Die Anschläge vom 11. September 2001 in den Vereinigten Staaten von Amerika durch Mitglieder der islamischen Terrorgruppe al-Qaida konfrontierten die westliche Welt erstmals mit einer ganz neuen, bis dato noch nie da gewesenen Bedrohungsqualität durch einen neuen Terrorismus. Die Tatsache, dass niemand auf einen derartigen Angriff vorbereitet war, hat für weltweites Entsetzen gesorgt, die Nationen aber auch in einen gemeinsamen Dialog darüber gebracht, wie man zukünftig derartige Szenarien möglichst effektiv verhindern könnte. Denn zumindest insofern ist man sich einig: Es gab zwar seit dem 11. September, abgesehen von den Anschlägen in London und Madrid, keinen Terroranschlag in solcher Dimension mehr, die Gefahr, dass sich etwas in der Qualität des 11. September wiederholen könnte, ist aber durchaus realistisch und hängt lediglich davon ab, ob potentielle Attentäter noch einmal die Möglichkeit dazu erhalten.
Das Datum des 11.09.2001 markiert deshalb eine deutliche Zäsur im Sinne einer neuen ideologisch-politischen Konfrontation zwischen dem Westen und dem radikalen Islam, es stellt insofern eine Epochenschwelle dar.
Die diesbezüglichen Entwicklungen haben auf nationaler und auf internationaler Ebene zu einer Diskussion darüber geführt, wie weit ein Staat gehen darf, um sich und seine Bevölkerung vor Bedrohungen zu schützen, welche von einem nicht kontrollierbaren Terrorismus ausgehen. Neben der Frage, inwieweit aus sicherheitsrechtlichen Gründen in grundgesetzlich zugesicherte Rechte des Einzelnen eingegriffen werden darf, hat dabei in Deutschland der seit langem schon geführte Streit, ob wirklich alle im StGB vorhandenen Straftatbestände unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten legitimier- bzw. haltbar sind, an neuer Aktualität gewonnen.
Die nachstehende Arbeit beschäftigt sich deshalb mit der Frage, ob sämtliche Tatbestände in der Konzeption des Deutschen Strafrechts überhaupt einen berechtigten Platz finden können oder ob sich darin nicht Tendenzen eines sog. Feindstrafrechts abzeichnen. Dabei soll zentral auf die Frage eingegangen werden, was unter dem Begriff eines Feindstrafrechts überhaupt zu verstehen ist und ob und gegebenenfalls inwiefern ein solches mit dem Deutschen Strafrecht vereinbar ist.
GLIEDERUNG
A) Einleitung: Die Anschläge vom 11.09.2001 in den USA
I.) Terrorbekämpfung weltweit
1.) Der „Krieg gegen den Terror“ durch die USA
2.) Weltweite Reaktionen
II.) Gesetzgeberische Konsequenzen in Deutschland
1.) … auf dem Gebiet des Polizei- und Sicherheitsrechts
2.) … auf dem Gebiet des Strafrechts
III.) Problemaufriss
B) Ausgangspunkt: Die Legitimation des Strafrechts
I.) Derzeitiger Meinungsstand
1.) Sinn und Zweck von Strafrecht
2.) Der materielle Verbrechensbegriff
a) Straftat als Rechtsgutsgefährdung
b) Straftat als Rechtsguts- und Pflichtverletzung
c) Straftat als Angriff auf die Allgemeingeltung des Rechts
d) Fazit
3.) Was ist Strafe?
4.) Strafzwecke
a) Absolute Theorien
b) Relative Theorien
aa) Spezialprävention
bb) Generalprävention
c) Vereinigungstheorie
5.) Zwischenergebnis
II.) Die Legitimation des Strafrechts aus der Sicht von Günther Jakobs
1.) Zur Person
2.) Stellungnahme seinerseits
a) Strafrecht und Strafe
aa) Straftat als Desavouierung der Norm
bb) Strafe als Widerspruch gegen den Normbruch
b) Strafzweck
aa) Positive Generalprävention
bb) Kritik an den übrigen relativen Theorien
c) Zwischenergebnis
3.) Konsequenz: problematische Regelungen des StGB
C) Das Theorem des Feindstrafrechts
I.) Historische Wurzeln
1.) Römisches Recht
2.) Neuzeit
a) Thomas Hobbes (1588-1679)
b) Jean-Jacques Rousseau (1712-1778)
c) Johann Gottlieb Fichte (1762-1814)
II.) Weiterentwicklung durch Günther Jakobs
1.) Kritik an den historischen Konzepten
2.) Die Trennung zwischen Bürgern und Feinden
a) Die Unterscheidung zwischen „Mensch“ bzw. „Individuum“ und „Person“
aa) Naturalistisches Menschbild
bb) Das Zusammentreffen mehrerer Individuen
(a) Erforderlichkeit eines Ordnungsschemas
(b) Die Definition des Individuums als „Person“
cc) Zwischenergebnis
b) Die „Personen“ als „Bürger“
aa) Die innere Bürgerliche Sphäre
bb) Die externe Sphäre
cc) Versuch einer Grenzziehung
dd) Konsequenzen für den staatlichen Zugriff
(a) Kritik an der derzeitigen Praxis
(b) Voraussetzungen, um auf das Internum zugreifen
zu dürfen
ee) Zwischenergebnis
c) Der „Bürger“ als Täter
aa) Voraussetzungen für die Charakterisierung als Täter
bb) Reaktionen des Staates auf den Täter
(a) Verlust des Personenstatus’?
(b) Strafe zur Wiederherstellung der Normgeltung
cc) Zwischenergebnis
d) Der Täter als „Feind“
aa) Die Grenze des Täterbegriffes
bb) Die Definition des Feindes
cc) Der Umgang mit dem Feind
dd) Zwischenergebnis
e) Konsequenz: Bürgerstrafrecht und Feindstrafrecht
aa) Bürgerstrafrecht
bb) Feindstrafrecht
cc) Zwischenergebnis
f) Fazit
3.) Feindstrafrechtliche Regelungen im Strafrecht
a) Regelungen aus dem Bereich des materiellen Strafrechts
aa) Versuch der Beteiligung gem. § 30 StGB
bb) Bildung krimineller bzw. terroristischer Vereinigungen gem. §§ 129, 129 a StGB
cc) Bekämpfungsgesetze
b) Problematische strafprozessuale Regelungen
aa) Kontaktsperre nach §§ 31 ff EGGVG
bb) Weitere prozessuale Eingriffsmöglichkeiten
cc) Zwischenergebnis
c) Problemfälle auf der Rechtsfolgenseite
d) Fazit: Vier Kennzeichen für Feindstrafrecht
4.) Konsequenzen für Jakobs
a) Die Beurteilung der gefundenen feindstrafrechtlichen Regelungen
aa) Überflüssiges Feindstrafrecht
bb) Notwendiges Feindstrafrecht
b) Forderungen an den Staat und die Strafrechtswissenschaft
c) Möglichkeit der Eingliederung feindstrafrechtlicher Regelungen
in das geltende Rechtssystem
aa) Generelle Verortung im Polizeirecht?
