Die folgende Arbeit wird sich mit der Bedeutung des silbischen Prinzips als Bestandteil des deutschen Schriftsystems für den Erwerb basaler Lese- und Schreibkompetenzen beschäftigen. Dazu wird insbesondere folgenden Fragen nachgegangen: Wie läuft der Schriftspracherwerb ab? Inwiefern beruhen orthografische Regularitäten auf der silbischen Struktur? Stehen Lesen und Schreiben in Wechselwirkung? Welche sprachlichen Fähigkeiten in Bezug auf Silben und Laute besitzen Schüler bereits vor Eintritt in die Schule? Welche Chancen und Risiken bieten aktuelle, didaktisch-methodische Konzepte des Schriftspracherwerbs? Wie wird die silbische Struktur in einem silbenanalytischen Sprachlehrgang genutzt? Was sagen aktuelle, empirische Untersuchungen über die Effektivität eines solchen sprachanalytischen Lehrgangs?
„Schrift ist nicht nur die Sprache selbst, sondern derselben auch in keiner Weise adäquat.“ Mit dieser Aussage beschreibt Hermann Paul die Diskrepanz zwischen gesprochener und geschriebener Sprache. Da mit den 26 lateinischen Buchstaben nicht alle vierzig Laute des Deutschen abgebildet werden können, greifen bestimmte orthografische Prinzipien, denen auch Schüler:innen im Laufe des Schriftspracherwerbs begegnen. Da nur die Berücksichtigung dieser orthografischen Regularitäten zu einer fehlerfreien Orthografie und damit auch zu einem flüssigen, sinnentnehmenden Lesen führen kann, ist es auch vor dem Hintergrund des Lehrplans für das Fach Deutsch wichtig, diese Regelhaftigkeiten nicht nur zu kennen, sondern auch zu verstehen und zielgerichtet anwenden zu können. Die PISA-Studie (2000) zeigte, dass mangelhafte sprachliche Fähigkeiten auch schwache
Leistungen in anderen Fächern begünstigen können.
Inhalt
Abbildungsverzeichnis
1. Einleitung
2. Schriftspracherwerb
2.1 Grundsätzliches
2.2 Stufenmodell des Schriftspracherwerbs
3. Silbische Struktur des Deutschen
3.1 Silbentypen
3.2 Häusermodell nach Röber-Siekmeyer
4. Das Problem der Verschriftlichung
5. Schreiben
5.1 Orthographie
5.1.1 Prinzipien der Schreibung
6 Lesen
6.1 Methoden des Lesens
6.2 Der schwache Leser
7. Vergleich dreier didaktisch-methodischer Konzepte des Schriftspracherwerbs
7.1 Lesen durch Schreiben
7.2 Spracherfahrungsansatz
7.3 Fibellehrgänge
7.4 Zwischenfazit
8. Silbenanalytische Methode
8.1 Grundidee
8.2 Ziele
8.3 Methode
8.4 Inhalte
8.5 Lernausgangslage
8.6 Darstellung ausgewählter empirischer Untersuchungen
8.7 Umsetzung im Unterricht
8.8 Chancen
8.9 Kritik
9. Fazit
10. Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1. Einleitung
„Schrift ist nicht nur die Sprache selbst, sondern derselben auch in keiner Weise adäquat. “ (Paul 1920, S. 374)
Mit dieser Aussage beschreibt Hermann Paul die Diskrepanz zwischen gesprochener und geschriebener Sprache. Da mit den 26 lateinischen Buchstaben nicht alle vierzig Laute des Deutschen abgebildet werden können, greifen bestimmte orthographische Prinzipien, denen auch Schüler1 im Laufe des Schriftspracherwerbs begegnen. Da nur die Berücksichtigung dieser orthographischen Regularitäten zu einer fehlerfreien Orthographie und damit auch zu einem flüssigen, sinnentnehmenden Lesen führen kann, ist es auch vor dem Hintergrund des Lehrplans für das Fach Deutsch wichtig, diese Regelhaftigkeiten nicht nur zu kennen, sondern auch zu verstehen und zielgerichtet anwenden zu können. Die PISA-Studie (2000) zeigte, dass mangelhafte sprachliche Fähigkeiten auch schwache Leistungen in anderen Fächern begünstigen können.
