 Beurteilungstendenzen, Beurteilungsfehler & Wahrnehmungsverzerrungenerlautert.
4. Das digitale Einstellungsinterview
Nun ist die Vorarbeit, die Hinfuhrung zum eigentlichen Thema dieser Arbeit abgeschlossen. Die folgenden Inhalte widmen sich der digitalen Form des Einstellungsinterviews. Dem digitalen Einstellungsinterview. Auch hierbei werden zuerst Begrifflichkeiten, Abgrenzungen und Formen des digitalen Einstellungsinterviews definiert. AnschlieBend wird sich der Zielfrage angenommen, inwiefern digitale Einstellungsinterviews als Methode fur die Personalauswahl, Fehlbesetzungen reduzieren, das Bewerbererlebnis, die sogenannte ..Candidate Experience" verbessern und damit die Personalauswahl qualitativ hochwertiger, aussagekraftiger und effizienter machen als das klassische Einstellungsinterview.
Die Candidate Experience wird explizit ab6. Onlineumfrage & Auswertunggenauer untersucht.
4.1 Definition „digitale Einstellungsinterviews" & Abgrenzung von „klassischen Einstellungsinterviews"
Als digitales Einstellungsinterview wird in dieser Arbeit jede Form des Einstellungsinterviews definiert, das nicht der Definition eines klassischen Einstellungsinterviews aus3.1 Definition, Aufgaben & Ziele von „klassischen Einstellungsinterviews"entspricht. Zudem muss das digitale Einstellungsinterview uber ein digitales Kommunikationsmedium durchgefuhrt werden. Ein digitales Kommunikationsmedium ist hier definiert als eine technologiebasierte Vermittlungsapparatur zwischen Sender und Empfanger, also zwischen den Gesprachspartnern des Einstellungsinterviews. Die Vermittlungsapparatur, beispielweise ein Computer oder ein Mobiltelefon, nutzt verschiedene technologiebasierte Kommunikationskanale fur den Informationsaustausch zwischen den Gesprachspartnern. Beispielsweise beim Computer das Internet und beim Mobiltelefon das Mobilfunknetz.
Eine Apparatur ist laut Duden definiert als,,Gesamtanlage von Apparaten Oder Instrumenten, die einem gemeinsamen Zweck dienen"58.Der gemeinsame Zweck ist in diesem Fall die Kommunikation, die Vermittlung zwischen den Gesprachspartnern des Einstellungsinterviews.
4.2 Formen & Arten digitaler Einstellungsinterviews
Wie auch beim klassischen Interview existieren verschiedene Arten und Formen von digitalen Einstellungsinterviews. Der Ablauf, die Phasen und auch die Art, strukturiert oder weniger strukturiert, konnen naturlich auch hierbei identisch mit dem klassischen Einstellungsinterview sein. Allerdings ergeben sich bei der digitalen Alternative noch ganz andere Moglichkeiten ein Einstellungsinterview durchzufuhren. Die digitalen Kommunikationsmedien laut4.1 Definition ,,digitale Einstellungsinterviews" & Abgrenzung von „klassischen Einstellungsinterviews"haben also den Vorteil, ganz neue Vorgehensweisen im Einstellungsinterview zu ermoglichen, welche die Personalauswahl potenziell hochwertiger, aussagekraftiger und effizienter machen als das klassische Einstellungsinterview.
Bei der Informationsrecherche war hierbei vor allem von dem Videointerview die Rede. Unterschieden wird dabei oft zwischen dem synchronen und dem asynchronen Videointerview.
