In dieser Arbeit geht es um das pädagogische Konzept Empowerment, und inwiefern es gegen Rassismus hilfreich sein kann. Die Thesis nimmt eine erziehungswissenschaftliche Position ein und schlüsselt aus pädagogischer Perspektive den Begriff Empowerment auf. Rassismus und seine verschiedenen Erscheinungsformen werden prägnant umrissen. Der Mehrwert besteht in einer kritischen Analyse und Bewertung des Modellprojekts "Kinder gegen Rassismus - Kinder für Toleranz".
Es gibt viele Thematiken, die innerhalb des letzten Jahrzehnts maßgeblich an Popularität zugenommen haben. Einige davon – oder vielleicht sogar die meisten – gerade deswegen, weil es sich um gravierende gesellschaftliche Konflikte handelt. Problematiken, die nicht nur tief verwurzelt, sondern zugleich so selbstverständlich im täglichen Leben etabliert sind, dass sie kaum mehr als solche wahrgenommen werden. Es ist die Rede von Missständen, Ungerechtigkeiten und Vergehen, die teils nichts anderes als Verbrechen gegen die Menschlichkeit sind. Wer von Rassismus spricht, spricht zweifelsfrei genau von solch einem Sujet.
Rassismus ist überall auf der Welt anzutreffen und eng mit den Vorstellungen der Moderne verknüpft. Dennoch handelt es sich nicht zwangsläufig um ein modernes Phänomen, sondern viel mehr um eine über Jahrhunderte hinweg anhaltende Misere, die in vermeintlich immer geringer werdenden Abständen in diversen Erscheinungsformen, dabei jedoch stets mit denselben falschen Kernüberzeugungen, aufkeimt.
Auch wegen der langen Existenz muss zweifellos zwischen heute und damals differenziert werden, allem voran, wenn es um das Bewusstsein ebendieser Diskriminierung geht. Mehr als bedauernswert ist hierbei, dass für Schwarze Menschen und People of Color Rassismus allgegenwärtig und zu jeder Zeit offensichtlich ist, dabei jedoch kaum jemals offen adressiert werden kann, geschweige denn in der weißen Mehrheitsgesellschaft auf anhaltende Aufmerksamkeit stößt.
Stattdessen scheint es, als würden rassistische Parolen, faschistische Überzeugungen, sogar Apartheidsgedanken immer salonfähiger – ebenso in Deutschland. Ein für sich selbst sprechend alarmierender Umstand, angesichts der Tatsache, dass im ersten Artikel des Grundgesetzes dieses vermeintlich demokratischen Landes unmissverständlich festgehalten wird, dass die Würde des Menschen unantastbar ist und zudem – nur zwei Artikel darunter – der Eindruck vermittelt wird, dass alle Menschen bedingungslos gleich an Wert sind.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Sprachgebrauch
3. Historische Aufarbeitung von Rassismus
3.1. Das Konzept von ‚Rasse‘
3.2. Definitionsversuch: Rassismus
3.3. Formen des Rassismus
3.4. Entstehung und Entwicklung von Rassismus in Deutschland
3.5. Aktualität der Thematik
4. Empowerment und dessen Bedeutungen
4.1. Begriffsentfaltung: Empowerment
4.2. Empowerment: Historische Einordnung und Entwicklung in Deutschland
4.3. Die Bedeutung des Empowerment-Konzepts in der Pädagogik für vulnerable Adressat*innengruppen
4.4. Pädagogik, Rassismus und Empowerment – Zusammenhänge und Ziele
5. Modellprojekt: ‚Kinder gegen Rassismus – Kinder für Toleranz‘
5.1. Vorstellung von ‚Kinder gegen Rassismus – Kinder für Toleranz‘
5.2. Zielsetzungen und Grundsätze des Projekts
5.3. Empowerment als pädagogisches Leitprinzip des Modellprojekts
5.4. Vorstellung des Workshop-Konzepts
6. Kritische Reflexion des Workshop-Konzepts des Modellprojekts ‚Kinder gegen Rassismus – Kinder für Toleranz‘
6.1. Prüfende Auseinandersetzung in Hinblick auf die Zielsetzung des Workshop-Konzepts
6.2. Durchleuchtung von Verständnis und Anwendung des Empowerment-Ansatzes
6.3. Kritik am Workshop-Konzept sowie Optimierungspotenzial der Anwendung von Empowerment für zukünftige Projekte
7. Zusammenfassung und Ausblick
1. Einleitung
Es gibt viele Thematiken, die innerhalb des letzten Jahrzehnts maßgeblich an Popularität zugenommen haben. Einige davon – oder vielleicht sogar die meisten – gerade deswegen, weil es sich um gravierende gesellschaftliche Konflikte handelt. Problematiken, die nicht nur tief verwurzelt, sondern zugleich so selbstverständlich im täglichen Leben etabliert sind, dass sie kaum mehr als solche wahrgenommen werden. Es ist die Rede von Missständen, Ungerechtigkeiten und Vergehen, die teils nichts anderes als Verbrechen gegen die Menschlichkeit sind. Wer von Rassismus 1 spricht, spricht zweifelsfrei genau von solch einem Sujet.
Rassismus ist überall auf der Welt anzutreffen und eng mit den Vorstellungen der Moderne verknüpft (vgl. Mecheril/Melter 2010, S. 159). Dennoch handelt es sich nicht zwangsläufig um ein modernes Phänomen, sondern viel mehr um eine über Jahrhunderte hinweg anhaltende Misere, die in vermeintlich immer geringer werdenden Abständen in diversen Erscheinungsformen, dabei jedoch stets mit denselben falschen Kernüberzeugungen, aufkeimt (vgl. ebd.). Auch wegen der langen Existenz muss zweifellos zwischen heute und damals differenziert werden, allem voran, wenn es um das Bewusstsein ebendieser Diskriminierung geht. Mehr als bedauernswert ist hierbei, dass für Schwarze 2 Menschen und People of Color 3 Rassismus allgegenwärtig und zu jeder Zeit offensichtlich ist, dabei jedoch kaum jemals offen adressiert werden kann, geschweige denn in der weißen 4 Mehrheitsgesellschaft auf anhaltende Aufmerksamkeit stößt. Stattdessen scheint es als würden rassistische Parolen, faschistische Überzeugungen, sogar Apartheidsgedanken immer salonfähiger – ebenso in Deutschland. Ein für sich selbst sprechend alarmierender Umstand, angesichts der Tatsache, dass im ersten Artikel des Grundgesetzes dieses vermeintlich demokratischen Landes unmissverständlich festgehalten wird, dass die Würde des Menschen unantastbar ist (vgl. GG, Art. 1 Abs. 1) und zudem – nur zwei Artikel darunter – der Eindruck vermittelt wird, dass alle Menschen bedingungslos gleich an Wert sind (vgl. GG, Art. 3 Abs. 3).
