Diskussionen über Führung und Vertrauen werden seit Jahrzehnten in unterschiedlichen Be-reichen wie Religion, Philosophie, Psychologie und Management geführt. Tatsächlich finden sich Abhandlungen zu Führung und Vertrauen in der Mythologie und Literatur verschiedener Kulturen aus allen Epochen. Trotz dieser weit verbreiteten Aufmerksamkeit wurde bisher nur sehr wenig systematisch untersucht, wie sich diese beiden Konstrukte unterscheiden und wie ähnlich sie sich sind. Theorien über Führung und Vertrauen haben sich unabhängig voneinander entwickelt, obwohl es erhebliche Überschneidungen bei den Anliegen und Auswirkungen der beiden Konzepte gibt. Die Literatur zur Leader-Member Exchange Theorie sowie zur Vertrauensforschung kann als Grundlage des Vergleichs dieser beiden Konstrukte dienen: Die Forschungsergebnisse zur LMX-Theorie und zur Vertrauensforschung können auf Ähnlichkeiten überprüft sowie Rückschlüsse auf Zusammenhänge gezogen werden.
Auf der Grundlage dieser Integration stellt sich die Autorin folgende zentrale Forschungsfragen: Inwieweit beeinflusst Vertrauen nebst weiteren Einflussfaktoren den Leader-Member Exchange? Wie kann Vertrauen allgemein sowie konkret innerhalb der Austauschbeziehung zwischen Führungskraft und dem einzelnen Mitarbeiter aufgebaut werden?
Das Ziel der Arbeit, das sich aus der Beantwortung der Forschungsfragen erschließt, ist die Entwicklung konkreter Handlungsempfehlungen für Führungskräfte, die zum Vertrauensaufbau mit jedem einzelnen Mitarbeiter beitragen können, auf Basis von allgemeinen Handlungsempfehlungen zum Vertrauensaufbau. Um die Handlungsempfehlungen anschaulich darzustellen und dem gesamten Team inklusive der Führungskraft die Möglichkeit zu geben, den Vertrauensaufbau aktiv zu beeinflussen, wird zudem ein Seminar zum Vertrauensaufbau in Teams konzipiert.
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
1. Einleitung
1.1 Ausgangssituation
1.2 Ziel der Arbeit
1.3 Aufbau der Arbeit
1.4 Forschungsmethodik
2. Leader-Member Exchange Theorie
2.1 Grundlagen der Leader-Member Exchange Theorie
2.2 Entwicklung der Leader-Member Exchange Theorie
2.3 Phasen des Leader-Member Exchange
2.3.1 Phase des Fremdseins
2.3.2 Phase der Bekanntschaft
2.3.3 Phase der Reife
2.3.4 Einflussfaktoren auf den Leader-Member Exchange
2.4 Bedeutung der Austauschbeziehungen je Mitarbeitergruppe
2.4.1 In-group
2.4.2 Out-group
2.5 Dimensionen des Leader-Member Exchange
2.6 Messung des Leader-Member Exchange
2.7 Chancen und Grenzen der Leader-Member Exchange Theorie
3. Vertrauen
3.1 Definition und Abgrenzung von Vertrauen
3.2 Basis und Voraussetzungen von Vertrauen
3.3 Komponenten und Arten von Vertrauen
3.4 Prozess des Vertrauensaufbaus
3.5 Einflussfaktoren auf das Vertrauen und den Vertrauensaufbau
3.5.1 Persönliche Merkmale
3.5.2 Personale Bedingungen/Eigenschaften
3.5.3 Verhalten
3.5.4 Situative Bedingungen
3.6 Methoden zum Vertrauensaufbau
3.6.1 Allgemeine Methoden zum Vertrauensaufbau
3.6.2 Methoden zum Vertrauensaufbau in Organisationen
3.7 Vertrauen und Führung
3.8 Vertrauen und Misstrauen
3.9 Messung von Vertrauen
3.10 Chancen und Grenzen von Vertrauen
4. Vertrauen als Einflussfaktor auf den Leader-Member Exchange
4.1 Vertrauen im Kontext der Leader-Member Exchange Theorie
4.1.1 Einfluss von Vertrauen je Phase
4.1.2 Einfluss von Vertrauen auf die Mitarbeitergruppen
4.1.3 Einfluss von Misstrauen
4.2 Vertrauen und weitere Einflussfaktoren in der LMX-Theorie
4.2.1 Persönliche Merkmale
4.2.2 Eigenschaften
4.2.3 Kontextbezogene Einflussgrößen
5. Handlungsempfehlungen
5.1 Interpretation
5.2 Handlungsempfehlungen zum Vertrauensaufbau
5.2.1 Allgemeine Handlungsempfehlungen zum Vertrauensaufbau
5.2.2 Handlungsempfehlungen zum Vertrauensaufbau zwischen Führungskraft und Mitarbeiter
5.2.3 Konzeption eines Seminars zum Vertrauensaufbau in Teams
6. Schluss
6.1 Fazit
6.2 Ausblick
Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Studie: Wichtigkeit von Vertrauen
Abbildung 2: Global trust in employers, bosses and team/colleagues
Abbildung 3: Entwicklung der LMX Theorie
Abbildung 4: Life Cycle of Leadership Making
Abbildung 5: Dyadic Emotional Entrainment
Abbildung 6: LMX Antecedents and Consequences Theoretical Framework
Abbildung 7: Modell des LMX Entwicklungsprozesses
Abbildung 8: Interaktionen mit Mitarbeitern der in-group und out-group
Abbildung 9: Dimensionen des LMX
Abbildung 10: Empfohlene Messung des LMX - LMX 7
Abbildung 11: LMX-MDM - deutsche Version
Abbildung 12: Allgemeines Vertrauensmodell
Abbildung 13: Prozess des Vertrauensaufbaus
Abbildung 14: Erweitertes Vertrauensmodell
Abbildung 15: Einflussfaktoren auf das Vertrauen
Abbildung 16: Merkmale von Beschäftigungsverhältnissen
Abbildung 17: Austauschrahmen zur Initiierung vertrauenswürdigen Verhaltens von Führungskräften
Abbildung 18: Vertrauens-Koeffizient: Bewertungsbogen für die Dimension Fähigkeit
Abbildung 19: Trust Quotient - tQ
Abbildung 20: Seminar zum Vertrauensaufbau in Teams - 1. Tag
Abbildung 21: Seminar zum Vertrauensaufbau in Teams - 2. Tag
Abbildung 22: Seminar zum Vertrauensaufbau in Teams - 3. Tag
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1. Einleitung
In diesem Kapitel wird die Ausgangssituation, die dieser Masterarbeit zugrunde liegt, zunächst erörtert, um daraufhin das Ziel der Arbeit vorzustellen und zu begründen. Anschließend folgen der Aufbau der Arbeit sowie die Erläuterung der Forschungsmethodik zur Beantwortung der Forschungsfrage.
I.1 Ausgangssituation
„Alles Reden ist sinnlos, wenn das Vertrauen fehlt.“ (Frey, 2016, S. 1; Nöllke, 2009, S. 13). Dieses Zitat von Franz Kafka findet sich in einigen Werken zum Thema Vertrauen und hebt die Relevanz von Vertrauen für jedes Individuum in jeder möglichen Situation hervor (Frey, 2016, S. 1; Nöllke, 2009, S. 13). Ob durch das politische Weltgeschehen enttäuscht, durch Terroranschläge beunruhigt oder durch Vertrauensmissbrauch im privaten Bereich negativ beeinflusst - jeder Mensch beschäftigt sich mit der Frage, inwieweit einem anderen Individuum trotzdem Vertrauen geschenkt werden sollte (Frey, 2016, S. 1; Nöllke, 2009, S. 13). Denn Vertrauen hilft, die eigenen Handlungsmöglichkeiten zu entfalten (Nöllke, 2009, S. 13). Fehlendes Vertrauen wird heutzutage durch wasserdichte Verträge, Sicherheitsvorkehrungen und Regularien ersetzt - ein Versuch, durch Kontrolle Sicherheit zu erlangen (Frey, 2016, S. 1-2). „Zu wenig Vertrauen führt zu Reibungsverlusten und ist der größte Kostenfaktor überhaupt - nicht nur in den Unternehmen, sondern in allen Organisationen und auch in der Familie. Es erzeugt versteckte Agenden, politische Winkelzüge, zwischenmenschliche Konflikte, Rivalität zwischen den Abteilungen, Gewinn/Verlust-Denken und eine auf Selbstverteidigung ausgerichtete Kommunikation.“ (Covey & Merrill, 2006, S. 13). Ein prägnantes und nachvollziehbares Beispiel sind die Auswirkungen des Terroranschlags auf das World Trade Center am II. 09.2001 in New York auf den Flugverkehr (Westdeutscher Rundfunk, 2001; Frey, 2016, S. 2): Aufgrund des Anschlags wurden die Kontrollen erheblich verschärft, um die Sicherheit im Flugverkehr zu verbessern und somit das Vertrauen der Passagiere[I] zu stärken. Als Folge stiegen die Wartezeiten an Flughäfen immens an und führten entsprechend zu einem merklichen Kostenanstieg für die Betreiber. Vertrauen beschreibt so nicht nur einen sozialen Wert, der schwer messbar ist, sondern wandelt sich zu einem faktenbasierten ökonomischen Faktor. Dieses Beispiel zeigt auf, dass sinkendes Vertrauen im Umkehrschluss einen erhöhten Zeit- und Kostenaufwand mit sich bringt, wohingegen gesteigertes Vertrauen in Unternehmen den zeitlichen Aufwand und Kosten verringert (Frey, 2016, S. 2).