bb) Grundsätzliche Möglichkeit der Legitimation?
d) Schlussfolgerung
5.) Eigene Stellungnahme zur Veränderung seines Standpunktes
III.) Weitere Vertreter
IV.) Kritik
1.) Fehlerhafte Grundannahmen von Feindstrafrecht
a) Keine Vereinbarkeit mit einem Demokratischen Staatsverständnis
b) Keine Begründbarkeit mit dem Strafzweck der Generalprävention
2.) Bedenken speziell gegen den Feindbegriff
a) Keine Erläuterung des Begriffes der sog. Kognitiven Mindestgarantie
b) Feinddefinition als solche zu unbestimmt
c) Falsches Verständnis des kommunikativen Zusammenhangs
der Straftat
d) Im übrigen auch keine Erforderlichkeit der Feinderklärung
3.) Bedenken gegen das Gesamtkonzept des Feindstrafrechts
a) Untauglichkeit des Begriffs
b) Bedenken an der Verfassungsmäßigkeit
c) Konsequenz: Sicherheitsstaat?
4.) Stellungnahme zu den von Jakobs angeführten Beispielen
a) Beispiele für den „typischen“ Feind
aa) Der Sexualstraftäter
bb) Die organisierte Kriminalität
cc) Drogenkriminalität und Terrorismus
(a) Die Drogenkriminalität
(b) Der Terrorismus
b) Zum Abbau prozessualer Garantien im Strafprozessrecht
5.) Fazit
V.) Jakobs’ Reaktionen auf die Kritik
D) Abschließende Stellungnahme
I.) Eigene Einschätzung „feindstrafrechtlicher“ Regelungen
1.) § 30 StGB
2.) §§ 129 ff StGB
3.) Strafprozessrechtliche Regelungen
a) §§ 31 ff EGGVG
b) §§ 112 ff StPO
c) Weitere Regelungen im Strafprozessrecht
II.) Möglichkeiten der Begründung der §§ 129 ff StGB
1.) Abschaffung des gesamten Regelungsinhaltes
2.) Ausgliederung in das Polizeirecht?
3.) Aussonderung in ein neu zu schaffendes Feindstrafrecht?
a) Einwand gegen die Positive Generalprävention
b) Einwand gegen Jakobs’ Staatsverständnis
c) Keine Abgrenzungskriterien zwischen Täter und Feind
d) Feinderklärung verstößt gegen Art. 1 I GG
e) Fazit
4.) Möglichkeit eines Ausweges?
a) Das Problem der Sicherheit
b) Die Verknüpfung sicherheitlicher Erwägungen mit dem Strafrecht
c) Fazit
III.) Ausblick
IV.) Ergebnis
„Das Konzept des Feindstrafrechts“
A) Einleitung: Die Anschläge vom 11.09.2001 in den USA
Die Anschläge vom 11. September 2001 in den Vereinigten Staaten von Amerika durch Mitglieder der islamischen Terrorgruppe al-Qaida konfrontierten die westliche Welt erstmals mit einer ganz neuen, bis dato noch nie da gewesenen Bedrohungsqualität durch einen neuen Terrorismus. Die Tatsache, dass niemand auf einen derartigen Angriff vorbereitet war, hat für weltweites Entsetzen gesorgt, die Nationen aber auch in einen gemeinsamen Dialog darüber gebracht, wie man zukünftig derartige Szenarien möglichst effektiv verhindern könnte. Denn zumind. insofern ist man sich einig: Es gab zwar seit dem 11. September, abgesehen von den Anschlägen in London und Madrid, keinen Terroranschlag in solcher Dimension mehr, die Gefahr, dass sich etwas in der Qualität des 11. September wiederholen könnte, ist aber durchaus realistisch und hängt ledigl. davon ab, ob potentielle Attentäter noch einmal die Mglkt. dazu erhalten.
I.) Terrorbekämpfung weltweit
Das Datum des 11.09.2001 markiert eine deutliche Zäsur im Sinne einer neuen ideologisch-polit. Konfrontation zwischen dem Westen und dem radikalen Islam, es stellt insofern eine Epochenschwelle dar. Die Konsequenzen, die die westlichen Nationen hieraus zogen, waren und sind äußerst vielschichtig.
1.) Der „Krieg gegen den Terror“ durch die USA
So kündigte der amtierende US-Präsident George W. Bush in seiner Ansprache am 20.09.2001 vor dem Kongress den „Krieg gegen den Terror“ an. Im Rahmen dessen begannen die USA am 07.10.2001 die „Operation Enduring Freedom“ in Afghanistan, welche das Ziel hatte, Führungs- und Ausbildungseinrichtungen von Terroristen auszuschalten, Terroristen zu bekämpfen, gefangen zu nehmen und vor Gericht zu stellen. In diesem Zusammenhang ist auch der am 20.03.2003 begonnene Irak-Krieg zu nennen.
2.) Weltweite Reaktionen
Die NATO reagierte auf die Vorfälle, indem sie am 12.09.2001 erstmals seit ihrem Bestehen den Bündnisfall ausrief, weil der stattgefundene
Terroranschlag als kriegerischer und von außerhalb auf das Staatsgebiet der USA hereingetragener Angriff verstanden wurde. Hieraus folgte eine Beistandspflicht der Bündnispartner, die dazu führte, dass die USA in der Folgezeit weltweite Unterstützung anderer Regierungen in ihrem Bemühen um eine „Koalition gegen den Terror“ erfuhr und bis heute erfährt. Jedoch sahen sich die einzelnen Staaten daneben immer noch mit der Frage konfrontiert, wie man einer Bedrohung durch organisierte Terrornetzwerke im eigenen Land zukünftig sachgerecht und möglichst effektiv begegnen könnte. Antworten hierauf fand man einerseits in einer verstärkten Zusammenarbeit verschiedener Länder mit dem Ziel, mutmaßliche Terroristen festnehmen und angebliche Terrorgruppen zerstören zu können, andererseits aber auch in einer drastischen Verschärfung der nationalen Sicherheitspolitik.