Vor diesem Hintergrund möchte sich die folgende Arbeit mit der Bedeutung des silbischen Prinzips als Bestandteil des deutschen Schriftsystems für den Erwerb basaler Lese- und Schreibkompetenzen beschäftigen.
Dazu wird insbesondere folgenden Fragen nachgegangen:
- Wie läuft der Schriftspracherwerb ab?
- Inwiefern beruhen orthographische Regularitäten auf der silbischen Struktur?
- Stehen Lesen und Schreiben in Wechselwirkung?
- Welche sprachlichen Fähigkeiten in Bezug auf Silben und Laute besitzen Schüler bereits vor Eintritt in die Schule?
- Welche Chancen und Risiken bieten aktuelle, didaktisch-methodische Konzepte des Schriftspracherwerbs?
- Wie wird die silbische Struktur in einem silbenanalytischen Sprachlehrgang genutzt?
- Was sagen aktuelle, empirische Untersuchungen über die Effektivität eines solchen sprachanalytischen Lehrgangs?
Um zunächst den grundlegenden Begriff des Schriftspracherwerbs zu klären, folgt auf eine kurze Definition die Darstellung eines Stufenmodells für den Schriftspracherwerb. Als Grundlage für die Erläuterung der orthographischen Regularitäten wird zunächst die silbische Struktur des Deutschen dargestellt, wozu sowohl der Aufbau einer Silbe als auch verschiedene Silbentypen und Wortgestalten präsentiert werden. Nach Erläuterung eines Häusermodells zur visuellen Darstellung der Silbenstruktur wird die Diskrepanz zwischen Laut- und Schriftsprache näher präsentiert. Daran anknüpfend liegt der Fokus des nächsten Kapitels auf der detaillierten Betrachtung der orthographischen Regularitäten, an die die darauffolgenden Kapitel immer wieder anknüpfen. Im Anschluss an die Darstellung der orthographischen Prinzipien folgt dann die Erläuterung des Leseprozesses als das Rekodieren von Buchstaben. Nach einer Betrachtung dreier didaktisch-methodischer Konzepte für den Schriftspracherwerb und der Darstellung von Chancen und Risiken der einzelnen Lehrgänge folgt dann die nähere Betrachtung der Silbenanalytischen Methode. Hierzu werden Ziele, Methoden und Inhalte genannt und sowohl praktische Beispiele aus einem Unterricht ohne spezielles, silbenanalytisches Lehrwerk als auch die Arbeit mit dem Lehrgang „ABC der Tiere“ präsentiert. Außerdem werden in diesem Zuge Unterschiede zu den anderen Lehrgängen herausgearbeitet, Fähigkeiten von Kindern in Bezug auf das Erkennen von Silben und deren Grenzen dargestellt und empirische Untersuchungen über die Effektivität der Silbenanalytischen Methode präsentiert.
2. Schriftspracherwerb
2.1 Grundsätzliches
Der Schriftspracherwerb ist der Prozess des bewussten Umgangs mit Sprache, in dem sich die Lernenden vom rein intuitiven Wissen hin zu einer aktiven Analyse der Sprache begeben, um dabei das Lesen und Schreiben zu erwerben (vgl. Geisel 2009, S. 24).
Die Kinder bewegen sich hierbei in einem ihnen bis dahin auf den ersten Blick noch unbekannten System, das ihnen aufgrund der „prosodischen2, syntaktischen und lexikalischen Strukturen der Sprache“ dennoch nicht gänzlich unbekannt ist (Bredel 2004, S. 2). Den Schriftspracherwerb betitelt Bredel hierzu passenderweise als „Wiederaneignung der Sprachkompetenz - freilich auf höherem Niveau.“ (Bredel 2004, S. 2).