Die Relevanz von Vertrauen in Unternehmen spiegelt sich ferner in einer Studie der Universität der Bundeswehr München aus dem Jahr 2015 wider, in deren Rahmen 400 Manager im deutschsprachigen Raum befragt wurden (Tammena & Miggiano, 2015, S. 1): Laut den Ergebnissen, die in Abbildung 1 veranschaulicht sind, ist 83 % der Befragten Vertrauen im Allgemeinen sehr wichtig. Im unternehmerischen Kontext ist 67 % Vertrauen sehr wichtig - inklusive der Antwortangabe wichtig liegt der Wert bei 97 %, wobei keiner der Befragten Vertrauen als unwichtig kategorisierte (Tammena & Miggiano, 2015, S. 12-13).
Abbildung 1: Studie: Wichtigkeit von Vertrauen
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Übernommen aus Tammena & Miggiano, 2015, S. 12.
Gemäß einer Studie der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young aus dem Jahr 2016 ist Vertrauen trotz der hohen Relevanz zumindest in Deutschland wenig ausgeprägt: Von den deutschen Studienteilnehmern vertrauen 51 % ihren Kollegen bzw. Teammitgliedern, 47 % ihrer Führungskraft sowie 44 % dem Arbeitgeber und liegen damit unter dem Durchschnitt der rund 10.000 Befragten aus acht Ländern weltweit. Hierbei ist anzumerken, dass die Generation der Baby Boomer durchschnittlich in allen drei Bereichen insgesamt um 5-10 % besser abschnitt als die darauffolgenden Generationen. Das heißt, das Vertrauen ist bei den jüngeren Generationen weniger ausgeprägt (Ernst & Young, 2016, S. 2). Abbildung 2 zeigt die Gesamtergebnisse pro Land. Deutlich ist zu erkennen, dass das Vertrauen in Arbeitgeber, Führungskraft und Kollegen bzw. Teammitglieder in Indien und Mexiko im Vergleich zu anderen Ländern der Studie stark ausgeprägt ist (Ernst & Young, 2016, S. 5).
Abbildung 2: Global trust in employers, bosses and team/colleagues
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Übernommen aus Ernst & Young, 2016, S. 5.
Insgesamt vertrauen nur weniger als die Hälfte der Arbeitnehmer weltweit ihrem Arbeitgeber (Ernst & Young, 2016, S. 1). Die weltweit größte Beratung im Bereich Talentmanagement Korn Ferry unterstreicht dieses Ergebnis, indem sie anmerkt, dass bei der Unterstützung von Führungskräften und ihren Teams zwei entscheidende Bereiche entwicklungsbedürftig sind: Vertrauen und konstruktive Konflikte (Cashman, 2017, S. 115+247). Dies bedeutet demnach sowohl, dass Vertrauen in Organisationen wichtig ist, als auch Unterstützung bei der Entwicklung nötig ist. In der US-amerikanischen Literatur finden sich in diesem Kontext Vorschläge, einen sogenannten Chief Trust Officer - kurz CTO - zu ernennen, um gemeinsam mit dem Geschäftsführer und Vorstand eine Vertrauensstrategie für die Organisation zu entwickeln. Ferner könnte laut Golin ein CTO dazu beitragen, Probleme und Chancen zu erkennen, die andere übersehen. Wenn die Geschäftsführung die Wichtigkeit von Vertrauen hervorhebt und danach handelt, wird dies für andere Personen im Unternehmen auch zur obersten Priorität (Golin, 2004, S. 208-209). Die Erkenntnisse aus der Studie von Ernst & Young bekräftigen die Annahme, dass das Verhalten der Manager die Ausprägung des Vertrauens beeinflusst: Verhält sich das Management unethisch, respektlos oder kommuniziert weder transparent noch ausreichend in quantitativer Hinsicht, schwächt dies das Vertrauen der Mitarbeiter (Ernst & Young, 2016, S. 3). Jene Befragte mit gering ausgeprägtem Vertrauen in ihr Unternehmen gaben an, dass dies einen großen Einfluss - 42 % - auf ihre Wechselmotivation zu einem anderen Arbeitgeber hätte. Zusätzlich führt wenig Vertrauen bei 28 % zu weniger Engagement und Produktivität.
Auswirkungen von hohem Vertrauen in ihr Unternehmen wiederum, wären bei 52 % der Verbleib im Unternehmen, mehr Freude an der Arbeit sowie der Anstieg des Engagements und der Qualität der Arbeit (Ernst & Young, 2016, S. 6).
Wird der Faktor Vertrauen in Relation mit dem demografischen Wandel in Deutschland gesetzt und damit die einhergehende Reduzierung verfügbarer Arbeitnehmer auf dem Arbeitsmarkt mit einbezogen, lässt sich folgende Konsequenz ableiten (Heckel, 2017): Je mehr Vertrauen ein Mitarbeiter in das Unternehmen und die Führungskraft hat, desto eher wird dieser im Unternehmen verbleiben. Eine hohe Ausprägung von Vertrauen eines Mitarbeiters wirkt sich folglich positiv auf die Fluktuationsrate aus und kann der Organisation somit im Wettbewerb um Arbeitnehmer dienlich sein (Heckel, 2017). Wie aber kann ein Unternehmen das Vertrauen von Mitarbeitern konkret stärken? Was konkret können Führungskräfte tun, um bei den Mitarbeitern Vertrauen zu erwecken und diese somit an das Unternehmen zu binden?
1.2 Ziel der Arbeit
Diskussionen über Führung und Vertrauen werden seit Jahrzehnten in unterschiedlichen Bereichen wie Religion, Philosophie, Psychologie und Management geführt. Tatsächlich finden sich Abhandlungen zu Führung und Vertrauen in der Mythologie und Literatur verschiedener Kulturen aus allen Epochen. Trotz dieser weit verbreiteten Aufmerksamkeit wurde bisher nur sehr wenig systematisch untersucht, wie sich diese beiden Konstrukte unterscheiden und wie ähnlich sie sich sind. Theorien über Führung und Vertrauen haben sich unabhängig voneinander entwickelt, obwohl es erhebliche Überschneidungen bei den Anliegen und Auswirkungen der beiden Konzepte gibt (Brower et al., 2000, S. 227). Die Literatur zur Leader-Member Exchange Theorie sowie zur Vertrauensforschung kann als Grundlage des Vergleichs dieser beiden Konstrukte dienen: Die Forschungsergebnisse zur LMX-Theorie und zur Vertrauensforschung können auf Ähnlichkeiten überprüft sowie Rückschlüsse auf Zusammenhänge gezogen werden.
Auf der Grundlage dieser Integration stellt sich die Autorin folgende zentrale Forschungsfragen:
Inwieweit beeinflusst Vertrauen nebst weiteren Einflussfaktoren den Leader-Member Exchange? Wie kann Vertrauen allgemein sowie konkret innerhalb der Austauschbeziehung zwischen Führungskraft und dem einzelnen Mitarbeiter aufgebaut werden?
Das Ziel der Arbeit, das sich aus der Beantwortung der Forschungsfragen erschließt, ist die Entwicklung konkreter Handlungsempfehlungen für Führungskräfte, die zum Vertrauensaufbau mit jedem einzelnen Mitarbeiter beitragen können, auf Basis von allgemeinen Handlungsempfehlungen zum Vertrauensaufbau. Um die Handlungsempfehlungen anschaulich darzustellen und dem gesamten Team inklusive der Führungskraft die Möglichkeit zu geben, den Vertrauensaufbau aktiv zu beeinflussen, wird zudem ein Seminar zum Vertrauensaufbau in Teams konzipiert.
