Um Unternehmen eine Grundlage für die Auseinandersetzung mit der Frage, ob sie sich stärker im Stressmanagement engagieren möchten, darzulegen, bedarf es einer faktenbasierten Argumentation. So liegt aufgrund der zunehmenden Relevanz dieses Themas das Hauptziel der Arbeit auf der Beleuchtung der möglichen Interventionsansätze zum betrieblichen Stressmanagement. Dies wird ergänzt durch die Fragestellung zum empirischen Forschungsstands bezogen auf die Effektivität der Maßnahmen sowie der Auseinandersetzung mit den allgemeinen Herausforderungen bei der Evaluation betrieblicher Präventionsmaßnahmen.
Hierfür werden im zweiten und dritten Kapitel zunächst die theoretischen Grundlagen zu Stress im Allgemeinen sowie zur arbeitsweltbezogenen Stressbelastung im Speziellen dargelegt. Dies beinhaltet eine allgemeine Auseinandersetzung mit Stressoren, Stressreaktionen sowie verschiedenen wissenschaftlichen Stressmodellen, wie beispielswese dem Transaktionalen Stressmodell. Außerdem werden arbeitsweltbezogene Stressoren und Modelle, darunter das Gratifikationsmodell und mögliche Stressfolgen erläutert. Das vierte und fünfte Kapitel stellen den Fokus dieser Arbeit dar, indem die Möglichkeiten und Grenzen des betrieblichen Stressmanagements diskutiert werden. So werden verschiedene Interventionsansätze aus den Bereichen der verhaltens- und verhältnisbezogenen Maßnahmen unterschieden und beschrieben. Darauf aufbauend wird beleuchtet, welche Daten aus der empirischen Forschung zur Wirksamkeit dieser vorliegen und inwiefern die beschriebene Vorgehensweise Aussagen über die Wirksamkeit zulassen. Hierbei werden auch Herausforderungen, die sich im Rahmen der Evaluation betrieblicher Präventionsmaßnahmen ergeben, beleuchtet. Im abschließenden Kapitel werden die Erkenntnisse dieser Arbeit zusammengefasst und ein Ausblick auf mögliche und zukünftig häufiger anwendbare Interventionsansätze im betrieblichen Stressmanagement, wie der Nutzung von "New Work" und digitalen Instrumenten, gegeben.
Seit der "Digitalen Revolution" treten die Aspekte der Psyche und damit auch des Stressempfindens zunehmend in den Vordergrund in der Arbeitswelt und die Arbeit an sich ist inzwischen der am häufigsten genannte Stressfaktor. Darüber hinaus spielen an sich selbst gestellte Ansprüche, gute Arbeit leisten zu wollen, eine bedeutende Rolle. Dies gilt insbesondere – wie aktuell in Zeiten der Covid-19-Pandemie – für das digitale Homeoffice. Die Arbeit ist körperlich bei Weitem weniger anstrengend als dies früher der Fall war, sodass auch die Zahl der Arbeitsunfälle von Jahr zu Jahr sinkt. Durch neue Technologien und Trends der Arbeitswelt allerdings entstehen neue –überwiegend mentale – Anforderungen an die Beschäftigen, die vielfach als Arbeitsintensivierung und steigender Zeitdruck erlebt werden. Darüber hinaus wird die Weltwirtschaft wohl auch in den kommenden Jahren dynamische Phasen erleben. So wird in globalisierten Märkten der Konkurrenzdruck immer stärker mit weiteren daraus resultierenden Rationalisierungen und der kreative Geist wird gefordert, weil Volkswirtschaften wie Deutschland nur mit Innovationen und High-Tech-Produkten bestehen können. So belegen zahlreiche Forschungsergebnisse, dass arbeitsbedingter Stress und Arbeitsbelastungen eine wesentliche Rolle bei der Entstehung von gesundheitlichen Beschwerden spielen. Dies gilt für das weite Spektrum der psychischen und psychosomatischen Störungen als auch für chronische Krankheiten. Vor dem Hintergrund des individuellen Leids und der gesellschaftlichen Kosten ist es eine wichtige Aufgabe für Arbeitspolitik sowie für die Betroffenen selbst, Stress zu reduzieren.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
1.1 Hintergrund zur Problemstellung
1.2 Fragestellung und Aufbau der Arbeit
2 Theoretische Grundlagen zum Stress
2.1 Definition von Stress und Stressoren
2.2 Physiologisches Stressmodell
2.3 Transaktionales Stressmodell
3 Hintergrund zu arbeitsweltbezogenem Stress
3.1 Stressoren in der Arbeitswelt
