Der Essay beschäftigt sich mit der Rolle der Frau im deutschen Literatur- und Kulturbetrieb und greift neben der geschichtlichen Entwicklung auch die Frage nach dem Feminismus auf und inwiefern die Begriffe "Frauenliteratur" und "Männerliteratur" an Aktualität aufweisen.
Ob Goethes "Faust", Schillers "Kabale und Liebe", Brechts "Leben des Galilei" oder Kafkas "Die Verwandlung". Alle vier Lektüren oder mindestens eine von ihnen sind seit jeher im Literaturkanon eines jeden Landesabiturs in Deutschland unabdingbar. Seit mehreren Jahrzehnten sind sie der Grauen vieler Schüler:innen, denn es heißt: viel Lesen und viel Analysieren. Doch nicht nur der Inhalt der Lektüre wird bis ins kleinste Detail erforscht, diskutiert oder interpretiert. Auch das Leben des Autors wird in Zusammenhang mit der Lektüre besprochen und bietet noch mehr Interpretationsflächen. Bei einem genaueren Blick auf den Literaturkanon der Bundesländer fallen viele Unterschiede, hin und wieder auch kleine Gemeinsamkeiten, auf. Eine dieser Gemeinsamkeiten ist das sporadische Auftreten einer Autorin in dem in Stein gemeißelten Literaturkanon.
Essay: Unerhört - Die Frau im Literaturbereich
Unerhört Was ist für ein Klang in den Lüften? Singt wohl die sterbende Nachtigall? Oder eine verstoßene Huri? Zehnmal fielen meine Zedern hin, und meine Felsen zerbröckeln; sechstausend Jahre machten mich grau und sechzigtausend Stunden; doch nie drang solch ein Laut zu mir vom Tal oder aus der Höhe. - Eine Mutter am Hange steht, die weint ihr einzig Söhnlein. (Annette von Droste-Hülshoff, 1797-1848)
Ob Goethes Faust, Schillers Kabale und Liebe, Brechts Leben des Galilei oder Kafkas Die Verwandlung. Alle vier Lektüren oder mindestens eine von ihnen sind seit jeher im Literaturkanon eines jeden Landesabiturs in Deutschland unabdingbar. Seit mehreren Jahrzehnten sind sie der Grauen vieler Schüler*innen, denn es heißt: viel Lesen und viel Analysieren. Doch nicht nur der Inhalt der Lektüre wird bis ins kleinste Detail erforscht, diskutiert oder interpretiert. Auch das Leben des Autors wird in Zusammenhang mit der Lektüre besprochen und bietet noch mehr Interpretationsflächen. Bei einem genaueren Blick auf den Literaturkanon der Bundesländer fallen viele Unterschiede, hin und wieder auch kleine Gemeinsamkeiten, auf. Eine dieser Gemeinsamkeiten ist das sporadische Auftreten einer Autorin in dem in steingemeißelten Literaturkanon.
Denkt man an die eigene Schulzeit zurück und an die Lektüren, die man damals mehr oder minder freiwillig mit den Lehrern besprach, ist deutlich, dass kaum das Werk einer Frau besprochen wurde. Ob in den Themen Lyrik, Dramatik oder Epik. Selbst in der Unterstufe, als man das erste gemeinsame Buch mit der Klasse las, sind auch hier Autorinnen kaum im Gedächtnis geblieben. Dabei sollen laut Medienangaben Autorinnen den Bereich der Kinder-und Jugendliteratur mit Vorsprung dominieren (vgl. http://www.frauenzählen.de/studie_diagramme.html).
Woher komm es, dass Frauen noch heute im Literatur- und Medienbetrieb deutlich benachteiligt werden und weniger Anerkennung bekommen?
Das, zu Beginn präsentierte, Gedicht „Unerhört“ von Annette von Droste-Hüls- hoff ist besonders mit Hinblick auf die Überschrift homonym verständlich. Zunächst könnte man das Wort Unerhört als eine Empörung verstehen. Die Lyrikerin und Dramatikerin gelten wegen ihres Freigeistes und ihren Mut in einer patriarchalen Gesellschaft zu schreiben, als Vorreiterin des Feminismus (vgl. Pöder, ohne Datum). Es wäre nicht unüblich, dass die Autorin mithilfe des Gedichtes ihren Unmut preisgeben möchte. Unerhört lässt sich aber auch als eine Dringlichkeit, gar eine Not interpretieren, die Not nicht wahrgenommen zu werden, die Not als Frau in einer von Männlichkeit dominierten Welt unterzugehen (vgl. Pöder, ohne Datum).