1.3 Aufbau der Arbeit
Im ersten Kapitel - der Einleitung dieser Abschlussarbeit - wurden in den vorhergehenden Unterkapiteln die thematische Ausgangssituation und das Ziel der Arbeit einschließlich der Forschungsfragen vorgestellt. Im Folgenden werden der Aufbau der Arbeit sowie die Forschungsmethodik zur Beantwortung der Forschungsfragen erläutert.
Das zweite Kapitel widmet sich den theoretischen Grundlagen der Leader-Member Exchange Theorie. Nach den Grundlagen und der Entwicklung der LMX-Theorie werden die Phasen des Leader-Member Exchange beschrieben - die Phase des Fremdseins, die Phase der Bekanntschaft, die Phase der Reife - und die Einflussfaktoren auf den LMX dargestellt. Im Mittelpunkt des nachfolgenden Unterkapitels steht die Bedeutung der Austauschbeziehungen der beiden Mitarbeitergruppen in- und out-group. Das nächste Unterkapitel beschäftigt sich mit den Dimensionen des LMX. Abschließend folgt ein Unterkapitel zu möglichen Messungen des LMX sowie den Chancen und Grenzen der LMX-Theorie.
Das dritte Kapitel behandelt theoretische Inhalte zum Thema Vertrauen: Auf die Definition und Abgrenzung von Vertrauen folgen Erläuterungen zur Basis und den Voraussetzungen von Vertrauen. Im anschließenden Unterkapitel werden die Komponenten und Arten von Vertrauen aufgezeigt, woraufhin der Prozess des Vertrauensaufbaus erklärt wird. Einflussfaktoren auf das Vertrauen und den Vertrauensaufbau folgen im nächsten Unterkapitel, das wiederum in mehrere Teile untergliedert ist. Diese umfassen persönliche Merkmale als Einflussfaktoren, personale Bedingungen bzw. Eigenschaften, das Verhalten sowie situative Bedingungen. Anschließend werden Methoden zum Vertrauensaufbau vorgestellt - zunächst allgemeine Methoden zum Vertrauensaufbau, darauffolgend konkrete Methoden zum Vertrauensaufbau in Organisationen. Außerdem werden Vertrauen und Führung gemeinsam betrachtet, bevor der Fokus auf Vertrauen und Misstrauen gelegt wird. Den Schluss des dritten Kapitels bilden Ausführungen zur Messung von Vertrauen und das Aufzeigen von Chancen und Grenzen von Vertrauen.
Im vierten Kapitel werden beide Themenblöcke - die LMX-Theorie und Vertrauen - verknüpft und Zusammenhänge beschrieben. Das erste Unterkapitel widmet sich dem Vertrauen im Kontext der LMX-Theorie, insbesondere dem Einfluss von Vertrauen je Phase, den Einfluss von Vertrauen auf die Mitarbeitergruppen als auch dem Einfluss von Misstrauen auf die LMX Beziehung. Darauf wird Vertrauen nebst weiteren Einflussfaktoren in der LMX-Theorie bewertet. Die Einflussfaktoren sind wiederum gegliedert in persönliche Merkmale, Eigenschaften und kontextbezogene Einflussgrößen.
Der Praxisteil, das fünfte Kapitel, besteht im Kern aus Handlungsempfehlungen für die unternehmerische Praxis. Nach einer Interpretation der vorausgegangenen theoretischen Abhandlungen folgen konkrete Handlungsempfehlungen zum Vertrauensaufbau. Im ersten Unterkapitel wird zunächst auf allgemeine Handlungsempfehlungen zum Vertrauensaufbau eingegangen, worauf sich spezifische Handlungsempfehlungen zum Vertrauensaufbau zwischen Führungskraft und Mitarbeiter anschließen. Letztlich wird ein Seminar zum Vertrauensaufbau in Teams inklusive einer Seminaragenda konzipiert und erläutert.
Im sechsten Kapitel - dem Schluss - werden im Fazit die in dieser Arbeit gewonnenen Erkenntnisse vorgestellt, bevor ein kurzer Ausblick auf das Vertrauen und die LMX Theorie im Hinblick auf aktuelle Herausforderungen diese Arbeit beschließt.
1.4 Forschungsmethodik
Um die zentralen Forschungsfragen beantworten zu können sowie Handlungsempfehlungen zum Vertrauensaufbau zwischen Führungskraft und Mitarbeiter zu entwickeln, können verschiedene Methoden angewandt werden: Eine systematische Literaturrecherche- und analyse, Interviews, Gruppendiskussionen und schriftliche Befragungen.
Bei einer systematischen Literaturrecherche- und analyse ist der Vorteil, dass eine breite Grundgesamtheit an Informationen gewonnen werden kann, die über einen längeren Zeitraum von diversen Forschern zusammengetragen wurden. Von Nachteil könnte die aufwändige Beschaffung von älteren Werken oder Zeitschriftenartikeln sein.
Interviews bergen den Vorteil, dass sehr umfangreiche und detaillierte Daten erhoben werden können. Nachteilig zu bewerten ist hierbei jedoch, dass keine Anonymität vorliegt und für eine statistisch repräsentative Menge an Personen ein längerer Zeitraum benötigt wird. Da das Thema Vertrauen zwischen Führungskraft und Mitarbeiter alle Arbeitnehmer betrifft, ist es schwierig, eine repräsentative Menge an Daten in einem beschränkten Zeitrahmen zu erheben. Angemerkt sei in diesem Kontext auch die Gesamtanzahl aller Arbeitnehmer: Allein in Deutschland wurden im Jahr 2021 44.255.000 erwerbstätige Personen ab 15 Jahren registriert. In China lag die Anzahl der Arbeitnehmer im Jahr 2021 bei 809.949.000 (Statistisches Bundesamt, 2022). Eine Umfrage zum Vertrauen in Organisationen ist demnach im Rahmen einer Masterarbeit nicht durchführbar.
Alternativ könnten Experteninterviews durchgeführt werden. Durch eine Befragung von wenigen Personen als Stichprobe kann jedoch nicht auf die Meinung der immensen Menge an Grundgesamtheit geschlossen werden. Aus diesem Grund werden im Rahmen dieser Abschlussarbeit keine mündlichen Interviews von Arbeitnehmern in Betracht gezogen. Auch werden keine Gruppendiskussionen veranstaltet.
Eine schriftliche Befragung bietet den Vorteil der Anonymität und erreicht eine breite Masse innerhalb der Zielgruppe. Die Grundgesamtheit der Zielgruppe ist jedoch sehr hoch, sodass die Autorin sich entscheidet, diese aufgrund der zeitlichen Begrenzung nicht selbst durchzuführen. Aus den aufgeführten Gründen greift sie im Rahmen einer systematischen Literaturrecherche auf bereits vorliegende Statistiken und Umfragen zurück - auch um Forschungslücken aufdecken zu können. Die Autorin zieht in diesem Zusammenhang in Erwägung, Experteninterviews durchzuführen, soweit mittels der systematische Literaturrecherche nicht die erwünschten Ergebnisse erzielt werden können.
Die systematische Literaturrecherche gestaltet die Verfasserin wie folgt: Zunächst werden Suchbegriffe und der zeitliche Rahmen abgesteckt. Letzterer ist abhängig von der Thematik und wird auch in dieser Abschlussarbeit nach Themengebieten unterschieden (Wetterich & Plänitz, 2021, S. 40). Da die Forschungen zur LMX-Theorie erst im Jahr 1975 begannen und die LMX-Theorie eine jüngere Theorie ist, macht es theoretisch Sinn, die Literatursuche ab diesem Zeitpunkt zu starten. Da jedoch eine Basis der LMX-Theorie auf einer Theorie aus den 1960er Jahren basiert, wird die Suche auf den Zeitraum von 1960 bis heute ausgeweitet. Die Literaturrecherche zu Vertrauen kann zeitlich nicht eingegrenzt werden. Daher wird die Suche zeitlich offengelassen (Wetterich & Plänitz, 2021, S. 40).
Diesbezüglich wird eine Online-Recherche über die EBSCO-Datenbank und Google Scholar zu elementaren Schlagwörtern zu den Themengebieten in deutscher und englischer Sprache durchgeführt. Außerdem werden Researchgate und ScienceDirect zur Recherche genutzt, um sich sowohl an Fachliteratur als auch vorzugsweise an Journals zur Thematik bedienen zu können.
