Die Arbeit behandelt die Entwicklung der kaiserlichen Flotte und ihres Offizierskorps. Ausschlaggebende dabei die strategische Planung durch Admiral Tirbitz und deren Scheitern. Eingegangen wird inhaltlich auf die britische Seeblockade und Überlegenheit und die daraus resultierende weitestgehende deutsche Inaktivität zur See. Schwerpunkt bildet die Reaktion der Marineführung zum abzusehenden Kriegsende und unter der Gefahr einer kampflosen Auslieferung der Flotte. Die Arbeit setzt sich dahingehend auseinander mit, dem Zustand der Flotte im Jahr 1918, ihrer Stärke und Kampfkraft, den Offizieren und Mannschaften. Schließlich wird ausführlich Bezug genommen auf die Planungen der Marineführung bezüglich der beabsichtigten Schlacht, ihren Erfolgsaussichten und den Ursachen ihrer Verhinderung.
Inhalt
1. Einleitung
2. Beurteilung der Quellenlage
3. Die kaiserlichen deutschen Marine bis 1914
3.1. Die Historie der Flotte
3.2. Strategisches Konzept - Tirpitz Plan und Risikogedanke
3.3. Flotte und Gesellschaft
3.4. Deutsch – englischer Rüstungswettlauf und Dreadnought - Schock
3.5. Scheitern eines Konzepts – Scheitern einer Flotte
4. Das Offizierskorps der kaiserlichen Marine
4.1. Auswahl und Zusammensetzung
4.2. Ausbildung - Drill und Gehorsam
4.3. Privatleben und gesellschaftliche Stellung
4.4. Politische Erziehung und Haltung im Dienst
5. Plan und Realität – Die Hochseeflotte im Weltkrieg
5.1. Skagerrak
5.2. Untätigkeit und ihre Folgen
5.3. Matrosenaufruhr 1917
5.4. Die Lage im Jahr 1918
6. Die Seekriegsleitung wird geschaffen
7. Das Waffenstillstandersuchen und seine Folgen
8. Der Operationsplan Nr. 19
8.1. Planungen und Ziele
8.2. Vorgesehener Verlauf des Unternehmens
9. Aufstand der Matrosen und Scheitern
10. Argumentationen Pro und Kontra - Chancen
11. Beurteilung des Flottenvorstoßes
12. Fazit
13. Literaturverzeichnis / Quellen
14. Abkürzungsverzeichnis
1. Einleitung
„Und wir verrosten im Hafen“, diesen Titel gab Nicolas Wolz seinem 2013 erschienen Werk über die Seekriegshandlungen zwischen dem Deutschen Kaiserreich und Großbritannien in den Jahren 1914 bis 1918. Und dieser Titel steht eng mit dem Hauptinhalt und Forschungsgegenstand der Arbeit in Verbindung. Hinterfragt werden soll in der Problemstellung und die Motivlage, welche hinter dem für Ende Oktober 1918 geplanten Flottenvorstoß der Deutschen Hochseeflotte standen. Zu dieser Thematik wurden seit dem Ende des Ersten Weltkrieges verschiedene Thesen aufgestellt, welche in der Arbeit vorgestellt und gegeneinander abgewogen werden sollen. Beachtung finden sollen dabei auch die Herangehens– und Betrachtungsweisen in den verschiedenen historischen Zeitabschnitten, in denen die Thesen aufgestellt wurden, sowie die damit in Verbindung stehenden politischen Hintergründe.
Um die Thesen eingehend bewerten zu können macht es sich notwendig die Situation der Deutschen Flotte und auch die ihres Offizierskorps sowie die geschichtliche Gesamtentwicklung der kaiserlichen Marine darzustellen. Begonnen wird deshalb mit der Gründungsabsicht, die hinter der deutschen Marineentwicklung stand. Die Rolle Kaiser Wilhelms II. wird dabei als ebenso wichtig angesehen wie die Einbeziehung der Einflussnahme seines Admirals Adolf von Tirpitz. Dessen Ideen und sein seestrategisches Gesamtkonzept haben maßgeblich zum späteren Scheidern der deutschen Flotten – und Großmachtpläne beigetragen. Sie waren bestimmend für Planung und Einsatz der deutschen Seestreitkräfte vor und während des Krieges und sie bedingten schließlich deren Misserfolg. Der Historie der kaiserlichen Flotte wird deshalb in der Arbeit ein entsprechender Raum zugestanden.
Daraus ableitend wird in der Arbeit auch auf die als wichtig angesehene Problematik des deutschen Seeoffizierskorps eingegangen. Die Darstellungen zu Auswahl, Ausbildung, gesellschaftlicher Stellung und nicht zuletzt der politischen Ausrichtung dieses Korps wird für die Bewertung der Oktoberereignisse 1918 als besonders relevant angesehen.
Raum wird in den nachfolgenden Abschnitten der Behandlung der Situation der Hochseeflotte zu Beginn und während des Verlaufes des Krieges zu geben sein. Während des gesamten Ersten Weltkrieges litt die kaiserliche Flotte unter der nun sichtbaren verfehlten Einsatzstrategie eines Tirpitz und sie war während des Krieges auch nicht in der Lage sich aus diesem Dilemma zu befreien. In Konsequenz wandte sich die deutsche Marine dem uneingeschränkten U – Boot Krieg als einzigen erfolgversprechenden Kampfmittel gegen Großbritannien zu. Dies führte zu einer praktischen Degradierung der Schlachtflotte, der bei Tirpitz kriegsentscheidende Bedeutung zugemessen wurde, zu einer Unterstützungswaffe für die nun den eigentlichen Seekrieg tragenden U – Boote. Eingegangen werden soll auf die daraus resultierende Inaktivität der Großkampfschiffe und deren Folgen. Ebenso auf spätere Umstrukturierung der Marineführung bis hin zur Bildung der Seekriegsleitung unter Admiral Scheer. Es erscheint nötig diesen Themen angemessene Bedeutung einzuräumen da die Ereignisse Ende Oktober in maßgeblicher Verbindung zu diesen Fragen stehen. Aus der erzwungenen Einstellung des U – Boot Krieges wird sich für die Marineführung ein Argument für ihre Vorstoßpläne ableiten. Zu behandeln ist bezogen auf diesen entscheidenden Zeitraum auch das Verhältnis der Seekriegsleitung zu Kaiser und neuer Reichsregierung sowie zur Obersten Heeresleitung.
Zu behandeln ist dabei auch die Gesamtlage des Reiches im Jahr 1918. Mit dem Scheitern der letzten deutschen Offensive an der Westfront im Frühjahr wurde das Eingeständnis in die militärische Niederlage unabwendbar. Es folgte die Forderung der Heeresleitung zur Ausnahme von Friedensverhandlungen mit den Alliierten und in der Konsequenz auch eine Veränderung des bestehenden Regierungssystems. Die Ergebnisse der nachfolgenden Entwicklung werden als maßgeblich für die folgenden Planungen der Seekriegsleitung angesehen und müssen deshalb einbezogen werden. Auch das spätere Scheidern des geplanten Unternehmens steht in einem engen Zusammenhang mit diesen Ereignissen. Dabei ist auch nicht außer Acht zu lassen das sich die Probleme und Schwierigkeiten der deutschen Marine schon während der Augustunruhen von 1917 abzuzeichnen begannen. Deshalb ist vorzustellen worin die hauptsächlichen Ursachen für diese Revolte zu sehen sind. Sie werden sich im Oktober 1918 verschärfen und weitere Motive hinzugewinnen.
Besondere Beachtung für die Problemstellung der Arbeit soll die Vorstellung und Bewertung der zum geplanten Flotteneinsatz aufgestellten Thesen finden. Vorab hier die Nachkriegsbehauptung der Einsatz wäre militärisch gerechtfertigt gewesen und hätte der Unterstützung des Heeres gegolten. Daneben wird auch die Meinung vertreten der Angriffsplan der Flotte habe politische Ziele verfolgt. Vordergründig dabei das Sabotieren des laufenden Verhandlungsprozesses und der Friedensbemühungen. Einhergehend damit der Beabsichtigte Sturz der neuen Reichsregierung unter Max von Baden. Die Beseitigung der eingeleiteten politischen Reformen und eine mögliche Militärdiktatur. Ziel dabei auch, die Fortsetzung des Krieges durch Motivation des Volkes und der Armee nach einem militärischen Fanal zur See.
Diesbezüglich wird in einem Abschnitt auch das Kräfteverhältnis zwischen den Seekriegsgegnern zu behandeln sein. Die Betrachtung von Ergebnissen und Folgen der einzigen großen Seeschlacht des Krieges zwischen den Schlachtflotten, der Schlacht im Skagerrak, sind hier einzubeziehen da sie als maßgeblich für spätere Wertungen angesehen werden.
Auch die These das der Hauptgesichtspunkt des geplanten Vorstoßes auf die Ehrenrettung der Marine, der Stellung und Zukunft ihres Offizierskorps und der Schaffung von Grundlagen für eine erneute maritime Aufrüstung Deutschlands nach dem verlorenen Krieg abzielte soll behandelt werden.
Schließlich ist auf die Frage einzugehen, ob das ganze Unternehmen das Ziel verfolgte, in einer Art Selbstmordaktion, lieber kämpfend mit der Flotte unterzugehen als diese zur Auslieferung den Kriegsgegnern überlassen zu müssen.
Welche Autoren und Vertreter sich im Besonderen zu den zu behandelnden Thesen äußern, diese vorstellen oder diese verwerfen soll innerhalb der Arbeit vorgestellt werden.
Zum Abschluss der Arbeit soll ein Fazit der gewonnenen Erkenntnisse bezogen und dabei auch versucht werden zu bewerteten, ob und welche Chancen sich dem geplanten Unternehmen aus damaliger wie aus heutiger Sicht geboten hätten. Dabei ist darzustellen welche Schlussfolgerungen sich daraus für die gesamte Motivlage des Vorstoßes ergeben. Der Autor will hier versuchen eine eigene Stellungnahme zu dem Forschungsthema zu beziehen welche sich aus den zusammengetragenen Erkenntnissen der Arbeit ableitet und dies zu begründen. Zu bewerten ist im Fazit ebenfalls, ob sich aus den Ergebnissen Schlussfolgerungen und weitere Forschungsansätze ergeben und welche aufgeworfenen Fragen möglicherweise einer weiteren und tiefgründigen Bearbeitung bedürfen.
2. Beurteilung der Quellenlage
Bei dieser Bewertung muss vorangestellt werden das die Thematik des geplanten Flottenvorstoßes im Oktober 1918 in engen Zusammenhang mit den noch folgenden Ereignissen steht, welche von dessen Verhinderung ausgelöst wurden. Gemeint damit die Marinerevolte in Wilhelmshaven, nachfolgend der Matrosenaufstand in Kiel und schließlich die deutsche Novemberrevolution, welche zum Sturz des Kaiserreiches führte. Da diese Ereignisse erst vor kurzem ihr 100-jähriges Jubiläum begingen wurden viele neue Werke dem Thema gewidmet, andere neu aufgelegt.
Auf Grund der historischen Tragweite und Relevanz dieser Ereignisse wurde seither auch dem Flottenvorstoß selbst sowie seiner Verhinderung in Bewertungen ein breiterer Raum eröffnet. Zumindest auch im Vergleich dazu, dass dem Kampf zur See während des Ersten Weltkrieges, vielleicht abgesehen von der Skagerrakschlacht und von der Thematik U-Boot-Krieg, gegenüber dem Landkampfhandlungen bisher ein nur begrenzter Raum zuteilwurde.
Insbesondere nach dem Krieg stand die Behandlung des Themas innerhalb der Auswertung der Ursachen der Kriegsniederlage und der damit in Verbindung gebrachten militärischen und vermeintlichen politischen Ursachen im Fokus. Maßgeblich zu nennen sind hier die Dokumente des Reichstagsuntersuchungsausschusses und der hier vorgebrachten Gutachten. Bezüglich der Historie der Flotte und dieser Nachkriegsbetrachtungen sollen auch Publikationen namhafter damaliger Beteiligter herangezogen werde. Zu beachten bleiben bei diesen immer die erkennbaren Bemühungen zur Darstellung der eigenen Handlungsmotive und das Bestreben der Rechtfertigung. Dennoch stellen sie eine wichtige Quelle zur Bewertung der Ereignisse dar.
Im Weiteren liegen Dokumentationen vor, welche von damals aktiv einbezogenen Personen stammen. Genannt werden sollen hier die Tagebuchaufzeichnungen des Matrosen Richard Stumpf, Erinnerungen des Seeoffiziers Erich von Weizäcker und auch die Gerichtsprotokolle der Ende Oktober nach der Revolte in Wilhelmshaven inhaftierten Mannschaftsangehörigen. Zu nennen sind auch die Dokumentensammlungen zum Ereignisszeitraum. Nicht zuletzt auch die Materialien des Bundesarchives – Marinearchives.