3.2 Arbeitsbezogene Modelle zur Entstehung von Stress
3.3 Folgen der Stressreaktion
4 Ansätze des betrieblichen Stressmanagements
4.1 Überblick der Ansätze zum betrieblichen Stressmanagement
4.2 Verhaltensbezogene Maßnahmen (Verhaltensprävention)
4.2.1 Instrumentelles (problembezogenes) Stressmanagement
4.2.2 Kognitiv-behaviorales Stressmanagement
4.2.3 Regenerativ-palliatives Stressmanagement
4.3 Verhältnisbezogene Maßnahmen (Verhältnisprävention)
4.3.1 Arbeitsumweltbezogene Maßnahmen
4.3.2 Arbeitsaufgabenbezogene und soziale Maßnahmen
5 Empirische Belege
5.1 orgehen bei Auswahl der Studien
5.2 usammenfassung der Ergebnisse
5.3 erhaltenspräventive Maßnahmen
5.4 erhältnispräventive Maßnahmen
5.5 Herausforderungen bei betrieblichen Präventionsstudien
6 Fazit und Ausblick
7 Literaturverzeichnis
8 Anhang
1 Einleitung
1.1 Hintergrund zur Problemstellung
Seit der „Digitalen Revolution“ treten die Aspekte der Psyche und damit auch des Stressempfindens zunehmend in den Vordergrund in der Arbeitswelt (Schaff, 2019, S. 304) und die Arbeit an sich ist inzwischen der am häufigsten genannte Stressfaktor (Techniker Krankenkasse, 2016). Darüber hinaus spielen an sich selbst gestellte Ansprüche, gute Arbeit leisten zu wollen, eine bedeutende Rolle. Dies gilt insbesondere - wie aktuell in Zeiten der Covid-19-Pandemie - für das digitale Homeoffice, in dem „jeder Moment komplett gefüllt ist und es Zwischenräume zum Verschnaufen oder ,Sich- Langweilen‘ nicht mehr gibt“ (Diefenbach & Ullrich, 2016). Die Arbeit ist körperlich bei Weitem weniger anstrengend als dies früher der Fall war, sodass auch die Zahl der Arbeitsunfälle von Jahr zu Jahr sinkt. Durch neue Technologien und Trends der Arbeitswelt allerdings entstehen neue -überwiegend mentale - Anforderungen an die Be- schäftigten1, die vielfach als Arbeitsintensivierung und steigender Zeitdruck erlebt werden. Darüber hinaus wird die Weltwirtschaft wohl auch in den kommenden Jahren dynamische Phasen erleben. So wird in globalisierten Märkten der Konkurrenzdruck immer stärker mit weiteren daraus resultierenden Rationalisierungen und der kreative Geist wird gefordert, weil Volkswirtschaften wie Deutschland nur mit Innovationen und High-Tech-Produkten bestehen können (Scherrmann, 2015, S. 83-84). „Wenn immer schneller gearbeitet und Pausen verkürzt werden, wenn auch nach Arbeitsende noch geschäftliche E-Mails verschickt werden, die alsbald zu beantworten sind, dann kann dies zu einer Überforderungssituation führen, die längerfristig mit einer Gefährdung für die Gesundheit der Beschäftigten verbunden ist. Die negativen Auswirkungen der modernen Arbeitswelt auf Gesundheit, Wohlbefinden und Leistung stehen seit einiger Zeit im Fokus der öffentlichen und politischen Aufmerksamkeit“ (Reif et al., 2018, S. 4). So belegen zahlreiche Forschungsergebnisse, dass arbeitsbedingter Stress und Arbeitsbelastungen eine wesentliche Rolle bei der Entstehung von gesundheitlichen Beschwerden spielen (Richter et al., 2011). Dies gilt für das weite Spektrum der psychischen und psychosomatischen Störungen als auch für chronische Krankheiten (Bamberg et al., 2011, S. 19). Vor dem Hintergrund des individuellen Leids und der gesellschaftlichen Kosten ist es eine wichtige Aufgabe für Arbeitspolitik, Betriebe und Verbände sowie für die Betroffenen selbst, Stress zu reduzieren und Ressourcen im Umgang mit Stress zu erhöhen (Busch et al., 2009, S. 86). Darüber hinaus bedarf es einer weiteren Sensibilisierung auf allen Ebenen der Organisation und zumindest in einzelnen Organisationen findet ein Paradigmenwechsel statt. Zum einen können nur gesunde und ausgeglichene Mitarbeiter zum Erfolg eines (gesunden) Unternehmens beitragen (Scherrmann, 2015, S. 140). Zum anderen bleiben Mitarbeiter ihrem Arbeitgeber „treu“, wenn zum Beispiel auf Faktoren wie der Prävention hoher psychischer Belastungssituationen geachtet wird, sodass Stressmanagementinterventionen eine zunehmende Bedeutung zukommt (Matusiewicz D., 2019; Reif et al., 2018, S. 4).