Das synchrone Videointerview oder auch Videokonferenz-Interview genannt, ist in Corona-Zeiten fur Unternehmen wahrscheinlich die naheliegendste Alternative zum klassischen Face-to-Face Einstellungsinterview. Dabei wird mithilfe von Webcam und Mikrofon eine Gesprachssituation erzeugt, bei der sich im Gegensatz zum klassischen Einstellungsinterview, die Gesprachspartner nicht am selben Ort befinden. Ansonsten kommt das synchrone Videointerview dem klassischen Einstellungsinterview sehr nahe.59
Asynchrone Videointerviews finden, wie der Name schon vermuten lasst, asynchron, also zeitversetzt statt. Bewerber nehmen ihre Antworten auf per Bildschirm vorgegebenen Fragen per Webcam und Mikrofon auf und stellen diese dem Unternehmen uber das Internet zur Verfugung. Die Bewertung der Antworten durch die Personalverantwortlichen findet erst zu einem spateren Zeitpunkt statt.60
Daruber hinaus konnen Arbeitssimulationen in diese Form des Videointerviews eingebaut werden. In einer Studie aus dem Jahr 2010 wurden potenziellen Bewerbern Arbeitssituationen per Video vorgespielt. Am Ende richtete sich eine handelnde Person direkt an den Bewerber und forderte ihn auf, seine Antwort zu der gesehenen Situation nun per Webcam und Video aufzuzeichnen.61
Dass Videointerviews immer noch fur viele Bewerber und Unternehmen Neuland sind, lasst sich durch aktuelle Studien erahnen. Diese sind jedoch nicht reprasentativ und daher noch mit Vorsicht zu genieBen. Das Ergebnis fallt eindeutig aus. Lediglich 13% bis 25% der Personen haben bereits Erfahrungen mit technologie-vermittelten Interviews gemacht. Der groBte Anteil der Befragten, maximal 23%, hat bereits Erfahrungen mit Telefon-Interviews gemacht. Mit asynchronen Interviews konnen die wenigsten Erfahrungen vorweisen. Nur 0,6% bis 2% der Befragten hatten damit schon Beruhrungspunkte.62
[...]
1 (Kanning U. , Personalperspektiven - Human Resource Management und Fuhrung im standigen Wandel, 2016, S. 293)
2 Vgl. (Kanning U. , Standards der Personaldiagnostik, 2004); (Schuler H. , Psychologische Personalauswahl, 2014); (Schuler & Kanning, Lehrbuch der Personalpsychologie, 2014)
3 Vgl. (Kanning U. , Personalauswahl zwischen Anspruch und Wirklichkeit - Eine wirtschaftspsychologische Analyse, 2015)
4 Vgl. (Basch, M.Sc. & Melchers, Prof. Dr., Technologie-mediierte Einstellungsinterviews: Ein Uberblick uber Befunde und offene Fragen, 2020, S. 71)
5 Vgl. (Verhoeven & Goldmann, Digitalisierung im Recruiting - Wie sich Recruiting durch kunstliche Intelligenz, Algorithmen und Bots verandert, 2020, S. 15)
6 (Strzygowski, 2014, S. 21)
7 Vgl. (Candidate Experience von A bis Z, kein Datum)
8 Vgl. (Candidate Experience von A bis Z, kein Datum)
9 (Was Sie fur eine effektive Personalauswahl wissen mussen, 2020)
10 Vgl. (Krings, 2017, S. 1)
11 Vgl. (Jordan, Kulpp, & Bruckschen, 2012, S. 14)
12 Vgl. (Mager, kein Datum)
13 (Personalwesen, das, kein Datum)