Da in der Arbeit häufig auf sein Werk eingegangen werden wird ist auch auf Gustav von Schoultz zu verweisen. Dieser russische Marineoffizier verbrachte Jahre bei der britischen Grand Fleet, nahm an der Skagerrakschlacht teil und gibt insbesondere Hinweise auf technische und taktische Fragen sowie zu den englischen Veränderungen in folge der Schlacht.
Bei der Sichtung der vorhandenen Literatur und unter Beachtung der geschichtlichen Ereignisse hat sich bereits die Bewertung abzeichnete das eine wirkliche historische Bearbeitung der Thematik erst nach dem Ende des 2. Weltkrieges begonnen hat und als Forschung ernsthaft betrieben wurde. Aus diesem Grund wird der Schwerpunkt auf diese Nachkriegsliteratur gelegt, in welcher einige namhafte Autoren sich ihr annehmen.
Der Autor der Arbeit hat sich bemüht auch angelsächsische Quellen in diese einzubeziehen, wobei sich zum Teil gegensätzliche Betrachtungsweisen zur Thematik ergaben aber auch Bereicherungen erzielt werden konnten.
Beachtenswert auch, dass es aus der ehemaligen DDR praktisch keine Forschungsmaterialien zur Thematik gibt. Zwar liegen Marinearbeiten über den Erster Weltkrieg vor, diese behandeln aber vorrangig den Matrosenaufstand in Kiel sowie die nachfolgende Revolution und sind ideologisch geprägt. Ein Beispiel dafür, wie die Betrachtungen geschichtlicher Ereignisse von den gesellschaftlichen Verhältnissen beeinflusst werden können.
Wie schon in der Einleitung angesprochen soll es der Arbeit selbst überlassen bleiben die Haltung und Stellungnahme einzelner Autoren zum Hauptinhalt der Forschungsfrage vorzustellen.
3. Die kaiserlichen deutschen Marine bis 1914
Um die Ereignisse des Oktober 1918 umfassend analysieren zu können ist es notwendig das Augenmerk auch auf die die geschichtliche Entwicklung der deutschen Marine zu richten. Viele der Ereignisse und Pläne des Jahres 1918 lassen sich nur verstehen und nachvollziehen, wenn die in diesem Abschnitt zu behandelnden Hintergründen eingehend betrachtet werden. Sowohl die politischen Gründe der Flottenentwicklung, die machtpolitischen Ziele, Flottenstrategie, die beteiligten Interessengruppen und auch die Gesamtgesellschaftlichen Auswirkungen greifen hier ineinander und führen letztendlich kausal zu den in der Arbeit behandelten Thema.
3.1. Die Historie der Flotte
Die Marine spielte in den Jahren vor der Reichsgründung nur eine unbedeutende Rolle in den deutschen Staaten. Auch maritime Traditionen waren rar. Bestenfalls ließ sich noch auf den seemächtigen Bund der Hanse zurückblicken, den brandenburgischen Versuch einer Flottengründung oder die Pläne einer deutschen Bundesmarine. In der Phase der kolonialen Aufteilung der Welt und der beginnenden Industrialisierung verhinderte die territoriale Zerrissenheit des deutschen Staatsgebietes alle weiterführenden Ambitionen. In den Einigungskriegen bis hin zum deutsch – französischen Krieg von 1870/71, spielte das, was an kriegerischer Macht zur See vorhanden war keinerlei Rolle oder verharrte untätig in den Häfen. Auch mit der Reichsgründung änderte sich nur wenig und dies langsam und ohne wirkliche Planung. Die kleine kaiserliche Flotte wurde anfänglich von Offizieren des Heeres geführt, ein klares Programm der Entwicklung war weder vorhanden noch wurde ernsthaft danach gesucht. Bismarcks anfänglicher Widerstand gegen alle kolonialen Erwerbungen des Reiches unterband bis in die 1880ziger Jahre größere überseeische Aktivitäten und wandelte sich erst nach der Kehrtwendung des Kanzlers. Um Deutschland Seepolitik radikal zu verändern, bedurfte es des Zusammentreffens und gemeinsamen Wirkens zweier historischer Persönlichkeiten. Eines neuen deutschen Kaisers und seines Admirals. Mit der Thronbesteigung Kaiser Wilhelm II. kam ein Monarch an die Spitze des Reiches dessen Marinebegeisterung schon auf seine Jugend zurückzuführen ist. Als Enkel der englischen Königin Victorias stand Wilhelm die britische Seemacht vor Augen. Bekannt ist das der damalige Prinz an Paraden der Royal Navy teilnahm und sich früh maritim interessierte. Als Kaiser mit nahezu unbegrenzter Macht bot sich ihm die Gelegenheit diesem Interesse Ausdruck zu verleihen. Da Wilhelm dieses Interesse mit dem Gedanken an überseeische Erweiterung seines Reiches verband wurde der Flottengedanke bedeutsam. Lediglich über die Struktur, Aufbau und Stärke bestand weiter Unklarheit. In den Industriestaaten herrschten hierzu allgemein unterschiedliche Auffassungen. Während einige den Schwerpunkt in Großkampfschiffen sahen setzten andere auf schnelle und bewegliche Einheiten bzw. gaben dem Küstenschutz den Vorrang. Oder sie vertraten eine Mischung aus beiden. Abgeleitet von den Kolonialplänen schloss der Kaiser sich der Kreuzeridee an. Mit diesen schnellen, relativ gut bewaffneten Schiffen mit vertretbarer Reichweite sollten die Übersee und Handelsinteressen des Reiches Schutz erhalten. Gleich mehreren Problemen standen Wilhelms Reich dabei entgegen. Deutschland hatte auf Grund seines späten Eintritts in die Kolonialpolitik nur wenige, noch dazu kaum lukrative, Gebiete gewinnen können. Desto übersichtlicher ein mögliches Stützpunktnetz für die deutsche Kreuzerflotte. Des Kaisers Hauptproblem bildete jedoch die Finanzierung, einer nach seinen Vorstellungen möglichst großen Flotte. Der Deutsche Reichstag beschloss den jährlichen Finanzetat und das Budget genügte nie für das Gewünschte. Noch dazu agierten die von Wilhelm eingesetzten Staatssekretäre und Marineführer vor dem Parlament ungeschickt und wenig überzeugend. Die meisten Abgeordneten hielten die kaiserlichen Flottenpläne daher für eine monarchische Marotte ohne viel Nutzen für das Reich und strichen die Wünsche zusammen. Fast wäre es darüber sogar zum offenen Bruch zwischen Kaiser und Reichstag gekommen. Nach Wolz (2013, S. 28) waren es die erwähnten unklaren Vorstellungen, welche den ständigen Etatstreit auslösten. Ein verunsicherter Reichstag stellte sich die Frage, was will der Kaiser? Der Abgeordnete Eugen Richter vertrat eine Ansicht, welche die meisten seiner Kollegen teilten, des Kaisers Pläne enden im „Uferlosen“. (Wolz, 2013, S.29)
3.2. Strategisches Konzept - Tirpitz Plan und Risikogedanke
Eine Änderung in all diesen Fragen zeichnete sich durch das Zusammentreffen des Kaisers mit einem Marineoffizier ab dessen späterer Ruf als Baumeister der kaiserlichen Flotte als gerechtfertigt angesehen werden kann.
Adolf von Tirpitz, geboren 1849, wurde 1865 Marinekadett und nahm anfangs die übliche Laufbahn eines Seeoffiziers. Genügen soll hierzu, dass der technisch aufgeschlossene und versierte Offizier ab 1886 die Funktion des Inspektors der Torpedowaffe übernahm und maßgeblichen Anteil an der Weiterentwicklung dieser Waffen und deren Schiffe nahm. In dieser Funktion erhielt er erstmals auch Gelegenheit beim Kaiser Vortrag über seine Ansichten zu technischen, taktischen und strategischen Entwicklungen zu halten. (Vergl. Salewski, 1979, S. 24)
V.R. Berghahn verweist (1971, S. 46) darauf, dass es hier nicht ein rein deutsches Problem gab. Die stürmische technische Weiterentwicklung des Schiffsmaterials Ende des 19. Jahrhunderts brachte grundlegende Veränderungen mit sich. Den Wandel von Segel zum Dampfantrieb welcher die Schiffe unabhängiger vom Wetter machte, aber auch abhängig von Kohlenstationen. Die Verstärkung der Artillerie Bewaffnung, welche die Gefechtsentfernungen vergrößerte, Schließlich der Ersatz von Holz als Baumaterial durch Eisen und Stahl. Hinzu kamen die Erprobung und erster Einsatz neuer Waffen, von Torpedo und Mine und deren Trägern. Schließlich das U-Boot. All diese Veränderungen erzwangen auch neue taktische und strategische Vorstellungen. Auch Tripitz hatte sich einer solch neuen Vorstellung bedingungslos angeschlossen. Nach Sebastian Rojek (2017, S. 59) hatte Tirpitz schon zwischen 1892 und 1895 seine Positionen über die zukünftige Struktur der kaiserlichen Flotte entwickelt und in mehreren Druckschriften Pläne zur seemilitärischen Aufrüstung der Flotte vorgestellt. Diese hatten zum Ziel die Flotte zu einem Mittel auszubauen welches Deutschland den Weg zu einer international geachteten Weltmachtstellung ebnen würde. Tirpitz schloss sich, wie auch die Seeoffiziere anderer Nationen, in seinem Grundgedanken der Seemachtideologie des US-amerikanischen Marinestrategen Alfred Thayer Mahon (1840 – 1914) und der von dieser geprägten Theorie des Navalismus an. In dieser formuliert Mahon die Auffassung, dass sich einer Nation nur über die maritime Aufrüstung und in diesem Zusammenhang durch Expansion die Möglichkeit eröffnet, zur Seemacht und damit zur Weltmacht aufzusteigen. Zwischen See -und Weltmacht besteht demnach ein kausaler Zusammenhang. Ein Staat, der zur See nichts gelte, sei in der modernen Welt zum Untergang verurteilt. Sowohl Tirpitz als auch sein Kaiser sahen in diesen Grundaussagen Deutschlands Zukunft. Sie fielen laut Rojek auch deshalb auf so fruchtbaren Boden da sich zu dieser Zeit die Industriestaaten in einem kollektiven Wettlauf um Rohstoffquellen und Absatzmärkte befanden und diese Interessen mit einer Zukunft in Übersee verbanden. Mahons Hauptwerk „Influence of seapower upon“ ließ Tirpitz übersetzen und 8000 Exemplare innerhalb und außerhalb der Marine verteilen, um Mahons Ideen zu verbreiten. Insbesondere das Seeoffizierskorps sollten auf Mahons strategische Linie eingeschworen werden. Demzufolge blieben dem Kaiserreich nach Tirpitz nur zwei Optionen, Weltmacht oder Untergang.
Nach Rojek (2017, S. 61f) sah man diese Theorie im Reich insbesondere auf das wirtschaftlich erstarkende Deutschland zutreffen. „Ein zunehmender Überseehandel erfordert zwangsläufig eine starke Flotte zum Handelsschutz.“ Und bei Mahon steht dabei die Schlachtflotte als Entscheidungsträger in einer großen Seeschlacht vordergründig. Dies machte sich auch Tirpitz zum Programm. Schließlich gelang es ihm auch seinen Kaiser von dessen Kreuzerkriegsplänen abzubringen und von seinen Vorstellungen einer Hochseeflotte zu begeistern. Das bisherige Sammelsurium von Schiffstypen sollte durch die Konzentration auf den Bau von Schlacht- und Linienschiffen beendet werden. Ein Kreuzerkrieg wäre schon durch die geostrategische Lage und die fehlenden überseeischen Stützpunkte der Landmacht Deutschland zum Scheitern verurteilt. Die vielleicht einmal alles entscheidende Schlachtflotte sollte, gemäß den strategischen Überlegungen welche Tirpitz amtlich am 16.06.1894 niederlegte, in jedem Fall offensiv eingesetzt werden. „Die Flotte sollte demnach so eingerichtet werden, dass ihre höchste Kriegsleistung zwischen Helgoland und der Themse entfaltet werden kann.“ (siehe Rojek, S.62) Dies sollte für die kaiserliche Marine Programm werden. Mehr noch, Tirpitz erhob es zum alleinigen Dogma.
