Ziel der Arbeit ist es, einen Beitrag zu leisten, um die Forschungslücke zu verkleinern, wie die Corona-Pandemie und das damit einhergehende Modell der "Führung auf Distanz" die Führung und entsprechende Kompetenzen beeinflusst. Des Weiteren bieten die Erkenntnisse die Möglichkeit zu bestimmen, welche Kompetenzen gezielt gefördert werden sollten und worauf es in der Umbruchphase ankommt.
Durch den Wandel zur "New Work" und dem "New Leadership" nahmen Modelle wie die "Führung auf Distanz“ zu und erhielten durch den Beginn der Corona-Pandemie Anfang des Jahres 2020 bedeutenden Nutzungszuwachs. Führungsmodelle wie dieses versuchen auf die Veränderungen in der Arbeitswelt zu reagieren. Auf Grundlage der bisher existierenden Erkenntnisse über die notwendigen Kompetenzen für das Führen auf Distanz und die Veränderungen in der Arbeit durch die Corona-Pandemie, kann die Arbeit mit der qualitativen Forschung Schlüsse darüber ziehen, wie sich die Kompetenzanforderungen entwickelt haben.
Führung ist sowohl in der Praxis als auch in der Forschung ein wichtiges und aktuelles Thema, denn Führung ist ausschlaggebend für zufriedene, leistungsstarke und motivierte Mitarbeitende. Eine Führungskraft muss im Wissen der eigenen Stärken, Schwächen, Kompetenzen, Werte und Fähigkeiten agieren, um Mitarbeitende führen zu können. Führung ist geprägt von gesellschaftlichen und organisationalen Veränderungen. Insbesondere das Zeitalter der Digitalisierung und die Verwendung neuer moderner Informations- und Kommunikationstechnologien, welche orts- und zeitenunabhängiges arbeiten von Mitarbeitenden ermöglichen, stellen neue Anforderungen an die Führung. Die Veränderungen lassen sich insgesamt unter der Verallgemeinerung „New Work“ zusammenfassen. Die zeitliche, räumliche und organisatorische Flexibilität ermöglicht schnellere Arbeitsabläufe. Darunter auch die vermehrte Nutzung von Homeoffice und asynchroner Kommunikation über Unternehmens- und Ländergrenzen hinweg.
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
1. Einleitung
1.1 Ziel und Fragestellung
1.2 Vorgehen
I THEORIE UND FORSCHUNGSSTAND
2.Führung auf Distanz in Zeiten der Corona-Pandemie
2.1 „New Work“
2.2 „New Leadership“
2.2.1 Führungsstile
2.2.2 Auswirkungen der Corona-Pandemie
2.2.3 Führung auf Distanz
3. Führungskompetenzen für die Führung auf Distanz
3.1 Kompetenzen
3.2 Führungskompetenzen
3.3 Führungskompetenzen im digitalen Zeitalter
3.4 Kompetenzyentwicklung
3.5 Analyserahmen
II EMPIRIE
4. Methodischer Teil
4.1 Methodologie und methodisches Vorgehen
4.2 Samplestrategien
4.3 Auswertung
5. Ergebnisse
5.1 Kurzfragebogen
5.2 Führungssituation
5.3 Führungsverständnis
5.4 Führung auf Distanz (seit der Corona-Pandemie)
5.5 Geforderte Kompetenzen
5.6 Hilfreiche Kompetenzen
5.7 Zu fördernde Kompetenzen
5.8 Blick in die Zukunft
6. Diskussion
7. Fazit und Ausblick
Literaturverzeichnis
Anhang
Anhang 1: Interviewleitfaden
Angang 2: Interview-Transkripte
Anhang 3: Postskripte
Anhang 4: Kodierleitfaden
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Praxis - „New Work“-Konzepte
Abbildung 2: Zentrale Veränderungen von Führung durch die Digitalisierung
Abbildung 3: Zusammenspiel transaktionaler und transformationaler Führung
Abbildung 4: Berufliche Handlungskompetenz in der beruflichen Bildung
Abbildung 5: Kompetenzatlas
Abbildung 6: Reflexive Führungsfähigkeit nach Dehnbostel
Abbildung 7: Führungskompetenzen als Schnittstelle der Kompetenzfelder
Abbildung 8: Kompetenz-Ranking
Abbildung 9: Grundpositionen des problemzentrierten Interviews
Abbildung 10: Inhaltsanalytisches Ablaufmodell der qualitativen Inhaltsanalyse
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Übersicht über die Interviewteilnehmer*innen
Tabelle 2: Vereinfachtes Kategoriensystem der empirischen Auswertung
Abkürzungsverzeichnis
ITK Informations- und Kommunikationstechnologie
PZI problemzentriertes Interview
Etc. et cetera
z.B. zum Beispiel
bzw. beziehungsweise
bspw. beispielsweise
1. Einleitung
Führung ist sowohl in der Praxis als auch in der Forschung ein wichtiges und aktuelles Thema, denn Führung ist ausschlaggebend für zufriedene, leistungsstarke und motivierte Mitarbeitende. Eine Führungskraft muss im Wissen der eigenen Stärken, Schwächen, Kompetenzen, Werte und Fähigkeiten agieren, um Mitarbeitende führen zu können (vgl. von Rosenstiel 2013, S. V). Führung ist geprägt von gesellschaftlichen und organisationalen Veränderungen. Insbesondere das Zeitalter der Digitalisierung und die Verwendung neuer moderner Informations- und Kommunikationstechnologien, welche orts- und zeitenunabhängiges arbeiten von Mitarbeitenden ermöglichen, stellen neue Anforderungen an die Führung. Die Veränderungen lassen sich insgesamt unter der Verallgemeinerung „New Work“ zusammenfassen (vgl. Kerschreiter 2017, S. 45). Die zeitliche, räumliche und organisatorische Flexibilität ermöglicht schnellere Arbeitsabläufe. Darunter auch die vermehrte Nutzung von Homeoffice und asynchroner Kommunikation über Unternehmens- und Ländergrenzen hinweg.
Aus betriebspädagogischer Perspektive umfasst Führung die Ausgestaltung und Begleitung von Prozessen mit Hilfe von Reflexion, Orientierung und Regelung. Sie ist Teil einer zukunftsorientierten Personalführung und verfolgt langfristig das Ziel, dass die Führungskraft sich selbst zum Teil obsolet macht. Dies lässt sich dadurch begründen, dass Führungskräfte heutzutage keine detaillierte, jederzeitige Kontrolle ausüben können und sie dadurch auf die Kompetenzen und Motivationen der Mitarbeitenden vertrauen müssen und eben diese Mitarbeitenden in der Lage sein müssen eigenständig zu handeln (vgl. Breisig 2020, S. 190). Hierfür ist die Schaffung äußerer Rahmenbedingungen, in denen eine eigenständige Entwicklung von Organisation und Mensch erfolgen kann, notwendig. Diese Perspektive steht hinter den jüngsten Führungstheorien, welche sich vermehrt als mitarbeiterzugewandt charakterisieren lassen, wie beispielsweise bei dem „kooperativen Führungsstil“ (vgl. Breisig 2016, S. 206).
Durch den Wandel zur „New Work“ und dem „New Leadership“ nahmen Modelle wie die „Führung auf Distanz“ zu und erhielten durch den Beginn der Corona-Pandemie Anfang des Jahres 2020 bedeutenden Nutzungszuwachs. Führungsmodelle, wie die „Führung auf Distanz“ versuchen auf die Veränderungen in der Arbeitswelt zu reagieren. In der Literatur wird „Führung auf Distanz“ auch synonym gesetzt mit digitaler Führung, virtueller Führung oder Führung 4.0. Alle Begriffe meinen die Führung ohne durchgängigen persönlichen Kontakt und mit Voraussetzung von technischen Hilfsmitteln (vgl. Kerschreiter 2017, S. 45). Somit kann die digitale Kommunikation und Speicherung von Informationen auch erfolgen, wenn sich die Mitarbeitenden nicht vor Ort befinden. Kernaufgabe der digitalen Führung besteht in der Beeinflussung von Gefühlen, Verhalten, Einstellungen und Leistung durch die optimale Verwendung von modernen Informations- und Kommunikationstechnologien in Führungsprozessen und -strukturen innerhalb aller Organisationsebenen (vgl. Avolio et al. 2001, S. 620). Mobile Arbeitsweisen erfordern seit jeher ein hohes Maß an mentaler Beweglichkeit, Strukturierung, Selbstmanagement und Disziplin (vgl. Kesselring/ Vogl 2010, S. 183).
Die Bundesregierung beschloss im Januar 2021 in einer neuen Arbeitsschutzverordnung Arbeitgeber*innen dazu zu verpflichten, Homeoffice anzubieten, wenn es keine zwingenden betrieblichen Gründe gibt, die dagegensprechen (vgl. BMAS 2022). Die vermehrte Ausübung der digitalen Führung, durch die rechtlichen Anordnungen innerhalb der Corona-Pandemie, stellte Arbeitgeber vor neue Herausforderungen, da viele Unternehmen bis zu Beginn 2020 kaum bis keine Erfahrung damit aufwiesen. Mehrere Studien zeigen auf, dass sich die psychische Verfassung und das Wohlbefinden vieler Menschen durch die Pandemie verschlechtert haben (vgl. Benoy 2020). Führungskräfte müssen nun andere Bedürfnisse ihrer Mitarbeitenden zufriedenstellen und dafür in ihrer Kompetenzentwicklung gefördert werden. Sie benötigen entsprechende soziale, technische und fachliche Kompetenzen, um bei dem Wandel mitzuhalten, den Bedürfnissen ihrer Mitarbeitenden gerecht zu werden und nach neueren Führungsmodellen arbeiten zu können.
In der Führung von Mitarbeitenden ist allgemein deutliches Verbesserungspotenzial zu erkennen. Der „Gallup Engagement Index“ (Nink 2019), eine der bekanntesten Studien in der Personalwirtschaft zeigte 2019 einen Zwiespalt zwischen der Eigen- und Fremdwahrnehmung von Führungskräften auf. 97% der Führungskräfte denken sie sind gut in dem was sie tun, wohingegen jeder fünfte Beschäftige, also ca. 20%, bereits innerlich gekündigt hat. Die Mehrheit mit 69% übt ihren Dienst lediglich nach Vorschrift aus und hat nur eine geringe emotionale Bindung zu ihrem Arbeitgeber (vgl. Nink 2019). Sowohl vor als auch während der Corona-Pandemie wird somit hinsichtlich der Förderung und Entwicklung von Führungskompetenzen in zahlreichen Berichten und Studien dringender Handlungsbedarf gesehen.
