Bereits in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde das erste Mal über das Agenda Setting-Modell gesprochen. „What to think about?“ war die Kernfrage des Modells. Es wurde angenommen, dass durch eine Prioritätensetzung von Seiten der Medien bestimmte Themen bevorzugt behandelt werden, wodurch ihnen eine höhere Wichtigkeit zugeschrieben wird, die auch entsprechend von der Öffentlichkeit wahrgenommen wird. Nach weiterführenden Studien zum Agenda Setting reifte die Vorstellung eines first level agenda setting und eines second level agenda setting heran. Während das Erstere eine genauere Bezeichnung für das Agenda Setting-Modell sein sollte, diente der zweite Begriff zur exakteren Beschreibung der durch das Agenda Setting ausgelösten Prozesse. Die Fragestellung war hier: „How to think about?“. Es geht dabei um die Massenmedien, welche durch eine bestimmte Selektion und Hervorhebung die Aufmerksamkeit der Rezipienten auf ausgewählte Themen lenken können. Die Idee des Priming und Framing war geboren. Zur Untersuchung dieser Aspekte führten Maurer und Reinemann an der Universität Mainz im Jahr 2002 eine Studie durch, welche 2003 mit den Titel „Schröder gegen Stoiber“ veröffentlicht wurde. Dabei wurde die Wahrnehmung und Wirkung des zweiten TV-Duells in einer quasi-experimentellen Untersuchung überprüft und zudem eine Inhaltsanalyse des Duells als auch der Vor- und Nachberichterstattung durchgeführt. Für die folgende Analyse waren die Befragungen direkt vor und direkt nach dem TV-Duell von Bedeutung. Beim zweiten Fragebogen war es also den Teilnehmern nicht möglich, sich durch interpersonale Kommunikation mit anderen Studienteilnehmern auszutauschen. Eine Interpretation der nachfolgenden Ergebnisse im Sinne einer Priming-Wirkung durch das Duell – ohne externe Einflüsse – ist somit möglich. In der vorliegenden Arbeit soll untersucht werden, inwiefern sich die Wichtigkeit der unabhängigen Variablen Parteiidentifikation, Sachkompetenzen-Index und Persönlichkeitseigenschaften-Index auf die Meinung (abhängige Variable) über Schröder beziehungsweise Stoiber durch das TV-Duell, dem Stimulus, veränderten.
[...]
Inhaltsverzeichnis
A. Priming in Fernsehdebatten am Beispiel des zweiten TV-Duells des Bundestagswahlkampfes 2002 zwischen Schröder und Stoiber
1. Einleitung: Agenda Setting und Priming
2. Vorstellung der Studie
3. Kandidaten-Priming und das Ann-Arbor-Modell
4. Fernsehdebatten und die TV-Duelle 2002
5. Wahlkampfjahr 2002: Im Vorfeld der TV-Duelle
6. Methodik der Analyse
7. Ergebnisse der Analyse
8. Schlussfolgerung und Diskussion
B. Anhang
1. Fragebogen 1
2. Fragebogen 2
3. Syntax
4. Wahlabsicht vor und nach dem Duell (in Prozent)
5. Korrelationen zwischen den Items der Persönlichkeitseigenschaften und Meinung für Schröder und Stoiber vor und nach dem Duell
6. Korrelationen zwischen den Items der Sachkompetenzen und Meinung für Schröder und Stoiber vor und nach dem Duell
7. Ausführliche Regressionsanalyse für Schröder vor dem Duell
8. Ausführliche Regressionsanalyse für Schröder nach dem Duell
9. Ausführliche Regressionsanalyse für Stoiber vor dem Duell
10. Ausführliche Regressionsanalyse für Stoiber nach dem Duell
C. Bibliografie
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Visualisierung der Priming-Analyse
Abbildung 2: Ebenen des Kandidaten-Priming
Abbildung 3: Entwicklung der Wahlabsicht 2002
Abbildung 4: Parteiidentifikation
Abbildung 5: Meinung über Schröder vor und nach dem Duell
Abbildung 6: Meinung über Stoiber vor und nach dem Duell
Abbildung 7: Einschätzung der Sachkompetenz Schröders vor und nach dem Duell
Abbildung 8: Einschätzung der Sachkompetenz Stoibers vor und nach dem Duell
Abbildung 9: Einschätzung der Persönlichkeitseigenschaften Schröders vor und nach dem Duell
Abbildung 10: Einschätzung der Persönlichkeitseigenschaften Stoibers vor und nach dem Duell
Abbildung 11: Modelle der multiplen, linearen Regression für Schröder und Stoiber vor und nach dem Duell