LMX wird unter dem Schlagwort Leader-Member Exchange vorwiegend in englischer Sprache in der internationalen Literatur diskutiert. Als Suchbegriffe werden sowohl Leader-Member Exchange als auch LMX verwendet. Im Rahmen einer ersten Suche wurden 37.500 Ergebnisse unter dem Suchbegriff LMX seit 1960 in der EBSCO-Datenbank gefunden. Eine weitere Einschränkung in der EBSCO-Datenbank, um die Grundlagen der LMX-Theorie aus den Jahren 1960-1980 herausfiltern zu können, ergab keine zielführenden Treffer, weswegen auf die Datenbank Researchgate zugegriffen wurde. Hier wurde LMX bewusst in Kombination mit weiteren englischen Suchbegriffen, wie development, trust, measurement und dimensions gesetzt und die Ergebnisse gefiltert und nach Relevanz sortiert. Die für diese Arbeit wichtige Kombination der Stichwörter LMX und trust ergab nur wenige Treffer, sodass die Autorin LMX und Vertrauen in Kapitel 4 dieser Abschlussarbeit auf Basis der Forschungsergebnisse beider Themengebiete zusammengeführt hat - unter Berücksichtigung der bereits vorliegenden Werke. Zusätzlich wurde nach diversen bekannten Forschern zur LMX-Theorie inklusive deren Literatur gesucht, beispielsweise Graen, Liden und Uhl-Bien.
Vertrauen wurde zunächst allgemein in den beschriebenen Datenbanken recherchiert - zunächst Deutsch, dann auf Englisch. Die Ergebnisse auf Englisch ergaben in der EBSCO-Da- tenbank seit 1830 9.609.320 Treffer. Eine Filterung nach trust und definition ergab 963.173 Treffer. Eine zeitliche Einschränkung dieser von 2018 bis 2022 ergab wiederum 126.247. Wurde Vertrauen im organisationalen Kontext von 2021 bis 2022 gesucht, beschränkten sich die Ergebnisse auf eine Anzahl von 193. Allgemein findet sich zu Vertrauen eine Vielzahl von Literatur, weswegen sich die Autorin auf bestimmte Themengebiete und Autoren beschränkt hat.
2. Leader-Member Exchange Theorie
In Kapitel 2 wird die Leader-Member Exchange Theorie erläutert. Die Grundlagen der LeaderMember Exchange Theorie sowie Forschungslücken sind Gegenstand des ersten Unterkapitels und bilden die Basis für die darauffolgenden Ausführungen. Das Unterkapitel 2.2 betrachtet die Entwicklung der Theorie. Unter 2.3 werden die Phasen des Leader-Member Exchange dargestellt - begonnen mit der Phase des Fremdseins, über die Phase der Bekanntschaft bis hin zur Phase der Reife. Anschließend werden die Einflussfaktoren, die auf die Entwicklung des Leader-Member Exchange einwirken, beschrieben. Die Bedeutung der Austauschbeziehung je Mitarbeitergruppe, in-group und out-group wird unter 2.4 aufgeführt. Es folgen die Komponenten zur Messung des Leader-Member Exchange im Unterkapitel 2.5, inklusive der Dimensionen des Leader-Member Exchange, sowie letztlich die Chancen und Grenzen der Leader-Member Exchange Theorie im Unterkapitel 2.6.
2.1 Grundlagen der Leader-Member Exchange Theorie
Die Anwendung einer Alternative zu den Forschungsstrategien, die in den letzten zwanzig Jahren und mehr zur Erforschung von Führung eingesetzt wurde, führte zu Ergebnissen, die die traditionellen Modelle in Frage stellen und neue Wege für die empirische Erforschung eröffnen. Eine Längsschnittstudie von Fred Dansereau, George Graen und William J. Haga im Jahr 1975 ergab, dass Führung als eine Austauschbeziehung zu betrachten ist, die sich innerhalb der vertikalen Dyade im Laufe der Zeit bei der Rollengestaltung entwickelt (Danserau et al., 1975, S. 46). Der Begriff Dyade beschreibt eine Zweierbeziehung (Spektrum, n. d.).
Die Leader-Member Exchange Theorie basiert folglich auf der konzeptionellen Grundlage der sozialen Austauschtheorie, über die an dieser Stelle ein kurzer Überblick eingeschoben wird: In den 1960er-Jahren ist die soziale Austauschtheorie überwiegend durch die Werke amerikanischer Autoren aufgekommen. Die soziale Austauschtheorie zählt zu den Handlungstheorien, die soziale Interaktionen zwischen Individuen in den Mittelpunkt stellt (Rybnikova, 2021, S. 60). „Über die Beschaffenheit dieser Interaktion stellen Vertreter der sozialen Austauschtheorie eine Reihe von Grundannahmen auf. Als Grundstruktur der interpersonellen Beziehung wird der soziale Austausch angenommen.“ (Rybnikova, 2021, S. 60). Der soziale Austausch zeigt sich im Austausch von Handlungen sowie Belohnungen und beruht auf der Freiwilligkeit der beteiligten Akteure (Blau, 1967, S. 91 zitiert nach Rybnikova, 2021, S. 60). Als Motivation des Austausches werden sowohl die limitierte Verfügbarkeit von Ressourcen für ein Individuum als auch eine taktische Handlung im Sinne einer Abwägung von Kosten und Nutzen genannt. Das Ziel ist insofern die Realisierung eigener Ziele, d. h. die Beschaffung notwendiger Ressourcen über soziale Austauschbeziehungen mit anderen Akteuren, die im Besitz der Ressourcen sind und diese anbieten. Die Austauschbeziehung wird stets unter Berücksichtigung der eigenen Nutzenmaximierung durch materielle und immaterielle Güter vollzogen (Rybnikova, 2021, S. 60).
Die Längsschnittstudie von Danserau et al.1 ergab, dass im Gegensatz zu den traditionellen Auffassungen von Führung Vorgesetzte in der Regel sowohl auf Führungs- als auch Überwachungstechniken in ihren Einheiten setzten. Mit einer ausgewählten Untergruppe ihrer Mitglieder entwickelten Vorgesetzte eine Einflussnahme ohne Autorität, mit anderen entwickelten Vorgesetzte nur Aufsichtsbeziehungen durch Einflussnahme auf der Grundlage von Autorität (Danserau et al., 1975, S. 46). Weiterhin ist diese Differenzierung von Organisationseinheiten zeitlich bedingt: Nach der offensichtlichen Verhandlung der Rollen der Mitglieder öffnen sich neue Wege für die Erforschung von Führung in formellen Organisationen (Danserau et al., 1975, S. 76).
Es ist offensichtlich, dass die Leader-Member Exchange Theorie einen Aspekt der Führung identifiziert hat, der in der Vergangenheit übersehen wurde (Dienesch & Liden, 1986, S. 631). Laut Irma Rybnikova wurde der Leader-Member Exchange Ansatz empirisch überzeugend nachgewiesen und zählt somit zu einer der einflussreichsten Theorien (Rybnikova, 2021, S. 61). Die Theorie diente als Grundlage für mehr als 600 Zeitschriftenartikel, wobei ihre Popularität in der Führungsforschung im Laufe der Jahre stetig zunahm (Erdogan & Bauer, 2015, S. 641). In jüngster Zeit ist die LMX-Differenzierung in den Mittelpunkt der LMX-Studien gerückt. LMX-Differenzierung bezieht sich auf das Ausmaß, in dem die Qualität von LMX innerhalb der Arbeitsgruppe variiert. Die Bedeutung von Studien zur LMX-Differenzierung liegt in der Erkenntnis, dass Mitarbeiter sich der LMX-Qualität der jeweils anderen Mitarbeiter gegenüber der Führungskraft bewusst sind (Erdogan & Bauer, 2015, S. 644).
Konzeptionell bietet die LMX Theorie ein vollständigeres Bild des Spektrums der Führungsprozesse und ist mitunter den rollentheoretischen Führungsansätzen zuzuordnen (Dienesch & Liden, 1986, S. 631; Neuberger, 2002, S. 334). In den rollentheoretischen Führungsansätzen lassen sich nicht nur eine Theorie, sondern vielmehr verschiedene Theorien darstellen, beispielsweise der strukturalistische Ansatz (Neuberger, 2002, S. 318). Generell sind einer Rolle Erwartungen zuzuordnen, die an den Inhaber der Position gerichtet werden und stellen idealisierte Typisierungen dar (Neuberger, 2002, S. 314-316). Rollen sind gemäß den Ansätzen von Graen et al. keine starren Konstrukte, sondern vielmehr Resultat aus Vereinbarungen zwischen Führungskraft und Mitarbeiter. Der sogenannte Vertical Dyad Linkage-Ansatz, der aus Forschungsarbeiten abgeleitet wurde und Ursprung der Leader-Member Exchange Theorie ist, beinhaltet zwei hauptsächliche Akzentsetzungen, die im Folgenden kurz beschrieben werden.