Die Unterlegenheit der Frau wurde bereits 1762 von Jean Jaques Rousseau in der Geschlechtscharaktertheorie gefestigt. Sie existiere nur für den Mann und habe dadurch keinen Eigenwert. Die Dichotomie der Geschlechter prägt noch heute unsere Gesellschaft. So sind Frauen stets gefühlvolle und passive Geschöpfe, während der Mann sich als rationales aktives Lebewesen in den Vordergrund stellt.
Junge Frauen wurden mit Hilfe der sogenannten Mädchenpädagogik erzogen (vgl. Gnüg, 1999). Statt ihnen das Lesen und Schreiben zu lehren, beruft sich ihre Bildung darauf, einen Haushalt zu führen und ihren künftigen Gatten zu dienen und zu lieben. Die Entfaltungsmöglichkeiten einer Frau beschränkten sich demnach auf drei Rollen: die der Gattin, Hausfrau und Mutter. Der Gedanke, dass eine Frau Bildung erhält, wurde in damaligen gesellschaftlichen Verhältnissen, unter der Begründung, dass Frauen als Scheinexistenzen für ihre Familie leben, abgelehnt.
Trotz einer solchen gesellschaftlichen Strenge, fingen Frauen an zu schreiben. Ihre ersten selbstständigen Schreibversuche wurden in Form von Briefen unternommen. Während der Brief sonst eher als Mittel der Kommunikation oder der Selbstdarstellung galt, fanden Frauen in ihnen eine Möglichkeit sich selbst, ihre Gedanken, Gefühle und ihre weibliche Lebenssphäre zu schreiben. Noch heute gilt der Brief als Ausdruck des weiblichen Lesens und Erlebens (vgl. Becker-Cantarino 1999, S. 129).
Doch nicht nur in Briefen sahen Frauen eine Gelegenheit sich auszudrücken und zu schreiben. Gegen Mitte-Ende des 19. Jahrhunderts trat vermehrt das Phänomen des Pseu- doandronyms auf, welches eine Frau beschreibt, die unter einem fiktiven männli chen Namen Literatur veröffentlichte. Neben Romanen und der Lyrik, trat das Phänomen auch in dem Bereich Sachbücher auf. Eine der bekanntesten Autorinnen, die unter einem solchen Pseudoandronym schrieb, war Ottilie Bach (1863-1905) (vgl. Zimmermann et. al. 2016 S. 367). Während sie unter ihrem echten Namen hauptsächlich Zeitungsartikel schrieb, veröffentlichte sie unter den Pseudonymen O. Bach oder Otto Ulrichs verschiedene Romane (vgl. Zimmermann et. al. 2016 S. 367).
Eine weitere Geschichte und andere Interpretation des Pseudoandronyms ist die Geschichte von Else Lüders, eine Schülerin des Ideologen Heinrich Lüders, welche ihren Lehrer bei der Erarbeitung von Forschungsarbeiten unterstützte, unwissentlich, dass ihre Arbeiten nicht unter ihrem Namen, sondern dem ihres Lehrers veröffentlicht wurden (vgl. Zimmermann et. al. 2016, S. 367).
Durch den Beschluss des Wahlrechtes der Frau am 30. November 1918 bekam die Frau nun auch in der Gesellschaft Mitbestimmung in Bereichen wie Politik und Wirtschaft. Frauen fingen an öffentlich zu schreiben und setzten sich um 1960 immer mehr mit der Frage der „weiblichen Identität“ (vgl. Zimmermann et. al. 2016, S. 367) auseinander. Bis sich in den 1970er Jahren die Frauenbewegung etablierte unter der neue Literatur von und für Frauen verfasst wurde, verschiedene Frauenverläge gegründet wurden und die Machtverhältnisse zwischen Frau und Mann in Frage gestellt wurden. All diese Aspekte sprechen für die Anfänge des Feminismus.
Exkurs: Feminismus
Feminismus bezeichnet eine Bewegung, die grundlegende Veränderungen der gesellschaftlichen Normen und patriarchalen Kultur anstrebt. Anliegen des Feminismus ist die Selbstbestimmung der Frau und die Gleichheit, sowie Freiheit für alle Menschen. Zu betonen ist, dass der Feminismus sich nicht nur mit der Gleichberechtigung der Frau auseinandersetzt, sondern sich auch für einen Wandel des Männerbildes und gegen die sogenannte toxische Männlichkeit einsetzt. Sprich: Männer dürfen emotional sein, weinen und Gefühle zeigen, ohne dabei ihre Männlichkeit zu verlieren (vgl. Könnecke & Klesch, ohne Datum).