1.2 Fragestellung und Aufbau der Arbeit
Um Unternehmen eine Grundlage für die Auseinandersetzung mit der Frage, ob sie sich stärker im Stressmanagement engagieren möchten, darzulegen, bedarf es einer faktenbasierten Argumentation. So liegt aufgrund der beschriebenen zunehmenden Relevanz dieses Themas das Hauptziel der Arbeit auf der Beleuchtung der möglichen Interventionsansätze zum betrieblichen Stressmanagement. Dies wird ergänzt durch die Fragestellung zum empirischen Forschungsstands bezogen auf die Effektivität der Maßnahmen sowie der Auseinandersetzung mit den allgemeinen Herausforderungen bei der Evaluation betrieblicher Präventionsmaßnahmen.
Hierfür werden im zweiten und dritten Kapitel zunächst die theoretischen Grundlagen zu Stress im Allgemeinen sowie zur arbeitsweltbezogenen Stressbelastung im Speziellen dargelegt. Dies beinhaltet eine allgemeine Auseinandersetzung mit Stressoren, Stressreaktionen sowie verschiedenen wissenschaftlichen Stressmodellen, wie bei- spielswese dem Transaktionalen Stressmodell (Lazarus & Folkman, 1984). Außerdem werden arbeitsweltbezogene Stressoren und Modelle, darunter das Gratifikationsmodell (J. Siegrist & Silberhorn, 1996) und mögliche Stressfolgen erläutert.
Das vierte und fünfte Kapitel stellen den Fokus dieser Arbeit dar, indem die Möglichkeiten und Grenzen des betrieblichen Stressmanagements diskutiert werden. So werden verschiedene Interventionsansätze aus den Bereichen der verhaltens- und verhältnisbezogenen Maßnahmen unterschieden und beschrieben. Darauf aufbauend wird beleuchtet, welche Daten aus der empirischen Forschung zur Wirksamkeit dieser vorliegen und inwiefern die beschriebene Vorgehensweise Aussagen über die Wirksamkeit zulassen. Hierbei werden auch Herausforderungen, die sich im Rahmen der Evaluation betrieblicher Präventionsmaßnahmen ergeben, beleuchtet.
Im abschließenden Kapitel werden die Erkenntnisse dieser Arbeit zusammengefasst und ein Ausblick auf mögliche und zukünftig häufiger anwendbare Interventionsansätze im betrieblichen Stressmanagement, wie der Nutzung von „New Work“ und digitalen Instrumenten, gegeben.