Mitarbeiter sind vielmehr als Individuen und nicht als Kollektiv zu betrachten, individuell mit ihren jeweiligen Bedürfnissen, Stärken und Entwicklungspotenzialen. Die Folge ist eine Aufteilung der Führer-Mitglieder-Beziehungen in ausschließliche Zweierbeziehungen - sogenannte dyadische Relationen. Durch diese Individualisierung wird die Führungskraft grundsätzlich keiner gesamten undifferenzierten Gruppe mehr gegenübergestellt.
Jedoch zeigt der Ansatz andererseits die Entwicklung auf, dass sich innerhalb der Arbeitsgruppe trotz der Spaltung in Zweierbeziehungen wiederum Untergruppierungen bilden. Der Grund resultiert aus der Unmöglichkeit einer identisch intensiven dyadischen Beziehung zwischen der Führungskraft und dem einzelnen Mitarbeiter. Demnach bilden sich zwei Gruppen: Die sogenannte in-group und out-group, welche sich in der Beziehungsgestaltung zur Führungskraft unterscheiden. Auf die Merkmale und Besonderheiten dieser Einheiten wird in den folgenden Erläuterungen eingegangen (Neuberger, 2002, S. 334-335).
Generell basiert die LMX Theorie demnach sowohl auf dem Konzept der sozialen Austauschtheorie als auch auf den rollentheoretischen Führungsansätzen (Danserau et al., 1975, S. 46; Rybnikova, 2021, S. 60; Dienesch & Liden, 1986, S. 631; Neuberger, 2002, S. 334).
Zusammengefasst ist die Forschung zu LMX zwar in eine reife Phase eingetreten, in der viel über die Messung, die Vorbedingungen, die Randbedingungen und die Folgen bekannt ist, aber nach wie vor unerforschte Sachverhalte vorliegen. Forschungslücken bestehen zum Verständnis darüber, wie sich LMX-Beziehungen entwickeln, welche Randbedingungen für die Entwicklung von Beziehungen gelten, wie LMX gemessen wird, sowie die wichtigsten künftigen Forschungsthemen, d. h. die sich verändernde Art der Arbeit in Bezug auf Inhalte und Organisationsstrukturen, der Einfluss des sozialen Beziehungsnetzes und die negativen Aspekte von LMX (Erdogan & Bauer, 2015, S. 646).
2.2 Entwicklung der Leader-Member Exchange Theorie
Im Jahr 1995 beschrieben George Graen und Mary Uhl-Bien die Entwicklung von LeaderMember-Exchange als Ansatz des sozialen Austauschs in Bezug auf Führung in vier Stufen (Graen & Uhl-Bien, 1995, S. 225). Die untenstehende Abbildung veranschaulicht die vier Stufen, die jeweils im folgenden Abschnitt erläutert werden.
Abbildung 3: Entwicklung der LMX Theorie
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Eigene Darstellung (verändert) in Anlehnung an Graen & Uhl-Bien, 1995, S. 226.
Das zentrale Konzept dieser frühen VDL-Arbeiten - der ersten Stufe der Entwicklung - bestand darin, dass diese differenzierten Beziehungen aus Ressourcenbeschränkungen der Führungskräfte resultierten, die sie dazu zwangen, einen Kader von vertrauenswürdigen Mitarbeitern zu entwickeln, die ihnen beim Funktionieren der Arbeitseinheit halfen. Da diese Beziehungen zusätzliche Investitionen in die ohnehin begrenzten zeitlichen und sozialen Ressourcen der Führungskraft erforderten, war es zu diesem Zeitpunkt fraglich, wie viele qualitativ hochwertige Austauschbeziehungen eine Führungskraft gewinnbringend entwickeln und pflegen können würde. Daher wurde erwartet, dass die Führungseinheiten nur einige wenige Austauschbeziehungen von höherer Qualität enthalten würden, während die übrigen Beziehungen von geringerer Qualität sein und nur die obligatorische Einhaltung der formalen Rollenanforderungen durch die Mitglieder beinhalten würden. In dieser Stufe lag der Schwerpunkt zunächst auf dem Verhalten der Führungskraft. Mit der Entdeckung signifikanter Unterschiede in den Antworten der Mitglieder auf Fragen zu ihren Führungskräften wurden jedoch die Dyaden aus Führungskraft und Mitglied zur Analyseeinheit und die Theorie begann sich innerhalb des Beziehungsbereichs zu entwickeln (Graen & Uhl-Bien, 1995, S. 227).
Die wichtigsten Ergebnisse der zweiten Stufe - des Leader-Member Exchange - lieferten weitere Belege für die Existenz differenzierter Beziehungen sowie Beschreibungen der Beziehungen selbst und ihrer Entwicklung. Die Ergebnisse dokumentierten auch signifikante, positive Beziehungen zwischen der Qualität des Austauschs zwischen Führungskraft und Mitglied und vielen interessierenden Ergebnisvariablen. Auf der Grundlage der Ergebnisse dieser Untersuchungsphase kann das Schwerpunktkonzept der LMX-Forschung wie folgt beschrieben werden: Die Entwicklung von Austauschbeziehungen zwischen Führungskraft und Mitarbeitern wird durch Eigenschaften und Verhaltensweisen von Führungskräften und Mitgliedern beeinflusst und erfolgt durch einen Rollenbildungsprozess. Austauschbeziehungen zwischen Führungskraft und Mitarbeiter von höherer Qualität haben sehr positive Ergebnisse für Führungskräfte, Mitarbeiter, Arbeitseinheiten und die Organisation im Allgemeinen. Dieser Ansatz unterscheidet sich vom Vertical Dyad Linkage-Ansatz insofern, als er über eine Beschreibung der differenzierten Beziehungen in einer Arbeitseinheit hinausgeht und erklärt, wie sich diese Beziehungen entwickeln und welche Konsequenzen die Beziehungen für das Funktionieren der Organisation haben. Basierend auf den Ergebnissen dieser Stufe scheint es so, dass effektive Führungsprozesse stattfinden, wenn Führungskräfte und deren Mitarbeiter qualitativ hochwertige soziale Austauschbeziehungen entwickeln und pflegen (Graen & Uhl-Bien, 1995, S. 229).
Ausgehend von den Implikationen der zweiten Forschungsstufe konzentriert sich die neuere Forschungsarbeit auf die Schaffung effektiverer Führungsprozesse durch die Entwicklung effektiver Führungsbeziehungen - im englischen Leadership Making. Bei diesem Ansatz steht keineswegs im Fokus, wie Manager ihre Mitarbeiter unterschiedlichen Kategorien zuordnen, sondern wie sie mit jedem Einzelnen arbeiten können, um eine Partnerschaft mit einem jeden von ihnen zu entwickeln.
Durch die Verlagerung des Schwerpunkts geht die Theorie über das traditionelle Denken in Vorgesetzte sowie deren Untergebene hinaus und betrachtet Führung als eine Partnerschaft zwischen dyadischen Mitgliedern. Der Hauptunterschied in dieser Phase der Untersuchung besteht darin, dass Manager nicht einige Mitarbeiter besser behandeln als andere - wie es der Differenzierungs-Ansatz der Vertical Dyad Linkage vorschlägt -, sondern dass sie allen Mitarbeitern den Zugang zum LMX-Prozess ermöglichen. Dies geschieht, indem sie jedem Mitarbeiter zu Beginn die Entwicklung einer partnerschaftlichen Austauschbeziehung im Rahmen des Führungskraft-Mitarbeiter-Verhältnisses anbieten. In Stufe 3 liegt der Schwerpunkt laut diversen Forschungsergebnissen folglich auf der Dyade, indem Fragen der Entwicklung qualitativ hochwertiger Beziehungen ohne Bezug auf eine bestimmte Organisationseinheit behandelt werden. Diese Stufe bezieht sich nicht mehr auf die Differenzierung in zwei Gruppen - in-group und out-group -, sondern wendet sich einem praktischeren und gerechteren Modell für den Aufbau von Führungsqualitäten in der gesamten Organisation zu. Da diese Beziehungen für die Mitglieder der Dyade und für die Organisation von Vorteil sind, sollten die Führungskräfte ermutigt und geschult werden, allen ihren Mitarbeitern das Angebot zu machen, hochwertige Partnerschaften aufzubauen. Dass alle diese Angebote zu einer qualitativ hochwertigen Beziehungsentwicklung führen, ist unwahrscheinlich. Soweit die Angebote gemacht werden, kann der LMX-Prozess als gerechter wahrgenommen werden, und das Potenzial für qualitativ hochwertigere Beziehungen und damit eine effektivere Führung wird erhöht. Laut Graen und Uhl-Bien könnten diese Überlegungen zu einer effektiveren Führung in Organisationen führen (Graen & Uhl-Bien, 1995, S. 229-233).