Diese Arbeit wird sich dem Schriftspracherwerb im engen Sinne widmen, der den Erwerb der basalen Lese- und Schreibfähigkeiten umfasst. Das Schreiben wird hierbei als Prozess der Umwandlung von Sprache zu Schrift gesehen; das Lesen als Prozess der Umwandlung von Schrift zu Sprache. Der Erwerb dieser Fähigkeiten ist dabei kein additiver Prozess; auf den abgeschlossenen Leselernprozess folgt also nicht der Schreiblernprozess. Vielmehr greifen beide, wie unter Kap. 6 dargestellt, ineinander über und bedingen sich dabei gegenseitig (vgl. Dürscheid 2002, S. 225).
2.2 Stufenmodell des Schriftspracherwerbs
1985 entwickelte Uta Frith ein in drei Phasen gegliedertes Modell des Schriftspracherwerbs für den englischen Sprachraum, das Klaus B. Günther ein Jahr darauf für den deutschen Sprachraum aufgriff und um zwei Phasen erweiterte. Beginnend mit der präliteralsymbolischen Phase begeben sich die Lernenden danach über die logographische, alphabetische, orthographische und integrativ-automatisierte Phase dieses idealtypischen Modells hin zur korrekten Orthographie (vgl. Dürscheid 2002, S. 226).
Dabei geht Günther davon aus, dass sich die Phasen immer weiter ausdifferenzieren, sodass das Kind irgendwann an den Punkt kommt, an dem es erkennt, dass seine bis dahin erworbenen Regeln der Verschriftlichung nicht mehr tragbar sind und daher Elemente der nächst höheren Phase betreten werden (vgl. ebd., S. 226).
2.2.1 präliteral-symbolische Phase
In dieser ersten Phase, die als Vorbedingung für das Lesen- und Schreibenlernen gesehen werden kann und von Günther als Phase 0 bezeichnet wird, ahmen Kinder bereits Erwachsene im Lesen und Schreiben nach, indem sie beispielsweise erste Kritzeleien anfertigen oder das Schreiben imitieren, ohne dabei jedoch die Funktion der einzelnen Zeichen zu kennen (vgl. Karg 2015, S.88).
Zentral für diese Phase ist das Abstrahieren von Gegenständen in zweidimensionale Darstellungen, wie es beispielsweise beim Zeichnen eines Hauses aus der kindlichen Perspektive ohne dreidimensionale Darstellung geschieht. Ebenso kann das Kind aber auch zweidimensionale Darstellungen auf Gegenstände beziehen; es erkennt also das Haus auf einer Abbildung (vgl. Carle 2001, S. 1). Gleichzeitig kann das Kind auch symbolische Darstellungen wie das Herz als Zeichen für die Liebe nutzen (vgl. Dürscheid 2002, S. 230).
2.2.2 logographische Phase
In dieser zweiten Phase können Lernende Wörter an charakteristischen, visuellen Merkmalen des Wortes erkennen. So erkennt das Kind beispielsweise den Kreis vom <o> und den kleinen Punkt des <i> in <Omi> und kann damit auf das Wort <Omi> schließen. Ein weiteres Beispiel wäre ein prägnantes Logo wie das der Firma Coca Cola, an dem das Kind den geschwungenen Schriftzug mit <Coca Cola> verbinden könnte. Die Lernenden können den Schriftzeichen also eine Bedeutung zuordnen, hierbei jedoch nicht explizit die Buchstabenfolge in eine Lautfolge rekodieren, sodass es hier möglicherweise zu Fehlern kommen kann. Ähnelt ein Logo dem der Marke Coca Cola, so könnte das Kind dieses Logo ebenfalls mit dem Wort <Coca Cola> in Verbindung bringen. Nachdem das Kind somit begonnen hat zu lesen, überträgt es diese neu erworbene Fähigkeit auch auf das Schreiben. Es beginnt also, das zu schreibende Wort aus dem Gedächtnis heraus zeichnerisch darzustellen, wobei es oft zu Fehlern wie Buchstabendrehern oder Auslassungen kommt. Unbekannte Wörter stellt das Kind hier anknüpfend an die präliteral-symbolische Phase weiterhin mit dem verknüpften Symbol dar (vgl. Dürscheid 2002, S. 228).