Der Bundeszentrale für politische Bildung (BPB) zufolge ist Deutschland seit den 1950er Jahren ein Einwanderungsland (vgl. Brodmerkel 2017, o.S.). Migration wird von der BPB sogar als „Grundelement der Menschheitsgeschichte […] des heutigen Deutschlands“ (Berlinghoff 2018, o. S.) bezeichnet. Angesichts dessen stellt sich die Frage, wieso die damals neuen Mitbürger*innen und ihre inzwischen keineswegs mehr neuen Nachfahr*innen, sowie kürzlich angekommene Migrant*innen oder aber eben Menschen, die seit jeher eine länderspezifische Zugehörigkeit vorweisen, selbst nach all diesen vielen Jahrzehnten scheinbar unverändert mit rassistisch motivierter Abneigung, Ausgrenzung und unmissverständlichem Hass konfrontiert werden. Und für die Zukunft vielleicht sogar noch wegweisender, die Fragestellung danach, wie dies nachhaltig geändert werden kann.
Geht es um die Beeinflussung und Änderung von Einstellungen und Eigenschaften – es könnte an dieser Stelle auch von einer individuellen wie gesellschaftlichen (Um-)Erziehung gesprochen werden –, dann wird der Blick nicht zuletzt auf den Fachbereich der Pädagogik gelenkt. Dies findet seine Begründung unter anderem darin, dass bedeutende Pädagog*innen wie Mollenhauer und Dollinger sie als „Mechanismus zur Problemlösung“ (Dollinger 2006, S. 13) und „Antwort auf typische Probleme der modernen Gesellschaft“ (Mollenhauer 1959, S. 16) bezeichnet haben. Den Behauptungen folgend, dass die Pädagogik Lösungen und Antworten bereithält, kann also angenommen werden, dass sich in diesem Fachbereich die Schlüssel für Auswege aus dem Rassismus verbergen. Nun ist Rassismus zwar nicht exklusiv als Thematik der Erziehung und Bildung zu betrachten, da es sich jedoch um ein gesamtgesellschaftliches und interdisziplinäres Konstrukt handelt, ist es auch an ihnen Lösungsansätze für das sogenannte ‚Rassismus-Problem‘ zu finden (vgl. Behbehani 2021, S. 146).
Wie vorangehend bereits angedeutet, ist Rassismus unbestreitbar ein bezeichnender Konflikt der Gegenwart, den es auf jeder Ebene zu begegnen und zu bewältigen gilt. Diese Erkenntnis ist insbesondere innerhalb der letzten Jahre mehr in das Bewusstsein weißer Menschen gerückt (vgl. Ogette, zitiert nach Wiedenhöft 2020, o. S.). Ob in den Medien, bei politischen Wahlen oder schlichtweg im alltäglichen Leben – Rassismus wird dem allgemeinen Anschein nach, zunehmend im öffentlichen Raum thematisiert, weswegen wohl getrost behauptet werden kann, dass zumindest zeitweise ein erweitertes Interesse darin besteht, diesen Fleck von der weißen Weste der Gesellschaft entfernen zu wollen.
Um innerhalb Deutschlands diese und weitere menschenrechtsbedrohende Untragbarkeiten der Bevölkerung zu bekämpfen, unterstützt die Bundesregierung präventive Angebote, welche neben allgemein demokratiefördernden und Extremismus vorbeugenden Maßnahmen, auch spezifische Projekte, die zur Prävention von rassistischer Diskriminierung dienen sollen. Das im Jahr 2015 ins Leben gerufene Bundesprogramm ‚Demokratie leben! Aktiv gegen Rechtsextremismus, Gewalt und Menschenfeindlichkeit‘ ist eine Zusammentragung solcher Angebote. In diesem Programm werden über 600 verschiedene (Modell-)Projekte gefördert. Die Schirmherrschaft übernimmt dabei das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (vgl. BMFSFJ 2018, S. 4 – 6). Eines dieser Modellprojekte nennt sich ‚Kinder gegen Rassismus – Kinder für Toleranz‘ und gibt an in seinem Ansatz das pädagogische Konzept Empowerment5 zu verwenden, weswegen diesem Projekt innerhalb der vorliegenden Arbeit besondere Beachtung zukommt (vgl. ebd., S. 28).
Ziel der vorliegenden Thesis ist es das soeben erwähnte Modellprojekt ‚Kinder gegen Rassismus – Kinder für Toleranz‘ kritisch auf das pädagogische Konzept Empowerment zu untersuchen und die Fragen zu klären, ob das Konzept des Projekts seinem rassismuskritischen Anspruch gerecht wird und ob Empowerment in der dort angewendeten Form gegen Rassismus wirkmächtig sein kann. Auf dieser Analyse und den daraus resultierenden Ergebnissen basierend, soll das Optimierungspotenzial der Anwendung von Empowerment für künftige, ähnlich orientierte Maßnahmen gewonnen werden.