A. Priming in Fernsehdebatten am Beispiel des zweiten TV-Duells des Bundestagswahlkampfes 2002 zwischen Schröder und Stoiber
1. Einleitung: Agenda Setting und Priming
Bereits in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde das erste Mal über das Agenda Setting-Modell gesprochen. „What to think about?“ war die Kernfrage des Modells und bezog sich dabei auf die Hypothese, dass die Medien durch die Rahmung von Geschehnissen die Tagesordnung, im speziellen die politische Medienagenda, bestimmen konnten. Es wurde angenommen, dass durch eine Prioritätensetzung von Seiten der Medien bestimmte Themen bevorzugt behandelt werden, wodurch ihnen eine höhere Wichtigkeit zugeschrieben wird, die auch entsprechend von der Öffentlichkeit wahrgenommen wird[1]. Nach weiterführenden Studien zum Agenda Setting reifte die Vorstellung eines first level agenda setting und eines second level agenda setting heran. Während das Erstere eine genauere Bezeichnung für das Agenda Setting-Modell sein sollte, diente der zweite Begriff zur exakteren Beschreibung der durch das Agenda Setting ausgelösten Prozesse. Die Fragestellung war hier: „How to think about?“. Es geht dabei um die Massenmedien, welche durch eine bestimmte Selektion und Hervorhebung die Aufmerksamkeit der Rezipienten auf ausgewählte Themen lenken können[2]. Die Idee des Priming und Framing war geboren. Framing, als Meinungs-Transfer, umzeichnet dabei das Hervorrufen bestimmter Bewertungs- und Interpretationsprozesse bei den Rezipienten durch die Salienz des Themas, also seiner Hervorhebung[3]. Priming, als Attribute-Transfer, diente besonders der Beschreibungen der Konsequenzen des Agenda Setting. Schenk umschreibt Priming wie folgt:
„Fasst man das menschliche Gedächtnis als ein assoziatives Netzwerk auf, in welchem Ideen, Konzepte etc. als Knoten des Netzwerkes gespeichert und mit anderen solchen Ideen über semantische Pfade verknüpft sind, dann kann Priming als Aktivierung solcher Knoten durch externe Stimuli verstanden werden. Ein auf diese Weise aktivierter Knoten dient als eine Art Filter, interpretativer Rahmen oder als Prämisse für die weitere Informationsverarbeitung und Urteilsbildung. Wird ein solcher Knoten aktiviert, erhöht sich dadurch die Wahrscheinlichkeit, daß bestimmte, mit ihm verbundene, Gedanken und Vorstellungen bewusst werden. Substantielle Medienberichterstattung über einen Gegenstand hebt diesen Gegenstand aus den Medieninhalten insgesamt hervor und erleichtert es dem einzelnen, sich Gedanken darüber zu machen. Gleichzeitig wird dadurch sowohl die Breite als auch die Tiefe von entsprechenden Assoziationen beeinflusst. Wie Iyengar zeigt, können solche herausgehobenen Themen die Gedanken und Vorstellungen der Rezipienten derart fokussieren, dass sie zu Kriterien für die Urteilbildung werden.“[4]
Noch enger gefasst, kann man Medien-Priming als Sonderform des eben gegebenen psychologischen Konzepts des Priming verstehen. Hierbei bezeichnet Peter Medien-Priming als den Prozess, in welchem
„(1) massenmedial vermittelte Informationen (als >>Primes<<) im Gedächtnis des Rezipienten verfügbare Wissenseinheiten (2) temporär leichter zugänglich machen. Dadurch erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, (3) dass die nunmehr leichter zugänglichen Wissenseinheiten auch bei der Rezeption, Interpretation oder Beurteilung nachfolgend angetroffener Umweltinformation (dem >>Zielstimulus<<) eher aktiviert und benutzt werden als weniger leicht zugängliche Wissenseinheiten (…).“[5]
Hierbei handelt es sich allerdings nicht um einen reflexhaften oder deterministischen Ablauf: Die Aktivierung und Benutzung der entsprechenden Wissenseinheiten ist umso wahrscheinlicher, je kürzer der Medien-Prime zeitlich zurückliegt beziehungsweise je öfter er auftritt[6]. Hwang erkennt drei Kriterien für das Wirken eines Primes: Verfügbarkeit und Anwendbarkeit (availibility & applicability), Zugänglichkeit (accessibility) und Verwendbarkeit (usability)[7].