II.) Gesetzgeberische Konsequenzen in Deutschland
Auch die jüngsten Aktivitäten des dt. Gesetzgebers zeigen, dass die Ängste um die Wahrung der verfassungsmäßigen Ordnung und der öffentl. Sicherheit auch an ihm nicht spurlos vorübergegangen sind.
1.) … auf dem Gebiet des Polizei- und Sicherheitsrechts
So wurden aus Gründen der inneren Sicherheit die Polizeigesetze der Länder verschärft und auf eine verstärkte Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern hingearbeitet. Als jüngste Entwicklung ist an dieser Stelle auch die am 12.11.2008 durch den Bundestag beschlossene, höchst umstrittene Änderung des Bundeskriminalamtgesetzes in der Fassung vom 07.07.1997 zu erwähnen, welche das Ziel verfolgt, die Mglkt. bei der Bekämpfung des internat. Terrorismus zu erweitern und damit zu verbessern. Zu diesem Zwecke sollen dem Bundeskriminalamt neue Befugnisse eingeräumt werden: So soll es künftig einen Verdächtigen abhören, filmen und fotografieren dürfen, und zwar unabhängig davon, ob er sich in einer fremden oder in seiner eigenen Wohnung aufhält. Darüber hinaus soll es künftig gestattet sein, Telefongespräche heimlich aufzuzeichnen, und, unter bestimmten Voraussetzungen, die Wohnung eines Verdächtigen ohne dessen Wissen zu betreten und zu durchsuchen. Auch darf das Bundeskriminalamt, wird die Gesetzesänderung tats. erlassen, künftig die sog. Rasterfahndung einsetzen, also bestimmte Personengruppen anhand bestimmter Suchkriterien aus öffentl. und privaten Datenbanken herausfiltern.
2.) … auf dem Gebiet des Strafrechts
Aber die offenkundige Angst um die innere Sicherheit hat nicht nur zu einer Flut von gesetzgeberischen Aktivitäten im Bereich des Polizei- und Sicherheitsrechts geführt. Auch das Strafrecht hat gravierende Änderungen erfahren. So wurde zwar durch die Reaktionen des Gesetzgebers mit dem 34. Strafrechtsänderungsgesetz[1] und mit dem Terrorbekämpfungsgesetz[2], sowie mit dem Gesetz zur Umsetzung des Urteils des BVerfG vom 16.05.2002[3] einerseits der Anwendungsbereich der bereits existenten §§ 129, 129a StGB teilweise eingeschränkt, andererseits wurde aber durch den im Zuge der Terrorismusbekämpfung neu geschaffenen § 129b StGB die Unterstützung auch ausländischer krimineller und terroristischer Vereinigungen mit einbezogen.
III.) Problemaufriss
Die eben dargestellten Entwicklungen haben auf nationaler und auf internat. Ebene zu einer Diskussion darüber geführt, wie weit ein Staat gehen darf, um sich und seine Bevölkerung vor Bedrohungen zu schützen, welche von einem nicht kontrollierbaren Terrorismus ausgehen. Neben der Frage, inwieweit aus sicherheitsrechtlichen Gründen in grundgesetzl. zugesicherte Rechte des Einzelnen eingegriffen werden darf, hat dabei in Deutschland der seit langem schon geführte Streit, ob wirklich alle im StGB vorhandenen Straftatbestände unter rechtsstaatl. Gesichtspunkten legitimier- bzw. haltbar sind, an neuer Aktualität gewonnen. Denn bei einigen Tatbeständen, exemplarisch seien hier die §§ 86, 86a StGB, die bereits erwähnten §§ 129 ff StGB oder aber auch § 130 StGB genannt, stellt sich tats. die Frage, ob sich nicht darin bereits ein „Sonderrecht für Staatsfeinde“[4] abzeichnet.
Die nachstehende Arbeit beschäftigt sich deshalb mit der Frage, ob derartige Tatbestände in der Konzeption des dt. Strafrechts überhaupt einen berechtigten Platz finden können oder ob sich darin nicht bereits feindstrafrechtl. Tendenzen abzeichnen. Dabei soll zentral auf die Frage eingegangen werden, was unter dem Begriff eines Feindstrafrechts überhaupt zu verstehen ist und ob und gegebenenfalls inwiefern ein solches mit dem dt. Strafrecht vereinbar ist.
B) Ausgangspunkt: Die Legitimation des Strafrechts
Ausgangspunkt muss deshalb zunächst sein, welche Aufgabe Strafrecht in der Rechtsordnung erfüllen soll, vor allem aber, welcher Zweck der Strafe als zentrales Instrument des Staates zugrunde liegt.
I.) Derzeitiger Meinungsstand
Da dies aber ledigl. zum Grundlagenverständnis des daran anknüpfenden Gebildes eines sog. Feindstrafrechts benötigt wird, soll an dieser Stelle nur kurz der derzeitige Meinungsstand dargestellt werden.
1.) Sinn und Zweck von Strafrecht
Zunächst stellt sich also das Problem, warum überhaupt menschliches Verhalten sanktioniert werden muss, mithin, welcher Zweck mit Strafrecht eigentlich verfolgt wird. Die Aufgabe des Strafrechts ist der „Schutz des Zusammenlebens der Menschen in der Gemeinschaft, mithin eine Friedens- bzw. Schutzordnung für die menschlichen Sozialbeziehungen“.[5] Das Zusammenleben aller Menschen vollzieht sich in erster Linie nach überlieferten Regeln, die in ihrer Gesamtheit die soziale Ordnung bilden.[6] Diese allein kann aber das Zusammenleben in der Gemeinschaft nicht sicherstellen, weil so immer die Gefahr besteht, dass die Bürger zur Lösung ihrer Konflikte zur Selbsthilfe greifen und sich der Stärkere ggü. dem Schwächeren durchsetzt. Deshalb bedarf es einer Rechtsordnung, die die Allgemeinverbindlichkeit aller als Recht geltenden Normen gewährleistet und Rechtsverletzungen entgegentritt. Träger dieser planmäßig geschaffenen Rechtsordnung ist der Staat, welcher durch das Strafrecht, also durch die „Anwendung von staatl. Zwang die Unverbrüchlichkeit der Rechtsordnung sichert“[7]. Das Strafrecht bedient sich dabei dem stärksten Machtinstrument über das die Staatsgewalt verfügt, nämlich dem der öffentl. Strafe, welche als „letzte Instanz, wenn andere Maßnahmen und Mglkt. versagen, die Erzwingbarkeit der Ge- und Verbote der Rechtsordnung sichert“[8]. Allerdings ist sie möglichst sparsam einzusetzen, was nicht nur verfassungsrechtlich durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, sondern auch im Sinne effizienter Verhaltenssteuerung geboten ist, da die Strafe andernfalls durch inflationären
Gebrauch ihre soziale und individuelle Wirkung verlieren würde.[9]
2.) Der materielle Verbrechensbegriff
In einem zweiten Schritt ist nun zu untersuchen, wie ein Verhalten beschaffen sein muss, damit der Staat überhaupt berechtigt ist, es unter Strafe zu stellen, da die Staatsgewalt nicht in beliebiger Weise und auch nicht in beliebigem Umfang eingesetzt werden darf. Die Debatte um die angemessene Reichweite des Strafrechts wird traditionell unter dem Stichwort des mat. Verbrechensbegriffs[10] geführt. Allerdings kann diese vielschichtige Diskussion im Rahmen dieses begrenzten Beitrages nicht in voller Länge aufgezeigt werden, zumal dies für das Thema auch nicht unbedingt erforderl. ist, sodass nur kurz dargestellt werden soll, welche Ansichten hierzu vertreten werden.