Um den Weg dahin allerdings auch finanziell zu sichern, bedurfte es der Überzeugung und Gewinnung des Reichstages. Auch hierin erwies sich Tirpitz geeigneter als seine Vorgänger. Volker R. Berghahn legt in seinem Werk „Der Tirpitz-Plan“, die Prämissen dar welche sich Tirpitz für den Flottenausbau setzte. „Eine Änderung der Baupolitik war unbedingt notwendig … Doch hatte sie im Reichstag nur dann eine Chance, wenn sie in irgendeiner Weise plausibel strukturiert und auch für Laien plausibel begründet war.“ (Berghahn, 1971, S. 81) Nach Berghahn wurde die Durchsetzung von Tirpitz Absichten durch den Zickzackkurs und die Planlosigkeit seines Vorgängers Hollmann ermöglicht. (Ebenda, S.82) Die Mehrheit der Abgeordneten fand es demnach immer leichter einen halbwegs einsichtigem Flottenplan zu akzeptieren, und diesen bot Tirpitz. Mit seiner Ernennung zum Staatssekretär des Reichsmarineamtes gewann Wilhelm II. zum einen den Erbauer seiner Flotte und zum anderen den politischen Strategen zur Gewinnung der notwendigen Mehrheit im Parlament. Und damit zur Bereitstellung der notwenigen Mittel zur Schaffung der maritimen Macht des Reiches. Es erübrigt sich in der Arbeit im Einzelnen auf die Methoden einzugehen welche zu den beiden Flottengesetzen sowie zu den diese ergänzenden Novellen, führten. Hierzu haben sowohl Berghahn in „Der Tirpitz-Plan“ (1971. S. 108-114) als auch Rojek in „Versunkene Hoffnungen“ (2017, S.71ff) eingehende Darlegungen vorgestellt. Auch die Rolle der Flottengesetze, die schließlich zur Entmündigung des Parlaments führt, wird bei Berghahn (S. 111 – 114) ausführlich behandelt.
Welche militärstrategischen Ziele wurden der neugeschaffenen Flotte nun gesteckt? Historisch wurden die Vorstellungen des Staatssekretärs und des Kaisers im sogenannten Tirpitz – Plan zusammengefast. Fraglich bleibt bislang, ob beide die Auswirkungen und Folgen des Planes, sowohl in ihrer militärischen als auch politischen Gänze überblickten. Dabei war auch bald überholt das es sich bei den möglichen Seegegnern um eine Koalition zwischen Frankreich und Russland handeln würde. Immer mehr trat bei den Überlegungen Großbritannien an die Stelle des maritimen Hauptgegners.
Walther Hubatsch vertritt die Ansicht das Tirpitz noch nicht einmal zu den radikalsten Flottenenthusiasten zu zählen sei. (Hubatsch, 1955, S.80) Nicolas Wolz hingegen sieht in ihm dagegen die entscheidende und treibende Kraft, was den Flottenbau Deutschlands betrifft. (2013, S. 30) Dagegen hält Wolz den Tirpitz- Plan selbst für nicht offensiv ausgelegt. Tirpitz Absicht, „die Flotte muß mindestens so stark sein, daß das Risiko sie anzugreifen für den `seemächtigsten Gegner` mit derartigen Gefahren verbunden ist, daß seine eigene Machtstellung in Frage gestellt wird.“ Gegenüber England plante Tirpitz ein Kräfteverhältnis von 2 zu 3. Praktisch sollte mit seinen Planungen Großbritannien dazu gezwungen werden dem deutschen streben nach Geltung und Weltmachtstellung zumindest eine Duldung entgegen zu bringen. Admiral von Trotha (1930, S. 19) dazu, „die deutsche Flotte nicht vernichtete werden würde, ohne dass in diesem Ringen England Weltmachtstellung zerbrochen wäre“ …England brauchte Übermacht vorher und gerade auch nachher, darin lag schließlich der Ausgleich, darin lag die Siegkraft des Tirpitzschen Risikogedankens … Das Weltreich Großbritannien konnte mit einer wesentlich geschwächten Flotte nicht aufrechterhalten werden.“ Und Hubatsch formuliert hierzu, „für England sollte Krieg mit Deutschland jeder Zeit ein Risiko sein.“ (1955, S.17) Ziel also, keine offene Konfrontation mit dem Rivalen England, sondern Schaffung einer maritimen Macht deren alleiniges Vorhandensein die Briten zwingen sollte einen Konsens mit dem Reich zu suchen und zu Zugeständnissen bereit zu sein. Rojek (2017, S. 62) sieht die deutsche Flotte im Rahmen des Risikogedankens auch eher als Druck- denn als reines Kampfmittel. Demnach, „Tirpitz plante eine Flotte, die so stark sein sollte, dass England die Entscheidungsschlacht zwar knapp gewinnen könnte, jedoch so geschwächt sein würde, dass es die Früchte des Sieges nicht mehr ernten könnte, folglich vor dem Risiko eines Angriffes zurückschrecken würde …“
Festzustellen bleibt, dass bei den deutschen Planungen das Dogma der Entscheidungsschlacht, ob nun als erzwungener offensiver Vorstoß oder als ständige Drohung, der Grundgedanke bei Tirpitz und in seiner gesamten Seestrategie war. Schon 1896 vertrat er gegenüber Admiral von Stosch die Ansicht, dass, wenn die Flotte sich behaupten, wolle ein schnelles Schlagen unabdingbar wäre. Dazu notwendig, die Elektrisierung der Marine zur Offensive. (Vergl. v. Trotha, 1930, S. 17) Für den Hauptschwerpunkt der Arbeit wird diese häufig zu findende Überbetonung der alles entscheidenden Schlacht noch zu beachten sein.
3.3. Flotte und Gesellschaft
Auch das Vorgehen von Tirpitz bei der Durchsetzung seines Flottenprogramms und dessen Verankerung in allen Bereichen der Gesellschaft hat für die Arbeit erhebliche Bedeutung. Zum einen betrieb Tiipitz gezielt eine umfassende Überzeugungsarbeit für sein maritimes Programm. Wie Rojek ausdrückt, „Zu diesem Zweck entfachte er [Tirpitz] einen in Deutschland bisher unbekannten Propagandaaufwand, den das Nachrichtenbüro im Reichsmarineamt steuerte.“ (Rojek, 2017, S. 73) Dieses Nachrichtenbüro wurde im Juni 1897 auf Tirpitz Veranlassung gegründet und der Leitung von August von Heerigen unterstellt. Seine Aufgaben bestanden (Ebenda 2017, S. 74f) darin, die Propaganda auf bestimmte Gesellschaftsgruppen abzustimmen und diese so für die Marine zugewinnen. Deist fast dessen Einfluss dahingehend zusammen, „Insgesamt arrangierte die Flotte bis 1914 zu einem Symbol, daß sich als umfassend und zugleich flexibel genug erwies, um die unterschiedlichsten politischen und gesellschaftlichen Traditionen und Erwartungen an sich zu binden und zu integrieren“. (Deist, 1970, S.15). Neben diesen Propagandaaufgaben betätigte sich das Nachrichtenbüro auch erfolgreich als Instrument zur Niederhaltung jeglicher internen Opposition gegen die Pläne und Vorstellungen der Tirpitzschen Flottenpolitik. Der Admiral und Direktor der Marineakademie Curt Freiherr von Maltzahn gehörte zu ihr. Er lehnte sowohl Tirpitz strikte Übernahme der Mahonschen Theorien ab und kritisierte sie in Vorträgen und Aufsätzen. Tirpitz ließ daraufhin Arbeiten Maltzahns und auch die anderen Seeoffiziere durch das Nachrichtenbüro prüfen und gegebenenfalls unterbinden. Es entwickelte sich eine regelrechte Zensur. Auch Aufsätze, welche inkognito der Presse zugespielt wurden und der offiziellen Linie des Staatssekretärs entgegenliefen wurden mit Hinweis auf „Verstöße gegen die Geheimhaltung“ gesperrt. Laut Rojek wurde auch Vizeadmiral Karl Galster welcher ebenfalls Tirpitz Strategie als verfehlt anmahnte und als noch gefährlicher als Maltzahn galt, erheblich unter Druck gesetzt. Da Galster zwei Söhne hatte, die in der Marine dienten, war er persönlich angreifbar. Galster hatte einerseits auf die Gefahr verwiesen das der eingeschlagene Kurs zwangsläufig zur Konfrontation mit England führen müsse. Auch lehnte er Tirpitz Konzept der Konzentration auf eine Entscheidungsschlacht ab. Galster, „Auf Grund der hohen Erwartungen werde die Schlacht im Ernstfall schon allein deshalb gesucht werden müssen, um die Enttäuschung der Bevölkerung abzufedern, ohne dass der strategische Nutzen überhaupt bedacht wird.“ Laut Galster wäre mit einer großen Enttäuschung des Volkes zu rechnen, wenn es schließlich nicht zu der mit großem propagandistischem Aufwand angekündigten Schlacht käme. Die Erwartungshaltung würde zu hochgezüchtet. Dabei wäre die Schlachtflotte in einem Krieg gar nicht in der Lage den deutschen Seehandeln zu schützen oder eine Blockade abzuwenden. (Vergl. Rojek,2017, S.80-82) Es sollte sich erweisen das Galster mit seinen Befürchtungen realistischer lag als Tirpitz. Niederrangigeren Offizieren als ihm wurde schon durch dienstliche Maßregelungen in der Flotte jede Kritik opulent. Nach dem Krieg wird Galster als Gutachter im Untersuchungsausschuss des Reichstages noch hierzu gehört werden. In der Arbeit wird noch darauf eingegangen. Vorläufig jedoch war der Admiral gezwungen seine Opposition einzustellen. Damit würgte Tirpitz alle Bedenken gegen seine Strategie in der Vorkriegszeit rigoros ab.
Insgesamt erwiesen sich aber die von Tirpitz eingeleiteten Maßnahmen als sehr erfolgreich. Gefördert und gelenkt wurde unter anderem auch die Gründung des deutschen Flottenvereins in welchem nach Rojek (2017, S. 75), „ein starkes Übergewicht der am Flottenbau interessierten Schwerindustrie“ vorherrschte. Dieser sollte im Sinne des Nachrichtenbüros arbeiten, also die Propaganda der Marine wahrnehmen und vertreten, den Konsens bewirken, „dass das Flottenprogramm und die Seerüstung einen breiten Wiederhall in der Bevölkerung habe.“(Ebenda) zeitweise schossen die Aktivitäten des Vereins sogar über das gewünschte Ziel hinaus und drohten Tirpitz politisches Taktieren zu gefährden. Es machte sich schließlich notwendig durch Personalveränderungen an der Spitze des Vereins die Linie wieder herzustellen. Die von ihm erwartete Wirksamkeit entfaltete er jedoch. Um 1914 betrug seine Mitgliederzahl 1 Million. Auch Seeoffiziere kamen zum Einsatz bei den umfassenden Aktivitäten. Sie unternehmen Vortragsreisen im Reich und unterstützten Zeitungsartikel, in welchen die Marinerüstung positiv beurteilt wurde. Gefördert wurde maritime Literatur, Flottenspiele bis hin zu Spielzeugen und der bekannt gewordenen Matrosenkinderkleidung. (Vergl. Rojek, 2017, S. 76)
Natürlich fand der Flottenbau in allen Kreisen der Industrie und des Handels ohnehin schnell begeisterten Widerhall. Zu offensichtlich wogen die zu erwartenden Vorteile. Eisen- und Stahlindustrie, die Werften und der Schiffsbau mit seiner Zulieferindustrie, nicht zuletzt die Reedereien und Handelsunternehmen bekundeten ihre Zustimmung. Und mit ihnen schließlich ihre Vertreter im Reichstag welche auch unter dem wachsenden öffentlichen Druck ihre Widerstände aufgaben. Letztlich stand nur noch die Sozialdemokratie in bröckelnder Opposition. Tirpitz Argumente der Vollbeschäftigung, des Wirtschaftswachstums und der Konjunkturbelebung wogen schwer. Noch schwerer das mithin die soziale Lage der Arbeiterschaft von der Entwicklung profitieren würde. Und noch ein entscheidendes Argument führte Tirpitz an. Sein Flottenprogramm solle ohne Steuererhöhungen nur in Folge des allgemeinen wirtschaftlichen Aufschwunges finanzierbar sein.