2 Theoretische Grundlagen zum Stress
2.1 Definition von Stress und Stressoren
Insbesondere in der Arbeitspsychologie unterscheidet man zwischen Belastung und Beanspruchung. Stressoren (Belastung) sind Faktoren (externe oder interne Stimuli), die mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Stressreaktion (Beanspruchung) auslösen. Gleiche Belastungen können zu unterschiedlichen Beanspruchungen führen, da beispielweise die Intensität und Dauer der Belastungen oder auch individuelle Ressourcen Einfluss darauf haben, ob die Beanspruchung mit einer positiven (z.B. Aktivierung) oder negativen Konsequenz (z.B. Stresserleben) verbunden ist (Kauffeld, 2014, S. 310). Entscheidend dafür, ob Stress als positiv, und damit motivierend und anregend - zum Beispiel für höhere Leistungen - wahrgenommen wird, ist, dass die Stressoren nicht als bedrohlich, sondern als herausfordernd empfunden werden. Dieser sogenannte Eustress unterscheidet sich vom Distress, auch negativer Stress genannt (Selye, 1974). Stress im Sinne des Distress wird somit als ein subjektiv intensiv unangenehmer Spannungszustand angesehen, der aus der Befürchtung resultiert, dass eine stark aversive, zeitlich nahe (oder bereits eingetretene), subjektiv lang andauernde und wahrscheinlich nicht vollständig kontrollierbare Situation, deren Vermeidung aber subjektiv wichtig erscheint, entsteht (Greif & Cox, 1997). Die Person nimmt somit eine „Imbalance zwischen Anforderungen und Bewältigungsmöglichkeiten wahr, die als unangenehm oder als bedrohlich wahrgenommen wird und emotional mit Gefühlen von Angst bzw. Ängstlichkeit verbunden ist“ (Busch et al., 2015a, S. 20).
2.2 Physiologisches Stressmodell
Bereits in der Frühzeit unserer Entwicklungsgeschichte musste der Mensch, um zu überleben, auf drohende Gefahren oder potenzielle Angriffe schnell und unmittelbar durch Flucht oder Angriff reagieren. Durch die Adaption des Körpers gelingt es ihm, innerhalb kurzer Zeit in stressigen Situationen durch das Zusammenspiel verschiedener physiologischer Reaktionen Energie freizusetzen und unwichtige Energieausgaben (Herunterfahren von Immunsystem und Verdauung) einzusparen. Die Weitung von Bronchien und die Beschleunigung der Atmung erlauben, dass die Lungen mehr Sauerstoff aufnehmen können, welcher in den Zellen für die zusätzliche Energieproduktion benötigt wird. Durch eine Erhöhung von Puls und der damit verbundenen Pumpleistung des Herzens wird dieser Sauerstoff schneller zu den Zellen transportiert. Darüber hinaus wird gespeicherter Zucker, der zur Energieproduktion benötigt wird, von der Leber ins Blut abgegeben, sodass alles in allem, die zur Verfügung stehende Energie hilft, mit der stressigen Situation umzugehen (Reif et al., 2018, S. 88-89).
Diese physiologische Stressreaktion wurde von Hans Selye, der seinerzeit als Pionier der Stressforschung galt, aufgegriffen. Er definierte Stress als unspezifische Reaktion des Körpers auf jegliche Art der auf ihn einwirkenden Anforderung, sodass Stress als Beanspruchung verstanden wird. Wie diese unspezifische Reaktion abläuft, beschreibt Selye (1976) als allgemeines Adaptationssyndrom, welches in drei Phasen abläuft (Reif et al., 2018, S. 87-88):
In der Alarmreaktion erfolgt die erste Reaktion auf einen Stressor. Die erhöhte Aktivierung erlaubt es dem Körper, sich auf eine Handlung vorzubereiten und Kräfte für die Stressbewältigung zu mobilisieren. Wie eingangs beschrieben, werden durch die vermehrte Ausschüttung der Hormone Adrenalin und Noradrenalin die Durchblutung, die Sauerstoffversorgung verbessert und die Leistungsfähigkeit von Gehirn, Muskeln und Herz gesteigert.
Die Widerstandsphase tritt bei einer länger andauernden Stresssituation ein, indem der Körper versucht, den vorliegenden Stressor zu bewältigen. Idealerweise werden im Sinne einer Gegenreaktion die ausgeschütteten Hormone wieder abgebaut und der Körper erholt sich und fährt auf sein normales Erregungsniveau zurück. Erfolgt dies nicht, werden die Kapazitäten des Körpers durch die Erregung langfristig überschritten werden. Der Körper bleibt anhaltend aktiviert, da die Anpassungsfähigkeit zwar häufig ausreicht, um der Situation standzuhalten, jedoch stehen keine ausreichenden Ressourcen zur Verfügung, um den Stress zu bewältigen (Schaper, 2008).