Iyengar und Kinder legten 1987 ihr Werk „News That Matters“[8] vor, in welchem sie den Priming-Effekt näher untersuchten. Ausgangspunkt war dabei vor allem die Erkenntnis, dass dieser Effekt in der politischen Kommunikation eine entscheidende Rolle spielt. Priming wurde auf Veränderungen in den Standards, in welchen die Menschen bestimmte politische Einschätzungen treffen, bezogen. Dem einfachen Denken des Individuums im Vergleich zu der komplexen Umwelt, die es umgibt, wurde die Idee unterstellt, dass es seine Vorstellungen auf wenige zentrale Themen aufbaut. Wichtig ist hier, dass Priming nicht als Meinungs-Transfer, sondern als Attribute-Transfer verstanden wurde. In ihrer Studie, die ursprünglich zur Überprüfung der oben genannten Agenda Setting-Hypothese gedacht war, untersuchten Iyengar und Kinder unter anderem die Zusammenhänge zwischen Priming und den Kriterien beziehungsweise Themen, die auf die Einschätzung der Persönlichkeitseigenschaften und Sachkompetenz des amerikanischen Präsidenten wirken. Sie konnten unter anderem nachweisen, dass Priming sowohl bei negativer als auch positiver Konnotation eine Wirkung erzielen kann und dass diese Wirkung ebenso wie das Agenda Setting sowohl von der Nachricht als auch dem Publikum abhängt. Der Priming-Effekt ist dann am stärksten, wenn ein bestimmtes Thema durch die Medien besonders betont wird und dieses Thema dem Publikum besonders zugänglich ist. Iyengar und Kinder kamen zu dem Schluss, dass Priming als Wirkungsfaktor durchaus bestimmen kann, welcher Kandidat als Sieger und welcher als Verlierer aus einem Wahlkampf hervorgeht.
2. Vorstellung der Studie
Zur Untersuchung dieser Aspekte führten Maurer und Reinemann an der Universität Mainz im Jahr 2002 eine Studie durch, welche 2003 mit den Titel „Schröder gegen Stoiber“ veröffentlicht wurde. Dabei wurde die Wahrnehmung und Wirkung des zweiten TV-Duells in einer quasi-experimentellen Untersuchung überprüft und zudem eine Inhaltsanalyse des Duells als auch der Vor- und Nachberichterstattung durchgeführt. Die Panelbefragung wurde vor dem zweiten Duell, direkt danach und mit einem zeitlichen Abstand von vier beziehungsweise fünf Tagen ein drittes Mal durchgeführt.[9]
Für die folgende Analyse waren die Befragungen direkt vor und direkt nach dem TV-Duell von Bedeutung[10]. Beim zweiten Fragebogen war es also den Teilnehmern nicht möglich, sich durch interpersonale Kommunikation mit anderen Studienteilnehmern auszutauschen. Eine Interpretation der nachfolgenden Ergebnisse im Sinne einer Priming-Wirkung durch das Duell – ohne externe Einflüsse – ist somit möglich.
Zum korrekten Verständnis der Ergebnisse ist zu sagen, dass es sich bei der Untersuchung nicht um eine repräsentative Stichprobe oder ein Aggregat der Gesamtbevölkerung handelt, da die Teilnehmer nicht zufällig ausgewählt wurden und die geringe Anzahl an Fällen die Wahrscheinlichkeit von Zufallsschwankungen in den Berechnungen erhöht[11].