Angesichts dieses Vorhabens wird zunächst das zutiefst kritisch zu betrachtende Konzept der ‚Rasse‘ (3.1.) vorgestellt, dessen Verständnis für eine bessere Einordnung der darauffolgenden Definitionsversuch von Rassismus (3.2.) dient. Es werden mehrere sich ergänzende Begriffsbestimmungen dargeboten, um eine einheitliche Basis schaffen und Missverständnisse weitestgehend prävenieren zu können. Im Anschluss daran werden einige für den Rahmen des Modellprojektes ‚Kinder gegen Rassismus – Kinder für Toleranz‘ als besonders relevant erachteten Formen des Rassismus eruiert (3.3.). Dem folgt ein kurz gehaltener, jedoch prägnanter Abriss der Entstehungsgeschichte und Entwicklung des heutigen Rassismus, wobei die Perspektive hier allem voran auf Deutschland liegt (3.4.). An diese Stelle anknüpfend, erfolgt ein Aktualitätsbezug, in dem die Problematik von Rassismus heute aufgeführt wird (3.5.). Im folgenden vierten Kapitel wird der Fokus auf das pädagogische Konzept Empowerment gelegt. Nach einer Begriffsvorstellung aus vorrangig pädagogischer Perspektive (4.1.), steht zunächst die historische Einordnung und Entwicklung besagten Konzepts in Deutschland im Vordergrund (4.2.), worauf die Bedeutung von Empowerment in der Pädagogik folgt (4.3.). Daran reiht sich die Vorstellung des Modellprojekts ‚Kinder gegen Rassismus – Kinder für Toleranz’ (5.1.). Nach der Erörterung der Zielsetzungen und Grundsätze des Projekts (5.2.), wird auf Empowerment als dessen pädagogisches Leitprinzip eingegangen (5.3.). Um danach die potenziell rassismuskritischen Zielsetzungen und Anwendung des Empowerment-Ansatzes innerhalb des Workshops kritisch analysieren und ebendiesen durchleuchten zu können (6.1. und 6.2.), wird zuletzt innerhalb des fünften Kapitels das Workshop-Konzept gesondert dargestellt (5.4.). Als letzten Unterpunkt des sechsten Kapitels wird an dem zuvor genannten anknüpfend, das Optimierungspotenzial für artverwandte, zukünftige Projekte dargeboten (6.3.). Schlussendlich findet sich eine Zusammenfassung der prüfenden Analyse, sowie ein kritischer Ausblick auch bezüglich der Relevanz der behandelten Thematiken für die Pädagogik, aber auch für die Gesellschaft im Allgemeinen (7.).
2. Sprachgebrauch
„Sprache ist politisch. Sprache ist aber auch Schönheit. Sprache ist Heimat“ (Topçu 2021, o. S.).
Bevor thematisch eingestiegen werden kann, muss der binnen dieser Bachelorthesis verwendete Sprachgebrauch thematisiert werden. Häufig vorkommende Termini sollen nachfolgend umrissen und knapp in ihren Bedeutungskontext eingebettet werden, um eine bessere Kontextualisierung ebendieser gewährleisten zu können. Es bleibt darauf hinzuweisen, dass die im Folgenden aufgeführten Bezeichnungen lediglich einen geringen Teil der existierenden Begrifflichkeiten darstellen, ausschweifendere Erläuterungen jedoch den Fokus des Werkes verschieben könnten. Auf diesen Teil wurde dennoch bewusst nicht verzichtet, da Sprache eine unwahrscheinliche Macht innewohnt und eine Absicht der Abhandlung unter anderem darin besteht, jeder lesenden Person, unabhängig ihres vorangehenden Wissens, einen ersten Eindruck, der meist ungeahnten Nähe zur eigenen Lebenswirklichkeit der behandelten Thematik, zu vermitteln.
Grundlegend ist festzuhalten, dass jeder Mensch das Recht hat, seine Persönlichkeit frei zu entfalten (vgl. GG, Art. 2 Abs. 1) – und demzufolge auch sich selbst zu definieren, weswegen die Verwendung von (rassistischen) Fremdbezeichnungen innerhalb dieser Thesis strikt abgelehnt wird. Den Prozess der Identitätsbildung gilt es in jederlei Hinsicht zu respektieren, weswegen die Definitionshoheit dem Individuum selbst obliegen muss. Dem Bestreben entsprechend dieser Anforderung gerecht zu werden, werden also ausschließlich die nachstehenden (Selbst-)Bezeichnungen verwendet.
Schwarz ist ein von Menschen, welche Rassismus erfahren haben, selbstgewählter und ebendiese beschreibender Begriff. Der Terminus wird stets großgeschrieben, da durch diese Schreibweise unmissverständlich klargemacht werden soll, dass es sich zu keinem Zeitpunkt um das Adjektiv schwarz handelt und somit auch kein Bezug zu einer tatsächlichen Farbe besteht. Vielmehr entspringt die Bezeichnung dem Versuch, die sozialen Gemeinsamkeiten hervorzuheben, welche aus dem Konstrukt des Rassismus entstehen. Insbesondere sind hiermit die „als soziale und rassifizierte6 Gruppe […] gemachten Widerstandserfahrungen“ (Ogette 2020, S. 77) gemeint und in keinem Fall vermeintliche biologische Überschneidungen. Da Schwarze Menschen sich ein Leben lang mit dem pseudowissenschaftlichen Konstrukt der ‚ Rasse‘ 7 auseinandersetzen und Strategien diesbezüglich entwicklen müssen, soll mit der Selbstbezeichnung ebenfalls formuliert werden, dass sich die Betroffenen politisch positionieren und sich untereinander sozialisieren (vgl. ebd.).
Unter dem Ausdruck People of Color, kurz PoC, werden ebenfalls Menschen mit rassistischen Erfahrungsgemeinsamkeiten zusammengefasst, die jedoch von unterschiedlicher Herkunft sind und auch historisch verschieden geprägte Hintergründe aufweisen. Ziel dieses politischen Begriffes, der aus dem Selbstbezeichnungsprozess der 1960er Jahre von rassistisch unterdrückten Menschen stammt, ist es, als „Plattform für grenzüberschreitende Bündnisse“ (Ha 2009, o. S.) zu dienen. Der Terminus „verbindet diejenigen, die durch die Weiße Dominanzkultur marginalisiert sowie durch die Gewalt kolonialer Tradierungen und Präsenzen kollektiv in ihrem Wert herabgesetzt werden“ (ebd.). People of Color umfasst also alle Menschen, die zu Opfern von Rassismus gemacht werden und unterscheidet sich von der Bezeichnung Schwarz also insbesondere dahingehend, dass PoC alle Nicht- Weißen mit Rassismuserfahrungen beschreibt, so beispielsweise „auch Asiat*innen oder Türk*innen und jene, die sich nicht als Weiß, aber vielleicht auch nicht als Schwarz sehen“ (Koohestani 2021, o. S.). Hervorzuheben ist, dass PoC nicht synonym für Schwarz genutzt werden kann (vgl. ebd.). Da Schwarze Menschen sich nicht zwangsläufig bei dem Begriff People of Color mit einbezogen fühlen, wird innerhalb dieser Arbeit von Schwarzen Menschen und PoC gesprochen.