Aufgrund dieser anhaltenden Aktivierung kommt es zur Erschöpfung und der Körper kann den Stressoren nicht länger standhalten. Der Körper hat seine Energie verbraucht, sodass Widerstand nicht mehr möglich ist (Reif et al., 2018, S. 87-88). Die physischen und psychischen Folgen dessen werden in Abschnitt 3.3 dargelegt.
2.3 Transaktionales Stressmodell
Im transaktionalen Stressmodell von Lazarus und Kollegen (Lazarus & Folkman, 1984) wird der Fokus des Stressprozesses zunächst auf die kognitive Ebene gelenkt. Dem Modell zufolge machen bestimmte Anforderungen aus der Umwelt (vorausgehende Ereignisse) bei der Person spezifische Bewältigungsprozesse nötig. Wie bereits in der Definition von Stress erwähnt, liegt Stress dann vor, wenn die Anforderungen aus der Umwelt die Fähigkeiten der Person beanspruchen oder übersteigen. Entscheidend ist, wie eine Person die Stresssituation und ihre Fähigkeit, damit umzugehen, einschätzt bzw. bewertet und somit (unbewusst) determiniert, ob Stress entsteht oder nicht. Es werden drei verschiedenen Bewertungsprozesse aufgezeigt (Reif et al., 2018, S. 84):
Bei der primären Bewertung wird die Stresssituation erstmals bewertet und erfasst und die Person schätzt, abhängig von ihrem subjektiven Empfinden, ein, ob eine Situation bzw. ein Ereignis irrelevant, positiv und günstig oder stressend ist. Die stressenden Er- eignisse können unterschieden wer- eingeholte Informationen beziehen und andererseits auf eine Art des kognitiven Copings, einer Art gedanklicher Umbewertung einer Situation, um mit ihr zurechtzukommen, ohne aber dass sich die objektiven Gegebenheiten geändert hätten. Aufbauend darauf wird eine Handlungsauswahl getroffen, um die tendenziell unangenehme oder belastende Situation zu bewältigen (Reif et al., 2018, S. 44-47).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Das transaktionale Stressmodell nach Laza¬rus und Folkman (1984) (Eigene Darstellung aufbauend auf Reif, Spieß et al. (2018), Krohne (1996), Wald (2008))
3 Hintergrund zu arbeitsweltbezogenem Stress
3.1 Stressoren in der Arbeitswelt
Betriebliche Stressinterventionsprogramme befassen sich vorrangig mit arbeitsweltbezogenen Stressoren, welche verschiedene Gruppierungsmöglichkeiten zulassen. Einem allgemeinen Rahmenkonzept von McGrath (McGrath, 1981) folgend, können Belastungsfaktoren in drei Bereiche - das materiell-technische System, das soziale System und das personale System - klassifiziert werden, wobei diese nicht überschneidungsfrei sind und sich gegenseitig beeinflussen können.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Wie in Abbildung 2 detailliert gezeigt, werden dem Bereich der physikalisch-technologi- schen Umwelt schwerpunktmäßig Stressoren wie Lärm, Hitze, Nacht- und Schichtarbeit, ungünstige Ergonomie, aber auch Zeitdruck, Über- und Unterforderung und ein zu hohes Maß an Verantwortung subsummiert. Dem personalen System werden vorwiegend Stressoren zugeordnet, die innerhalb einer Person liegen, wie beispielweise eigene hohe Ansprüche, Perfektionismus, das Streben nach Kontrolle oder auch Sorgen, Misstrauen und eine geringe Belastbarkeit. Davon abzugrenzen sind zum Beispiel persönliche oder familiäre Stressoren (z.B. Trennungen, Pflege eines Angehörigen etc.), die durchaus Auswirkungen auf die Arbeitsbewältigung haben und umgekehrt auch indirekt durch betriebliche Stressmanagementinterventionen berührt werden können. In den Bereich des sozialen Umfelds fallen beispielsweise fehlende soziale Unterstützung, schlechtes Betriebsklima, Kontakt mit stressigen Kunden oder Mobbing. Darüber hinaus ergeben sich an der Schnittstelle aus physikalisch-technischem, sozialem und personalem Umfeld Stressoren im Bereich der organisationalen Rahmenbedingungen oder Veränderungen - insbesondere bedingt durch permanenten Wandel und immer kürzere Veränderungszyklen. Dies sind z.B. unsichere Arbeitsverhältnisse, Fusionen, Restrukturierungen oder auch allgemeine Karrieremöglichkeiten, die Lohnpolitik oder die Einführung neuer Technologien (Reif et al., 2018, S. 27).