Führungskompetenzen umfassen im Allgemeinen ein vielfältiges Repertoire an Verhaltensweisen und Instrumentarien, um innerhalb einer Organisation dynamischen Veränderungen und Herausforderungen gerecht zu werden. Welche Führungskompetenzen geeignet sind entscheidet sich je nach Zusammenhang, in dem die Kompetenzen praktisch angewendet werden. (vgl. Lippman/ Pfister/ Urs 2019, S. VII). Bisher gibt es kaum aussagekräftige Studien darüber, welche Kompetenzen für Führungskräfte in Zeiten der Corona-Pandemie und dem vermehrten Führen auf Distanz erforderlich sind. Ein veröffentlichter Beitrag aus dem Zukunftsinstitut stellt fünf Annahmen über relevante „Kompetenzen“ für die Zukunft auf. Dazu gehört es schwache Signale zu erkennen, Resilienz statt Effizienz, die Verwendung von Realismus bei „New Work“, Charakter und Beziehungsgestalt sowie Talent, Mut und Pioniergeist (vgl. Kühmayer 2020, o. S.). Die Verwendung des Kompetenzbegriffes erfolgt jedoch nicht sinngemäß und lässt nur darauf schließen, dass die sozialen Kompetenzen eine zunehmend wichtigere Rolle spielen.
Kompetenzen verstehen sich laut dem Deutschen Bildungsrat (1970, S. 65) als ein vorläufiges Ergebnis der Kompetenzentwicklung und ermöglichen in gesellschaftlichen, privaten und beruflichen Situationen eigenverantwortliches Handeln. Dehnbostel (2007, S. 24) definiert Kompetenzen als den Erwerb, die Entwicklung und Verwendung von Kenntnissen, Fähigkeiten, Wissen, Einstellungen, Methoden und Werten über die gesamte Lebenszeit eines Menschen. Sie sind subjektbezogen und befähigen den Menschen zu eigenverantwortlichem Handeln. Kompetenzen werden meist eingeteilt in Methodenkompetenz, Sozialkompetenz, Fachkompetenz und personale Kompetenz (vgl. KMK 2021, S. 15). Des Weiteren werden beispielsweise im Kompetenzatlas die Handlungs- und Aktivitätskompetenz als eigenständige Formen genannt (vgl. Erpenbeck & Heyse 2007, S. 158ff.). Es bleibt zu erwähnen, dass es keine einheitliche Definition von Kompetenzen gibt, da der Begriff je nach wissenschaftlicher Verortung und Betrachtungsperspektive unterschiedlich aufgefasst wird (vgl. Ehrlich 2020, S. 21).
Sucht man in der Literatur gezielt nach notwendigen (Führungs-)Kompetenzen für die Post-Corona-Zeit, wird man kaum fündig, was eine spannende Forschungslücke aufzeigt. Vor allem der momentane Wendepunkt der Corona-Pandemie mit wegfallenden Restriktionen und Verhaltensregeln sowie der Rückkehr zu einem Leben ohne Masken und dem Ende der Homeoffice-Pflicht macht den Blick auf Kompetenzen und die Kompetenzentwicklung notwendig. Für Führungskräfte stellt sich die Frage, wie von nun an weitergearbeitet werden soll, welche Kompetenzen gefordert und gefördert wurden und welche davon auch für die Zukunft besonders relevant sind.
Diese Fragen sind auch für die berufliche Kompetenzentwicklung von großer Bedeutung, welche zum Ziel hat, eine umfangreiche berufliche Handlungskompetenz zu entwickeln und diese dauerhaft weiter auszubauen. Die notwendigen übergeordneten Dimensionen für die Entfaltung der Handlungskompetenz sind die Fach-, Sozial- und Personalkompetenz, beziehen aber dennoch andere Kompetenzen mit ein (vgl. Dehnbostel 2007, S. 24ff.). Die reflexive Handlungsfähigkeit liegt dann der Ausübung des tatsächlich wahrnehmbaren Handelns zugrunde und wird durch die berufliche Handlungsfähigkeit des Menschen bestimmt (vgl. Dehnbostel 2004, S. 58). Kompetenzentwicklung, individuelle Dispositionen und Arbeits- und Handlungsbedingungen beeinflussen die Handlungsfähigkeit und zeigen auf, dass Kompetenzen volitionale, kognitive, emotionale und motivationale Elemente umfassen (vgl. Illeris 2009, S. 85). Die gezielte Führungskräfteentwicklung beschäftigt sich mit der Gestaltung und Formung von Lernprozessen, um diese strategisch wichtigen Kernkompetenzen von Führungskräften zu fördern und die berufliche Handlungskompetenz aufrecht zu erhalten (vgl. Eck 2014, S. 38).
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass durch die Digitalisierung neue Formen der mobilen Arbeit an Bedeutung gewinnen, darunter auch das Modell der „Führung auf Distanz“. Neue Kompetenzanforderungen und Arbeitsweisen sind in der Personalentwicklung jedoch noch unzureichend in Form von Kursen abgedeckt, um Führungskräfte und Mitarbeitende durch die Veränderungen entsprechend zu begleiten (vgl. Breisig 2020, S. 192). Die im Jahr 2020 hinzukommende Corona- Pandemie verstärkte bestehende Tendenzen und stellte viele Unternehmen unmittelbar vor die Herausforderung der digitalen Führung, da rechtliche Rahmenbedingungen kaum Wahlmöglichkeiten mehr boten. Die vorliegende Arbeit soll einen Beitrag leisten, um zu untersuchen, welche Kompetenzen seit Beginn der Pandemie von Relevanz waren und mit Blick auf die Zukunft weiterhin von Bedeutung sein werden, auch wenn Unternehmen nur noch freiwillig zur virtuellen Führung angehalten werden, da die SARS-CoV-2-Arbeitsschutzverordnung mit Wirkung des 25. Mai 2022 außer Kraft getreten ist (vgl. BMAS 2022).
Die hier vorliegende Verortung in der Berufs- und Wirtschaftspädagogik ist eine Teildisziplin der Erziehungswissenschaften, welche sich auf pädagogische Probleme beruflicher Bildungs- und Sozialisationsprozesse bezieht. Zu den funktionalen Teilbereichen gehört die Betriebspädagogik, die sich mit der Gestaltung, Beschreibung, Analyse, Erklärung und Kritik der betrieblichen Lernvorgänge beschäftigt. Sie steht in einem Spannungsfeld der erziehungswissenschaftlichen Fragestellungen und der betriebswirtschaftlichen Managementforschung. Die Personalentwicklung, Organisationsentwicklung, Führungskonzepte sowie die betriebliche Aus- und Weiterbildung sind Aufgabenbereiche der Betriebspädagogik, zu denen die vorliegende Arbeit einen Beitrag leisten kann und sich dementsprechend in die Disziplin einordnen lässt. Des Weiteren hat in diesem Rahmen der Zusammenhang von der Anforderungsstruktur des Arbeitshandelns und der Kompetenz- und Persönlichkeitsentwicklung zunehmend an Bedeutung gewonnen, sodass die vorliegende Arbeit für diesen Bereich von Interesse ist (vgl. Schmid/ Klenk 2018; Schelten 2004, o.S.).
1.1 Ziel und Fragestellung
Auf Grundlage der bisher existierenden Erkenntnisse über die notwendigen Kompetenzen für das Führen auf Distanz und die Veränderungen in der Arbeit durch die Corona-Pandemie, kann die Arbeit mit der qualitativen Forschung Schlüsse darüber ziehen, wie sich die Kompetenzanforderungen entwickelt haben. Ziel der Arbeit ist es, einen Beitrag zu leisten, um die Forschungslücke zu verkleinern, wie die Corona-Pandemie und das damit einhergehende Modell der „Führung auf Distanz“ die Führung und entsprechende Kompetenzen beeinflusst. Des Weiteren bieten die Erkenntnisse die Möglichkeit zu bestimmen, welche Kompetenzen gezielt gefördert werden sollten und worauf es in der Umbruchphase ankommt. Die vorliegende Arbeit versucht somit folgende Frage zu beantworten:
„Welche Kompetenzen benötigen Führungskräfte für Führung auf Distanz seit der Corona-Pandemie?“.
Im Kontext der Forschungsfrage stellen sich außerdem folgende Unterfragen, um als Erklärungen herangezogen zu werden:
- Wie sieht die aktuelle Arbeitssituation in der „Führung auf Distanz“ aus?
- Was für ein Führungsverständnis haben Führungskräfte in der heutigen Zeit?
- Wie wird „Führung auf Distanz“ seit der Corona-Pandemie beurteilt?
- Wie sieht die zukünftige Arbeitssituation aus?
1.2 Vorgehen
Nachdem die Einleitung dazu diente, die Aktualität und Relevanz des Themas zu verdeutlichen und die Forschungsfrage herzuleiten, gliedert sich die weitere Arbeit in zwei Hauptteile. Der erste Teil umfasst eine theoretisch fundierte Grundlage, auf welche der zweite empirische Teil aufbaut. Der theoretische Teil basiert auf einer umfangreichen Literatur- und Internetrecherche. Der aktuelle Wissensstand wird aufgezeigt, indem die wesentlichen Konzepte, Theorien und Forschungen systematisch zusammengestellt werden.
Das erste inhaltliche Kapitel (Kapitel 2) der Arbeit befasst sich mit dem Thema „Führung auf Distanz“ in Zeiten der Corona-Pandemie. Hierfür werden Begriffe, wie „New Work“ (2.1) und „New Leadership“ (2.2) definiert sowie die dahinterstehenden Veränderungen in der Arbeitswelt beschrieben, um die Hintergründe und Zusammenhänge des vorliegenden Forschungsinteresses zu ergründen. Kapitel 2.2 umfasst außerdem die Darstellung der transformationalen Führung, welche zu den jüngsten Führungstheorien gehört und auf notwendige Kompetenzen eingeht (2.2.1). Des Weiteren werden die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Führung betrachtet (2.2.2) und die dadurch entstandene „Führung auf Distanz“ erläutert (2.2.3). Die Kapitel bieten ein Verständnis über die Begrifflichkeiten der zu untersuchenden Forschungsfrage.