Bis zu diesem Punkt haben sich die meisten Arbeiten über Leader-Member-Exchange auf Austauschbeziehungen zwischen Führungskraft und Mitarbeiter als Dyaden innerhalb von Arbeitsgruppen und unabhängige Dyaden konzentriert. In komplexen Organisationen ist dies jedoch nicht repräsentativ für die Art von Führungssituationen, die meist dadurch gekennzeichnet sind, dass eine Führungskraft und mehrere Mitglieder in einer Art interagierendem Kollektiv zusammenarbeiten (Graen & Uhl-Bien, 1995, S. 233). Auf der vierten Stufe schlagen Graen und Uhl-Bien daher vor, die Perspektive auf die Systemebene zu richten, um zu untersuchen, wie sich differenzierte dyadische Beziehungen zu größeren Netzwerksystemen zusammenschließen. Diese Netzwerke sind es, die die Führungsstruktur einer Organisation ausmachen bzw. das Muster der Führungsbeziehungen zwischen den einzelnen Personen in der gesamten Organisation. Die Führungsstruktur ergibt sich aus dem Beziehungsgeflecht und den gegenseitigen Abhängigkeiten, die sich entwickeln, wenn die Mitglieder einer Organisation ihre Rollen erfüllen und Aufgaben erledigen. Mittels Untersuchungen auf dieser Stufe werden die Abhängigkeiten zwischen den Aufgaben und die Qualität der Beziehungen, die sich aufgrund dieser Abhängigkeiten entwickeln, analysiert. Insbesondere wird untersucht, wo effektivere Führungsbeziehungen einen großen Einfluss auf die Aufgabenerfüllung haben und wie sich differenzierte Beziehungen untereinander auf die gesamte Führungsstruktur auswirken. (Graen & Uhl-Bien, 1995, S. 233-335).
Zusammengefasst stellt jede Phase eine Verlagerung des Schwerpunkts und eine Weiterentwicklung des Denkens über den LMX-Prozess in Organisationen dar (Graen & Uhl-Bien, 1995, S. 235).
2.3 Phasen des Leader-Member Exchange
Der dyadische Ansatz zum Verständnis, wie individuelles Verhalten in Teamarbeit koordiniert wird, um unstrukturierte Aufgaben zu bewältigen, hat viel empirische Forschung hervorgebracht (Graen & Scandura, 1987, S. 175). Der Leader-Member Exchange kann als ein System von diversen Komponenten und deren Beziehungen beschrieben werden. An diesem System sind beide Mitglieder einer Dyade in voneinander abhängigen Verhaltensmustern beteiligt. Mitarbeiter erleben in einem qualitativ hochwertigen dyadischen Austausch mit ihrem unmittelbaren Vorgesetzten gegenseitiges Vertrauen (Scandura et al., 1986, S. 203).
George Bearnard Graen und Terri A. Scandura entwickelten im Jahr 1987 ein Modell zur Entwicklung der Austauschbeziehung zwischen Führungskraft und Mitglied, dem Leader-Member-Exchange. Das deskriptive Modell zur Entwicklung umfasst die Phasen der Rollenübernahme, der Rollenbildung und der Routinisierung als dyadischen Prozess. Außerdem untersuchten Graen und Scandura die beruflichen Auswirkungen dyadischer Strukturen auf die Teilnehmer einer Organisation (Graen & Scandura, 1987, S. 175).
Abbildung 4 zeigt den Lebenszyklus der Reife von Führungsbeziehungen, aufgeteilt in drei Phasen, die jeweils mittels sechs Kategorien charakterisiert werden können: Die Entwicklungsphase der Beziehung, das Ausmaß der Reziprozität, die Zeitspanne der Reziprozität, das Ausmaß der Austauschbeziehung zwischen Führungskraft und Mitarbeiter, die gegenseitige Einflussnahme sowie die Art der Führung (Graen & Uhl-Bien, 1995, S. 231).
Abbildung 4: Life Cycle of Leadership Making
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Nach diesem Modell betreten zwei Akteure, ein Mitglied und eine Führungskraft, die Szene und bringen ihre jeweilige genetische Ausstattung, ihre Vorgeschichte und ihre aktuellen Umstände in die Dyade ein. Zu diesem Zeitpunkt ist die Szene durch die Merkmale der formalen strukturellen Vorkehrungen, durch die vergangene Geschichte der Organisation und die aktuellen Umstände charakterisiert. Von diesem Punkt an beschreibt das Modell eine allgemeine Abfolge von Phasen, die von Rollenübernahme über Rollengestaltung bis hin zu Rollenrouti- nisierung reichen.
Obwohl die Phasen normalerweise in der vorgenannten Reihenfolge ablaufen, führt das Scheitern der Rollenübernahme zu einer Rückkehr zur Rollenübernahme und das Scheitern in einem Aspekt der Rollenroutinisierung zu einer Rückkehr zur Rollenübernahme. Die Aspekte aller drei Phasen können hierbei gleichzeitig vorhanden sowie jede Phase von kurzer bis längerer Dauer sein (Graen & Scandura, 1987, S. 179).
Der Prozess beginnt mit einer Phase des Fremdseins, in der die Personen zunächst als Fremde zusammenkommen und voneinander abhängige organisatorische Rollen einnehmen. Die zweite Phase - die Phase der Bekanntschaft - ist dominiert von einem verstärkten sozialen Austausch zwischen den Mitgliedern, der nicht immer vertraglich geregelt ist. Wenn diese Beziehungen die nächste und letzte Stufe erreichen, werden sie als reife Partnerschaft eingestuft (Graen & Uhl-Bien, 1995, S. 230).
In den folgenden Unterkapiteln werden die drei Phasen explizit erläutert und die Einflussfaktoren auf den Prozess dargestellt.
2.3.1 Phase des Fremdseins
Diese Komponente des LMX-Entwicklungsmodells erfasst das erste Mal, dass eine Führungskraft und ein Mitarbeiter in ihren aktuellen Positionen zusammentreffen. Jeder bringt einzigartige physische Eigenschaften und individuelle Einstellungen, Aussehen, Fähigkeiten, Persönlichkeit, Erfahrung, Alter und Hintergrund in die Treffen mit ein. Zwei individuelle Merkmale können den gesamten LMX-Entwicklungsprozess stark beeinflussen, einschließlich der anfänglichen Interaktion (Dienesch & Liden, 1986, S. 626).
Dieser anfängliche dyadische Austausch kann mit einer Art Phase der Probenahme beschrieben werden, in der der Vorgesetzte versucht, durch wiederholte Testsequenzen die relevanten Talente und Motivationen des Mitarbeiters zu entdecken. Durch unterschiedliche Aufgabenstellungen kann sich die Führungskraft sukzessive den Grenzen des Mitarbeiters bei unstrukturierten Aufgaben und relevanten Beziehungsdimensionen annähern. Daher eignet sich dieses Modell besonders für Führungsaufgaben. Ein Vorgesetzter, der dieses Verfahren anwendet, kann in sehr kurzer Zeit sehr viel über einen Mitarbeiter lernen.
In der Phase des Fremdseins agiert der Vorgesetzte und der Mitarbeiter reagiert; der Vorgesetzte ist ein aktiver Problemlöser und der Mitarbeiter ein passiver Reagierer. Die Rollenfindung erscheint durchaus funktional, da sie ein effizientes Mittel darstellt, um einen Mitarbeiter in eine organisatorische Rolle und strukturierte Aufgabenabläufe einzuweisen. Gleichzeitig erfährt der Vorgesetzte viel darüber, was ein Mitarbeiter tun kann und in Zukunft wahrscheinlich tun wird. Dies ist die Phase, in der die Führungskraft wichtige Informationen über das Potenzial des Mitarbeiters für unstrukturierte Aufgaben sammelt. Bis zu diesem Zeitpunkt basiert der Austausch auf wirtschaftlichen Transaktionen, d. h. der Mitarbeiter wird für die erbrachten Leistungen mit monetären Mitteln entlohnt (Graen & Scandura, 1987, S. 180-181).