Es sollte schließlich insbesondere das Bildungsbürgertum sein, welches sich den Marineplänen begeistert öffnete. Fast alle deutschen Professoren gaben ihre Unterstützung kund. Schottelius/Deist sprechen von „Flottenprofessoren“ Selbst bei Hans Delbrück klingt die Tirpitzsche Theorie an. Delbrück 1909, „So große Völker wie die Deutschen und Franzosen müssten einen ihrem inneren Wert entsprechenden Spielraum auf dieser Erde behalten. Diesen Spielraum bedrohe England Hegemonie. Deutschland wolle England nicht zur See besiegen, es baue eine starke Flotte, nicht um England zu bedrohen, sondern um die englische Politik zur Vorsicht zu nötigen und sie zu zwingen allendhalben in der Welt auf Deutschland Rücksicht zu nehmen.“ (H. Delbrück, „Warum baut Deutschland Kriegsschiffe“, in: Vor- und nach dem Weltkrieg, Politische und historische Aufsätze, Berlin, 1926, S. 305) Dazu verglich Delbrück die „allgemeine Bewegung, die sich in den letzten Jahrzehnten gegen England entwickelt habe, sei im Grunde, dass selbe wie die Erhebung gegen Napoleon.“ (siehe Schottelius/Deist, 1972, S. 36f) Als Tirpitz also die Flotte konzipierte befand er sich in Übereinstimmung mit der für ihn maßgeblichen geistigen Elite Deutschlands. (Schottelius/Deist, 1972, S. 35)
Nicht zu unterschätzen ist auch die Rolle welche Flottenbau und maritimer Machtentfaltung innenpolitisch zugedacht war. Der herangezüchtete Stolz auf die erwartete deutsche Weltmachtstellung und Größe ergriff auch die unteren Schichten im Reich. Gerade Volker R. Berghahn hebt in seiner Arbeit das Potential heraus welches der Flotte als Integrationsfaktor und bei der Entschärfung sozialer Gegensätze, allgemein der sozialen Frage zu gedacht war. (Vergl., 1971, S. 114-119) Dargelegt wird hier auch die Rolle welche der Kaiser zur Unterstützung der Flottenpläne, und damit seiner eigenen Absichten, leistete. Am 28.05.1896 unterzeichnete er eine AKO in welchen Maßnahmen zu einer großangelegten Vorbereitung der Öffentlichkeit auf eine Flottenvermehrung gefordert wurden. Schon bei einer Audienz am 28.01.1896 hatte Tirpitz seinem Monarchen seine diesbezüglichen Ansichten hierzu vorgelegt. „Auf jedem Fall“, so meinte Tirpitz,“ müsse die Marineliteratur und Presse ausgebaut werden“. (Berghahn, 1971, S. 119)
3.4. Deutsch – englischer Rüstungswettlauf und Dreadnought - Schock
Um das Ziel zu erreichen das die deutsche Flotte von England als ernstzunehmender und ein ihre Überlegenheit bedrohender Gegner wahrgenommen und akzeptiert wird war es notwendig dieser Flotte die notwendige Stärke zu verleihen. Mit Flottengesetzen und Novellen war der finanzielle und politische Spielraum geschaffen. Auch hatte Wilhelm II. es erreicht das die Marine, ähnlich wie bereits das deutsche Heer, seinem kaiserlichen Befehl unterstellt war. Propagandistisch war die deutsche Öffentlichkeit bereit gemacht und bezüglich der deutschen Weltmachtrolle eingeschworen worden. Im Volk war weitgehend die Überzeugung von der weltpolitischen Rolle des Reiches herangewachsen. Nun galt es für Tirpitz sine Pläne umzusetzen. Um das schließlich angestrebte Stärkeverhältnis zu Großbritannien zu erreichen, wuchsen die Forderungen des Staatssekretärs. Sah nach Wolz das erste Flottengesetz 1897 noch einen Bestand von 19 Linienschiffen und 12 großen Kreuzern vor, so waren es beim zweiten Gesetz im Jahr 1900 schon 38 Linienschiffe. Und dann erfolgten noch Präzisierungen und Erweiterungen mit den Novellen von 1906,1908 und 1912. (Vergl. Wolz, 2013, S.35) Schließlich konnte sich Großbritannien einer Reaktion auf die Entwicklung in Deutschland nicht mehr verschließen. Hinzu kamen die Erfahrungen aus den weltweit beachteten Ereignissen des russisch – japanischen Krieges von 1904 – 1905, insbesondere der Seeschlacht von Tsushima. Gerade sie brachte neue Erkenntnisse zur Bedeutung der Faktoren, welche für eine moderne Schlachtflotte nun vordergründige Bedeutung erlangen sollten. Stärke der Artillerie und Feuerkraft, Panzerung und Geschwindigkeit, Stand der Ausbildung. Zwar hatte Großbritannien 1903 nach Berghahn (siehe, 1971, S.431-433) ebenso viele Kriegsschiffe im Dienst wie Deutschland, Frankreich und Russland zusammen dennoch schien eine Reaktion auf Tsushima auch hier notwendig. Dazu trat 1904 der den deutschen Flottenbau genau beobachtete Lord John Fisher in England das Amt des Ersten See Lords an. Er verordnete der Royal Navy eine radikale Modernisierung. Dazu ließ Lord Fisher alle wenig kampfstarken und zu langsamen Schiffe außer Dienst stellen. Sein weitreichendster Schritt war jedoch die Entscheidung zur Konzeption eines völlig neuen Schiffstyps. Mit dem „Dreadnought“ wurde eine erhebliche Steigung von Qualität, Größe und Kampfkraft erzielt. Laut Berghahn ist der Entscheidung Fishers maßgeblich zuzuschreiben das der „Dreadnought“ gebaut wurde. Ein Linienschiff, das den deutschen Bauten weit überlegen war und seinen Kontrahenten im Reichsmarienamt in große Verlegenheit brachte. (Berghahn, 1971, S.433) Das Schiff war nicht nur den deutschen Einheiten, sondern auch allen anderen weit überlegen. Es erzwang die Flotten weltweit neu zu konzipieren, um den Anschluss an Großbritannien nicht zu verlieren. Die Spirale führte dazu das jedes Schiff nun bei seiner Kiellegung schon veraltet war da dann bereits Pläne für ein noch stärkeres Kampfmittel existierten. Dabei war der Dreadnought Sprung nur knapp ein britischer Erfolg. Auch in den USA und in Deutschland war auf Tsushima reagiert worden und an Plänen für neue Schlachtschiffen gearbeitet worden. Tirpitz stand nun jedoch vor einer weitreichenden Entscheidung. Verzicht auf sein bisher vorgelegtes Konzept, Erarbeitung eines neuen oder Aufnahme eines maritimen Wettrüstend mit Großbritannien. Im Gegensatz zum „Dreadnought“ mit seinen zwischen 18.ooo bzw. 21.500 t besaßen die damals modernsten deutschen Schiffsklassen nur 13.ooo t. Auch der Unterschied bei der Artilleriebewaffnung war erheblich. Dem englischen Kaliber von 30,5 cm konnte man nur 21 bis 24 cm entgegensetzten. Und die englische Stärke wuchs mit der geplanten Nelson – Klasse noch weiter. Wollte Deutschland hier gegenhalten ergaben sich neben dem reinen Schiffsmaterial noch weitere Probleme – und Zusatzkosten. Schleusen und Fahrrinne des Kaiser – Wilhelm – Kanals waren für solche Schiffsklassen unzureichend. Eine schnelle Verlegung zwischen Nord – und Ostsee damit nicht möglich. Auch die deutschen Docks und Werften standen vor Problemen. (Berghahn, 1971, S. 436) Die zu erwartenden Kosten der Schiffe warfen alle bisherigen Berechnungen über den Haufen. Hierzu blieb Tirpitz anfänglich nur der Trost das die geschickten Formulierungen in den Flottengesetzen über den Ersatz von Schiffen Spielraum zuließen. Der Reichstag würde sich nicht gegen Neubauten stellen, welche der internationalen technischen Entwicklung geschuldet wären. Tirpitz und sein Kaiser blieben deshalb beim eingeschlagenen Kurs und ließen sich auf ein Wettrüsten mit den Briten ein. Bestärkt wurden beide dabei durch einen Gedanken. Wenn schon alle Vorgängerschiffe (Prä – Dreadnoughts) veraltet waren so bot sich doch nun die Gelegenheit, praktisch von einer „Stunde null“ an, durch Neubauten mit den Briten gleichzuziehen und den Tirpitz Plan damit umzusetzen.
3.5. Scheitern eines Konzepts – Scheitern einer Flotte
Bei diesen Gedankengängen vernachlässigte man auf deutscher Seite jedoch verschiedene Tatsachen. England konnte auf die gesamten Ressourcen seines Empire zurückgreifen, hatte nahezu unbegrenzte Rohstoffe und Schiffbaukapazitäten sowie ein weltweites Handelsnetz. Nach Hubatsch (1955, S. 18f) erreichte der einsetzende deutsch – englische Rüstungswettlauf in den Jahren 1908 – 1911 seinen Höhepunkt. Spätestens ab 1912, in Folge Veränderungen der politischen Gesamtlage ausgelöst vor allem durch die Balkankriege, war Deutschland gezwungen den Großteil seiner finanziellen Mittel wieder dem Heer zuzuführen. Damit war der Tirpitz Plan gescheitert. Auch wurde befremdlich deutlich das der Staatssekretär selbst keine klaren Vorstellungen von den politischen Auswirkungen seines Tuns gehabt hat. Der Flottenbau hatte weder England davon abgehalten aus der erwarteten Isolation herauszutreten noch wurde es gehindert neue zwangsläufig gegen Deutschland gerichtete Bündnisse einzugehen. (Hubatsch, 1955, S.22) England war nach Hubatsch aber klar geworden das auch eine schwächere dafür scharf geführte Flotte nicht unterschätzt werden dürfe. Das Deutsche Reich selbst hatte die über den Flottenbau erwartete Aufwertung dagegen nicht erfahren. Statt auf Grund seiner maritimen Stärke zu einem gesuchten und geschätzten Verbündeten zu werden hatte sich das Kaiserreich in eine Isolation manövriert. Die es selbst allerdings als eine Einkreisung durch eine Welt voller Feinde verstand und auffasste. Hubatsch zu folge hatte das politische System des Reiches nach außen aber auch nach innen versagt. Ab dem Jahr 1908 sieht er eine Verselbstständigung der Marinepolitik, welche sich auch kaum mehr mit den Interessen des Parlaments vereinbaren ließ. Dieses erwies sich aber auch als unfähig jene einzudämmen und zu stoppen. (Vergl. 1955, S. 85) Der deutsche Botschafter in London Paul Graf Wolff Metternich warnte in seinen Berichten nach Berlin mehrfach und ausdrücklich vor den zu erwartenden negativen Auswirkungen des Flottenwettrüstens, zumal auch englische Versuche zumindest zu einer Übereinkunft zu kommen an der unnachgiebigen Haltung des Reiches schneiderten. Der Kaiser selbst wischte die Warnungen Metternichs vom Tisch und versah die Berichte mit Randbemerkungen wie „Blech“, „Quatsch“ und „Hasenfuß“. Als unter Churchill dann der englische Marinetat auf umgerechnet 1 Milliarde Mark anstieg war Deutschland überfordert. Auch Tirpitz musste nun resigniert feststellen, „Wir können die Schiffe nicht mehr bauen die vorgesehen sind“. (Hubatsch, 1955, S. 41ff) Dabei hatte Großbritannien zusätzlich den Vorteil das sein Parlament angesichts Bedrohung seiner Seemacht, vielleicht gar einer Blockade oder Invasion, keinen Aufwand scheute die Bedrohung abzuwenden.
Auch Tirpitz Risiko Theorie erwies sich als gescheitet. Die starke Konzentration auf sein Schlachtflottenprogramm und das Konzept der Seeschlacht hatte sich als einseitig erwiesen. Die gesamte deutsche Seestrategie beruhte auf der Vorstellung eines offensiven Vorgehens der Briten in Verbindung mit einer engen Blockade der deutschen Küste. Historische Erfahrungen und die Erwartung englische Seetradition bildeten hierfür die Grundlage. Die politische Situation ebenso die doch sonst so genau verfolgten technischen Entwicklungen wurden hierbei nur unzulänglich ausgewertet. Spätestens um 1912 zeichnete sich ein klares Scheidern der deutschen Seestrategie ab. Manöver der Royal Navy bewiesen das die Engländer nicht die Absicht verfolgte, die von Tirpitz erwartete, engere Blockade der deutschen Häfen durchzuführen. Die Briten planten sich auf eine Fernblockade zu beschränken. Damit waren auch die Voraussetzungen für die deutschen Erwartungen bezüglich eines Kräfteausgleich durch den Einsatz von U-Booten und den Minenkrieg sowie Kampfhandlungen mit britischen Teilkräften aufgehoben. Nicht einmal die bei einem möglichen Kriegsfall mit anderen Staaten erhoffte britische Neutralität, bedingt durch dessen Sorge vor einem verlustreichen Zusammenstoß mit den deutschen Seestreitkräften, trat ein. Bedingt durch seine Bündnispolitik und durch den deutschen Einmarsch in Belgien stellte sich Großbritannien offen auf die Seite der Gegner Deutschland und erklärte diesem nach Ultimatum den Krieg.
4. Das Offizierskorps der kaiserlichen Marine
Da in Bezug auf die Ereignisse im Oktober 1918 auch dem Verhalten und der Einstellung der Seeoffiziere besondere Bedeutung zukommt soll versucht werden in diesem Abschnitt eine Darstellung vom Charakter dieses Korps zu erarbeiten. Beleuchtet werden sollen dabei vor allem die Herkunft und Auswahl, Erziehung und schließlich die politischen Auffassungen und Orientierungen der Seeoffiziere. Die gesellschaftliche und politische Position der Seekadetten und späteren Offiziere wird als wichtiger Faktor für die Einschätzung ihres Auftretens und Handelns angesehen. Sie lassen Schlussfolgerungen zu wie ihr Verhalten am Ende des Krieges zu bewerten ist. Bedeutung kommt dabei auch dem Umstand zu, welche besonderen Aufmerksamkeit dem Seeoffizierskorps und der Flotte durch Kaiser Wilhelm II. und schließlich innerhalb der deutschen Gesellschaft entgegengebracht wurde und in welcher Rolle dieses sich schließlich selbst sah.