Das dritte Kapitel befasst sich mit den Führungskompetenzen für die „Führung auf Distanz“. Neben der Erklärung des Kompetenzbegriffes widmet sich das Kapitel explizit den Führungskompetenzen und der Kompetenzentwicklung. Die Begriffe werden im Kontext der Berufs- und Betriebspädagogik sowie der Wirtschaftswissenschaften eingeordnet. Dies ist notwendig, um innerhalb der Vielzahl an Definitionen ein Verständnis über den verwendeten Kontext herzustellen. Zum einen wird das Kompetenzmodell der KMK (2021) dargestellt sowie zum anderen der Kompetenzatlas von Erpenbeck und Heyse (2007), um den Ansatz aus der beruflichen Bildung mit dem der Personal- und Organisationsentwicklung zu vereinen (3.1). Im Kapitel über Führungskompetenzen erfolgt ebenfalls eine Darstellung beider Ansätze (3.2) sowie die Einbindung der IFIDZ-Studie (2019) zu Führungskompetenzen im digitalen Zeitalter, da in der Literatur vermehrt über sich verändernde Kompetenzanforderungen berichtet wird. Da hierfür eine entsprechende Kompetenzentwicklung erfolgen muss, wird diese ebenfalls thematisiert (3.4). Zuletzt wird der Analyserahmen verdeutlicht, auf dessen Grundlage die qualitative Erhebung durchgeführt wird (3.5).
Nach der theoretischen Ausarbeitung und dem aktuellen Forschungsstand erfolgt im vierten Kapitel der zweite Teil der Arbeit, die empirische Auseinandersetzung mit dem Thema. Dieser Teil basiert auf vier problemzentrierten Interviews mit Führungskräften aus verschiedenen Branchen. Neben der genauen Beschreibung und Erläuterung der Methodologie und des methodischen Vorgehens (4.1) wird die Samplestrategie (4.2) beschrieben, um die Auswahl der Interviewpartner*innen und die Entstehungssituation der Interviews darzulegen. Darauf folgt die Erläuterung der Auswertung anhand der qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring (2015; 2016) und ihre systematische Anwendung (4.3). Kapitel fünf befasst sich mit der detaillierten Ergebnisdarstellung anhand der gebildeten Kategorien. Anschließend werden die Ergebnisse mit dem theoretischen Teil zusammengeführt und mit Blick auf die Forschungsfrage diskutiert, sodass sowohl diese als auch die Unterfragen eine Antwort finden. Den Abschluss der Masterarbeit bildet ein Fazit mit Ausblick, welches die gewonnenen Erkenntnisse zusammenfasst und bewertet sowie mögliche Handlungsempfehlungen für die Praxis und weiterführende Forschungsansätze aufzeigt.
I THEORIE UND FORSCHUNGSSTAND
2. Führung auf Distanz in Zeiten der Corona-Pandemie
Die folgenden Unterkapitel sollen einen Überblick geben worauf der Wandel zu „New Work“ und dem „New Leadership“ gründet und wie sich die Arbeitswelt verändert hat, um zu verstehen worauf neue Führungsstile basieren, wie die Corona-Pandemie Einfluss genommen hat und wie sich das Modell der „Führung auf Distanz“ verstärkte.
2.1 „New Work“
„New Work“ ist die „Arbeit, die wir wirklich, wirklich wollen.“ heißt es laut dem Sozialphilosophen Frithjof Bergmann (2004, S. 118), welcher gleichzeitig auch der Begründer der Bewegung ist. Selbstständigkeit, Freiheit und die Teilhabe der Gemeinschaft sind laut ihm die Werte der neuen Arbeit. Unter dem Begriff „New Work“ versteht man also die „Neue Welt der Arbeit“, welche die grundlegenden strukturellen Veränderungen und Innovationen der Arbeitswelt umfasst. Die Weiterentwicklungen in der Arbeitswelt basieren auf Trends wie der Globalisierung und Digitalisierung (vgl. Attmer et al. 2017, S. 2). Außerdem bringen die Generationen Y und Z neue Erwartungen mit sich, welche in einer Arbeit mit Sinn, Anerkennung ihrer individuellen Fähigkeiten und Kompetenzen, Würdigung ihres Unternehmensbeitrags und einer Vereinbarkeit von Familie, Freizeit und Beruf gründen (vgl. von Devivere 2021, S. 189).
Führungskräfte und Mitarbeitende stehen immer wieder vor neuen Herausforderungen. „New Work“ verfolgt das Ziel einer tiefergreifenden Veränderung des Arbeitsverständnisses und dessen Ausgestaltung in der Praxis (vgl. Attmer et al. 2017, S. 3). Durch die Digitalisierung der Arbeitswelt beschleunigen sich Arbeitsprozesse und werden zeitlich, räumlich und organisatorisch flexibel. Die modernen Informations- und Kommunikationstechnologien (ITK) umfassen Videokonferenz-, Chat-, E-Mail-, Wissensmanagement-, Managementinformationsund Customer-Relation-Management-Systeme sowie Kollaborationssoftwares, welche über vernetzte Datenbanken eine asynchrone und synchrone Kommunikation ermöglichen. Die computervermittelte Zusammenarbeit geschieht nun über Länder-, Zeitzonen-, und Unternehmensgrenzen hinweg und stellt Informationen in Echtzeit zur Verfügung (vgl. Antoni/ Syrek 2017, S. 247f.). Insgesamt verändert die digitale Transformation unser Verständnis von Arbeit und bedingt den Wandel von Arbeitsprozessen, Produkten, Organisationsstrukturen, Geschäftsmodellen und Führungskonzepten. Dadurch, dass bereits bestehende Aufgaben und Tätigkeiten wegfallen, sich verändern, neu entstehen oder anspruchsvoller werden, müssen Arbeitende ihre Kompetenzen und vorhandenes Wissen kontinuierlich weiterentwickeln (vgl. Franken/ Wattenberg 2021, S. 1).
Die internationale Manpower-Group Studie stellte 2018 bereits heraus, dass der mit der Digitalisierung einhergehende Wandel in allen Organisations- und Arbeitsprozessen die Job- und Anforderungsprofile verändert (vgl. Manpower Group 2018). Dieser Wandel geschieht mit einer Geschwindigkeit, welche kontinuierliches Lernen auf allen Ebenen des Unternehmens verlangt. Insgesamt brachten die Megatrends, der damit einhergehende Wandel in der Arbeitswelt und die Erwartungen der neuen Generationen einen Paradigmenwechsel der Führungs-, Unternehmens- und Organisationskultur hervor (vgl. von Devivere 2021, S. 189). Die Verteilung von Verantwortung, Selbstführung und Selbstorganisation sowie der Abbau von Hierarchien sind die Themen, welche seit einigen Jahren die Unternehmen beschäftigen (ebd.). Insgesamt lassen sich „New Work“-Konzepte wie folgt auszeichnen (siehe Abbildung 1):
- Agile, hoch flexible Netzwerk-Organisationen, definiert durch Transparenz, Dialog, eine Haltung des gegenseitigen Vertrauens
- Selbstorganisation, maximale Eigenverantwortung und kollegiale Zusammenarbeit
- Eine gegenseitig wertschätzende Arbeitsatmosphäre
- Produkte, Leistungen und Kundenbedürfnisse rücken ins Zentrum der täglichen Arbeitsprozesse
- Kreativität und Innovation, unterstützt durch die neuen Technologien und Software, die Arbeitsformen wie Design Thinking, Prototyping, Scrum und Online-Tools unterstützt
- Neue Formen der Arbeit mit einem höheren Anteil an Freelancem/Selbst- ständigen, Teilzeit-Arbeitsverhältnissen und virtuellen Teams
- Andere Unternehmens- und Führungskulturen entstehen. Dies bedeutet einerseits Verlust von Macht- und Einflussfunktionen und andererseits die Stärkung von Moderatoren, Ermöglichem, Ermutigern. Damit rücken Fähigkeiten der Kommunikation, der Empathie, des Mitgefühls, der Unterstützung anderer in das Zentrum von einer neuen Art von Führung.
- Andere Haltungen in der Selbstorganisation des eigenen Lebens entstehen und werden gelebt: Arbeit und Leben werden nicht mehr als grundsätzliche Konkurrenten verstanden. Auf der Zeitlinie des eigenen Lebens wird Arbeit verortet als eine Möglichkeit der Lebensgestaltung im Einklang mit den anderen individuellen Wünschen und Lebenszielen. Arbeit ist Teil eines bewusst gewählten Lebensentwurfes.
Abbildung 1: Praxis - „New Work“-Konzepte (von Devivere 2021, S. 191).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
2.2 „New Leadership“
Neben der Arbeitskultur erfährt auch die Führungskultur einen umfassenden Wandel. Das Thema Führung ist in Praxis und Forschung ein relevantes Dauerthema. Für die vorliegende Forschungsfrage ist das Thema der Führung von Interesse, da es auch für die Berufs- und Betriebspädagogik einen wichtigen Stellenwert hat. Wie bereits erwähnt umfasst die Betriebspädagogik die Organisationsentwicklung, welche eine gezielte Veränderung der Organisation umfasst (vgl. Geißler/ Naumann 2020, S. 624). Die Veränderung der Organisation bedarf der Personalentwicklung und bezieht sich dementsprechend systematisch auf die Entwicklung und das Lernen des Einzelnen, sodass wie in der Berufs- und Wirtschaftspädagogik eine Entfaltung des Einzelnen angestrebt wird, was somit auch Führungskräfte betrifft (ebd.). Die Entfaltung des Einzelnen und dessen Leistungsoptimierung begründet somit gleichzeitig das Interesse an der Kompetenzerfassung und -entwicklung.