Zuletzt gilt es noch den Ausdruck weiß zu thematisieren. Auch hierbei handelt es sich nicht um das Adjektiv oder eine biologische Zuschreibung, sondern um eine politische Positionierung innerhalb der Gesellschaft. Es handelt sich bei dieser Bezeichnung anders als bei den beiden vorausgehenden nicht um eine selbstgewählte, da im Konzept des Rassismus mit Weißsein in allen Lebensbereichen Privilegien wirkmächtig sind. Somit ist die weiße Bevölkerung die profitierende, die keiner Repression oder Benachteiligung ausgesetzt ist und daher keiner Selbstbezeichnung bedarf (vgl. Sow 2018, S. 48f.). Im Gegensatz zum großgeschriebenen Schwarz wird weiß kleingeschrieben, um es eindeutig abgrenzen zu können „von der Bedeutungsebene des Schwarzen Widerstandspotenzials“ (Eggers/Kilomba/Piesche/Arndt 2005, S. 13). Die Kursivsetzung wird innerhalb dieser Thesis angewendet, da sie vielfach Eingang in rassismuskritische Literatur gefunden hat und den konstruierten Moment der Bezeichnung hervorheben soll.
3. Historische Aufarbeitung von Rassismus
Rassismus ist ein an Komplexität und soziopolitischer Relevanz kaum zu überbietender Terminus. Demzufolge stellt es sich als unmöglich heraus, diesen in seiner gänzlichen Vorkommens- und Wirkweise abzudecken und dabei den Vorgaben in Bezug auf den Umfang dieser theoretischen Abhandlung weiterhin zu entsprechen. Dennoch wird es im Nachfolgenden nicht unversucht gelassen, die elementarsten Zusammenhänge und Tragweite von Rassismus darzustellen. Angesichts dieser Absicht wird anfänglich über das pseudowissenschaftliche Konzept der ‚Rasse‘ gesprochen, was dem eigentlichen Definitionsversuch des Ausdrucks Rassismus, sowie zwei exemplarisch gewählten Erscheinungsformen, der Entwicklung und Entstehung aus für das heutige Deutschland relevanter Perspektive und der daran knüpfenden Aktualität der Thematik, vorangeht. Dennoch darf nicht darauf verzichtet werden nun darauf hinzuweisen, dass zusätzlich eine erweiterte Auseinandersetzung mit der behandelten Materie unumgänglich ist, um dessen Bedeutungsschwere gänzlich zu begreifen.
Zudem ist zu erwähnen, dass Rassismus von vielen Richtungen aus behandelt werden kann und nicht alle Erscheinungsformen denselben (historischen) Ursprung haben, weswegen zwangsläufig thematische Eingrenzungen und Schwerpunktsetzungen nötig sind. In Deutschland sind besonders Jüd*innen, Sinti*zze und Rom*nja, People of Color, Schwarze Menschen, Muslim*innen, Menschen mit Migrationsgeschichte und/oder Fluchthintergrund von Rassismus betroffen (vgl. DIMR 2022, o. S.). Angesichts dieser Fülle an Diversität der Gruppen, die jeweils ihre eigene Geschichte mitbringen und demnach auch auf unterschiedliche Weise von Rassismus betroffen sind, finden manche Aspekte nur Erwähnung und keine detaillierten Ausführungen, wohingegen andere ausführlich dargestellt werden. Dieser Umstand soll keineswegs den Eindruck von höherer oder niedrigerer Wichtigkeit noch von Ausschließlichkeit vermitteln, sondern ist lediglich Ausdruck der obligatorischen (thematischen) Eingrenzung. Es erscheint außerdem als unverzichtbar für das grundlegende Verständnis zu erläutern, dass explizit gegen eine der oben genannten gesellschaftlichen Gruppen gerichtete Form von Diskriminierung stets Rassismus sein kann, aber nicht zwangsläufig eine Variante dessen sein muss.
3.1. Das Konzept von ‚Rasse‘
„Rassen gibt es nicht und doch töten sie“ (Guillaumin 1992, S. 7).
Um den Begriff Rassismus besser verstehen zu können, muss der Auffassung der Autorin dieser Arbeit nach, zuerst das Konzept ‚Rasse‘ erklärt werden. Auch wenn dieses das Resultat und nicht die Voraussetzung für Rassismus darstellt, so wird es als sinniger angesehen, die Bezeichnung zuerst aufzuschlüsseln (vgl. Fischer/Hoßfeld/Krause/Richter 2019, S. 2). Dies soll dazu dienen, die im Unterkapitel 3.2. folgenden Definitionen zu Rassismus in ihrer Darstellung, Bedeutung und potenziellen Wirkweise von Beginn an besser einordnen zu können.
Zur Herkunft des Ausdrucks ‚Rasse’ lässt sich sagen, dass Anfang des 17. Jahrhunderts der französische Arzt François Bernier den Begriff, der bis dato lediglich Verwendung für die Klassifizierung von verschiedenen Pflanzen- und Tierarten fand, erstmals auf Menschen anwandte. Daran geknüpft postulierte er die Annahme, dass ‚Menschenrassen‘ durch die Natur gegeben und demzufolge ein elementares Differenzierungskriterium seien (vgl. Ogette 2020, S. 35). Dieser folgenschweren Behauptung schlossen sich nicht nur eine große Anzahl an europäischen Wissenschaftler*innen mit eigenen untermauernden Konstruktionen an, sondern es transformierte sich auch zu einer in der Wissenschaft weitgehend anerkannten Kategorie, „um Bevölkerungsgruppen durch willkürlich ausgewählte physiognomische Merkmale zu unterteilen“ (Ergün-Hamaz 2016, S. 20). Zumeist wurden Personen innerhalb dieser Theorie einer von drei bis fünf, in selteneren Fällen aber auch mehr, ‚Großrassen‘ zugeschrieben. Die Zugehörigkeit zu einer ebendieser wurde anhand von Merkmalen, wie Haut-, Haar- und Augenfarbe, ebenso Augenform, Bau des Schädels und Körpers, sowie im Laufe der Entwicklungsgeschichte des Konzepts auch spezifischen mentalen Fähigkeiten, festgemacht (vgl. ebd.). Von Beginn an gingen diese angeblichen ‚Menschenrassen’ mit unterschiedlicher Wertigkeit eines Menschen einher, wobei die Einteilung zuvörderst dazu diente, die Vormachtstellung der ‚ weißen Rasse‘ zu sichern, indem eine Überlegenheit ebendieser gegenüber ‚Nicht- weißer Rassen‘ behauptet wurde. Es ist an dieser Stelle eindeutig zu betonen, dass es sich niemals um eine biologische oder genetische Differenzierung, sondern immer um ein auf Beliebigkeit basierendes, menschengemachtes Konstrukt handelt (vgl. Ogette 2020, S. 35f.).
