In der Arbeit wird ausgehend von der auffälligen Erzählweise des Romans eine Analyse der Chronologiebrüche vorgenommen. Die diskontinuierliche Erzählform wird anhand der Erzähltheorie des französischen Literaturwissenschaftlers Gérard Genette untersucht.
Da der Roman durch seinen Aufbau, die Aneinanderfügung zweier in sich geschlossener Erzählteile (erste und zweite Station), eine sehr deutliche Binnengliederung aufweist, soll auch die Analyse diesem durch den Primärtext implizierten Schema folgen. Dies erweist sich vor allem aufgrund der Tatsache, dass in den beiden Romanteilen unterschiedliche Erzähltechniken angewandt werden, als sinnvoll.
Gliederung
1. Einleitung
2. Erzähltheorie nach Gérard Genette
2.1 Aspekt der Zeit
2.1.1 Ordnung
2.1.1.1 Analepsen
2.1.1.2 Prolepsen
2.1.2 Dauer
2.1.3 Frequenz
3. Die Zeitstruktur in Max Frischs Homo Fabers
3.1 Chronologiebrüche der Makrostruktur
3.1.1 Aufbau der ersten Station
3.1.2 Aufbau der zweiten Station
4. Fazit
5. Schluss
5.1 Zusammenfassung
5.2 Ausblick
6. Literatur
Primärliteratur:
Sekundärliteratur zur Erzähltheorie:
Sekundärliteratur zu Homo Faber:
Internetquellen:
1. Einleitung
Der Roman Homo Faber von Max Frisch, der 1957 veröffentlicht wurde, wird aus der Sicht des Maschinenbauingenieurs Walter Faber erzählt, welcher in der Geschichte darstellt, wie er sich unwissentlich auf die inzestuöse Liebesbeziehung mit seiner eigenen Tochter Elisabeth einlässt. Der Tod Elisabeths infolge eines Unfalls stellt den Wendepunkt des Romans dar, welcher Faber zum Verfassen seines „Berichts“, der zur Offenlegung aller Fakten führen soll, motiviert. Die Erzählung Max Frischs ist demnach wie ein Rechenschaftsbericht konzipiert, da Faber davon ausgeht, er könne durch die Rekonstruktion der Vergangenheit seine Unschuld an den tragischen Ereignissen beweisen.
Insgesamt ist an der Erzählweise auffällig, dass ein übergeordneter Erzähler fehlt, und die Darstellungen aller Ereignisse und Figuren daher äußerst subjektiv einhergeht.
Besonders auffällig ist dabei, dass die Ereignisse nicht chronologisch wiedergegeben werden. Immer wieder werden Rückblenden und Vorahnungen in den sich ansonsten, wenn auch subjektiv gefärbt, auf die Darstellung reiner Fakten beschränkenden Bericht eingeflochten, die als Brüche in der Chronologie fungieren und die Informationsweitergabe an den Leser somit von der scheinbar willkürlichen Erzählreihenfolge des Helden abhängig machen. Dieses Erzählverfahren möchte ich als Kunstgriff Frischs kenntlich machen und in meiner Ausarbeitung analysieren.
Um zu zeigen, an welchen Stellen des Romans die besagten Chronologiebrüche auftreten, soll in der vorliegenden Arbeit zunächst die zeitliche Struktur des Textes anhand der Erzähltheorie des französischen Literaturwissenschaftlers Gérard Genette untersucht und analysiert werden. Im Folgenden soll die weiterführende Frage aufgeworfen werden, welche Wirkung durch die Technik des diskontinuierlichen Erzählens erzielt wird. Auch in diesem Zusammenhang wird Genettes Erzähltheorie als Ausgangspunkt dienen. Bei den im Folgenden durchgeführten Textanalysen steht vor allem der von Genette eingeführte Begriff der Ordnung im Mittelpunkt, da dieser hier von besonderer Bedeutung ist.
Da der Roman durch seinen Aufbau, die Aneinanderfügung zweier in sich geschlossener Erzählteile (erste und zweite Station), eine sehr deutliche Binnengliederung aufweist, soll auch die Analyse diesem durch den Primärtext implizierten Schema folgen. Dies erweist sich vor allem aufgrund der Tatsache, dass in den beiden Romanteilen unterschiedliche Erzähltechniken angewandt werden, als sinnvoll.
Die Ergebnisse der Textanalysen sollen im vierten Kapitel resümierend präsentiert werden. Als Ergänzung des Fazits soll abschließend ein Ausblick darauf gegeben werden, wie sich die Rezeption des Werkes in der Zukunft weiterentwickeln könnte.