Organisieren sich Menschen in einer Gruppe, um anfallende Aufgaben zu koordinieren und aufzuteilen befindet man sich in einem Führungskontext. Dieser Kontext ist in privaten sowie organisatorischen Bereichen und vor allem in Unternehmen mit einer Vielzahl an Mitarbeitenden vorzufinden (vgl. Bröckermann 2011, S. 1). Den Führungsbegriff zu definieren gelingt kaum, da je nach Disziplin verschiedene Abgrenzungen des Begriffes vorgenommen werden. Außerdem bedingen die wandelnden historischen und kulturellen Einflüsse sowie die aktuellen Trends die Komplexität des Führungsthemas, sodass es wohl nie gelingen wird eine allgemeingültige Definition von Führung zu formulieren (vgl. Steiger/ Lippmann 2013, S. 36). Von Rosenstiel (2000) beispielsweise unterscheidet zwischen Unternehmens- und Mitarbeiterführung und beschreibt letzteres wie folgt:
„die Führung von Menschen durch Menschen - personale Führung, die sich als eine unmittelbare, absichtliche und zielbezogene Einflussnahme von bestimmten Personen - in der Regel Vorgesetzte - auf andere Personen - in der Regel Untergebene - in Organisationen verstehen lässt.“ (S. 1)
Eine weitere Definition bieten Wegge und Rosenstiel (2007), welche Führung als einen
„Sammelbegriff für alle Interaktionsprozesse, in denen eine absichtliche soziale Einflussnahme von Personen auf andere Personen zur Erfüllung gemeinsamer Aufgaben im Kontext einer strukturierten Arbeitssituation zu Grunde liegt“ (S. 476) beschreiben. Alle vorzufindenden Definitionen haben dennoch das gemeinsame Verständnis von der Beeinflussung, die zwischen Führungspersonen und Geführten stattfindet (vgl. Bröckermann 2011, S. 1). Die Bedeutung der Einflussnahme hat sich jedoch im Laufe der Zeit, durch wachsende Herausforderungen in einer komplexen und dynamischen Umwelt und sich ständig verändernden Bedürfnissen der Gesellschaft, verändert und fokussiert sich heutzutage immer mehr auf Mitbestimmung, Flexibilisierung, Partizipation und Individualisierung sowie flachen Hierarchien (vgl. von Au 2016, S. 2). Aus betriebspädagogischer Perspektive verstehen sich Führungskräfte als Promotoren für Organisationslernen (vgl. Geißler/ Naumann 2020, S. 630). Transformierende, visionäre und charismatische Führungskomponenten sowie demokratische Ideale bilden die Grundstruktur der „innovativen Führung“ im 21. Jahrhundert. Gehorsam, Planung, Kontrolle und das Reagieren auf Umweltveränderungen rücken in den Hintergrund, während sich seit den 1980ern die Beziehung zwischen Führungskraft und Mitarbeitenden sowie das Fördern von Engagement, Empowerment und Miteinbeziehen von Mitarbeiter*innen- Know-Hows in den Vordergrund stellt (vgl. Peters 2015, S. 5). Die ständige Weiterentwicklung des Führungsverständnisses in den letzten Jahren brachte eine Vielzahl neuer Führungskonzepte und Führungstrends mit sich. Der Begriff „New Leadership“ wurde erstmals von Alan Bryman im Jahre 1992 aufgegriffen und umfasst Ansätze, welche den emotionalen Aspekt von Führung untersuchen. Dazu zählen die charismatische Führung, die transformative Führung oder Führung auf Basis des Konzepts der emotionalen Intelligenz (vgl. Bryman 1999, S. 32ff.)
Die Aufgaben einer Führungskraft werden in zahlreichen Auflistungen und Zusammenstellungen aufgeführt (vgl. Fandel-Meyer/ Meier 2016, S. 69; Wunderer 2009, S. 12). Die übergeordnete Führungstätigkeit soll den Unternehmenserfolg, welcher auf einer ökonomischen Perspektive basiert, sichern und fördern (vgl. Malik 2014, S. 71). Führungskräfte fungieren als Personalentwickler*innen, Coach und Lernpromotor*innen, indem sie ihre Mitarbeitenden in ihrer Kompetenzentwicklung fördern. Rahmenbedingungen, welche Lernprozesse anstoßen und individuelle Entwicklungsmöglichkeiten ermöglichen sind hierfür Voraussetzung (vgl. Malik 2014, S. 236ff.). Eine weitere Aufgabe von Führungskräften besteht in der Gestaltung sozialer Beziehungen und der aktiven Gestaltung einer vertrauensvollen Atmosphäre, um effektive Teamarbeit gewährleisten zu können (vgl. Fandel-Meyer/ Meier 2016, S. 16). Emotionale Intelligenz, Perspektivenwechsel, soziales Urteilungsvermögen und ein hohes Maß an Empathie sind erforderliche Bedingungen, um erfolgreich agieren zu können (vgl. Nagel/ Menthe 2014, 37ff.). Des Weiteren fungieren sie als Entscheider*innen, was Handlungsfähigkeit, Ergebnisorientierung und Tatkraft voraussetzt (vgl. Fandel-Meyer/ Meier 2016, S.69).
Die sich weiterentwickelnden Führungskonzepte und -theorien basieren vor allem auf den voranschreitenden Wandel in der Welt, wie der Digitalisierung und Globalisierung. Sie beeinflussen Veränderungen in Organisationen und in den Inhalten und Formen der Arbeit und Zusammenarbeit, woraus sich dann neue Anforderungen an Führungskräfte ergeben. Führungskräfte sind maßgeblich an der Umsetzung der Veränderungen im Unternehmen beteiligt (vgl. Schwarzmüller/ Brosi/ Welpe 2017, S. 619). In einer Expertenbefragung von 2016 wurden bereits acht zentrale Veränderungen von Führung durch die Digitalisierung zusammengefasst (siehe Abbildung 2). Die einzelnen genannten Veränderungen lassen sich im weiteren Verlauf der Arbeit wiederfinden.
Die zentralen Veränderungen von Führung im digitalen Zeitalter
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2: Zentrale Veränderungen von Führung durch die Digitalisierung. Basierend auf 44 Expertenmeinungen aus Wirtschaft, Wissenschaft, Verbänden und Politik (Schwarzmüller/ Brosi/ Welpe 2016, S. 17).
Während nun ein grundlegendes Verständnis über Führung, die Aufgaben einer Führungskraft und den Veränderungen durch die Digitalisierung besteht, soll im folgenden Kapitel beispielhaft die transaktionale und transformationale Führung vorgestellt werden, um einen Einblick in einen modernen Führungsstil zu geben. Im Rahmen dieser Arbeit wird von der Ausführung aller Führungstheorien und Führungsstile abgesehen.
2.2.1 Führungsstile
In der Führungsforschung wird innerhalb verschiedener Theorien beziehungsweise Ansätze versucht die bestehenden Führungsstile und das Führungsverhalten zu beschreiben. Im Zuge der technologischen Veränderungen und dem Wertewandel in den 70er und 80er Jahren entstanden viele neue Führungstheorien und -konzepte. Die Unterteilung erfolgte zumeist in Eigenschafts-, Verhaltens-, und Situationstheorien sowie in die neueren Führungsansätze. Im Zusammenhang mit der transformationalen und charismatischen Führung sprach Bryman (1999, S. 32ff.) bereits von einem „New Leadership Approach“. Auch Konzepte wie das der globalen oder virtuellen Führung waren Ergebnis der Suche nach gegenwartsadäquaten Führungstheorien (vgl. Lang/ Rybnikova 2014, S. 16). Neue Ansätze haben im Gegensatz zu klassischen Ansätzen eine breitere Perspektive auf Führung und fokussieren sich mehr auf die Bedeutung und die Interaktion mit Mitarbeitenden (ebd., S. 20).
Um im Führungskontext auf den Wandel der Führungsstile zurückzukommen, soll im Folgenden eine Unterscheidung zwischen der „transaktionalen“ und „transformationalen“ Führung unternommen werden. Als Führungsstil bezeichnet man das Verhaltensmuster einer Führungskraft gegenüber weisungsgebundenen Mitarbeiter*innen (vgl. Wöhe/ Döring 2013, S. 151). Das Führungsverhalten hingegen meint die Art und Weise wie sich eine Führungskraft in verschiedenen Aufgabenbereichen und Situationen gegenüber Mitarbeitenden verhält. Somit geht es bei Führungsstilen um personenbezogene Aspekte. Regeln beziehungsweise Hinweise sollen zeigen, wie das Führungsverhalten am wirksamsten gestaltet werden kann. Führungstheorien wiederum fragen nach dem Zusammenhang zwischen Führungsverhalten, -stil und -ergebnis. Der amerikanische Politikwissenschaftler Burns (1978) stellte die erste Begriffsdefinition der Stile auf, welche anschließend im Wirtschaftsbereich vom Organisationspsychologen Bass (1985) übertragen und weiterentwickelt wurde (vgl. Peters 2015, S. 52).
Bei dem transaktionalen Führungsstil geht es um stabile und rationale Transaktionen zwischen der Führungskraft und den Mitarbeitenden. Die Führungskraft stellt klare Anforderungen und klärt Rollen, welche von den unterstellten Mitarbeitenden zu erfüllen sind. Außerdem bietet sie ökonomische, psychologische oder politische Anreize, für die Erreichung der gesetzten Ziele (vgl. Schreyögg/ Koch 2010, S. 277). Das Konzept der Belohnung und Bestrafung soll eine erwartungsgemäße Anstrengung der Mitarbeitenden gewährleisten.
Der neumodernere transformationale Führungsstil basiert auf einer Transformation von Bewusstsein, Verhalten, Einstellungen und Werten zu einer im Dialog zwischen Führungskraft und Geführten gemeinsamen Zielerreichung (vgl. Streich 2016, S. 133). Transformationale Führungskräfte handeln aus tieferer Überzeugung und sprechen Gemeinschaftsgefühl, tiefere Sehnsüchte und persönliche Werte von Geführten an, um diese zu motivieren, Dinge neu zu sehen und so außergewöhnliche, gemeinsame Leistungen zu vollbringen (vgl. Schreyögg/ Koch 2010, S. 277). Sie benötigen eine individuelle Mitarbeiterorientierung, sodass alle Mitarbeitenden als Individuen gesehen werden, deren Bedürfnisse berücksichtigt und persönliche Entwicklung gezielt ermutigt und gefördert wird. Häufig übernehmen Führungskräfte hier auch die Rolle eines Mentors oder Coachs, um die persönliche Entwicklung der Geführten zu fördern. Außerdem fördern sie die Problemlösungskompetenz ihrer Mitarbeitenden, sodass diese zu kreativem und innovativem Denken und Handeln angeregt werden. Außerdem müssen Führungskräfte durch Optimismus, Enthusiasmus, Vertrauen, Hoffnung und Sinnstiftung in der Lage sein ihre Mitarbeitenden mit Hilfe von begeisternden Visionen zu motivieren (vgl. Peters 2015, S. 56; von Au 2016, S. 1 ff.).