4.1. Auswahl und Zusammensetzung
Festzustellen ist dabei zu Beginn, dass die kaiserliche Marine nicht durch den Adel dominiert wurde wie große Teile der Armee. Schon unter den Bedingungen das die fortschreitende Vergrößerung der deutschen Marine eine schnelle Aufstockung des Offiziersbestandes erforderte öffnete sich Flotte für, aus ihrer und des Kaisers Sicht, geeignete Anwärter aus dem Kreis des gehobenen Bürgertums. Von diesen entstammte wiederrum ein erheblicher Teil aus dem Bildungsbürgertum. (Vergl. Deist, Militär, 1991, S. 237)
Holger H. Herwig legt mit den Unterlagen zur „Crew“ 07 [ Ausbildungsjahr 1907] aussagekräftige Daten vor. Demnach waren von den hier erfassten Kadetten nur 22 (5,1%) Adlige, bei 90 (45,7%) waren die Väter Akademiker. Hinzukamen 52 (26,4%) aus Offiziersfamilien, 34 Bewerber stammten aus dem Millau von Industriellen und Großkaufleuten und bei 10 (5,1%) waren die Väter Grundbesitzer oder standen im „gehobener Stellung“. Zu beachten auch, 65,9% von ihnen stammten aus Preußen. (H.Herwig, 1977, S.39) Wenn dennoch ein großer Teil der hohen Marineoffiziere und Admirale einen Adelstitel trugen so liegt die Ursache in den durch den Kaiser oder andere Landesfürsten ausgesprochenen Nobilierungen verdienter Offiziere. Ein bürgerlicher Seeoffizier hatte damit die aus seiner Sicht höchste Stufe der gesellschaftlichen Karriere erreicht. Neben Herwig verweist auch Jentsch auf diesen Umstand. Er sieht auch die Schaffung eines neuen, kaisertreuen Militäradels als eines der damit verfolgten Ziele an. Als besondere Beispiele seien hier nur genannt A. von Tirpitz, geadelt 1900, Franz von Hipper (1916 – nach der Skagerrakschlacht durch den König von Bayern) und der in der Arbeit noch zu erwähnende Erich von Weizäcker. (Vergl. Jentsch, 2018, S.211f)
Von vornherein setzte die Marine enge Auswahlkriterien und verfestigte diese durch die hohen Kosten, welche die Familie des Bewerbers für dessen Ausbildung aufzubringen hatten. Damit waren Gesuche aus unteren sozialen Schichten schon rein materiell ausgeschlossen. Herwig nennt hier eine Gesamtsumme, bezogen auf die rund 42-monatigen Schulungen, welche sich demnach 1874 auf ca. 7900,- Mark und 1909 auf etwa 9755,- Mark beliefen. (Herwig, 1977, S.48f) Eine hohe Summe. Solche Mittel konnte weder eine Familie aus dem Kleinbürgertum, geschweige denn aus der Arbeiterschaft aufbringen. Herwig (ebenda) beziffert das ungefähre Jahreseinkommen eines deutschen Industriearbeiters um 1913 mit rund 1300,-Mark.
Zu beachten sind auch die Bedingungen, welche die zunehmende Technisierung der Flotte an zukünftige Bewerber stellt. Deren Folge war der wachsende Anteil von Abiturienten unter den Marinekadetten. Er erhöhte sich nach Jentsch von 21,5% 1898 auf 55,4% im Jahr 1905. (Ebenda, S.199) Sowohl Herwig, Jentsch als auch andere Autoren und Zeitzeugen verweisen in diesem Zusammenhang aber auch auf negative Folgen dieser Auswahl. Alle bescheinigen den bürgerlichen Bewerbern ein nahezu unbändiges Bestreben ihre adligen Kollegen zu kopieren und möglichst zu übertreffen. Herwig verweist hierbei sowohl auf Umgangsformen und Haltung und die damit, gerade dem preußischen Adel häufig bescheinigte, Arroganz. In seinem Werk zieht Herwig die Schlussfolgerung, dass viele der bürgerlichen Kadetten sich aus diesem Grund sozial noch unverständiger als die Masse der Adligen gaben. Sie „traten plutokratisch provozierend auf, blickten auf den armen Kameraden ebenso heran wie der Adel auf das Bürgertum, aber mit viel weniger anerzogener Zurückhaltung“. (Herwig, 1977, S. 52) Oft genannt auch das Selbstverständnis mit welchen Seeoffizieren die besondere Förderung und Wertschätzung ihres Kaisers genossen. In verschiedenen Werken wird ihnen bescheinigt das sie bemüht waren ihre Stellung mit der preußischer Garderegimenter zumindest gleichzusetzen. (Vergl. Herwig, 1977, S. 33 u. 61f)
4.2. Ausbildung - Drill und Gehorsam
Die Ausbildung der Kadetten wurde oft als technisch gut und seemännisch gründlich beschrieben. Auch ausländische Fachleute [Admiral Jellicoe] schlossen sich dieser Einschätzung an. Problematisch dazu aber auch Aussagen, welche darauf schließen lassen, dass militärischer Drill und Gehorsam, gepaart mit besonderer Etikette und vorgeschriebenen gesellschaftlichen Umgangsformen häufig schon das äußere Erscheinungsbild des deutschen Marineoffiziers prägten Das an der neuerbauten Marineschule in Mürwik Reiten, Fechten und Tanzen auf dem Lehrprogramm standen unterstreicht die Zielrichtung die Offiziersanwärter auf ihre spätere Rolle als kaiserliche Marineoffiziere vorzubereiten. Schon von Seekadetten wurde also erwartet das sie sich wie spätere Offiziere und Herren benahmen. (Herwig, 1977, S. 55). Als Beispiel dazu nennt Herwig (Ebenda, S.42f) eine Aussage des Inspektors des Bildungswesens der Marine Vizeadmiral von Dombrowski, dass „allgemeine Bildung nicht erstrebenswert, wenn sie nicht einhergeht mit `ritterlichen und traditionellen Eigenschaften des deutschen Offiziersstandes … Es wird [bei dessen fehlen], nach innen und außen versagen.“ Jentsch zittert einen Bericht des Inspektors des Bildungswesens Konteradmiral Volker von Arnim vom 08.06.1900 wonach zu viele Verordnungen die Ausbildung und den Lehrbetrieb behindern würden. Darüber hinaus fehle es an geeigneten Lehrkräften. Demnach entstammten viele von diesen aus der Marineinfanterie. Sie zeichneten sich aus durch Kasernenhof Drill und geringe seemännische Kenntnisse. (Jentsch, 2018, S., 156f) Schon in der Grundausbildung wurden die jungen Kadetten demnach mit dieser Seite des preußischen Militärs konfrontiert. Ihre Vorgesetzten waren dabei Anfangs Unteroffiziere aus Seebataillonen. „Hier trafen viele humanistisch – gymnasial geprägte Offiziersanwärter zum ersten Mal auf schlecht gebildete Vertreter niedrigstehender sozialer Schichten“. Jentsch vertritt die Auffassung das dieses Aufeinanderprallen unterschiedlicher kultureller Hintergründe in einem militärischen Unterstellungsverhältnis befremdlich und teilweise verstörend auf die jungen Männer aus adligen und gehobenen bürgerlichen Familien gewirkt haben muss. Bleibt offen inwiefern sich diese Erfahrungen als prägend für deren eigene Zukunft erweisen sollte. (Vergl. Jentsch, 2018, S.154) Auch in Lehrpläne und der Unterrichtsvermittlung bestanden Mängel. Großen Wert wurde auf das auswendige Erlernen gelegt, zum Nachteil für die inhaltliche Durchdringung des Stoffes. Dies wurde bei Abschlüssen kompensiert durch eine Notenbewertung, bei welcher den Lehrkräften nach Jentsch großzügige Freiheiten zugestanden wurden. (Jentsch, 2018, S. 157ff) Auch auf den Schulschiffen wo spezielle Kadettenoffiziere die Ausbildung leiteten besserten sich die Verhältnisse nur geringfügig. Zwar wurde ein guter Fachunterricht betrieben aber die Bedingungen waren alles andere als optimal. Bis 1907 fand die Ausbildung auf alten Segelschiffen der Moltke – Klasse statt. Neben dem Schlafen in Hängematten waren hier noch andere unschöne Seiten der Segelschiffszeit erhalten geblieben. Gemeinsam mit den Seekadetten wurden auf diesen Schiffen auch die sogenannten Schiffsjungen ausgebildet. (Für sie wurden ältere Seekadetten auf Grund des Personalmangels oft als Vorgesetzte eingeteilt) Obwohl in der Marine schon seit 1872 abgeschafft, wurde gegen diese Schiffsjungen noch immer die Prügelstrafe angewandt denn diese galten als „Zöglinge“, nicht als Soldaten. Prügel war demnach erlaubt und wurde häufig und für verschiede Delikte verhängt. Selbst noch 1917 wurde die Abschaffung dieses „segensreichen Erziehungsmittels“ durch die Marine abgelehnt. Herwig nennt Seite 58 seiner Arbeit die genannten Umstände und verweist dabei auf die zu erwartenden und sicherlich begründeten psychologischen Auswirkungen auf die damit konfrontierten Kadetten. Bei Jentsch findet sich zudem eine Einschätzung des späteren Großadmirals Karl Dönitz aus dessen Kadettenzeit (Dönitz, „Mein wechselvolles Leben“, S. 26, bei Jentsch, 2018, S. 165). Darin äußert Dönitz, dass Kadetten praktisch zum Kommandanten des Schulschiffes keinerlei Kontakt hatten. Doch allein aus dessen Umgang mit seinen eigenen Offizieren erlangte dieser den Ruf eines „Raubtieres“. Dem späteren Leutnant zur See nach fehlte es dabei aber auch an jeglicher psychologischen Vorbereitung auf den späteren Einsatz als Vorgesetzter. Die Menschenführung wurde gänzlich übergangen. Nach Borislaw von Selchow, später 1. Offizier des Linienschiffes S.M.S. „Hannover“, mangelte es an Anleitung durch ältere Offizierskameraden. Vor allem „ein gerechter und verständnisvoller Umgang mit älteren Unteroffizieren und Mannschaften wurde vermisst.“ (Herwig, 1977, S. 165) Nach Jentsch wurde hingegen einem korrekten militärischen Auftreten der Vorzug vor Menschenführung eingeräumt. (S. 165) Auch im Artikel von Friedrich Ruge, ab 1916 selbst junger Marineoffizier, wird die geringe Praxisnähe der Ausbildung bemängelt und in der fehlenden Vorbereitung auf Menschenführung ein Hauptproblem der Flotte gesehen. (Marineforum, 1978, Bd. 53, S. 256) Jentsch verweist auf weitere Besonderheiten des Problems. Demnach bildeten Kadetten, Fähnriche und junge Offiziere stets homogene Gruppen. Fähigkeit im Umgang mit Individuen wurden ihnen nicht vermittelt. (2018, S. 177f)
4.3. Privatleben und gesellschaftliche Stellung
Aus dieser Thematik soll übergeleitet werden zum Privatleben der Seeoffiziere. Herwig schildert das sich dieses zentral auf den Borddienst und Freizeit in den Offiziersmessen konzentrierte. Kleine private Wohnungen an Land brachten junge Offiziere schnell in finanzielle Bedrängnisse. Gerade Schulden wurden ein häufiges Problem. Herwig sieht den Grund hierfür in dem Bemühen der Offiziere nach außen einen ihrem gesellschaftlichen Rang entsprechenden „noblen Lebensstill“ zu unterstreichen. Schnell taten sich dabei Wiedersprüche zwischen Ein -und Ausgaben auf. (Vergl. Herwig, 1977, S.75) Ein weiterer privater Kontaktpunkt waren die, nur für Seeoffiziere zugelassenen, Offizierskasinos in den Stützpunkten. Marineingenieuren oder gar Deckoffizieren war der Zugang streng untersagt. Dies führte zur Isolation der Seeoffiziere selbst gegenüber engeren Bordkammeraden. Selbst ein privater oder familiärer Umgang mit diesen seemännischen Berufsgruppen war unerwünscht und wurde formell untersagt. Selbst Kommandanten und höheren Offizieren. War diese Abgeschiedenheit an sich schon bis 1914 ein Problem so verstärkte es sich noch als in der Hochseeflotte die Fehlkalkulation der deutschen Seestrategie sichtbar wurde. Die ausbleibende Schlacht und die inaktive Rolle der großen Schiffe führten zu Frust, Langeweile und nervlichen Überreizungen. Weniger allein Vaterlandsliebe hatte die Kadetten zur Marine getrieben, sondern Abenteuerlust und Fernweh, eine Folge der Tirpitschen Propaganda. Nun aber hielten die Folgen von dessen Fehlstrategie sie in Routinediensten in den Häfen fest. Die Folgen, ein ungehemmter Alkoholkonsum auf welchen verschiedenen Quellen verweisen. Selbst Admiral von Müller musste eingestehen das von 1671 Fällen, die vor Marineehrengerichten verhandelt wurden, 637 auf Alkoholmissbrauch zurückgingen. Der Kaiser selbst sah sich schon am 31.08.1901 in einer Allerhöchsten Kabinettsorder dazu veranlasst auf das Problem einzugehen. (Vergl. Herwig, 1977, S.73f) Herwig zitiert zum Problem Admiral von Dombrowski, Am Vorabend des Ersten Weltkrieges führten die Seeoffiziere demnach ein „unausgefülltes und unbefriedigendes Leben. Schulden und übermäßiger Alkohol zeigen nur das äußere System dieser Lage“. (Ebenda, S.61) Der Gutachter im späteren Untersuchungsausschuss des Reichstages Alboldt verweist in seinen Ausführungen (u.a. S. 170) gleich mehrfach auf den Alkoholmissbrauch durch Offiziere, selbst während des Dienstes. Vor allem hebt er hervor, dass all diese Verhaltensweisen unter den Augen der Besatzungen stattfanden. Dazu und auf die diesbezüglichen Auswirkungen gibt auch das Tagebuch des Matrosen Richard Stumpf ausführlich Auskunft.