Besonders kennzeichnend für diese Phase ist, dass die Lernenden hier nicht „zwischen dem Gegenstand und der Bezeichnung für einen Gegenstand“ (Dürscheid 2002, S. 227) unterscheiden. Dies bedeutet, dass bei den Kindern noch kein Wortbegriff vorhanden ist. Bietet man einem Kind die beiden Wörter <Sofa> und <Armbanduhr> an, würde ein Kind, das sich in der logographischen Phase befindet, behaupten, das Wort <Sofa> sei länger, da der Gegenstand Sofa deutlich größer als eine Armbanduhr ist, auch wenn das Wort <Armbanduhr> länger als <Sofa> ist.
2.2.3 alphabetische Phase
Im Gegensatz zur logographischen Phase orientieren sich Kinder hier an Phonem- Graphem-Korrespondenzen3 (vgl. Dethloff et al. 2014, S. 31), indem Wörter erstmals in ihre Laute segmentiert und Graphemen zugeordnet werden (vgl. Weingarten 2004, S. 18).
Hierbei können Wörter, die während der logographischen Phase noch korrekt wiedergegeben werden konnten, nun eventuell orthographisch falsch verschriftlicht werden. Dies kann hier allerdings als Fortschritt gesehen werden, da die Lernenden nun ein erstes Wissen über Phonem-Graphem-Zuordnungen aufgebaut haben. Häufig kommt es bei diesen Schreibungen zu „Skelettschreibungen“ (vgl. Scherer-Neumann 1996, S. 1164), bei denen lediglich Konsonanten verschriftlicht werden.
Einen ersten Zugang bekommen sie hier nicht über das Lesen, sondern über das Schreiben, bei dem sie das zu schreibende Wort lautieren und in Schrift dekodieren (vgl. Dürscheid 2002, S. 228).
Erlesen geübte Leser ihnen fremde Wörter, so nutzen auch sie noch die alphabetische Strategie, um die unbekannten Wörter zu rekodieren (vgl. ebd., S. 229).
2.2.4 orthographische Phase
Befindet sich ein Lernender in der orthographischen Phase, so werden bereits Silben, Morpheme oder häufig vorkommende Buchstabenfolgen als Ganzes erkannt, sodass ein zunehmend flüssigeres Lesen erkennbar ist. Auch das Dekodieren der Laute geschieht nun deutlich zügiger, wobei die geschriebenen Wörter zunehmend orthographischen Regularitäten folgen. Die Anzahl phonographischer Schreibungen wird damit geringer (vgl. ebd., S. 229).
2.2.5 integrativ-automatisierte Phase
In dieser letzten Phase verfügt der kompetente Lerner über eine Sicherheit beim Lesen und Schreiben, sodass hierbei vom automatisierten Lesen und Schreiben gesprochen werden kann (vgl. ebd., S. 231).
3. Silbische Struktur des Deutschen
Während die Silbe laut Maas die „Grundeinheit der Artikulation“ bildet und er sie damit als kleinste prosodische Einheit sieht (vgl. Maas 1992, S. 256), definiert der Duden die Silbe als „eine oder mehrere Laute umfassende Einheit, die einen Teil eines Wortes oder ein Wort selbst bildet.“ (Duden 2006, S. 934) Die Anzahl der Silben eines Wortes lässt sich dabei laut Maas über die Anzahl der Silbenkerne (Nukleus), die aus einem Vokal beziehungsweise Diphthong4 bestehen, bestimmen. Die sich vor dem Silbenkern befindenden Konsonanten werden als Anfangsrand (Onset), die nach dem Vokal beziehungsweise Diphthong stehenden Konsonanten als Endrand (Coda) bezeichnet (vgl. Abb. 1). Silbenkern und Endrand bilden zusammen den Reim (vgl. Fuhrhop 2006, S.14).