Es bleibt anzumerken, dass die transaktionale Führung das Fundament der transformationalen Führung bildet und nur durch das Zusammenspiel beider Führungsstile Zusatzeffekte generierbar sind, welche sich in erhöhter Motivation, Effizienz, Zufriedenheit und Leistungsbereitschaft der Mitarbeitenden widerspiegeln (siehe Abbildung 3).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3: Zusammenspiel transaktionaler und transformationaler Führung (Peters 2015, S. 59)
2.2.2 Auswirkungen der Corona-Pandemie
Für den Hintergrund der Forschungsfrage ist es wichtig, die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Arbeitswelt aufzuzeigen. Schon seit mehreren Jahren sprechen Wissenschaftler davon, dass wir in einer sogenannten „VUCA“-Welt leben. Laut dem Gabler Wirtschaftslexikon (2019) steht das V für „volatility“ („Volatilität“), das U für „uncertainty“ („Unsicherheit“), das C für „complexity“ („Komplexität“) und das A für „ambiguity“ („Mehrdeutigkeit“). Während das Wirtschaftssystem also bereits ein sehr unsicheres, volatiles und komplexes System ist, verstärkten die Corona-Maßnahmen diesen Zustand massiv. Unvorhersehbare Schwankungen in allen Bereichen führten zu einer enormen Unsicherheit und Unvorhersagbarkeit und sollen unter dem neuen Begriff der „VUCArona-Welt“ beschrieben werden (vgl. Ciesielski/ Schutz 2021, S. 1). Die Pandemie treibt die ökonomische und digitale Transformation voran. Sie ist ein unplanbarer und unfreiwilliger Ausnahmezustand, welcher Mut erzeugt Neues auszuprobieren (vgl. Rump/ Eilers 2022, S. 211). Sie bringt einen Aufschwung für virtuelle und mobile Arbeits-, Organisations- und Lernformen. Offenheit für Veränderungen, Disziplin, Gestaltungswille und Ausführungsbereitschaft, Lern- und Einsatzbereitschaft sowie Entscheidungsfähigkeit und Innovationsfreude sind einige Fähigkeiten und Kompetenzen die laut Ciesielski und Schutz für den Umgang mit volatilen Situationen und Krisen entwickelt werden sollten. Es besteht die Annahme, dass Generation Y und Z sowie alle folgenden Generationen einen Kompetenzvorsprung gegenüber älteren Generationen und somit zumeist gegenüber ihren Vorgesetzten besitzen (vgl. Ciesielski/ Schutz 2021, S. 1).
Der Trend hin zu einer besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf, die Digitalisierung, die Entwicklung zu „New Work“ und damit auch vermehrtes Homeoffice ist bereits seit 1990 zu verzeichnen, enthielt aber durch die Pandemie entscheidenden Rückenwind. Vor der Pandemie war die Verbreitung von Homeoffice nur schleppend und ging mit diversen Vorbehalten seitens Arbeitnehmer*innen und - geber*innen, fehlenden Datenschutzpunkten oder technischen Hürden einher (vgl. Rump/ Eilers 2022, S. 136). Die Anfang des Jahres 2020 beginnende Corona- Pandemie machte für viele Berufsgruppen das Homeoffice innerhalb kürzester Zeit selbstverständlich und die Bundesregierung beschloss im Januar 2021 in einer neuen Arbeitsschutzverordnung Arbeitgeber*innen dazu zu verpflichten, Homeoffice anzubieten, wenn es keine zwingenden betrieblichen Gründe gibt, die dagegensprechen (vgl. BMAS 2022). Das Ausmaß der Homeoffice-Nutzung wird seither in vielen Studien thematisiert. Die meisten Studien sprechen von Nutzungsanteilen zwischen 30 und 40 % (vgl. Stürz et al. 2020; Möhring et al. 2020). Die Nutzung variiert außerdem je nach Sektor, was vor allem durch den Unterschied des Dienstleitungsbereichs mit 57 % der Beschäftigten die zu Hause arbeiten und durchschnittlich 24 % im verarbeitenden Gewerbe und Handel, deutlich wird (vgl. Demmelhuber et al. 2020).
Die Veränderungen, welche durch vermehrtes Homeoffice beschrieben werden, liegen vor allem in der verstärkten Nutzung von virtuellen Kommunikationsformen, mehr technischen Möglichkeiten, technische Ausstattung, mehr Möglichkeiten für die örtliche Flexibilisierung der Arbeit und neue Zeiterfassung (vgl. Rump et al. 2021). Dass die Homeoffice-Nutzung auch nach der Pandemie im gleichen Maße wie in den Lockdownphasen erhalten bleibt ist nicht garantiert, aber grundsätzlich ist ein enormer Schub, der Abbau von Hürden und eine umfangreiche technische Ausstattung zu verzeichnen, welche es ermöglichen würden (vgl. Rump/ Eilers 2022, S. 139). Mit Wirkung des 25. Mai 2022 ist die SARS-CoV-2-Arbeitsschutzverordnung außer Kraft getreten und verpflichtet Arbeitgeber*innen nicht mehr dazu Homeoffice anzubieten. Dennoch sind Arbeitgeber*innen entsprechend den Vorgaben des Arbeitsschutzgesetzes verpflichtet, ihre Gefährdungsbeurteilung stetig an das Infektionsgeschehen anzupassen und daraus abgeleitete Maßnahmen des Arbeitsschutzes zu ergreifen (vgl. BMAS 2022). Das Homeoffice ist für die vorliegende Arbeit insofern interessant, da das vermehrte Homeoffice durch die Corona-Pandemie auch den Anstieg der „Führung auf Distanz“ verursachte.
Doch nicht nur vermehrtes Homeoffice ist eine Konsequenz der Pandemie, welche digitale Führung fordert. Auch die Trennung von Arbeitsplätzen und die Kommunikation über digitale Medien, innerhalb der Organisation, verlangt nach virtueller Führung. Forscher am Leibniz-Institut für Wissensmedien in Tübingen haben untersucht, inwiefern sich Verhaltensweisen von Führungskräften anpassen oder verändern, sobald diese aus der Ferne mit ihren Mitarbeitenden kommunizieren und Aufgaben delegieren (vgl. Amerland 2020, o.S.). Erste Erkenntnisse wiesen auf, dass die räumliche Distanz einen Einfluss auf die subjektive Wahrnehmung von Distanz ausübt, was dazu führt, dass die räumliche Distanz ein geringeres Verantwortungsgefühl seitens der Führungskraft begünstigt. Dies würde sich negativ auswirken, da es als entscheidender Faktor im Führen gesehen wird. Das Verantwortungsbewusstsein ist von der Identifikation mit dem Team und der Fokussierung auf die Bedürfnisse anderer hinsichtlich der Entscheidungsfindung abhängig und können sich bei räumlicher Distanz mindern. Die Frage, ob sich das Verantwortungsbewusstsein mit der Zeit wieder verbessert, bleibt ungeklärt (vgl. Amerland 2020, o.S.).
2.2.3 Führung auf Distanz
Im Folgenden soll das Modell der „Führung auf Distanz“, welches durch die Corona- Pandemie verstärkt wurde, beschrieben werden, um ein grundlegendes Verständnis herzustellen. Das Modell besteht bereits seit Jahren, wenn beispielweise Führungskraft und Mitarbeitende aufgrund von Geschäftsreisen voneinander getrennt sind. In vielen Beschäftigungsmodellen ist digitale Führung Alltag, ohne dass sich Beschäftigte dessen bewusst sind. Konkrete Beachtung erfährt das Modell in Unternehmen meist erst dann, wenn Beschäftigte in einem mobilen Arbeitsmodell arbeiten und somit auch von zu Hause aus (vgl. Rump/ Eilers 2022, S. 206).
„Führung auf Distanz“ ist ein Bestandteil des Konzeptes „New Work“. Das Prinzip des Führungsmodells basiert auf der zunehmenden Digitalisierung der Arbeitswelt. Der Trend zur mobilen Arbeit beraubt die klassische Personalführung einer ihrer impliziten Voraussetzungen. Während Führung bisher durch zielgerichtete Einflussnahme in einer direkten sozialen Beziehung innerhalb eines sozialen Gebildes erfolgte, in dem Mitarbeiter*innen ihre Leistung zu festgelegten Zeiten, an fixen Orten und in Kooperation mit Kolleg*innen ausführten, findet die Kooperation bei virtueller Führung häufig asynchron und über unterschiedliche Standorte statt (vgl. Hofmann et al. 2015, S. 11). In der Literatur ist der Begriff der „Führung auf Distanz“ synonym verwendet mit digitaler Führung, E-Führung, virtueller Führung oder Remote Leadership. Avolio, Kahai und Dodge (2001) beschreiben digitale Führung als einen „Prozess des sozialen Einflusses, der vermittelt über moderne IKT Veränderungen in Einstellungen, Gefühlen, Verhaltensweisen und/oder Leistung von einzelnen Beschäftigten, Gruppen und/oder anderen Organisationen bewirkt“ (Antoni/ Syrek 2017, S. 248).
Die Anforderungen an die Führung werden durch zunehmende Komplexität, Dynamik und Interdependenz der Aufgabe bestimmt. Außerdem müssen Führungskräfte in ihrer formalen Rollenverantwortung vermehrt in die Kompetenzen und Motivationen ihrer Mitarbeitenden vertrauen, da die Autonomie und Selbststeuerung dieser nun im Vordergrund steht. Im gleichen Zuge müssen Mitarbeitende also in der Lage sein eigenständig zu handeln sowie technisch und aktiv zu kommunizieren. Das setzt hohes Vertrauen seitens der Führungskraft voraus und verlangt ein entsprechendes Menschenbild. Führungskräfte müssen ihre Mitarbeitenden als selbständig agierende, autonome Individuen erkennen, welche eigenständige Entscheidungen im Sinne der Unternehmensziele treffen. Die Kontrolle erfolgt dann hauptsächlich durch die Überprüfung des Ergebnisses, anstatt durch den gesamten Prozess (vgl. Breisig 2020, S. 190). Das Führen auf Distanz kann somit sowohl im Homeoffice, auf Reisen, als auch im Unternehmen über verschiedene Distanzen eingesetzt werden. Kontrolle im Sinne von technisch vermittelter Leistungs- und Verhaltenskontrolle wäre durchaus möglich, ist jedoch nicht im Sinne einer Vertrauenskultur und gemäß der Datenschutzregelungen. Digitale Führung muss sich dementsprechend aus strukturellen Gründen das ergebnisorientierte Führen zum Ziel setzen (ebd.). Neben geforderter Autonomie und Selbststeuerung bedarf es dennoch kommunikative Prozesse für Regelungs- und Koordinationsbedarfe. Die „Kommunikation auf Augenhöhe“ ist hier für die Vertrauensbildung, Beziehungspflege und Orientierungsgebung eine Voraussetzung (vgl. Weber/ Thomson/ Pundt 2018, S. 6ff.).