4.4. Politische Erziehung und Haltung im Dienst
Ein weiteres Manko der kaiserlichen Seeoffiziere ist im völligen Fehlen einer politischen Aufklärung bzw. in deren gezielten Unterbindung zu sehen. Nur in einem bestand sichtbare Einigkeit, in der Erziehung des Offiziers zur Ablehnung des politisch parlamentarischen Systems und der strikten Verteufelung von allem, was den Anschein von demokratisch oder gar sozialistisch erweckte. Der Kaiser selbst gebot am 05.02.1907 per Dekret, „daß im militärischen Dienstunterricht Fragen sozialpolitischer Art nicht zu erörtern sind.“ (Herwig, 1977, S. 58) Herwig zieht daraus die Wertung das sich mit dem Fehlen jeglicher Vermittlung politischer Kenntnisse eine große Unterrichtslücke auftat, insbesondere mit der Folge das die Seeoffiziere den Unruhen 1917 und 1918 sowie Fragen der politischen Propaganda unvorbereitet und hilflos gegenüberstanden. Vermittelt wurden im Kreis der Seeoffiziere nur die einhelligen Meinungen über Sozialdemokratie, Juden und Parlament. Gern auch alles gemeinsam. Nach Herwig, „Sie neigen dazu, die SPD mit Umsturz, die Juden mit Sozialdemokratie oder internationalen Finanzkapital und Dinge wie das allgemeine Wahlrecht in Preußen, Demokratie und Kapitalismus mit Verschwörung gleichzusetzen.“ (Herwig. 1977, S. 61f) Anzumerken hierzu noch, alle Offiziere, der Marine wie auch des Heeres besaßen kein Wahlrecht, weder auf kommunaler noch auf Reichsebene. Gefördert wurde die Entwicklung einer ausgeprägten antisozialistischen Haltung. Schon am 25.05.1894 hatte Wilhelm II. allen Offizieren, Unteroffizieren und Mannschaften die Teilnahme an sozialistischen Veranstaltungen untersagt und den Besitz und die Verteilung „revolutionärer“ sozialdemokratischer Schriften verboten. (Vergl. Herwig, 1977, S. 76f) Kaum verwunderlich also die harten Reaktionen auf die Ereignisse in der Flotte 1917 welche man besonders der USPD zu schob. Die Aktivitäten bei konservativen oder rechten Treffen wurden da eher toleriert. Schon der Verdacht sozialdemokratischen Gedankengutes konnte einem Seeoffizier zum Verhängnis werden oder zumindest seine Karriereaussichten abpumpt einschränken. So verweist Herwig auf das Beispiel des Seeoffiziers Borislaw von Selchow. Dieser wurde im Juli 1908 trotz bester Eignung bei der Besetzung einer Stabsoffiziersstelle zurückgewiesen. In der Flotte trug von Selchow bereits den Spitznamen „der rote Kapitän“. Der Vorwurf des Admirals von Dombrowski bezüglich seiner Person, von Selchow habe durch sein gutes Verhältnis zu unterstellten Mannschaften „Aufsehen erregt“. Dombrowski stellte fest, „man müsse auf den Gedanken kommen, er (von Selchow) sei Sozialdemokrat oder paktiere mit ihnen.“ (Ebenda S.78) Dies wirft ein bekennendes Bild auf die Marine des Kaisers. Die SPD war dabei eine im Reichstag vertretene starke Partei, welche sich dann auch 1914 fast bedingungslos hinter die geforderten Kriegskredite stellte. Für Marine und Armee jedoch stand sie, so weiter Herwig, außerhalb des Gesetzes und wurde dort mit einem Krebsgeschwür verglichen, welches das Reich zu verderben suche. (Ebenda, S. 78f)
Nicht nur in politischer Hinsicht erwies sich das Seeoffizierskorps als reaktionär. Selbst in der Flotte wurde eine Politik betrieben, welche auf Abgrenzung und Zementierung der eigenen Stellung beruhte. Es geht dabei um die Auseinandersetzung innerhalb des Marineoffizierskorps zwischen den Seeoffizieren und den Gruppen der Marineingenieure und der Deckoffiziere. Erstere erhielten sowohl durch die zunehmende Technisierung der Schiffe als auch durch den Ausbau der Flotte eine ständig zunehmende Bedeutung. Als Ingenieure für Schiffstechnik und Antrieb verantwortlich, entsprach ihre Wichtigkeit nicht der ihnen zuerkannten Anerkennung. Auf modernen Linienschiffen wie z.B. S.M.S. „Prinzregent Luitpold“ kamen zu 20 Seeoffizieren 6 Marineingenieure und weitere 27 Deckoffiziere, bei rund 1000 Unteroffiziere und Mannschaften. (Vergl. Henwig,1977, S. 61) Bei Herwig dazu, „Die Ingenieure verdankten ihr Gewicht nicht ihrer Zahl, sondern der Bedeutung ihrer Funktion an Bord.“ (Ebenda, S. 89) Auf den großen Kampfschiffen waren sie für rund 400 Maschinisten und Heizer verantwortlich und hielten die Schiffe im wahrsten Sinne am Laufen. Dennoch behaarten die Seeoffiziere auf ihren Sonderrechten, ihre alleinige Disziplinargewalt und ihren Stand an Bord. Als Begründung wurde dabei gern herangezogen, dass „der Ingenieur zwar aus gutem, aber untergeordneten sozialen Schichten“, stammte. (Herwig, S. 139) Kaum zu ertragen für die Ingenieure, der jüngste Leutnant eines Kriegsschiffes stand in der Befehlskette über einem alten Marineingenieur, selbst wenn dieser ein weit höheres Dienstalter und dazu noch einen höheren Rang besaß. Der lange Kampf der Marineingenieure um eine Gleichstellung mit den Seeoffizieren wurde auch durch den Krieg nicht beendet. Schließlich trug diese unnötige Auseinandersetzung auch maßgeblich dazu bei diese beiden Offiziersgruppen einander zu entfremden. Auch Gutachter Alboldt übt in seinem Bericht (Seite 81f) scharfe Kritik an den Zuständen und zitiert dazu den Chef des Bildungswesens der Marine von 1911, Vizeadmiral von Cörper. Dieser fordert in einem Bericht das sich auszubildende Marineingenieure aus anderen sozialen Schichten als die Bewerber der Seeoffizierslaufbahn zu rekrutieren hätten. Es wäre zum Vorteil für die Seeoffiziere, wenn sich die Ingenieure aus dem Mittelstand ergänzten. Damit sei zu erreichen, „dass die Ingenieure von selbst in die untergeordnete Stellung zurückkehrten, welche ihnen zukommt.“ Wie grotesk diese Zustände waren, wird daran deutlich, dass bei einer Änderung der Uniformordnung der Marine die neuen Mützenbänder wieder geändert werden müssten. Damit sollte verhindert werden das Mannschaften bei Dunkelheit einen Seeoffizier mit einem Marineingenieur verwechselten und ihn vielleicht als solchen anredeten. Erst 1908 erhielten die Marineingenieure die kaiserliche Erlaubnis zum Tragen der Offiziersschärpe zur Uniform. (Vergl. Alboldt, S. 87) Bei aller harten Kritik Alboldts, welche auch von anderen Quellen wie z.B. Henschel bestätigt wird, sollte aber auch beachtet werden, das Alboldt, welcher Vertreter der Verbindung der Deckoffiziere war, aus einem Verhältnis zu den Seeoffizieren spricht das als nicht unbelastet anzusehen ist. Vor und während des Krieges bemühten sich diese Spezialisten um Anerkennung und Aufnahme unter die Offiziere. Endgültig negativ beschieden wurden diese Bemühungen durch eine AKO, worin die Deckoffiziere verbindlich den Mannschaften zugeordnet wurden. (siehe Alboldt, S. 88f) Als Folge verließen damals viele Deckoffiziere vor dem Krieg die Marine und fanden zumeist in Häfen oder der Wirtschaft gute Anstellungen. Die kaiserliche Marine vergab sich mit dieser Politik in Konsequenz die innere Stärkung ihres Seeoffizierskorps.
Abschließend zu diesem Abschnitt noch einige Betrachtungen zu den gleichzeitigen Verhältnisse in den Marinen anderer Staaten. Bezüglich der Auswahl ihrer Offiziersbewerber führte z.B. Japan ein System ein, in welchem die Ausbildung der Seeoffiziere durch den Staat finanziert wurde. Die Royal Navy bevorzugte ebenfalls ein gesellschaftliches Auswahlprinzip und erhob Kosten welches es nur gehobenen Schichten ermöglichten Zugang zu Offiziersstellen zu erhalten. Im Gegensatz zu Deutschland reformierte man dort aber bereits 1902 die Kadettenausbildung und erließ neue Normen. Nach dem damaligen Ersten Lord der Admiralität Lord Selborn als das „Selborn Moratorium“ bezeichnet. Nach diesem wurde eine gleichlaufende Grundausbildung beider Offiziersgruppen betrieben, von Seeoffizieren und Marineingenieuren. Ziel war ein weitgehender gegenseitiger Einblick in die jeweiligen Verantwortungsbereiche gepaart mit möglicher Ersetzbarkeit. Beider Uniformen und Ränge hatten gleiche Bedeutung. Nach Jentsch, (2018, S. 138) war damit das Ziel gestellt, ein Ingenieur sollte Seemannschaft und Seetaktik genauso verstehen wie ein Seeoffizier Technik und Bewaffnung des Schiffes. Der Vorteil lag klar auf der Hand. Bis 1907 hatten die Briten, trotz anfänglicher Probleme, diesen Systemwechsel vollzogen. Beachtenswert, schon 1899 führte die US – Navy ein ähnliches System gleichlaufender Ausbildung erfolgreich ein. Ein weiterer, später noch bedeutender Unterschied zur Flotte des Kaisers, hier gab es keine Unterschiede in den Verpflegungssätzen von Offizieren und Mannschaften.
Die Ausführungen zu diesem Abschnitt fielen breiter aus als eigentlich beabsichtigt. Es wird aber eingeschätzt das deren Beleuchtung maßgeblich für die Bewertung der späteren Ereignisse, insbesondere zu Auftreten und Verhalten der Seeoffiziere, ist.