3.1 Silbentypen
Die Basisform der deutschen Silbe ist der Trochäus, der aus einer betonten ersten und einer unbetonten zweiten Silbe besteht Der Endrand bestimmt, ob die Silbe offen oder geschlossen ist. Spricht man von einer offenen Silbe, so ist der Endrand nicht besetzt: <See>. Ein besetzter Endrand wie in <Band> ist in geschlossenen Silben zu finden. Hierbei lässt sich zwischen komplexem (mehrere Konsonanten) und einfachem (ein Konsonant) Endrand unterscheiden.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Ähnlich lässt sich beim Anfangsrand differenzieren. Ist der Anfangsrand besetzt, so spricht man von einer bedeckten Silbe: <Gel>. Eine nackte Silbe hingegen zeichnet ein leerer Anfangsrand aus: <Aal> (vgl. Fuhrhop 2006, S. 15).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Silbenstruktur
Ob der Vokal einer Silbe gespannt oder ungespannt gesprochen wird, hängt vom Endrand ab. Ist dieser besetzt, so handelt es sich um einen ungespannten Vokal: <Schrank>, <Licht>, <Kuss>. Wörter wie <Mond> oder <Keks > bilden hier Ausnahmefälle (vgl. ebd., S. 14). Besitzt die Silbe einen offenen Endrand, wird der Vokal gespannt gesprochen: <Klee>, <so> (vgl. ebd., S. 14).
Im Deutschen gibt es einige Hilfsmittel wie das Dehnungs-h oder die Vokalverdopplung, um die Vokalqualität zu markieren (vgl. ebd., S. 14). Betrachtet man das Minimalpaar5 <rate> - <Ratte>, so fällt auf, dass <Ratte> zwei Konsonanten zwischen den Vokalen besitzt. Um die Silbengrenze zu bestimmen, muss zwischen Sprech- und Schreibsilbe differenziert werden. Maas setzt die Grenze der Sprechsilbe bei <Ratte> hinter dem Vokal <a>; die der Schreibsilbe zwischen die beiden <t>. Das <tt> in <Ratte> bezeichnet er als Silbengelenk, das hierbei zu beiden Silben gehört (vgl. Hinney 2004, S.77).
Ob der Endrand nun besetzt oder unbesetzt ist, entscheidet darüber, ob es sich um eine offene oder geschlossene Silbe handelt. Hier werden im deutschen vier Wortgestalten unterschieden (vgl. Röber-Siekmeyer 2004, S. 46):
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2: Die vier Wortgestalten
3.1.1 Normalsilbe
Die unbetonte Normalsilbe, die im Deutschen statistisch selten vorkommt, kann im Anfangsrand sowohl einen, mehrere oder auch gar keinen Konsonanten enthalten. Auch der Endrand kann sowohl einfach oder gar nicht besetzt sein. Im Kern der Normalsilbe findet sich ein Vokal, der sowohl gespannt als auch ungespannt sein kann. Beispiele für Normalsilben sind <Kino> oder <Kamel>6 (vgl. Maas 1999, S. 158ff.)
3.1.2 betonte Silbe
Im Gegensatz zur Normalsilbe müssen bei der betonten Silbe sämtliche Positionen besetzt sein, wobei sowohl Anfangs- als auch Endrand einen oder auch mehrere Konsonanten enthalten können. Zusätzlich kann im Endrand ein Vokal stehen, sobald der Vokal gespannt ist (vgl. Maas 1999, S. 174). Hier gilt es, zwischen Langvokalen „bei gleicher vokalischer Artikulation des Nukleus und des Endrandes“ (Schmidt, Michaela 2006, S. 20), die sich hierbei bis in den Endrand ausdehnen, und Diphthong bei unterschiedlichem Vokal in Kern und Endrand, zu unterscheiden (Maas 1999, S. 174).
3.1.3 Reduktionssilbe
Bei der Reduktionssilbe kann sowohl der Anfangs- als auch der Endrand besetzt sein. Der Silbenkern wird durch den Schwa-Laut [a] (beziehungsweise [e] in Verbindung mit einem <r> im Endrand) besetzt, wobei dieser auch durch die Konsonanten <l>, <m> und <n> wie in <Esel> gebildet werden kann (vgl. Maas 1999, S. 265). Beispielhaft lassen sich hier <Vater> oder <Stege> nennen.