Das Werk Homo Faber weist bis heute eine überaus beachtliche Bearbeitungsdichte vor: Zahlreiche Interpretationen und ein beachtlicher Fundus an weiterer Sekundärliteratur belegen, dass der Roman vielfältig behandelt wurde und bis in die Gegenwart hinein ein beliebter Forschungsgegenstand geblieben ist. Neben dem Thema der Chronologie der Geschichte, der Ordnung, sowie dem Aspekt der Zeit wurden bislang vor allem interpretatorische Themen wie die Charakterisierung der Romanfiguren, die Sprache des Romans und die Symbolik in den literarischen Quellen aufgearbeitet, welche jedoch in dieser Arbeit nicht näher beleuchtet werden können.
2. Erzähltheorie nach Gérard Genette
In der Erzähltheorie des französischen Strukturalisten Gérard Genette wird zunächst auf die sehr vielfältige Verwendung des Begriffs Erzählung hingewiesen. Um den Begriff eindeutig zu definieren und abzugrenzen, unterscheidet Genette drei verschiedene Gebräuchlichkeiten des Begriffs. Zum einen definiert er den Gebrauch des Terminus als die narrative Aussage. Für diese Definition wählt er die Bezeichnung Erzählung[1] selbst, da er darunter den gewöhnlichen Gebrauch des Begriffs versteht. Andererseits benennt er den Gebrauch des Terminus als Geschichte, womit er den Gegenstand des Erzählten meint und letztlich führt er den Begriff der Narration für das Verständnis des Begriffs als den eigentlichen Akt des Erzählens ein.[2]
Diese drei Begriffe lassen sich nun im narrativen Diskurs in ihrer Beziehung zueinander untersuchen. Genette orientierte sich bei der Aufteilung der Untersuchungskriterien an der Problemkategorisierung nach Tzvetan Todorov, welche durch die Termini Zeit, Aspekt und Modus benannt sind. Der Untersuchungsaspekt der Zeit fokussiert nach Todorov das Verhältnis der Zeit der Geschichte (erzählte Zeit) zur Zeit des Diskurses (Erzählzeit). Der Untersuchungsgegenstand des Aspekts befasst sich mit der Wahrnehmungsweise des Erzählers, wogegen die Erzählweise, die der Erzähler verwendet, im Kriterium des Modus untersucht wird. Während Genette Todorovs Kategorie der Zeituntersuchung nahezu unverändert in die Untersuchungskriterien seiner Theorie aufnimmt, fasst er die Kategorien Aspekt und Modus in einer gemeinsamen großen Kategorie der Darstellungsweisen und Mimesisstufen zusammen.[3]
Schließlich fixiert Genette drei fundamentale Klassen, nach denen die Probleme der Zeit, der Formen der narrativen Darstellung, also der Modi und die der narrativen Situation oder Instanz, welche Genette als Stimme bezeichnet, untersucht werden können. Die Kategorien Modus und Zeit beziehen sich auf die Beziehung zwischen Geschichte und Erzählung, wohingegen die Kategorie Stimme die Beziehungen zwischen Narration und Erzählung, sowie die zwischen Narration und Geschichte untersucht.[4]
2.1 Aspekt der Zeit
Genette bezieht sich bei der zeitlichen Betrachtung auf das Modell von Günther Müller, welches der Erzählung zwei Zeitebenen zuordnet und dieses Phänomen als „zweierlei Zeit“ beschreibt.[5] Diese beiden Ebenen werden im deutschsprachigen wissenschaftlichen Diskurs mit den Termini erzählte Zeit und Erzählzeit bezeichnet. In der Theorie von Genette wird der Begriff Erzählzeit durch den Terminus Pseudo-Zeit ersetzt, womit Genette hervorheben will, dass die Zeitvermittlung in der Erzählung der tatsächlichen Zeit zwar sehr ähneln kann, jedoch als fiktiv zu betrachten ist.[6] Die beiden Ebenen untersucht er nach dem Verhältnis der Ordnung, der Dauer und der Frequenz. Unter dem Aspekt der Ordnung wird die Reihenfolge der Ereignisse in der Geschichte mit der in der Erzählung verglichen. Das Verhältnis der Dauer der Ereignisse in der Geschichte und der Textlänge (Pseudo-Dauer[7] ) wird im zweiten Untersuchungsaspekt betrachtet. Beim dritten Kriterium gilt das Augenmerk der Frequenz von Wiederholungen der geschichtlichen Segmente in der Erzählung. Genette betrachtet den zeitlichen Aufbau der Geschichte auf zwei Ebenen. Zum einen untersucht er die Mikrostruktur der Geschichte, wobei er zwischen Segmenten von früher und heute unterscheidet. Die Segmente können sowohl koordiniert, als auch subordiniert auftreten. Zum anderen wird die Makrostruktur betrachtet. Dabei wird die Position der einzelnen Segmente in der Erzählung analysiert.[8]