a) Straftat als Rechtsgutsgefährdung
Nach einer Auffassung sind Strafnormen nur legitim, wenn sich ein Rechtsgut aufweisen lässt, das durch sie geschützt werden soll, sodass auch eine strafbare Handlung nur dann vorliegt, wenn sie ein Rechtsgut mindestens gefährdet.[11] Dies ergebe sich aus der Aufgabe des Strafrechts, seinen Bürgern ein freies und friedliches Zusammenleben unter der Gewährleistung aller verfassungsrechtlich garantierten Grundrechte zu sichern.[12] Entscheidender Punkt gegen diese Ansicht ist jedoch, dass sie nicht genau erklärt, was unter dem Begriff des Rechtsgutes zu verstehen ist.[13] „Der Rechtsgutsbegriff geht deshalb viel zu weit und kann einer strafrechtskritischen und –begrenzenden Konzeption nicht genügen“.[14] Denn nicht nur menschliche Handlungen, sondern auch unabwendbare Naturkatastrophen gefährden Rechtsgüter, obwohl sie zweifelsfrei nicht dem Strafrecht unterfallen.[15] Die Gefährdung eines Rechtsgutes ist demnach für sich allein betrachtet kein geeignetes Kriterium, um strafbare Handlungen zu charakterisieren.
b) Straftat als Rechtsguts- und Pflichtverletzung
Eine andere Ansicht ergänzt die Charakterisierung der strafbaren Handlung als Rechtsgutsverletzung um das Merkmal der
Pflichtverletzung.[16] Strafrechtl. relevant sind demnach nur Folgen eines menschlichen Willens, der den Geltungsanspruch des Rechtsgutes missachtet und damit die notwendige Vertrauensbasis im Zusammenleben der Menschen erschüttert.[17] Die Aufgabe des Strafrechts besteht demnach darin, dass Rechtsgüterschutz und Einwirkung auf den Handlungswillen der Rechtsgenossen als gleichwertige, sich gegenseitig ergänzende Kriterien zu verstehen sind. Strafnormen dürfen erst dort eingesetzt werden, wo die essentielle Notwendigkeit des Schutzes der Allgemeinheit oder lebenswichtiger Interessen des Einzelnen dies erfordern.[18] Dies zeigt allerdings, dass letztlich doch wiederum nur das zu schützende Rechtsgut maßgebl. Kriterium für die Pflichtverletzung ist, weshalb sich diese Ansicht praktisch kaum von der zuvor aufgezeigten Lehre vom Rechtsgüterschutz unterscheidet.
c) Straftat als Angriff auf die Allgemeingeltung des Rechts
Nach einer weiteren Auffassung stellt sich die Straftat als eine Rechtsverletzung dar, die die Selbstständigkeit des Betroffenen grundlegend beeinträchtigt und damit die Allgemeingeltung des Rechts selbst in Frage stellt.[19] Konstitutiv für das Verbrechen ist demnach, dass sich „das Subjekt des Rechts zum Grundsatz des Unrechts verkehrt und damit die Rechtsgeltung nicht nur in partikulärer Fehlleistung, sondern prinzipiell und unabsehbar aufhebt“[20]. Dies bedeutet, dass der Täter den Allgemeingeltungsanspruch der Norm und gleichzeitig die Rechtsfähigkeit des Rechtssubjektes angreift. Dem Betroffenen wird folglich durch die Verletzung seiner Rechtsgüter ein fremder Wille aufgezwungen, welcher ihn zum Objekt degradiert. Dadurch wird einerseits das Opfer in seiner Menschenwürde aus Art 1 I GG betroffen und andererseits der Staat aufgerufen, seiner Schutzpflicht aus Art 1 I 2 GG nachzukommen. Weil sie somit bewusst eigenmächtige Angriffe auf fremde Rechtsfähigkeit darstellen,[21] sind derartige Handlungen als Verbrechen zu bestrafen.
d) Fazit
Bei der Frage, warum eine Handlung zu bestrafen ist, gehen die Meinungen also doch recht weit auseinander. Einigkeit besteht allerdings zumind.
insoweit, als dass allen Strafrechtsnormen positive Werturteile über Lebensgüter zugrunde liegen, die für das Zusammenleben der Gemeinschaft unentbehrlich sind und die deshalb durch die Zwangsgewalt des Staates mittels der öffentl. Strafe geschützt werden müssen.[22] Auch Günther Jakobs hat in dem Streit um den mat. Verbrechensbegriff Stellung bezogen. Da er aber seine Überlegungen sogleich zum Anlass nimmt, um im weiteren Verlauf daraus das Theorem des Feindstrafrechts zu entwickeln, sollen diese an späterer Stelle (unter B II.) im Zusammenhang dargestellt werden.
3.) Was ist Strafe?