Insgesamt lässt sich „Führung auf Distanz“ laut Toleikiene, Rybnikova und Jukneviciene (2020, S. 151ff.) in drei Hauptkriterien von der traditionellen Führung unterscheiden. Führungskräfte, welche digital führen, nutzten eine multilaterale Kommunikation mit verschiedenen Kommunikationskanälen (Video, schriftlich oder Audio) in Form der neusten ITK-Tools (z.B. Microsoft Teams, WhatsApp, Zoom, EMail, Skype, etc.). Des Weiteren müssen Führungskräfte ein neues Zeitmanagement entwickeln, da flexible Arbeitszeiten, kurze Meetings und spontane Besprechungen gewährleitet werden müssen. Zuletzt beschreiben sie die Herausforderung für Führungskräfte auch über ITK-Tools klar und präzise zu kommunizieren, indem sie Regeln festlegen und somit die Qualität der Leistung gewähren (vgl. Toleikiene/ Rybnikova/ Jukneviciene 2020, S. Es wird deutlich, dass virtuelle Führung die
Hauptaufgaben für Führungskräfte deutlich verändert. Sie sind hauptsächlich dafür verantwortlich Beziehungen und Kommunikation zu managen, Sinn und Visionen zu vermitteln, ihre Unternehmenskultur zu transportieren und ihre Mitarbeitenden aus der Distanz zu motivieren und zu coachen.
Durch die gerichtlichen Anordnungen innerhalb der Corona-Pandemie wurde hauptsächlich aus dem Homeoffice gearbeitet, was die Bedeutung der „Führung auf Distanz“ enorm steigerte. Homeoffice und damit die E-Führung bieten für Beschäftigte vor allem die Chance der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, flexible Arbeitszeitgestaltung und reduzierte Pendelzeiten. Die Risiken liegen jedoch in dem Wegfall sämtlicher nonverbaler (Gestik, Mimik, Körperhaltung, etc.) und paraverbaler (Stimmlage, Lautstärke, Tonfall, Sprechtempo, etc.) Äußerungen, was die Kommunikation erheblich erschweren kann (vgl. Ebert 2021, S. 45). In VideoTeamkonferenzen ist außerdem die Hemmschwelle höher auch unangenehme Themen anzusprechen, da Vier-Augen-Gespräche häufig zu kurz kommen. Auch Gespräche über private Themen, welche Motivation und Zusammenhalt im Team stärken, kommen häufig zu kurz. Des Weiteren fehlt es im Homeoffice schneller an Organisation und Struktur, weshalb Führungskräfte eine hohe Sensibilität und Aufmerksamkeit benötigen, damit Konflikte schnellstmöglich erkannt werden und sich kein Dienst nach Vorschrift einstellt (vgl. Ebert 2021, S. 46). Die technische Kommunikation birgt Risiken, welche mit der Frage einhergehen, ob die Qualität und Intensität mit einem persönlichen Austausch mithalten können. Außerdem sind Kompetenzen und Fähigkeiten gefragt, um neue Medien einzurichten und nutzen zu können (vgl. Hofmann 2013, S. 220).
Ein weiterer potenzieller Nachtteil besteht darin, dass räumliche Distanz ein Gefühl der Isolation hervorbringen kann. Die größte Herausforderung liegt im Vertrauensaufbau zwischen Führungskraft und Team, welcher mittels Förderung von Interaktion und Informationsaustausch, Vermittlung von Lernpotenzial, Nutzung von Aufgabenkonflikten zur kreativen Lösungsfindung und konstruktiver Kommunikation bestmöglich gestärkt werden kann (vgl. Landes et al. 2020, S. 33). Sind Rahmenbedingungen der indirekten Führung nicht ausreichend geklärt und Stressoren überwiegen, kann es seitens der Führungskräfte, aber auch seitens der Beschäftigten zu „interessierter Selbstgefährdung“ kommen. Unter dem Begriff versteht sich ein Verhalten, bei dem das Interesse am beruflichen Erfolg und oder der Zielerreichung die eigene Gesundheit gefährdet. Im Homeoffice verschwimmen häufig die Grenzen zwischen Arbeits- und Privatleben, sodass Mehrarbeit oder Arbeit trotz Krankheit zunehmen. Dieses Verhalten wirkt sich langfristig auf eine nicht nachhaltige und ungesunde Leistungskultur aus (vgl. Bergerow/ Roscher 2020, S. 12). Die Balance zwischen möglichen Entscheidungs- und Handlungsspielräumen und notwendiger Grenzziehung stellt für Führungskräfte eine große Herausforderung dar.
„Führung auf Distanz“ ist seit der Corona-Pandemie ein wichtiges Element der modernen Arbeitswelt. Die Akzeptanz ist seit jeher gestiegen und die Vorteile werden in der optimierten Büroflächennutzung, der internationalen Verteilung von Teams und der flexibleren Arbeitsgestaltung deutlich. Immer mehr Rahmenbedingungen werden geschaffen, um mit der Herausforderung der digitalen Führung umzugehen (vgl. Batz 2021, S. 72f.). Außerdem trägt Homeoffice zur Entlastung der Infrastruktur bei, indem das Pendler-Aufkommen verringert wird (vgl. Landes et al. 2020, S. 12). Auch auf lange Sicht gesehen werden hybride und agile Arbeitsformen wahrscheinlich dominieren, wenn zentrale Forderungen wie positives Denken, Vertrauen und Verantwortung, Motivation und selbstorganisierende Teams im Vordergrund stehen (vgl. Scheller 2017, S. 108). Je mehr sich Organisationen an den propagandierenden Begriff „New Work“ annähern und starre Grenzen verschwimmen, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit im Arbeitsmarkt zu dominieren (vgl. Batz 2021, S. 75). Laut Bergmann basiert eben diese „New Work“ auf Freiheit, Selbstständigkeit und Selbstverwirklichung, womit gleichzeitig die Arbeitsortflexibilisierung, Arbeitszeitflexibilisierung, generelle Flexibilisierung und kollaboratives Arbeiten gemeint ist (vgl. Tandemploy 2019). Um „Führung auf Distanz“ erfolgreich zu machen sind entsprechende digitale und agile Führungskompetenzen von Nöten. Der Anspruch an Führungskräfte ist hoch, was entsprechende Schulungen erfordert.
Während das zweite Kapitel nun umfangreich die Veränderungen in der Arbeitswelt innerhalb der letzten Jahre verdeutlichte, soll im folgenden Kapitel ein Überblick über die (Führungs-)Kompetenzen sowie die neuen Kompetenzanforderungen, auch mit Hinblick auf die Kompetenzentwicklung, gegeben werden. Abschließend wird der Analyserahmen für die Durchführung der qualitativen Erhebung vorgestellt.
3. Führungskompetenzen für die Führung auf Distanz
Bisher wurde deutlich, wie sich Anforderungen an Organisationen, Unternehmen Führungskräfte und Mitarbeiter*innen immer intensiver verändern. Aus einem Konkurrenzkampf wird zunehmend ein Kompetenzkampf und Probleme in der Personalführungspraxis lassen sich häufig auf Kompetenzdefizite zurückführen. Mobile Arbeitsformen fordern sowohl von Führungskräften als auch von Mitarbeitenden eine hohe Disziplin, Strukturierung, Selbstmanagement und mentale Beweglichkeit, sodass eine wiederkehrende Einschätzung von notwendigen Kompetenzen gefordert wird, um bei dauerhaften Veränderungen handlungsfähig zu bleiben (vgl. Kesselring/ Vogl 2010, S. 183). Um die vorliegende Forschungsfrage beantworten zu können, muss zunächst ein grundlegendes Verständnis über (Führungs-)Kompetenzen hergestellt werden.
3.1 Kompetenzen
In der Literatur wird der Kompetenzbegriff uneinheitlich und häufig alltagssprachlich unreflektiert verwendet. Auch die verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen unterscheiden sich in ihrer Definition (vgl. Dehnbostel 2007, S. 23). Vor allem in der Erwachsenenbildung stellt der Kompetenzbegriff einen Schlüsselbegriff dar und erfährt seit den 80er Jahren ein vermehrtes Aufkommen. Der deutsche Bildungsrat verfasste 1970 eine der ersten Definitionen und beschreibt Kompetenzen als ein „vorläufiges Ergebnis der Kompetenzentwicklung“ sowie als eine Ermöglichung von eigenverantwortlichem Handeln in privaten, gesellschaftlichen und beruflichen Situationen (vgl. Deutscher Bildungsrat 1970, S. 65).
Der Kompetenzbegriff ist vor allem in der Berufsbildungsforschung und der Berufspädagogik in Abgrenzung zu Qualifikationen eingeführt worden. Während der Erwerb, die Entwicklung und Verwendung von Kompetenzen sich auf die gesamte Lebenszeit eines Menschen beziehen und Kenntnisse, Methoden, Wissen, Fähigkeiten und Einstellungen umfassen, meint Qualifikationen die Verwertbarkeit von Fertigkeiten, Kenntnissen und Fähigkeiten. Außerdem sind Kompetenzen subjektbezogen und schließen Qualifikationen sowie elementare bildungstheoretische Ziele und Inhalte mit ein (vgl. Dehnbostel 2007, S. 24). Die Einteilung der Kompetenzen erfolgt heutzutage häufig in die von der KMK vorgeschlagene Differenzierung zwischen der Human(Selbst)-, Sozial- sowie Fachkompetenz. Nach der KMK bezeichnen Kompetenzen den Lernerfolg eines einzelnen Lernenden und seine Befähigung zu eigenverantwortlichem Handeln in gesellschaftlichen, beruflichen sowie privaten Situationen (vgl. KMK 2021, S. 15). Kompetenz ist das Resultat eines dynamischen und offenen Lernprozesses, da die kompetente Person in einer Problemsituation in der Lage sein muss alle Elemente abzurufen, zu bündeln und zu aktivieren, welche der Lösung dienlich sind. Außerdem muss sie eine realistische Handlungsvorstellung und entsprechende Handlungsmotivation entwickeln sowie die entstehende Lösung reflektieren (vgl. North/ Reinhardt/ Sieber-Suter 2013, S. 44ff.). Kompetenzen sind außerdem nicht direkt prüfbar, sondern müssen aus der Realisierung der Fähigkeiten bzw. der Handlungsausführung erschlossen werden (vgl. Heyse 2007, S. 11-164).