3.2 Häusermodell nach Röber-Siekmeyer
Das Häusermodell nach Röber-Siekmeyer kann genutzt werden, um die Struktur trochäischer Wörter in verschiedenen Wortgestalten darzustellen (vgl. Thelen 2001, S. 10). Das Haus besteht aus einem Haupthaus mit zwei Zimmern und einer Garage mit zwei Räumen, wobei sich in den jeweils zweiten Räumen jeder Silbe der Reim mit Vokal beziehungsweise Diphthong und eventuell Konsonant befindet. Der gespannte Vokal kann sich dabei bis ins Ende des Hauses ausdehnen (vgl. Winkler 2004, S. 24).
Das Häusermodell symbolisiert also die silbische Struktur mit Anfangsrand (erster Raum) und Reim (zweiter Raum).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3: Häusermodell zu Wortgestalt 1: Unmarkierte offene Silbe (Röber-Siekmeyer 2004, S. 23f.)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 4: Häusermodell zur Wortgestalt 2:
Unmarkierte geschlossene Silbe (ebd., S. 23)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 5: Häusermodell zu Wortgestalt 3: Markierte offene Silbe (ebd., S. 23)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 6: Häusermodell zu Wortgestalt 4:
Markierte geschlossene Silbe (ebd., S. 23)
Neben der reinen Darstellung der Wortgestalten kann das Häusermodell auch genutzt werden, um die morphologische Struktur von Wörtern zu erkunden, indem die Garage nach dem ersten Raum umgeknickt wird. Dieser „Trick mit dem Knick“ zeigt die Morphemgrenze zwischen Anfangsrand und Silbenkern der zweiten Silbe an, sodass der konstante Wortstamm links vom Knick, die Endung zur Flexionsbildung rechts vom Knick steht (vgl. Bredel; Fuhrhop 2011, S. 110).
4. Das Problem der Verschriftlichung
Während Phoneme die „kleinsten bedeutungsunterscheidenden Einheiten der gesprochenen Sprache“ sind (Maas 1999, S. 21), sind Grapheme dies in der geschriebenen Sprache (vgl. Eisenberg 1994, S. 306). Bei einigen Wörtern wie <Mut> oder <kalt> wird jedem Phonem exakt ein Graphem zugeordnet, wobei man von der Phonem-GraphemKorrespondenz spricht. Das Motto „Schreib, wie du sprichst“ würde hier ausnahmslos gelten. Doch viele Wörter werden nicht lautgetreu verschriftlicht. Die Phonem-GraphemKorrespondenz ist hier nicht eindeutig. Die Anzahl der Grapheme entspricht dabei nicht der Anzahl der Phoneme. Nach Eisenberg existieren im Deutschen 29 Grapheme, zu denen neben den lateinischen Buchstaben auch Buchstabenverbindungen wie <qu>, <ie> oder <sch> zählen. Auch Umlaute zählt Eisenberg zu den Graphemen (vgl. Eisenberg 2004, S. 306). Die Buchstaben v, x, y, c und q werden hier nicht als einzelne Grapheme gezählt, da sie lediglich als Teile von Mehrgraphemen gesehen werden.
Phoneme hingegen gibt es laut Willi vierzig. Davon zählen zwanzig zu den Konsonantenphonemen wie /k/, /J7 oder /q/ und zwanzig zu den Vokalphonemen wie [a], [a] oder [e] (vgl. Willi 2004, S. 461ff.). Unterschieden wird bei den Vokalphonemen dabei zwischen gespannten und ungespannten Vokalen. So wird das gespannte <o> in <Ofen> mit dem Phonem [o] verbunden; das ungespannte <o> in <offen> mit dem [c] (vgl. Fuhrhop 2006, S. 8).
Ina Karg spricht davon, dass „keine Sprache [existiert, die] eine 1:1-Umsetzung von tatsächlich gesprochenen Lauten in tatsächlich existierende Schriftzeichen einer Buchstabenschrift“ (Karg 2015, S. 49) aufweist. Auch Paul formulierte bereits 1920 diese Diskrepanz zwischen Laut- und Schriftsprache: „Schrift ist nicht nur die Sprache selbst, sondern derselben auch in keiner Weise adäquat.“ (Paul 1920, S. 374)
Beispielhaft lässt sich an dieser Stelle das Graphem <ch> anführen, das einerseits als [x] wie in <Buch>, andererseits aber auch als [g] wie in <Kirche>, artikuliert werden kann.7 Das große Problem ist, dass Kindern durch verschiedenste Lehrgänge (vgl. Kap. 7) bis heute oft eine „segmental-lineare Abbildbarkeit der graphemischen und der lautlichen Struktur“ (Noack 2006, S. 182) vermittelt wird.