Die Diskussion um den mat. Verbrechensbegriff hat gezeigt, dass es strafwürdiges Verhalten gibt, welches durch den Staat sanktioniert werden muss. Damit steht auch gleichzeitig fest, dass die Strafe zur Aufrechterhaltung der Rechtsordnung als eine Grundbedingung für das menschliche Zusammenleben der Menschen in der Gemeinschaft unumgänglich ist. Ihrem Wesen nach ist sie dabei ein „öffentl. sozialethisches Unwerturteil über den Täter wegen der von ihm schuldhaft begangen Rechtsverletzung“.[23] „Strafe kann man damit als eine dem Straftäter zugefügte Einbuße am Grundrechtsstatus wegen des vergangenen Verbrechens charakterisieren, welche die notwendige ausgleichende Wiederherstellung des durch die Tat in seiner Allgemeingültigkeit verletzten Rechtsverhältnisses in schlüssiger Negation des Verbrechens ermöglicht.“[24] Sie stellt insoweit immer auch ein Übel dar, mag sie auch zum Besten des Verurteilten dienen.
4.) Strafzwecke
Damit stellt sich sogleich die Frage, welcher Zweck durch den Bestrafungsakt bei dem Verurteilten und der Allgemeinheit erreicht werden soll. Dies wird anhand verschiedener Strafzwecktheorien schon seit Jahrhunderten zu beantworten versucht. Hier ist ebenfalls eine kritische Auseinandersetzung mit allen Vor- und Nachteilen der einzelnen Ansätze in dem zur Verfügung stehenden Umfang nicht mgl., aber auch nicht erforderl.. Dennoch soll kurz aufgezeigt werden, welche Ansätze sich in der Dogmatik herausgebildet haben, denn nur so kann im folgenden ein schlüssiger Zusammenhang mit dem Standpunkt von Günther Jakobs hergestellt werden. Die beiden
Grundgedanken, aus denen Strafe entspringt, sind Vergeltung und Vorbeugung, und zwar i.d.S., dass Strafe entweder in die Vergangenheit blickt und durch die gewollte Zufügung des mit ihr verbundenen Übels einen Ausgleich der geschehenen Rechtsverletzung herbeiführen will, oder aber, dass sie in Richtung Zukunft wirkt und dementsprechend auf den Täter und die Allgemeinheit zum Zwecke der Verhütung von Straftaten einwirken will.[25] Daraus ergeben sich also zwei Gruppierungen der zum Strafzweck vertretenen Auffassungen, nämlich einerseits die absoluten und andererseits die relativen Theorien.
a) Absolute Theorien
Die absoluten Straftheorien sehen den Sinn der Strafe allein in der Vergeltung, durch welche dem Schuldigen Gerechtigkeit für seine Tat widerfahren soll.[26] Sie werden als absolut bezeichnet, weil die Bestrafung von jeder gesellschaftlichen Wirkung losgelöst ist.[27] Die Strafe soll gerecht sein und setzt voraus, dass sie in ihrer Dauer und Härte der Schwere der Missetat entspricht, sie also ausgleicht. Es ist das Talionsprinzip, „Auge um Auge, Zahn um Zahn“, welches hinter der Vergeltungstheorie steht und auch von Kant aufgegriffen wurde. Dieser sah den Zweck der Strafe einzig in der Vergeltung von Schuld, weil selbige niemals bloßes Mittel sein kann, ein anderes Gute für den Verbrecher selbst oder für die bürgerliche Gesellschaft zu befördern, sondern jederzeit nur darum verhängt werden muss, weil der Täter verbrochen hat.[28] Hegel kam zu sehr ähnlichen Ergebnissen, indem er das Verbrechen als Negation des Rechts und die Strafe als Negation dieser Negation, als Aufheben des Verbrechens, das sonst gelten würde und damit als Wiedergutmachung des Rechts, auffasste.[29] Der maßgebl. Unterschied liegt jedoch darin, dass er das praktisch undurchführbare Talionsprinzip durch den Gedanken der Wertgleichheit von Verbrechen und Strafe ersetzte. In der damit entstandenen Form setzte sich die Vergeltungstheorie in den nächsten 150 Jahren als herrschende Ansicht durch.[30] Hervorzuheben ist, dass die absoluten Theorien ein Maßprinzip liefern, in welchem die begangene Tat Grund und Maß der Strafe darstellt. Wenn also die Strafe der Schuld entsprechen soll, kann jedenfalls bei geringerer Schuld durch drastische Bestrafung kein Exempel statuiert werden. Allerdings wird dieser Ansatz dennoch zwischenzeitlich wegen seiner sozialpolit. unerwünschten Folgen im Großen und Ganzen verworfen. Wenn man nämlich das begangene Übel des Verbrechens mit der Zufügung eines weiteren Übels zu vergelten versucht, wird der Täter dies eher als eine für ihn verbindliche Basis ansehen und weiteres Unrecht verwirklichen. Die Sozialisationsschäden, welche oft Ursache für die Verübung von Straftaten sind, werden dagegen nicht geheilt, sodass Vergeltung kein geeignetes Mittel zur Verbrechensbekämpfung sein kann.
b) Relative Theorien
Nach den relativen Theorien hat „Strafe nicht die Gerechtigkeit auf Erden zu verwirklichen, sondern ist vielmehr dem Gesellschaftsschutz zu dienen bestimmt“[31]. Sie ist daher ledigl. das Mittel zum Zweck, strafbare Handlungen in der Zukunft zu verhindern.[32] Die Institution der Strafe ist also nur dann gerechtfertigt, wenn durch das Übel, seine Ankündigung, Verhängung oder reale Zufügung, bestimmte, der Verbrechensvorbeugung dienende Zwecke erstrebt werden.[33] Die Vorbeugung kann sich entweder an den individuellen Täter richten, insoweit spricht man von Spezialprävention, oder aber an die Allgemeinheit, die sog. Generalprävention.
aa) Spezialprävention
Nach der Konzeption von Franz v. Liszt besteht spezialpräventiv die Mglkt., die Allgemeinheit vor dem Täter durch dessen Einsperrung zu sichern, selbigen durch Strafe vor der Begehung weiterer Straftaten abzuschrecken oder aber durch dessen Besserung ihn vor der Rückfälligkeit zu bewahren.[34] Problematisch ist allerdings, dass dieser Strafzweck kein Maß für die Strafe liefert, denn „die Tat wird nur als Bedingung für eine weiterreichende Gefahrenpotentialbeurteilung und darauf reagierenden Präventionszwang genommen“.[35] Der Täter erhält nicht das, was er nach seiner Schuld verdient, sondern vielmehr das, was er zu seiner Resozialisierung braucht.