Die Interaktionen zwischen den Akteuren in der Phase des Fremdseins finden auf einer eher formalen Basis statt - im Wesentlichen können diese als ein wirtschaftlicher Cash-and-Carry- Austausch charakterisiert werden. In dieser Beziehung ist der Austausch rein vertraglich: Die Führungspersönlichkeiten stellen ihren Mitarbeitern nur das zur Verfügung, was sie für ihre Arbeit benötigen, und die Mitarbeiter verhalten sich nur so, wie es von ihnen verlangt wird und erledigen nur die ihnen vorgeschriebene Arbeit. Innerhalb der Phase des Fremdseins muss durch einen der beteiligten Akteure ein Angebot für eine verbesserte Arbeitsbeziehung durch karriereorientierten sozialen Austausch gemacht und angenommen werden. Sobald dies geschehen ist, können die Dyaden in die zweite Phase der Beziehungsentwicklung übergehen: In die Phase der Bekanntschaft (Graen & Uhl-Bien, 1995, S. 230).
2.3.2 Phase der Bekanntschaft
Nach dieser ersten Begegnung treten die Führungskraft und der Mitarbeiter in die Phase der Bekanntschaft ein, in der die beiden Akteure eine Reihe von Transaktionen durchführen (Cro- panzano et al., 2017, S. 234). Sie beginnen, mehr Informationen und Ressourcen auszutauschen - sowohl auf persönlicher als auch auf beruflicher Ebene. Dieser Austausch ist jedoch noch begrenzt und befindet sich in einer Testphase. Es gibt immer noch eine gerechte Gegenleistung für Gefallen innerhalb eines begrenzten Zeitraums (Graen & Uhl-Bien, 1995, S. 230). Hierbei wird eine Gegenleistung auch akzeptiert, wenn diese zeitlich nachgelagert eintritt. Der Austausch findet demnach in dieser Phase erstmals in einem Ausmaß statt, der sich nicht mehr lediglich auf die Vereinbarungen im Arbeitsvertrag bezieht, sondern darüber hinaus geht.
Jetzt sehen wir den sozialen Austausch von Emotionen innerhalb der Dyade. Der Mitarbeiter beobachtet nicht nur die Emotionen der Führungskraft, sondern initiiert auch emotionale Reaktionen und teilt Emotionen als Mitglied der Dyade (Cropanzano et al., 2017, S. 242). In Abbildung 5 ist dieser Prozess anschaulich dargestellt. Die Abbildung lässt ferner erkennen, dass diese emotionale Entwicklung Einfluss auf die Qualität der Austauschbeziehung zwischen Führungskraft und Mitarbeiter nimmt.
Abbildung 5: Dyadic Emotional Entrainment
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Übernommen aus Cropanzano et al., 2017, S. 242.
Dieser aktive Austausch von Gefühlen lässt die LMX-Beziehung letztendlich zur Routine werden (Cropanzano et al., 2017, S. 242).
In der Phase der Bekanntschaft wird ferner die Rollengestaltung definiert. Der Fokus liegt während der Rollengestaltung nicht auf formalen Aspekten, die beispielsweise in Aufgaben- und Stellenbeschreibungen festgehalten sind, sondern beinhaltet Faktoren, die darüber hinaus gehen.
Nach Abschluss der Rollengestaltung geht die Beziehung in die nächste Phase über (StockHomburg & Groß, 2019, S. 567).
2.3.3 Phase der Reife
In der Phase der Reife schließlich ist die Austauschbeziehung zwischen Führungskraft und Mitarbeiter meist stabil. Dennoch mögen spätere Veränderungen in der Qualität der Beziehung Vorkommen, deren Wahrscheinlichkeit möglicherweise bisher unterschätzt wurde. Es ist denkbar, dass es Umstände gibt, unter denen die Reaktionen der Mitglieder auf ihre LMX-Bezie- hung im Vergleich zu anderen Mitgliedern der Arbeitsgruppe die Art ihrer aktuellen Beziehung verändern (Cropanzano et al., 2017, S. 234-235).
Eben jene Rollen, die in der Phase der Bekanntschaft gestaltet wurden, werden in dieser Phase von Führungskraft und Mitarbeiter gelebt. Ferner ist diese Phase geprägt von langfristig orientierten Interaktionen sowie intensiver Kommunikation (Stock-Homburg & Groß, 2019, S. 567).
An diesem Punkt ist der Austausch zwischen den Mitgliedern hoch entwickelt: Die Individuen können sich auf die Loyalität und Unterstützung des anderen verlassen. Darüber hinaus ist der Austausch nicht nur verhaltensbezogen, sondern auch emotional - gegenseitiger Respekt, Vertrauen und Verpflichtung nehmen im Laufe des Prozesses zu. In diesem Stadium ist der Grad des zunehmenden Einflusses und damit der Führung zwischen den Mitgliedern hoch (Graen & Uhl-Bien, 1995, S. 230).
Eine Erwartungshaltung im Sinne einer baldigen Gegenleistung für erbrachte Leistungen ist in der Phase der Reife nicht gegenwärtig (Stock-Homburg & Groß, 2019, S. 567).
2.3.4 Einflussfaktoren auf den Leader-Member Exchange
Die theoretische Grundlage von LMX ist, dass sich dyadische Beziehungen und Arbeitsrollen im Laufe der Zeit durch eine Reihe von Begegnungen oder Interaktionen zwischen Führungskraft und Mitglied entwickeln und erörtert werden. Es wird argumentiert, dass in der Anfangsphase des Beziehungsaufbaus auch andere Faktoren als das Verhalten der Akteure die Entwicklung der Beziehung beeinflussen (Dienesch & Liden, 1986, S. 628). Auf diese Faktoren wird im Nachgang eingegangen.
Grundsätzlich können die Einflussfaktoren in zwei Kategorien geclustert werden: In personenbezogene und kontextbezogene Einflussfaktoren. Personenbezogene Einflussfaktoren sind direkte Einflussfaktoren, die Eigenschaften und das jeweilige Verhalten von Führungskraft und Mitarbeitern beschreiben. Kontextbezogene Einflussfaktoren hingegen sind unter anderem die Politik und Kultur des Unternehmens. Die Größe der Arbeitsgruppe sowie die verfügbaren Ressourcen stellen weitere kontextbezogene Einflussfaktoren dar (Dienesch & Liden, 1986, S. 625-630; Henderson et al., 2009, S. 518).
Eine Übersicht der Einflussfaktoren in Kombination mit den zu erwartenden Auswirkungen zeigt Abbildung 6. Insbesondere die Merkmale der Mitarbeiter, der Führungskraft - d. h. Verhalten, Wahrnehmung und Persönlichkeit - sowie Variablen der zwischenmenschlichen Beziehung beeinflussen nachweislich die Qualität der LMX-Beziehung, moderiert durch kontextuelle Variablen. Zum Abschluss des Prozesses führt LMX zu Konsequenzen (Dulebohn et al., 2012, S. 1718).
Abbildung 6: LMX Antecedents and Consequences Theoretical Framework
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Übernommen aus Dulebohn et al., 2012, S. 1717.
Durch sein Verhalten investiert jedes Mitglied der Dyade Ressourcen in die Entwicklung der Beziehung (Bauer & Green, 1996, S. 1538). Die Charaktereigenschaften von Führungskraft und Mitarbeiter beeinflussen sowohl die Beurteilung der Führungskraft über die anfängliche Leistung des Mitarbeiters als auch inwiefern die Führungskraft Aufgaben delegiert (Bauer & Green, 1996, S. 1542).
Wie bereits unter 2.3.1 beschrieben, bringt jeder der Akteure zu Beginn der LMX-Beziehung einzigartige physische Eigenschaften und individuelle Einstellungen, Aussehen, Fähigkeiten, Persönlichkeit, Erfahrung, Alter und Hintergrund in die Beziehung ein. Zwei der individuellen Merkmale können den gesamten LMX-Entwicklungsprozess sowie die anfängliche Interaktion stark beeinflussen. Ein individuelles Merkmal erfordert besondere Aufmerksamkeit, da es den gesamten LMX-Entwicklungsprozess, einschließlich der ersten Interaktion, stark beeinflussen kann: Ob ein neues Mitglied einer Dyade auch ein Neuling in der Organisation ist oder nicht (Dienesch & Liden, 1986, S. 626).