Das Konzept der ‚Rasse’ fand Eingang in das Fundament des modernen aufklärerischen Denkens und in Kombination mit Charles Darwins Überlegung der natürlichen Selektion wurde der Gedanke von mehr- oder minderwertigen ‚Menschenrassen‘ zu einer naturwissenschaftlichen Annahme manifestiert, was neben etlichen weiteren Gräueltaten auch zur Legitimierung für „die Versklavung von Menschen in Afrika, der europäischen imperialen Expansion und für Genozide, welche mit dieser Expansion einhergingen“ (Ergün-Hamaz 2016, S. 20f.) benutzt wurde. Es soll an dieser Stelle erläutert werden, dass ‚Rassen‘ durch Europäer*innen erfunden wurden, „um zu postulieren, dass es zum einen Menschen gab, und zwar seien dies die Weißen, und zum anderen die ‚Anderen‘, die als ‚nicht- weiß ‘ konstruiert wurden und dadurch als bestenfalls Fast-Menschen [galten, G. M.]“ (Arndt 2017, S. 32, Hervorhebung im Original). Diese Erfindung begründet sich darin, dass die Aggressor*innen eine Rechtfertigung für ihre Verbrechen an anderen Menschen benötigten; eine moralische Legitimation, um ihre zerstörerische Plünderungsindustrie aufrechtzuerhalten. Um es mit den Worten Tupoka Ogettes knapp und pointiert auszudrücken: „Sie wollten gut schlafen“ (Ogette 2020, S. 34).
Der Begriff ist also mehrere hundert Jahre alt, hat jedoch bedauerlicherweise an Aktualität nicht eingebüßt. Dementsprechend muss unmissverständlich verdeutlicht werden, dass eine Theorie welche „die Behauptung enthält, dass bestimmte ‚Rassen‘ oder Volksgruppen von Natur aus anderen überlegen oder unterlegen sind, und somit impliziert, dass einige das Recht hätten andere als unterlegen angesehen zu beherrschen oder zu beseitigen, oder welche Werturteile auf Rassenunterschiede8 gründet, entbehrt jeder wissenschaftlichen Grundlage und widerspricht den moralischen und ethischen Grundsätzen der Menschheit“ (UNESCO 1978, Art. 2 Abs. 2).
Besonders gravierend ist daher der Umstand, dass Fortführungen von Rassentheorien bis heute nachzuverfolgen sind, obwohl schon seit Jahrzehnten unbestreitbar belegt ist, dass diese Theorien jegliche Wissenschaftlichkeit vermissen lassen (vgl. Ergün-Hamaz 2016, S. 20). Es ist daher nicht weiter verwunderlich, dass das Vorkommen des Ausdrucks ‚Rasse‘ in Bezug auf Menschen ebenso gesellschaftlich wie wissenschaftlich stark debattiert wird.
Die Positionen, die sich innerhalb dieser Debatte gegenüberstehen, lassen sich besonders anschaulich anhand der Frage nach der Streichung der Bezeichnung innerhalb von (inter)nationalen juristischen Texten nachzeichnen (vgl. Kourabas 2019, S. 10). Die Bundesrepublik Deutschland hat in ihrem Grundgesetz formuliert:
„Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden“ (GG, Art. 3, Abs. 3).
Und auch im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz heißt es:
„Ziel des Gesetzes ist, Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen“ (AGG 2006, §1).
Befürworter*innen der Streichung des Begriffs, weisen daraufhin, dass durch die Formulierung der Anschein einer Existenz von ‚Rassen‘ vermittelt wird, insbesondere wenn weder Kommentierungen noch eine gesonderte Schreibweise zur Anwendung kommt – wie bei den obigen Zitaten. Eine diskriminierungssensible Ersetzung wird gefordert, da der Gebrauch des Begriffs den Anschein von Legitimierung vermittelt und durch Verbreitung auch Normalisierung rassistischen Gedankenguts befördert (vgl. ISD Bund e.V. 2015, S. 2). Befürworter*innen der Beibehaltung des Ausdrucks entgegnen, dass nicht die Bezeichnung „‚Rasse‘ Rassismus produziere, sondern vielmehr Rassismus die Kategorie ‚Rasse‘ reproduziere“ (Ahmed, zitiert nach Kourabas 2019, S. 11). Dementsprechend fördere die Benennung die Sichtbarkeit; einerseits als Ungleichheitskategorie auf rechtlicher Ebene, und andererseits als Ungleichheitsbeziehung, nach der die Gesellschaft strukturiert ist. Einigkeit herrscht bei beiden Positionierungen jedoch zweifellos bezüglich der Notwendigkeit einer Hervorhebung des rassistischen Konstruktionscharakters des Wortes, um keine biologistischen Annahmen zu fördern (vgl. Kourabas 2019, S. 11).
Die Antidiskriminerungsstelle des Bundes hat 2021 erneut ausdrücklich hervorgehoben, dass ‚Menschenrassen‘ nach heutigen naturwissenschaftlichen Erkenntnissen nicht existent und daher Versuche der Kategorisierung in ebensolche absolut obsolet sind. Die Verordnung in ‚Rassen‘ nach Merkmalen wie beispielsweise (angenommene) Herkunft und/oder Hautfarbe und die damit einhergehende Zuschreibung bestimmter und gewerteter Eigenschaften sind nicht nur vollkommen willkürlich, sondern dienen darüberhinaus lediglich dazu Menschen herabzuwürdigen und auszugrenzen (vgl. ADS 2021, o. S.). Dennoch ist festzuhalten, dass obwohl ‚Rassen‘ auf Menschen angewandt nicht existieren, es dennoch eine gelebte Realität bleibt, eine „bestehende (historische, kollektive und individuelle) soziale Konstruktion“ (Ergün-Hamaz 2016, S. 22). Dementsprechend ist Rassismus und rassistisches Denken keinesfalls eine Thematik, die als der Vergangenheit oder lediglich einer bestimmten sozialen Gruppierung und/oder Orientierung angehörend abgetan werden kann, sondern die jede*n Einzelne*n persönlich betrifft und betroffen macht.