Im Laufe der Zeit wurden in Bezug auf Kompetenzen immer mehr Kompetenzmodelle entwickelt, welche meist von den vier Basiskompetenzen der Fach-, Methoden-, Sozial- und Selbstkompetenz ausgehen (vgl. Bergner/ Kreuzthaler/ Rybnicek 2016, S. 329ff.). Sie gründen in der wachsenden Bedeutung des lebensbegleitenden Lernens und dem Wandel von Qualifizierungen und Arbeit. Im Bildungswesen gelten sie als Gestaltungs- und Steuerungskonzepte, welche Effektivität und Verwertbarkeit fokussieren (vgl. Dehnbostel/ Seidel 2011, S. 6). Ein Kompetenzmodell dient als Anforderungskatalog und macht Kompetenzen zur Problemlösung und Leistungserbringung einheitlich messbar und kommunizierbar. Es kann somit als Grundlage zur Kompetenz- und Führungskräfteentwicklung dienen, da es hinreichende Prognosen der zukünftigen Arbeitsfähigkeit einzelner Mitarbeitenden zulässt (vgl. Heyse 2007, S. 15f.). Bildungspolitisch gehen die veränderten gesellschaftlichen Bedingungen und Anforderungen mit einer Umstrukturierung im (Berufs-)Bildungssystem einher, für die die Verfahren zur Kompetenz- und Leistungsfeststellung maßgebend sind. Sie sind wesentlich für die Anerkennung und Anrechnung von auf unterschiedliche Weise erworbenen Kompetenzen und können Transparenz, Durchlässigkeit und Chancengleichheit im Bildungssystem fördern (vgl. Weiß 2007, S. 3).
In der beruflichen Bildung hat das Kompetenzmodell der KMK (2021) eine große Bedeutung (siehe Abbildung 4).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 4: Berufliche Handlungskompetenz in der beruflichen Bildung (Gillen 2014, S. 4)
Das Leitziel der beruflichen Bildung besteht in der Entwicklung einer umfassenden beruflichen Handlungskompetenz und umfasst
„die Bereitschaft und Befähigung, in beruflichen Situationen fach-, human- und sozialkompetent zu handeln und die eigene Handlungsfähigkeit in beruflicher und gesellschaftlicher Verantwortung weiterzuentwickeln“ (Dehnbostel 2007, S. 33).
Die Handlungskompetenz entfaltet sich in Fach-, Sozial- und Human(Selbst)kompetenz, welche wechselseitig in Beziehung stehen (vgl. KMK 2021, S. 15). Unter der Fachkompetenz versteht sich die Fähigkeit und Bereitschaft auf Grundlage von fachlichem Wissen und Können verschiedene Aufgaben und Probleme methodengeleitet, sachgerecht, selbstständig sowie zielorientiert zu lösen und das entsprechende Ergebnis zu beurteilen. Die Sozialkompetenz meint die Fähigkeit und Bereitschaft Spannungen und Zuwendungen zu erfassen und zu verstehen, soziale Beziehungen auszuleben und zu gestalten sowie mit anderen verantwortungsbewusst und rational zu kommunizieren und sich auseinanderzusetzen. Die Entwicklung sozialer Verantwortung und Solidarität sind hierfür notwendig.
Die Humankompetenz, welche durch den Begriff der Selbstkompetenz ersetzt wurde, beschreibt die Fähigkeit und Bereitschaft als individuelle Persönlichkeit die verschiedenen Anforderungen, Einschränkungen und Entwicklungschancen in Beruf, der Familie und dem öffentlichen Leben zu durchdenken, zu klären und zu beurteilen. Außerdem die Entfaltung der eigenen Begabung, Erfassung der Lehrpläne und die Fortentwicklung dieser. Kritikfähigkeit, Selbstständigkeit, Zuverlässigkeit, Selbstvertrauen, Verantwortungs- und Pflichtbewusstsein sind einige Eigenschaften, welche die Selbstkompetenz umfasst. Außerdem umfasst sie die Entwicklung durchdachter Wertvorstellungen und die selbstbestimmte Bindung an diese Werte (vgl. KMK 2021, S. 15).
Die Methodenkompetenz, die kommunikative Kompetenz und die Lernkompetenz sind als immanenter Bestandteil der genannten Fach-, Sozial- und Selbstkompetenzen zu sehen. Methodenkompetenz meint die Bereitschaft und Fähigkeit bei der Bearbeitung von Aufgaben und Problemen zielgerichtet und planmäßig vorzugehen. Die kommunikative Kompetenz äußert sich in der Fähigkeit und Bereitschaft kommunikative Situationen sowohl zu verstehen als auch zu gestalten, indem Absichten und Bedürfnisse der eigenen Person und die der Partner*innen wahrgenommen, verstanden und dargestellt werden. Die Bereitschaft und Fähigkeit selbstständig und mit anderen Informationen über Sachverhalte und Zusammenhänge zu verstehen, diese auszuwerten und in gedankliche Struktur zu bringen beschreibt die Lernkompetenz. Diese umfasst insbesondere die Fähigkeit und Bereitschaft innerhalb des Berufes und darüber hinaus Lernstrategien und -techniken zu entwickeln und für das lebenslange Lernen zu nutzen (vgl. KMK 2021, S. 16).
Eine umfassende berufliche Handlungskompetenz wird durch Studium, Ausbildung sowie durch daran anschließende Weiterbildungen und privaten Aktivitäten entwickelt (vgl. Dehnbostel 2007, S. 24f.). Der benötigten reflexiven Handlungsfähigkeit liegt die tatsächliche Ausführung des wahrnehmbaren Handelns zugrunde und umfasst somit das Handlungsvermögen eines Individuums hinsichtlich Souveränität und Qualität (vgl. Dehnbostel/ Molzberger/ Overwien 2003, S. 28). Bestimmt wird sie durch Arbeits- und Handlungsbedingungen, individuelle Dispositionen und die Kompetenzentwicklung. Reflexivität meint zum einen die Selbstreflexivität und bezieht sich auf die eigene Kompetenzentwicklung und Gestaltung, sowie die Reflexion darüber. Zum anderen meint es strukturelle Reflexivität, die sich auf die Mitgestaltung der Arbeit und Arbeitsumgebung sowie dem Hinterfragen von bestehenden Strukturen bezieht (ebd., S. 28).
In der betrieblichen Berufsbildung und Weiterbildung sowie im Führungskräftetraining entstanden verschiedene Vorschläge für eine Konkretisierung des Kompetenzkonstrukts, welche zum Teil sehr detaillierte Kompetenzraster, - modelle oder -gitter umfassen (Ausführungen in Erpenbeck/ von Rosenstiel 2003). In der betrieblichen Praxis werden viele dieser Modelle als Werkzeug für das Kompetenzmanagement genutzt. Eines davon ist das Verfahrenssystem KODE® (Kompetenzdiagnostik und -entwicklung) von Heyse und Erpenbeck (2007). Im Jahre 2000 entwickelten sie außerdem das Verfahrenssystem KODE®X, um ein praxisorientiertes Kompetenzmodell für Führungs- und Beratungsinstrumente zu bieten. Mit den Verfahren beschäftigen sich hauptsächlich Personen aus den Fachrichtungen (Berufs-)Pädagogik, Betriebswirtschaft, Psychologie und Soziologie. Das Verfahren verliert bis heute nicht an Aktualität und wird in vielen Bereichen eingesetzt.
Erpenbeck und Heyse (2007, S. 297ff.) unterteilen in ihrem Modell Kompetenzen in die vier Grundkompetenzen: Personale Kompetenz, Aktivitäts- und Handlungskompetenz, Fach- und Methodenkompetenz sowie Sozial-kommunikative Kompetenz. Jede der vier Grundkompetenzen enthält differenzierte Teilkompetenzen. Mit diesem „Kompetenzatlas“ (siehe Abbildung 5) ist es erstmalig gelungen Teilkompetenzen logisch zuzuordnen, dessen Zusammenhänge darzustellen und die Typologie der Grundkompetenzen praxisnah zu erweitern. Der Zuordnung liegen umfangreiche empirische Untersuchungen zugrunde. Insgesamt wurden von Student*innen, Berater*innen, Führungskräften, Sozialwissenschaftler*innen, Trainer*innen und Personalentwickler*innen 300 Teilkompetenzen bezeichnende Schlüsselkompetenzen den vier Grundkompetenzen zugeordnet (vgl. Heyse 2007, S. 25).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 5: Kompetenzatlas (Heyse 2007, S. 27)
Mittlerweile wurde der Kompetenzatlas um einen Synonymatlas ergänzt, welcher für jeden Begriff im Kompetenzatlas drei Synonyme nennt, um eine korrekte Zuordnung zu ermöglichen (ebd., S. 28ff.). Die personale Kompetenz beschreibt die Fähigkeit klug und kritisch zu sein sowie produktive Werthaltungen, Einstellungen und Ideale zu entwickeln. Die Aktivitäts- und Handlungskompetenz meint die Fähigkeit alle Ergebnisse sozialer Kommunikation, Wissen und Können sowie alle persönlichen Ideale und Werte aktiv und willensstark umsetzten zu können und dabei alle anderen
Kompetenzen zu integrieren. Unter Fach- und Methodenkompetenz verstehen sie die Fähigkeit mit gut ausgerüstetem fachlichem und methodischem Wissen unlösbar scheinende Probleme zu bewältigen. Die Fähigkeit sich mit anderen aus eigenem Antrieb zusammen- und auseinandersetzen und kreativ zu kommunizieren und kooperieren beschreibt die Sozial-kommunikative Kompetenz. Erpenbeck und Heyse ordnen den vier Basiskompetenzen 64 Teil-/Schlüsselkompetenzen zu (siehe Abbildung 5) und beachten des Weiteren die Querschnittskompetenzen, welche keine genuinen Teilkompetenzen sind, aber in einer Überschneidungssituation durch ein Bündel an Basis- und Schlüsselkompetenzen beschrieben werden können (vgl. Erpenbeck 2013, S. 317). Eine Querschnittskompetenz setzt sich in der Regel aus 12 bis 16 Schlüsselkompetenzen zusammen. Dazu zählen die Führungskompetenz, die Medienkompetenz, die Innovationskompetenz sowie die interkulturelle Kompetenz (vgl. Ciesielski/ Schutz 2016, S. 113ff.).
Im Rahmen dieser Arbeit sollen sich die verschiedenen Kompetenzmodelle nicht gegenseitig ausschließen. Denn aus Sicht der beruflichen Bildung machen die veränderten Anforderungen an Arbeiten und Lernen eine intensive Auseinandersetzung mit Ansätzen aus der Personal- und Organisationsentwicklung notwendig, dessen Aufgabe es ist, sich mit der Gestaltung von Organisationen und in diesem Sinne auch des Personals zu beschäftigen (vgl. Geißler/ Naumann 2020, S. 623). Somit sollen die im Fokus stehenden Führungskompetenzen auf dem Kompetenzmodell der KMK aufbauen und anhand des Kompetenzatlas erweitert analysiert werden.