3.2 Arbeitsbezogene Modelle zur Entstehung von Stress
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3: Modell beruflicher Gratifikationskrisen (Eigene Darstellung nach Siegrist (1996))
In den letzten Jahrzehnten wurden viele Studien zu Stress sowie den im vorigen Kapitel aufgezeigten Stressoren durchgeführt, sodass Stress damit „zu den Themenbereichen, die gut untersucht sind und für die differenzierte, sich wechselseitig ergänzende Modelle vorliegen. Diese bilden die theoretische Fundierung der Stressmanagementinterventionen“ (Busch et al., 2009, S. 88) und sind auf breiter metaanalytischer Basis fundiert.
Gratifikationsmodell: Ein empirisch gut belegtes Modell ist das Gratifikationsmodell (J. Siegrist & Silberhorn, 1996), in welchem die Beziehung zwischen der Leistung des Arbeitnehmers und der Gegenleistung des Arbeitsgebers beleuchtet wird. Insofern die Belohnung des Arbeitnehmers beispielsweise in Form von Bezahlung, Karrierechancen oder immaterieller Wertschatzung nicht in einem adäquaten Verhältnis zu seinem Arbeitseinsatz steht, kommt es zur sogenannten Gratifikationskrise. Solch eine Krise kann nicht nur durch von außen einwirkenden Anforderungen hervorgerufen werden, sondern auch durch zu hohe Erwartungen an sich selbst, wie beispielsweise Perfektionsstreben oder andere im Laufe des Lebens erworbene Antreiber (Scherrmann, 2015, S. 74).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Demand-Control-Model (Anforderungs-Kontrolle-Modell): Im sogenannten Anforde- Grundtypen von Arbeitssituationen herausbilden (Karasek, 1979; Karasek & Theorell, 2010). Die Kernaussage des Modells besteht darin, dass „hohe Arbeitsanforderungen in Kombination mit geringer Kontrolle bzw. geringen Entscheidungsspielräumen bei der Arbeitsausführung zu Disstress führen“ (Scherrmann, 2015, S. 74). Solche Arten von Tätigkeiten finden sich beispielweise bei Fließbandarbeitern, Mitarbeitern in Call-Centern oder Kassierern im Supermarkt. Bei Berufsgruppen wie beispielsweise Ärzten oder Managern, die hohen Arbeitsanforderungen und -belastungen ausgesetzt sind, deren Entscheidungsspielraum allerdings (meist) höher ist, wird die Beanspruchung häufig eher als aktivierend und motivierend und mit höherer Selbstwirksamkeit verbunden wahrgenommen (Scherrmann, 2015, S. 74).
Job-Demand- Ressource Model (Anforderungs-Ressourcen-Modell) (Bakker, 2007;
Demerouti et al., 2001): „Während das Modell der beruflichen Gratifikationskrisen verschiedene Arten der Belohnung und das Job-Demand-Con- trol-Modell das Vorhandensein von Entscheidungsspielraum als Ressource postuliert, fasst das Job-Demands-Re- sources-Modell den Ressourcenbegriff noch weiter“ (Reif et al., 2018, S. 76) und Ressourcen werden im Modell in den Mittelpunkt der Betrachtung und Erklärung der Stressentstehung gerückt. Im Modell werden als Faktoren der Arbeit Anforderungen (demands) und Ressourcen (res- sources) unterschieden. Als Resultat der Häufung von Anforderungen (z. B. Zeitdruck, ungünstige Umgebungsbedingungen, Schichtarbeit) kommt es über den sogenannten health impairment process zu negativen gesundheitlichen Folgen (s. Kapitel 3.3). Ressourcen (z. B. Autonomie, Unterstützung, Rückmeldungen) hingegen führen über den motivationalen Prozess des Modells zu höherem Engagement oder besserer Arbeitsleistung. Zusätzlich wurde das Modell um einen Interaktionseffekt zwischen Anforderungen und Ressourcen ergänzt, der besagt, dass vorhandene Ressourcen die negative Wirkung der Anforderungen abschwächen (Wirtz, 2021).