3.2. Definitionsversuch: Rassismus
In der nationalen wie internationalen Forschung gibt es keine Definition von Rassismus, die auf universellen Konsens trifft und daher als per se anwendbar erachtet werden kann (vgl. DeZIM 2022a, S. 16). Dies ist nicht nur schlichtweg der Emotionalität zuzuschreiben, welche mit dieser vielschichtigen Thematik einhergeht, sondern auch der Tatsache entsprechend, dass diverse Interpretationsweisen des Wortes Rassismus parallel zueinander in privaten wie professionellen Kontexten genutzt werden (vgl. Borchert 2015, S. 7). Wird der Blick beispielsweise auf die wissenschaftliche Ebene gerichtet, so kann festgehalten werden, dass hier zwischen den unterschiedlichen Disziplinen nur Einigkeit darüber herrscht, dass Rassismus ein problembehaftetes und negatives Phänomen darstellt (vgl. Leiprecht 2016, S. 226). Hinzu kommt, dass der Terminus teilweise als Sammelbegriff für mehrere Formen von Benachteiligung und Diskriminierung fungiert, teils aber auch nur für spezifische. Die Grenzen der Bestimmung von Rassismus sind daher schlichtweg nicht trennscharf zu setzen (vgl. Borchert 2015, S. 7).
Trotz dieser Herausforderungen kann sich der hochkomplexen Thematik – wenn auch nicht hürdenlos – aus verschiedenen Richtungen angenähert werden. Daher werden im Folgenden mehrere, sich perspektivisch ergänzende Determinationsversuche dargestellt und erläutert.
Für einen ersten Annäherungsversuch wurde die Definition der UN Antirassismus-konvention ausgewählt. Diese beschreibt Rassismus als:
„[…] jede auf der Rasse, der Hautfarbe, der Abstammung, dem nationalen Ursprung oder dem Volkstum beruhende Unterscheidung, Ausschließung, Beschränkung oder Bevorzugung, die zum Ziel oder zur Folge hat, dass dadurch ein gleichberechtigtes Anerkennen, Genießen oder Ausüben von Menschenrechten und Grundfreiheiten im politischen, wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen oder jedem sonstigen Bereich des öffentlichen Lebens vereitelt oder beeinträchtigt wird“ (Bundesgesetzblatt 1969, S. 2, eigene Hervorhebung, G. M.).
Grundlegend kann Rassismus also als Diskriminierungsmuster verstanden werden, das gesellschaftliche Machtverhältnisse beschreibt (vgl. Auma 2017, o. S.). Diese Auffassung ergänzend wird daher auch nachstehende Definition als besonders prägnant erachtet:
„Rassismus ist der Glaube9, dass menschliche Populationen sich in genetisch bedingten Merkmalen von sozialem Wert unterscheiden, sodass bestimmte Gruppen gegenüber anderen höherwertig oder minderwertig sind“ (Deutscher Bundestag, zitiert nach Sow 2018, S. 84).
Rassismus postuliert demnach die Ungleichwertigkeit von Menschen (vgl. Sow 2018, S. 78f.). Es handelt sich um ein System, das Differenzen herstellt und anhand dieser gemachten Unterscheidungen auf allen Ebenen des Lebens den Zugang zu Ressourcen, sowohl symbolischer als auch materieller Natur, beeinflusst. Bei diesen künstlich produzierten Unterscheidungen, wird unter anderem auf Merkmale, wie zum Beispiel körperliche Erscheinung, Name und/oder Sprache, Bezug genommen und mit einer (Be-)Deutung versehen. Dabei werden Eigenschaften nicht ausschließlich „zu einer reinen Unterscheidungsproduktion genutzt, sondern die Unterscheidungsoperation dient zugleich einer Einteilung und Ordnung von Menschen in bestimmte Gruppen“ (Kourabas 2019, S. 5). Personen, die solch einer durch Unterscheidungslehre konstruierten Gruppe zugeschrieben werden, werden nicht mehr als Individuen verstanden, sondern als homogene Gruppe gelesen. Es erfolgt also eine stereotype und reduktionistische Zuordnung, welche sich vorwiegend „entlang der nationalstaatlich gedachten Kategorie Kultur vollzieht“ (ebd.).
Zugrunde von rassistischen Differenzierungen liegt stets ein flexibles Erklärungsgeflecht, das historisch und kontextuell variabel ist. Auf gesellschaftlicher Interaktionsebene kann Rassismus auch als symbolische Ressource verstanden werden, welche dazu genutzt wird Interessen von Individuen und/oder Gruppen auf massive Kosten anderer durchzusetzen. Die soziale Differenzproduktion, die durch rassistische Diskriminierungen hervorgebracht wird, wird sowohl von Akteur*innen als auch von Institutionen interaktiv und diskursiv anhaltend reproduziert und operiert dabei mit dem vorangehend erklärten Konstrukt von ‚Rassen‘ (vgl. Mecheril/Melter 2010, S. 150). Verschiedenen Ansätzen entsprechend kann hierbei auch von „Ethnie bzw. Volk, Kultur, Stamm, Kaste oder Nation“ (Leiprecht 2016, S. 226) die Rede sein. Unabhängig von der Benennung liegt dem Verständnis allerdings immer ein Ordnungsmuster zugrunde, das ein bestimmtes Machtverhältnis voraussetzt und auf diesem basierend soziale Gegebenheiten reguliert beziehungsweise rechtfertigt (vgl. ebd.). Es ist darauf hinzuweisen, dass Annahmen, die sich den oben benannten, vermeintlich nicht-rassistischen Wörtern bedienen, stets auf ihren Ursprung und ihre dahinterstehenden Überzeugungen zu überprüfen sind.
Die weiteren Definitionen wurden unter anderem deswegen ausgewählt, da sie auf einige unterschiedliche, aber zentrale Charakteristika von Rassismus, orientiert an der pädagogisch beeinflussten Zusammentragung Leiprechts (2016), hinweisen. Der Sozialpädagoge erläutert, dass zu solchen Merkmalen die manipulierende Annahme zählt, es gäbe Korrelationen zwischen Merkmalen wie dem äußeren Erscheinungsbild, Sprache, Religion und/oder psycho-sozialen Anlagen. Ebensolche Anzeichen sind ihm zufolge die soziale Benennung von Anderen im Vergleich zu den nicht-benannten Eigenen (als Othering geläufig) und die „als deterministisch vorgestellte[n] Relationen zwischen Makro-Konstrukten, wie ‚Rasse‘ oder ‚Kultur‘, und den ihnen jeweils zugeordneten Individuen “ (Leiprecht 2016, S. 227, Hervorhebung im Original). Wertungsprozesse aller Art und damit scheinbar gerechtfertigte Funktionen, wie Herabstufung oder Privilegierung bestimmter Personengruppen, benennt Leiprecht ebenfalls als Kriterien von Rassismus (vgl. ebd., S. 226f.).