Das bekannteste Buch der Frauenliteratur und des Feminismus wurde im Jahr 1975 von der Schriftstellerin Alice Schwarzer veröffentlicht und trägt den Titel: „Der kleine Unterschied und seine Folgen - Frauen über sich: Beginn einer Befreiung“. Das Buch wird u.a. als Auftakt der Frau in der Gesellschaft bezeichnet, da es Themen behandelt, die vorher noch als absolute Tabuthemen galten (vgl. Gruler & Wagner, ohne Datum). Frauen fingen an offen über sich und ihre Sexualität zu sprechen, was große Diskussionen in der Gesellschaft auslöste. Die Autorin galt in den Medien als „Männerschreck“ oder „frustrierte Tucke“, da sie diese Tabuthemen öffentlich machte (vgl. Gruler & Wagner, ohne Datum).
Im 21. Jahrhundert sind Frauen mittlerweile im Literatur- und Medienbetrieb präsent und stellen sich nicht nur dem Wandel der weiblichen Schriftlichkeit, unter dem Frauen begannen mehr über vielfältige Themengebiete zu schreiben, sondern auch dem Wandel der Frau an sich. Die Frau nimmt in der heutigen Gesellschaft ein vielfältiges Rollenbild ein: Sie ist zwar immer noch Hausfrau und Mutter, übernimmt aber auch gleichzeitig die Rolle der Erwerbstätigen, die Rolle der sexuellen Frau und die der Partnerin in einer Beziehung.
Deutlich zu sehen ist, dass sich das Bild der Frau in den letzten zwei Jahrhunderten zum Positiven gewandelt hat. Die Frau ist selbstständig, mündig und in der Lage in denselben Bereichen wie Männer zu interagieren.
Trotz der Emanzipation der Frau und den deutlichen Wandlungen des Frauenbildes, werden Autorinnen noch immer anders behandelt und angesehen als Autoren. Schreibt eine Frau einen Liebesroman, dann liegt es in ihrer Natur zärtlich und empfindlich zu schreiben. Schreibt ein Mann einen Liebesroman, dann spricht die Medienwelt von einem männlichen Genie, der entgegen seiner Natur der Ration in der Lage ist ein empfindsames Werk zu schreiben (vgl. Schmidt, 2020).
In dem Buch „Schreibtisch mit Aussicht“ von Ilka Piepgras (2020) geht es um verschiedene Situationen schreibender Autorinnen und um die Unterscheidungen der Schreibbedingungen, die an Männer und Frauen gestellt werden. Die Autorin betont, dass es sich bei dem Buch nur um die Situation schreibender Frauen handeln wird und Männer explizit ausgelassen werden: „ [...] in bewusster Ausgrenzung von Männern, die in diesem Buch nicht vorkommen, denn Schriftsteller gehen unter privilegierten Bedingungen an die Arbeit: [...] ihr Selbstbild ist allgemein anerkannt.“ (Piepgras, 2020) Ein weiteres Problem ist die Unterscheidung zwischen Frauen- und Männerliteratur. Frauenliteratur gilt häufig als eigenes Genre „ihr Geschlecht wird zwischen den Zeilen mitgelesen“ (Piepgras, 2020), was Frauenliteratur lediglich auf ihre Weiblichkeit reduziert. Veröffentlicht eine Autorin einen historischen oder einen Liebesroman, dann ist es nicht in der Kategorie einzuordnen, sondern unter der Kategorie Frauenliteratur.
Veröffentlicht ein Autor einen Roman o.ä., wird es nicht als Männerliteratur plakatiert, sondern als Liebesroman oder historischer Roman. Diese „unmarkierte männliche Literatur“ (Piepgras, 2020) gilt also als Norm und ist nicht unter einer gesonderten Kategorie für Männer zu finden. Das Problem obliegt der Ansicht, dass Frauen nur für Frauen schreiben. Besonders diese Vorurteile halten Männer oft davon ab Frauenliteratur zu lesen. Wenn man allerdings einen genaueren Blick auf die sogenannte „Männer-“ und/oder „Frauenliteratur“ wirft, wird schnell klar, dass die Themen sich fast bis gar nicht unterscheiden. Autorinnen sind in jeder Literaturbranche aufzufinden. Egal ob Liebesromane (z.B. die amerikanische Autorin Jojo Moyes), Krimis (z.B. die deutsche Autorin Charlotte Link), Thriller (z.B. die Autorin Karin Slaughter), Kinder- und Jugendbücher (z.B. Cornelia Funke), Erotikromane (z.B. E.L. James) und zahlreiche weitere Kategorien (natürlich wurde immer nur eine Autorin beispielhaft für jede aufgelistete Branche genannt). Auffällig ist, dass jede Autorin, auch unter den Lesemuffeln, durchaus bekannt ist. Die Kategorisierung „Frauenliteratur“ ist dementsprechend mehr als unangebracht und sollte überdacht werden.