Basierend auf der wissenschaftlichen Evidenz der vorgestellten Modelle lassen sich einige allgemeingültige Aussagen darüber treffen, wie mithilfe der Arbeitsgestaltung ein Zuviel an Stress vermieden werden kann. Demnach sollten Tätigkeiten so gestaltet werden, dass sie „zwar anspruchsvoll, jedoch nicht überfordernd gestaltet werden, [...] sodass sie den Beschäftigten nicht nur mehr Autonomie, sondern auch Lern- und Entwicklungschancen gewähren. Zweitens sollten angemessene Erfahrungen von Erfolg und sozialer Anerkennung mit guter Leistung einhergehen, sowohl auf der materiellen wie auf der nichtmateriellen Ebene. Drittens sollte die Zusammenarbeit in Betrieben und Organisationen von Vertrauen, Fairness und transparenten, gerechten Verfahrensweisen gekennzeichnet sein, und schließlich wäre wünschenswert, wenn Erwerbstätige ihren beruflichen Einsatz mit Sinn erfüllen und in einem gesicherten Kontext einbringen könnten“ (Scherrmann, 2015, S. 75-76).
3.3 Folgen der Stressreaktion
Die drei vorgestellten arbeitspsychologischen Modelle finden empirische Unterstützung in der Forschung des Zusammenhangs zwischen berufsbedingtem Stress und dem individuellen Gesundheitszustand, beispielweise bei der Entstehung von Herz-KreislaufErkrankungen, allgemeiner Erschöpfung bis hin zum Burn-Out (Kauffeld, 2014, S. 306). Wie im physiologischen Stressmodell (S. 5) beschrieben, versetzen Stressoren einen Organismus zunächst in einen Zustand erhöhter Aktiviertheit, um auf gefährliche oder bedrohliche Situationen optimal zu reagieren. Auf die Arbeitswelt übertragen bedeutet dies, dass Stress zunächst bewirkt, „dass die arbeitende Person mehr Anstrengung in die Bearbeitung einer Aufgabe investiert, stärker die relevanten Aufgaben priorisiert und kompensatorische Maßnahmen ergreift, um die Leistung unter stressigen Bedingungen aufrechtzuerhalten“ (Reif et al., 2018, S. 95). Stress und Leistung hängen allerdings kurvenförmig zusammen, sodass mit steigendem Stress die Leistung steigt, ab einem zu hohen Stresslevel allerdings wieder sinkt. Durch die anhaltende Aktiviertheit und den anhaltenden Widerstand des Organismus wird der Weg zur Erschöpfung bereitet. Kurzfristige Stressreaktionen und insbesondere langfristige Stressfolgen zeigen sich auf körperlicher Ebene (z.B. Ausschüttung von Cortisol, Erkrankungen des HerzKreislaufsystems, Kopfschmerzen, Schmerzen in Rücken und Knien, Schlafstörungen, allgemeine Müdigkeit Niedergeschlagenheit, Magen- oder Verdauungsbeschwerden), im Denken und Fühlen (z. B. Anspannung, Burnout) sowie im Verhalten (z. B. nachlassende Konzentration, Fehlzeiten) und können bedeutende Konsequenzen für Leistung und leistungsbezogene Verhaltensweisen im Arbeitskontext haben (Reif et al., 2018, S. 87-89).