bb) Generalprävention
An die Allgemeinheit gerichtete Vorbeugung soll einerseits durch Abschreckung erfolgen, indem Strafe auf andere Tatgeneigte, die sich an der Tat ein schlechtes Bsp. nehmen könnten, gegenmotivierend wirken soll.[36] Andererseits soll die Strafe bei denjenigen, für die sich durch die unsanktionierte Tat das Normvertrauen in gesichertes Recht auflösen könnte, normstabilisierend wirken.[37] Aber auch dies bietet, genau wie die Spezialprävention, keinen Maßstab zur Begrenzung der Strafdauer, weil mit dem Argument, höhere und härtere Strafen würden eine abschreckendere Wirkung entfalten, der Maßlosigkeit Tor und Tür geöffnet würde. Darüber hinaus verstößt die Generalprävention, also Strafe, um auf die Allgemeinheit einzuwirken, gegen die Menschenwürde aus Art. 1 I GG, welche es ja gerade untersagt, einen Menschen zum Objekt staatl. Handelns zu machen.
c) Vereinigungstheorie
Um zwischen den Vor- und Nachteilen der eben aufgezeigten Theorien einen Ausgleich zu finden, hat sich durch die Kombination der relativen mit den absoluten Theorien die heute herrschende sog. Vereinigungstheorie[38] herausgebildet. Die Verknüpfung entsteht dabei nicht durch die bloße Summierung sich widersprechender Grundgedanken, wohl aber durch die praktische Überlegung, dass die Strafe in der Wirklichkeit ihrer Anwendung ggü. dem betroffenen Menschen und der Allgemeinheit die Gesamtheit ihrer Funktionen zu entfalten vermag, sodass es darauf ankommt, sämtliche Strafzwecke in ein ausgewogenes Verhältnis zueinander zu bringen.[39] Dies geschieht i.d.S., dass die Schuld als Grundlage der Strafe anzusehen ist, § 46 I 1 StGB, aber innerhalb des durch die Schuldproportionen gezogenen Rahmens präventive Zwecke verfolgt werden sollen. So sollen nach § 46 I 2 StGB auch die Wirkungen, die von der Strafe auf das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu erwarten sind, mit in das Strafmaß einbezogen werden. Darüber hinaus sind aber auch generalpräventive Aspekte wahrnehmbar, wenn zur Verteidigung der Rechtsordnung ausnahmsweise ein kurze Freiheitsstrafe verhängt werden darf, § 47 I StGB, oder eine Strafaussetzung zur Bewährung abgelehnt werden darf, § 56 III StGB. An der Vereinigungstheorie wird allerdings kritisiert, dass sie, und das lässt sich kaum bestreiten, aus sich gegenseitig widersprechenden Grundsätzen besteht und damit nicht nur immer in sich widersprüchlich bleibt, sondern darüber hinaus auch die Mängel der
Einzellauffassungen summiert und damit eine einheitl. Konzeption der Strafe als ein Mittel sozialer Befriedigung unmgl. macht.[40]
5.) Zwischenergebnis
Die eben dargestellte Problematik der Legitimation des Strafrechts lässt sich aufgrund der vorangegangenen Überlegungen daher wie folgt zusammenfassen: Strafrecht hat jedenfalls die Aufgabe, mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln die ihm zugrunde liegenden Werturteile über Lebensgüter, die für das Zusammenleben der Gemeinschaft unentbehrlich sind, zu schützen. „Denn ein Strafrecht, das für das friedliche Zusammenleben sinnlose Handlungen gebietet oder unerhebliche Handlungen verbietet, wäre ohne Legitimation.“[41] Wichtigstes Instrument des Strafrechts zur Durchsetzung seines Anspruches, Rechtsgüter der Gemeinschaft zu schützen, ist dabei die Strafe, die ein öffentl. sozialethisches Unwerturteil wegen der vom Täter schuldhaft begangenen Rechtsverletzung darstellt. Der Bestrafungsakt soll dabei, folgt man der heute vorherrschenden Ansicht und damit der Vereinigungstheorie, durch die Berücksichtigung „absoluter“ und „relativer“ Elemente jedenfalls sowohl repressive als auch präventive Zwecke verfolgen. Uneinigkeit besteht jedoch in diesem Zusammenhang wiederum darüber, ob die präventiven Strafzwecke nicht ledigl. im Rahmen eines gerechten Schuldausgleichs verfolgt werden dürfen, so die sog. „vergeltende Vereinigungstheorie“ oder, ob, wie von der sog. „präventiven Vereinigungstheorie“ gefordert, die Aufgabe des Strafrechts nicht vielmehr ausschließlich in der Spezial- und Generalprävention zu suchen ist.[42], Letztlich ist diese Problematik jedoch für die nun folgenden Überlegungen ohne Belang, sodass sie ohne eine nähere Erörterung dahingestellt bleiben kann.
II.) Die Legitimation des Strafrechts aus der Sicht von Günther Jakobs
Zu der Frage, warum eine Handlung zu bestrafen ist, und, falls man dies beantwortet haben sollte, was denn überhaupt mit Strafe bezweckt werden soll, hat auch Günther Jakobs Stellung genommen und seine in diesem Zusammenhang getroffenen Überlegungen zugleich zum Ausgangspunkt eines einmaligen Konzepts gemacht.
1.) Zur Person
Günther Jakobs, der 1967 an der Universität Bonn zur strafrechtl. Konkurrenzlehre promovierte und sich 1971 ebenfalls in Bonn bei Hans Welzel mit einer Arbeit über das fahrlässige Erfolgsdelikt habilitierte, lehrte bis zu seiner Emeritierung im Jahre 2002 an den Universitäten Kiel, Regensburg und Bonn. Dabei lagen die Schwerpunkte seines wissenschaftlichen Werkes in den Grundlagen des Strafrechts, speziell in den Strafzwecken, der Zurechnungslehre und dem Schuldbegriff. In seinem Lehrbuch zum AT des dt. StGB, in Monographien und zahlreichen Aufsätzen entwickelte Jakobs Elemente einer Strafrechtstheorie, die sich als Funktionalismus bezeichnen lässt.[43] Darüber hinaus entfachte er mit der von ihm erstmals 1985 getroffenen Unterscheidung zwischen sog. „Bürger- und Feindstrafrecht“ eine heftige Kontroverse weit über die juristische Fachwelt hinaus, welche nach den Ereignissen am 11.09.2001 in eine Debatte um die Bewahrung rechtsstaatl. Garantien im Kampf gegen den Terrorismus mündete. Doch so massiv sämtliche seiner Überlegungen auch kritisiert wurden und werden, so maßgebl. hat Jakobs als Strafrechtsdogmatiker und Philosoph damit die wissenschaftliche Diskussion nicht nur in Deutschland, sondern vor allem auch in Spanien und Lateinamerika, beeinflusst.