5. Plan und Realität – Die Hochseeflotte im Weltkrieg
Die deutsche Hochseeflotte stand bei Kriegsausbruch 1914 vor einem Dilemma, in welches sie durch die Tirpitzsche Seekriegsstrategie und die Konzentration auf ihre Schlachtplanungen geraten war. Nach A. von Trotha (1930, S. 7) war sie zu Beginn des Krieges noch nicht auf die ihr gestellten Aufgaben vorbereitet. Nach Trotha war die Flotte „unfertig als sie in den Krieg eintrat“ Die Festlegungen und Baubeschleunigungen der Novellen von 1908 und 1912 bei weitem noch nicht umgesetzt. Neben den rein materiellen Unzulänglichkeiten geht von Trotha auch auf die organisatorischen Mängel ein, welche die Flotte durch die verschiedenen Kommandostrukturen innerhalb der Marine gehemmt hätten. (Ebenda, S. 12-14) Walther Hubatsch verweist darauf, dass der bei Kriegsausbruch vorliegende Operationsplan nun, im Gegensatz noch zu 1912, vorsah die Hochseeflotte erst zur Schlacht einzusetzen, wenn es gelungen war durch Vorstöße gegen die erwarteten Blockadekräfte der Briten einen relativen Kräfteausgleich mit der Royal Navy herzustellen. Vorgesehen dafür die Verbindung mit einem aktiven U-Boot – und Minenkrieg, (1958, S. 163) Dieses Ziel beruhte aber auf der Vorstellung von einer engen Blockade der Deutschen Bucht. Nach Rolf Güth (1978, S. 127)) hieß es zuvor noch in den Operationsdirektiven des Admiralstabes das „jede Chance zum Erfolg durch rücksichtsloses Ansetzen der Hochseeflotte zum Angriff in der Nordsee auszunutzen“ oder „möglichst bald der Gegner den größtmöglichen Abbruch tun, gegebenenfalls unter Einsatz aller zur Verfügung stehenden Streitkräfte“. Kritik und Pessimismus zu einer solchen Planung gab es schon früh. So verwies Admiral Graf Baudissin, 1909 Chef des Admiralstabs, ebenfalls auf einen frühen Einsatz der Flotte, äußerte aber Bedenken für den Fall, dass dieser nicht eintreten würde. Nach seiner Ansicht müsste der Sieg im Krieg dann durch das Land Heer errungen werden, da die Flotte ein langes Warten, welches wieder der Natur ihrer Planung und Vorbereitung stehe, kaum durchstehen könne. Die Schlacht müsse also stattfinden. Nun war aber sowohl Tirpitz als auch der Marineführung spätestens seit 1912 klar geworden, dass die Grand Fleet keineswegs beabsichtigte eine enge Blockade der deutschen Küste durchzuführen. In seinen „Erinnerungen“ (Tirpitz, 1942, S. 307) gesteht er selbst ein, dass die Anlage ihrer Seestrategischen Manöver es unwahrscheinlich gemacht habe das die Briten zu einer engeren Blockade der deutschen Küste übergehen würden. Und auch nur in diesem Fall wäre nach seiner Auffassung der Plan eines Kräfteausgleiches über die Kleinkampfmittel realisierbar gewesen. Tirpitz blieb dabei aber weiterhin ein Verfechter der großen Seeschlacht, alles andere wäre auch das Eingeständnis des eigenen Schneiderns gewesen. So blieb, insbesondere nach seinem Ausscheiden aus dem Amt des Staatssekretärs des RMA, nur die Möglichkeit nach anderen Schuldigen für das Versagen zu suchen In London hatte man erkannt, dass Operationen der Royal Navy in der Nähe der deutschen Häfen und Stützpunkte die Gefahr durch Minen und deutsche U – Boote erheblich steigern und zu vermeidbaren Verlusten führen könnten. Schon die britischen Manöver ab 1912 sollte die deutsche Seite auf diese Entwicklungen hinweisen. Mit der Fernblockade im Kanal und auf der Line Schottland – Norwegen aber wäre Deutschland vom Welthandel, seinen Importen und Ausfuhren abgeschnitten. Edward Wegener (Schottelius/Deist, 1972, S.237) schätzt ein: „Der Zerfall des Tirpitz – Planes, der Bankrott des Tirpitzschen Flottenwerkes, das alles war, nicht vorrangig eine Folge ihres geistigen Zustandes, sondern zunächst einmal die Folge einer falschen Seestrategie.
Auch Rojek (2017, S. 105) verweist darauf, dass die britischen Ziele der deutschen Führung schon seit längerem bekannt gewesen sein müssen. Demnach äußerte Admiralstabschef von Herringen schon während einer Kriegsübung 1912/1913 die Erwartung, dass die Briten nicht in die Deutsche Bucht vorstoßen würden. „Wenn die Engländer sich wirklich auf [eine] Fernblockade mit konsequenter Zurückhaltung seiner Schlachtflotte verlegten“, so äußerte er, „dann kann die Rolle unserer Hochseeflotte im Kriege eine sehr traurige werden. [ …] Dann müssen es eben die U- Boote richten“.
Die Hoffnung, dass ein solch defensives Vorgehen, dass gegen das „Naturell und den Nelsonschen Geist England verstoße“, in Großbritannien auf Widerstand stoße, erfüllten sich nicht. England war sich der Vorteile seiner Lage wohl bewusst und kalkulierte das Problem welches Deutschland aus einer Blockade auf die Nord– und Ostsee erwuchs, richtig ein. Zwar verweist von Schoultz (1925, S. 48) auf solche Kritiken, hebt aber auch hervor, dass man nach britischer Ansicht nicht allein durch eine Schlacht, sondern auch dadurch zum Erfolg gelangen könne das man den Gegner von allen Hilfsquellen abschneide und man schließlich auf seine Erschöpfung warte. Schoultz, „Von diesem Standpunkt aus war die ferne Blockade das gegebene Operationsmittel und die gewaltigen Flotten der Alliierten brauchten ihre Häfen nicht ohne zwingenden Grund zu verlassen.“ In seinen „Erinnerungen“ (Jellicoe, 1937, S.20f) bewertet dieser das Manöver der engeren Blockade als eine Seestrategie früherer Zeit. Im Weltkrieg wäre diese Taktik durch moderne Waffen wie U-Boote, Mine und die schnellen Zerstörer unmöglich umzusetzen gewesen und mit hohen Verlusten verbunden. Die Royal Navy, im Kanal und im Norden Schottlands stationiert, konnte die eigenen Verbindungen von dort aus schützen, die feindlichen abschneiden und darüber hinaus den Feind gegebenenfalls von zwei Seiten fassen. Genau genommen, England brauchte eine Seeschlacht nicht und konnte auf ein damit verbundenes Risiko verzichten. Deutschland und Tirpitz dagegen hat bei der Übernahme der Mahonschen Seestrategie den wichtigen Faktor und die Bedeutung der geographischen Position für die Seemachtstellung nicht berücksichtigt. Nach Rahn (1999, S.144) hat Deutschlands Erwartung eines offensiven Vorgehens des englischen Gegners dazu geführt, ein Schlagen unweit von Helgoland und unter für sie günstigen Bedingungen und Kräfteverhältnissen anzustreben. Schon Rahn spricht aber dabei das Problem an was mit einer solchen Schlacht erreicht werden solle. Er verweist auf die Tatsache der eklatanten Fehleinschätzung der britischen Strategie durch die deutsche Seite. England zielte primär darauf ab die eigenen Seeverbindungen zu sichern und die seines Gegners zu unterbrechen. Anlässlich eines Besuches auf dem Flottenflaggschiff am 14. Mai 1914 fragte selbst Tirpitz, was man mit der Flotte machen werde, wenn die Engländer überhaupt nicht in der Deutschen Bucht erschienen. Der Flottenchef Admiral von Ingenohl und sein Stab blieben die Antwort schuldig. (Güth, 1978, S.129)
Nach den unglücklich verlaufenden Treffen an der Doggerbank und vor Helgoland Ende August 1914, dass zustande kam als die Briten einen begrenzten Vorstoß unternommen hatten, steigerte sich die Verunsicherung der deutschen Marineführung. Aus Sorge vor größeren Verlusten setzte der Kaiser einer offensiven Ausrichtung der Operationen der Flotte enge Grenzen. (Vergl., Rojek, S.120f) Der Kaiser lässt keinen Vorstoß zu, appelliert aber an den Geist der Führer und Besatzungen für den Zeitpunkt an welchem er den Einsatz für gekommen sieht, eben diesen Geist zu bewahren. Bis es dazu kommen sollte setzte die Marineführung jedoch auf Drill und strenge Disziplin. (Wolz /Epkenhans/Huck, 2017, S. 134f) Immer mehr gewann die Meinung an Bedeutung die Hochseeflotte zu erhalten und keinem größere Risiko auszusetzen. Es begann sich Herringens Ahnung zu bewahrheiten. Die U – Boote traten als Offensivmittel der deutschen Marine in den Vordergrund und die Hochseeflotte geriet zunehmend zu einer Unterstützungswaffe dieses Kampfmittels. Es soll nicht Anliegen der Arbeit sein die Rolle der U – Boote im Ersten Weltkrieg in Einzelnen darzustellen. In Bezug auf die Situationsentwicklung für die Hochseeflotte ist es aber notwendig die Thematik von deren Bedeutung für die Absicherung des Einsatzes der U – Boote und die sich daraus ergebenden Folgen und Schlussfolgerungen anzusprechen.
Rojek verweist auch darauf, wie schwer es der deutschen Marineführung fallen musste zuzugeben, dass man sich geirrt hatte. (Ebenda, S. 113) Demnach gelang es der Marine, solange noch Frieden herrschte, vor der Öffentlichkeit das Scheidern des gesamten Flottenplanes noch verborgen zu halten. Man fürchtete zu Recht sein Ansehen zu verlieren, wenn sich erst herausstellte das man nicht in der Lage war die hochgezüchteten Erwartungen zum Beispiel an die immer wieder propagierte Schlacht auch umzusetzen. Dabei hätte nach Rojek (2017, S. 121) die Flotte aber das Paradoxe Kunststück fertigbringen müssen – erfolgreich zu sein ohne sich in Gefahr zugegeben. So war das Nachrichtenbüro der Marine stets bemüht (Ebenda, S. 251) die Inaktivität der Flotte mit immer neuen Begründungen zu hinterlegen. Schließlich wurde sogar ein mangelnder Kampfeswille der Briten als Grund vorgebracht. Der sich entwickelnde U-Boot-Krieg hingegen wurde verstärkt genutzt, so Rojek, die Marine in den Schlagzeilen und damit im Blickpunkt der Öffentlichkeit zu halten. Deren überraschende Erfolge vermittelten zumindest auch ein Existenzrecht für die großen Schiffe der Flotte. Dennoch, es herrschte die Angst das die Hochseeflotte am Kriegsende ohne den eigenen großen Erfolg dastehen würde. Damit schließlich hätte der ganze so lange propagierte Flottengedanke „Fiasko gemacht“, wie Erich von Weizäcker es ausdrückte. (Weizäcker Papiere, S. 170)
5.1. Skagerrak
Dieser vielbeachteten Schlacht, der einzigen Seeschlacht zwischen Großkampfschiffen der Seekriegsgeschichte überhaupt, soll bezüglich der Einzelheiten ihres Verlaufes in der Arbeit kein besonderer Raum eingeräumt werden. Zumal das Zusammentreffen der Kontrahenten zwischen dem 31. Mai und dem 01.Juni 1916 von deutscher Seite so nicht geplant war. Die Schlacht im Skagerrak oder auf englischer Seite als Seeschlacht von Jütland bezeichnet, findet allerdings in ihren Auswirkungen und Bewertungen für das Thema Bedeutung. Dabei geht es vor allem um die bei der Analyse und Auswertung der Schlacht gemachten technischen, waffentechnischen und schiffsbaulichen Konsequenzen, welche in deren Folge gezogen wurden. Dies ist bedeutsamen für die spätere Bewertung der Qualitäten beider Flotten. Insbesondere die Fragen nach den Stärken und Mängel der beiden Seiten haben für die Beurteilung der späteren Aussagen in Bezug auf die Chancen der Flotten Bedeutung. Welche neuen Gefechtsbedingungen ergaben sich für eine erneute Seeschlacht im Jahr 1918, wie schätzen die Quellen diese ein? Besondere Beachtung verdienen dabei die Aussagen der Gutachter im Reichstagsuntersuchungsausschuss über die Ursachen der deutschen Niederlage von 1918. Hier treten sowohl Admiral von Trotha als auch der Deckoffiziersvertreter Alboldt mit völlig konträren Einschätzungen gegeneinander an. Beide beziehen sich dabei zum Teil auf das Werk des russischen Marineoffiziers von Schoultz. Dieser verbrachten Jahre als russischer Verbindungsoffizier bei der Royal Navy, nahm an der Schlacht persönlich teil und macht Aussagen bezüglich der in ihrer Folge von den Briten vorgenommenen Veränderungen an den Kampfschiffen. Auch andere, zeitgenössische, Autoren nutzen von Schoultz als Quelle und treffen Schlussfolgerungen aus dessen Angaben. Leider wird deren Auswertung in der Arbeit ergeben, dass es häufig der Fall vorliegt das aus Schoults Werk oftmals nur die Teile und Aussagen entnommen wurden, welche den eigenen Positionen und Argumenten dienlich erschienen.