Ebenso könnte man sich die Frage stellen, ob Männer überhaupt befugt wären „Frauenliteratur“ zu verfassen. Ist Nicholas Sparks ein Autor, der nur wegen seines männlichen Genies in der Lage war, seiner natürlichen Ratio zu umgehen, erfolgreich? Könnte man die Literatur von Nicholas Sparks als „Frauenliteratur“ bezeichnen, obwohl er ein Mann ist? Oder sind seine Werke nicht dazu befugt, obwohl er mit seinen Büchern primär die weibliche Leserschaft anspricht?
Aufgrund der in uns bestehenden Dichotomie, dass man stets unter männlich und weiblich unterscheiden muss, werden auch im Literaturbereich klare Grenzen gesetzt. Klare Grenzen in einem Bereich, der vor lauter Freiheit und Kunst nur strotzen sollte.
Dass es sich bei der Thematik um ein aktuelles Problem handelt, beschreibt die Studie #frauenzählen, welche 2018 ins Leben gerufen wurde mit dem Ziel die „Sichtbarkeit von Frauen in Medien- und Literaturbetrieb“ (vgl. http://www.frauenzählen.de/studie_dia- gramme.html) mittels Zahlen und Fakten evident darzustellen. Ein besonderer Fokus lag darauf zu vergleichen, wie häufig Literatur von Frauen und Männern rezensiert wird. Das Ergebnis ist nicht wirklich überraschend, Frauen sind „schockierend unterrepräsentiert“ (Piepgras, 2020).
Warum ist es also so, dass Frauen benachteiligt werden und weniger Anerkennung erhalten? Besonders, weil Frauen nun deutlich präsenter in Medienbetrieben sind und gerade die Leserschaft mehrheitlich von weiblichen Leserinnen geprägt ist.
Ein Grund für das Problem könnte die, zwar veraltete und aber leider noch geltende, Geschlechterdichotome von Jean-Jaques Rousseau sein, der in seinen Abhandlungen über Erziehungen deutlich auf die Abhängigkeiten der Frau zu ihrem Mann hinweisen. Das Bild, das Frauen diese Rollen einnehmen und schreiben, weil sie empfindliche Geschöpfe sind, ist noch heute in den Köpfen der Menschen verankert. Man könnte also das Problem dadurch beantworten, dass es „schon immer so war“, nur möchte man sich ungerne damit abfinden. Die Abwesenheit des weiblichen Geschlechtes ist also seit jeher eine Gewohnheit. Piepgras (2020) bezieht sich deutlich auf die „Erwartungshaltung an die Geschlechter“ und beschreibt somit das tief verwurzelte Problem der patriarchalen Gesellschaft. Während Männer „universal gültige Meisterwerke“ mit der Veröffentlichung eines Buches erschaffen, veröffentlichen Frauen Bücher lediglich zur „Selbstbe- schau[ung]“ (Piepgras, 2020).
Dadurch, dass Frauen später anfingen öffentlich zu schreiben, da sie u.a. andere Bildung erhielten als Männer, sind sie auch seltener in Literaturkanons von Abiturpflichtlektüren aufzufinden. Frauen besitzen weder eine literarische noch kulturelle und gesellschaftliche Tradition (Piepgras, 2020). Die erfolgreichsten Romane waren Werke von Autoren und selbst bekannte weibliche Figuren, wie „Anna Karenia oder Emma Bovary [entstammen aus] reine[r] Männerfantasie“. (Piepgras, 2020). Natürlich wäre eine Lösung einen eigenen weiblichen Literaturkanon zu entwickeln, nur fehlt ihnen Tradition. In der weiblichen Literatur sind keine Autoren wie Schiller, Goethe oder Kafka aufzutreffen, deren Werke, Vorbilder und Ideale man hätte weitergeben können (Piepgras, 2020). Der Frauenliteratur fehlt Tradition, Geschichte, welche sie aufgrund jahrhundertelanger Unterdrückung nicht erschaffen konnte.
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- Arbeit zitieren
- Laura Ballarini (Autor:in), 2021, Die Rolle der Frau im deutschen Literatur- und Kulturbetrieb, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1339729
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