In der vorliegenden Arbeit soll untersucht werden, inwiefern sich die Wichtigkeit der unabhängigen Variablen Parteiidentifikation, Sachkompetenzen-Index und Persönlichkeitseigenschaften-Index auf die Meinung (abhängige Variable) über Schröder beziehungsweise Stoiber durch das TV-Duell, dem Stimulus, veränderten (Abb. 1).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Visualisierung der Priming-Analyse
Quelle: eigene Grafik
3. Kandidaten-Priming und das Ann-Arbor-Modell
Bei der Untersuchung des Priming-Effekts in dieser Arbeit wird von einem Modell des Kandidaten-Priming ausgegangen, in welchem die ursächliche Wirkung von der Medienberichterstattung, in diesem Fall vom TV-Duell ausgeht – das Duell als Ganzes wird also als Stimulus gesehen (Abb. 2). Beim Modell des Kandidaten-Priming gibt es verschiedene Ebenen der Wirkung[12]. Auf der ersten Ebene urteilt der Rezipient des Duells über die Sachkompetenzen und die Persönlichkeitseigenschaften des Kandidaten. Je nach Bedeutung einzelner Kriterien erzielen ganz bestimmte Kompetenzen oder Eigenschaften beziehungsweise eher die Sachkompetenzen oder die Persönlichkeitseigenschaften einen stärkeren Priming-Effekt. Auf der zweiten Ebene werden diese beiden Elemente zusammengenommen und der Rezipient entwirft sich ein Gesamtbild vom Kandidaten. Auf einer dritten Ebene werden außer diesem Gesamtbild auch die Parteiidentifikation und themenbezogene Vorstellungen betrachtet, die zusammen zu einer Wahlentscheidung führen können.
Für die folgende Untersuchung ist vor allem die zweite Ebene von Bedeutung. Es soll analysiert werden, inwiefern die Sachkompetenzen und die Persönlichkeitseigenschaften, die während des Duells transportiert wurden, die Meinung über den Kandidaten beeinflusst haben. Als drittes Element wird die Parteiidentifikation hinzugenommen, da diese vorgelagerte, über einen längeren Zeitraum gebildete Neigung das Urteil mit beeinflusst haben dürfte.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2: Ebenen des Kandidaten-Priming
Quelle: Maurer, Marcus/ Reinemann, Carsten: Schröder gegen Stoiber. Nutzung, Wahrnehmung und Wirkung der TV-Duelle. Westdeutscher Verlag: Wiesbaden 2003. S. 33
Hierbei kann auf das Standardmodell der Wahlforschung, dem sozialpsychologischen Ansatz, zurückgegriffen werden. In diesem Sinne ist konkret das Ann-Arbor-Modell des Wählerverhaltens zu betrachten[13]. Das von Campbell, Converse, Miller und Stokes in den 1950er Jahren entwickelte Modell sieht das Wahlverhalten durch „das Zusammenwirken politisch-institutioneller, sozioökonomischer und psychischer Bedingungsfaktoren verursacht“[14]. Einflussfaktoren sind, wie auch in der folgenden Untersuchung, die Parteiidentifikation, die Einstellung zu den Kandidaten selbst (Persönlichkeitseigenschaften) und ihrer Problemlösungsfähigkeiten (Sachkompetenzen). Somit werden direkte Effekte durch einen Stimulus wie das Duell mit vorgelagerten Erfahrungen beziehungsweise Einstellungen verbunden. Diese Vergangenheitsfaktoren führen zu einer subjektiven Wahrnehmung und somit auch Selektion der Inhalte des Duells und müssen daher auch in der nachfolgenden Analyse beinhaltet sein.
Der Einfluss von kurzfristigen beziehungsweise variablen Urteilen über die Kandidaten und Themen wird dabei nicht ausgenommen, aber es wird davon ausgegangen, dass sich die Parteiidentifikation als „langfristig stabile, affektive Bindung an eine politische Partei“[15] auf die Beurteilung der Kandidaten in Form einer selektiven Wahrnehmung, Verarbeitung und Erinnerung prägend auswirkt („Parteibrille“)[16]. Die Parteiidentifikation ist quasi wie ein Mechanismus der Komplexitätsreduktion, welcher die Verarbeitung politischer Informationen und die Meinungsbildung erleichtert. Der steigende Anteil an unentschlossenen Wählern in der deutschen Bevölkerung und die jüngeren Wahlkämpfe mit ihrer sehr intensiven politischen Kommunikation steigern nun aber die Bedeutung von TV-Duellen und machen somit die Untersuchung der zugrundeliegenden Studie überaus lohnenswert[17].