Beide Seiten beanspruchten nach der Schlacht den Sieg für sich. Rein zahlenmäßig standen nach dem Kampf auf britischer Seite 6700 Tote und verlorene Tonnage von 1115.000 t den deutschen Verlusten von rund 3000 Toten und versenkten 62.000 t gegenüber. (Vergl. Neukirchen 1982, S. 348) Was wie ein klares Votum für einen deutschen Sieg erscheint, und auch so propagiert wurde, relativiert sich bei genauerer Betrachtung. Auch das Fazit, nun habe die lange erwartete Auseinandersetzung endlich stattgefunden trifft nur bedingt zu. Die unter dem Kommando von Admiral Scheer stehende Hochseeflotte wurde mehr in die Schlacht verwickelt, als dass sie diese an jenem Tag gesucht hätte. Admiral Jellicoes Grand Fleet hingegen war sie bewusst eingegangen. Holger H. Herwig (1977, S. 147) sieht für die Hochseeflotte einen taktischen Sieg aber keinen strategischen Gewinn. Immerhin blieb die britische Blockade unangefochten. Und Scheer musste seinem Kaiser nach dem Gefecht eingestehen, „daß mit Flottenkämpfen dieser Art und auch mit einer klar gewonnener Seeschlacht England nicht niedergekämpft werden könne.“ (Edward Wegener in Schottelius/Deist, 1972, S. 239) Nach diesem Eingeständnis, welches erneut auch das Scheidern der Tirpitzschen Seestrategie bestätigte, wandte sich der deutsche Admiral endgültig der Unterstützung des uneingeschränkten UB-Krieges zu. In diesem Versuch einer deutschen Gegenblockade mit den Unterseebooten, zum damaligen Zeitpunkt technisch allerdings eher Tauchbooten, sah Scheer das einzige erfolgversprechende Mittel England wirtschaftlich auszubluten und Friedensbereit zu machen. Die englischen Verluste in der Seeschlacht waren, obwohl sie mit drei Panzerkreuzern und drei Schlachtkreuzer relativ moderne Schiffe betrafen, schwer, allerdings bei weitem nicht ausreichend das Kräfteverhältnis nachhaltig zu beeinflussen oder gar zu umzukehren. Admiral Scheer selbst profitierte von der Schlacht. Die deutsche Siegespropaganda stilisierte ihn zum Helden. Für seine spätere Rolle als Führer der Deutschen Seekriegsleitung wurde hier der Grundstein gelegt. Die Versuche das Schlachtergebnis als eine eindeutige Bestätigung der Planungen von Tirpitz darzustellen verpufften schnell wieder. Die Darstellung als großer Sieg hatte erkennbar nichts an der schwierigen Versorgungslage des Kaiserreiches, seiner Bevölkerung und Industrie ändern können. (Vergl. Rojek, 2017, S. 162f)
5.2. Untätigkeit und ihre Folgen
Tatsächlich entwickelte die Passivität der Hochseeflotte noch andere Wirkungen und Gefahrenmomente. Trotha (1930, S.17f) zu dieser Untätigkeit, „Es musste zu gewaltigen inneren Spannungen führen, als die unmittelbare Kampfbereitschaft und Kampfeserwartung mit Ausbruch des Krieges sich zu völliger Zurückhaltung, die dadurch noch unerträglicher wurde, daß wir auf den Schiffen bei ermüdenden Wach – und Bereitschaftsdienst nichts erlebten …. Wir sahen uns […] fast zu völliger Untätigkeit verurteilt und dazu genötigt gegen unser eigenes Empfinden die ständig auftretenden Enttäuschungen und kleineren und größeren Rückschläge nicht nur niederzuzwingen, sondern vor den Besatzungen abzuleugnen.“ Trotha weiter, „Hier liegt nach meiner Ansicht eine der stärksten Ursachen dafür, daß in dem so vortrefflichen Zusammenstehen von Offizieren und Mannschaften sich ein Mißverstehen und etwas wie Entfremdung einschlich.“ Während hier der erste Teil von Trothas Aussagen noch nachvollziehbar ist, trifft dies auf den letzten Abschnitt keinesfalls zu. Die Ursachen für die Distanz zwischen Seeoffizieren und Schiffsmannschaften waren, wie bereit anklang, vor allem gesellschaftlich bedingt. Von einem „vortrefflichen Zusammenstehen“ kann dabei wohl nur aus Trothas Sicht die Rede sein. Herwig (1977, S. 156) macht für die zunehmende entwickelten Diskrepanzen das oftmals unmittelbar vor den Mannschaften aufgeführte Lotterleben der Offiziere verantwortlich über welches nicht selten die wildesten Gerüchte im Umlauf waren. Da Mannschaften jeglicher Besitz und Genuss von Alkohol verboten war erregte gerade der offene Missbrauch durch die Offiziere Verbitterung. Selbst Offiziere berichten dabei über solche Exzesse. Dazu Wolz Einschätzung wonach sich schon um ein besseres Verhältnis an Bord ein maßvoller Alkoholkonsum ebenso angebracht gewesen wie eine bescheidenere Verpflegung. Dazu kamen nach Herwig vor allen die hier bestehenden gravierenden Unterschiede. Matrose R. Stumpf nennt (S.63 und S. 97) die Halbierung der Brotrationen der Mannschaft zu Pfingsten 1916 und stellt dieser ein Offiziersgelage mit 6-7 Gängen gegenüber. Im November ein weiterer Abzug bei den Rationen dafür Feste in der Offiziersmesse. Nach Beschwerden beim 1. Offizier dessen Antwort, „Es gibt nicht mehr Brot. Die Leute draußen [Werft] müssen schwer arbeiten und bekommen noch weniger Brot.“
Neben der allgemeinen Offiziersbordmesse gab es für diese (Vergl. Wolz, S. 141) trotz allgemeinen Mangels im Reich noch Zukaufmöglichkeiten für den Offizier, Schließlich erhielt ein Admiral demnach monatlich 3200 Mark, ein Kapitänleutnant immerhin 600 Mark. Ein Matrose hingegen lediglich 21,90. Dabei war, so Herwig, das Verhältnis zwischen beiden Gruppen in der kaiserlichen Marine schon immer steif und förmlich gewesen. Und Güth stellt dazu fest, (Güth, S.137f) das es nicht verwunderlich sein, wenn schon die Offiziere murrten, dass auch die Besatzungen, lange Zeit zum Hausen unter Deck gezwungen, dabei ständig bei voller oder halber Bereitschaft, die Funktionen und Handgriffe bis zum Übermaß beherrschen allmählich das Vertrauen zu ihrer Führung verloren. Als Beispiel hierfür nennt Güth die Berichte des Matrosen Richard Stumpf welchen er als begeisterten Soldaten bei Kriegsbeginn darstellt und der zum völlig negativ eingestellten Menschen am Ende des Krieges wird. So nennt Stumpf harte Strafen nach den peniblen Kleiderappellen, obgleich es auf Grund des Wollmangels ab 1915 zu keiner Ausgabe von neuer Begleitung mehr kam. Stumpf war 1912 freiwillig in die Marine eingetreten. (Vergl. Stumpf, S. 33) Sein Tagebuch liegt sowohl als Einzelwerk vor und ist im Weiteren abgedruckt im Werk des Untersuchungsausschusses, 4 Reihe, Band 10, 1928 Auf Seite 44 vergleicht er den Schiffsdienst mit einer „Haft Psychose“. Ausführlich schildert er Probleme und Missstände an Bord. Fand einmal ein Seegefecht statt so erfolgten demnach auch keine Informationen hierzu durch die Offiziere, Ursprung zahlreicher Gerüchte. (Stumpf, S. 42) 1928 gibt er sich aber auch selbst entsetzt betreff seiner damaligen Verbitterung über die Offiziere. Und insbesondere während der Meuterei 1918 und unter den Waffenstillstandbedingungen der Alliierten wachsen Stumpfs Zweifel.
Güth geht weiter darauf ein, dass das Einerlei des Dienstes zu einer genaueren Beobachtung der eintönigen Umwelt führte und damit auch zu verstärkten Feststellungen von Mängeln und Unzulänglichkeiten. Zu schärferen Augen für Kleinigkeiten und Missständen. Dabei war der Tagesablauf auf einem Kriegsschiff ohnehin bis in das kleinste Detail geregelt und festgeschrieben. Beliebt war nach Stumpf das Rollenexerzieren, wobei Rolle für die ständige Wiederholung des Ablaufens eines bestimmten Szenarios stand. Leichter verständlich – tägliches einerlei. „Was an sich durchaus sinnvoll und notwendig war, verkam während des Krieges nicht selten zum reinen Selbstzweck – zum innigen Zeittotschlagen. (Wolz bei Epkenhans/Huck, S. 136) Abwechselung brachten die Seeübungen, aber diese gingen zurück als ab 1915 mit Kohlen gespart werden musste. Im Gegensatz zur Royal Navy wurden fast alle Großkampfschiffe der kaiserlichen Marine mit Kohle betrieben. Deren Bunkern war noch dazu schwerste körperliche Arbeit, häufig mit Verletzungsgefahr. Ein Linienschiff wie S.M.S. „Helgoland“ fasste in etwa 3200 Tonnen Kohle und verbrauchte bei normaler Fahrt pro Tag mehrere hundert Tonnen davon. (Vergl. Wolz, 2013, S.102) Selbst hohe Offiziere begeisterten sich an den wenigen Seeeinsätzen. (Vergl. Wolz, 2013, S. 99) Tagebuch Hipper 09-13.01.1917. „Merkwürdig, dieses Evolutionieren, das einem im Frieden zum Halse heraushing, macht einem jetzt Spaß.“ [Evolutionieren: Fahren im Verband und bei wechselnden Gefechtsformationen und Kursen]
Zu den Schwierigkeiten im Borddienst kamen auch die zahlreichen Versetzungen gerade von Offizieren im mittleren Rang, jenen welche den Männern bekannt waren und die Abläufe des Schiffes beherrschten. Deren Ersatz erfolgte zumeist durch sehr junge, dazu noch oberflächlich ausgebildete Offiziere. Erhebliche Altersunterschiede trafen dabei auf Unsicherheit welche., nur zu häufig durch forsches und strammes Auftreten kompensiert werden sollte. Hierzu Matrose Stumpf (S. 46f) schon im März 1915, „die besten und intelligentesten Offiziere sind von Bord gekommen, meist auf Kreuzer, Torpedoboote oder U-Boote … was geblieben ist, sind, bis auf wenige Ausnahmen, jene mit denen nicht viel los ist“. “Es sind die kaum beförderten Leutnants und Fähnriche, welche sich wichtigmachen wollen in dem sie die Leute unnötig schikanieren.“ Und weiter, „In Folge des Mangels an älteren Offizieren befehligt jetzt ein Leutnant die Division von 120 Mann.“ Die Versetzungen erfolgten zu den Kleinkampfkräften und der ständig ausgebauten U-Boot Flottille. Häufig bemühten sich die Offiziere selbst um diese Versetzungen. Motive waren in der Untätigkeit der Großkampfschiffe, Aufstiegschancen und Kriegslust zu sehen. Und Stumpf über Offiziere April/Mai 1917 (S. 231), „ohne Zweifel habe ich auch schon höchst bedeutende Menschen unter ihnen [den Offizieren] kennen gelernt, ganze Kerle, die mir nach jeder Richtung hin imponierten. Aber jetzt sind nur noch ganz wenige von ihnen bei uns, denn die Linienschiffe sind Abfallsammelstellen geworden und wir leiden unter diesen Anhäufungen von Dummheit und Stolz.“
Hubatsch geht in seiner Arbeit auf die Rolle der Hochseeflotte für die Sicherung der Ostsee und bezüglich Haltung und Einstellung der skandinavischen Staaten, Hollands und Dänemarks gegenüber Deutschland ein. (1958, S. 171) Auf Grund der weitgehenden Isolierung des Kaiserreiches kam diesen Ländern und der Ostsee besondere Bedeutung zu. Die Präsenz der deutschen Flotte hier war dafür nicht unerheblich. Hubatsch, „Dem Drängen der Besatzungen am Kriegsgeschehen Anteil zu haben entsprach diese Rolle nicht.“ Immer mehr entstand der Eindruck der Sinne der Hochseeflotte beschränke sich auf den Schutz der U-Bootbasen und der Absicherung deren Einsatzes.
5.3. Matrosenaufruhr 1917
Die Vielzahl von Problemen welche sich, wie bereits geschildert, aus der weitestgehenden Untätigkeit der Großkampfschiffe, der Langeweile, dem unverhältnismäßigen Drill, der Unzulänglichkeit einer Mehrzahl von Vorgesetzten und den Verpflegungsdefiziten ergaben, führten schließlich im August 1917 zu einer ersten Entladung. Bedeutung für die Arbeit erlangt dieser Abschnitt vor allem da diese Ereignisse formal als ein Vorbote dessen bewertet werden können was sich im Oktober 1918 ereignen sollte. Es war ein eher unbedeutender Anlass, welcher zum Auslöser wurde. Eine geplante Kinovorführung wurde abgesagt und sollte im Dienstplan durch eine Infanterieübung ersetzt werde. In Folge verließen 50 Heizer ohne Genehmigung ihr Schiff, die „Prinzregent Luitpold“, Nach ihrer freiwilligen Rückkehr verhängte der Kommandant des Schiffes, Kapitän zur See von Hornbardt Arreststrafen unter daran Beteiligten und ließ diese inhaftieren. Die Folge, aus Protest gingen am 02.August 1917, 600 Seeleute unter Führung des Heizers A. Kölbis von Bord und stellten Forderungen zu deren Freilassung. Wegen der hohen Zahl und da es auch zu Unruhen auf anderen Schiffen kam, ließ die Flottenführung Kriegsgerichtsverfahren einleiten. Adolf von Trotha (1930, S. 19) macht für die Ereignisse vor allem den „niedergedrückten Tatenwillen“ verantwortlich, dazu konsterniert er, „die schwachen und unzufriedenen Elemente fühlten ihre Stande gekommen und ihre zersetzenden Reden fanden willige Ohren.“
Nach H. Herwig (1977, S. 158f) nahm die Marineführung vor allem die USPD und einige ihrer Reichstagsabgeordneten ins Visier und warf diesen die Verantwortung für die Entwicklung der Ereignisse vor. Demnach wären die USPD und deren Ideologie unter den Werftarbeitern weit verbreitet und sie hätten über diese Zugang zu den Heizern und Maschinisten der Flotte gefunden.
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- Citation du texte
- Fred Göllnitz (Auteur), 2022, Der geplante Vorstoß der deutschen Hochseeflotte im Oktober 1918 und sein Scheitern, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1338763
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