2.) Stellungnahme seinerseits
Nunmehr soll sich seiner Auffassung zur Legitimation des Strafrechts zugewandt werden.
a) Strafrecht und Strafe
Jakobs sieht den Beitrag, den das Strafrecht zur Erhaltung der staatl. und gesellschaftlichen Gestalt leistet, in der Garantie von Normen, dergestalt, dass die Erwartungen, die zum Funktionieren des sozialen Lebens in der gegebenen und in der gesetzl. geforderten Gestalt unabdingbar sind, im Fall ihrer Enttäuschung nicht preisgegeben werden müssen.[44] Eine Norm gilt seiner Ansicht nach aber nur, wenn sich die Erwartenshaltung aller in diese Norm bestätigt.[45] Dies bedeutet, dass die Norm dem potentiell Betroffenen in dem Moment der Verletzung durch den Täter, den eigentlichen Normadressaten, als stabil erscheinen muss. Damit ist die Normgeltung nicht nur von der
Beziehung zum potentiellen Täter abhängig, sondern auch von der Beziehung zwischen Norm und dem mgl. Betroffen, also von dessen Normvertrauen.
aa) Straftat als Desavouierung der Norm
Daraus schlussfolgert Jakobs, dass Normgeltung nicht nur durch die üblichen Normbrüche beeinträchtigt werden kann, sondern überhaupt durch jegliche Beeinträchtigung des Normvertrauens der Betroffenen, gleich auf welche Weise dies geschieht.[46] Damit liegt aus seiner Sicht immer dann eine Straftat vor, wenn der Norm durch den Täter widersprochen wird. Dieser Widerspruch gegen die Norm durch ein Verhalten ist der Normbruch, die „Desavouierung der Norm“.[47] Indem der Täter die Norm nicht als für sich verbindlich anerkennt, ruft er einen sozialen Konflikt hervor, weil das durch die Norm gegebene Orientierungsmuster in Frage gestellt wird. Die Bedeutung von deliktischem Verhalten liegt deshalb in der Negation der Bedeutung von Normen und die Bekräftigung des Festhaltens an der Normbedeutung ist die strafende Reaktion.[48]
bb) Strafe als Widerspruch gegen den Normbruch
Unter Strafe versteht Jakobs demzufolge eine Reaktion auf einen Normbruch, wodurch demonstriert wird, dass an der verletzten Norm festgehalten werden soll. Dies erfolgt stets auf Kosten des für den Normbruch Zuständigen, indem er Einbußen an seinen Gütern hinnehmen muss.[49] Die Strafe erfolgt aber nicht um ihrer selbst Willen, sondern weil auf garantierte Orientierungen im sozialen Leben nicht verzichtet werden kann.[50] Der Strafschmerz ist dabei so zu bemessen, dass die geschehene Tat als missglücktes Unternehmen angesehen wird, um zu verhindern, dass die von der Tat ausgehende Gefährdung der Normgeltung zum Schaden anwächst, und dafür, dass diese Verhinderung gelingt, muss der Täter wegen der Verantwortung für seine Tat einstehen.[51]
b) Strafzweck
Die gegen den Täter zu verhängende Strafe stellt damit, genauso wie das von ihm begangene Unrecht, ein Übel dar. Trotzdem soll in der Übelszufügung aufgrund eines schon vorhandenen Übels nach Jakobs nicht der Zweck von Strafe zu sehen sein, sondern einzig in der Demonstration von Normgeltung auf Kosten eines Zuständigen.[52]
aa) Positive Generalprävention
Dies bedeutet, dass die Strafe zwar ein Übel für den Täter darstellt, aber ihr Zweck erst als erfüllt betrachtet werden kann, wenn die verletzte Norm wieder stabilisiert ist. Diese Stabilisierung hat allerdings weder zum Inhalt, zukünftig werde niemand mehr Normen brechen, weil dies eine abschreckende Wirkung hätte, noch geht es um die Prognose des zukünftigen Täterverhaltens. Es geht vielmehr um die Einübung in Normvertrauen durch alle Menschen, weil diesen gezeigt werden soll, was sie bei einem Normbruch erwarten können.[53] Zudem wird durch die negativen Kostenfolgen für den Täter die Chance erhöht, dass das normbrechende Verhalten als nicht diskutable Verhaltensalternative gelernt wird, was wiederum zur Einübung in Rechtstreue durch die Strafe führt.[54] Jedenfalls wird aber durch die Strafe der Konnex von Verhalten und Kostentragungspflicht gelernt, sodass es auch um die Einübung der Akzeptanz der Konsequenzen geht.[55] Damit lässt sich festhalten, dass Jakobs den Zweck der Strafe in der Einübung der Normanerkennung, mithin in der positiven Generalprävention, sieht. Sollte dies dazu führen, dass einige Personen derart beeindruckt sind, dass sie von zukünftigen Taten aus Furcht ablassen, sind dies durchaus erwünschte Beigaben, allerdings, ohne dass darin eine Aufgabe der Strafe gesehen werden darf.[56]
bb) Kritik an den übrigen relativen Theorien
Jakobs wendet sich damit explizit gegen die negative Generalprävention. Denn jede Strafe, die gleichzeitig auch zur Abschreckung Anderer angedroht, verhängt und vollzogen wird, verletze das Recht des Täters, nur nach dem Maß seiner eigenen Verantwortlichkeit bestraft zu werden. „Es handelt sich dann um die Bestrafung anlässlich der Schuld des Täters für etwas, an dem er keine Schuld trägt, also um die Bestrafung eines insoweit Unschuldigen, der dabei wie eine zweckvoll eingesetzte Sache behandelt wird.“[57] Es geht im Strafrecht also nicht primär um Verbrechensverhütung - darum soll sich hauptsächlich die Polizei kümmern-, sondern vielmehr um eine Reaktion auf das Verbrechen, die sicherstellt, dass die Rechtstreue als selbstverständliche Handlung der Mehrzahl aller Personen erhalten bleibt und potentielle Opfer deshalb gewiss sein können, ihre Rechte nicht nur ausüben zu dürfen, sondern auch unbeschadet ausüben zu können.[58] Gleichzeitig kritisiert Jakobs aber auch den Strafzweck der Spezialprävention, also die Abschreckung bzw. Erziehung des Täters selbst, weil selbige das Tatprinzip schwer verletze. Die Tat stelle hier nur noch einen Anlass dar, den Täter behandeln zu können, ohne dass eine Beschränkung auf das vom ihm verursachte Maß der Verschlechterung der Normgeltung mgl. sei. Es gelinge demzufolge nicht, den Täter allein von solchen Taten abzuhalten, wie er sie vollzogen hat, ihn aber ansonsten unbehandelt zu lassen.[59] Aufgrund der Defizite im Bereich der negativen General- sowie der Spezialprävention sei darüber hinaus auch die Vereinigung der Theorien nicht zielführend, da „die Kumulierung im Bereich divergenter Ziele der kombinierten Modelle die Unbestimmbarkeit der Strafe“ zur Folge habe.[60]
[...]