Widmet man sich einer eher weit gefassten Deutung des Begriffs, dann bietet Johannes Zerger eine Annäherung, wonach Rassismus „Ideologien und Praxisformen auf der Basis der Konstruktion von Menschengruppen als Abstammungs- und Herkunftsgemeinschaften [umfasst, G. M.], denen kollektive Merkmale zugeschrieben werden, die implizit oder explizit bewertet und als nicht oder nur schwer veränderbar interpretiert werden“ (Zerger 1997, S. 81). Als weniger eng gefasst kann dieser Determinationsversuch verstanden werden, da er sich nicht nur aufgrund von vermeintlichen biologischen Differenzierungen getrennten ‚Rassen‘ fokussiert, sondern auch auf alle anderen Formen von angeblichen ‚Abstammungsgruppen‘ (vgl. ebd.). Mit Blick auf Leiprechts Kategorisierung ist an dieser Interpretationsweise hervorzuheben, dass der vermeintliche Wert eines Menschen bei Rassismus als unveränderlich und von Geburt an vorherbestimmt gilt. Es wird deutlich, dass eine Emanzipation aus ebendiesen Verhältnissen aus eigener Kraft besonders schwer für die Betroffenen wird und eine Unterdrückung dieser durch Nicht-Betroffene von außen gesichert zu sein scheint.
Eine ebenfalls aussagekräftige Definition stammt von dem Soziologen Albert Memmi, demzufolge Rassismus als „die verallgemeinerte und verabsolutierte Wertung tatsächlicher oder fiktiver Unterschiede zum Nutzen des Anklägers und zum Schaden seines Opfers, mit der seine Privilegien oder seine Aggressionen gerechtfertigt werden sollen“ (Memmi, zitiert nach Gaitanides o. J., S. 2) zu verstehen ist. Bei dieser Klärung wird der Fokus auf die Folgen für Opfer und Möglichkeiten für Täter*innen gelenkt, was die potenzielle Tragweite innerhalb des gesellschaftlichen Miteinanders verdeutlicht. Es wird klar, dass durch die behauptete Andersartigkeit und daran gekoppelte Vorstellung von uneinheitlicher Wertigkeit, als Rechtfertigung und Begründung für ungerechtes Handeln dient. Es ist entscheidend zu verstehen, dass Rassismus also immer die Funktion hat, durch Markierung und Differenzierung Handlungsweisen – unabhängig ob bevorzugende oder benachteiligende – in der breiten Masse zu legitimieren.
Abschließend sollen drei weitere Darlegungen aus Betroffenensicht folgen. Die erste Aussage stammt von Nkechi Madubuko, Kulturjournalistin, Soziologin und von Rassismus Betroffene:
„Rassismus sind Meinungen darüber, wie Menschen (wie du und ich) sein sollen. Sie sind nicht wahr. Sie haben mit deiner Person, unserer Religion, dem Land aus dem wir stammen nichts zu tun. Diese Menschen, die dich in eine Ecke stellen, kennen dich oder uns nicht wirklich. Fühl dich davon nicht angesprochen, sondern verstehe, dass diese Menschen keine Ahnung davon haben was sie erzählen und ganz sicher nichts Besseres als du sind“ (Madubuko 2015, o. S.).
Die zweite Definition kommt von Tupoka Ogette, Antirassismus-Trainerin, Autorin rassismuskritischer Literatur und von Rassismus Betroffene:
„Rassismus ist die Legitimierungsstrategie, die weiße Menschen brauchten, um ökonomische Ausbeutung zu Zeiten der Versklavung vor sich selbst rechtfertigen zu können. Es ist demnach ein System, das weiße Menschen privilegiert und schwarze Menschen negativ betrifft. Es ist wirksam in allen Bereichen der Gesellschaft. […] Es gibt eigentlich keine Räume, in denen Rassismus nicht wirkt. Es ist ein bisschen wie Smog, den wir täglich einatmen“ (Ogette, zitiert nach Wiedenhöft 2020, o. S.).
Die letzte Aussage stammt von Prof. Dr. Karim Fereidooni, Professor für Didaktik der sozialwissenschaftlichen Bildung und von Rassismus Betroffener. Er sagt, „Rassismus ist eine Spielart von Diskriminierung, die sich nur auf einen Aspekt bezieht – nämlich die Abwertung der zugeschriebenen oder faktischen Herkunft von Personen“ (Fereidooni, zitiert nach Heinze 2020, o. S.).
Diese Zitate wurden abschließend gewählt, um zu verdeutlichen, dass Rassismus gelebte Realität mit vielen Gesichtern ist und keinerlei Überschneidungen, weder biografisch noch bezüglich des individuellen Verständnisses des Terminus, benötigt, um wirkmächtig und diskriminierend zu sein.10
3.3. Formen des Rassismus
„Rassismus kann als eine Infrastruktur, als tragender gesellschaftlicher Unterbau, als ein komplexes System verstanden werden. Als solches gewinnt er seine Stabilität aus einem vielschichtigen Ineinandergreifen von Wahrnehmungen und Handlungen, die für bestimmte gesellschaftliche Akteure ‚Sinn‘ ergeben (soziale Praxis), von Ungleichheiten, die auf unterschiedlichen gesellschaftlichen Ebenen verankert werden (soziale Strukturen) und von Bildern, mit denen hierarchisierte Differenz immer neu produziert wird (symbolische Ordnung)“ (Auma 2018, S. 11).
An diesem Zitat von Maureen Maisha Auma wird eindrucksvoll deutlich, dass Rassismus komplex, tiefverwurzelt und seine Grenzen nicht eindeutig abzustecken sind. Das von Auma beschriebene Ineinandergreifen verdeutlicht, dass Rassismus ein gesellschaftliches Verhältnis ist, welches sich auf jeder Ebene des Lebens wiederfindet. So zum Beispiel in Symbolen, Sprache und Interaktion, aber auch in behördlichen Verfahrensweisen. Es ist elementar zu begreifen, dass Rassismus zwar auch eine individuelle Ebene hat, sich jedoch nicht lediglich auf negative Anschauungen einzelner Individuen begrenzt, sondern eine Ordnungsstruktur darstellt, welche die Gesellschaft als Ganze prägt (vgl. Karakayalı 2022, S. 16). Dieser in allen Bereichen wirkmächtige Komplex lässt sich bis zu einem gewissen Grad in seinen Erscheinungsformen differenzieren, was im Nachfolgenden in Form eines kurzgehaltenen Abrisses dargestellt werden soll.