3.2 Führungskompetenzen
Ein zentrales Element jeder Führungstätigkeit ist der Umgang mit Ambiguität und Komplexität, sodass der Erwerb von umfassenden Kompetenzen vorausgesetzt wird, um in entsprechenden Führungssituationen angemessen zu agieren (vgl. Seufert 2013, S. 322). Im Allgemeinen umfassen sie ein umfangreiches Repertoire an Verhaltensweisen und Instrumentarien, um dynamischen Veränderungen und Herausforderungen gerecht zu werden. Es besteht kein Idealbild über Führungskompetenzen, da je nach Kontext unterschiedliche Kompetenzen am geeignetsten erscheinen und die notwendigen Kompetenzen somit individuell festgelegt und definiert werden müssen (vgl. Lippmann/ Pfister/ Urs 2019, S. VII). Im Kontext der Führung spricht man von „Führungsintelligenz“, wenn die Kompetenzen situativ an den jeweiligen Kontext angepasst werden, was gleichzeitig emotionale Intelligenz und methodische Expertise erfordert (ebd., S. VII). Des Weiteren müssen Führungskräfte die Kompetenz besitzen zwischen verschiedenen Führungsstilen zu wechseln bzw. mehrere Führungsstile gleichzeitig einzusetzen. Somit gibt es nicht nur den einen erfolgreichen Führungsstil, sondern immer einen an die Situation angepassten Stil. Es ist situationsangepasstes Handeln gefordert, während trotzdem ein insgesamt konsistentes Führungsverhalten übermittelt werden muss (vgl. Güttel/ Kleinhanns-Rollé 2021, S. 159ff.).
Will man Führungskompetenzen umfassend betrachten, so müssen auch Faktoren berücksichtigt werden, welche nicht direkt durch Führungskräfte beeinflussbar sind. Somit sind sowohl Arbeits- und Handlungsbedingungen als auch emotionale Faktoren von Interesse. Das Modell der reflexiven Führungsfähigkeit schließt individuelle Persönlichkeitseigenschaften der Führungskräfte mit ein und wird durch strukturelle Reflexivität sowie durch Selbstreflexivität in Bezug auf die Führungsrolle geformt (vgl. Ehrlich 2020, S. 29). Arnold beschreibt die Notwendigkeit an der eigenen Reflexivität zu arbeiten folgendermaßen:
„Ganzheitliche, kulturbewusste Unternehmensführung setzt bei den Führungskräften methodische und soziale Kompetenzen voraus, wodurch sich deren professionelles Profil an das von Pädagogen annähert. Zweckrationales Theoriewissen (um Wenn-Dann-Zusammenhänge) ist zu ergänzen um Selbstreflexionswissen. Hierfür ist eine „Arbeit“ an der eigenen Subjektivität (gemeint: der Führungskräfte) erforderlich.“ (Arnold 1997, S. 95)
Somit können laut Arnold die weiteren Komponenten der Führungskompetenz nur durch Grundlage der systematischen Arbeit an der eigenen Persönlichkeit entwickelt werden. Dehnbostels Führungsverständnis (vgl. Dehnbostel 2007, S. 41) baut sich auf dem Kompetenzmodell der KMK auf und sieht Führungskompetenz als ein Zusammenspiel von Fach-, Sozial- und Human(Selbst-)Kompetenz mit dem Ziel im gesamten Führungsprozess reflexiv zu handeln (siehe Abbildung 6).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 6: Reflexive Führungsfähigkeit nach Dehnbostel (Ehrlich 2020, S. 31)
Vor allem die sozialen Kompetenzen spielen eine wichtige Rolle, da Führungskräfte in der Lage sein müssen zwischenmenschliche Beziehungen aufzubauen und zu erhalten. Sie umfassen somit die Fähigkeit sich gruppen- und beziehungsorientiert zu verhalten, sodass sich eine Führungskraft verantwortungsbewusst mit anderen Menschen auseinandersetzt und erkennt, welche sozialen Kompetenzen für den jeweiligen Kontext geeignet sind (vgl. Hintz 2018, S. 14; Dehnbostel 2007, S. 18). Darunter fällt außerdem die Vereinbarkeit von eigenen Zielen und Interessen mit denen der Mitarbeiter*innen. Hierfür muss die Führungskraft die Fähigkeit des Kommunizierens besitzen und über Kontaktfähigkeit, Offenheit, Einfühlungsvermögen, Konsensfähigkeit und Verständigungsfähigkeit verfügen. Im Team muss eine Kollegialität, Kooperationsbereitschaft sowie Konflikt-, Kritik- und Kompromissfähigkeit bestehen. Für die Führungsaufgabe selbst und somit dem Planen, Organisieren, Kontrollieren und Delegieren ist die Entscheidungs- und Durchsetzungsfähigkeit sowie die konkrete Vereinbarung von Zielen entscheidend (vgl. Hintz 2018, S. 14).
Innerhalb der Führungstätigkeit muss sich der Übertragbarkeit von Emotionen und Stimmungen bewusst gemacht werden, da diese Einfluss auf die Stimmung, Motivation und Leistung der Mitarbeitenden nehmen kann. Eine positive emotionale Bindung zwischen Mitarbeiter*innen und Führungskraft kann sich positiv auf die Meisterung von Unsicherheiten, Unzufriedenheit oder Veränderungen auswirken und die Arbeit wird als sinnvoller empfunden. Ein hohes Empathievermögen und ein Beziehungsmanagement (Sich-in-andere-Hineinversetzten) sind notwendige Voraussetzungen, um Mitarbeiter*innen individuell zu betrachten und auf sie einzugehen (vgl. Ehrlich 2020, S. 32). Emotional intelligente Führung ist also nur erfolgreich möglich, wenn ein authentisches Handeln in Übereinstimmung mit eigenen Überzeugungen und Werten erfolgt (vgl. Goleman et al. 2002, S. 76ff.).
Im Rahmen der Human(Selbst-)Kompetenz (im folgenden Selbstkompetenz genannt) geschieht die Auseinandersetzung mit den eigenen Emotionen. Unter Selbstkompetenzen versteht sich die Fähigkeit zur Selbstreflexion und auf Basis dessen die Bereitschaft sich zu entwickeln sowie Potenziale und Ressourcen zu entfalten. Eine Führungskraft sollte sich ihrer Werte, Ziele und Potenziale bewusst sein, um sicher handeln zu können und angemessene Prioritäten zu setzen (vgl. Amberg 2016, S. 12; Dehnbostel 2007, S. 18). Day (2001, S. 584) beschreibt außerdem Konzepte der Selbststeuerung, -motivation und -wahrnehmung als Komponenten der Selbstkompetenz. Unter Selbstmotivation lässt sich Engagement, Optimismus, hohe Eigeninitiative und Einsatzbereitschaft verstehen. Selbststeuerung meint Glaubwürdigkeit, Anpassungsfähigkeit, Selbstkontrolle und persönliche Verantwortung. Die Selbstwahrnehmung ist durch ein gewisses Selbstbewusstsein und ein korrektes Selbstbild gekennzeichnet. Die Selbstkompetenzen spielen eine wichtige Rolle für die sozialen Kompetenzen, da sie grundlegend für den beziehungsorientierten Kontakt mit anderen Menschen sind. Außerdem sind sie die Grundlage für das Lernen der Kompetenzen, welche als Coach, Lernpromotor*in, Gestalter*in von sozialen Beziehungen, Entscheider*in etc. notwendig sind, um angemessen zu handeln (vgl. Goleman/ Boyatzis/ McKee 2002, S. 52). Zu den persönlichkeitsbezogenen Selbstkompetenzen gehören Faktoren, wie Zuverlässigkeit, Motivation, Belastbarkeit, Stetigkeit, Genauigkeit, Zielstrebigkeit, Kreativität und Lernfähigkeit signifikanter Rollen (vgl. Hintz 2018, S. 14).
Die Fachkompetenz ermöglicht Führungsaufgaben selbstständig und korrekt auszuführen und Ergebnisse zu beurteilen. Kenntnisse im Fach und logisches Denken ermöglichen angemessenes Handeln (vgl. Schmoll 2012, S. 36). Da diese Kompetenzen nicht mit der Persönlichkeitsstruktur einer Person zusammenhängen, ist sie tendenziell leichter erlernbar als die Selbst- und Sozialkompetenz. Zu den methodischen und faktenbasierten Kenntnissen der Fachkompetenz gehören beispielsweise die Fähigkeiten Problemlösungsprozesse zu moderieren, Probleme zu analysieren sowie zu strukturieren, aber auch Meetings zielgerichtet zu leiten (vgl. Lippmann/ Steiger 2013, S. 240).
Da sich Emotionen, Werte, Motivationen und die Fähigkeit zur Reflexion je nach Individuum unterscheiden, variiert auch die Kompetenzentwicklung je nach Führungskraft (vgl. Day 2012, S. 118). Für eine erfolgreiche Kompetenzentwicklung müssen selbstorganisierte Lernprozesse, informelle Lernphasen und institutionelle Weiterbildungsangebote vernetzt werden (vgl. Edelmann/ Tippelt 2008, S. 133f.). Es bleibt zu erwähnen, dass die verschiedenen Kompetenzen nicht immer klar voneinander abzugrenzen sind und teilweise zusammenhängen, sodass Führungskompetenzen vor allem im Zusammenwirken das gewünschte Ergebnis bringen, also eine sogenannte Querschnittskompetenz darstellen (vgl. Abbildung 7, nach Kompetenzmodell von Heyse/ Erpenbeck 2004).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 7: Führungskompetenzen als Schnittstelle der Kompetenzfelder (Zehrer/ Mössenlechner 2010, S. 190)
[...]
- Citar trabajo
- Johanna Giere (Autor), 2022, Führung auf Distanz. Führungskompetenzen in Zeiten der Corona-Pandemie, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1339876
-
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X. -
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X. -
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X. -
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X. -
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X. -
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X. -
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X. -
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X. -
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X. -
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X. -
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X. -
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X. -
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X. -
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X. -
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X. -
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X. -
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X. -
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X. -
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X. -
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X. -
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X. -
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X. -
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X. -
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X. -
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X. -
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X. -
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X. -
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X. -
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X. -
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X. -
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X. -
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X. -
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X.