Die deutsche Schrift ist zusammenfassend also keine Lautschrift, die sich am Internationalen Phonetischen Alphabet (IPA) orientiert, sondern eine Alphabetschrift, die aus den 26 bekannten Buchstaben besteht (Fuhrhop 2006, S. 6f.). Da das Deutsche das lateinische Alphabet verwendet, während im Deutschen Laute existieren, die mit diesem Alphabet nicht abgebildet werden können, werden spezielle Markierungen umgesetzt (vgl. Maas 2011, S. 20ff.).
5. Schreiben
Beim Schreibenlernen müssen die Schüler die prosodische Struktur der Wörter zu erkennen lernen und diese in Schriftzeichen dekodieren. Dabei werden sie orthographischen Regularitäten begegnen, die im Folgenden näher dargestellt werden.
5.1 Orthographie
Die deutsche Schrift ist leserorientiert, das heißt, sie gibt den Lesenden Zeichen, damit diese möglichst schnell Informationen entnehmen können. Der kompetente Leser kann die vorliegenden Buchstabenketten dann zügig in eine bestimmte Lautung überführen (vgl. Röber 2006, S. 73). Dies geschieht einerseits durch das mentale Lexikon8 bei bekannten Wörtern, andererseits aber auch aufgrund bestimmter Prinzipien der Schrift, die eine explizite Lautung auch bei unbekannten Wörtern anzeigen. So können auch unbekannte oder gar Kunstwörter wie <knemel>, <knesme>, <knemmel> oder <knehm> von unterschiedlichen Personen mit der gleichen „phonologischen Variation“ (Röber 2009, S. 38) gelesen werden.
5.1.1 Prinzipien der Schreibung
Die deutsche Orthographie folgt einigen Prinzipien. So werden Wörter wie <kalt> oder <Ruf> lautgetreu verschriftlicht; die Phonem-Graphem-Korrespondenz ist hier also eindeutig. Da dies allerdings nicht immer der Fall ist, lagern sich über die lautgetreuen Schreibungen silbische Schreibungen, welche aufgrund der silbischen Struktur von Wörtern bestimmte Regularitäten wie das Dehnungs-h oder eine Vokalverdopplung aufweisen und sich an der Vokalqualität orientieren. Die morphologischen Schreibungen orientieren sich an der Morphemkonstanz, was heißt, dass sich Flexionsformen lexikalisch gleicher Wörter aneinander orientieren (vgl. Fuhrhop 2006, S. 5).
5.1.1.1 phonographisches Prinzip
Wird ein Wort so geschrieben, wie man es hört, dann wird es nach dem phonographischen Prinzip verschriftlicht, denn jedem Phonem wird genau ein Graphem zugeordnet (PhonemGraphem-Korrespondenz), sodass das geschriebene Wort das gesprochene exakt abbildet. Lautgetreue Wörter lassen sich also nach dem phonographischen Prinzip korrekt verschriftlichen. Hören Kinder [pi'Rait], dann schreiben sie <Pirat>, was in diesem Fall orthographisch korrekt wiedergegeben ist. Das Wort <gehen> würde getreu des phonographischen Prinzips dann als *gen notiert, was orthographisch falsch ist (vgl. ebd., S. 12).
Genau bei solchen nicht lautgetreuen Wörtern reicht das phonographische Prinzip als Grundgerüst der Verschriftlichung also nicht mehr aus, sodass zunächst das silbische Prinzip greift, das im folgenden Kapitel näher betrachtet wird.
5.1.1.2 silbisches Prinzip
Schreibungen nach dem silbischen Prinzip folgen nicht mehr der Phonem-GraphemBeziehung, sondern bestimmten Regularitäten, die dennoch ebenfalls phonologisch bedingt sind und dabei oft im Zusammenhang mit der Vokalqualität stehen (vgl. ebd., S. 13).