2.1.1 Ordnung
Der Untersuchungsaspekt der Ordnung befasst sich mit dem Vergleich der Anordnung der einzelnen Handlungssegmente der Geschichte mit deren Reihenfolge in der Erzählung. Diese Anordnung weist häufig Dissonanzen auf, welche bei Genette als Anachronien bezeichnet werden. Diese können rückblickend oder vorausschauend auftreten und lassen sich nach ihrer Reichweite und in ihrem Umfang untersuchen. Dabei wird zum einen die Distanz zum Zeitpunkt des Einschubs in der Geschichte und zum anderen die Dauer der eingeschobenen Sequenz betrachtet.[9] Die rückblickenden Parenthesen bezeichnet Genette als Analepsen, die vorausdeutenden als Prolepsen.[10] Die eigentliche Erzählung kennzeichnet er mit dem Terminus „Basiserzählung“.[11]
2.1.1.1 Analepsen
Genette unterscheidet die analeptischen Einschübe in interne, externe und gemischte Analepsen, welche entweder komplett oder partiell sein können. Intern ist der Einschub der Rückwendung dann, wenn das Ereignis sich zu einem früheren Zeitpunkt während der Basiserzählung zugetragen hat. Im Gegensatz dazu stehen die Analepsen, die Genette als extern bezeichnet. Diese beziehen sich auf Geschehnisse, die sich zu einem Zeitpunkt ereigneten, der vor der Zeitspanne liegt, die von der Basiserzählung erzählend abgedeckt wird, und nicht bis in diese hineinreicht. Solche Einschübe dienen der Ergänzung der Basiserzählung und verschaffen dem Leser zusätzliche Informationen über frühere Ereignisse. Gemischte Analepsen reichen von einem Zeitpunkt außerhalb der Basiserzählung in diese hinein. Sie beginnt also als externe Analepse, setzt sich jedoch bis in den Handlungszeitraum der Geschichte hinein fort. Partielle Analepsen nehmen einen zeitlichen Rahmen in der Geschichte ein, der nicht in unmittelbarer Verbindung zum Zeitpunkt der Unterbrechung steht. Sie enden demnach mit einer Ellipse, während die Basiserzählung am Punkt der Unterbrechung wieder aufgenommen wird. Alle Formen der Analepse können auch als komplette Analepsen auftreten. Dies geschieht, wenn die Einschübe inhaltlich an dem Punkt der Geschichte enden, an dem diese parenthetisch unterbrochen wurde oder, im Falle der externen kompletten Analepse, bis an den Anfangspunkt der Basiserzählung heranreichen. Genette geht auf die internen Analepsen noch genauer ein, indem er diese als heterodiegetisch, also einen von der Basiserzählung unterschiedenen Inhalt umfassend, oder homodiegetisch, also den Handlungsstrang der Basiserzählung betreffend, unterteilt. Die homodiegetischen internen Analepsen klassifiziert er wiederum in kompletive und repetitive Analepsen. Unter kompletiven Analepsen sind Rückblenden zu verstehen, die eine in der Geschichte zuvor ausgelassene Erzählsequenz inhaltlich aufarbeiten. Die vorerst in der Geschichte ausgelassenen Fakten werden bei Genette als Paralipse bezeichnet, da sie nicht weggelassen werden, sondern zu einem späteren Erzählzeitpunkt aufgegriffen werden.
[...]
[1] Alle neu eingeführten Fachtermini, die Genette in seiner Erzähltheorie verwendet, sind kursiv gedruckt.
[2] Vgl. Genette (1994), S. 15 f.
[3] Vgl. ebd., S. 17.
[4] Vgl. ebd., S. 18- 20.
[5] Vgl. Martinez/ Scheffel (1999), S. 31.
[6] Vgl. Genette (1994), S. 22.
[7] Ebd.
[8] Vgl. ebd., S. 24; 26; 28.
[9] Vgl. ebd., S. 31.
[10] Vgl. ebd., S 25.
[11] Ebd., S. 32.
- Citar trabajo
- Anna Lichtenthal (Autor), 2009, Die zeitliche Struktur von Max Frischs "Homo Faber" (1957), Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/133624
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