Da längerfristige und kurzfristige Einflussfaktoren im Ann-Arbor-Modell zusammen gedacht werden, ermöglicht es bei den individuellen Einschätzungen in der Studie zu vergleichen, inwiefern sich Einstellungen vor und direkt nach dem Duell unterscheiden und wie stark die Wirkung der Sachkompetenzen, Persönlichkeitseigenschaften und der Parteiidentifikation auf die Meinung über die Kandidaten tatsächlich ist.
4. Fernsehdebatten und die TV-Duelle 2002
Die Untersuchung ist dabei in den geschichtlichen Kontext der TV-Duelle zu stellen[18]. Dabei gelten die Vereinigten Staaten von Amerika als Vorreiter der Fernsehdebatten, wobei es auch in Deutschland bereits vor dem ersten TV-Duell 2002 so genannte Elefantenrunden gab, in welchen die Spitzenkandidaten der Parteien in Fernsehdebatten auftraten. Gerhard Schröder (SPD) trat in einem TV-Duell auf Länderebene bereits 1998 gegen Christian Wulff (CDU) in Niedersachsen an. Da er schließlich Helmut Kohl (CDU) zu einem ersten TV-Duell auf Bundesebene herausforderte, dieser aber ablehnte, konnte sich Schröder der Herausforderung seines Gegenkandidaten 2002, Edmund Stoiber (CSU), nicht entziehen.
Die Thematik des TV-Duells gewann schließlich innerhalb kürzester Zeit eine enorme Eigendynamik und täglich wurden neue Stellungnahmen zu allen denkbaren Details eines Duells veröffentlicht. Schlussendlich einigten sich die Kontrahenten auf zwei Duelle. Am 25.08.2002 fand um 20.30 Uhr das erste 75-minütige TV-Duell im Privatfernsehen – RTL zusammen mit SAT.1 – statt und am 08.09.2002 folgte das zweite Duell, zur selben Uhrzeit und ebenso 75 Minuten lang, im öffentlich-rechtlichen Fernsehen der ARD und des ZDF. Beide Duelle wurden aus dem Studio Adlershof (Berlin) übertragen. Dabei wurden jeweils die sieben gleichen Themen besprochen. Nachdem das erste Duell sehr steril wirkte, weil aufgrund des engen Regelkatalogs keine Diskussionen vorgesehen waren, wurde das Reglement im zweiten Duell lockerer ausgelegt und bewirkte so eine lebhaftere Auseinandersetzung[19].
Allgemein geben Fernsehdebatten mit ihrem konfrontativen Charakter dem Zuschauer die seltene Gelegenheit, den Kandidaten ohne den Selektionsfilter der Massenmedien zu erleben und seine Standpunkte und sein Auftreten in einem längeren zeitlichen Rahmen terminiert wahrzunehmen. TV-Duelle können dabei unter den verschiedensten Bedingungen ablaufen, wobei immer von ausgesprochen komplexen Wirkungsprozessen auszugehen ist[20]. In der folgenden Untersuchung liegt der Fokus darum auf dem Nachweis eines Priming-Effektes.
5. Wahlkampfjahr 2002: Im Vorfeld der TV-Duelle
Zum besseren Verständnis ist es notwendig auf die besonderen Umstände im Wahljahr 2002 hinzuweisen: Die TV-Duelle des Bundestagswahlkampfes 2002 fanden in einem Umfeld wirtschaftlichen Abschwungs statt. Nach der Nominierung Edmund Stoibers zum Kanzlerkandidaten der CDU/CSU verzeichnete die Union einen Anstieg bei der Sonntagsfrage und konnte bis einen Monat vor der Wahl mit einem klaren Vorsprung rechnen. Mit ungünstigen Schlagzeilen zur Bonusmeilenaffäre und dem Rücktritt des damaligen Verteidigungsministers, Rudolf Scharping, stellte sich die Ausgangslage für die SPD überaus schwierig dar und die Wahl schien im August bereits entschieden zu sein (Abb. 3).[21]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3: Entwicklung der Wahlabsicht 2002 (in Prozent)
Quelle: Forschungsgruppe Wahlen: ZDF-Politbarometer. 2002. In: http://www.wahlrecht.de/umfragen/politbarometer/politbarometer-2002.htm. Letzter Zugriff: 20.03.2009.