Struktureller/Institutioneller Rassismus
Rassismus ist keine Frage des individuellen Wertesystems, sondern geht auf eine gesellschaftliche Struktur zurück, was mit der Begrifflichkeit des Strukturellen Rassismus deutlich wird. Da es sich also um ein gesamtgesellschaftliches Verhältnis handelt, sind auch Institutionen entsprechend relevant. Wenn der Fokus auf die rassistisch beeinflussten Organisationen gelegt werden soll, wird von Institutionellem Rassismus gesprochen. Mit diesem Terminus wird eine Analyseperspektive beschrieben, welche den Einfluss von rassistischer Diskriminierung bei öffentlichen Institutionen untersucht, wie beispielsweise Schulen, Gesundheitsämtern, Polizeiämtern, Krankenhäusern und vielen weiteren (vgl. ebd., S. 25). Kern ist hierbei, dass also nicht das (potenziell rassistische) Handeln der individuellen Akteur*innen innerhalb der Institution in den Vordergrund rückt, sondern die dahinterstehende Struktur in ihrer Gesamtheit. Ebendiese gehen auf historische und gesellschaftliche Machtverhältnisse zurück und „sind im ökonomischen, kulturellen und politischen Aufbau einer Gesellschaft und deren Institutionen manifestiert (institutionalisiert)“ (Odoi 2004, o. S.). Meist nicht bewusst wahrgenommen, manipulieren die gegebenen Strukturen Verhaltens-, Denk-, Sicht- und Handlungsweisen der Individuen innerhalb der Institution; allerdings bestehen hier ebenfalls Wechselwirkungen, wonach die Individuen die Aktionen der Institution, in welcher sie tätig sind, determinieren. Institutioneller Rassismus kann also in gewisser Weise als Untergruppierung von strukturellem Rassismus verstanden werden, jedoch scheiden sich auch bei dieser Thematik die Geister (vgl. ebd.). Strukturelle Benachteiligung hat Auswirkungen auf die Ressourcen und Möglichkeiten von Betroffenen. Das systematische Ignorieren, dass Schwarze Menschen und PoC integraler Bestandteil der deutschen Gesellschaft sind, kann beispielhaft als eine Facette von institutioneller Diskriminierung benannt werden (Sow 2018, S. 142). Auch racial profiling , 11 , das zum alltäglichen Leben von PoC und Schwarzen Personen gehört und schuld daran ist, dass ebendiese an „Flughäfen, Bahnhöfen, Grenzübergängen oder aber auch ‚nur‘ beim Einkaufen kontrolliert […] [oder, G. M.] nicht in einen Club hineingelassen […] werden“ (Ogette 2020, S. 57), zählt dazu. Um an das letzte Beispiel anzuknüpfen und plakativ mit Noah Sows Worten zu verdeutlichen was institutioneller/struktureller Rassismus bedeutet: „Deutschland ist ein Club, in dem Weiße grundsätzlich hochwillkommen und alle Schwarzen grundsätzlich verdächtig sind“ (Sow 2018, S. 144).
[...]
1 Auf den Begriff Rassismus wird an dieser Stelle zwecks besserer Übersicht nicht gesondert eingegangen, stattdessen wird die komplexe Thematik im nachstehenden Kapitel 3 behandelt.
2 Aufgrund einer besseren Lesbarkeit wird auf Ausführungen zu dem Terminus an dieser Stelle verzichtet. Für Genaueres zum Sprachgebrauch und Schreibweise siehe Kapitel 2.
3 Für Sprachgebrauch und Schreibweise siehe Kapitel 2.
4 Für Sprachgebrauch und Schreibweise siehe Kapitel 2.
5 Ausführungen zum Konzept Empowerment, sowie die genaue Begriffsklärung erfolgen im vierten Kapitel.
6 Der Begriff der Rassifizierung „betont den Prozess der Erstellung von rassischen Definitionen und unterstreicht […] den konstruierten Charakter von Rasse “ (Fereidooni 2016, S. 23, eigene Hervorhebung, G. M.).
7 Es soll ausdrücklich hervorgehoben werden, dass es sich bei dem Begriff der ‚ Rasse‘ um einen schwer umstrittenen Ausdruck handelt, der jedoch zum Zeitpunkt der Erstellung dieser Arbeit so im rassismuskritischen Quellentext verwendet und daher übernommen wurde. Für Weiteres zum Begriff und zum Diskurs über diesen siehe Kapitel 3.
8 Der im Zitat verwendete Begriff ‚ Rassenunterschiede‘ ist eine textliche Übernahme aus dem Jahr 1978, welche so im Quellentext vorkommt, jedoch kritisch betrachtet werden muss. Anzumerken ist, dass am Ende der Erklärung darauf hingewiesen wird, dass in einer Überarbeitung aus dem Jahr 2009 der veraltete Sprachgebrauch an den moderneren angepasst wurde, wodurch rassistisch konnotierte Begrifflichkeiten durch rassismuskritische ersetzt wurden, der Terminus ‚Rassenunterschiede‘ wurde jedoch nicht abgeändert.
9 Es soll vermerkt werden, dass die Nutzung des Wortes Glaube (ähnelnd dem religiösen Glauben) an dieser Stelle durchaus kritisch zu hinterfragen ist, da durch die Wortwahl ein Eindruck der individuellen Überzeugung vermittelt werden kann und somit eine eindeutige Positionierung oder Ausformulierung des wissenschaftlichen Irrtums ausbleibt. An dieser Stelle soll auf weitere Aspekte der Diskriminierung bezogen auf die Differenzlinie Religion hingewiesen werden, deren Explikation an dieser Stelle jedoch den anvisierten Fokus verrücken würden.
10 Aufgrund der in der Vorbemerkung beschriebenen Perspektive der Verfasserin, werden die vorangehenden Aussagen nicht weitergehend kommentiert. Es soll lediglich genannt sein, dass, um eine mögliche Bedeutungsverschiebung durch Übersetzung zu vermeiden, lediglich Zitate in deutscher Sprache gewählt wurden. Überdies soll zum Ausdruck gebracht, dass kein Eindruck der Ausschließlichkeit des Vorhandenseins von Rassismus in Deutschland dadurch vermittelt werden soll.
11 Racial Profiling ist, was in Deutschland als verdachtsunabhängige Personenkontrolle betitelt wird, und bei dem gezielt als nicht- weiße gelesene Menschen vermehrt (durch die Polizei oder andere Formen der Staatsgewalt) kontrolliert werden (vgl. Sow 2018, S. 144).
- Arbeit zitieren
- Gloria Meßner (Autor:in), 2023, Das pädagogische Konzept Empowerment gegen Rassismus? Das Modellprojekt "Kinder gegen Rassismus – Kinder für Toleranz", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1333987
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