5.1.1.2.1 Vokalverdopplung
Die Doppelvokale aa>, <ee> und <oo> in geschriebenen Wörtern < zeigen die Vokalgespanntheit an und stehen meist in Substantiven vor <l>, <r>, <s> und <t> (vgl. Eisenberg 2004, S. 317), die oft typisch für komplexe Endränder sind. Die Vokale würden hier ungespannt gesprochen.
Die Verdopplung des <e> ist oft in Fremdwörtern (<Resumee > oder <Exposee >), Einsilbern wie <See> oder <Schnee> oder am Ende von Zweisilbern wie <Kaffee> oder <Allee> zu finden. Dies liegt daran, dass sowohl das <e> in der zweiten Silbe als auch das <e> am Wortende oft als Schwa-Laut gelesen wird. Um das <e> jedoch als Vollvokal lesen zu können, wird der Vokal im Sinne einer Dehnungsgraphie verdoppelt (vgl. Fuhrhop 2006, S. 16).
5.1.1.2.2 Konsonantenverdopplung
Bei der Konsonantenverdopplung wird der Konsonant des geschriebenen Wortes verdoppelt, sodass der Vokal davor ungespannt gelesen wird. Phonologisch handelt es sich dabei um einen Konsonanten, graphematisch um zwei. Da dieser ambisyllabische Konsonant9 sowohl zur ersten als auch zur zweiten Silbe gehört, spricht man hier von einem Silbengelenk (vgl. Dürscheid 2002, S. 152). Diese Schärfungsschreibung gibt es jedoch auch bei Einsilbern. Hier ist neben der silbischen auch eine morphologische Betrachtung zu berücksichtigen, denn das <t> in < Blatt > wird verdoppelt, da der Endrand der ersten Silbe bei Pluralbildung ohne Gemination10 des <t> offen wäre und der Vokal <a> daher gespannt gelesen werden müsste. Gibt es zu Einsilbern keine Flexionsform, so wird der Konsonant auch nicht verdoppelt. Zu erkennen ist dies am Beispiel <man>, zu dem es keine zweisilbige Flexionsform gibt. Dieses <n> muss im Gegensatz zum <n> in <Mann > nicht verdoppelt werden (vgl. Fuhrhop 2006, S. 19).
Zu beachten ist außerdem, dass bei der Verdopplung aus einem <k> ein <ck> und aus einem <z> ein <tz> wird (vgl. Füzesi/Gadient 2009, S. 43). Ferner werden sowohl die Digraphen11 <ch> und <ng> als auch der Trigraph <sch> nicht verdoppelt (vgl. Dürscheid 2002, S. 153).
[...]
1 Zu Gunsten eines besseren Leseflusses wird auf die gleichzeitige Verwendung der männlichen und weiblichen Sprachformen verzichtet. Sämtliche Personenbezeichnungen gelten gleichwohl für beide Geschlechter.
2 Unter Prosodie versteht man Merkmale der gesprochenen Sprache wie Tempo, Rhythmus, Intonation oder Satzmelodie.
3 Jedem Phonem wird exakt ein Graphem zugeordnet.
4 Doppellaut, der aus zwei aufeinander folgenden Vokalen besteht
5 Paar bedeutungsverschiedener Wörter, die sich lediglich in einem Graphem voneinander unterscheiden
6 Die betreffenden Silben sind hier unterstrichen.
7 Weitere Beispiele werden in Kap. 7.1.3 (Kritik an Reichen) diskutiert.
8 Im mentalen Lexikon werden sämtliche Wörter gespeichert, die ein Lernender im Laufe seines Lebens in das Langzeitgedächtnis aufgenommen hat.
9 Konsonant, der zu zwei aufeinanderfolgenden Silben gehört
10 Verdopplung von Konsonanten
11 Kombination zweier Buchstaben, die ein Phonem repräsentiert
- Citar trabajo
- Nils Wienand (Autor), Das silbische Prinzip als Bestandteil des deutschen Schriftsystems und seine Bedeutung für die Vermittlung von Lese- und Schreibkompetenzen in der Grundschule, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1336245
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