Zwei Kernereignisse bewirkten aber einen „in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland nahezu [beispiellosen] Stimmungsumschwung“[22]. Außenpolitisch bestimmte der Irakkonflikt die politische Debatte. Die deutschen Parteien und demzufolge auch ihre Spitzenkandidaten mussten immer wieder erläutern, wie sie ihre Politik gestalten würden, wenn die USA gegen den Irak ohne UNO-Mandat, also unilateral, vorgehen würden. Innenpolitisch wurde die inhaltliche Diskussion über die fallenden Wirtschaftsindikatoren und die steigende Arbeitslosigkeit durch die Jahrhundertflut verdrängt. Diese Umweltkatastrophe bestimmte maßgeblich die Medienberichterstattung im Spätsommer.
Schröder gelang es dabei, mit seiner klaren Haltung gegen einen möglichen Irakkrieg, als auch mit seinem tatkräftigen Auftreten während der Flutkatastrophe Pluspunkte zu sammeln. In Sympathie-Umfragen lag er stets vor Stoiber, auch wenn die SPD ihren Rückstand bei der Sonntagsfrage bis zur Wahl nicht vollständig aufholen konnte. Die SPD hatte mit Schröder als Bundeskanzler einen Kandidaten aufgestellt, der als Medienprofi beziehungsweise „Medienkanzler“ geschickt mit den Medien umgehen konnte. Diese Kompetenzen nutzte die SPD durch einen sehr stark personalisierten Wahlkampf. Schröders Rolle im Duell bestand hauptsächlich in der Verteidigung der Regierungsarbeit und dem Werben um eine Fortsetzung des rot-grünen Projekts.
[...]
[1] Schenk, Michael: Medienwirkungsforschung. 2. Auflage. Mohr Siebeck: Tübingen 2002. S. 399 ff.
[2] Ebd.: S. 403 ff.
[3] Ebd.: S. 298 ff.
[4] Siehe Anm. 1: S. 277.
[5] Peter, Jochen: Medien-Priming – Grundlagen, Befunde und Forschungstendenzen. In: Publizistik, Heft 1, März 2002. S. 22.
[6] Ebd.: S. 23.
[7] Hwang, Hyunseo et al.: Applying a Cognitive-Processing Model to Presidential Debate Effects: Postdebate News Analysis and Primed Reflection. In: Journal of Communication 57, 2007. S. 42.
[8] Iyengar, Shanto/Kinder, Donald R.: News that matters. Chicago: Chicago University Press 1987.
[9] Zur Anlage der Untersuchung: Maurer, Marcus/ Reinemann, Carsten: Schröder gegen Stoiber. Nutzung, Wahrnehmung und Wirkung der TV-Duelle. Westdeutscher Verlag: Wiesbaden 2003. S. 55-64.
[10] Siehe Anhang: 1. Fragebogen 1 und 2. Fragebogen 2.
[11] Siehe Anm. 9: S. 61.
[12] Ebd.: S. 32 f.
[13] Falter, Jürgen W./ Schumann, Siegfried/ Winkler, Jürgen: Erklärungsmodelle von Wählerverhalten. In: Aus Politik und Zeitgeschichte. Beilage zur Wochenzeitung „Das Parlament“. B 43/ 89 20, Oktober 1989. S. 8 ff.
[14] Ebd.: S. 8.
[15] Siehe Anm. 9: S. 16.
[16] Ebd.: S. 16.
[17] Ebd.: S. 17.
[18] Siehe Anm. 9: S. 10 ff.
[19] Weitere Ausführungen zu den Details des Duells: Ebd.: S. 40 ff.
[20] Ebd.: S. 25 f.
[21] Siehe Anm. 9: S. 45-48.
[22] Ebd.: S. 46.
- Quote paper
- Renard Teipelke (Author), 2009, Priming in Fernsehdebatten am Beispiel des zweiten TV-Duells des Bundestagswahlkampfes 2002 zwischen Schröder und Stoiber, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/133940
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