Durch Birgit Schyns wurde in Studien zum Leader-Member Exchange ferner festgestellt, dass das Geschlecht der Führungskraft Einfluss auf die Bewertung der Austauschbeziehung nehmen kann: Hierbei schnitten weibliche Führungskräfte besser ab als die männlichen Pendants (Schyns, 2002, S. 243).
Den Einfluss der Eigenschaften der Dyaden-Teilnehmer veranschaulicht Abbildung 7.
Abbildung 7: Modell des LMX-Entwicklungsprozesses
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Eigene Darstellung (verändert) in Anlehnung an Dienesch & Liden, 1986, S. 627.
Weiter verdeutlicht Abbildung 7, dass der Zurechnungsprozess unter bestimmten Bedingungen vollständig umgangen werden kann, wie der direkte Pfeil von der anfänglichen Interaktion zur Art des Austauschs ausdrückt. Wenn die individuellen Merkmale eines Mitglieds für die Führungskraft sehr wichtig sind, kann die Führungskraft ein unmittelbares Urteil über das Mitglied fällen und umgeht die nächsten Schritte des Modells (Cantor & Mischel, 1979; Lord, Foti & Phillips, 1982 zitiert nach Dienesch & Liden, 1986, S. 628). Zum Beispiel kann eine rassistisch voreingenommene Führungskraft eine Person of Color auf der Grundlage von Stereotypen beurteilen (Ilgen & Feldman, 1983 zitiert nach Dienesch & Liden, 1986, S. 628). In diesem Fall würde die Art des daraus resultierenden Austauschs zwischen Führungskraft und Mitarbeiter ausschließlich auf einer individuellen Eigenschaft beruhen und das Verhalten des Mitarbeiters im Wesentlichen irrelevant werden. Alternativ dazu kann eine Führungskraft von Beginn an sehr beeindruckt sein von ihrer Wahrnehmung der Fähigkeiten, Erfahrungen oder des Hintergrunds eines Mitarbeiters. Auch hier lässt sich die Führungskraft von ein oder zwei individuellen Eigenschaften beeinflussen, um die Art des daraus resultierenden Austauschs zwischen Führungskraft und Mitarbeiter weiter zu bestimmen (Terborg, 1981, S. 572).
Einfluss auf die Qualität des LMX nimmt in diesem Kontext die Sympathie. Sind sich die Führungskraft und der Mitarbeiter sympathisch, kann die Qualität der Austauschbeziehung erhöht werden (Wayne & Ferris, 1990, S. 489). Ist die Einstellung des Mitarbeiters gegenüber seiner Führungskraft jedoch aufgrund von Vorkommnissen, wie der Bevorzugung eines anderen Mitarbeiters, negativ behaftet, kann dies zu einer Kündigung des Mitarbeiters führen (Robbins, 2013, S. 71).
Zhang et al. zeigten 2012 anhand einer Studie, dass die Ähnlichkeit zwischen Führungskräften und Mitgliedern in Bezug auf die proaktive Persönlichkeit mit der Qualität von LMX zusammenhängt. Darüber hinaus spielte auch die Richtung der Unähnlichkeit eine Rolle: Wenn die Führungskräfte im Vergleich zu den Mitgliedern eine höhere proaktive Persönlichkeit aufwiesen, wirkte sich die Unähnlichkeit viel stärker aus (Zhang et al., 2012, S. 111+113; 124-125).
Allerdings sind verhaltensbezogene Faktoren in der Regel hauptsächlich verantwortlich für die Entwicklung des Prozesses (Terborg, 1981, S. 572).
Unter den Verhaltensweisen von Führungskräften, die mit der LMX-Qualität in Verbindung gebracht werden, ist anzunehmen, dass Fairness der Führungskraft die beständigste ist (Erdogan & Bauer, 2015, S. 643). Masterson et al. zeigten 2000, dass interaktionelle Gerechtigkeit oder das Gefühl, mit Würde und Respekt behandelt zu werden, mit der LMX-Qualität assoziiert waren (Masterson et al., 2000, S. 738+746). Diese und andere Studien gingen davon aus, dass die Fairness der Führungskraft mit der LMX-Qualität zusammenhängt, während sich die organisatorische Fairness, wie z. B. Verfahrensgerechtigkeit, auf die Qualität der Austauschbeziehung mit der Organisation im Allgemeinen bezieht (Masterson et al., 2000, S. 738+746; Erdogan et al., 2006, S. 395). Neuere meta-analytische Erkenntnisse unterstützen diese Unterscheidung nicht: Eine Studie von Colquitt et al. im Jahr 2013 ergab, dass sich die Wahrnehmung von Gerechtigkeit durch den Vorgesetzten und die Organisation nicht in ihrer Stärke der Beziehung zur LMX-Qualität unterscheiden. Mit anderen Worten: Selbst wenn Forscher sich bemühen, die Wahrnehmung von Gerechtigkeit in der Organisation zu messen, ist es wahrscheinlich, dass Vorgesetzte zumindest teilweise für den beobachteten Zustand verantwortlich gemacht werden, was zu einer höheren Qualität der LMX-Beziehung führt (Erdogan & Bauer, 2015, S. 643; Colquitt et al., 2013 zitiert nach Erdogan & Bauer, 2015, S. 643).
Daten von 170 Mitarbeitern eines niederländischen Unternehmens zeigten, dass die Qualität des Austauschs zwischen Führungskraft und Mitarbeiter eine positive Beziehung zwischen einer zielorientierten Arbeitsweise und der von der Führungskraft bewerteten innovativen Arbeitsleistung und der Arbeitszufriedenheit vermittelt. Im Gegensatz dazu war eine Leistungsorientierung negativ oder nicht mit diesen Ergebnissen verbunden. Diese Ergebnisse legen nahe, dass Mitarbeiter mit stärkerer zielorientierter Arbeitsweise bei der Arbeit effektiver sind, weil sie dazu neigen einen qualitativ besseren Austausch mit ihren Vorgesetzten zu pflegen (Janssen & Van Yperen, 2004, S. 368).
Es wirken ferner - wie bereits kurz erwähnt - kontextbezogene Einflussfaktoren auf die Entwicklung der Beziehung ein: Bei der Bewertung bestimmter Verhaltensweisen von Mitarbeitern können Führungskräfte durch organisatorische Richtlinien hinsichtlich angemessener Reaktionen auf bestimmte Verhaltensweisen beeinflusst werden. Solche organisationspolitischen Vorgaben könnten dazu führen, dass die Verantwortung für das Verhalten der Mitglieder im Entwicklungsprozess des Leader-Member Exchange entweder geändert oder aufgegeben werden. Die Kultur einer Organisation, die von unterschiedlichen Werten und Normen geprägt ist, kann ferner Einfluss nehmen auf die Verstärkung bestimmter Merkmale innerhalb des LMX (Dienesch & Liden, 1986, S. 630).
2.4 Bedeutung der Austauschbeziehungen je Mitarbeitergruppe
Die Austauschbeziehung kann sich sowohl auf der individuellen Ebene als auch im Gruppenkontext bzw. auf organisationaler Ebene zeigen (Henderson et al., 2009, S. 517). Gemäß der Leader-Member Exchange Theorie kann schlussgefolgert werden, dass es bei einer Führungskraft mit zehn Teammitgliedern zehn verschiedene Austauschbeziehungen zwischen Führungskraft und Mitarbeiter gibt (Bauer & Green, 1996, S. 1539). Der Austausch zwischen Führungskraft und Mitarbeiter kann demnach nicht bei jeder der Paarungen von gleicher Intensität sein. Dies führt dazu, dass sich zwei Untergruppen aus Mitarbeitern bilden: eine sogenannte in-group und out-group. Die in-group beschreibt die privilegierte Gruppe, welche Mitarbeiter beinhaltet, die loyal, engagiert und aus Sicht der Führungskraft Sympathieträger sind. Die out-group wiederum beinhaltet die Mitarbeiter, mit denen sich die Beziehung mühsamer gestaltet. Kommunikationstechnisch führt dies zu einem formellen und distanzierteren Austausch (Neuberger, 2002, S. 335). Abbildung 8 zeigt anschaulich die unterschiedlichen Interaktionen der Führungskraft mit der jeweiligen Untergruppe.
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1 Gemeint sind stets beide Geschlechter. Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf die Nennung beider Formen im gesamten Text verzichtet.
- Citar trabajo
- Beatrice Büschelberger (Autor), 2022, Mit Vertrauen zum Erfolg. Ansätze zur Stärkung der Zusammenarbeit zwischen Führungskräften und Mitarbeitern, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1333835
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