[1] Gesetz vom 22.08.2002, BGBl. I, S.3290.
[2] Gesetz vom 22.12.2003, BGBl. I, S.2836.
[3] Gesetz vom 24.06.2005, BGBl. I, S.1841.
[4] Klesczewski, Tatbestandsbildung, S.1.
[5] Jeschek/Weigend, StarfR AT, § 1, I, 1. (S. 2).
[6] Mayer, Rechtsnormen & Kulturnormen, S. 17 f.
[7] Jeschek/Weigend, StrafR AT, § 1, I 1. (S.2).
[8] BVerfG 51, 324 (343).
[9] Frisch in: Stree & Wessels FS, S.69 ff (96).
[10] Jeschek/Weigend, StrafR AT, § 1, III, 1., (S. 7); Roxin, StrafR AT I, § 2, Rn. 1;
Köhler, StrafR AT, Kap. 1, II, 2.2, (S. 25); Maurach/Zipf, StrafR AT I, §13, Rn. 6.
[11] Joecks in: MüKo StGB Bd. 1, Einl., Rn. 29, 37 f; Roxin, StrafR AT, § 2, Rn. 4; 68.
[12] Roxin, StrafR AT, § 2, Rn. 7.
[13] Stratenwerth in: Lenckner-FS, S. 377 ff (388).
[14] Frisch in: Stree & Wessels FS, S. 69 ff (72).
[15] Jeschek/Weigend, StrafR AT, § 1, III, 2., (S. 8).
[16] BGHSt. 2, 364 (368); Maurach/Zipf, StrafR AT I, § 13 Rn. 9;
Jeschek/Weigend, StrafR AT, § 1, III, 2. (S. 8).
[17] Jeschek/Weigend, StrafR AT, § 1, III, 2. (S. 8).
[18] Maurach/Zipf, StrafR AT I, § 13 Rn. 9.
[19] Wolff in: Strafrechtspolitik, S. 137 ff (138); Köhler, StrafR AT, Kap. 1, II, 2.1. (S.22);
Beck, Unrechtsbegründung, S. 78 ff.
[20] Köhler, StrafR AT, Kap. 1, II, 2.1. (S. 23).
[21] so auch BVerfGE 39, 1 (47).
[22] so Strathenwerth in: Lenckner-FS, S. 377 ff ( 390); Roxin, StrafR AT I, § 2 Rn. 7;
Hassemer/Neumann in; NK StGB, Vor § 1, Rn 144.
[23] Jeschek/Weigend, § 8, I, 2b (S. 65).
[24] Köhler, StrafR AT, Kap. 1, III, 1.1. (S. 37).
[25] Jeschek/Weigend, StrafR AT, § 8, II, 1. (S. 66).
[26] Roxin, StrafR AT I, § 3, Rn. 2.
[27] Wessels/Beulke, StrafrR AT, Rn. 12a.
[28] so Kant, Metaphysik, S. 309 ff (453).
[29] so Hegel, Rechtsphilosophie, §§ 99-101.
[30] Roxin, StrafR AT I, § 3 Rn. 4.
[31] Jeschek/Weigend, StrafR AT, § 8, IV (S. 71).
[32] Wessels/Beulke, StrafR AT, Rn. 12a.
[33] Maurach/Zipf, StrafR AT I, § 6, Rn. 5.
[34] so Darstellung bei Roxin, StrafR AT I, § 3, Rn. 12.
[35] Köhler, StrafR AT, Kap. 1, III, 1.2.1.1. (S.41).
[36] Köhler, StrafR AT, Kap. 1, III, 1.2.1.1. (S. 41).
[37] Roxin, StrafR AT I, § 3, Rn. 25.
[38] BVerfGE 39, 1 (46, 57); Köhler, StrafR AT, Kap. 1, III, 1.3.3 (S. 50 f); Roxin, StrafR
AT I, § 3, Rn. 34-37, Gropp, StrafR AT, § 1 Rn. 116-121; Maurach/Zipf, § 6, Rn. 8.
[39] Jeschek/Weigend, StrafR AT, § 8, V (S. 75).
[40] so Roxin, StrafR AT I, § 3 Rn. 35 & Köhler, StrafR AT, Kap. 1, III, 1.2.3. (S. 44).
[41] Gropp, StrafR AT, § 1 Rn. 122.
[42] so Darstellung bei Roxin, StrafR AT I, § 3 Rn. 33/37.
[43] Schneider, Normanerkennung, S.70; Aponte in: Bitte bewahren Sie Ruhe, S.131 ff (131).
[44] Jakobs, StrafR AT, Abschn. 2, Rn. 2.
[45] Jakobs in: ZStW 97, S. 751 ff (775).
[46] Jakobs in: ZStW 97, S. 751 ff (775).
[47] Jakobs, StrafR AT, Abschn. 1, Rn. 9.
[48] Jakobs, StrafR AT, Abschn. 2, Rn. 5.
[49] Jakobs, StrafR AT, Abschn. 1, Rn. 2.
[50] Jakobs, StrafR AT, Abschn. 1, Rn. 14.
[51] Jakobs, Staatl. Strafe, S. 33.
[52] so Jakobs, StrafR AT, Abschn. 1, Rn. 3.
[53] Jakobs in: StrafR AT, Abschn. 1, Rn. 15.
[54] Jakobs in: StrafR AT, Abschn. 1, Rn. 15.
[55] Jakobs in: StrafR AT, Abschn. 1, Rn. 15.
[56] Jakobs in: StrafR AT, Abschn. 1, Rn. 16
[57] Jakobs, Staatl. Strafe, S. 36.
[58] Jakobs, Staatl. Strafe, S. 31.
[59] Jakobs, StrafR AT, Abschn. 1, Rn. 41.
[60] Jakons, StrafR AT, Abschn. 1, Rn. 49.
- Arbeit zitieren
- Sindy Kasper (Autor:in), 2009, Das Konzept des Feindstrafrechts, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/133722
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