Die Anzahl der stressbedingten Arbeitsunfähigkeitstage lässt sich aufgrund der beschriebenen vielfältigen physischen und psychischen Symptome nicht beziffern. Nichtsdestotrotz haben sich beispielweise die Arbeitsunfähigkeitstage aufgrund psychischer Erkrankungen, wie in Abbildung 6 dargestellt, zwischen 1997 und 2019 mehr als verdreifacht. Die Ursachen hierfür sind vielfältig - unter anderem hat das Bewusstsein im Rahmen der Diagnostik für psychische Erkrankungen zugenommen, einen großen Anteil nimmt allerdings der wachsende arbeitsbedingte Stress ein.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 6: Entwicklung der Arbeitsunfähigkeitstage aufgrund psychischer Diagnosen in Deutschland in den Jahren 1997 bis 2019 (AU-Tage pro 100 ganzjährig Versicherte) (Eigene Darstellung nach Marschall (2020), S. 19)
Des Weiteren ist belegt, dass sich eine hohe Arbeitsbelastung - neben der beschriebenen psychischen und physischen Beeinträchtigung des Wohlbefindens - „negativ auf affektives organisationales Commitment auswirkt sowie Kündigungsabsicht und Absentismus fördert“ (Bowling et al.; Reif et al., 2018, S. 88). Gut untersucht sind außerdem die negativen Auswirkungen von Stress auf Kreativität (Byron et al., 2010) und kontraproduktives Verhalten am Arbeitsplatz (Meier & Spector, 2013). Aufgrund der negativen Stressreaktionen und Stressfolgen für Individuum und Organisationen wird zusammenfassend deutlich, wie wichtig es ist, Stress zu vermeiden, zu bewältigen bzw. negative Folgen von Stress abzubauen (Reif et al., 2018, S. 87-89).
4 Ansätze des betrieblichen Stressmanagements
4.1 Überblick der Ansätze zum betrieblichen Stressmanagement
Stressmanagementinterventionen werden als integraler Bestandteil betrieblicher Gesundheitsförderung angesehen und nehmen eine zentrale Rolle ein. (Busch & Steinmetz, 2002, S. 387). Sie haben das sogenannte Coping zum Ziel, worunter man die gedanklichen oder verhaltensbezogenen Bemühungen einer Person, mit bestimmten externen und / oder internen Anforderungen fertig zu werden bzw. die stressrelevante Situation zu mildern, abzuändern oder zu beenden (Zapf & Semmer, 2004). Die Interventionen lassen sich - im Rahmen verschiedener Klassifikationsmöglichkeiten - zum Beispiel einerseits dadurch unterscheiden, dass sich die Maßnahmen auf die Person und ihre Eigenschaften beziehen (verhaltens - bzw. personenbezogene Maßnahmen) und Maßnahmen, die sich auf die Situation und die Umwelt beziehen (verhältnis - bzw. bedingungsbezogene Maßnahmen) (Schaper, 2008). Andererseits kann man ebenso differenzieren zwischen Maßnahmen, die sich auf die Beseitigung von Stresso- ren zur Stressvermeidung konzentrieren (primäre Maßnahmen), Maßnahmen, die sich auf die Stressreaktion beziehen - Ressourcen weiterentwickeln, Bewertungsprozesse und Bewältigungsformen verändern (sekundäre Maßnahmen) und Maßnahmen, die auf die Behandlung vorhandener Stresssymptome zielen (tertiäre Maßnahmen) (Busch et al., 2015b, S. 30). Allerdings ist bei vielen Maßnahmen eine strenge Zuordnung zu Stressvermeidung oder Stressabbau nur schwerlich möglich, sodass die folgende Systematik als Vorschlag (Abbildung 7) zur Strukturierung zu verstehen ist (Reif et al., 2018, S. 103-106). (Im Rahmen dieser Arbeit wird auf eine detaillierte Betrachtung ter- tiärpräventiver Maßnahmen verzichtet).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 7: Interventionsansätze gegen Stress (Eigene Darstellung aufbauend auf Reif et al. (2018), S.106)
[...]
1 Die in dieser Arbeit im Folgenden gewählte männliche Form bezieht sich immer zugleich auf weibliche, männliche und geschlechtsneutrale Personen.
- Citation du texte
- Isabel Heim (Auteur), 2021, Betriebliches Stressmanagement. Übersicht über Interventionsansätze und empirische Forschung, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1336538
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