14 Vgl. (Lorenz & Rohrschneider, 2009, S. 17 ff.)
15 Vgl. (Krings, 2017, S. 3)
16 Vgl. (Kahlke & Schmidt, 2004, S. 102)
17 Vgl. (Krings, 2017, S. 3)
18 Vgl. (Lorenz & Rohrschneider, 2009, S. 20)
19 Vgl. (Blackman, 2002, S. 241 f.)
20 Vgl. (Weuster, 2004, 2008, 2012, S. 46)
21 Vgl. (Lorenz & Rohrschneider, 2009, S. 147 f.)
22 Vgl. (Was Sie fur eine effektive Personalauswahl wissen mussen, 2020)
23 Vgl. (Olfert, 2012, S. 127)
24 Vgl. (Recruitment und Placement - Methoden und Instrumente der Personalauswahl und - platzierung - Uber die AutorInnen, kein Datum)
25 Vgl. (Achouri, 2010, S. 12)
26 Vgl. (Becker & Berthel, 2013, S. 350)
27 (Was Sie uber Eignungsdiagnostik wissen sollten - 10 unwiderlegbare Tatsachen uber psychometrische Verfahren, kein Datum)
28 Vgl. (Weuster, 2004, 2008, 2012, S. 12)
29 Vgl. (Beermann & Kersting, 2018)
30 Vgl. (Obermann, 2018)
31 Vgl. (Lapenat & KreyBig, 2017)
32 (Schuler & Mussel, 2016, S. 1)
33 Vgl. (Mussel, 2007), vgl. (Schuler H. , Das Einstellungsinterview, 2002)
34 Vgl. (Schuler & Mussel, 2016, S. 4 f.)
35 Vgl. (Stephan & Westhoff, 2002)
36 Vgl. (Krings, 2017, S. 68)
37 Vgl. (Krings, 2017, S. 69)
38 Vgl. (Smither, Reilly, Millsap, Pearlman, & Stoffey, 1993, S. 71)
39 Vgl. (Schuler P. D., 2016)
40 Vgl. (Schuler P. D., 2016)
41 (Schuler & Mussel, 2016, S. 62)
42 Vgl. (Krings, 2017, S. 69)
43 Vgl. (Schuler & Mussel, 2016, S. 63 f.)
44 Vgl. (Schuler & Mussel, 2016, S. 64 f.)
45 Vgl. (Weuster, 2004, 2008, 2012, S. 286 f.)
46 (Schuler & Mussel, 2016, S. 81)
47 Vgl. (Schuler & Mussel, 2016, S. 81)
48 Vgl. (Lorenz & Rohrschneider, 2009, S. 125)
49 Vgl. (Weuster, 2004, 2008, 2012, S. 197)
50 Vgl. (Keenan & Wedderburn, Putting the boot on the otherfoot: Candidates’ descriptions of interviewers, 1980, S. 85 f.); (Keenan, Interviewers’ evaluation ofapplicant characteristics: Differences between personnel and non-personnel managers, 1976, S. 225)
51 Vgl. (Weuster, 2004, 2008, 2012, S. 198)
52 Vgl. (Schuler & Mussel, 2016, S. 90 f.)
53 Vgl. (Schuler & Mussel, 2016, S. 91)
54 (Schuler & Mussel, 2016, S. 92)
55 Vgl. (Schuler & Mussel, 2016, S. 92)
56 Vgl. (Ulrike, 2015)
57 (Ulrike, 2015)
58 (Apparatur, die, kein Datum)
59 Vgl. (Basch, M.Sc. & Melchers, Prof. Dr., Alternativen zum personlichen Vorstellungsgesprach - Recruiting in der Krise, 2020)
60 Vgl. (Basch, M.Sc. & Melchers, Prof. Dr., Technologie-mediierte Einstellungsinterviews: Ein Uberblick uber Befunde und offene Fragen, 2020, S. 72)
61 Vgl. (Oostrom, Born, Serlie, & van der Molen, 2010)
62 Vgl. (Langer, Konig, & Papathanasiou, Highly automated job interviews: Acceptance under the influence of stakes, 2019), vgl. (Basch, M.Sc. & Melchers, Prof. Dr., Technologie-mediierte Einstellungsinterviews: Ein Uberblick uber Befunde und offene Fragen, 2020, S. 72 f.)
- Citar trabajo
- Jan Christoph Conzelmann (Autor), 2021, Die Digitalisierung des Bewerbungsprozesses. Potenziale und Herausforderungen von digitalen Einstellungsinterviews, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1341893
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